Sonntag, 22. März 2015

Wir Ritter von der traurigen Gestalt

Natürlich kannte ich Miguel de Cervantes schon länger. Und ich wusste, dass er ein bedeutender spanischer Schriftsteller war, und nicht nur das, der Autor des Don Quijote gilt als Spaniens Nationaldichter. Seinem Todestag 1616 verdanken wir auch den "Welttag des Buches" (23. April). Im nächsten Jahr ist das ein Jubiläum, nämlich der 400. Todestag. 

Über einen besonderen Aspekt in der Vita Miguel de Cervantes bin ich allerdings erst jetzt gestolpert. Bei dem denkwürdigen Auftritt bei der Pegida – Demonstration in Duisburg sprach der Emmerich/Klever Pfarrer Paul Spätling über allerlei, aber eben auch über diesen spanischen Dichter. 

Es ist schon skuril, dass bei einer eher ausländerfeindlich angehauchten Demostration ausgerechnet ein Spanier für die Gegnerschaft gegen Muslime herhalten muss. Aber lesen Sie selbst, was der Priester zu sagen hatte: 

"Wenn ich mich nicht irre, haben die Christen Europas schon fast 1400 Jahre… gegen den Islam kämpfen müssen, weil er in Europa eingefallen ist. Immer wieder hat sich Europa verteidigt! Hat sich die Christenheit verteidigt! Und jetzt seid etwas 20/30 Jahren sollen wir das nicht mehr tun? Gehört denn der Islam zu Deutschland? (Tosender Applaus und im Hintergrund hört man einen Sprechchor „Niemals“). Das ist doch ein unmögliches Wort was die Frau Merkel dort gesagt hat. (Buh-Rufe und Applaus). 

Wenn ein großer spanischer Dichter Cervantes, der den Don Quijote geschrieben hat, wenn er als junger Mann mit 21 Jahren… bei der Schlacht von Lepanto … seinen linken Arm verloren hat, Entschuldigung, seinen rechten Arm … und hat dann … ist dann ein so großer Dichter geworden… was hat der Mann auf sich genommen… damit die Türken von Europa ferngehalten wurden. (Applaus) Und dieser Dichter Cervantes ist abgebildet auf einem 20 Cent Stück aus Spanien des Euro. Und vielleicht schauen sie mal drauf, vielleicht bekommen sie auch so ein Bild. Ich hoffe nicht, dass Frau Merkel den Antrag stellt, dass diese Münze verschwindet. Ich danke ihnen ganz herzlich für ihr Gehör und bitte dann dass wir uns dann ordentlich und in Ruhe bewegen und unseren Marsch für Deutschland machen." Wer es selber sehen und hören will: https://www.youtube.com/watch?v=ZEkld1nR6rQ&feature=youtu.be

Ganz offensichtlich muss man dem Mann zunächst einmal eine gewisse rechts-links Schwäche attestieren. Also, sowohl dem Spätling (geistig-geistlich), als auch dem Cervantes (körperlich). Schauen wir einmal in die zuverlässigste Quelle, die das "Weltnetz" zu bieten hat: Wikipedia. Dort lesen wir: "Als Mitglied der Infantería de Marina nahm er 1571 an der Schlacht von Lepanto teil, in der Juan de Austria gegen die Türken kämpfte. Er erhielt drei Schusswunden, zwei in der Brust, eine in der linken Hand, die dauerhaft entstellt blieb, wodurch er den Beinamen el manco de Lepanto (der Einhändige von Lepanto) bekam. In einer Anspielung auf seinen Erfolg mit dem Don Quijote schrieb er später in der Geschichte Viaje del Parnaso, er habe „die Fähigkeit, seine linke Hand zu bewegen, zum Ruhme seiner rechten verloren“. Also, lieber Paul Spätling ... es war doch die linke Hand und es war auch nicht der Arm und verloren war er schon gar nicht (wenngleich ich die Wunde nicht klein reden möchte). Aber dran ist er schon noch geblieben. Und wäre er damals nicht verwundet worden - ob wir ihn heute noch kennen würden?

Später wurde Cervantes dann von algerischen  Korsaren (wieder Muslime!)gefangen genommen und auf dem Sklavenmarkt verkauft. Nach fünf Jahren konnte ihn der Trinitarier-Orden aus der Gefangenschaft wieder freikaufen. Es folgte ein sehr bewegtes Leben. Doch erst als er 1597/98 im Gefängnis von Sevilla in Untersuchungshaft saß (er sollte Geld veruntreut haben), begann er mit der Arbeit an seinem bedeutendsten Werk "El ingenioso Hidalgo Don Quijote de la Mancha" (Der sinnreiche Junker Don Quijote von La Mancha), das in zwei Teilen 1605 und 1615 erschien. 

Leider hat es Paul Spätling auch mit Zahlen nicht so. Cervantes war bei der Schlacht von Lepanto wohl bereits 24 Jahre alt und sein Portrait schmückt sowohl die spanischen 20 Cent, wie auch die 10 und 50 Cent – Münzen. Ein Zeichen dafür, dass der Nationaldichter von den Spaniern bis heute hoch geschätzt wird. Im Alter von 69 Jahren starb dieser aber 1616 einigermaßen mittellos in Madrid, zehn Tage vor seinem Zeitgenossen William Shakespeare. Vor einigen Wochen hat man nun - pünktlich zum "Jubiläum" auf dem Gelände des Klosters der Unbeschuhten Trinitarierinnen in Madrid mit recht hoher Wahrscheinlichkeit seine sterblichen Überreste geborgen. Die Wunde seiner Hand ermöglichte es, die Gebeine dem großen Dichter zuzuordnen. Da es heute keine bekannten lebenden Verwandten mehr gibt war mit der DNA nichts zu machen. 

So skuril der Auftritt des niederrheinischen Pfarrers vor den johlenden Pegida – Demonstranten daher kam, so skuril und sinnbildlich ist seine Verzweckung des spanischen Weltschriftstellers mit dem Kampf gegen die "Islamisierung" Deutschlands. Gerade der Don Quijote ist geradezu eine sinnbildliche Geschichte für diese selbsternannten Verteidiger des Abendlandes.

Alonso Quijano, der sich später Don Quijote nennt ist ein verarmter Landadeliger, der nach der Lektüre allzu vieler Ritterromane selbst zum edlen Ritter werden möchte.(Würden wir den Roman aktualisieren müßte man von übermäßiger Lektüre der einschlägigen, von Pegida betriebenen und beworbenen Webseiten z.B. dem Blog: Politically Incorrect sprechen.) Schon zu Cervantes Zeiten, ist die "ritterliche Welt" ein Mythos geworden, eigentlich "Schnee von gestern". So hat auch Don Quijote wenig vorzuweisen, es fehlt ihm buchstäblich an allem, er ist ein Ritter von der traurigen Gestalt, mit Rosinante, seinem klapprigen Gaul, begleitet von seinem Stallmeister, in einer rostigen, selbst geflickten Rüstung. Auf seinem 2. Ausritt ereignen sich "jene Taten, für die der Roman berühmt ist. Don Quijote kämpft gegen Windmühlen, die ihm als Riesen erscheinen" und "attackiert staubumwölkte Hammelherden, die für ihn mächtige Heere zu sein scheinen ... und dergleichen mehr. Häufig wird Don Quijote am Ende solcher Abenteuer von seinen Widersachern fürchterlich verprügelt oder kommt anders zu Schaden. Sancho Panza (sein Begleiter), weist seinen Herrn stets auf die Diskrepanz zwischen dessen Einbildung und der Wirklichkeit hin. Für Don Quijote beruht sie jedoch auf der Täuschung durch mächtige, ihm feindlich gesinnte Zauberer." (bei Wikipedia abgeschrieben).

Wie wahr hat doch Pfarrer Spätling gesprochen, als er uns auf diesen Roman hingewiesen hat. Bietet dieser doch einen trefflichen Schlüssel für das Verständnis der Pegida – Bewegung. In gewisser Weise lauter „Ritter von der traurigen Gestalt“ im Kampf gegen "die Politik", die "Lügenpresse" und die Islamisierung. 

Im Roman sind es u.a. Zwei Priester, ein Dorfpfarrer und ein Kanoniker, die den Don Quijote im Käfig auf einem Ochsenkarren in seine Heimat zurückbringen. Was mag diese kleine Randgeschichte uns für heute sagen wollen? Auf jeden Fall sollten wir gewarnt sein, denn Don Quijote aus La Mancha, das ist nicht nur ein Bild für die Anderen, die irgendwie irre und wirre geworden sind. Ein gutes Stück "Ritter von der traurigen Gestalt" steckt auch in jedem von uns. Das zu sehen und zu erkennen würde uns tatsächlich voran bringen im Kampf gegen die mächtigen Windmühlen unserer Zeit. 

P.S.: Natürlich, ich weiß, dass das hier jetzt etwas "off topic" ist und die Nachrichten den sonderbaren Pfarrer aus Emmerich und Kleve längst wieder vergessen haben. Aber die Nachrichten über die Entdeckung des Grabes von Cervantes und ein Besuch in Kleve förderten diese Gedanken zu Tage. Und warum sollte ich Sie nicht daran teilhaben lassen.

Freitag, 13. März 2015

Typisch Franz! Ein Papst "anderer" Art!

Genau um diese Zeit, um 19.05 Uhr vor nunmehr zwei Jahren war es soweit: weißer Rauch stieg auf und wenig später trat ein in jeder Hinsicht neuer Papst auf die Loggia des Petersdomes: „Brüder und Schwestern, guten Abend. Ihr wisst, dass das Konklave die Pflicht hatte, Rom einen Bischof zu geben. Es scheint so, als ob meine Kardinalsbrüder fast bis zum Ende der Welt gehen mussten...“ Mit diesen Worten begann das Pontifikat eines etwas „anderen“ Papstes. Wenige Augenblicke zuvor hatten zwei Namen für Aufregung gesorgt: Jorge Mario Kardinal Bergoglio und - Franziskus. Den argentinischen Kardinal hatten damals nur einige wenige Insider auf der Rechnung, obwohl sich später zeigte, dass er schon im Konklave acht Jahre zuvor viele Unterstützer hatte. 

Der Name Franziskus weckte unmittelbar Spekulationen. Noch kein Papst hatte bis dato den Namen des eigenwilligen Heiligen aus Assisi gewählt. Aspekte aus dessen Vita verwandelten sich sofort in Erwartungen an den „Neuen“ im weißen Papstgewand.

Das erste Wort des neuen Papstes galt – dem Alten. „Zuerst möchte ich für unseren emeritieren Bischof Benedikt XVI. beten.“ Mancher hat in den vergangenen zwei Jahren versucht, diese „beiden“ Päpste gegeneinander auszuspielen. Augenfällig und ohrenfällig waren die Unterschiede in der Persönlichkeit, im Auftreten, sogar in den – meist nur oberflächlich - wahrgenommenen Inhalten. Aber bei aller Unterschiedlichkeit hat der neue Papst zahlreiche Signale der Kontinuität gesetzt. Man denke an seine erste Enzyklika über das Licht des Glaubens, die im Grunde ein Werk zweier Päpste ist. Man denke an die herzlichen Begegnungen der Beiden und bedenke auch, dass Erzbischof Georg Gänswein den emeritierten wie dem amtierenden Papst verbindet. Alles Bemühen gewisser Akteure, den „alten“ Papst wenigstens gefühlsmäßig zu einer Art Gegenspieler aufzubauen, ist bis heute gescheitert. Der emeritierte Papst Benedikt XVI. lehnt es ausdrücklich ab, zum Schutzpatron der Traditionalisten in der Kirche erwählt zu werden und bleibt damit ganz auf der Linie seines Pontifikates. 

Der „Neue“ in diesem Amt machte und macht vieles anders. Papst Franziskus setzte zahlreiche Signale, für seine andere, neue Sicht des Papstamtes. Viel beachtet wurde, dass er aus dem Gästehaus Santa Martha nicht in die päpstlichen Diensträume umzog. Auch übernahm er manche symbolträchtigen Zeichen der vergangenen Jahrhunderte (und Jahre) nicht für sein Pontifikat. Er bevorzugte weiterhin einfache schwarze Schuhe (trotz des Symbolgehaltes der roten Papstschuhe), er trug schon mal eine schwarze Hose unter der weißen Soutane, legte weder Mozetta noch Fanon an und mied auch weitgehend liturgische Kleidung aus eher barocken Zeiten oder aber besonders kostbare Materialien. Eine gewisse Schlichtheit zeichnet seine liturgischen Gewänder aus. Was nicht bedeutet, dass dies automatisch auch preiswerter ist. Manche Kommentatoren wiesen süffisant darauf hin, dass die dem Papst bescheinigte „Bescheidenheit“ sich zumindest nicht in Euro und Cent ausdrücke. Während Benedikt eher zurückhaltend auf Menschen zuging kennt Franziskus keine Begegnungsängste und scheut keine Risiken. Wer das Glück hatte, die wenigen Bücher über den neuen Papst und sein bisheriges Leben übersetzt zu bekommen, konnte recht bald erkennen, dass dieser Mann einfach nur sich selbst treu blieb. Dass er anders war als sein Vorgänger hatte nur einen Grund: dass er blieb, wie er war. 

Seit einigen Tagen erscheinen eine ganze Reihe von kritischen bis „vernichtenden“ Artikeln über Papst Franziskus. Die inhaltliche Spitze war ein Text von Markus Günther in der FAZ, wobei sich Eingeweihte (u.a. auch der Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan, P. Bernd Hagenkord SJ) wunderten, dass eine renommierte Zeitung mit einem solchen „informationsfreien Meinungsstück“ aufwartet. Und fragten, ob angesichts der im Text enthaltenen inhaltlichen Fehler auch die Anfragen und Wertungen des Autors Gewicht beanspruchen könnten. 

Eigentlich war man bei Franziskus bisher keine „schlechte Presse“ gewohnt. Er kommt eher positiv rüber und wird von vielen Menschen auch so wahrgenommen. Wobei sich die positiven Auswirkungen auf das religiöse Leben in Deutschland trotzdem in Grenzen halten. Zu Recht weist Günther aber in seinem Artikel auf Kommunikationspannen hin, die auch in Deutschland Aufsehen erregten. Denken Sie nur an die „Karnickelgeschichte“, auf die sogar ein Kaninchenzüchtervertreter in Deutschland reagierte oder die Diskussion um „würdevolles Schlagen“ und zuletzt das Stichwort der „Mexikanisierung“ seines Heimatlandes (aus einem privaten Schreiben). „Niemand weiß, was Franziskus als Nächstes raushaut“, meint die FAS.

Mir kommt da unmittelbar ein Wort von Papst Benedikt XVI. in den Sinn, mit dem er seine faszinierenden Jesus – Bücher einleitet: „Ich bitte die Leserinnen und Leser nur um jenen Vorschuss an Sympathie, ohne des es kein Verstehen gibt." Wer vom Papst erwartet, dass er in einem Interview eine biologisch perfekte Aussage über den Geschlechtstrieb und das Paarungsverhalten von Kaninchen (oder gar über das deutsche Hauskaninchen) tätigt – der wird mit Recht enttäuscht sein. Der Papst hatte damals – auf die insistierenden Nachfragen - zum „unbegrenzten Vermehrungszwang“ bei Katholiken, denen die Verwendung von bestimmten Methoden der Empfängnisverhütung verwehrt wird, sicher etwas unpräzise geantwortet: Auch Katholiken bräuchten sich nicht „wie die Kaninchen“ zu vermehren. (Das Wort Karnickel gibt es im Italienischen gar nicht.)

Ähnlich war es bei der Generalaudienz, wo er eine Anekdote erzählte, in der es um den würdevollen Umgang zwischen Vätern und Kindern gehen sollte. Ich weiß nicht, ob der Papst mit den in Europa vorherrschenden Erziehungsstandards vertraut ist. Ich fürchte, dass ein Klaps auf den Po (vermutlich sogar mehr davon) in Argentinien und anderswo in der Welt noch zum Erziehungsstandard gehört. Wir können also feststellen, dass der Papst dies vermutlich nicht für grundsätzlich verwerflich hält und es „von zu Hause“ auch nicht anders kennt. Wir dürfen ferner vermuten, dass er selbst keine konkreten persönlichen Erfahrungen mit der Erziehung von Kindern hat und dass er davon ausgeht, dass dies in der Erziehung ab und an mal üblich ist. Und mir scheint auch nach der Lektüre einer Papstbiografie naheliegend, dass er selbst noch keine Kläpse verteilt hat. Dafür spricht auch die Zärtlichkeit, mit der er bei den Audienzen und Begegnungen auf Kinder zugeht. Ich glaube, keine Mutter und kein Vater hat Sorge, ein Kind in die Arme und Hände dieses Mannes zu geben. Mehr als diesen Erkenntnisgewinn sollte man also von dieser Aussage des Hl. Vaters nicht erwarten.

Was auch immer man über die Anekdote über das „Schlagen in Würde“ denken mag, daraus eine Zustimmung zu „schlagfertigen“ Erziehungsmethoden abzuleiten, dürfte falsch sein. Eher sollte man sich mit den anderen Worten des Papstes bei eben dieser Generalaudienz beschäftigen, wo es um einen sehr aktuellen Apell zur Übernahme der Erziehungsverantwortung durch die – hierbei noch viel zu wenig präsenten – Väter geht. 

Nun höre ich sie schon wieder schreien: „Papstverharmloser!“ „Papsterklärer!“ Ja, das will ich gerne sein und zwar in dem Sinne, den Papst Benedikt im Vorwort zum Jesusbuch erbat. Was mir in dall der kritischen Würdigung der „verunglückten“ Papstworte leider zu kurz kommt, ist die entsprechende Würdigung der vielen guten, motivierenden, aufbauenden, weiterführenden Worte. 

Es sind ja beileibe nicht nur die Kaninchenzüchter und die Verfechter der antiautoritären Erziehung, die dem Papst Vorwürfe machen. Viel schärfer sind die traditions(über)treuen Katholiken, im Spektrum zwischen Piusbruderschaft und beispielsweise Weihbischof Athanasius Schneider und Raymond Leo Kardinal Burke. Anders als sein Vorgänger neigt dieser Papst schon einmal zu spontaneren Gesten und Worten. Mit dem Vorteil, dass es kurz und prägnant wird, verständlich auch für Leute, die nicht „Insider“ sind, aber mit dem Risiko, dass es „interpretationsfähig“ ist. Und so tummeln sich in traditionstreuen Foren zahlreiche Papstexegeten, die darlegen, was der Papst in Wirklichkeit wolle, im Verborgenen vorbereite und im Hintergrund alles umstürzen wolle. 

Das geht im Extrem bis dahin, dass man ihn völlig ablehnt, um seine Demission bzw. sein baldiges Ableben betet, ihn als „falschen Papst“ bezeichnet... Diesen Geschmacklosigkeiten sind keine Grenzen gesetzt, wie ein kurzer Besuch in den Kommentarspalten der Seite katholisches.info problemlos belegen könnte. Im Interesse der eigenen geistlich – gläubigen Gesundheit sollte man hier aber nur kurz verweilen. Erschreckend, dass dieses Schundseite einigen Personen gut 24.000 Euro im Jahr wert ist. 

Am Papst scheiden sich die Geister. Einige Journalisten werfen ihm vor, dass er mit seinem neuen „Stil“ die Kirche spalte. Als Nachweis hierfür wird u.a. seine Distanz zu den Kräften in der Kurie benannt, die er einige Male deutlich korrigiert und kritisiert hat. Natürlich ist die Kurie ein veritabler Machtfaktor in der Kirche. Und der Papst ruft die Verantwortlichen und Mitarbeiter dieser Behörde dazu auf, ihr Wirken im Licht des Evangeliums zu reflektieren. Ich bin weit davon entfernt, ein „Vatikanist“ zu sein. Aber ich hoffe doch sehr (und ich glaube, berechtigt), dass die Berichte über gewisse Vorgänge im Kirchenstaat und seinen Behörden und Organisationen sehr übertrieben werden. Man kann darüber streiten, ob die klare Wortwahl des Papstes nicht diplomatischer sein könnte. Aber ich erkenne hierin durchaus auch die Stimme des Herrn, der gerade dort kein Leisetreter war, wo heute der Papst deutliche Worte findet; im Umgang mit den Religionsbeamten und den allzu selbstgewissen Gläubigen. 

Die etwas „mildere“ Variante zu der Behauptung, der Papst „spalte“ ist: Franziskus stifte „Verwirrung“. Worunter man so ziemlich alles verstehen kann. Letztlich geht das aber in eine ähnliche Richtung; man glaubt, wenn der Papst nur klar und sauber spreche, gäbe es keine Schwierigkeiten und keine Spaltungstendenzen. So einfach ist es wohl nicht. 

Wer eine Spaltung der Kirche erkennt, der steht auch in der Verantwortung, diese Spaltung zu überwinden. Die Rezepte, die dafür vorgetragen werden, sind meist einfach. Jeder muss sich fragen, ob er (oder sie) die mögliche Überwindung einer Spaltung einzig daran sieht, dass sich alle zu dem Weg bekennen, den man selbst für richtig hält. Möglicherweise gelingt es nur dann Spaltungen zu überwinden, wenn man bereit ist, auf andere Glaubensweisen zu hören, einander kennenzulernen und Versöhnung zu leben. Es ist eine alte Weisheit: „Wer nicht sammelt, der zerstreut.“ 

Ich finde es erschütternd, dass mit dem Verweis auf einige – vor dem Horizont der Probleme der Welt und der Verkündigung des Glaubens – marginale Randthemen die vielfältigen wesentlichen Worte des Hl. Vaters offensichtlich kein Gewicht mehr haben sollen. Diese Zuspitzungen sind – unverantwortlich!

Mit Papst Franziskus verbinden sich große Hoffnungen. REFORM, VERÄNDERUNG, NEUAUFBRUCH sind die Zauberworte. Und wie es zu beginnen hat, da haben viele Katholiken in Deutschland offenbar klare Vorstellungen: 
  • Aufhebung des Zölibats
  • Diakonat der Frau
  • eine Kirche mit weniger Geld und Macht
  • Zulassung der wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten
  • Akzeptanz für alternative Lebensformen
  • u.s.w.

Je größer die Bedeutung dieser Themen für den liberalen Kirchenflügel, desto verbissener kämpft der „Gegenflügel“ um diese Themen. Jede unkonventionelle Formulierung des Papstes in diesen Themenfeldern wird aufmerksamst wahrgenommen und analysiert. Gerade jetzt zwischen den Synoden zu Fragen der Ehe und Familie fällt das auf. Das führt zu einer bedauerlichen Verengung der Diskussion und mir scheint, gerade dies ist das Anliegen des Papstes, solche Verengungen aufzuheben. Jedenfalls glaubt er nicht daran, dass die Aufhebung der Zölibatsverpflichtung einen nennenswerten Beitrag zur Lösung der Glaubenskrise in Deutschland leisten würde. Wenn einmal eine solche Entscheidung fallen würde, dann erst nach einer Neuausrichtung des katholischen Priestertums an Evangelium und Tradition. Und auch mit der Zulassung einiger Personen zu den Sakramenten ist weder deren Integration in die christliche Gemeinde geschafft, noch die Ehelehre der Kirche grundsätzlich in Gefahr.

Der Papst sagt: Gönnt euch wieder einen weiten Horizont! Wenn wir über die Ehe sprechen, dann schaut euch zunächst einmal die Schwierigkeiten an, unter denen Millionen von Paaren ihre Kinder aufziehen! Wie viele Väter und Mütter wissen heute noch nicht, was sie ihren Kindern übermorgen auf den Tisch stellen können? Wie viele Väter sind monatelang getrennt von ihren Familien? Wie viele Frauen leben in der alltäglichen Gefahr, einem Gewalt- oder Sexualverbrechen zum Opfer zu fallen. Schon früh hatte der Papst die Folgen des herrschenden Wirtschaftssystems kritisiert. Wirtschaftswissenschaftler warfen ihm vor, von Wirtschaft nichts zu verstehen. Aber muss er das, wenn er die „Tyrannei eines Wirtschaftssystems,“ beklagt, „das den Geldgott im Mittelpunkt hat und nicht die menschliche Person“? Natürlich kann man fragen, ob es Alternativen gäbe zum Kapitalismus. Aber wer würde ohne solche deutlichen Worte noch nach besseren Lösungen suchen? Weiter so, Franziskus!

Vor diesem Horizont der teils dramatischen Tatsachen und Hintergründe, die weit weg sind von den Fragen des Kirchen- und Eherechts stellt sich die Herausforderung, die Lehre neu in die heutige Zeit hinein auszusprechen und dies dennoch ganz im Sinne Jesu. Die Synodenväter sollten wahrnehmen, inwieweit das, was Jesus im Blick hatte, als er über die Ehe sprach dieselbe Wirklichkeit ist, über die wir heute sprechen. Möglicherweise hat das Konsequenzen, um dem Willen und den Worten Jesu heute gerecht zu werden. Dann klärt sich, auf welche Weise und mit welchen Worten wir heute sagen könnten: „Auch ich verurteile Dich nicht; aber sündige in Zukunft nicht mehr.“

Mit einer solchen, biblischen Haltung geht Papst Franziskus an seelsorgliche Situationen heran. Auf eine schwierige Situation antwortet der Papst nicht grundsätzlich mit einer lehramtlichen Aussage. Auch hier ist er sich selbst sehr treu geblieben. Ein Beispiel hierfür erzählt in diesen Tagen Radio Vatikan und zitiert aus einem neuen Buch der jüdischen Autorin Erika Rosenberg: „Als er Erzbischof von Buenos Aires war, da hielt er auch eine Messe am Bahnhof in einen Rotlichtmilieu für die Prostituierten. Eine Prostituierte hatte ihm darum gebeten einen Rosenkranz zu segnen und sie sagte zu ihm: ‚Pater, ich lebe in Sünde.’ Und er sagte zu ihr: ‚Wir leben alle in Sünde’. Und segnete ihren Rosenkranz. Ich habe sie, sie heißt Isabella, dann gefragt, was sich für sie seit dem Ereignis geändert hatte. Und sie sagte: ‚Viel!', denn sie hat wieder Hoffnung fassen können. Und sie merkte, dass Padre Jorge einer von uns ist.“

Diese kleine Begegnung ist typisch für ihn. Letztlich kommt es nicht (nur) darauf an, den Willen Jesu in Büchern, Gesetzen und Dogmen eindeutig darzulegen, sondern darauf, dem Willen Jesu im konkreten Leben – trotz mancher Brüche und Unvollkommenheiten - möglichst nahe zu kommen. Die Aufgabe der Theologie und des Lehramtes erschöpft sich nicht in der Darlegung dessen, was „katholisch“ ist. Entscheidender ist die Vermittlung und Übersetzung in die Sprache der Menschen. Es muss spürbar sein, dass die frohe Botschaft dem konkreten Leben und der Menschlichkeit (und selbstredend der Verehrung, Anbetung und Verherrlichung Gottes) dient. 

Ein päpstliches Schlüsselwort ist Nähe. Er möchte, dass wir nahe ran gehen an die Menschen, dass wir offen sind, auch für solche, die am Rande stehen. Er selbst geht voran und in diesem Zusammenhang ist seine Kritik an Klerikalismus zu sehen. Ein Priester, der sich für „besser“ hält als den Sünder von nebenan... wird nichts bewegen und niemanden zur Bekehrung führen. Selbst Franziskus selbst sieht sich als Sünder und meint das nicht nur rhetorisch. 

Papst Franziskus ist für mich nicht in die üblichen Kategorien zu stecken und kirchen“politisch“ nicht zu greifen. Das ist auch gut so. Mancher hat schon darauf hingewiesen, dass der Papst katholisch ist. Die Hoffnung, dass gerade er die europäischen, katholischen Reizthemen – losgelöst von einem weiteren Horizont – anpacken wird, ist illusorisch. Hier verorte ich auch den „Frust“, der sich in manchen Zeitungsartikeln aktuell Bahn bricht. Aber wer erwartet seriös nach zwei Jahren schon Lösungen? Der Papst kann Weichen stellen und nimmt das Große Ganze in den Blick. Vor allem verweist er auf die schwärenden Wunden der heutigen Gesellschaften und der globalisierten Welt: Armut, Ungerechtigkeit, Unterdrückung, Rassismus, Unfrieden, Missbrauch der Schwächsten, den Schutz des menschlichen Lebens, die Flüchtlinge in Lagern. Er rüttelt uns auf, wenn wir uns allzu bequem in der Nachfolge des Gekreuzigten eingerichtet haben, er rüttelt auch die auf, die sich allzu bequem in gefestigten (theologischen) Weltbildern und gemütlichen Lagern niedergelassen haben. 

Auch Jesus hat manche seine Jünger zum „Murren“ gebracht, mit der Folge, dass viele sich zurückzogen, eben weil sie wollten, dass alles beim Alten bleibt. 

Natürlich ist der Papst nicht selbst Jesus Christus und nicht jedes seiner Worte sakrosankt und jede Handlung der Kritikwürdigkeit enthoben. Aber vor der Kritik sollte die Frage lauten: Kann ich etwas daraus lernen? Wo der Widerstand am Lautesten ist und die Veränderungsschmerzen am Größten, da steckt sicher mehr als nur ein Körnchen Wahrheit. Wir sollten bereitwilliger sein, auch bittere Pillen zu schlucken. 

Es ist nicht möglich, der Komplexität dieses Papstes und seines Pontifikates in einem einzigen kleinen und dennoch langen Artikel gerecht zu werden. Auch ein einziges Buch dürfte hier nicht ausreichen. Ich möchte klar bekennen: mich verwirrt Papst Franziskus überhaupt nicht! Möglicherweise vermag er nicht immer angemessen seine Anliegen zu vermitteln. Aber mich bestärkt er nach wie vor im Glauben. Ich empfinde ihn als zutiefst spirituellen Menschen. Und seine Worte und sein Handeln erinnert mich häufig an Worte des Evangeliums. Ich teile nicht das tiefsitzende Misstrauen mancher Mitchristen. Ich hatte es auch bei Papst Benedikt nicht und beim Hl. Papst Johannes Paul II. ebensowenig. Der Papst ist der Papst. Ich schulde ihm Ehrfurcht, Hochachtung, Aufmerksamkeit, ab und an auch Gehorsam. Aber auch er macht Fehler und auch er ist ein Sünder. 

Dieser Papst hat so manchen guten Aufschlag gemacht. Nun ist es an uns, den Ball aufzunehmen und weiter zu spielen. Wir sind keine Filialen von Rom, auch uns ist der Hl. Geist verheißen, ohne Umwege. Wir sind gefragt, Kirche voran zu bringen und die Distanz zwischen vielen Menschen und der Kirche nach Kräften und mit kreativen Ideen und persönlichem Engagement abzubauen. Das Evangelium und die Erfahrungen der Kirche durch die Jahrhunderte bieten uns dafür ausreichend Sicherheit, um nicht ins Strudeln zu geraten und den Kirchenbau nicht auf Sand (oder in den Sand) zu setzen. Und als guter Hirte wird Franziskus uns mal voran gehen, mal mitten unter uns sein und mal hinter den Gläubigen her gehen. Meist finden sie den Weg und im Zweifel ist er ja da, um sie zurück zu führen an die Quellen des Glaubens.