Sonntag, 22. Dezember 2013

"Geld oder Glauben!" - Limburg, ein problematisches, protestantisches, verwildertes Bistum?

Eigentlich mag man über das Thema „Bischof Franz Peter Tebartz-van Elst“ nichts mehr hören. Seit dem „Höhepunkt“ des Dramas und dem Beginn der „Auszeit“ des Bischofs im Kloster Metten hoffte man als Katholik eigentlich auf Ruhe und auf eine weise Entscheidung des Hl. Vaters in Rom (nach der Auswertung aller Akten und Unterlagen durch die Kommission der deutschen Bischöfe). 
Doch irgendwie fühlen sich immer wieder einzelne oder Interessengruppen bemüßigt hier „nachzulegen“ und das Feuer rund um Bischof Franz-Peter am Kokeln zu halten. Dabei gönnt man ihm nach dem medialen Trommelfeuer die Atmosphäre und Ruhe des Klosters von ganzem Herzen. 
Doch nun, kurz vor dem „Fest der Liebe“, kurz vor Weihnachten erscheinen in zwei betont kirchen- und Romtreuen Publikationen zwei bemerkenswerte Texte. In der ZEIT äußerte sich zudem noch der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck, der nach dem Verständnis des (seines) Bischofsamtes „nach Limburg“ gefragt wurde. Zweifellos kennt Overbeck aus der gemeinsamen Münsteraner Zeit seinen Limburger Mitbischof besser als jeder andere. Daher wurde die folgende Frage und ihre Antwort auch gern interpretiert: Christ & Welt: „Könnten Sie sich vorstellen, dass Franz-Peter Tebartz-van Elst nach Limburg zurückkehrt?“ Overbeck: „Es gibt Leute, die es hoffen, und solche, die es nicht hoffen.“ Vergessen habe ich natürlich auch den Einsatz der Erzbischöfe Müller und Gänswein aus dem Vatikan für ihren Limburger Mitbruder nicht. Ich gehe zum Abschluß dieses Beitrags darauf ein. 

Aber zurück zu den beiden Texten, um die es mir heute geht. Es ist einmal ein Interview mit dem bisher allseits anerkannten Limburger Generalvikar Wolfgang Rösch, das von zahlreichen anderen Medien begierig aufgenommen (und teils zugespitzt) wurde. (Man sollte unbedingt das gesamte Interview lesen: http://www.die-tagespost.de/Wie-in-der-klassischen-Tragoedie;art456,148395)
Regina Einig fragt ihn: „Ein Kenner des Bistums – Kardinal Lajolo – verortet die Ursache für den Konflikt tiefer. Nach seinem brüderlichen Besuch erklärte er, er habe in seinen Gesprächen feststellen können, dass „die Spannungen latent schon über Jahrzehnte existieren und jetzt eben offen zutage treten“. Ist Bischof Tebartz-van Elst eine Projektionsfläche für Spannungen, die das Bistum seit Jahren in sich trägt?“ 
Wolfgang Rösch antwortet sehr entschieden: „Eindeutig nein. Denn dann ginge es in Wirklichkeit um ein renitentes Bistum. Dieses Deutungsmodell ist mir zu einfach. Das Bistum Limburg ist genauso katholisch wie andere und hat eigentlich immer eine gute Kultur gehabt. Den Prozess, der in den Konflikt hineininterpretiert worden ist – ein Bistum, das sich sehr stark von Rom losmacht – gibt es nicht. Wir haben viele Priester und pastorale Mitarbeiter, die in Rom studiert haben, unter ihnen etwa der Weihbischof und ich.“ 
Frau Einig hakt nach: „Nicht einmal das Domkapitel hat damals widersprochen. Wenn Kardinal Lajolo nur etwas in den Konflikt „hineininterpretiert“ hat – warum wird seine Einschätzung von vielen Gläubigen im Bistum Limburg nachvollzogen? Die Affäre Bafile, der Konflikt um den Ausstieg des Bistums aus der gesetzlichen Schwangerenkonfliktberatung sind Fakten. Vor allem der synodale Weg hat eine Mentalität geprägt, in der „Limburger Wege“ in der Praxis nicht unbedingt etwas mit dem Kirchenrecht zu tun haben brauchen.“ 
Der Generalvikar antwortet: „In den siebziger Jahren gab es bei uns vielleicht wirklich Demontagevorstellungen, als wir diesen Weg als erste Diözese ausexperimentierten. Dann haben wir die ersten Laien in die kooperative Pastoral einbezogen. Das war anfangs eine Klerikalisierung von Laien. Man hat ihnen auch Unrecht getan. Wir führen aber mittlerweile andere Diskussionen. In den neuen Pfarreien gibt es Pastoralteams, in denen die Pfarrer eine ganz andere Leitungsfunktion haben als vor zehn Jahren. Die Suchbewegungen der 70er und 80er Jahre haben wir hinter uns. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass uns die Beratungsgeschichte unter Bischof Franz Kamphaus jetzt noch einmal unterschwellig einholen würde. Als Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst aus einer anderen Kultur hierherkam, fing es gar nicht schlecht an. Am Anfang gab es eine Öffnung der Diözese auf ihn hin. Wir stehen stärker in einer gesunden Ekklesiologie. Ich merke das heute bei der neuen Generation von pastoralen Mitarbeitern und ihrem stärkeren sakramentalen Kirchenverständnis.“
Der Generalvikar bemüht sich sehr um Versöhnung in seinem tief gespaltenen und verletzten Bistum. Er verteidigt den Bischof gegen ungerechtfertigte Kritik, versucht aber auch die Kritiker ernst zu nehmen. Man sollte dabei auch im Blick haben, dass Wolfgang Rösch von Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst selbst als Generalvikar ausgewählt wurde. 

Gleichzeitig nimmt sich auch das VATICAN-Magazin erneut des Themas an. Monika Metternich hat sich dazu in die Altstadt von Limburg begeben und auf Straßen und in Kneipen die Leute befragt. Das idyllische Städtchen an der Lahn kommt dabei nicht gut weg. „Klaustrophobisch“ seien die Gassen, nur der Domberg mit Georgsdom und bischöflichem Haus gebe Platz zum Atmen. Der allgemein gut situierte (wohlhabende) Limburger wollte halt wieder einen Bischof zum Anfassen, einen Kumpel wie Kamphaus, nicht so einen, wie den Bauernsohn vom Niederrhein. Die ganzen kirchenpolitschen Hintergründe seinen dem normalen Limburger eigentlich egal. Man wolle einen Bischof als eine Art Pastor von nebenan. 
Bei der Lektüre dieses Artikels fragte ich mich, ob es zielführend ist, die Kulisse des Dramas möglichst dunkel zu zeichnen, damit der „Held“ oder gar der tragische Held möglichst helle leuchtet bzw. die Story noch zusätzlich dramatisiert wird. Ich war mehrfach in Limburg, das ich als wunderschönes Städtchen erlebt habe. Fahren Sie doch mal selbst hin!
Der eigentliche Artikel in dem aktuellen Heft (wurde inzwischen - nach der Veröffentlichung des Prüfberichtes der DBK Ende März 2014 aus dem Netz entfernt). „LIMBURG. Psychogramm eines Problembistums, Zwischen der Burg Eltz und dem Georgsdom.“ 

Interessanterweise nimmt der Autor den recht originellen Aspekt auf, dass die Burg Eltz (als Stammsitz der Familie des Frankfurter Stadtdekans Johannes Eltz) den 500 – Mark – Schein zierte und der Limburger Georgsdom den 1.000 – Mark – Schein. Das ist aber auch schon der einzige Aspekt, der in dem Artikel aufmerken lässt. Ansonsten zeichnet der Autor ein erstaunliches Zerrbild der Pastoral in der Limburger Diözese, das der verzerrten Darstellung des Limburger Bischofs in manchen Presseartikeln der letzten Monate in nichts nachsteht. 
Zunächst aber beschäftigt er sich anhand der beiden inzwischen wertlosen Geldscheine mit den beiden Kirchenmännern, die der Limburger „Provinzposse“ ein Gesicht geben, nämlich Franz-Peter Tebartz-van Elst und Johannes Graf von und zu Eltz. Zwischen diesen lägen „mindestens Lichtjahre“. Das Stichwort nimmt er so ernst, dass er zunächst den Bischof über den grünen Klee lobt und vom Domkapitular offensichtlich weniger als „Wikipedia“ - Kenntnis hat. Letztlich aber muss der Domkapitular dann doch dafür herhalten, dem Artikel die „entscheidende Wende“ zu geben, denn in einem internen Brief des Frankfurter Stadtdekans schreibt dieser, dass es in der Auseinandersetzung auch um einen „Kampf um den Kurs der Kirche in Deutschland“ gehe, „in dem unserem Bischof eine wichtige Rolle zugedacht war“.
Diese Bemerkung schrieb der Limburger Domkapitular allerdings nieder, als sich schon zeigte, dass es interessierte Kreise gibt, die die Auseinandersetzungen in der hessischen Kleinstadt zu einem Kirchenkampf unter „Deutschkatholiken“ aufladen wollten.

Zunächst schildert der Text die jahrzehntelangen Pontifikate der Bischöfe Kempf und Kamphaus aus der sehr verengten Perspektive der „Affaire Bafile“, wo es um die synodalen Strukturen und die Beteiligung von Laien und Klerus an der Leitungs des Bistums ging und dann der „Streit“ um den Ausstieg aus der Schwangerschaftskonfliktberatung. Angesichts der Tatsache, dass er damit einen Zeitraum von 1949 bis 2007, also beinahe 60 Jahre beschreibt, erscheint diese Argumentation etwas dünn. „Das Bistum Limburg wirkte irgendwann wie das gallische Dorf in den Asterix-Heften. Als mit Tebartz-van Elst ein Statthalter Roms zum Häuptling gemacht wurde, begannen die unbeugsamen Bewohner schnell, dem Eindringling Widerstand zu leisten. Aus vatikanischer Perspektive erscheint Limburg als problematisches, protestantisches, um nicht zu sagen: verwildertes Bistum. Vieles, was sich hier eingeschliffen hat, jagt Verteidigern der reinen römischkatholischen Lehre einen kalten Schauder über den Rücken.“ 

Von dieser Stelle an fragt man sich, ob der Artikel direkt von der Homepage der Piusbruderschaft (die manchmal genüsslich (und oft zu Recht) liturgische Fehlentwicklungen aufspießt) entnommen wurde, denn anhand von – nicht im Einzelnen belegten – Fehlentwicklungen zeichnet der Autor ein Bild des pastoralen Lebens im Bistum, dass selbst einem eher liberalen Kirchentreuen einen „kalten Schauer“ über den Rücken jagen müsste. Ich habe zunächst einmal nachgesehen, ob der Artikel als Polemik oder als Glosse zu lesen ist, aber nein, es ist völlig ernst gemeint, wenn es heißt: Tebartz-van Elst „sah sich offenbar vor die Aufgabe gestellt, wieder eine klare Struktur in den verwilderten Garten zu bringen“ ... doch „mit Belehrungen und Entscheidungen „von oben herab“ können die Limburger ganz und gar nicht umgehen.“
„Diese Schwäche“ habe „maßgeblich mit dem „Synodalen Weg“ zu tun, der das hierarchische Gefälle zwischen Klerikern und Laien nach knapp zweitausend Jahren Kirchengeschichte einebnete.“ In Limburg "schlurfen die Priester offensichtlich „in Jeans und Schlabberpulli herum“ und „fahren Motorrad“. „Neben dem Pfarrer steht heute vielerorts eine Pastoralreferentin am Altar, die im weißen Gewand mit bunter Stola sehr priesterlich wirkt und obendrein die Predigt hält. Wie Marianne und Michael durch eine Volksmusik-Show führen die beiden gemeinsam durch die Liturgie.“ In Limburg feiere man „eine Kartoffelmesse, in der nicht Brot und Wein, sondern zur Abwechslung mal die Kartoffel im Mittelpunkt stand...“ Dem folgen noch eine ganze Reihe liturgischer Fehlleistungen mit dem Fazit: „Eine von A bis Z ordnungsgemäß gefeierte Messe ist in Limburg eine Rarität.“ Und letztlich: „Christi Blut wird im Bistum Limburg voraussichtlich bis zum jüngsten Tag „für euch und für alle“ vergossen werden.“ Am Ende habe sich der „Limburger Reformeifer“ in „fragwürdigen Kirchenbauten niedergeschlagen“, in denen „die Gläubigen an halb gedeckten Tischen die Heilige Messe“ feierten und „dann werden Leberkäs’ und Kartoffelsalat aufgetragen.“ Der graue Beton dieser „Bauten aus den 1960 und 70er Jahren“ ersticke „jeden Anflug von Feierlichkeit im Keim.“

Weiter klingt es als sei unter den Bischöfen Kempf und Kamphaus eine Art Bildersturm von Zwinglis Gnaden durch das Bistum gefahren. Beichtstühle und Kniebänke seien abgeschafft worden, der Bischof (Kamphaus) sogar auf dem „offiziellen Bischofsportrait“ im Zivil zu sehen, mit einer „Baskenmütze à la Che Guevara auf dem Kopf“. Ich finde im Netz Kamphaus entweder im bischöflichen Ornat oder mit Priesterkragen. Eine „Baskenmütze“ wird hierzulande von so vielen älteren Priestern getragen, dass sie sich beinahe schon als Erkennungszeichen eines Priesters eignet. "Googeln" Sie doch mal selbst!
Am Ende kommt der Autor zu der Überzeugung, dass der Schaden nach den Auseinandersetzungen wohl irreparabel sei. Das „Etikett „Protzbischof“ würde Tebartz-van Elst wahrscheinlich "auch dann noch aufgeklebt, wenn er für den Rest seiner Tage barfuß und im Büßergewand herumliefe.“ Und auch Domkapitular zu Eltz sei wohl „am Ende der Karriereleiter angelangt“. 
Am Anfang des Artikel wollte ich – für einige Zeilen – dem Autor noch zustimmen. Am Ende seines Textes gibt er mir doch noch einmal die Möglichkeit in Ruhe Luft zu holen, wenn er über Versöhnung schreibt und Paulus zitiert: „Ertragt euch gegenseitig und vergebt einander, wenn einer dem anderen etwas vorzuwerfen hat“ und „Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!“ Wie gut, wenn das Gotteswort unserem Menschenwort dann doch wieder etwas „frische Luft“ einhaucht. 

Es erstaunt, dass im Vatikan - Magazin so in Bausch und Bogen die Priester und Kirchenverantwortlichen eines Bistums schlecht geschrieben werden. Man sollte eigentlich voraussetzen, dass man aus eigener Praxis zumindest bei den Recherchen gut gefeierte Liturgie erlebt hat... Ich will nicht bestreiten, dass es auch die andere Seite gibt, halt "liturgischer Schwachsinn", aus dem Gefühl heraus, auf gewisse/gefühlte Wünsche der Gläubigen eingehen zu müssen. 
Ich kann nur von wenigen eigenen Erfahrungen mit Gottesdiensten im Bistum Limburg berichten. Aber im Limburger Dom und in der Abtei Marienstatt habe ich eine sehr schöne würdige Liturgie erlebt. Bischof Kamphaus habe ich einige Male bei Katholikentagen als Zelebranten erlebt. Und von den Gottesdiensten in der Frankfurter Gemeinde in der Verantwortung des Domkapitulars Johannes zu Eltz ist von solchen liturgischen Fehlentwicklungen ebenfalls nichts zu hören, im Gegenteil. Daher fällt es mir schwer, einem solchen Zerrbild Glauben zu schenken. Und noch schwerer fällt es mir, in Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst eine Art Don Quichote zu sehen, der gegen die Windmühlenflügel des Liberalismus im Bistum kämpfte. 

Ich finde es ärgerlich, oder sogar schon perfide, wie in dem durchsichtigen Anliegen, den amtierenden Limburger Bischof zu entlasten, das Lebenswerk seiner Vorgänger in den Schmutz gezogen wird. Auch des noch lebenden Vorgängers übrigens, der bis heute treu seinen seelsorglichen Dienst im Bistum Limburg tut und der seinem Nachfolger, den er bisher mit keiner Silbe kritisiert hat, Loyalität entgegen bringt. Die Auseinandersetzung um den richtigen Weg, eine Frau von der Absicht abzubringen, das Leben des in ihr heranwachsenden Kindes zu beenden kann auch nicht als Indiz für eine pauschal romkritische Haltung des Limburger Bischofs missbraucht werden. Im Ziel, dem unbedingten Schutz des menschlichen Lebens im Mutterleib zu sichern, waren sich alle Beteiligten damals einig. Der Streit ging um die Frage, ob die Mitwirkung im staatlichen Beratungssystem in der Öffentlichkeit letztlich falsch verstanden werden könnte. Hier hatte der bodenständige Bauernsohn aus Westfalen die feste Überzeugung, dass das Leben der Kinder besser geschützt werden kann, wenn die Kirche ihre Stimme im Beratungssystem des Staates erheben kann. Wer will ihm das vorwerfen?

Ich halte es daher eher mit dem Limburger Generalvikar Wolfgang Rösch und bin froh, dass er in Rom sicher mehr Gehör findet als manche andere Stimme. Und ich bin sicher, dass das dem Menschen Franz-Peter Tebartz-van Elst und seinem zukünftigen Engagement mehr nutzt, als alle kirchenpolitische Verzweckung der Causa. Ich hielte es für fatal, würde man nun – im sicher ehrenwerten Bestreben dem Limburger Bischof „Gerechtigkeit erfahren zu lassen“ - die Fähigkeit der Gläubigen und Verantwortungsträger im Bistum zu Versöhnung und Vergebung - durch die Rückkehr des Bischofs quasi testen und erzwingen wollen. Es gibt im menschlichen Leben die Erfahrung, dass tiefe Wunden geschlagen wurden, die auch nach einem Neuanfang bluten und schmerzen und das Miteinander über Jahrzehnte schwer beeinträchtigen. Ich würde es auch Bischof Franz-Peter gönnen, dass man ihm einen echten Neuanfang ermöglicht. 

Zwei bedeutsame Stimmen aus dem Vatikan habe ich am Anfang des Artikels nicht zu Wort kommen lassen. Mancher Leser wird das schon vermißt haben. Ich hole es an dieser Stelle gerne nach, zumal ich die beiden Erzbischöfe Gerhard Ludwig Müller und Georg Gänswein ausgesprochen schätze. Der Glaubenspräfekt stellt sich – wiederholt – eindeutig hinter den Limburger Bischof und erklärt im FOCUS: „Wenn ihm in Bezug auf seine Pflichten als Bischof nichts vorzuwerfen sei, müsse „die Gerechtigkeit und nicht das Kalkül Vorfahrt“ bekommen. Es ist ja in der Tat so, dass dem Bischof in Bezug auf seine bischöflichen Pflichten nichts vorzuwerfen ist, im Gegenteil. Was immer man an Geistlichem von ihm zu lesen oder zu hören bekam war saubere Theologie. Im Bistum hat er geistlich anregende Prozesse angestoßen und mit persönlichem Einsatz begleitet. Seine Fehler lagen auf einer Ebene, die weniger mit den originären bischöflichen Pflichten zu tun hat. Und natürlich hat der Erzbischof absolut recht, wenn er sagt. „Kein Gremium könne sich anmaßen und sagen "der hängt von unserem Vertrauen ab, oder wir wollen ihn nicht mehr haben".“ 
In der Monatsschrift Cicero äußerte Erzbischof Georg Gänswein, dass die „Deutsche Bischofskonferenz kein Recht habe, den Rücktritt des umstrittenen Limburger Bischofs zu fordern. Die Bischofskonferenz habe keine Jurisdiktion über einen Diözesanbischof.“ Völlig richtig! Allerdings war mir bis dato auch noch nicht zu Ohren gekommen, dass ein deutscher Bischof einen Rücktritt gefordert habe. Was Georg Gänswein dazu bringt, sich auch in anderen Formulierungen ohne klaren Grund mit den deutschen Bischöfen über Kreuz zu legen, erschließt sich mir nicht. Sehr bedauerlich – auch in der Außendarstellung. 
Ich kann nur eine Motivation vermuten, er möchte wirklich gern in Rom bleiben und vermeiden, dass ein deutsches Domkapitel ihn auf einen vakakanten oder demnächst vakanten Bischofssitz in Freiburg oder Köln, Hamburg oder Passau – oder gar Limburg wählt. Cicero fasst die Meinung des Präfekten des päpstlichen Hauses so zusammen: „In Limburg „geht es, tiefer gesehen, um Glaubens- und Richtungsfragen. Führt Bischof Tebartz-van Elst seine Diözese als katholischer Bischof – oder will das Bistum einen Sonderweg beschreiten?“ Das „laute Geheul um die Ausgaben“ sei „nicht der wahre Grund für den Streit“. Es gebe in Limburg „Strömungen, die andere Ziele haben als eine Klärung finanzieller Verantwortlichkeiten“.“ Leider ist Cicero an hiesigen Kiosken nicht verfügbar, der genaue Kontext wäre sicher hilfreich. 

Aber da ist sie wieder, die Thematik, die zunehmend zur „Kulisse“ des Limburger Streits um Führungsstil, Baukosten und unwahrhaftige Aussagen eines Bischofs ausgebaut wird. 
Natürlich haben alle Verfechter dieser Position nicht unrecht. Es geht in Deutschland (und in anderen Ländern) auch um den „Kurs der Kirche“. Allerdings kann (und sollte) dieser Streit nicht stellvertretend anhand der Ereignisse auf dem Limburger Domberg ausgetragen werden. Dieser Streit, diese Auseinandersetzung sollte in einer brüderlichen und versöhnlichen Weise im Rahmen eines sinnvollen Dialogprozesses, im Rahmen der Diskussionen in der Bischofskonferenz geführt werden. Es sollte uns Katholiken doch gelingen einen gemeinsamen Weg zu finden, mit dem wir dem Aufruf Jesu „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast.“ so nahe als möglich kommen. Nur so können wir der großen Aufgabe der neuen Evangelisierung gerecht werden, die der Hl. Vater Franziskus in seinem Schreiben Evangelii gaudium so anregend und überzeugend skizziert.

Dienstag, 10. Dezember 2013

Nachdenken über Wörter: "Liturgischer Missbrauch"

Es ist inzwischen ein allgemein verwendetes Schlagwort geworden, die Rede vom „liturgischen Missbrauch“. Wir verdanken dieses Wort vermutlich der Instruktion der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung: „Redemptionis sacramentum - über einige Dinge bezüglich der heiligsten Eucharistie, die einzuhalten und zu vermeiden sind“.

Mir persönlich gefällt dieses Wort nicht, und mir gefällt nicht, wie undifferenziert es in vielen Diskussionen verwendet wird. Zumal das Stichwort „Missbrauch“ inzwischen ja auch anders akzentuiert ist durch die Diskussion über sexuellen Missbrauch in Kirche und Gesellschaft. Das lädt die Begriffskombination „liturgischen Missbrauch“ noch einmal mit unheilvoller Bedeutung auf. Allein diese Bedeutungsübersprünge sollten uns nachdenklich machen, ob wir den Begriff weiter so inflationär verwenden sollten. 

In der genannten Instruktion aus dem Jahre 2004 kommt das Wort Missbrauch in der Tat mehrfach vor. Genau 18 mal habe ich es gefunden, allerdings nur einmal in der Kombination „liturgischer Missbrauch“. In Nr. 169 wird definiert, um was es eigentlich geht: „Wo in der Feier der heiligen Liturgie ein Missbrauch begangen wird, handelt es sich um eine wirkliche Verfälschung der katholischen Liturgie. Schon der heilige Thomas hat geschrieben: «In das Laster der Falschheit fällt, wer seitens der Kirche Gott Verehrung erweist entgegen der von der Kirche kraft göttlicher Autorität festgesetzten und in der Kirche üblichen Art»“. Der lateinische Begriff „abusus“ kommt im originalen Text übrigens 26 mal vor. 

Aufgabe des Ortsbischofs sei es, Mißbräuche (oder gar Straftaten) in der Liturgie zu verhindern, wobei er sich eines geeigneten anderen Klerikers bedienen kann. Abschnitt 184 war in der Diskussion um die Instruktion besonders umstritten: „Jeder Katholik, ob Priester, Diakon oder christgläubiger Laie, hat das Recht, über einen liturgischen Missbrauch (abusu liturgico) beim Diözesanbischof oder beim zuständigen Ordinarius, der ihm rechtlich gleichgestellt ist, oder beim Apostolischen Stuhl aufgrund des Primats des Papstes Klage einzureichen. Es ist aber angemessen, daß die Beschwerde oder Klage nach Möglichkeit zuerst dem Diözesanbischof vorgelegt wird. Dies soll immer im Geist der Wahrheit und der Liebe geschehen.“ Nur hier kommt auch das entsprechende Wortpaar vor. 

Konkret werden als Missbräuche benannt: Hostien mit anderen Substanzen zu backen als hierfür vorgesehen; einem Laien oder Diakon Teile des eucharistischen Hochgebetes sprechen zu lassen; das Brechen der Hostie bei der Wandlung; den Ritus der Brotbrechung über Gebühr auszudehnen und zu betonen; Texte und Riten anderer Religionen einzufügen; die Laien bei der Kommunion das Brot selbst nehmen zu lassen und die Eheleute sich gegenseitig die Kommunion spenden zu lassen; die Eucharistiefeier unter dem Vorwand „eucharistischen Fastens“ ausfallen zu lassen und letztlich die Eucharistie nicht in der vorgesehenen liturgischen Kleidung zu zelebrieren. Leicht ließe sich der Begriff des „Missbrauchs“ natürlich auch auf weitere Vorschriften der Instruktion ausdehnen, aber nur hier wird er explizit gebraucht. 

Auch der selige Papst Johannes Paul II. verwendet den Begriff „Missbrauch“ im Zusammenhang mit der Liturgie in seiner Enzyklika „Ecclesia de eucharistia“. Dem Papst stehen hier wohl gravierende Dinge vor Augen, die die gesamte Feier ihrer Vielschichtigkeit zu Gunsten eines schlichten Gemeinschaftsmahles berauben. Ich zitiere hier den Abschnitt 52, einer von zwei Stellen, wo er den Begriff benutzt: „Aus dem Gesagten wird die große Verantwortung vor allem der Priester verständlich, denen es zukommt, der Eucharistiefeier in persona Christi vorzustehen. Sie sichern ein Zeugnis und einen Gemeinschaftsdienst nicht nur für die unmittelbar an der Feier teilnehmende Gemeinde, sondern auch für die Gesamtkirche, die mit der Eucharistie immer in Beziehung steht. Leider ist zu beklagen, daß es - vor allem seit den Jahren der nachkonziliaren Liturgiereform - infolge einer falsch verstandenen Auffassung von Kreativität und Anpassung nicht an Mißbräuchen gefehlt hat, die Leiden für viele verursacht haben. Insbesondere in einigen Gebieten hat eine gewisse Gegenbewegung zum »Formalismus« manche dazu verleitet, die von der großen liturgischen Tradition der Kirche und von ihrem Lehramt gewählten »Formen« für nicht verbindlich zu erachten und nicht autorisierte und oft völlig unpassende Neuerungen einzuführen.“

Der lateinische Begriff abusus bringt mich wieder darauf, dass das Wort „Missbrauch“ eigentlich nicht mehr und nicht weniger als „fehlerhafter, falscher Gebrauch“ bedeutet. Abweichung von der Norm, vom „Normalen“. In meinen Ohren klingt aber sogleich „schwer strafwürdig“ mit und „da verschafft sich einer durch Mißbrauch einen persönlichen Vorteil auf Kosten eines anderen.“ In der Medizin wird mit Blick auf „Drogenmißbrauch“ von unterschiedlichen Klassen von Miss-/Gebrauch gesprochen, nämlich (verkürzt) von unerlaubtem, gefährlichem, dysfunktionalem und schädlichem Gebrauch. Dabei wird letztlich das wenig differenzierende „Miss-“ durch differenzierendere Begriffe ersetzt. 

Worauf will ich hinaus? Ich möchte eine andere Sprache im Umgang mit – sagen wir es neutraler – unterschiedlichen liturgischen Auffassungen. Jede Abweichung in der Liturgie als „Missbrauch“ zu stempeln – wird der Sache und auch den Motivationen der Liturgen nicht gerecht.

Es macht auch die angemessene Auseinandersetzung schwer. Dabei geht es mir in keiner Weise darum, die bunte liturgische Blumenwiese zu eröffnen. Es geht mir um mehr Differenzierung und um mehr Miteinander. Vielleicht ausgehend vom dem Wort aus der zitierten Instruktion, alles möge im Geist der Wahrheit und der Liebe geschehen, was ich für eine überaus kluge Formulierung halte. 

Sebastian Berndt hat in einem Blogbeitrag: http://metal-und-christentum.de/liturgie-der-buchhalter/ über seinen Ärger über „liturgische Missbräuche“ geschrieben, dass ihn störe, dass „alle diese Formen der tätigen Teilnahme ... durch unübliche Abläufe oder Texte unterbrochen“ würden. „Völlig offensichtlich ist dies beim Mitbeten, das durch Umformulierungen und Ergänzungen schlicht unterbrochen wird. Doch auch das Meditieren wird gestört, denn das setzt innere und äußere Ruhe voraus, und die wird schlicht zerstört, wenn man nicht mehr so genau weiß, wo der Zelebrant jetzt eigentlich gerade ist. Statt mitzuvollziehen und geistlich betrachten muß ich nun plötzlich aufpassen und zuhören, was der Zelebrant da für tolle Eingebungen hatte...“ 

Natürlich hat er da (auch) recht. Aber „participatio actuosa“ ist schon noch mehr als sanftes Mitdämmern in der Liturgie. Da gibt es auch einige durchaus erlaubte Texte und Aktivitäten, die eine solche Art der Mitfeier „unterbrechen“ und das kann auch schon mal hilfreich sein und in die Tiefe führen. Ich habe einen Pastor, der schon mal einen nachdenklichen Halbsatz für mein Gefühl absolut stimmig in ein liturgisches Gebet einfügt und der damit eine neue Tiefe bei mir stimuliert. So eine Art „freudiges liturgisches Erwachen“. Streng genommen ist das (ab und an) ein liturgischer Missbrauch. Ich denke an einen anderen Priester, der den Embolismus so betete: „Bewahre uns vor Verwirrung, Terror, Krieg und Sünde...“ Ein Satz, der wohl aus der eigenen Kriegserfahrung angereichert war, und der mich noch heute innerlich anrührt, weil ich in der Messe still den Einschub „Terror, Krieg...“ noch immer bete. Wobei mich der echte „Missbrauch“ weit mehr schmerzt, wenn ein Pfarrer den Embolismus mal wieder für verzichtbar hält und wohl glaubt, das Vater unser käme ohne diesen Einschub der „ipsissima vox christi“ näher. 

Aber vielleicht hilft ja dann doch, was Berndt weiter schreibt, wenn man es ähnlich wie den Abschnitt 169 der Instruktion als Definition betrachtet: „Liturgische Missbräuche zerstören den inneren Kern dessen, was Liturgie bedeutet.“ Möglicherweise gibt es dann aber auch den ein oder anderen Punkt, wo ein sogenannter „Liturgischer Missbrauch“ letztlich das genaue Gegenteil ist, nämlich eine Hinführung in die Tiefe und diesen inneren Kern. 

Na sicher kann man mir da widersprechen. Weil damit aus den „klaren Regeln“ für „liturgische Buchhalter“ wieder eine „liturgische Spielwiese“ zu werden scheint. Aber ich bin schon der  Meinung, dass die Liturgie feste Regeln braucht und auch einen regelmäßigen Ablauf. Wenn man experimentieren möchte, dann gibt es zunächst auch im liturgischen „Umfeld“ einer Eucharistiefeier genügend Möglichkeiten, die „participatio actuosa“ derer zu fördern, die bei diesem Begriff an eine besonders schöne Pflanze in Pfarrers Garten denken und mit Liturgie im Grunde weniger anzufangen wissen. Aber auch die Eucharistiefeier selbst, insbesondere im Rahmen von Kindergottesdiensten bietet ausreichend Möglichkeiten, auf die Fähigkeiten der Kinder zur tätigen Teilnahme an einem Gottesdienst angemessen einzugehen, ohne dass selbst der zufällig anwesende Präfekt der Glaubenskongregation oder auch Sebastian Berndt selbst am Ende einen dicken Ordner mit „Ermittlungsakten“ nach Rom tragen würden (oder wollten). Leider gibt es immer wieder Priester und Laien, die im Innersten der Liturgie herumfuhrwerken, ohne überhaupt liturgisch und theologisch ernsthaft begründen zu können, warum und weshalb. Nur nach Gefühl und allein „geleitet vom Hl. Geiste“ geht es wirklich oft schief. 

So sehr ich Berndts Gedanken (es ist leider nur einer – da wäre doch noch mehr drin!) in seinem Blogbeitrag folgen kann.... Bei einer Vorstellung darin bin ich skeptisch, nämlich wenn er schreibt, dass der liturgisch gebildete Laie die „Fehler“ bemerke, „weil er durch Nichtvorgesehenes aus seiner Andacht (auch so ein selten gewordenes Wort) gerissen wird“. Ich weiß nicht, ob „Andacht“ die angemessene Form der „participatio actuosa“ ist. Er hat es sicher nicht so gemeint, weil er ja später auch noch davon schreibt, dass seine „ganze Glaubenskraft geweckt“ werden soll, „so dass er sie in den Mitvollzug der Liturgie legen kann.“ Aber ich denke, wir sind gefordert, hellwach in der Liturgie zu sein, lebendig verbunden mit unserem Gott, durchaus auch milde ... wenn wir in unserer Andacht „gestört“ werden durch experimentierfreudige Priester oder unruhige Kinder, aber auch mutig, die Motive und Handlungen der Zelebranten zu hinterfragen. 

Für mich war es vor vielen Jahren ein schwerer Missbrauch, einen Priester zu erleben, der einen großen Teil des (1.) Hochgebets still betete und mir so die Möglichkeit des Mitvollzugs weitgehend nahm. Dabei präsentierte er sich in Habitus und liturgischer Gewandung (Baßgeige) als kirchentreu. Aber dann muss man auch den Mut haben, diesen Priester dann anzusprechen und einen Dialog zu beginnen. 

Authentisch und persönlich wird die von einem Priester (oder Bischof) gefeierte Liturgie weder durch liturgische Experimentierfreude noch durch sklavische Rubrikentreue. Authentisch und persönlich wird es, wenn man spürt, dass der Liturge hier feiert, was auch auch glaubt und lebt. Und es kann auch in der Liturgie „Fehler“ auf der offiziellen Seite geben, wenn man einmal die Diskussion um die Neuübersetzung des Messbuches beobachtet. „Die Ohren der göttlichen Barmherzigkeit“ führen mich immer irgendwohin, aber sicher nicht zu einer vertieften Meditation der Barmherzigkeit Gottes. 

Mir wäre es lieb, wenn wir das Wort vom „liturgischen Missbrauch“ sparsam verwenden würden. Wenn wir daraus zumindest kein Schwert im kirchenpolitischen Kampf machen würden, sondern für Differenzierung sorgen könnten. Vielleicht bräuchten wir ähnliche Kategorien wie in der Medizin. Ganz bestimmt gibt es liturgische Fehler, die schädlich sind, solche die ärgerlich sind, solche, die die Andacht stören... Aber es gibt auch liturgische Fehler, die uns wieder zum Eigentlichen führen könnte. Aber solche „Fehler“ entspringen nicht (oder nur selten) der spontanen Eingebung, sondern einem vertieften Nachdenken darüber, was Liturgie und Glaube eigentlich sind und wollen. Und in all den Jahrhunderten hat es schon auch immer wieder liturgische Neuerungen und Errungenschaften gegeben, die nur dann möglich sind, wenn unser Geist sich der Führung des göttlichen Geistes anvertraut. 

Dienstag, 19. November 2013

Das gute alte Gotteslob: Friedrich Spee und der kristallklare Leib

Eine charmante Bloggerin regte an, anlässlich der Herausgabe des „Neuen Gotteslob“ einmal über sein persönliches Lieblingslied im „Alten Gotteslob“ zu schreiben/bloggen. Im Bistum Berlin werden ja Prominente gebeten, ihr Lieblingslied im neuen Gotteslob zu beschreiben. Da unsereiner nun mal nicht prominent ist, ist es ja auch konsequent aus dieser Position zurück ins alte Gotteslob zu schauen und in Erinnerungen zu schwelgen.
Ich bin 1967 geboren und – ich glaube – 1976 zur Erstkommunion gegangen. Da war ein Geschenk schon mal klar, ein eigenes Gotteslob. Schließlich wollte man als neues Vollmitglied der Kirche nun auch richtig mitsingen können. An den Vorgänger des Gotteslobs, das Laudate erinnere ich mich nur wenig. Meine Oma hatte eines, schön, mit Goldschnitt. Sie hat es auch nach 1975 noch mit in die Kirche genommen. Heute habe ich es (geerbt) und es steht in meinem Schrank mit historischen und religiösen Büchern. 
Ich erinnere mich auch, dass es vor allem die unregelmäßigen Kirchgänger waren, die sich nicht ans Gotteslob gewöhnen wollten, sondern unbedingt bei Maiandachten und Schützenfestmessen möglichst die Lieder aus dem Laudate singen wollten, die man nicht ins Gotteslob retten wollte. „Hier liegt vor Deiner Majestät...“. Und das „Maria breit den Mantel aus...“ singt man bis heute nach der alten Melodie.  
So hat das gute alte Gotteslob mein Glaubensleben bis zum heutigen Tag begleitet. Ich erinnere mich noch gut daran, dass wir als Jugendliche froh waren, zusätzlich zu dem – vom Liedprogramm doch eher altbackenen Buch – dann in der Gemeinde auch den „Regenbogen“ aus Münsterschwarzach (ein Buch mit neuem geistlichen Lied) nutzen zu können. Es war im westfälischen Vreden jedesmal Schwerstarbeit zu einer Jugendmesse in der riesigen St. Georg – Kirche die Kisten mit etwa 600 Exemplaren dieser Liederbücher aus dem Turm in die Kirche zu schleppen und da zu verteilen. Aber wir haben das gern gemacht. Später habe ich auch das Gotteslob als mein Liederbuch schätzen gelernt und mich gefreut, dass sogar einige „Regenbogen“ - Lieder per Ergänzungsheft darin einzogen. Etwas niedlich fand ich die Sprachrevision per Aufkleber, um dem Gotteslob eine geschlechtergerechtere Sprache beizubringen und aus den vielen Brüdern ab und an Geschwister zu machen. 
In 35 Jahren ist viel passiert mit dem guten alten Gotteslob und um das Gotteslob herum in den Gemeinden noch viel mehr. In meiner Jugendzeit gab es bis zu zehn Jugendliturgiekreise in unserer Gemeinde, die sich intensiv mit der Gestaltung der Hl. Messe und anderer Andachtsformen beschäftigten. Es gab geradezu einen Wettbewerb und zahlreiche junge Menschen fanden sich in Kirchen und Kapellen ein. Busseweise fuhren wir nach Taizé und zu europäischen Jugendtreffen, alles ganz selbstverständlich gemeindeübergreifend organisiert. Der Treffpunkt für die ganze Stadt am Samstagabend war erst mal der Kirchplatz, direkt nach der Abendmesse. Heute sieht es in meiner Kirche ganz anders aus und heute kauft kaum noch eine Kommunionfamilie ihrem Kommunionkind ein eigenes Gotteslob. 
Aber heute soll es ja um das „Lieblingslied“ gehen. Bei mir ist das im Grunde ein Bild aus einem der  Lieder, das mich mit 15/16 Jahren im Innersten berührt hat. Beim Singen der Vers entstand in meinem Inneren eine bildliche Vorstellung, die mich seitdem noch immer anrührt und verzaubert und für etwas „Gänsehaut“ sorgt, wenn die Strophe gesungen wird. Vor meinem inneren Auge entstand ein leuchtender Christus, von Kreuz herabgestiegen, von innen her durchstrahlt von einem geheimnisvollen Licht. Seine Wunden leuchtend wie strahlend rote Rubine. 
Sie werden es längst erkannt haben, das Lied stammt aus der Feder von Friedrich Spee, es findet sich u.a. unter der Nr. 932 im Münsteraner Anhang zum Gotteslob. 

Ist das der Leib, Herr Jesus Christ, 
der tot im Grab gelegen ist? 
Kommt, kommt, ihr Christen, jung und alt, 
schaut die verklärte Leibsgestalt! Alleluja, alleluja!

Der Leib ist klar, klar wie Kristall, 
Rubinen gleich die Wunden all; 
Die Seel durchstrahlt ihn licht und rein, 
wie tausendfacher Sonnenschein. Alleluja, alleluja!

Bedeck, o Mensch, dein Augenlicht! 
Vor dieser Sonn besteht es nicht.
Kein Mensch auf dieser Erde kann, 
den Glanz der Gottheit schauen an. Alleluja, alleluja!

Auch von der Melodie her ein wunderbar, freudiges Auferstehungslied. Ein Muß in der Osternacht und in der Osterzeit. Der (vermutlich) originale Text des berühmten Jesuiten und Streiters gegen den Hexenwahn geht so (aus dem Mainzer Büchlein Himmlische Harmony von 1628, im Gotteslob ist es undatiert, die Melodie soll von 1623 stammen): 

Jst das der Leib Herr Jesu Christ/ 
Der todt im Grab gelegen ist/
Kom/ kom/ O kom/ kom Jung und alt/ 
Kom schaw die schone Leibsgestalt / Alleluia/ Alleluia.

Der Leib ist klar/ klar wie Christall/ 
Die Adern roth/ roth wie Corall/
Die Seel hierdurch glantzt hüpsch und fein/ 
Wie tausentmal der Sonnenschein/ All.

Der Leib hat die Unleidenheit/ 
Bleibt unverletzt in Ewigkeit/
Gleich wie die Sonn bleibt eben klar 
So vil und so vil tausent Jahr/ All.

O wie subtil! O Leib wie zart/
Du gehst durch Stahl und Eisen hart/
Gleich wie die Sonn das Glaß durchgeht/
Da nichts den Stralen widersteht/ All.

Schnell ist der Leib und ist geschwind/
Gleich wie ein Pfeil/ und gleich dem Wind/
Gleich wie die Sonn viel tausent Meil
Die Welt umlaufft in schneller eil/ All.

Nun deck/ nun deck die Augen zu/
Daß dir der Glanz nicht schaden thu/
Jm Leib die Gottheit schawen an/
Kein mensch/ kein Aug auff Erden kan. Alleluja

Interessant, wie Spee die Licht- und Sonnensymbolik mit der Auferstehung, ja sogar mit dem Auferstehungsleib, dem verklärten Leib verbindet. Interessant auch, wie sich das Lied mit der Zeit verändert hat, dass aus den Adern und Korallen später Wunden und Rubine werden, dass „Bilder“, die unserem aktuellen Weltbild nur schwer entsprechen, später doch lieber weggelassen werden. Welcher heutige Sänger mag sich zunächst damit anfreunden, daß Christi Auferstehungsleib „schnell wie ein Pfeil oder der Wind“ zu sein vermag oder sein „zarter Leib“ Eisen und Stahl zu durchdringen vermag. Man kann sich vorstellen, wie bei solchen Strophen der Gesang in der Kirche auf einmal schwächer und dünner wird. 
Aber andererseits? Warum eigentlich nicht, warum sollen Spee's Auferstehungsjubelbilder aus dem Gotteslob „glaubwürdiger“ sein als die aus dem alten Gesangbuch von 1623. Im Grunde wird doch eine Wirklichkeit beschrieben, die Worte allein nicht fassen können, eine wunderbare Wirklichkeit, da ist einer tod – und lebt wieder; jedermann sieht ihn in „verklärter Leibsgestalt“, ein Leib „klar wie Kristall“ „Wunden wie Rubine“ von der Seele durchstrahlt. Ein Licht von Gott, vor dem wir die Augen verschließen sollten, nicht weil es uns schadet, sondern weil es mehr ist, als wir zu verstehen, zu be-greifen instande wären.
Und gerade hier wären ja die „fehlenden Verse“ vielleicht hilfreich, beschreiben sie doch teils paradoxe Dinge – die aber dennoch geschehen. 
Zumal zu den Liedern auch eine Melodie gehört, die manche sperrigen Texte zu durchdringen und lebendig zu machen vermag. Man spürt den inneren Sinnzusammenhang und die innere Wahrheit einer Strophe ja oft erst beim Singen. 
So liegt die Wahrheit des Liedes, die Wahrheit der Auferstehung tiefer als die Bilder mit der wir sie beschreiben. Wer fragt, ob der Leib eines Menschen durch Eisen und Stahl gehen kann, wer fragt, ob Licht durch den Körper strahlen kann, wer fragt, ob ein Toter schneller als der Wind sein kann... Wer vor allem so fragt, der tut sich auch schwer mit der Wirklichkeit und Wahrheit von Auferstehung. Für den ist es auch undenkbar, dass ein Auferstandener plötzlich trotz verschlossener Türen inmitten seiner Freunde und Jünger erscheint. 
Auferstehung ist in Spees Sinne etwas, was diese Welt überschreitet, weitet in eine neue Wirklichkeit hinein, die Wirklichkeit eines Gottes, der diese Welt geschaffen hat der aber doch weit größer und weit mächtiger ist als diese seine Schöpfung.
Ich denke, es ist sicher nicht ganz falsch, in Friedrich Spees Liedern eine spezifisch katholische Reaktion auf die neu aufgekommenen protestantischen Kirchenlieder zu sehen (von denen viele inzwischen treu und brav neben echten „katholischen Schlagern“ im Gotteslob stehen. Im Grunde ist die reiche deutschsprachige Musikkultur der Kirche heute ohne die Reformation nicht denkbar.) Spees sehr poetische, bildmächtige und symbolträchtige Liedkunst ist eine große Bereicherung unseres Liedgutes, kein anderer Dichter ist mit mehr Liedern im (alten) Gotteslob vertreten als er. 
Es ist sehr bedauerlich, dass dieser große Kirchenmann bis zum heutigen Tage nicht einmal selig gesprochen wurde. Wegen seines Einsatzes gegen den Hexenwahn ist er vielen ein Vorbild, er war ein Lichtblick in einer dunklen Zeit der Kirchengeschichte. Sein Seligsprechungsprozess ruht und wird offensichtlich weder von seinem Orden noch von einem Bistum betrieben. 

Nun kommt in mir doch die Frage auf, welches Schicksal meinem Lieblingslied im neuen Gotteslob blüht. Mal nachsehen...
Was für eine Überraschung. Es ist aus dem diözesanen Teil sogar in den Stammteil gerutscht – Nr. 331 – und noch überraschender - es hat statt drei nun sogar sechs Strophen. Die Melodie ist von Köln nach Würzburg umgezogen, der Text auf die Jahre 1623/1938 datiert. Neu sind für mich die zwischen 2. und 3. Strophe eingeschobenen drei Strophen: 

Der Leib empfindet nimmer Leid, 
bleibt unverletzt in Ewigkeit, 
gleich-wie so viele tausend Jahr 
die Sonne leuchtet eben klar. Halleluja... 

O Leib, wie zart, o Leib, wie fein, 
dringst durch verschlossne Türen ein, 
wie durch das Glas die Sonne geht, 
da nichts den Strahlen widersteht. Halleluja... 

Schnell ist der Leib, schnell und geschwind, 
gleichwie ein Pfeil, gleichwie der Wind, 
gleichwie die Welt viel tausend Meil 
die Sonn umläuft in schneller Eil. Halleluja...

Während Friedrich Spee in seiner kriegerischen Umwelt vielleicht stärker an den Stahl und das Eisen der Schwerter und Kanonen gedacht hat, knüpft die moderne Version an die Berichte der Evangelien an. Die Erde kreist im neuen Gotteslob um die Sonne, während Spee selbst geschickt die Problematik umgeht, wer hier eigentlich um wen kreist.

Das fromme Bild meiner Jugend darf also auch weiter lebendig sein und ich freue mich auf die neuen Strophen, die wir demnächst zusammen singen. 

Der Leib ist klar, klar wie Kristall, 
Rubinen gleich die Wunden all; 
Die Seel durchstrahlt ihn licht und rein, 
wie tausendfacher Sonnenschein. Alleluja, alleluja!

Vielleicht ja schon in der Osternacht vom 19. auf den 20. April 2014. 
Der Herr ist auferstanden! Ja, er ist wahrhaft auferstanden! Alleluja, Alleluja!

Freitag, 8. November 2013

St. Martin zieht die Zügel an, sein Roß steht still beim LINKEN Mann...

Schon lange ist in Deutschland nicht mehr so engagiert über einen Vorschlag der Linkspartei gestritten worden, wie über die Idee des NRW-Vorsitzenden Rüdiger Sagel, den Martinszug ohne St. Martin als „Sonne, Mond- und Sternefest“ zu feiern. Natürlich nicht, weil man was gegen christliche Feste oder gar Heilige der Nächstenliebe habe (schließlich, so behauptet die Partei in einer nachgeschobenen Erklärung:  „Die Botschaft des katholischen Heiligen Martin, den Mantel zu teilen und den Armen zu helfen, ist auch ein zentraler Bestandteil unserer Politik. Kinder sollen auch weiterhin mit ihren Laternen bei den Martins-Umzügen ihre Freude haben.“).

Eigentlich käme die Geschichte des Hl. Martin der LINKEN doch sehr entgegen. Schließlich war Martin ein Migrant, ein Fremder, da wo er mit einem einheimischen Bettler seinen Mantel teilte. Martin war später Kriegsdienstverweigerer und Antimilitarist und zum Zeitpunkt der Mantelteilung sogar noch nicht getauft, also in gewissem Sinne noch „Heide“ (auch wenn er im Herzen schon von der Botschaft Jesu berührt war). 

Es mag unfair sein, aber bei einem „Sonne-, Mond- und Sternefest“ denke ich zuerst an die Schulchronik der Lohberger Marienschule; 1916 als katholische Schule für Bergarbeiterkinder gegründet. Seit ihrem Beginn war diese Chronik geprägt von christlichen Festen, doch 1933 schlichen sich mehr und mehr neue, weltliche Feste ein, wie z.B. Sonnenwendfeiern, bis schließlich der christliche Festkalender arg gerupft erschien. Das Martinsfest blieb, fiel nur ein oder zweimal wegen Bombengefahr aus. Allerdings führte man 1933 plötzlich „Hakenkreuzlaternen“ mit und der Hl. Martin wechselte die Mitra verschämt gegen einen Soldatenhelm. 

Sonne, Mond und Sterne als Inhalt eines Festes? Das klingt mir eher nach einem Rückfall in prähistorische Zeiten, wo die Verehrung der Himmelskörper eine hohe Bedeutung hatte, weil man in ihnen das Göttliche vermutete. Auf jeden Fall klingt es nicht nach Fortschritt und nach einer klaren Trennung von Kirche und Staat. Eher nach New Age und einer Neuauflage naturreligöser Vorstellungen. Vielleicht beten die Kinder linker Waldkindergärten demnächst ja die verbliebenen Baumriesen in unseren Wirtschaftswäldern an und spüren sich innig verbunden mit ihrer beschädigten Umwelt. 

Auch die „Andersgläubigen“, denen die LINKE ursprünglich entgegen kommen wollte, danken es nicht. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman A. Mazyek meinte, dass für Muslime der Bezug auf einen katholischen Heiligen gar kein Problem darstelle: „Das Leben des heiligen Martin ist doch geradezu vorbildlich, auch für Muslime.“
Und den Salafisten und Fundamentalisten unterschiedlicher religiöser Zuordnung, die sich gegen religiöse (christliche) Feste ereifern kann doch selbst die LINKE nicht die Stange halten wollen. Hier sind alle Bürger gefragt, gegen solche Intoleranz religiöse Traditionen und Überzeugungen zu verteidigen, selbst wenn man sie selbst nicht teilt. 

Gläubige Menschen haben in der Regel gar kein Problem, wenn Christen feiern und man fragt sich, warum die Linken mit Verweis auf „Andersgläubige“, Rücksicht auf etwas nehmen zu wollen, das von diesen kaum jemanden stört. Vermutlich hatte Herr Sagel daher eher die Leute im Blick, denen der Glaube und das Christentum ein Dorn im Auge sind, eben die kleinen Minderheiten, die sich an Kreuzen in öffentlichen Gebäuden und am Läuten der Kirchenglocken stören und die mit dem Ruf „Trennung von Kirche und Staat“ dagegen anklagen.
Im Grunde konnte man sich doch auch denken, dass es der LINKEN nicht um das Martinsfest an sich geht. Die Partei stammt doch aus einer Tradition, die religiöse Bindung immer schon als irgendwie „von gestern“ bzw. als Konkurrenz zur eigenen sozialistischen Ideologie angesehen hatte.
In der nachgereichten Presseerklärung wird ja auch klar, worum es ihnen wirklich geht: „Die Frage, wie eine Trennung von Kirche und Staat, insbesondere auch in Einrichtungen, die aus öffentlichen Geldern finanziert werden, realisiert wird, bleibt für mich auf der Tagesordnung."


Bei solchen Überlegungen frage ich mich, ob das nicht auf eine Diskriminierung von gläubigen Menschen hinausläuft. Wenn man Atheisten und Agnostikern eine Erziehung nach ihren Überzeugungen gewährt, warum müssen dann Katholiken und Evangelische (und Muslime) darauf verzichten. Müssen sie sich eine religionsneutrale Ideologie aufzwingen lassen? Steht nicht einem katholischen Kind eigentlich die gleiche (finanzielle) Unterstützung zu wie dem Kind eines Agnostikers oder sind Gläubige dem Staat weniger wert? De facto gibt Vater Staat ja für ein Kind in einer kommunalen Einrichtung viel mehr Geld aus als für ein Kind in einer katholischen Einrichtung, die von der Kirche mitfinanziert wird (Oft sogar über die offiziellen Kostenanteile hinaus). Zudem setzt die Kirche noch seelsorgliches Personal und Ehrenamtlicher in ihren Einrichtungen ein. Die Argumentation klingt oft so, als ob für die Versorgung katholischer Kinder mit Kindergartenplätzen am Besten allein die Kirche zuständig sei, während sich der Staat um all die kümmert, die für eine klare Trennung zur Religion eintreten. 
Hier scheint es einen klaren Denkfehler zu geben. Ich frage mich angesichts einer immer vielfältigeren KiTa-Landschaft, ob nicht den katholischen Kindern in Waldorfkindergärten oder in der kommunalen Kita in gleichem Maße eine seelsorgliche Betreuung zukommen müßte wie den Kindern in einer katholischen KiTa. Für viele Familien ist es doch heute gar nicht mehr möglich, ihr Kind zur Kath. KiTa zu bringen, da sie als Geringverdiener nicht über ein Auto verfügen können. Und diesen Kindern nun eine Sonne, Mond- und Sterne – Naturreligion aufzuzwingen - statt eines St. Martin, nur weil in jeder KiTa auch Kinder von Muslimen, Orthodoxen und Agnostikern sind? Das hieße ja letztlich, diesem Teil der deutschen Bevölkerung die Wurzeln zu kappen aus denen unsere Gesellschaft nach dem verheerenden Krieg wieder neu aufgestanden ist. 

Im WDR5 wies Dr. Dagmar Hänel, die Volkskundlerin des LVR zu Recht darauf hin, dass es beim Martinsbrauchtum nicht um Laternenumzüge und auch nicht um Sonne, Mond und Sterne geht, sondern um eine sehr menschliche Haltung im Zusammenleben, um das Teilen, um das Miteinander, um die Caritas, um Not sehen - und handeln. Sie verknüpfte in dem Radiogespräch alle christlichen Feste mit bestimmten Werten, die unser Zusammenleben prägen. An Weihnachten ginge es um Familie, an Ostern um den Umgang mit dem Tod und dem, was danach kommt. Als Theologe möchte ich dem nicht voll zustimmen, aber der Ansatz ist doch interessant. Werte, so sagte Frau Hänel, können nicht nur mündlich vermittelt werden. Die Werte, aus denen unsere Gesellschaft lebe und sich aufbaue, müssten auch sichtbar und erlebbar werden. Und dazu dienten die christlichen Feste eben auch. 

Mir ist das natürlich zu wenig. Schauen wir einmal ganz ehrlich auf das Martinsfest. Hier hat es ja immer schon große Veränderungen in der Festkultur gegeben (nicht nur in der Nazi-Zeit) und nicht nur in den letzten Jahren. Im 19. Jahrhundert war es schon einmal aus der Form geraten, so dass sich die kath. Kirche genötigt sah, die ausufernden Bräuche, die an Diebstahl und Besäufniss grenzten, pädagogisierend wieder einzufangen. So entstanden Anfang des 20. Jahrhunderts die Martinszüge und das Martinsbrauchtum, wie wir es heute kennen. Dann setzten die Nazis dem Fest ihren Stempel auf und stilisierten den „Ungarn“ zum arischen Krieger. Etwas deformiert zog er nach dem Krieg weiter mit den Kindern durch die Straßen. 
Freudig reihten sich die Kinder türkischer Migranten später in diese Züge ein und entdeckten im katholischen Heiligen ihre religiösen Werte wieder und freuten sich mit ihren deutschen Schulkameraden am Leuchten der Laternen, am Martinsfeuer und an Süßigkeiten und Stutenkerlen. In Dinslaken – Lohberg habe ich einige Martinszüge mitgemacht, wo am Martinsfeuer nachher mehr Frauen mit als ohne Kopftücher zusammenstanden. 

Die LINKE, aber auch andere Impulsgeber nutzen heute eine gewisse Stimmungslage in der Bevölkerung aus, die immer kritischer auf „Die Kirche(n)“ blickt. Ganz bestimmt sind „wir“ daran nicht unschuldig, es hat eine ganze Reihe von Fehlern (und Verbrechen) in den letzten Jahren gegeben und oft auch eine mangelhafte Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikationsstrategie. Und es ist ja auch nicht zu übersehen, dass die Mehrheit der Deutschen, ja sogar die Mehrheit der Katholiken sich Schritt für Schritt von der Kirche verabschiedet hat und eine innere Distanzierung auch gegenüber kirchlichen Dogmen und christlicher Botschaft erfolgte. Vielen Menschen sind christliche Werte im praktischen Leben weniger bedeutsam geworden und religiöse Praxis bedeutet ihnen nicht mehr viel. Die Kirche hat dieser Entwicklung leider wenig entgegensetzen können und sich eher mit denen in eine Art religiöses Reservat zurückgezogen, bei denen die Verbindung auch vielerlei lebensgeschichtlichen und familiären Gründen noch lebendig geblieben ist. Heute fehlen ihr manche Voraussetzungen zur Kommunikation mit den Distanzierten und den Nichtglaubenden. Papst Franziskus beklagt das eindrucksvoll und zeigt durchaus Wege auf, wie Christen wieder „missionarischer“ werden können. 

Die kontroverse Debatte um die Martinstradition macht mir aber auch Mut. Es gibt durchaus noch Anknüpfungspunkte für die zentralen christlichen Botschaften. Wir sollten diese nutzen, auch wenn es uns nicht gelingt, die Menschen zu guten, papst- und kirchentreuen Katholiken zu machen. Es ist nicht nichts, wenn Mütter ihren Kindern den Hl. Martin als Vorbild vor Augen stellen und wenn Kinder spüren, das was Martin mit dem Bettler getan hat, das kann ich auch selbst tun (und wenn es nur mit der Tüte Gummibärchen ist, die mein Opa mir geschenkt hat). 

Wir schulden unserer Lebenswelt diese Basisbotschaften christlichen Glaubens. 

Und das ist es auch, was mir für die Zukunft Sorgen macht. Wir leben in einer Welt, wo die Mauern zwischen den Menschen immer höher wachsen... Was bringt die Menschen wieder zusammen? Was sorgt dafür, dass es Mitmenschlichkeit und Rücksichtnahme gibt? Was wird geschehen, wenn wir in Deutschland einmal wieder darauf angewiesen sind, dass da Leute sind, die uns aus der Not helfen?

Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten zugesehen und zugelassen, dass familiäre Bindungen schwächer wurden. Menschen sind immer mobiler geworden, oft wohnen und arbeiten Kinder weit entfernt von ihren Eltern. Nachbarschaften sind zerbröselt. Nur noch in Dörfern gibt es geregelte Systeme der gegenseitigen Hilfeleistung. Die „Kleinfamilie“ oder die Paarbeziehung ist bedeutsamer geworden, die Großfamilien, in denen Verbindungen über drei oder mehr Generationen hinweg gelebt wurden haben an Verbindlichkeit verloren. Wer kümmert sich heute noch um seine Großtanten und Urgroßonkel? Für kleine nachbarschaftliche Unterstützungsleistungen gibt es heute besondere Dienstleister – gegen Geld. Ein hoher Wert ist es für viele, „von niemand anders abhängig zu sein“. Und dank der Navigationsgeräte muss man nicht einmal mehr jemanden nach dem Weg fragen. 

Ich will nicht pessimistisch sein. Es gibt auch noch die andere Seite; Solidarität, Miteinander, Hähe, Aufopferung, Engagement. Aber niemand kann die Augen davor verschließen, dass die Betonung heute auf „Freiheit“, Eigenständigkeit, Egoismus, Selbstverwirklichung u.s.w. liegt, ohne daran zu denken, dass es eigentlich immer Begriffspaare sein müßten: Freiheit + Verantwortlichkeit, Selbstverwirklichung + Solidarität, Eigenständigkeit + Miteinander. 

Der ehemalige Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde hat darauf hingewiesen, dass die Gesellschaft aus Werten lebt, die nicht einfach so da sind. „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Unsere Gesellschaft ist bis zum heutigen Tag auf christlichen Werten gegründet. Diese haben auch dann ihren Wert und ihren Bestand, wenn sich die Kirche unserer Tage (eigentlich ihr Garant) wenig überzeugend präsentiert. Offensichtlich wird sie aus der Perspektive vieler Menschen schlicht der allgemeinen „Obrigkeit“ zugeordnet und die hat schon mal per se einen schlechten Ruf, wie man an dem niedrigen sozialen Renommée von Politikern und anderen Institutionen deutlich erkennen kann. Auch hier hat das nicht immer mit konkretem Fehlverhalten und schlechten Leistungen zu tun. 

Ich sehe weit und breit keine Alternative zu einer Gesellschaftsordnung, die auf christlichen Werten gründet. Die philosophischen Entwürfe der Vergangenheit überzeugen nicht, im Gegenteil führten sie doch manches Mal direkt in den Abgrund, zu einem unmenschlichen Terrorregime. Lenin, Stalin, Ulbricht, Honecker und Mao haben die im Grunde durchaus menschenfreundlichen Gedanken von Marx und Engels auf alle Zeiten desavouiert. 

Aus dieser „Falle“ müssen wir uns befreien. Es muss wieder deutlich werden, dass Kirche nicht eine abgehobene „Obrigkeit“ ist, sondern Gottes Volk, Gemeinschaft von Menschen, die in den Spuren Jesu Christi und nach seinem Wort ihr Leben gestalten. Nicht nur die Hirten brauchen den Geruch der Schafe, wie der Papst es formuliert hat, sondern auch die normalen Katholiken müssen ihr Leben und ihren Glauben mitten unter den Menschen leben und als solche erkennbar, besser noch „erlebbar“ sein. Das schließt auch die Notwendigkeit ein, der Botschaft einen Vorrang zu geben vor dem Botschafter, der Mission und Verkündigung einen höheren Rang zu geben als einer Kirche von „schöner und edler Gestalt“.

Bei aller Fehlerhaftigkeit: Als Kirche, als Katholiken, als Nachfolger Christi schulden wir der Welt einfach die Botschaft des Glaubens. Wir müssen mit dazu beitragen, dass unsere Gesellschaft die Welt, von der sie lebt als Schöpfung begreift, die es zu bewahren und zu gestalten gilt. Wir müssen mit dazu beitragen, dass die Mächtigen und Entscheidungsträger den unbedingten Wert menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum Sterbebett achtet und dafür sorgt, dass ein menschenwürdiges Leben für jeden möglich ist. Wir können den Sonntag als Tag der Ruhe und Nachdenklichkeit fördern, wo der Mensch dankbar sein kann, für alles und jeden, ohne den und die sein Leben nicht möglich wäre. Wir können mithelfen, dass die Menschen spüren, dass Leben auch Verantwortlichkeit bedeutet. Es gibt also viel zu tun. Ein schön und würdig gestalteter Martinsumzug kann ein erster Schritt auf diesem Wege sein und Menschen im Herzen berühren. 

Freitag, 11. Oktober 2013

Es ist einfach zum Kotzen - der Streit um den Bischof von Limburg!

Er ist wirklich drauf, im Licht, 2007 im Dom zu Münster!
Haben Sie gestern und heute Fernsehen geguckt, Radio gehört und Zeitung gelesen? Und, wie geht es Ihnen? Ich jedenfalls habe ein ganz schlechtes Gefühl im Bauch. Ich könnte kotzen, welche Zerrbild meiner Kirche hier wieder dem geneigten Zuschauer, Zuhörer und Leser geboten wird. 

„Um Himmels Willen: Die Luxus Liste des Protz – Bischofs“ titelte die BILD, während sie gleichzeitig die einzige persönliche Äußerung des Limburger Bischofs in der aktuellen Zuspitzung der Debatte veröffentlichen durfte. 

Also ehrlich gesagt, ob der geballten Ladung Kritik, mit der auch allerlei allgemeine Kirchenkritik verquirlt wurde, wurde mir ganz mulmig. Bei allen berechtigten Anfragen, die Medien haben den Bischof in diesen Tagen unfair behandelt und mit der ganz großen Kanone beschossen. Das ist die Sache nicht wert und die kritisierten Punkte auch nicht. Zudem ist die meiste Berichterstattung fehlerhaft und die meisten „Kirchenexperten“ erweisen sich als „Kirchenstümper“.
Sondersendungen auf ZDF und ARD, von weitgehend unkundigen Moderatoren mit weitgehend unkundigen Gesprächspartnern. Was soll z.B. Alois Glück zu der ganzen Affaire sagen? Er weiß auch nicht mehr als Sie und ich.

Präsentiert wurde uns auch ein ganz offensichtlich überraschter Erzbischof Zollitsch, der gar nicht recht wußte, wie er mit diesen neuen schlechten Nachrichten umgehen sollte. Präsentiert wurden uns zahlreiche erboste Passanten aus dem Umfeld des Limburger Doms. Ein kleiner Erkenntnisgewinn des Abends: Hohe Mehrkosten entstanden, weil – um die Gebäude niedrig zu halten – Kellerräume in den Felsen gefräst werden mussten. Hohe Kosten entstanden, weil die „gediegene Schlichtheit“ und die verbauten „heimischen Materialien“ eben auch teurer sind als von Kinderhänden behauene Steine aus Indien, mit der wir unsere Auffahrt billig und gediegen zu pflastern pflegen. Hohe Kosten entstanden aber z.B. auch durch den Einbau eines elektrischen Aufzugs für den Adventskranz, Möbel vom Schreiner und eine freistehende Badewanne. 

Auch das hat nicht unbedingt mit Protz zu tun. Dass der Bischof 3 ½ Zimmer bewohnt, sagen wir mal Wohnzimmer, Schlafzimmer, privates Arbeitszimmer und Küche ist keinesfalls übertrieben. Dass er da den Wunsch nach Kellerräumen hat, wo z.B. die überschüssigen Umzugskartons oder eine Tiefkühltruhe stehen könnten ist auch menschlich nachvollziehbar. Aber irgendwie muss ihm bei all den nicht absolut unbescheidenen Wünschen der Überblick abhanden gekommen sein. 

Bei ihm haben doch ganz sicher schon am Beginn seines bischöflichen Dienstes die Alarmglocken geläutet, als Kritik am Bau des Bischofshauses aufkam, weil das einige Millionen kosten würde und seine Gemeinden gerade einige schmerzhafte Sparanstrengungen wegstecken mussten. Ja, alles noch unter Bischof Kamphaus! Da hat der neu gewählte Bischof direkt gesagt, dass man alles sehr bescheiden und einfacher planen solle. Und ich bin sicher – er hat das auch so gemeint. Doch dann muss er auch dafür sorgen, dass die Kontrolle der Baukosten funktioniert. Man war gewarnt und hätte entsprechend vorsichtig sein müssen! Ich weiß nicht, was da hinter den Kulissen geschehen ist, aber das hätte nicht passieren dürfen und letztendlich trägt dafür der Bischof auch die Verantwortung.

„Die neue Schreckenszahl in Limburg ist 31“ schrieb der Blog demut-jetzt.blogspot.com und ergänzt: „Hoffen wir mal, dass es ein paar wirklich gute Begründungen für diese Kosten gibt. Denn ich geb jetzt mal den Propheten: Wenn das Bistum die Kosten nicht begründen kann und noch was aus Hamburg kommt, dann können wir schonmal für die neue Bischofsinthronisation üben.“ 

Die Post aus Hamburg ist jetzt auch da... und jetzt haben wir den Salat.
Dem Bischof blieben jetzt nur noch zwei Möglichkeiten: „Er tritt zurück!“ oder Papst Franziskus entbinde ihn seines Amtes, so eine Zeitungsmeldung in der internationalen Presseschau des Deutschlandfunk. 

Durchaus um Sachlichkeit bemüht zeigte sich im WDR 5 Theo Dierkes, der einem Anrufer erklärte, dass in den „Schatullen“ des Bischöflichen Stuhls keinesfalls die konfiszierten Vermögen verbrannter Hexen lägen, sondern dass diese Gelder ein kleiner Ausgleich für das 1803 konfiszierte, viel reichlichere Kirchenvermögen waren und dass der Kölner Erzbischof heute sogar auf die Zahlung seiner Bezüge aus der Staatskasse verzichte. 

Ein besonders blödsinniger Vorschlag eines Anrufers: Der Bischof möge seine Residenz „Obdachlosen zur Verfügung stellen“. Für diesen Zweck ist das Gebäude nun wirklich untauglich. Ein Lichtblick auf WDR5, ein – aus der Kirche ausgetretener Mann – lobte die architektonische Qualität und die theologische Begründung der Architektur des Diözesanzentrums St. Nikolaus. Schön auch die Bemerkung des Kirchenredakteurs in der Auseinandersetzung mit dem Spiegel, dass der Bischof einfach nur hätte sagen müssen. „Business-Class haben wir bezahlt“ – nicht „sind wir gefolgen“ und schon wäre das Problem nie entstanden. 

Gar nicht zustimmen möchte ich seiner Einschätzung, Bischof Tebartz van Elst könne aus eigener Kraft nicht zurücktreten, weil er glaube, dass die Angriffe auf ihn, Angriffe auf „die Kirche selbst“ seien. Nicht zustimmen möchte ich auch der Diffamierung der Bischof sei psychisch krank. Dafür gibt es keine Anzeichen. Er mag zwar anders denken als seine Kritiker, aber das ist völlig legitim. 

Leider präsentiert sich der Bischof zur Zeit überhaupt nicht in der Öffentlichkeit. Auf einer Fanseite bei Facebook bitte er (???) „Für jede Kritik, jede Anregung und jedes Gebet in diesen Tagen bin ich dankbar! Vergelt's Gott.“ Aber sonst ist er völlig abgetaucht. Franz-Peter Tebartz van Elst hat sich – außer in der BILD (wieso kommt mir der Bock mit Gärtnerschürze in den Sinn) nicht mehr zu Wort gemeldet. Wie KNA mitteilt verzichtet er sogar auf das angekündigte Hirtenschreiben, mit dem er den Gemeinden einiges erklären möchte. Ob das klug ist?

Die Zahl der Unterstützer des Bischofs, die die Petition des Forums deutscher Katholiken unterzeichnet haben liegt deutlich unter 5.000. Das ist zwar beachtlich, aber ... ich hätte deutlich mehr erwartet. 

Von den ausdrücklich kirchentreuen Katholiken werden gerade bevorzugt alte Berichte über die prachtvolle Residenz des Münchener Erzbischofs gepostet oder über den Neubau des Ordinariates im Bistum Rottenburg-Stuttgart, die auch immense Summen verschlungen haben. Aber das halte ich nicht für zielführend. Man muss auch sehen, dass manches historische Erbe – auch wenn es noch so alt-ehrwürdig ist – einer glaubwürdigen Verkündigung im Wege stehen kann. Und es wird Zeit, dass in den Bauabteilungen der Bistümer ein neuer Stil gefunden wird. Aber niemand wird den heutigen gediegenen (und haltbaren) Stil gegen billige Zweckbauten tauschen wollen. Aber, es geht sicher auch manches mal einfacher und billiger. Und es muss auch nicht jedesmal „große Architektur“ sein, wenn es um ein Verwaltungsgebäude oder ein Pfarrheim geht. Bei Kirchen ist das etwas anderes.

Manch einer holt schon Bischof Mixa wieder hervor und vergleicht die „Kampagnen“ gegen Bischof Mixa mit denen gegen den Limburger Bischof. Es gehe, so tönt es, „gegen“ die kirchen- und papsttreuen Bischöfe. Mixa, so war gar zu lesen, sei als Erzbischof von München im Gespräch gewesen und Tebartz van Elst für den Bischofsstuhl in Köln. Daher die Kampagne. Was eigentlich wohl kaum für Sachkenntnis des Kommentators spricht, da dort längst Kardinal Marx amtierte und ich würde eine Wette darauf eingehen, dass die Chancen des „jungen“ Limburger Bischofs, Erzbischof in Köln zu werden auch vor der skandalisierenden Berichterstattung sehr gering gewesen sind. „Sie sehen hier ein erneutes Beispiel für die stalinistisch anmutende Christenverfolgung, durch die bolschewistisch atheistische Hetzjournaille!“ kommentiert ein „Freund“ des Bischofs auf der Fanpage. 

Ich glaube, es ist verkehrt, in Bischof Franz-Peter einen Exponenten des kirchlichen Traditionalismus zu sehen. Er ist sicher ein aufrichtig, treu katholischer Bischof. Aber davon gibt es mehr, als manche Beobachter aus dem kirchlich – konservativen Milieu vermuten. Und über die kirchenpolitische Einordnung des Limburger Bischofs könnte man bestimmt noch interessante Gespräche führen. 

Natürlich hat die Feindseligkeit, mit der in Medien, in Diskussionen auf der Straße und in der Kneipe und in Internetforen gegen Tebartz van Elst gestritten wird auch mit einem zunehmend schlechten Ruf der Kirche(n) in der Öffentlichkeit (und in der Presselandschaft) zu tun. Aber die jetzige Situation hat mindestens genauso mit Fehlern zu tun, die im Bistum Limburg hausgemacht wurden. 

Ich werde inzwischen bei jedem Besuch und an jeder Straßenecke angesprochen, was sich dieser Bischof hier leiste. Und zwar ausdrücklich auch von frommen, kirchentreuen Katholiken. Und komme in die Situation, ihn teilweise zu verteidigen (ca. 43 Prozent, weil vieles einfach ungerecht ist) und zu 57 Prozent mit den Achseln zucken zu müssen. 

Ich bin inzwischen zu der Überzeugung gekommen, dass ein Rücktritt die beste Lösung ist. (In meinem ersten Analyse zum Zoff im Bistum Limburg war das noch anders.) Und zwar ist das die beste Lösung zunächst für den Bischof selbst. Er sollte möglichst bald ganz offensiv in die Öffentlichkeit gehen und mitteilen, dass er dem Hl. Vater seinen Rücktritt angeboten habe. Und dieser sollte ihn annehmen und dem Bischof eine Auszeit in einer anderen Aufgabe gönnen, die durchaus Wertschätzung für seinen Dienst ausdrückt. Der Bischof sollte ein kluges, wohl durchdachtes Interview geben, in dem er zu erkennen gibt, dass er Fehler gemacht hat, aber dass er von der Kritik und der „sprungbereiten Feindseligkeit“ auch verletzt wurde. 

Er sollte auch deutlich machen, dass Offenheit kein Zeichen von Schwäche und fehlender Macht, sondern ein Zeichen von Stärke ist. Heute wurde zum Beispiel vom Bistum Essen mitgeteilt, dass sich Ruhrbischof Dr. Franz-Josef Overbeck dazu entschlossen habe, ab sofort nicht mehr nur den Haushalt des Bistums prüfen zu lassen und zu veröffentlichen, sondern auch das Vermögen des Bischöflichen Stuhls zu Essen und er wartet nicht ab, sondern tut es unverzüglich: „der Bischöfliche Stuhl umfasst derzeit lediglich Vermögenswerte in Höhe von rund 2,2 Millionen Euro. Der Bischof könnte jedoch allenfalls über knapp zehn Prozent dieser Summe frei verfügen. Insgesamt 2,05 Millionen Euro stammen aus zwei Erbschaften und sind Teil zweier Sondervermögen, deren Erträge ausschließlich zur Förderung der Ausbildung des kirchlichen Personals zur Verfügung stehen. Verwaltet und überwacht werden diese Sondervermögen durch das Finanzdezernat des Bistums Essen und zwei Kuratorien.“ So einfach ist das!

Ich bin, so glaube ich, kein guter Prophet, aber die Verschiebung des Briefes an die Gemeinden ist auch ein Zeichen. Ich denke, der Limburger Bischof möchte das Gespräch des Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz mit dem Hl. Vater abwarten und sich selbst auch noch einmal mit Vertrauten und evtl. auch in Rom beraten. Aber ich glaube, das ist ein Zeichen dafür, dass er selbst spürt, dass jemand, der zur Spaltung im Bistum beiträgt nicht Bischof dieses Bistums bleiben kann, unabhängig davon, wie groß der Anteil an der Schuld ist, die er persönlich zu tragen hat.

Es ist doch nicht so, dass alle Fans und Freunde des Bischofs treue Katholiken und regelmäßige Gotttesdienstbesucher und alle Gegner Leute von der Straße und „Imwaldmitgottredner“ sind. Der Riss geht doch mitten durchs Bistum und es gibt sehr kirchentreue und verdiente Leute, die sich vom Bischof abwenden. 

Aber niemand sollte glauben, dass mit dem Ende seiner Amtszeit alle Probleme gelöst sind. Denn mindestens 50 % der Probleme stecken im Bistum selbst. Hier sollte der Vatikan und vielleicht Kardinal Lajolo die Zeit der Sedisvakanz auch für eine intensive Zeit der Buße und Besinnung nutzen (lassen). Ohne dies wird kein Neuanfang möglich sein, ohne Schuldbekenntnis aller Beteiligten oder zumindest Einsicht in ihren Anteil kann auch wohl kaum jemand das Bischofsamt hier wieder auf sich nehmen. 

So scheiden sich am Limburger Bischof die Geister. Manch einer spricht schon von „Kirchenspaltung“. Auf der einen Seite – hinter Bischof Tebartz van Elst, Bischof Mixa und Kardinal Meisner: die Kirchentreuen, die Leute, die zum Kongress „Freude am Glauben“ gehen und ein großer Teil der katholischen Blogger. Auf der anderen Seite die „Lauen“, die die Kirche als „Schönwetterveranstaltung“ zur frommen Überzuckerung ihrer Lebensfeste „missbrauchen“ möchten. Die „Liberalen“, die Vertreter des „Laienkatholizismus“ die Sozialromantiker und „Sichselbsterlöser“, die von „Wir sind Kirche“ und „Kirche von unten“. Eben die Anhänger der „Deutschen Nationalkirche“ unter Kardinal Lehmann und Erzbischof Zollitsch. 

Dazu kann ich nur sagen: Das halte ich für Quatsch! Hier wird viel zu sehr schwarz-weiß gemalt. Die Botschaft Jesu gilt allen! Da wo mein kirchliches Milieu aufhört, beginnt mein Missionsgebiet, aber nicht in dem Sinne, dass ich alle Menschen von meiner persönlichen Gläubigkeit und Frömmigkeit bekehre, sondern ihnen helfe, einen Weg mit Jesus Christus und mit der Kirche zu gehen. Wir sollten einen Bischof (Priester/Mitchristen) dort verteidigen, wo er ungerecht angegriffen wird, aber wir sollten ihm auch Umkehr ermöglichen, wo diese notwendig ist. Die Angriffe der Medien auf die Glaubwürdigkeit der Kirche können nur auf einem Weg pariert werden ... das wir unbedingt glaubwürdig sind. Nicht nach jeder beliebigen Auffassung und Ideologie, sondern nach dem Wort und Beispiel Jesu Christi. 

Beten wir für Bischof Franz Peter Tebartz van Elst und das Bistum Limburg!

Mal etwas anderes ist dieser Artikel aus einem Kunstmagazin: http://www.art-magazin.de/architektur/66468/bischofsresidenz_limburg

Andreas Püttmann zu den Unterstützern des Limburger Bischofs: http://www.theeuropean.de/andreas-puettmann/7528-skandal-um-limburger-bischof-tebartz-van-elst

Br. Paulus Terwitte: http://www.theeuropean.de/paulus-terwitte/7532-die-verurteilung-des-limburger-bischofs

Aktuell: Ein Bericht des Vatican - Magazin über TvE in Rom. www.vatican-magazin.de/images/vatican/ausgaben/2013/11-2013/08-15titelthema.pdf

Samstag, 28. September 2013

Hl. Vater, ich hätte da mal ne Frage!

Quelle: Wikipedia
Sensation! Skandal! Jahrhundertereignis! Der Papst hat ein Interview gegeben. „Historisch“ nennt es die Bildzeitung. „Sensation ohne Abstriche“ kommentierte Stefan von Kempis von Radio Vatikan. In der Tat ist es etwas Besonderes und nicht ohne Risiko, sich auf ein Interview einzulassen. Zahllose Politiker haben das schon erlebt, kommt doch ein Interview einem echten Gespräch, einem Dialog (!) nahe - anders als eine Predigt, ein Statement oder einer Enzyklika (wo Nachfragen meist nicht erlaubt sind). Aber auch vor Franziskus hat es schon Papst-Interviews gegeben, schon sein Vorgänger hat diese Form des Dialogs beherrscht; man denke nur an das im Fernsehen gesendete Interview mit Papst Benedikt vor dessen Besuch in Bayern im Sommer 2006. Er habe „starke Vorbehalte gegen die Kommunikationsstrategie von Papst Franziskus“ ließ sich aus Rom Professor Roberto de Mattei vernehmen; eine Bemerkung die einige kirchliche Kreise gern auch in Deutschland verbreiteten.

„Wir sind Kirche“ dagegen zeigt sich sehr zufrieden mit dem Papst: „Es geht Franziskus um eine arme und dienende Kirche, um eine Kirche, die sich den Menschen zuwendet, eine Kirche, die die befreiende Botschaft von Jesus, dem Christus, in den Mittelpunkt stellt und sich nicht in erster Linie als moralische Instanz versteht.“ So heißt es in einer aktuellen Botschaft der „kritischen Katholiken“.
Auch die deutsche Presse ist angetan. Für die Tagesschau berichtet Tilman Kleinjung über „Neue Töne aus Rom“ und stellt fest: „In einem Interview fordert Papst Franziskus von der katholischen Kirche mehr Barmherzigkeit und weniger Diskussionen um Sexualmoral und Abtreibung. Auch im Verhältnis zu Fragen um Homosexualität und Frauenrechte deuten sich Änderungen an.“ Im Grunde ist das die Quintessenz, die den Blätterwald einmal kurz aufrauschen ließ, ob SPIEGEL oder Süddeutsche, ob FAZ oder Zeit, sie alle betonten diese Aspekte des langen Gesprächs mit dem Hl. Vater. Vermutlich war es das dann auch erst mal!

Ganz anders der „kirchliche Untergrund“: 
Das „schreckliche Interview“ des Papstes, so nennt es die Piusbruderschaft in einem namentlich nicht gezeichneten Artikel. „Schrecklich“, sei es, weil „Modernisten und Progressisten“ nun „Morgenluft gewittert“ hätten und „ihre Forderungen zur Vernichtung aller katholischen Restbestände in der Kirche“ wiederholen würden. 
Der Schreiber des viel gelesenen traditionalistischen Blogs „Rorate Cæli“ bemerkt ziemlich süffisant und wenig ehrfürchtig: „Bei so viel Aufmerksamkeit, die das heute veröffentliche Interview von Papst Franziskus findet, dachten wir, wir würden vor allem 10 der 12.000 Wörter davon teilen: „Wenn man zuviel sagt, läuft man Gefahr, mißverstanden zu werden.“
In einem anderen ultrakonservativen Forum berichtet Giuseppe Nardi folgendes aus einem Telefonat mit einem Freund: „Nun hörte ich diesen Mann, der mir in vielen entscheidenden Momenten durch seinen unerschütterlichen, kindlichen Glauben ein Vorbild war, am anderen Ende des Telefons weinen. Er weinte über den Papst. Er weinte über seinen Papst, meinen Papst.“ Der ganze Text zerfließt vor Tränen und in seiner Betroffenheit lässt sich Nardi zu folgendem Satz hinreißen: „Dieser Papst hat wirklich getan, was schon seit seiner Wahl in der Luft lag, was viele befürchtet haben: Er hat den Rubikon überschritten.“ 

Das (allgemeine) Lamento beschäftigt sich mit der Mahnung des Papstes, dass die kirchliche Verkündigung mehr ist, als das, was gemeinhin öffentlich wahrgenommen wird, dass sie ein kunstvolles Zusammenspiel ist von zutiefst menschenfreundlichen Gedanken und Lehren. Angesichts dessen solle man nicht so tun, als ginge es der Kirche einzig um die Themen Abtreibung, Verhütung und Homo-Ehe ... Nicht nur Nardi und sein Freund verdrehen die Absicht der päpstlichen Aussagen und versteigen sich zu einem totalen Verriss der päpstlichen Worte und zu einer Ablehnung des Papstes selbst. Der tränenreiche Text macht deutlich, dass das Interview des Hl. Vaters in den ultrakonservativen Kreisen der Kirche so etwas wie ein Wendepunkt ist. Verhielt man sich bisher noch meist abwartend kritisch, so wendet man sich nun deutlich gegen Franziskus. Es war schon seit längerem zu beobachten! Die „kritische Linie“ im Spektrum der kath. Kirche hat sich durch Franziskus verschoben. Die Ränder nehmen mehr Abstand zur Mitte, zum Zentrum, zu Rom. 
Dabei ist es bis heute noch schwer zu sagen, wo dieser „Sohn der Kirche“ kirchenpolitisch eigentlich genau zu verorten ist. Große Reformabsichten sind noch nicht zu erkennen und von einem tiefgreifenden Umbau der Kurie ist nichts zu sehen. Eine gewisse Personalrochade, aber wichtige Leute bleiben auf ihren Posten. Eine Reform an Haupt und Gliedern sähe sicher anders aus. 

Allerdings geht aus dem Papstinterview eine bemerkenswerte Akzentverschiebung hervor. Hier kommt mir ein bekanntes Wort des Hl. Paulus aus dem Korintherbrief in den Sinn: „Wir wollen ja nicht Herren über euren Glauben sein, sondern wir sind Helfer zu eurer Freude; denn im Glauben seid ihr fest verwurzelt.“ Was der Hl. Vater im Interview sagt, klingt denn auch weniger nach „Roma locuta – causa finita“. „Die römischen Dikasterien ... sind Einrichtungen des Dienstes.“ 
Für Kreise, die jeden missliebigen Bischof schnell als „untreu“ brandmarken und stets die römische Zentrale als einzigen Ort der Rechtgläubigkeit schätzen, bringt die neue Wertschätzung der Bischöfe und Bischofskonferenzen und die Rede von der Kollegialität Probleme mit sich. Worauf kann man sich in Zukunft noch berufen, wenn man nicht mehr am eigenen Bischof vorbei agieren kann? Der Papst hängt in diesem Zusammenhang noch einen bemerkenswerten Satz an: „Es ist eindrucksvoll, die Anzeigen wegen Mangel an Rechtgläubigkeit, die in Rom eingehen, zu sehen.“ doch: „Die Fälle werden besser an Ort und Stelle behandelt.“
Da werden die Papst – Exegeten viele Deutungsmöglichkeiten finden. Kritisiert der Papst etwa das „Denuntiantentum“ mit dem heute in der Regel am Ortsbischof vorbei Briefe über theologisch missliebige Priester und Laien direkt an den Nuntius bzw. nach Rom geschickt werden? Oder zeigt er sich im Gegenteil betroffen über den Mangel an Rechtgläubigkeit unter den Vertretern der Kirche. Vielleicht möchte er aber auch nur betonen, dass die kleinen römischen Behörden die schiere Masse dieser Post gar nicht angemessen bewältigen können. 
Dass manche Aussagen des Papstes in diesem Interview interpretationsbedürftig sein könnten, das beschreiben gerade die kirchlichen Kreise, die sich gern auf wohl ausformulierte und eindeutige kirchliche Lehre berufen als Problem. Einige stellen schon die Rechtgläubigkeit und den Sinn der Kommunikationsstrategie des Papstes in Frage. 

Es hat sich in der Tat viel verändert unter Papst Franziskus. Dennoch gibt es keinerlei Anzeichen für einen Bruch in der Lehre zwischen Benedikt XVI. und Franziskus. Der alte und der amtierende Papst sind sicherlich gerade dabei, das „Miteinander“ etwas auszutarieren. Dabei ergab sich kürzlich eine erstaunliche Parallelität: Während Franziskus einem vehementen Kirchenkritiker einen - sicher von diesem nicht erwarteten - Antwortbrief schreibt, tut Benedikt dies zur gleichen Zeit mit einem anderen Atheisten. Es ist für mich nicht vorstellbar, dass er, der ein Leben im Schweigen und im Gebet angekündigt hat, dies ohne Wissen und Billigung des regierenden Papstes getan hat. 
Alle, die den emeritierten Papst in den vergangenen Monaten treffen durften, berichteten, dass es ihm gut gehe und dass er heiter und entpannt wirke. Seine Stimmung sei bestens, erzählte Kardinal Meisner kürzlich und „Der ist so zufrieden!“ Das wäre sicher nicht so, wenn er angesichts des neuen Stils eines Franziskus in großer Sorge um seine Kirche wäre. So erscheint es auch sehr oberflächlich, wenn interessierte Kreise sich an den „Unterschieden“ der beiden Päpste abarbeiten, wie kürzlich besonders peinlich ein Mitglied des ZDK mit Blick auf den Ritus der Fußwaschung.
Natürlich hat der Sohn italienischer Migranten aus Argentinien einen anderen Stil und ein anderes Auftreten als der Sohn eines bayrischen Beamten, der nicht mitten aus der praktischen Seelsorge, sondern mitten aus dem theologischen Lehrbetrieb und der römischen Kurie kam. Es ist gut und richtig, dass jede(r) von ihnen sich als Papst selbst treu geblieben ist. Das macht ihre jeweilige Glaubwürdigkeit aus, die ich weder Papst Benedikt XVI. noch Papst Franziskus absprechen möchte. 

Trotzdem, so erscheint es, hat Franziskus die bunte Szenerie kirchlicher Gruppen verändert. 
Wenn sich bisher auch die Geister an einem Papst wie Benedikt schieden, so fanden sich selbst unter den Piusbrüdern Leute, die zu seiner Zeit positiv über den Hl. Vater sprachen. Im kirchlichen „Reformlager“ hatte er dagegen weniger Freunde, denn oberflächliche Betrachtungs- und Argumentationsweisen ließ er nicht zu. Die Linie zwischen Zustimmung und Ablehnung lief auf der Skala der Papst- und Kirchentreue solcher Gruppierungen am „rechten Rand“ mitten durch die Piusbruderschaft und am linken Rand irgendwo zwischen den Anhängern von Bischof Genn und denen von Bischof Lehmann. Unter Franziskus haben sich diese Linien verschoben, die Grenze geht heute bei den „Liberalen“ oder „Linken“ wohl irgendwo mitten durch „Wir sind Kirche“ und rechts etwas unregelmäßig um und durch die Franziskaner der Immaculata und die Petrusbruderschaft. Auffällig ist, dass das konservative Spektrum der Kirche ganz ähnlich auf Schlagworte reagiert, wie es auch das liberale Spektrum tut. Komisch, dass sich noch kein Presseartikel daran abarbeitet, dass Franziskus in seinen Predigten ganz unverkrampft vom zerstörerischen Wirken des „Teufels“ spricht, eine Wortwahl, die Benedikt in der Regel vermieden hat. Daher scheint mir, dass es in all diesen Zuordnungen und Solidaritäten auch genauso viel um „Atmosphäre“, um „Eindrücke und Gefühle“ geht als um harte theologische und kirchenpolitische Fakten. 

Was Papst Franziskus zur Zeit gelingt ist, den festgefahrenen kirchlichen Diskurs aufzubrechen. Man hat das Gefühl, dass er wirklich aus der Tiefe der Verkündigung Jesu die Akteure in der Kirche aufrütteln möchte. Dafür geht er auch Risiken ein, auch das Risiko von Missverständnissen, wie der eingangs beschriebene weinerliche Dialog zwischen den enttäuschten Lebensschützern eindrucksvoll dokumentiert. Hier zeigt sich, dass es gewissen Kreisen nicht reicht, dass Franziskus sich selbst als treuen „Sohn der Kirche“ betrachtet, der selbstverständlich das Lebensrecht ungeborener Kinder verteidigt. Aber, so meint Franziskus, es braucht einen anderen Blick als die oft sehr focussierte Sicht der Abtreibungsgegner. Es braucht auch einen Blick auf die oft sehr gebrochenen Wirklichkeiten des menschlichen Lebens, auf Versagen und Vergebung, auf Not und Verbrechen. Das relativiert in keiner Weise den Einsatz der Kirche und des Lehramtes für die Heiligkeit des Lebens, aber es weitet gleichzeitig dien Blick auf die umfassende Not des Menschen. Und es heißt eben nicht: wegen der Not der betroffenen Mutter wird plötzlich das Lebensrecht des Kindes weniger wert und „relativiert“ oder gegeneinander aufgerechnet. 
In der Konsequenz heißt das, der Christ harrt auch dann an der Seite der Mutter, des ungeborenen und des geborenen Kindes aus, wenn er Wege mitzugehen gezwungen ist, die seine eigenen Überzeugungen nicht ermöglicht hätten. Und ähnlich sieht Franziskus die Aufgabe der Kirche insgesamt. Für ein Weinen über den Papst gibt das Interview also nichts her, eher für ein Weinen über die eigene Haltung in der man sich selbst und seinen eigenen Blickwinkel für wichtiger nimmt als den Blick Gottes, für wichtiger als die vielfältigen Nöte der Menschen und für wichtiger als die Autorität der Lehrverkündigung des amtierenden und rechtmäßigen Papstes. 

Das Interview ist in meinen Augen völlig authentisch. Es erinnert sehr an das leider zu wenig beachtete Gespräch (und inzwischen auch auf deutsch vorliegende Buch) mit seinem Freund, dem argentinischen Rabbiner Abraham Skorka. 
Zwischen den Zeilen entdeckt man den Menschen Jorge Mario Bergoglio. Wenn der sich als „Sünder“ bekennt, dann wirkt es authentisch, wenn er von seiner Überforderung als 36jähriger Jesuit in Leitungsverantwortung und von seinen Fehlern spricht, dann bekommt man das Gefühl, einem Menschen auf Augenhöhe gegenüber zu stehen. Papst Franziskus begegnet einem nicht als Übermensch. 
Zu Benedikt schaute man eher auf. Einem Theologen seines Ranges konnte ich nicht das Wasser reichen. Mit Stauen und innerer Bewegung hörte ich seinen Reden zu, wohl wissend, dass ich zu solchen großen Gedankenbögen und großen theologischen Würfen nie in der Lage sein würde. 
Ich denke, das ist ein Erklärung für das „Phänomen Franziskus“, das noch verstärkt wird durch seine sehr persönlichen Gesten und der sehr persönlichen Art in der er selbst inmitten einer großen Menschenmasse dem Einzelnen gegenüber tritt. 

Wer das Interview des Papstes wirklich würdigen möchte und nicht als Steinbruch für Material zur Unterstützung seiner persönlichen Zustimmung oder Ablehnung dieses Papstes missbraucht, der darf nicht nur einzelne Sätze, nicht nur 10 Worte aus dem Interview herausbrechen, sondern muss alle 12.000 Worte zusammen sehen und möglichst noch im Kontext seiner täglichen Predigten, seiner Bücher und seiner Lehrschreiben. 

In gewissen Milieus machte vor Jahren einmal ein geflügeltes Wort die Runde: »Du fragst, was soll ich tun? Und ich sage: Lebe wild und gefährlich, Arthur«. Das schrieb einst Arthur Schnitzler an Arthur Rimbaud. Vielleicht würde der amtierende Papst dieses Wort durchaus unterschreiben. Natürlich nur, wenn man es nicht als Aufforderung zum verantwortungslosen und hedonistischem „in den Tag hinein genießen und sein Leben verschwenden“ betrachtet. Ich verstehe jedenfalls seine Aufforderungen „an die Ränder“ zu gehen so; als Kirche auch mal etwas zu riskieren, um des Menschen willen und um der Botschaft Jesu willen. Mein inzwischen verstorbener alter Bischof Reinhard Lettman sagte einmal „Wer möchte, dass alles so bleibt, wie es ist, für den bleibt nichts, wie es ist; es wird weniger.“ Ich denke, das ist es, was der heutige Papst erreichen möchte. Veränderungen, damit der Kern, die Basis, die Botschaft und Verkündigung Jesu lebendig bleibt und die Menschen erreicht. Und wer etwas riskiert, der kann auch verlieren, der kann auch Fehler machen. Aber wer nichts riskiert, der kann nur verlieren. Davon spricht er im Interview in immer neuen Bildern. „Wer heute immer disziplinäre Lösungen sucht, wer in übertriebener Weise die ›Sicherheit‹ in der Lehre sucht, wer verbissen die verlorene Vergangenheit sucht, hat eine statische und rückwärtsgewandte Vision.“ ... "Ich habe eine dogmatische Sicherheit: Gott ist im Leben jeder Person. Gott ist im Leben jedes Menschen.“ und „Man muss auf Gott vertrauen.“
Mir kommt der Pfingstbericht in den Sinn. Der heilige Geist macht den Jüngern, die ängstlich hinter verschlossenen Türen theologische Probleme diskutieren „Beine“, er treibt sie nach draußen auf die Straße. Dort verkünden sie in vielen Sprachen Gottes große Taten. Und sie tun das mit großem Risiko. Und prompt stehen welche da und tönen: „Sie sind betrunken!“ Es klingt ähnlich wie manche Töne, die heute zu vernehmen sind, wenn der Hl. Vater zu uns spricht! 

Als Joseph Ratzinger Papst wurde, da meinten manche Kommentatoren: „Dieser Papst ist noch für eine Überraschung gut!“ Ich denke, dieses Wort gilt auch für Papst Franziskus.