(Quelle: wikipedia.de) |
Meine Frau hat auf die Frage, ob ihr das nicht viel zu anstrengend sei, mit drei Kindern wieder arbeiten zu gehen, einmal geantwortet: „Es ist mir viel zu anstrengend mit drei Kindern zu Hause zu bleiben.“ Da ist etwas Wahres dran... so „erfüllend“ in jeder Hinsicht die Aufgabe der Mutter oder des Vaters ist, es kann entlastend sein, wenn man noch etwas mehr als „nur“ Mutter oder „nur“ Vater ist; wenn man in Beruf und Ehrenamt seine Frau oder seinen Mann steht.
Bischof Overbeck, der mir nicht sehr sympathisch war, den ich aber trotzdem als Bischof und Theologen schätze, ist kürzlich (vor allem in Blogs und in Diskussionsportalen im Internet) schwer vermöbelt worden, weil er gesagt hatte: „Ich weiß aus meinem eigenen Bistum, dass es oft gut ist, wenn Kinder unter drei Jahren nicht zu Hause bleiben müssen, sondern in Krippen gut betreut werden.“ Und dann, das wurde als besonders ungeheuerlich betrachtet, sprach sich der Bischof gar für Kitas aus, die auch nachts geöffnet haben. Bischof Overbeck fordere Nachtkrippen, tönte es durch die Presselandschaft, dabei hatte der Bischof eine besondere Situationen vor Augen: „Ein Blick in unser Bistum zeigt, dass manche Kinder alleine gelassen werden, weil ihre Väter und Mütter nachts arbeiten müssen. Da braucht es doch Orte, wo Kinder einen verlässlichen Ansprechpartner haben - gerade dann, wenn ein Alleinerziehender überfordert ist oder die sozialen Beziehungen schwierig sind.“
Wir haben mit unserer Familie einige Jahre in einem sozialen Brennpunkt gelebt und gearbeitet. Ich kann Bischof Overbeck nur beipflichten. Die Situation in vielen Familien ist komplex und manchmal schwierig. Und das liegt nicht daran, dass Väter und / oder Mütter sich nicht bemühen würden. Vater, Mutter, Kind(er), so einheitlich wie das klingt, ist das heute oft nicht mehr.
Gerade aktuell ist wieder Kardinal Meisner dran! Er hatte die deutsche Politik ultimativ provoziert:
„Wo werden denn Frauen wirklich öffentlich ermutigt, zu Hause zu bleiben und drei, vier Kinder auf die Welt zu bringen? Hier müsste man einsetzen...“ und dann setzte er noch einen drauf, indem er die heutige Familienpolitik kritisierte und mit den DDR-Erfahrungen verband: „Ich habe ja die ganze einseitige Tragik schon mal mitgemacht in der DDR. Dort hat man den Frauen eingeredet, wer wegen der Familie zu Hause bleibe, sei dement. Weil man Produktionskräfte brauchte, wurde die Kinderkrippe erfunden. Dazu sagte ein sozialistischer Pädagoge: „Die Kinderkrippe ist in der Bibel ein Provisorium, und wir haben eine ständige Einrichtung daraus gemacht.““
Eine solche Steilvorlage kann man doch als Politiker, als „roter“ oder „grüner“ erst recht, nicht unwidersprochen lassen. Es sind starke Worte und die Nadelstiche darin sind schmerzhaft. Der Kirchenmann legt den Finger in die Wunde der ganzen Familienpolitik, ob von links oder von rechts. Wer kann das schon mit so wenigen Worten?
„Mehr Betreuungsplätze, mehr Frauen ins Arbeitsleben, mehr Frauen in die Führungsetagen und mehr Kinder!“ So tönt es landauf, landab aus allen Parteien, gestritten wird intensiv um das „wie“, um Wege, solche Ziele zu erreichen. Die einen fordern das „Betreuungsgeld“, das die anderen als „Herdprämie“ verunglimpfen. Die einen fördern Kinderbetreuung und die anderen rufen nach der häuslichen Mutter. Die Wirtschaft will, dass die gut ausgebildeten und fleißigen jungen Frauen möglichst nicht schwanger werden (oder schnell wieder arbeiten kommen und zwischendrin nicht mehr ausfallen) und die Familienministerin möchte gerade von denen viele kluge Kinder.
Das gleicht der Quadratur des Kreises. Es geht das eine nicht, wenn man das andere will. Mögen alle Ziele allein betrachtet gut sein ... zusammen sind sie unter den Bedingungen einer globalisierten Wirtschaft, in der allein das Geld und der Börsenkurs alles regelt und regiert, kaum zu erreichen.
Ich möchte Kardinal Meisner völlig recht geben. Wer mehr Kinder will, der muss Frauen ermuntern mehr Kinder zu bekommen. Der muss für eine kinderfreundliche Atmosphäre sorgen: "Kinderlärm ist Zukunftsmusik!" Der muss mithelfen, eine wirtschaftliche Perspektive zu eröffnen, der muss das Einkommen junger Familien sichern, der muss Betreuung möglich machen und der muss der Wirtschaft reinen Wein einschenken, nämlich dass Väter und Mütter Zeit für Familie brauchen und daher weniger Zeit für Karriere und Leistung einbringen können. Aber in einer Wirtschaft, wo jeder Cent Rendite zählt, ist das kaum zu vermitteln. Zumal die Familie ja weitgehend als „Privatsache“ gilt. Da braucht die „soziale Marktwirtschaft“ eine deutliche familienpolitische Komponente.
Die Familienpolitik ist ein vermintes Gelände. Kaum ein Beitrag bei dem es nicht zum Knall kommt, denken wir nur an die Debatten der vergangenen Jahre. Und jetzt kommt der Kölner Kardinal mit seinem Interview und kritisiert ausgerechnet die Politik der schwarz-gelben Bundesregierung. „Meisner: Frauen an den Herd“, so titelten Online-Portale und selbst bild.de spitzte die drei Sätze aus dem Interview mit dem Kölner Erzbischof ziemlich freihändig zu: „Frauen bleibt zu Hause und kriegt viele Kinder“. Das mag zwar einige „Klicks“ bringen, es ist aber so nicht in Ordnung. Der Kardinal hat nicht mehr verlangt als Respekt vor Frauen, die aus eigener Überzeugung mehrere Kinder haben und – gegen alle wirtschaftlichen Zwänge – trotzdem lieber zu Hause bleiben und sich um Kind und Kegel kümmern möchten. Hier ein allgemein gültiges Meisnersches oder gar katholisches Familienideal hinein zu dichten ist sicher menschlich und journalistisch unfair. Warum glaubt man eigentlich in der deutschen Presselandschaft dies mit dem Kölner Kardinal machen zu dürfen?
Es klingt wie eine Vorahnung, wenn er im selben Interview sagt: „Ich rede, wo es sein muss, sei es gelegen oder ungelegen. Es geht um die Botschaft ... Und da bin ich manchmal ganz verzweifelt. Denn aus meinen Predigten wird in manchen Zeitungen nie die Glaubensbotschaft zitiert.“ Aber, vielleicht müsste Joachim Kardinal Meisner durchaus einmal über seine Sprache nachdenken. Wenn er z.B. sagt, mit „Kirche von unten“ käme er nicht klar, denn Kirche baue sich „von oben her“ auf, dann ist ihm zuzustimmen, weil er sagen will, dass Kirche quasi „vom Himmel her“ gedacht werden muss. Aber viele denken bei einer solchen Formulierung an die Hirten die bestimmen und an die Schafe die zu folgen haben. Auch beim einleitenden Dialog über den Zusammenhang zwischen Eucharistischem Kongress und Missbrauchsfällen zeigt sich deutlich, dass Journalist und Kardinal ganz anders denken.
Ich bin nicht immer einer Meinung mit Kardinal Meisner. Aber das halte ich (und er wohl auch) für völlig in Ordnung. Ich würde sogar seine Wortmeldungen vermissen. Jeder bringt in die Debatte seine Impulse und Überzeugungen ein. Und dass ein 79jähriger Kardinal mit dieser Lebensgeschichte die Dinge anders sieht als ich als Vater von vier Kinder und etwas mehr als halb so alt oder anders als eine junge Mutter die wieder nur halb so alt ist wie ich, das ist doch keine Frage.
Und diesmal gibt er den wertvollen Impuls, darüber zu reden, welches gesellschaftliche Leitbild die Politiker und Publizisten eigentlich transportieren. Deren Ideal ist doch eher nicht, dass junge Väter und Mütter, sich der Familienarbeit und der Kindererziehung von drei bis vier Kindern widmen sollten. Wo sind Bestrebungen, die dafür sorgen, dass ihnen das auch finanziell möglich wäre? Wo werden ernsthaft und mit rechtlichem Anspruch Möglichkeiten geschaffen, dass junge Mütter und Väter sich neben der Familienarbeit auch dem beruflichen Fortkommen widmen können, durch Heimarbeitsplätze oder durch so flexible Arbeitszeitgestaltung? Selbst als Kirche sind wir da doch keine leuchtenden Vorbilder, auch wenn in einzelnen kirchlichen Verwaltungen manchmal bessere Bedingungen herrschen.
Was bedeutet es für die Entwicklung solcher Leitbilder, wenn als besonderer Wert des Zölibats angepriesen wird, dass ein zölibatärer Priester nun man „rund um die Uhr“ und „jederzeit“ für seine Gemeinde verfügbar ist. Was löst es aus, wenn Bischof Voderholzer im Interview verkündet, die Aufhebung des Zölibats (zugunsten verheirateter Priester) würde nur zu einer Verbürgerlichung des Klerus führen? Als wenn Kinder und Familie heute noch Ausdruck gesetzt – bürgerlicher Lebensform wären und weniger ein Abenteuer mit manchmal ungewissem Ausgang.
Vielleicht ist es ein Problem, dass alle Beteiligten wenn sie von bestimmten Familienlebensformen sprechen, alte Bilder von „früher“, oder genauer aus einer bestimmen, bürgerlichen Idealvorstellung im Kopf haben. Ich denke dabei an die Zeit und das Familienbild des Biedermeier. Aber, war das je mehr als ein Ideal und die Lebensform einer sehr kleinen Gruppe von Menschen? Schauen wir ruhig mal in die „gute alte Zeit“. Wie haben denn in den damaligen Musterfamilien die Mütter und die Kinder gelebt. Schauen wir in eine Bauernfamilie. Auch hier waren die Frauen voll in den Ablauf eingebunden. Sie hatten ihre Arbeit und die Kinder liefen so mit. Und sobald sie alt genug waren, packten sie mit an. Kinderarbeit würden wir heute sagen. So gut war die „gute alte Zeit“ weder auf dem Land noch in den Arbeiter- und Bergmannsfamilien. Und manche positive Erinnerung entspringt auch einer gewissen Verklärung. Wobei ich niemandem die Kindheit schlecht reden möchte.
Egal wie, gerade im Leben der Familien heute gibt es einen gewaltigen Wandel. Was einmal selbstverständlich war, gilt heute wohl nicht mehr. „Kinder kriegen die Leute immer...“ soll Adenauer dazu gesagt haben. Für Kanzler Schröder war das alles „Gedöhns“. Dabei geht es bei keinem Feld des Lebens so sehr ans „Eingemachte“ wie rund um die Familien, denn wofür sonst all die Anstrengungen in der Wirtschaft, im Verkehrsministerium, im Gesundheitswesen, auf dem Arbeitsmarkt und wohl auch in der Bundeswehr? Dass es aber so zentral ist, das spiegelt sich in der Bedeutung des zuständigen Ministeriums nicht wieder und auch nicht in der Besoldung derer, die sich als Erzieherinnen und Tagesmütter um den Nachwuchs der Familien und unseres Gemeinwesens kümmern. Da sollten wir einmal etwas ändern. Es muss ja nicht so bleiben, dass die wichtigsten Leitzahlen der Gesellschaft der Börsenindex und die Arbeitslosenzahlen sind.
Ich möchte Kardinal Meisner zustimmen und muss auch Bischof Overbeck recht geben. Beide sprechen ja nicht gegen Kinderkrippen und Ganztagsbetreuung. Aber sie sagen deutlich, dass unsere Perspektive sich verändern muss. Wenn ich meine Kinder im Kindergarten oder in der Ganztagsschulbetreuung abhole, erlebe ich, dass es ihnen dort gut geht. Oft wollen sie gar nicht weg, sondern mit ihren Freunden dort weiter spielen und mit den Erzieherinnen basteln und Projekte umsetzen. Ich habe die Erfahrung gemacht, das meine Kinder da gut aufgehoben waren und viel mehr positive Anregungen bekommen haben, als ich sie ihnen zu Hause hätte geben können. Denn auch zu Hause ist ja jede Menge zu tun, wo sich Mutter und / oder Vater zunächst einmal Haus und Garten, dem Mittagessen oder dem Staubsauger widmen müssen. Natürlich kommt es darauf an, den Kindern Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen, wenn sie nach der Schule oder nach der Betreuung nach Hause kommen und an den Wochenenden als Familie etwas miteinander zu unternehmen. Aber es gibt keinen Grund Kitas und Betreuungseinrichtungen, Schulen und Horte zu verteufeln. Den Kindern geht es dort gut und – auch da muss ich Bischof Overbeck recht geben – es geht ihnen dort manchmal besser, als wenn sie den ganzen Tag in ihrer Familie sind.
Nicht immer entspricht das konkrete Familienleben den idealisierten Bildern, die wir mit uns herumschleppen. Nicht immer bringen junge Männer und Frauen die notwendigen Fähigkeiten zur Erziehung und Förderung ihrer Kinder unmittelbar mit. Die Gesellschaft erwartet ja auch weitgehend, dass man Kinderpflege und Erziehung kann, ohne jegliche Ausbildung und Unterstützung. Hatte man früher zur Kindererziehung noch ein ganzes Dorf zur Seite, zumindest aber die Nachbarinnen und Nachbarn, so fehlen solche stützenden Strukturen (die manchmal auch belastend waren) heute zumeist völlig.
Für eine neue Bundesregierung (und alle, denen Kinder am Herzen liegen) gibt es viel zu tun. Hoffentlich bekommt die Familienpolitik und Familienförderung auf ihrer Agenda den zentralen Stellenwert, der ihr zukommt.
Bischof Overbeck im Interview: www.bistum-essen.de/start/presse-oeffentlichkeitsarbeit/pressemeldungen/pm-detailansicht/artikel/eltern-muessen-eine-wahlmoeglichkeit-haben.html
Erzbischof Joachim Kardinal Meisner im Interview: Es lohnt sich den Originaltext zu lesen und in Ruhe zu bedenken. Es steckt mehr drin, als die Schlagzeilen vermuten lassen. www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.interview-mit-kardinal-meisner-grosse-reformen-wird-es-kaum-geben.b3071016-c448-411a-8481-d406fc4fed9d.html