Sonntag, 19. Oktober 2014

Briefe von jungen, intelligenten, katholischen Frauen...

Wer bekommt nicht gerne Post, erst recht einen Brief einer jungen und intelligenten Frau? So hoffe ich, dass Walter Kardinal Kasper auch erfreut war, einen Brief von Victoria Bonelli zu erhalten, die nach eigener Auskunft in Wien Kommunikationswissenschaften studiert und nebenbei für ein katholisches Nachrichtenportal schreibt. Mit der Überschrift "Briefe aus Siena" knüpft sie an die Geschichte der Hl. Katharina von Siena an, die für ihre Zeit einen ungewöhnlich regen Briefwechsel mit mächtigen Personen in Staat und Kirche geführt hat - und dabei ein sehr offenes Wort pflegte. Im Alter von nur 33 Jahren starb die Heilige in Rom. 

Der aktuelle Brief aus Siena an den emeritierten Kurienkardinal Kasper motivierte mich zu einer Antwort nach Vienna. Ich bin gespannt, ob Frau Bonelli nach dem Vorbild der von ihr ausgewählten großen Heiligen und Patronin Europas auch den ganz normalen, wenig hochgestellten Briefeschreiber einer Antwort für würdig hält. Der ursprüngliche Brief kann hier nachgelesen werden: www.kath.net/news/47906

Domine non sum dignus! (Herr, ich bin nicht würdig...)

Liebe Frau Bonelli,
herzlichen Dank für Ihren Brief an Kardinal Kasper, den ich mit hohem Interesse gelesen habe. Ich finde es gut, wenn auch ganz normale Gemeindemitglieder ab und an einem Würdenträger der Kirche zu schreiben. Und natürlich macht es mich (und viele andere) neugierig, was eine junge (frisch verheiratete) Frau einem Kardinal der römischen Kirche, der auf ein langes Leben zurückblickt, zu sagen hat. So ganz genau haben Sie Ihr Alter in Ihrem Brief nicht offenbart, aber ich denke es könnte passen, wenn ich Ihnen schreibe, dass ich vermutlich etwa 15 Jahre älter bin als Sie. Ich bin nicht frisch, sondern seit 17 Jahren verheiratet. Gott hat uns in unserer Ehe vier Kinder im Alter von 8, 10, 12 und 14 Jahren geschenkt. Vor 23 Jahren habe ich meine Tätigkeit als Industriekaufmann aufgegeben, um einen kirchlichen Beruf zu ergreifen. 

Gerne habe ich in den letzten Monaten Ihre "Briefe aus Siena" gelesen, schon länger wollte ich Ihnen schreiben, da ich finde, dass diese Briefe gut formuliert sind, die Dinge präzise auf den Punkt bringen, mich immer wieder nachdenklich machen, aber auch zur eigenen Klärung und zum Widerspruch herausfordern. Sie schreiben, dass Sie Kommunikationswissenschaften studieren. Das merkt man Ihren Briefen und deren Präsentation durchaus auch an. 
Die Hl. Katharina war eine faszinierende Frau, für ihre Ernennung zur Kirchenlehrerin und Patronin Europas bin ich sehr dankbar. Auch wenn es manchmal befremdet, wie sie aus unterschiedlichen Positionen manchmal vereinnahmt wird, z.B. für den „Tag der Diakonin“. Da gefällt mir Ihr Gedanke, in die Fußstapfen der Hl. Katharina zu steigen und ihren Briefwechsel mit mächtigen Männern (und Frauen) in Kirche und Welt als Vorbild zu nehmen. 

Die Hl. Messe am Sonntag (28. Sonntag im Jahreskreis) war dieses mal auch für mich etwas Besonderes, da es die erste Messe war, die ich wieder in der Gemeinschaft meiner Heimatgemeinde mit feiern durfte. Durch eine Immunabwehrschwäche aufgrund meiner Krebstherapien war ich über Monate am Kirchenbesuch weitgehend gehindert. Ich bin meinen priesterlichen Kollegen sehr dankbar, dass sie jeden Sonntag mit der Hl. Kommunion zu mir gekommen sind. 
Ich freue mich, dass Sie – obwohl Sie Kommunikationswissenschaften und nicht Theologie studieren - dennoch so theologisch gebildet und mit klarer Positionierung schreiben. Davon bräuchten wir in der Kirche noch mehr Mitchristen. Leider habe ich an Theologie auch nur anzubieten, was ich durch mein Fernstudium und fleißige autodidaktische Lektüre erlernen konnte. Von daher mögen Sie evtl. Mängel entschuldigen. 

Natürlich hörte ich am Sonntag so wie Sie das Evangelium von der königlichen Hochzeit und die Schilderung der dramatischen Szene, in der der nicht disponierte Gast in die äußerste Finsternis verbannt wird. "Denn viele sind gerufen, aber nur wenige sind auserwählt“.
Der Priester gab sich in meiner Gemeinde große Mühe, das sperrige Evangelium aus dem historischen Kontext heraus zu erklären. Zunächst einmal formulierte er den exegetischen Befund, dass der Evangelist hier einige Jesusworte zusammengestellt habe, so dass sie in die Situation der damaligen Gemeinde hinein sprechen. Der Prediger schilderte die Situation der christlichen Gemeinde – u.a. gegenüber dem Judentum – und machte deutlich, wen der Evangelist mit den Gästen meint, die eingeladen waren, sich aber nicht als würdig erwiesen hatten, ja sogar vor einem Mord an den königlichen Boten nicht zurückschreckten. Die drastische Strafe deutete er mit Bezug auf die Erfahrung der Zerstörung Jerusalems und des Tempels. Mit den dann eingeladenen Gästen von allen Straßen und Plätzen seien die gemeint, die (aus allen Völkern gerufen) nun an Christus glauben. Warum derjenige, der kein Hochzeitsgewand trägt, nun auch recht drastisch gestraft wird vermochte er allerdings nicht stimmig darzulegen. 

Ich bin nicht sicher, ob ich über den Text so gepredigt hätte, ich neige nicht dazu einen sperrigen Text exegetisch zu entschärfen. Doch "in Hinblick auf die Eucharistie" und die konkrete Messe in der Kapelle hätte ich den Text nicht ausgelegt. Damit tut man dem biblischen Text doch ein wenig Gewalt an. 
Daher kann ich verstehen, dass einige Leute in Ihrer Gemeinde Unmut äußern, weil sie mit dem Mann ohne Hochzeitsgewand gleich gesetzt wurden, mit einem, der in die äußerste Finsternis gehört, weil er – wie sie - nicht ausreichend disponiert und im Stand der Gnade zum Kommunionempfang hervortreten. Das mag ja kirchenrechtlich (möglicherweise) sogar stimmen, aber es kommt doch etwas mit dem Holzhammer daher.

Mein Pfarrer merkt ab und an im Gottesdienst an, dass niemand zur Kommunion „vorgeladen“ wird, dass man auch sitzen bleiben kann und dass zum Kommunionempfang gehört, dass man Christus begegnen möchte und daran glaubt, dass Christus selbst in der Hostie zu uns kommt. Noch nie hat jemand deshalb erbost die Kirche verlassen. Wohl aber sind manche sitzen geblieben, die sonst kommuniziert hätten, „weil man das halt so tut.“
Wohlgemerkt, mit der "unveränderlichen kirchlichen Lehre" in diesem Punkt, dass ich zur Kommunion nur im "Stand der Gnade" gehe, habe ich gar kein Problem. Doch verstehe ich, dass jemand nicht unmittelbar mit diesem zu verstoßenden Gast identifiziert werden möchte. Auch erhebt sich der Priester hier in die Position des Königs, der ja hier als Gleichnis Gottes zu verstehen ist. Ich denke, dass der Herr selbst im Evangelium häufig dafür sorgt, dass seine Zuhörer im innersten angerührt werden, dass er aber gerade nicht verurteilt, sondern dafür sorgt, dass die Menschen selbst erkennen, dass sie Sünder sind, die der Herr angeschaut hat. 
Ich hätte eher Mitleid mit "diesen armen Menschen" empfunden und gerne mit ihnen geredet, warum sie sich an dieser Stelle so getroffen und verletzt gefühlt haben. Ich bin nicht sicher, ob Ihre harte Interpretation, "dass sie sich nicht dafür interessieren, was sie tun müssen um die heilige Kommunion würdig zu empfangen" wirklich zutrifft. Möglicherweise, aber sicher ist das nicht. Auch muss es nicht sein, dass es sich um "sporadische" Messbesucher gehandelt hat.

Durchaus teile ich Ihre Einschätzung, dass manche Gottesdienstbesucher zu wenig darüber nachdenken, was der Kommunionempfang tatsächlich bedeutet. Hier verkehrt sich das bedeutsame Reformanliegen des Hl. Papstes Piux X. in sein Gegenteil. Aber bei aller Hochachtung vor dem Lebenszeugnis des Hl. Tarcisius; ob ich im Fall der Fälle wirklich mein Leben geben würde, um einen Räuber daran zu hindern mir die Krankenburse zu stehlen, das weiß ich auch nicht. Ich habe während der Krebstherapie häufiger darüber nachgedacht, ob die Angst vor einer möglichen Infektion, die die Therapie gefährden würde, für mich wichtiger ist als die Teilnahme an der Eucharistiefeier. Von daher fühle ich mich von diesem Satz in Ihrem Brief durchaus angerührt. 
Doch ist das wirklich ein Ausweis wahren Christentums in den Augen einer so jungen Frau? Ich würde sicher mein Möglichstes geben, aber wenn mir einer ein Messer vorhält wohl auch nicht in die Klinge springen, da bin ich ehrlich. Bin ich deshalb in Ihren Augen ein defizitärer Christ?

Dass die Beichte als Sakrament in einer tiefen Krise steckt, beschreiben Sie ja sehr gut. Nur mit Ihrer „Illustration“ der Probleme bin ich nicht ganz einverstanden. Zu einer guten Beichtvorbereitung im Rahmen der Erstkommunion sollte durchaus auch gehören: was war gut, was kann ich gut, wo bin ich gut ... und auf der anderen Seite, was ist schief gegangen, wo habe ich Fehler gemacht. Im Rahmen meiner Arbeit mit Kindern und Jugendlichen bin ich dafür neu aufmerksam geworden, dass auch die positiven Seiten angemessen gewürdigt gehören. Wenn ich in einer Ferienfreizeit mit einem der Betreuer über seine "Schwächen" sprechen möchte, darf ich nicht vergessen, auch seine Stärken zu beschreiben, sonst kommt manches "schief" rüber und eine positive Entwicklung kann verhindert werden. Von daher wird es die Religionslehrerin "gut gemeint" haben. Ich bin sicher, eine "böse Kirche" haben Kommunionkinder heute nicht mehr erlebt, eine "strenge Kirche" ab und an noch einmal deren Eltern. Aber ansonsten gehen sie sehr unbefangen an die Beichte heran und erleben diese als positiv.

Dein Eindruck, dass viele Menschen "NICHTS zu bereuen" haben teile ich durchaus. Das hat leider mit der sehr großen Individualität und Vereinzelung zu tun, aber sicher auch mit der Natur des Menschen, der dazu neigt, sich das eigene Verhalten schön zu reden. Ich kenne das von mir ja auch und wir sind ja täglich damit konfrontiert, auch im ganz normalen Zusammenleben, selbst in der katholischen Gemeinde. Selbstreflexion und Gewissenserforschung werden immer seltener, sogar unter treu Frommen und kirchentreuen, konservativen Katholiken. Was da alles im Brustton der eigenen Gerechtigkeit z.B. auf facebook und in „christlichen“ Foren formuliert und teils Anderen unterstellt wird... All das wirft ja auch ein Schlaglicht darauf, ob jemand zum demütigen Zuhören und auch zum in-sich- und auf-Gott-Hören in der Lage ist und zur ehrlichen Einsicht in die eigenen Schwächen. „Non serviam!“ das ist auch hier manchmal mit Händen greifbar.

Ich bin selbst Pastoralreferent und es macht mich neugierig, wo man in meinem Beruf einmal in die Verlegenheit kommt, einer Kirchengemeinde Anweisungen zu erteilen. Wie auch immer, man sollte die Kollegin einmal auf die biblische Quelle dieser liturgischen Antwort hinweisen und sie bitten, zunächst den biblischen Text zu lesen. Dann verbietet sich diese leicht-fertige Interpretation von selbst. Ich persönlich kann das gut mitsprechen, „Herr ich bin nicht würdig, dass Du eingehst...“, weil ich weiß, dass ich es nötig habe, dass er sich mir zuwendet und dass ich Gott nicht von mir aus auf Augenhöhe begegne, sondern dass er selbst sich zu mir niederbeugt und sich für mich klein gemacht hat und bis heute klein macht. Natürlich heißt das Wort – recht verstanden - nicht: "Ich bin unwürdig...", sondern man müsste deutend sagen: "Herr, ich bin würdig Dir zu begegnen, weil Du mir Würde geschenkt hast, weil Du mir entgegenkommst..." Ich hoffe einmal, dass die Kollegin das auch gemeint hat. Ich teile aber nicht Ihren Eindruck, dass viele Menschen sich aus sich selbst heraus zur Gottesbegegnung für würdig halten, sich selbst also letztlich über Gott erheben. Und bei allem Spott, der manchmal über uns Katholiken hineinbricht, verbitterte Christen (wie sie das beschreiben) begegnen mir (zum Glück) selten. (Wir sollten  nicht übersehen, es gibt wirklich Menschen, deren Selbst-Bewußtsein angekratzt ist und die die Formulierung „Ich bin nicht würdig...“ falsch verstehen könnten und auf ihren Selbstwert beziehen. Hier müssen wir sensibel sein.)
Aber ich vermute, dass ich Ihrem Gedankengang nicht ganz richtig folgen konnte, es geht Ihnen offensichtlich mehr um eine Haltung, aus der man sich einen Gott selbst zurechtdefiniert, einen Gott, der letztlich nicht mehr als ein Götze ist. Das wäre in der Tat ein schwerer Fehler und eine Ur-Sünde. 

Ist es wirklich so, dass die Studenten, mit denen Sie zusammen sind, so wenig spüren, wie bedeutsam die Eucharistie für uns Katholiken ist? Es kommt sicher auf den Blickwinkel an, ich würde schon denken, dass die weitaus meisten Katholiken, die bei uns in Voerde die Kirche besuchen, in diesem Punkt durchaus noch gut katholisch orientiert sind. Allerdings sind diese ja wirklich nur ein Teil – sagen wir mal 20 Prozent – von denen, die offiziell noch als Kirchen(steuer)mitglieder dabei sind. Da fürchte ich, haben Sie mit Ihrer Diagnose wohl recht. Diese Menschen erreichen wir mit unseren pastoralen Aktivitäten leider kaum. Wobei die Pastoral, das möchte ich betonten, schon sehr stark um die Eucharistie "kreist". Es ist durchaus die Mitte der Gemeinde, dass wir Eucharistie und Gottesdienst feiern, beten, pilgern... Dass wir Besinnungstage halten und Katechesen für Tauffamilien, Erstkommunionkinder und Jugendliche, die die Firmung empfangen möchten. Ich denke, das ist – auch wenn ich nicht Priester oder Diakon bin - doch der Schwerpunkt meiner Arbeit. Ob das Ziel der Pastoral nun sein muss, dass sie bereit wären, für die "konsekrierte Hostie das Leben" zu geben... das würde ich so nicht sagen. Aber doch, im Glauben im Leben verankert zu sein und im Fall des Falles sich auch für den eigenen Glauben ins Zeug zu legen und wirklich etwas dafür zu tun, das sollte schon zu den Zielen gehören. 
Glücklicherweise gehört das Blutzeugnis in Deutschland noch nicht so zum christlichen Leben, wie das zur Zeit unsere Schwestern und Brüder in Syrien und im Irak erleben. Aber wir können etwas für sie tun, wenn sie unsere Hilfe brauchen oder gar als Flüchtlinge an unsere Türen klopfen. Wir haben z.B. beschlossen ein leer stehendes Pfarrhaus zukünftig als Flüchtlingsunterkunft zu nutzen. 

Sie erzählen eine Begebenheit aus dem Firmunterricht. Ich frage mich, ob diese Deutung eigentlich zwingend ist. In unserer Kirche würde es sich so nicht ereignen, weil der Pfarrer den Ministranten und den anderen Diensten die Kommunion reicht. Aber wenn ich in der Situation des Kommunionhelfers gekommen wäre hätte ich möglicherweise auch gefragt, warum sie nicht kommunizieren wollte und mich vermutlich über deren Antwort gefreut. Es hätte ja auch anders sein können, so dass das Mädchen nicht versteht, dass es in der Kommunion Christus empfängt und dass der Spender als Person hinter diese Wirklichkeit im Grunde vollständig zurück tritt. Es hätte ja auch sein können, dass sie einen verborgenen Groll gegen den Spender fühlte und dieser ihrer Christusbegegnung im Wege stand. Und nach dem Wort, das Jesus einmal gesagt hat: Versöhne Dich bevor Du Dein Opfer zum Altar bringst.... achte auch ich darauf, dass ich am Sonntag jedem die Hand zum Friedensgruß reichen kann. 

Sie haben sehr fein gespürt, wo in Kardinal Kaspers "Evangelium von der Familie“ die Schwächen stecken und halten ihm diese Schwäche vor Augen. Wenn ein geschiedener Wiederverheirateter "Verlangen nach dem Sakrament hat" ... "dann wird er sicherlich bereit sein, zu beichten und in Zukunft enthaltsam zu leben.“ Bei aller Hochachtung für die Worte des heiligen Papstes Johannes Paul II in Familiaris consortio überzeugt mich das Konzept der "Josefsehe" nicht. Das führt für mich die Frage der Sakramente sehr eng. Ehebruch wäre dann nur, wenn die Partner aus einer getrennten Beziehung sich nicht "der Akte enthalten, welche Eheleuten vorbehalten sind". Das ist mir – ehrlich gesagt – zu genital! Hier ist für mich das Gebäude der kirchlichen Ehelehre etwas wackelig oder grob und wenig überzeugend. Wie soll das gehen; auf der einen Seite eine Wertschätzung der Sexualität zu verkünden und auf der anderen Seite dann Grenzen definieren zu müssen, wo diese Akte denn nun im katholischen Verständnis beginnen? Ist ein Abschiedskuss am Morgen noch statthaft oder eine zärtliche Umarmung? Darf man noch zusammen in einem Schlafzimmer schlafen oder muss man sich eine neue Wohnung mit getrennten Zimmern anmieten? Wie "Bruder und Schwester" kann ein Paar sicher nicht leben, wenngleich ich schon der Meinung bin, dass die Bedeutung der genitale Sexualität auch hin und wieder übertrieben gesehen wird. Hier gäbe es noch manches zu durchdenken und zu durchbeten. 

Ich bin ein großer Freund der kirchlichen Ehelehre und bin der festen Überzeugung, dass sie für die Kirche (wie für die Paare) ein Schatz ist. Wie schön, dass ich in den Armen meiner Frau spüren darf, wie treu Gott zu mir steht. Wie schön, dass sie mich hält und für mich in ihrer Liebe Christi Liebe auch dann erfahrbar ist, wenn es mir schlecht geht und ich zum Gebet nicht in der Lage bin. 
Die Frage ist für mich, was wir konkret tun können, damit die Ehe eine spürbare sakramentale Wirklichkeit auch für die Welt bleibt. Welchen Sinn macht eine sauber formulierte Ehelehre, wenn kaum noch einer danach lebt, weil sie als schwer nachvollziehbar und wirklichkeitsfremd erlebt wird. Das Rezept kann aber nicht sein, die sakramentale Dimension der Ehe aufzugeben oder ein Sakrament "light" zu entwickeln, sondern eher den Kern der kirchlichen Lehre von Überkrustungen und Verschlackungen zu befreien. 

Heute ist es so, dass die eigentliche Theologie der Ehe und das Evangelium von der Familie in der kirchlichen Diskussion sehr von kirchenjuristischen Definitionen überlagert ist. Die Diskussion um den Ehevollzug, den "Akten", die Eheleuten vorbehalten sind und der Möglichkeit einer Zweitehe als "Josefsehe" müsste hier in den Blick genommen werden. Wir können doch nicht ernsthaft behaupten, dass der Kern des Problems bei der Kommunionzulassung derer, die in zweiter Ehe verheiratetet sind, in dem Aspekt liegt, dass sie miteinander Sex haben. Hier sollten wir uns von überkommenen Vorstellungen lösen und die Ehe und den "Ehevollzug" ganzheitlicher betrachten. Dazu gehört doch mehr als der "Beischlaf" in der Hochzeitsnacht. Mag es im Jahre 1563 noch notwendig gewesen sein, solche Aspekte (kirchenrechtlich und juristisch) klar zu formulieren, so hat sich mit der höheren Wertschätzung der zwischenmenschlichen Liebesbeziehung, wie sie sich in den letzten 100 – 150 Jahren entwickelt hat, die Perspektive doch deutlich verändert. Wie wäre sonst wäre z.B. eine Ehe wie die zwischen Ihnen und Herrn DDr. Bonelli möglich gewesen? Wie sollten wir als Kirche diese "Liebesheiraten" nicht als "Wink des Hl. Geistes" interpretieren, erst recht, wenn wir in der liebevollen Beziehung, ja sogar im geschlechtlichen Miteinander der Eheleute ein Sakrament, ein Ab-Bild der Beziehung Gottes zu den Menschen erkennen. 

Ich freue mich, dass die Synode sich in diesen Tagen all diesen Fragen offensichtlich widmen möchte und schließe mich der in der Relatio formulierten Überzeugung an, dass es notwendig ist „das Band zwischen dem Sakrament der Ehe und der Eucharistie in Beziehung zu Kirche und Sakrament theologisch zu vertiefen“. Nur aus einer vertieften und durchbeteten Erkenntnis hierüber kann eine Lösung für die heutigen Probleme entwickelt werden. Das würde auch die berechtigten Bedenken des polnischen Erzbischofs Gadecki aufgreifen: „Unser erstes Ziel sollte es doch sein, die Familienseelsorge zu unterstützen und nicht, sie zu beschädigen, indem wir auf schwierige Situationen eingehen!“
Nein, die Lösung kann natürlich nicht von den „schwierigen Situationen“ her kommen, sondern muss aus dem tieferen Verständnis der Sakramentalität der Ehe heraus gefunden werden. In diesem Zusammenhang sollte auch die Haltung der Kirche zum Gottesgeschenk der menschlichen Sexualität weiter geklärt werden. 
Wir sollten uns letztlich die Frage stellen, welchen Sinn eine „saubere“, nur an der Tradition der Kirche orientierte erneute Festschreibung der Lehre hat, wenn diese für das konkrete Leben der Christen nicht mehr relevant ist. Ich halte es für notwendig, eine Sakramententheologie der Ehe (nicht neu zu „erfinden“, sondern sie neu) zu formulieren, die auch für einfache, gläubige Menschen verständlich und spürbar ist und deren Wahrheit in den täglichen Erfahrungen als Verliebte und später auch schon länger verheiratetes Paar konkret spürbar wird.

Es klingt mir in den aktuellen Diskussionen (in den Medien und unter Katholiken) viel zu sehr nach "alles oder nichts". Auf der einen Seite die Verteidiger der "reinen Lehre", auf der anderen Seite – angeblich – die, die diese Lehre aufgeben wollen. Dafür ist ja Kardinal Kasper schon vielfach hart angegangen worden, Ihr Brief stellt da vom Ton her eine angenehme Ausnahme dar.  Erzbischof Gänswein hat in diesen Tagen gesagt: „Zulassung der Wiederverheiratung widerspreche dem Willen Jesu“. Wer möchte ihm da widersprechen. Aber es geht ja auch gar nicht um die Zulassung einer sakramentalen Wiederverheiratung sondern um den pastoralen Umgang mit Menschen, die in dieser Situation leben. 
Die Polarität die hier aufgerichtet wird, wird der Problemlage aber nicht gerecht. Leider drängt sich der Eindruck auf, dass in der Presse und in publizistischen Aktionen Bischöfe in eine Positionierung gedrängt werden, die der Thematik nicht angemessen ist. Auch der "Kasper – Seite" geht es um die unverfälschte Lehre und den Willen Jesu. Bei Menschen, die in nach katholischer Auffassung ungeordneten Beziehungen leben, geht es ja nicht um Verbrecher und Todsünder in weltlicher Auffassung. Das sollten sie im Umgang der Kirche und der Gemeinden mit ihnen auch spüren. Daher halte ich den Vorschlag Ihres österreichischen Kardinals Schönborn (Gradualität), der auch in der Relatio von Kardinal Erdö seinen Niederschlag gefunden hat, für sehr hilfreich, dass wir anerkennen, dass es auch jenseits der klassischen Ehe Stufen und Schritte des Guten und Wahren gibt. Es mag manchen Kritikern sehr nach „Der Weg ist das Ziel“ klingen, aber es kommt dagegen für uns Katholiken darauf an, am Ziel festzuhalten, ohne dem Pilgerweg jede Bedeutung abzusprechen. 

Jetzt ist es doch viel länger geworden als zunächst geplant. Aber nehmen Sie es als Zeichen der Verbundenheit und Wertschätzung. 

Mit den besten Wünschen für Ihre junge Ehe, verbunden mit einem herzlichen Gruß an Ihren Ehemann verbleibe ich im Gebet verbunden
Ihr
Markus Gehling

Donnerstag, 2. Oktober 2014

Kein Selfi mit Kardinal Müller? Schade!

Wir leben in einer visuellen Welt. Zu einer richtigen Nachricht gehört ein Foto. Das Phänomen geht so weit, dass Meldungen aus Kriegs- und Krisengebieten mit Fotos bebildert werden, die gar nicht zeigen, was sie zu illustrieren vorgeben.

Kürzlich sorgte eine – eigenartig bilderlose – Meldung für ein kurzes Rauschen im katholischen Blätterwald: Nach längerer Funkstille trafen sich Gerhard Ludwig Kardinal Müller und Bernhard Fellay, der "unerlaubt" geweihte Bischof und Generalobere der Priesterbruderschaft St. Pius X. (Fraternitas Sacerdotalis Sancti Pii Decimi FSSPX) im Vatikan. Je nach "ideologischer" Ausrichtung wählten die jeweiligen Medien dazu Bilder aus ... nur ein echtes Foto der wirklichen Begegnung wurde nicht publik. War bei den Beteiligten die Sorge zu groß, dass eine(r) der Abgebildeten zu freundlich oder fröhlich (oder auch frustriert) schaute und dieser Blick zu Interpretationen Anlass geben könnte?

Im offiziellen "Kommuniqué" der Bruderschaft war von "herzlicher Atmosphäre" die Rede und dass man den Austausch suchen wolle, um "auseinanderweichende Punkte" zu klären. Der Vatikan teilte mit, die Begegnung habe im "herzlichen Klima" stattgefunden und man habe über einige "Probleme lehrmäßiger und kirchenrechtlicher Natur" gesprochen und wolle diese mit dem Ziel der "vollen Aussöhnung" überwinden. Klingt ein wenig wie "hat sich bemüht..." im Arbeitszeugnis.

Ich glaube ja gern, dass das Treffen selbst für die Beteiligten nicht unangenehm war. Im Grunde ging es dabei um nichts, denn alle Probleme sind längst benannt, der Streit längst gestritten und die Positionen klar. Der eine Partner sagt: es gibt eine "Präambel" und nur durch diese Pforte geht es rein; der andere Partner sagt: wir würden ja durch diese Pforte gehen, aber wir haben Angst vor dem, was uns hinter der Tür erwartet... Schlimmstenfalls ist es nämlich Fidenzio Volpi, der dann nach den Franziskanern der Immaculata auch mit der Piusbruderschaft "Schlitten fährt". 

Dass die Querelen rund um diesen traditionalistisch überzuckerten oder unterfütterten neuen franziskanischen Orden einen Widerhall in der Szene rund um die Piusbruderschaft finden, zeigt Bischof Fellay eindrucksvoll mit seiner Predigt bei der Wallfahrt des deutschen Distriks nach Fulda, wo er die "Zerstörung der Franziskaner der Immaculata" anprangerte (das war noch vor dem Besuch bei der Glaubenskongregation). Den "wahren Grund" für die Visitation dieser Gemeinschaft und die Einsetzung eines apostolischen Kommissars (durch Papst Benedikt) sieht er darin, dass die Gemeinschaft begonnen habe "über das Konzil zu sprechen". Er bedauert ausdrücklich, dass die marianischen Franziskaner nicht wagen würden, sich gegen den Vatikan zu wehren. Fellay behauptete, dass zwei Drittel der Franziskaner eine neue traditionalistische Gemeinschaft gründen würden, wenn es ihnen denn erlaubt würde (andere Quellen sprechen allerdings von 30 Austrittswilligen bei 300 Mitgliedern). Bischof Fellays Fazit: "So wollen wir nicht enden." 

Vor diesem Horizont kann man froh sein, dass im Hause Müller eine "herzliche Atmosphäre" geherrscht haben soll. Hoffentlich hat Bischof Fellay seine Sorgen nicht nur bepredigt sondern auch offen angesprochen und dabei in "herzlichem Klima" vielleicht auch einen kleinen Einblick in die Probleme dieser jungen Gemeinschaft bekommen, die womöglich nicht nur in der alten Messe und einer zu eng geführten Theologie begründet sind. Da Papst Benedikt XVI. höchstselbst die Visitation veranlasst hatte, mag ich nicht so recht an Umtriebe einer allzu liberalen Kurie glauben. Offizielle Stellungnahmen gibt es hierzu leider nicht, aber der Furor, mit dem interessierte Kräfte die Visitation kirchenpolitisch vereinnahmen, macht mich ausgesprochen skeptisch. Ob da auch wohl Kommentatoren dabei sind, denen eine weitere Annäherung zwischen Piusbruderschaft und offizieller Kirche ein Dorn im Auge wäre?

Ich kenne Bischof Fellay nicht und bin auch Kardinal Müller nur einmal persönlich begegnet. Bernhard Fellay erscheint mir in Texten und Videos jedenfalls als sympathischer, besonnener, kluger und ausgleichender Mann. Mein Eindruck ist, dass beide Kirchenmänner sich herzlich begegnen können und auch in manchen Punkten der Betrachtung des ganzen breiten Themenfeldes, das sich im Umfeld der Problematik der Piusbruderschaft auftut miteinander reden können und manchmal auch ähnlich denken. Müller ist ein gebildeter Dogmatiker und guter Denker. Und er ist sehr klar, wenn es darum geht, was machbar ist und was nicht. 

Zur Zeit wird viel über Salafismus diskutiert und darüber, was das mit dem Islam zu tun habe. Mein Eindruck ist, dass es durchaus gedankliche Verbindungslinien gäbe, dass man die Bruderschaft durch diese Brille auch einmal (soziologisch) als Salafisten des Katholizismus betrachten dürfte. Sie nehmen für sich in Anspruch, einen besonders "reinen" und "ursprünglichen" Katholizismus zu leben, der auf die eigentlichen Quellen und die reiche Tradition des christlichen Glaubens und die Kirchenväter zurückgeht. Ganz ähnlich argumentiert ja auch mancher Salafist. Natürlich wird sich ein Freund der Piusbruderschaft wegen der Gegnerschaft, die diese auch zum Islam(ismus) kultiviert, über den Vergleich empören, aber ganz abwegig und unangemessen ist er wohl nicht. Die Piusbruderschaft setzt klar auf die Herrschaft der göttlichen Gebote auch in einer säkularisierten Gesellschaft; sie hält sich für den "heiligen Rest" einer Kirche, der sich über die Umbrüche des 2. Vatikanums in die heutige Zeit gerettet hat. Auch wenn sie sich der "Erneuerung des katholischen Priestertums" widmen will, so ist mit Erneuerung hier eher Restauration gemeint. 

Ich halte gar nichts von eine Dämonisierung der Piusbruderschaft, wie es vielfach geschieht, erst recht nach der "Panne" mit dem Exzentriker und Holocaustleugner Bischof Richard Williamson. Manchen geistlichen Text aus den Mitteilungsblättern der Piusbruderschaft lese ich mit Gewinn. Die Piusbruderschaft bewegt sich im Allgemeinen in vernünftigen Grenzen, denn im bunten Reich des Traditionalismus ist vieles möglich. Wer einmal etwas über das Leben von Luigi Villa gelesen hat für den dürfte die Piusbruderschaft ihren "Schrecken" verloren haben. (Im Übrigen ist Don Villa leider nicht die einzige obskure Figur vom Rand der Kirche; mehr über ihn findet man in einem wunderlichen Artikel auf http://gloria.tv/?media=364501&language=oe7Kk4CL1hU),  Wenn es der Bruderschaft gelänge, solche Typen einzubinden, bevor sie vollends abdrehen (und sie somit "unschädlich" zu machen) dann hat sie sich schon um die Kirche verdient gemacht. Aber dies nur am Rande!

"Die Priester, die katholisch bleiben wollen, haben eine strenge Pflicht, sich von der Konzilskirche zu trennen! bis sie (Rom) die Tradition der Kirche und den katholischen Glauben neu entdeckt haben wird." Dieses (und manche ähnliche) Worte gab Erzbischof Marcel Lefebvre seinen Anhängern mit auf den Weg. Neben seinen sicher lesenswerten geistlichen Texten steckt in solchen Worten ein nicht zu unterschätzender Zündstoff. Seinem Nachfolger Bischof Fellay wird von Teilen der Bruderschaft bereits jetzt vorgeworfen, dass er allein mit "herzlichen" Gesprächen schon das Erbe des Gründers verrät. Denn es ist keineswegs damit zu rechnen, dass "Rom" einen Weg zurück hinter die Veränderungen und Reformen des Konzils antreten wird. In der in oder anderen Frage mag es eine Rückbesinnung geben, aber insgesamt geht die Kirche, geführt durch den Hl. Geist ihren Weg durch die Zeit. Das hätte allerdings auch "der Erzbischof" in den letzten Jahren seines Lebens und Wirkens einsehen müssen und die Weichen für die Bruderschaft entsprechend stellen sollen. Selbst eine Kirche, die sich wieder neu auf die Theologie, Frömmigkeit und Pastoral vor dem 2. Vatikanum ausrichten würde, wäre nicht (mehr oder wieder) die Kirche, auf die "der Erzbischof" wartete. Der emeritierte Erzbischofs von Poitiers, Albert Rouet, kommentierte solche Hoffnungen so: "Die Vergangenheit wirkt so beruhigend, weil sie tot ist." Der inzwischen aus der Piusbruderschaft ausgeschlossene Bischof Williamson facht inzwischen mit Verweis auf Marcel Lefebvre das Feuer an und unterhält Kontakte zu den Revoluzzern, die sicherlich bei einer Annäherung beider Seiten unmittelbar eine Piusbruderschaft 2.0 gründen werden. Schon werden aus dieser Ecke die treuen Anhänger Fellay's als "Neo-Piusbruderschaft" bezeichnet. 

Dabei ist Fellay verbal ausgesprochen eindeutig und klar, in der schon zitierten Predigt vom 7.9.14 sagt er: "Wir sind unglaublich empört, wir vereinen uns mit dem Zorn Gottes und wir beten. Was wir mit dem neuen Papst sehen, ist eine deutliche Verschlimmerung der Sache. All diese Irrtümer, diese falschen Haltungen, diese Annäherung an die Welt, die werden jetzt beschleunigt, zum großen Leiden der Kirche." .... "Wir gehen nach Rom, wieder einmal gerufen, wir werden einfach wiederholen, was wir immer sagen, nichts anderes. Wir halten fest an ... all dem, was das Katholische gemacht hat über Jahrhunderte..." 

Im Vatikan dagegen ließ Kardinal Müller mit Blick auf die dogmatische Präambel und das Bild von der Tür in der für ihn typischen Prägnanz verlauten: "Diese Tür steht offen, wir schließen sie nicht. Aber es gibt auch kein Hintertürchen."

Mir wird immer klarer, warum aus dem Projekt einer "Eingliederung" der Piusbruderschaft in die "offizielle" katholische Kirche nichts werden kann. Denn es geht nicht nur um "kleine" kirchenrechtliche (also quasi technische) Probleme, wie z.B. die Frage, in welcher rechtlichen Struktur man die Bruderschaft möglichst frei vom Einfluß möglicherweise mißliebiger Ortsbischöfe halten kann (Personalprälatur?).

Man sollte in all den Spekulationen und Strategien nicht vergessen: Ein, wenn nicht gar "der" Existenzgrund der Piusbruderschaft ist schlicht der "sichere" Abstand zur Kirche und die hierdurch gegebene Eigenständigkeit, die in dieser Form (in der und mit der Kirche) nicht zu halten sein wird. Ob man diese bequeme Situation um der Einheit und um zusätzlicher pastoraler Wirksamkeit willen aufgeben möchte? Ich denke, die klugen Köpfe in der Bruderschaft wissen, dass "die Grenzen des Wachstums" beinahe erreicht sind. Es mögen zwar noch eine Reihe von Priestern hinzu kommen (quasi antizyklisch zur Situation in diözesanen Seminaren), die Bruderschaft wird noch das ein oder andere Priorat oder einen Messort eröffnen... aber ohne die Verzahnung mit der Kirche bleiben sie eine relativ bedeutungslose Gruppe. 

So hat die FSSPS heute ein selbst gewähltes und selbst gestaltetes Reservat. Hier herrscht die "reine Lehre", jeden Abweichler kann man getrost zur Petrusbruderschaft oder in den Sedisvakantismus abgeben oder demnächst zu einer Piusbruderschaft 2.4 oder Marcel-Bruderschaft, die sich um "Bischof" Williamson gründen mag. "Publikum", auch finanziell potent, wird es wohl immer geben auch für eine neu gegründete Piusbruderschaft, wenn wider Erwarten einmal die offizielle Piusbruderschaft in die Kirche eingegliedert würde. Aber auch ich frage mich: was genau wird sie dann davor bewahren, (theologisch und pastoral) eine Petrusbruderschaft 2.0 zu werden, wenn auch womöglich mit einer größeren kirchenjuristischen Eigenständigkeit und eigenem Bischof? Es ist überhaupt nicht abzusehen, dass es bei einer Einigung meinetwegen zum 18.7.2018 anders laufen würde als 30 Jahre zuvor mit der Petrusbruderschaft. Möglicherweise haben wir damit eine neue ruthenische (marcellinische) Kirche unter dem Primat des Papstes irgendwie uniert und integriert und das Problem damit verkleinert. Aber mehr wird nicht zu erreichen sein.

Mit der eigenen Propaganda hat die FSSPX sich das Potential an Unzufriedenheit mit der "Konzilskirche" über Jahrzehnte sorgfältig selbst geschaffen und ausgebaut. Aus den Argumentationsmodellen kann man im Grunde nicht mehr entkommen, ohne sich selbst den Boden unter den Füßen zu entziehen. Der "heilige Rest" der Priester und Gläubigen, die sich für die einzig wahre Kirche und die römische Kirche unter dem Papst für "konzilsverseucht" halten, dieser Rest wird bleiben.

„Das, was die Piusbrüder vertreten und was die Lehre des Konzils ist, zu der sich die Päpste ausnahmslos bekennen, ist diametral entgegengesetzt“, meint dazu der emeritierte Professor für Dogmatik  Wolfgang Beinert (ehemaliger Assistent von Joseph Ratzinger) in einem „Domradio“-Interview. Es gebe daher nur eine Einigung, wenn einer nachgebe. „Und das würde für beide Seiten den theologischen Selbstmord bedeuten... Den kann der Papst nicht begehen und den kann auch die Piusbruderschaft nicht begehen, sonst gäbe sie sich selber auf“, so Beinert weiter. 

Wenn ich dem Dogmatiker im ersten Teil auch nicht zustimme, so hat er im letzten Halbsatz in jedem Fall recht. Die "Einheit" mit "Rom" wäre für die Bruderschaft tatsächlich riskant. Eine Einigung mit der Glaubenskongregation wäre für die Bruderschaft zum heutigen Zeitpunkt gleichzusetzen mit dem Eingeständnis, an den eigenen Zielen gescheitert zu sein. Diese Tatsache werden interessierte Kreise unmittelbar zu nutzen wissen. Ich glaube nicht, dass die Verantwortlichen das Risiko nicht sehen und kann mir daher nicht vorstellen, dass sie ein solches "Experiment" riskieren. Obwohl es für beides Seiten not-wendig wäre, aufeinander zuzugehen. Die Bruderschaft kann ohne den Bezug zum Hl. Vater und zum wirklichen (nicht nur gefühlten Rom) auf Dauer nicht katholisch bleiben. Und der Hl. Vater und der Vatikan kann nicht akzeptieren, dass eine Gruppe, die sich für katholisch hält und wohl auch ist; dass einige hundert Priester, die im Hochgebet für Papst Franziskus beten, getrennt von ihm existieren. Der aktuelle Tweet des Pontifex "Die Spaltung innerhalb einer christlichen Gemeinschaft ist eine sehr schwere Sünde; sie ist ein Werk des Teufels." gilt auch hier. 

So ist es mit beiden wie mit manchem (Ehe-)paar. Sie können nicht zusammen, aber sie können auch nicht getrennt leben. Aber vielleicht ist ja ein solches "Bruderschaft" - gewordenes Fragezeichen ein beständiger und hilfreicher (geistgewollter) Dorn im Fleisch einer hier und da bequem gewordenen Theologie und Glaubenspraxis. 

Man wird aber nicht den Fehler begehen, in der Piusbruderschaft den Hort der reinen jesuanischen Lehre zu sehen und ihr die Stellung zu geben, die eigentlich der Bibel und der Überlieferung der authentischen Tradition zukommen. Dazu ist die Bruderschaft ideologisch und theologisch zu eng. Allenfalls ist sie eine legitime Ausdrucksform des Katholizismus. 

Der Wahlspruch der Bruderschaft: "Instaurare omnia in Christo" meint recht verstanden – in Christus alles erneuern, nicht in Christus alles "restaurieren". Bei der gesamten Diskussion kommt mir manchmal das Bild eines uralten Kreuzes in einer Kirche in den Sinn. In der jüngeren Vergangenheit war es oft so, dass man solche Kreuze regelmäßig "restauriert" hatte, wobei man sich an der noch vorhandenen letzten Farbfassung orientierte. Manchmal führte das zu einer eindeutigen Verschlimmbesserung des Kunstwerkes, das von zahlreichen Farbschichten überlagert wurde. Heute schaut man mit großem Aufwand nach, wie die ursprüngliche Farbfassung gewesen ist. Und lässt dann aber lieber die Spuren der Jahrhunderte sichtbar, als durch eine "stimmige" Restaurierung den Eindruck zu vermitteln, man habe ein makel- und zeitloses Kunstwerk vor sich.

Eine Einheit im Sinne des Papstes wird nur möglich sein, wenn die Bruderschaft sich in Teilen vom ansonsten sicher verdienstvollen Nachlass ihres Gründers verabschiedet und anerkennt, dass es auch neben dem Spektrum der von ihnen aktuell als authentisch anerkannten Glaubenslehrern noch weitere gute Theologen und Lehrerinnen gibt. Möge es Ihnen geschenkt werden, zu entdecken, dass die Erneuerung nicht nur in der römischen Kirche sondern auch in der Bruderschaft selbst zu beginnen hat. 

Der Hl. Papst Pius X. (dessen 100. Todestag wir in diesem Jahr (am 20.8.) feiern konnten) stellte sein Wirken unter das Leitwort "Omnia instaurare in Christo" und führte eine Reihe von Reformen durch, die teils massiv mit liebgewordenen Traditionen brachen, das katholische Leben umgestalteten und es teilweise noch bis auf den heutigen Tag prägen (allsonntäglicher Kommunionempfang, frühe Erstkommunion u.s.w.).
In seiner ersten Enzyklika schrieb er: "Im Vertrauen auf Gottes Kraft legen wir Hand ans Werk und erklären, daß das leitende Ziel Unseres päpstlichen Waltens das ist: "in Christus alles zu erneuern", auf daß "Christus alles in allem sei". Weise sieht er dabei voraus: "Es wird gewiß nicht ausbleiben, daß man das Göttliche mit dem Maßstabe des Menschlichen mißt, die Absichten Unseres Inneren zu ergründen und im Sinne weltlicher Bestrebungen und Parteiziele zu deuten sucht." ... "Wenn daher jemand von Uns einen Wahlspruch verlangt, der die Ziele unseres Innern offenbart, so werden Wir Uns immer zu dem einen bekennen: "Alles zu erneuern in Christus".

Der heilige Papst verweist in seiner Enzyklika auf den 10. Vers des 1. Kapitels des Epheserbriefes, wo dieses Wort in der heutigen Einheitsübersetzung lautet: "Er hat beschlossen, die Fülle der Zeiten heraufzuführen, in Christus alles zu vereinen, alles, was im Himmel und auf Erden ist." Dieses Wort beschreibt sehr zutreffend, was wir alle in der Nachfolge des Hl. Giuseppe Sarto gemeinsam anstreben sollten, ob wir nun skeptisch auf dessen Amtsnachfolger Franziskus schauen oder von diesem eine grundlegende Erneuerung der Kirche erhoffen.