Dienstag, 2. Oktober 2012

Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt???


Als deutscher Katholik staunt man, wenn man über die Grenzen schaut. Besonders, wenn der Blick dabei in die Schweiz geht. So wurde vor einigen Jahren berichtet, dass der Bischof von Chur (Wolfgang Haas) finanziell zunehmend auf dem Trockenen saß, weil die meisten katholischen Gemeinden sich weigerten, ihm einen Anteil der Kirchensteuer zu überweisen. So handfest drückte sich der Protest gegen seine Amtsführung aus. Wer hätte einen solchen Aufstand in der so solide und im guten Sinne konservativ erscheinenden Schweiz erwartet. Als Pastoralreferenten hörten wir häufig davon, dass die Schweizer Kollegen in einigen Bistümern von ihren Bischöfen zur Trauassistenz beauftragt wurden, dass sie Kinder tauften, beerdigten und de facto Gemeindeleitung übernahmen. Viele deutsche Kollegen wechselten in dieser Zeit „nach drüben“. In den letzten Jahren geisterten immer wieder Meldungen durch die Gazetten, wo Bischöfe sich erfolglos mühten, Pfarrer aus ihren Ämtern zu entfernen oder andere Veränderungen in der kirchlichen Szene herbei zu führen. Kirchenzeitungen kritisieren in erstaunlicher Offenheit die Bischöfe. Im Bistum Chur soll der Bischof (heute Vitus Huonder) sogar dazu ermutigt haben, aus der Kirche auszutreten und ihre Kirchensteuer zukünftig der bischöflichen Kasse zukommen zu lassen. Beispiele dieser Art ließen sich noch zahlreich aufführen; hier sollen sie allerdings nur illustrieren, dass die Schweizer Kirche völlig anders verfasst ist, als wir das in der deutschen Kirche kennen. Auf der einen Seite gibt es dort die offizielle kirchliche Hierarchie, die bischöflich verfasste Kirche. Daneben entstanden Parallelstrukturen, denn die Kantone in der Schweiz wollten nur eine Kirche anerkennen, die demokratisch verfasst ist und in Finanzfragen Transparenz gewährleistet. Hier gibt es synodale Strukturen und Laien in verantwortlichen Positionen. Allerdings auch eine große Eigenständigkeit gegenüber den Bischöfen. Aus dieser eigenartigen Doppelstruktur erklären sich manche, für uns erstaunliche Phänomene. Es wäre ein wenig so, als wenn in Deutschland das Zentralkomitee der Katholiken gemeinsam mit den Kirchenvorständen der Gemeinden die Finanzhoheit hätte.

Ob das, trotz aller „Demokratie“ wirklich ein Modell für Deutschland ist? Kaum verwunderlich, dass die deutschen Bischöfe keine „Schweizer Verhältnisse“ wollen. Vielleicht lohnt es sich, das aktuelle Dekret der Bischöfe über die Folgen eines Kirchenaustritts vor einer staatlichen Stelle aus dieser Perspektive zu betrachten. 

Der frühere Münsteraner Bischof Dr. Reinhard Lettmann berichtete uns einmal von einer Begegnung mit Papst Johannes Paul II.. Er hatte mit dem Hl. Vater über das Verfahren zur Wahl eines Bischofs in der Münsteraner Diözese gesprochen, worauf der selige Johannes Paul II. schmunzelte und bemerkte: „Ja habe ich in der Diözese Münster dann überhaupt etwas zu sagen?“ Die konkreten Beziehungen zwischen Staat und Kirche sind in den deutschsprachigen Ländern aus vatikanischer Perspektive in der Tat Sonderfälle, die sich aus der besonderen und langen Geschichte der Kirche hierzulande ergeben. Staatskirchenrechtliche Vereinbarungen und Konkordate ermöglichen gewisse Mitsprachemöglichkeiten der Ortskirchen, u.a. bei der Wahl eines Bischofs, die andernorts unüblich sind. 

Die Frage einer Kirchenmitgliedschaft ist in fast allen Ländern der Welt einfach zu beantworten. Katholik ist, wer getauft wurde und nicht wieder vom Glauben abgefallen ist. Und selbst dann gilt: Getauft ist getauft! „Exkommunikation“ macht die Taufe nicht ungültig, eine Rückkehr ist jederzeit möglich. In der Regel ist es die Kirche selbst, die über ihre Mitglieder informiert ist. Eine staatliche Stelle hat da wenig zu sagen. Daher betrachtet man von Rom aus mehr oder minder skeptisch, dass in Deutschland der  Austritt aus der Kirche (in der Regel) vor einer staatlichen Stelle erklärt wird. Andernorts müsste ein getaufter Christ dagegen z.B. vom Pfarrer oder vom Bischof aus der Kirche verwiesen (exkommuniziert) werden und dafür gelten strenge Regeln. Hierzulande ist es möglich, einem – möglicherweise muslimischen oder atheistischen - Amtsgerichtsbeamten gegenüber die Kirchenmitgliedschaft zu beenden. Der interessiert sich überhaupt nicht dafür, ob da einer austritt, weil er sich über seinen Pfarrer geärgert hat und denkt, dass er sich jetzt mal die Kirchensteuer spart, oder ob ein Anhänger der Petrusbruderschaft austritt, weil er seinen Kirchensteuerbeitrag direkt seiner altrituellen Gemeinde zukommen lassen möchte. 

Daher ist es der entscheidende Passus im Dekret der Bischöfe zum Kirchenaustritt, dass der zuständige Pfarrer mit dem Ausgetretenen Kontakt aufnehmen muss, um die Beweggründe für diesen Austritt zu erfahren. Er soll letztlich die Frage beantworten, ob der Ausgetretene nur seiner Pflicht als Kirchenmitglied, einen angemessenen Beitrag für seine Kirche zu geben, entgehen wollte, oder ob derjenige sich womöglich vom Glauben selbst entfernt hat. Diese Regelung hat – zur Überraschung konservativer Kreise – den Segen „von oben“; also jetzt nicht von ganz oben, sondern vom Vatikan. 

In konservativen Diskussionsforen hatte nämlich 2006 ein Rundschreiben des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte wie eine Bombe eingeschlagen, weil es darin heißt, dass der bloße Austrittsakt, beispielsweise vor einem Amtsgericht nicht zur Exkommunikation führe, sondern es dazu auch einer „inneren Entscheidung, die katholische Kirche zu verlassen“ bedarf. Kurz gesagt, würde das die Möglichkeit eröffnen „Katholisch ohne Kirchensteuer“ zu sein. Sehr konservativen Kreisen ist es nämlich schon lange ein Dorn im Auge, was mit „ihrer“ Kirchensteuer alles finanziert wird. Im Grunde finanzieren sie ja mit, was sie verbal heftig beklagen, z.B. die Rätestrukturen in den Bistümern, die katholische Jugendarbeit, die Caritas, den BDKJ, sogar das Zentralkomitee der deutschen Katholiken. 
Es entstand dort die Hoffnung, man könne austreten und trotzdem – oder gerade erst recht – katholisch sein. Dieser Hoffnung haben die deutschen Bischöfe nun einen Riegel vorgeschoben. So erklärt sich die heftige Reaktion quer durch die konservativen Blätter, Portale und Blogs.

Lustigerweise spitzen manche Autoren (aus beiden „Lagern“) es nun auf die Frage „Sakramente gegen Geld“ zu und zerren damit den alten Ablasshändler Johann Tetzel wieder aus seiner historischen Ecke. Allen voran Reinhard Dörner (mein alter Deutschlehrer von den Beruflichen Schulen in Ahaus) in einer Erklärung des „Zusammenschluß papsttreuer Vereinigungen (ZpV)“: „Sakramente sind demnach käuflich: Wer Kirchensteuer zahlt, kann die Sakramente empfangen. ... Dass die Bischöfe jetzt über Luther hinausgehen, indem sie Sakramente an Geldleistungen binden, verleiht diesem Akt eine eigene Brisanz.“ Es irritiert, dass diese Gruppierungen „Papsttreue“ offensichtlich als Freibrief zu überschäumender Bischofskritik verstehen. Ich glaube, Dörner schießt weit über das Ziel hinaus und führt die Leser in die Irre. Es geht nicht in erster Linie ums Geld. Es ist doch schon heute so, dass die Mehrzahl der Kirchenmitglieder gar keine Kirchensteuer zahlt. Es gibt keine genauen Zahlen, aber man geht von ca. 30 – 35 % Kirchensteuerzahler unter den Kirchenmitgliedern aus. 
Ich bin sicher, dass es den Bischöfen mehr um eine notwendige Klarstellung ging, dass es nicht eine Kirche staatlicher Ordnung und eine weitere (die eigentliche) Kirche geben kann. Daraus würde bald eine gestaffelte Kirchenmitgliedschaft und ein neuer Spaltpilz in der einen Kirche. Das Dekret ist zwar etwas formal geraten, aber es kommt doch darauf an, was man daraus macht. 

Trotzdem sollte man die Einwände der Kritiker nicht leichthin verwerfen. Auch durch das sehr formale Schreiben an diejenigen, die der Kirche den Rücken kehren entsteht ein schiefer Eindruck. So spitzt denn auch der Philosoph Robert Spaemann den Knackpunkt der Neuregelung so zu: „Paradoxerweise sei nun das Zahlen der Kirchensteuer ein wichtigeres Kriterium für die Mitgliedschaft als das Bekenntnis zu zentralen Glaubenswahrheiten.“ Er fragt auch zu recht, wie das mit einer „Entweltlichung“ der Kirche zusammen gehen soll. 
So verständlich der Wunsch der „papsttreuen“ Katholiken ist, dass mit „ihrer“ Kirchensteuer auch nur das finanziert wird, was ihnen genehm ist und Ihrer Auffassung von Katholizität entspricht, so fatal wäre dieser Weg doch in der Wirklichkeit. Dann würden nämlich zahlreiche Anhänger anderer Katholizitäten dieses Privileg auch für sich in Anspruch nehmen. So leicht ist es nämlich nicht zu bestimmen, was ein „wahrer“ Katholik ist, wie z.B. die Diskussion um die Piusbruderschaft zeigt. Und soll demnächst jeder - der Kirche gespendete oder über Kirchensteuer gezahlte - Euro nur dann angenommen werden, wenn die Rechtgläubigkeit des Gebers geprüft ist? 
Oder möchten Herr Spaemann und Herr Dörner und andere in Deutschland die auseinanderdriftenden Strukturen der Schweizer Kirche? Da kommt die katholische Kirche in Deutschland doch beinahe schon überzeugend geschlossen und einheitlich daher. Jedenfalls schon mal so geschlossen, dass jeder Katholik vor Ort und jede Gemeinde für die Fehler und Mitkatholiken andernorts mitverantwortlich gemacht wird. Wer weiß nicht, was man sich bei Familienfeiern oder beim abendlichen Kneipenbesuch alles anhören muss, wenn mann sich als gläubig „outet“.

Ich glaube jedenfalls nicht, dass unter den 120.000 Katholiken, die im vergangenen Jahr aus der Kirche ausgetreten sind, die große Mehrheit deshalb austreten, weil sie die „Irrwege einer dem Papst untreuen deutschen Nationalkirche“ nicht mitzugehen bereit sind, wie es in manchen Kommentaren des konservativen Lagers anklingt. Das ist ein unredliches Argument. Viele, die austreten und nicht mehr formal Kirchenmitglied sind, haben durchaus den / einen Glauben bewahrt, distanzieren sich aber von dem, was sie als Kirche erlebt oder aus der Ferne erfahren haben. Anderen ist der Glaube selbst gleichgültig geworden. 

Sicher, die Kirchensteuer ist ein hinterfragbares historisches Konstrukt. Letztlich hat sie ihre Wurzel in der Entscheidung Napoleons, der Kirche ihren Reichtum, ihr Vermögen zu nehmen und der daraus folgenden Verpflichtung des Staates, die Kirche im Gegenzug „wenigstens auf Sparflamme“ zu finanzieren. Napoleon erhoffte sich hierdurch ein gutes Geschäft, aber schon bald wälzte der Staat diese Verpflichtung weitgehend wieder auf die Kirchenmitglieder ab. So ist es bis heute geblieben. Die Finanzhoheit eines gewählten Gremiums, des Kirchenvorstandes ist ebenfalls eine Folge staatlicher Einflussnahme auf kirchliche Finanzen. Insgesamt kamen aber diese staatlichen Maßnahmen letztlich der Kirche zu Gute und lange Zeit waren alle Beteiligten zufrieden. 

Das ist heute etwas anders geworden, aber bisher hat noch niemand ein Modell entwickelt, wie die Kirchenfinanzierung einer Großkirche funktionieren kann ohne schmerzhafteste Umbrüche in der sozialen Landschaft. Natürlich gibt es an vielen Einrichtungen der Gemeinden, der Bistümer und des Caritasverbandes durchaus Kritikwürdiges. Aber wer glaubt denn, dass es besser würde, wenn wir all diese Einrichtungen in staatliche Hände oder an andere Sozialverbände übergeben? Im Gegenteil! Es wird ganz viel an christlicher Zuwendung nicht mehr geleistet werden und sehr viel Begegnung mit Christus, Kontakt mit Gott wird nicht mehr möglich sein. Wer heute die Haltung von Vereinen wie Pro Familia z.B. in der Abtreibungsfrage etwas entgegensetzen möchte, kann sich nicht auf gute Worte und fromme Argumente verlassen. Der muss auch handfest anpacken, sich durchaus mal die Hände schmutzig machen und Hilfen bieten, die aus Spenden allein nicht aufzubringen sind. 

Die ganze Diskussion um das bischöfliche Dekret und über das Urteil über den bedingten Kirchenaustritt des Kirchenrechtlers Zapp sollte wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Der Staat hat klar gestellt: Wer aus der Kirche austritt, der ist zunächst einmal draußen. Wie die Kirche dann mit diesem Austritt umgeht, das ist die Frage. Darüber muss in der Kirche weiter gesprochen werden. Darüber muss auch mit den Ausgetretenen gesprochen werden, denn aus ihren Rückmeldungen ließe sich vieles lernen. 

Auch das von den Bischöfen vorgeschlagene Verfahren lässt die Möglichkeit offen, dass der Pfarrer im Gespräch feststellt, dass der Ausgetretene eigentlich ein frommer Katholik ist, der seiner Kirche nur in einem Punkt nicht mehr folgen will, nämlich seinen Kirchenbeitrag in Form einer Steuer zu entrichten. 
Wenn der dann noch zusätzlich erklärt, dass er seinen Beitrag lieber der konkreten Gemeinde vor Ort zukommen lässt und so in angemessener Weise seinen finanziellen Beitrag dazu leistet, so dass die Kirche ihre Sendung erfüllen kann (c. 222 § 1 CIC i.V.m. 1263 CIC). Wie soll der Pfarrer dann reagieren? Das wird eine spannende Sache. 

Aber es ist doch auch klar, dass sich die deutschen Bischöfe auf solche Einzelfalllösungen nicht einlassen wollen und auch nicht können und dürfen. Es muss ein klares Recht gelten, dass Unklarheiten in dem etwas komplizierten rechtlichen Verhältnis von Kirche und Staat in Deutschland möglichst vermeidet. Das ist die Grundlage eines fairen und gleichberechtigten Umgangs mit allen Gläubigen, unabhängig von deren Macht und Einfluss und ihren kirchen“politischen“ Überzeugungen. Das, was einige Kommentatoren aus den Lagern der Kirchengegner und dem der angeblich „Papsttreuen“ daraus machen, spitzt die eigentliche Sache unangemessen auf Teilaspekte zu.

Viel besser wäre es, wenn wir gemeinsam unsere Energie, unsere Glaubensüberzeugung und jeden Cent der Kirchenfinanzierung wirklich ausschließlich für die Sache Jesu investieren. Und um Missdeutungen vorzubeugen, natürlich unter Beachtung des markanten Satzes aus der Antrittsenzyklika des seligen Johannes Paul II.: „Der Weg der Kirche ist der Mensch.“ Das wäre eine echte Entweltlichung, wie sie Papst Benedikt angeregt hat.