Dienstag, 8. November 2016

"Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben, im Kreuz ist Hoffnung." Unsere Bischöfe ohne Heil, Leben und Hoffnung?

Das Kreuz! Den einen ein Ärgernis, den anderen ein Zeichen von Dummheit! Diese Worte des Hl. Paulus im 1. Korintherbrief sind erstaunlich aktuell geblieben, bis auf den heutigen Tag. Heftig wird über die Sichtbarkeit religiöser Zeichen im öffentlichen Raum gestritten. Darf ein Kreuz in der Schule hängen, darf es einen Fraktionssaal schmücken, das Krankenzimmer eines Muslims oder den Ort, an dem Recht gesprochen wird? Ob Paulus das alles ahnte, als er - aus seiner konkreten pastoralen Erfahrung - diese Worte zu Pergament bringen ließ? "Denn Christus hat mich nicht gesandt zu taufen, sondern das Evangelium zu verkünden, aber nicht mit gewandten und klugen Worten, damit das Kreuz Christi nicht um seine Kraft gebracht wird. Denn das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen, Torheit; uns aber, die gerettet werden, ist es Gottes Kraft. ... Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit."

Ein Text, von einer spirituellen Qualität, die mich immer wieder anrührt, gerade heute wieder in den Diskussionen um die "Qualität" christlicher Verkündigung, im Ringen um angemessene Wortwahl, Sprachkunst, Rhetorik... 

Aber, zurück zum Kreuz! Weit mehr als heute haben in Deutschland in den 30er/40er Jahren Menschen um das Kreuz gekämpft. In einer Zeit, wo ein "Führer" sein eigenes Bild just an dem Ort in einem Klassenzimmer aufgehängt wissen wollte, wo zuvor jahrhundertelang das Kreuz hing. Dieser "Tausch" war gewaltig aufgeladen und weit mehr als der Wechsel eines jahrhundetealten Symbolbildes gegen das Symbolbild einer "neuen Zeit". 

Generationen von Historikern und Theologen haben sich mit dem Kreuz Jesu beschäftigt. Ihre Beiträge füllen ganze Bibliotheken. Im Laufe der Jahrhundete kristallisierte sich am Kreuz eine ganze Theologie, eine Kunstgeschichte, eine Glaubenshaltung. Manche Erkenntnis der vergangenen Jahrhunderte droht uns heute leider wieder zu entgleiten. 

Aus dem Schandpfahl, dem Folterinstrument, dem Galgen ... wurde das Symbol des Christentums überhaupt, wurde ein Symbol des Triumphs des Lebens über den Tod, wurde ein Heilszeichen, wurde aber manchmal auch ein Zeichen eines kirchlich-weltlichen Triumphanismus und durchaus auch ein Zeichen einer Macht, in deren Namen Menschen unterdrückt und geknebelt wurden. 

Die wechselvolle Geschichte der Christenheit ist nicht arm an Ereignissen, wo das Kreuz Christi mißbraucht wurde, wo aus dem Zeichen von Tod und Auferstehung Christi ein Symbol wurde, das Herrschaftszeichen war, es schmückte Rüstungen und Kriegsbanner, Kreuzpartikel wurden im Kampf mitgeführt... Zweifel sind angebracht, ob das Kreuz immer das idealistische Zeichen war, als dass es heute vor allem gesehen wird. 

Für die Christen der ersten Generationen spielte das Kreuzesholz, an dem Christus gefoltert, zur Schau gestellt, gemordet wurde, kaum eine Rolle. Weder das Evangelium noch die Geschichte der Apostel noch die biblischen Briefe kümmern sich groß um die konkreten Balken, die Christus durch Jerusalem trug und an denen er dann gehenkt wurde. Sie gerieten in Vergessenheit und es erscheint nicht unwahrscheinlich, dass die Römer sie "recycelten", dass schon vor Christus und auch nach ihm weitere Menschen daran ihren Lebensgeist aushauchten. Darunter vermutlich echte Kriminelle und Widerständler gegen die römische Besatzung. Wie auch immer, das Kreuzesholz verschwindet im Nebel der Geschichte und taucht erst nach einigen Jahrhunderten wieder auf, als Kaiserin Helena es in Jerusalem wieder auffand. Von da an entfaltet sich eine Theologie des Kreuzes...  

Damals soll das Kreuz noch als Ganzes vorhanden gewesen sein, aber die meisten historischen Zeugnisse berichten nur von Teilstücken und Splittern. Während der Kämpfe und Kriege zersplitterte das Kreuzesholz immer mehr und so sind heute winzigste bis größere Teile des Kreuzes Christi über die ganze Welt verteilt. Mancher Spötter behauptet, dass man, fügte man alle zusammen, nicht nur eines, sondern gleich mehrere Kreuze Christi hieraus bilden könnte. 

In der katholischen Kirche (und auch in einigen protestantischen Kirchen) trägt ein Bischof ein Brustkreuz, ein sog. Pektorale. Kunst- und Religionsgeschichtlich wurzelt dieser Brauch durchaus in Herrschafts- und Schutzsymbolen vergangener Jahrtausende, bis heute kennen wir dies als "Amulett", ein Zeichen das den Schutz einer höheren Macht symbolisiert. Ein Pektoral war zwischenzeitlich auch Teil der Panzerung höherer Offiziere. 

Seit 1274 tragen Päpste ein Brustkreuz und erst das von Papst Pius V. herausgegebene Römische Messbuch schreibt seit 1570 auch Bischöfen das Anlegen eines Brustkreuzes vor. Doch seit der Antike gab es den Brauch, Medaillen mit dem Zeichen des Kreuzes oder Kapseln mit Reliquien zu tragen. 

Im Verlauf der Geschichte entwickelten sich vielfältige Formen der bischöflichen Insignie, die auch von Äbten und Äbtissinnen, Pröbsten und Prälaten getragen wurde. Aus kostbaren Materialien gefertigt, wies sie (auch) darauf hin, dass man es mit einer bedeutenden Person zu tun hatte. Wesentlich bleibt festzuhalten, dass ein Pektoral keinesfalls nur einfacher Schmuck ist, sondern ein mit Wert und Bedeutung augeladenes Zeichen eines besonderen Amtes und einer Beauftragung. 

Das Erzbistums München gibt auf der Homepage über die Insignien des Erzbischofs Reinhard Kard. Marx Auskunft: 
"Zu den bischöflichen Insignien gehört auch das Brustkreuz, das Pektorale, das aber auch nicht bei der Bischofsweihe förmlich überreicht wird. Es wird in der Messfeier heute über dem Messgewand getragen, wenn nicht – wie beim Erzbischof – das Pallium es ersetzt. Es gehört auf jeden Fall zur Chorkleidung, befestigt an der geflochtenen Schnur bzw. beim schwarzen Talar mit Schulterkragen an der Kette."

Zunächst blieb eine - im Grunde durchaus spektakuläre - Reise einer ökumenischen Delegation deutscher, evangelischer wie katholischer Bischöfe und Kirchenführer öffentlich relativ unbeachtet. Nun erhält sie zwei Wochen nach ihrem Ende plötzlich Aufmerksamkeit, weil Fotos durch die Netze kursierten, die die Bischöfe bei einem Besuch auf dem Tempelberg ohne Kreuze zeigten. 

Langsam nahmen sich die ersten Kommentatoren dieses Bildes an, es folgte der (was immer wieder besonders unterstrichen wurde) jüdische Historiker Michael Wolffson mit einem ausführlichen Kommentar in der BILD und - neben einigen Facebook- und Blogbeiträgen weitere kritische Zeitungsartikel - letztlich gar Jan Fleischhauer im SPIEGEL. 

Fleischhauer treibt seine Kritik messerschaft auf diese Spitze zu: "Es sind in der Geschichte des Christentums eine Menge Leute gestorben, weil sie genau das (Ablegen der Kreuze) abgelehnt haben. Man kann das unvernünftig oder verbohrt finden, in den Kirchen werden sie heute als Heilige und Märtyrer verehrt. So ist das nun einmal mit dem Glauben: Den Gläubigen imponiert Standfestigkeit, nicht die Kapitulation vor fremden Mächten." (Kleine Anmerkung: mich würde schon interessieren, ob Fleischhauer überhaupt eine konkrete Heiligenlegende zu erzählen vermag oder ob er sich das Argument nur ausborgt? Ja, es sterben bis heute Menschen, die ein Kreuz tragen, insbesondere in den Gebieten, die der IS beherrscht, aber es sterben auch Menschen, die sich als Jesiden oder Schiiten zu erkennen geben. Manchen von ihnen würde ich persönlich eher raten, sich nicht durch falschen Bekennermut in Gefahr zu bringen, sondern da wo es möglich ist, ohne den Herrn zu verleugnen, zunächst die Gefahrenzone zu verlassen. Auch Christen sollen das Martyrium nicht anstreben, erst recht nicht durch die Hand eines Verblendeten oder Irren.)

Christen unter den Bischofskritikern schleuderten den Bischöfen ein Jesuswort entgegen: "Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen. ... Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig." Ein Text, der wie für diese Situation geschrieben daherkommt. 

Der Historiker Michael Wolffsohn sprach in der BILD gar von Unterwerfung, "Kirchen-Sensation", wahrer und falscher Toleranz und Apeasement. Und von jüdischer Seite habe niemand jemals im Hl. Land von den Bischöfen gefordert, ein Kreuz abzulegen. 

Die wuchtige Kritik macht zunächst einmal sprachlos. Und die eher stammelnden Rechtfertigungen der von den Bischöfen beauftragten Sprecher ebenfalls. Da ist etwas hilflos und entschuldigend von "Respekt" und den Wünschen der muslimischen Gastgeber die Rede. Indirekt erfährt man, dass die Bischöfe in der konkreten Situation über die Symbolkraft der Geste und der entsprechenden Bilder gar nicht im Bilde waren.

Durch den aktuellen Islam - Diskurs in Deutschland und Europa bedingt kann man hier eigentlich nicht vorsichtig genug sein. Ein Brustkreuz ist - selbst für sonst dem Christentum längst entfremdete Personenkreise - allemal ein Symbol des Abendlandes, und für Christen umso mehr. 

Es abzulegen oder zu verbergen ist schon ein Zeichen, dass über eine respektvolle Geste hinaus geht. Daher gilt auch hier: Gut gemeint ist das Gegenteil von gut!

Wer in Ruhe die Bilder von der Israel - Reise durchgeht, findet aber auch zu weiterführenden Erkenntnissen. So finden sich auch Bilder der Bischöfe mit Kreuz, auch vor dem Felsendom. Verborgen wurden die Kreuze offensichtlich beim Betreten der Moscheen. Und anders als Wolffsohn mutmaßt, war den Bischöfen wohl auch an der Klagemauer geraten worden, ohne Kreuz zu erscheinen. (Manche Diskutanten halten das für ein vorgeschobenes Argument.) Doch die österreichischen Bischöfe waren 2007 ebenfalls mit der Aufforderung konfrontiert, an der Klagemauer ihre Kreuze zu verbergen. Und sie haben sich entschieden, dem jüdischen Heiligtum dann gar nicht nahe zu treten, sondern dem Gebet an der Klagemauer nur von Ferne beizuwohnen. Die deutschen Bischöfe sind an der Klagemauer nun ebenfalls ohne Kreuze im Gespräch mit gläubigen Juden zu sehen.

Ich bin - ehrlich gesagt - etwas ratlos und kenne keine glatte Lösung für diese Situation. Aber eines dürfte doch klar sein, es ging den Bischöfen sicher nicht um Unterwerfung, ich glaube auch nicht, dass es fair ist, ihnen Laschheit im Glauben oder mangelnden Bekennermut im Gespräch mit den islamischen Autoritäten vorzuwerfen. Ich denke auch, dass sie es den bedrängten christlichen Gemeinden schuldig waren, öffentlich als christliche Bischöfe den Tempelberg zu besuchen, wenngleich sie dort mit den gewaltigen Problemen des Nebeneinanders von Christen, Juden und Muslimen an diesem speziellen Ort konfrontiert wurden. Und dies unmittelbar nach der unseligen Deklaration der UNESCO. 

Kenner der Situation am Tempelberg haben darauf hingewiesen, dass dieser Ort ein hochsensibles Pflaster ist. Wer das Buch von Pater Nikodemus Schnabels über die Spannungen in Jerusalem gelesen hat, der ahnt, wie schwierig es ist, Begegnungen zwischen den Völkern und Religionen zu ermöglichen und welche Empfindlichkeiten es hier gibt. Dass die Bischöfe hier sensibilisiert waren und keine Fehler machen wollten, das kann ich gut nachvollziehen. Dennoch hätte ihnen die Brisanz dieser Geste klar sein müssen. Aber vielleicht waren sie durch die positiven gemeinsamen Erlebnisse etwas zu milde gestimmt?!

Was stört Muslime (und einige Juden) eigentlich am demonstrativ getragenen Kreuzsymbol? Der Koran lehnt es als "Heilszeichen" ab und behauptet, es sei nicht Christus am Kreuz gestorben, sondern einer, der ihm ähnlich sah. Einige islamische Länder kannten (und kennen) leider das Kreuz als Folter- und Hinrichtungsintrument. Der sog. IS kreuzigt ebenfalls Verurteilte. Das hat aber mit dem Kreuz des Christentums wenig zu tun. Hier regieren und verurteilen muslimische Mächtige mit der Motivation eines Pontius Pilatus. 
Dort wo das Kreuz von einem Muslim abgelehnt wird (es gibt solche Erfahrungen auch in Deutschland), da gilt diese Ablehnung dem Kreuz als Zeichen der Unterdrücker, des Kreuzzugs oder der zu Kreuzzüglern stilisierten Gegner aus dem Westen. Hier wirken vor allem die Fehler der Kolonialzeit, der westlich-amerikanischen Politik und der entsprechenden Kriegszüge nach und natürlich die Propaganda der Islamisten. Wir sollten durchaus im Blick haben, dass fast alle muslimischen Länder vor wenigen Generationen noch unter der "Herrschaft des Kreuzes" standen, wenngleich diese Tatsache natürlich keine Gewalttat rechtfertigt. 

Wo das Kreuz Jesu Christi für meine Gesprächspartner zu einem Symbol wird, das in der Aussage dem "Schwert des Islam" gleicht, da ist es vielleicht auch mal gut, es solange zu "verhüllen", bis man die wahre, eigentliche Symbolkraft vermitteln konnte. Wir verhüllen als Katholiken in der Fastenzeit das Kreuz, um es in seiner tiefen Bedeutung wieder neu zu entdecken und besser zu verstehen. Ein Zeichen ist niemals eindeutig. Und nicht jeder (auch in Deutschland) empfindet das bischöfliche Brustkreuz als Zeichen des Glaubens, der Demut, der Machtlosigkeit und der Hingabe. Ganz unschuldig sind die Bischöfe als dessen Träger mit Blick auf derlei "Mißverständnisse" nicht in jedem Fall. 

Die Bischöfe waren bei ihrem Besuch auf dem Tempelberg und an der Klagemauer nicht in der Situation, den Glauben durch das Tragen eines Kreuzes ausdrücklich zu bekennen. Sie waren als christliche Geistliche erkennbar und haben als solche gesprochen und sind respektvoll von hochrangigen Muslimen begrüßt und selbst in die sonst für Besucher gesperrten Gebäude geführt worden. Es galt hier nicht, den Glauben um jeden Preis zu verkünden. Das Abnehmen der Kreuze als Schwäche zu interpretieren, darauf wird der ein oder andere Islamist wohl erst kommen, wenn er des Morgens in Rakkah BILD oder SPIEGEL liest. Auch Christen, die die ein oder andere bischöfliche Handlung kritisch sehen, schaden durch gewissen Formen der Kritik dem Christentum an sich. 

Um nicht mißverstanden zu werden: In der Diskussion um die bischöflichen Kreuze zeigt sich eine verbitterte kirchlich-konservative Kritik an der Amtsführung einzelner Bischöfe und eine tiefe Unsicherheit und Angst mancher unserer Zeitgenossen gegenüber der Ausbreitung des politischen oder gar des kriegerisch-terroristischen Islam(ismus). Das sind wichtige Themen, über die man sprechen muss. Ob das anhand der diskutierten Vorgänge wirklich zielführend möglich ist, daran habe ich meine Zweifel. Aber wir müssen in der Sache reden. Zumindest mit denen, die noch reden wollen und zum Dialog in der Lage sind. Bei manchen Wortmeldungen der vergangenen Tage in den sozialen Netzwerken oder in digitalen wie Printmedien glaube ich allerdings nicht, dass es überhaupt noch um Dialog geht. Aber dennoch...

Dienstag, 1. November 2016

Lesenswerte "Letzte Gespräche" mit Papst Benedikt XVI.?!

Ich weiß nicht, was ich tun würde, wenn ich quasi im Vorübergehen einmal viel Geld verdienen könnte. Vermutlich würde ich diese Gelegenheit nutzen. 
So kann man sicher auch Peter Seewald nicht böse sein, dass er - in Absprache mit Papst em. Benedikt XVI. - die Protokolle einiger "letzter" Gespräche nun als Buch herausgegeben hat. Ursprünglich sollten diese "letzten" Gespräche wohl nur der Vorbereitung einer Benedikt - Biografie dienen. (Mir ging durch den Kopf, dass ich Peter Seewald vermutlich unrecht tue, wenn ich ihm hiermit ausschließlich finanzielle Motive unterstelle. Das stimmt sicher nicht. Das Werk ist lesenswert und sicher ein guter Abschluss der Reihe der Gesprächsbände. Vermutlich hat der Autor auch gemeint, dass er diese Informationen der Öffentlichkeit nicht vorenthalten dürfe. Trotzdem hat diese Buch ein ganz anderes "Gewicht".)

Da das Buch inzwischen einige Aufregung ausgelöst hat, und vor allem, da ich die drei ersten Interviewbände mit hohem Interesse gelesen hatte, war ich froh, als mir das Buch auf den Schreibtisch flatterte. 

Einige Eindrücke, die nach der Lektüre blieben, möchte ich hier notieren: 

(Dies ist übrigens der 100. Beitrag in meinem Blog)

  • Dreimal findet die Causa Williamson Erwähnung, ganz offensichtlich hat dieses Thema den Hl. Vater emotional sehr bewegt. Ihm ist wichtig, zu betonen, dass er über die Haltungen des unerlaubt geweihten Bischofs der Piusbruderschaft nicht informiert war.
  • Viele Themen des Gesprächsbandes wurden schon in früheren Bänden angesprochen, Seewald stellt manche weiterführenden Fragen, um Details für seine, in Arbeit befindliche Biografie zu erkunden. Einigermaßen befremdlich ist, dass beinahe jeder Seufzer des 264. Nachfolgers des Hl. Petrus aufgeschrieben wurde. Nicht immer ist das zum Verständnis des Inhaltes wirklich notwendig.
  • So bietet die Lektüre des Bandes wenig ganz "neue" Erkenntnisse. Wer sich an Wort und Tat seiner Amtszeit hielt und mit einigen Erläuterungen und Erklärungen aus seinem Umfeld beschäftigt hatte, der sieht sich hier in seiner Einschätzung bestätigt.
  • So z.B. in der Frage der Bewertung der Einführung der Mundkommunion für die großen Papstmessen auf dem Petersplatz, wo er ein weiteres Mal betont, dass er darin kein Signal für eine "Reform der Liturgiereform" setzen wollte. Auch den Wechsel von Marini eins zu Marini zwei möchte er nicht in diesem Sinne interpretiert wissen. Leider wird auch diese Aussage nicht dazu führen in den allfälligen Diskussionen mit dem Argument behelligt zu werden, das Papst Benedikt dieses oder jenes gewollt habe.
  • Natürlich antwortet Benedikt XVI. auch auf einige hartnäckige Fragen zu den Hintergründen seines Rücktritts - und natürlich gibt es keine neuen Antworten, allenfalls interessante Details. Spannend wäre es vielleicht gewesen, vom ersten emeritierten Papst der neueren Kirchengeschichte einige Sätze zu hören, ob er für den Fall eines weiteren Papstrücktritts bestimmte Ratschläge für denjenigen Papst geben würde, der ihm auf diesem neuen Weg einst folgen wird, z.B. in der Frage der Kleidung, der Präsenz außerhab des Ruhesitzes, der Wortmeldungen eines emeritierten Papstes oder dessen korrekte Anrede.
  • Etwas unfair fand ich auf S. 52, dass Seewald versucht, Interna aus dem Konklave 2005 zu erfahren, das ja mit der Wahl Papst Benedikt XVI. endete. Hier fragt er zunächst nach einer damaligen evtl. Favoritenrolle Kardinal Bergoglios, worauf ihm der Papst eine Antwort verweigert. Auf einige weiterführende Fragen folgt dann die Bemerkung des Interviewers: "Obwohl es heißt, er sei, wie schon gesagt, beim vorhergehenden Konklave neben Ihnen einer der Favoriten gewesen." Daraufhin sagt der Hl. Vater: "Das ist richtig. Aber ich dachte, das ist vorbei. Man hörte nichts mehr von ihm."
  • Es ist Papst Benedikt wichtig, keinen Schatten auf seine Beziehung zum amtierenden Papst Franziskus fallen zu lassen. Er betont, was auch schon früher u.a. von Erzbischof Gänswein gesagt wurde. Mit dem bisherigen Pontifikat seines Nachfolgers ist er zufrieden und drückt dies sehr überzeugend aus: "Ja. eine neue Frische in der Kirche, eine neue Fröhlichkeit, ein neues Charisma, das die Menschen anspricht. Das ist schon etwas Schönes."
  • Für "Fans" interessant sind sicher die Berichte und Details aus Kindheit, Jugend und Werdegang des Pontifex. Gänzlich Neues darf man hier aber wohl nicht mehr erwarten. Manches ist nett, anderes eher skuril zu lesen. Viele Personen werden genannt, mit denen Joseph Ratzinger sich verbunden fühlt(e). Interessant auch die Darstellung eines Wandels in der Theologie, angeregt durch die Jugendbewegung und die liturgische Bewegung, die Überwindung der Neoscholastik in den Jahren zwischen Studium und späterer Lehrtätigkeit.
  • Wesentlich Neues bringt auch die Behandlung des 2. Vaticanums nicht. Benedikt XVI. outet sich als "echter Fan" von Johannes XXIII., während des Konzils zählte er sich zu den Progressisten und man warf ihm vor an einem "typisch freimaurerischen Text" mitgearbeitet zu haben. Er betont, dass er sich auch theologisch immer treu geblieben sei und kann keinen Bruch zwischen einem Professor Ratzinger und dem Bischof und späteren Papst sehen.
  • Lesenswert sind auch die Bemerkungen über Karl Rahner und Hans Küng, Henri Lubac und Hans Urs von Balthasar.
  • Gefreut habe ich mich, dass er auf S. 205 noch einmal an die Trauerfeier für Johannes Paul II. erinnert: "Zugleich hatte ich das Bewußtsein, dass er (der verstorbene Papst) da ist. Dass er uns von seinem himmlischen Fenster aus segnet, wie ich das dann auch auf dem Petersplatz sagte. Das war keine Phrase. Das kam wirklich aus einem innersten Bewußtsein, dass er auch heute heruntersegnen wird, dass er da ist und dass die Freundschaft weiterbesteht auf eine andere Weise." Diese Sätze haben mich damals sehr bewegt und lange begleitet.
  • Sonderbar berührt, dass Seewald den emeritierten Papst auf eine Bemerkung anspricht, die Kardinal Marx geäußert haben soll. Diesem sei aufgefallen, dass die "Hofhaltung" im Vatikan viel zu pompös sei. Diesen Aspekt hob interessanterweise auch Erzbischof Gänswein bei der Vorstellung des Seewald-Buches besonders hervor. 2013 soll dieses Wort gefallen sein. "Kardinal Marx solle vor seiner eigenen Tür kehren." soll der Erzbischof angedeutet haben (er hat das allerdings nicht wörtlich so gesagt) und ähnlich kommentierten auch viele Nicht-Freunde des Münchner Kardinals. Wer will ihnen da widersprechen? Leider konnte ich ein solches Wort von Kardinal Marx nirgends dokumentiert finden, allenfalls folgendes aus einem Interview des Deutschlandfunk: Auf die Frage: "Der Papst kam im schlichten weißen Gewand auf die Loggia des Petersdoms, fuhr im schlichten Fahrzeug zur Kirche Santa Maria Maggiore durch die Stadt am Donnerstagmorgen. Ist das Programm? Ist das ein Zeichen, dass die Kirche jetzt ärmer wird und er sich mehr um die Armen kümmert?" antwortet der Kardinal: "Ja, ich glaube, er will deutlich machen: Er liebt nicht diesen äußeren Prunk. Er wird sich in manchen Dingen auch anpassen müssen. Man muss sich bewegen können. Er wird auch mit dem Flugzeug fliegen müssen, wenn er nach Rio de Janeiro will zum Weltjugendtag. Das ist klar, aber er möchte deutlich machen: Das ist nicht eine Kirche des Prunks und der Hofhaltung oder so etwas. Da ist er, glaube ich, zurückhaltend, und das finde ich auch ganz gut." Es erscheint schwer vorstellbar, dass Kardinal Marx hier einen offenen Vorwurf äußern wollte, ich glaube überhaupt nicht, dass er hierbei die konkrete Amtsführung von Papst Benedikt kritisieren wollte, auf keinen Fall jedoch seine persönliche Lebensführung. Ich weiß von meinem Bischof, dass die persönliche Bescheidenheit Benedikt XVI. unter den deutschen Bischöfen völlig außer Frage stand. Die Empfindlichkeit Benedikts an dieser Stelle läßt aufmerken. Der Papst selbst sagt dazu: "Wir haben immer sehr einfach gelebt, schon von meiner Herkunft her. ... Was den Kardinal zu seiner Bemerkung veranlasste weiß ich nicht." Es wäre wünschenswert wenn dieser Punkt zwischen Kardinal und Papst em. noch zu einer Klärung kommt.
  • Bemerkenswert ist das Engagement Benedikts in der Frage der Karfreitagsfürbitte in der a.o. Form des römischen Ritus und ihrer Neuformulierung. Auch hier hätte mich sehr interessiert, wie der Hl. Vater das Nebeneinander der ordentlichen und der außerordentlichen Form der Liturgie sieht und welche Entwicklungslinien er für sinnvoll hält. Natürlich ist ihm unbedingt zuzustimmen, wenn er sagt, dass es nicht richtig sein kann, eine Liturgie regelrecht zu verbieten, die über Jahrhunderte für die Menschen das Heiligste war. Aber das 2. Vaticanum hat ja auch deutlich gemacht, dass diese liturgische Form eine Reform nötig hat und Benedikt hat einen ersten zögerlichen Schritt ja auch mit der Neuformulierung der Karfreitagsfürbitte getan. Weitere Schritte waren ja schon bis 1962 erfolgt, aber welche wären jetzt noch dran, damit das Nebeneinander der ordentlichen und der außerordentlichen Form zu einem Miteinander wird, ganz im Sinne seines Begleitschreibens zu Summorum Pontificum: "Im übrigen können sich beide Formen des Usus des Ritus Romanus gegenseitig befruchten: Das alte Meßbuch kann und soll neue Heilige und einige der neuen Präfationen aufnehmen. ... In der Feier der Messe nach dem Missale Pauls VI. kann stärker, als bisher weithin der Fall ist, jene Sakralität erscheinen, die viele Menschen zum alten Usus hinzieht." Leider stellt der Interviewer, wie auch an manchen anderen Stellen, die notwendigen Fragen nicht. Ich bin sicher, dass Benedikt XVI. ihm das nicht übel genommen hätte, hier auch theologisch noch einmal herausgefordert zu sein.
  • Überraschend ist die Entschiedenheit, mit der Papst Benedikt XVI. in Fragen der Liturgie ein päpstliches "Machtwort" ablehnt. Hier könne man nur anregen und nicht "kommandieren".
  • Selbstredend interessiert mich besonders, was Benedikt XVI. über Deutschland schreibt. Das war ja auch zuvor schon hier und da recht genüßlich ausgebreitet worden. Der emeritierte Papst hält die Kirchensteuer zwar nicht für falsch, allerdings die automatische Exkommunikation für alle, die sie nicht zahlen möchten. Verständlich, wo doch die wenigsten Ortskirchen überhaupt Kirchensteuern kennen, allenfalls freiwillige Kirchenbeiträge. Niemand, der nicht spendet, ist deshalb aus der Kirche ausgeschlossen. Angriffe aus der deutschen Presse haben den deutschen Papst wenig beeindruckt. Und dann fällt das Wort vom "etablierten und hochbezahlten Katholizismus", das ich nach wie vor gern etwas erklärt hätte. Im Kontext der Freiburger Rede könnte man das in Richtung auf "Entweltlichung" deuten. Zumal er von den "angestellten Katholiken" spricht, die der Kirche in einer Gewerkschaftsmentalität entgegen träten. Ich vermute, das hinter diesen Formulierungen eine Mischung aus konkreten Erfahrungen und theoretischen Überlegungen steht und erinnere an den "bezahlten Knecht" aus dem Evangelium, den ich an anderer Stelle in diesem Kontext schon mal ins Gespräch gebracht habe. Die deutsche Kirche habe "zu viel bezahlte Mitarbeiter" und hierdurch einen "Überhang an ungeistlicher Bürokratie". Im Grunde wird jeder deutsche Pfarrer dieser Erfahrung zustimmen, angesichts zunehmender innerkirchlicher und außerkirchlicher Bürokratie. Aber wie dies auch angesichts der Einbindung der Kirche in gesellschaftliche Strukturen und Aufgaben und der Verantwortung für zahllose Arbeitskräfte verantwortlich zu verändern ist, daran werden sich wohl noch einige Generationen von Katholiken die Köpfe zerbrechen. Ähnliches kennt Benedikt nach eigenem Bekenntnis (einige Seiten später) ja selbst, wo er fragt, ob der Papst selbst nicht deutlichere Zeichen hätte setzen müssen, weil die Kirche sich von manchen Gütern zu trennen habe. "Vielleicht, aber es ist sehr schwer. Da muss man immer zuerst bei sich selbst anfangen. Hat der Vatikan zu viel? Ich weiß es nicht. Wir müssen sehr viel tun für die ärmeren Länder, de unsere Hilfe brauchen..." Dass die Richtung, die Benedikt mit seiner Freiburger Rede angedeutet hat und die er im Wirken von Papst Franziskus wieder entdeckt, richtig ist, das wird kaum jemand bestreiten. Aber auch hier hätte mich interessiert, wen Seewald, der das Stichwort "katholisches Establishment" in seiner Frage eingeführt hatte und wen Benedikt, der das mit "etablierten (und hochbezahlten) Katholizismus" aufgreift mit diesem Begriff überhaupt meint? Die Bischöfe? Die Pfarrer? Die Laien-Katechisten / Pastoralreferenten oder die höheren Verwaltungsposten in den Ordinariaten? Oder gar die Vertreter in Gremien und Verbänden, die diese Aufgaben auch hin und wieder in bezahlten Stellen ausüben. Und was möchte der Interviewer damit sagen, dass er unmittelbar nach Berlin die Reise nach Kuba anspricht und beispielsweise den "Heimatbesuch" in Bayern ganz ausspart?
  • Aufmerken ließ mich die Formulierung: "Wie Europa sich entwickeln wird, wie weit es noch Europa sein wird, wenn andere Bevölkerungsschichten es neu strukturieren, wissen wir nicht. .... Das Wort des Evangeliums kann natürlich aus Kantinenten verschwinden. ... Aber nie kann es ungesagt bleiben und nie unwichtig werden." Auch hier hätte ich mir gezielte Nachfragen des Interviewers gewünscht. Das Thema war noch nicht zu Ende besprochen.
  • Angenehm liest sich die Einordung der Malachias - Prophetien, mit denen zahlreiche Unheilspropheten rund um die Wahl des 266. Papstes nervten. Diese Prophezeiung sei im Umfeld des (Spaßvogels) Philipp Neri entstanden, der den Protestanten mit einer langen Liste von Päpsten hätte beweisen sollen, dass die Rede vom Ende des Papsttums Unfug sei.
  • Wer die theologischen Texte Benedikt des XVI. schätzt, seine Fähigkeit, komplizierte Sachverhalte zu erschließen und auf neue Weise ins Wort zu bringen, der wird in diesem Buch bis zur Seite 268 warten müssen. Natürlich ist mancher schöne Satz dabei, mancher erhellende Kommentar und manch menschelnde Episode. Aber erst die Antwort auf die Frage: Weißt Du wo der Himmel ist? ist wirklich wieder so ein echtes Bonbon der Theologie Joseph Ratzingers. Allen, die wenig Zeit haben, rate ich, auf die Lektüre des restlichen Buches zu verzichten, aber sich die Seiten 268 - 270 kopieren zu lassen. Das ist mein persönlicher Höhepunkt in diesem Buch.