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Zuletzt machte das gemeinsame Gebet von Christen und Muslimen Furore, als Kardinal Meisner in einem Papier multireligiöse Gebete verbot (2006). Ein Aufschrei ging durch das Land. Einige sahen den Frieden zwischen den Religionen in Gefahr, andere betonten Engstirnigkeit und Intoleranz des Kölner Kardinals. Praktiker stellten hingegen fest: Ja, es gibt bedeutende Unterschiede zwischen den christlichen und muslimischen Gebetstraditionen. Gemeinsam und „öffentlich“ zu beten und Gottesdienst zu feiern, das ist gar nicht so leicht und locker wie sich das anhört. Die katholisch-konservativen Kommentatoren klopften dem Kardinal auf die Schultern. Beäugte man dort doch seit langem skeptisch, was sich nach Assisi 1.0 an entsprechenden Formen entwickelt hatte, schien es hier wieder erste Schritte zur Eindämmung von Wildwuchs zu geben.
Jetzt erregt wieder ein interreligiöses Beten die (einige) Gemüter. Obwohl dieses Beten nur ein knapper Moment am Ende einer großartigen Rede in der Frankfurter Paulskirche war. Manchen Kommentatoren war das angesichts des Inhalts der Rede des Friedenspreisträgers des Deutschen Buchhandels kaum einer Erwähnung wert. Aber, was war genau geschehen?
Der Schiit oder besser, der von der schiitischen Variante des Islam geprägte Muslim, Navid Kermani forderte in der Schlussphase seiner Rede dazu auf, am Ende nicht zu applaudieren, sondern gemeinsam zu beten.
Er öffnete hierzu einen weiten Raum, erklärte das Gebet im Horizont von menschlichem Wünschen: „Und wenn Sie nicht religiös sind, dann seien Sie doch mit Ihren Wünschen bei den Entführten und auch bei Pater Jacques, der mit sich hadert, weil nur er befreit worden ist. Was sind denn Gebete anderes als Wünsche, die an Gott gerichtet sind? Ich glaube an Wünsche und dass sie mit oder ohne Gott in unserer Welt wirken.“
Eine interessante Initiative! Der Redner hätte auch „neutral“ bleiben können, wie viele andere Preisträger vor ihm, und um eine Schweigeminute bitten. Man hätte sich erhoben und gemeinsam geschwiegen. Das ist vertraut, neutral, das geht – immer und überall. Er hat das aber nicht getan, sondern zum Gebet eingeladen und selbst dabei Gesten des Gebetes gemacht. Diesmal hätte wohl auch Kardinal Meisner nichts dagegen einzuwenden gehabt, sondern sich gemeinsam mit Aiman Mazyek, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime und Josef Schuster, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, erhoben und gebetet. Jeder in seiner Wiese, nebeneinander und doch im Gebet verbunden.
Die Süddeutsche Zeitung ließ nur einen Moment nach dieser bedeutenden Rede verstreichen, da brach sich ein gewisses Unbehagen aus der Mitte der Redaktion Bahn, das man folgendermaßen überschrieb: „Warum Kermanis Aufforderung zum Gebet ein unerträglicher Übergriff war“. Johan Schloemann sah (anders als im selben Blatt zuvor Franziska Augstein) den Friedenspreisträger schon gemeinsam mit dem IS marschieren: Mit seiner Gebetseinladung „droht er sich an das anzugleichen, was er dem radikalen Islam vorwirft.“ Starke Worte und man möchte unmittelbar nachschauen, was über diesen Autor eigentlich zu sagen wäre...
Gebet als „unerträglicher Übergriff“, ganz ähnlich wie die SZ klang die erste Eintragung zu einer frühen youtube – Veröffentlichung der Kermani – Rede. „Keiner wagt es, ob dieser unerträglichen religiösen Provokation sitzenzubleiben.“ bemängelt ein User. Offensichtlich hatten hier die kämpferischen Atheisten diese Plattform für ihren Frust entdeckt, denn es folgte eine ganze Reihe solcher Formulierungen und Sprüche. Ich antwortete an dieser Stelle, diese Sichtweise sei kleingeistig und armselig, besonders vor dem Horizont des Inhalts der Rede, die sich mit dem Schicksal der Christen in Syrien und gleichzeitig dem Schicksal der Muslime und der überlieferten arabisch – islamischen Kultur (und ihrer Vorläuferkulturen) beschäftigte.
Großartig stellte Kermani dar, dass in der Region mit der Unterdrückung und Ermordung der christlichen Gemeinschaften durch eine islamische Terrorsekte nur die Spitze eines Eisbergs sichtbar sei, dass dort Barbaren dafür kämpften nicht nur die nichtislamischen zivilisatorischen Wurzeln auszureißen, sondern gleichermaßen auch die nicht mehr erwünschten Aspekte der jahrhundertealten islamischen Tradition. Er wies darauf hin, dass gewisse Strömungen des Islam wie der Wahhabismus und der damit verbundene Salafismus auch in augenscheinlich friedlichen Regionen der islamischen Welt die kulturellen Wurzeln und Traditionen des Islam selbst zu vernichten bereit sind. Ein Aspekt mehr, der die praktizierenden Muslime in aller Welt mehr als unruhig machen sollte. Der Islam selbst ist in seinen Ursprungsländern in höchster Gefahr.
„Ein Friedenspreisträger soll nicht zum Krieg aufrufen. Doch darf er zum Gebet aufrufen.“ Die Spannung, die in diesen Worten lag (er ließ durchaus offen, ob er das nicht eigentlich gerne täte), traf bei mir (und vermutlich auch bei vielen anderen Menschen) einen Nerv. Wer wünscht sich nicht, dem menschenverachtenden Spuk der IS – Leute ein schnelles Ende zu bereiten! Wer wünscht sich nicht, dreinzuschlagen und hoffte so, die Unmenschlichkeit mit Gewalt und Drohung in den Griff zu bekommen. Wer ist nicht entsetzt und hilflos, dass sich ein Krieg nicht einfach und entschieden beenden lässt! Wen schüttelt es nicht, dass in unserer aufgeklärten Welt noch immer viele Menschen leben, die wirren Ideologen zuhören und ihnen nachlaufen; dass es Menschen gibt, die Trugbildern glauben, dem Trugbild eines Islamischen Staates oder dem Trugbild eines Deutschland, dass als Insel des Wohlstands - nur für echte Deutsche - inmitten einer Welt, die aus den Fugen gerät, Bestand haben kann.
Anlässlich des unlösbaren Dilemmas vor unseren Augen, ist das Gebet zumindest ein Ausweg. Aber offensichtlich einer, der irritiert, ja der als „übergriffig“ und „unerträglich“ erfahren wird.
Das sind starke Worte. Worin mag wohl der Übergriff konkret liegen? Glauben die atheistischen Aktivisten, dass dem Gebet eine Kraft innewohnt, gar eine missionarische Kraft? Haben Sie Sorgen, dass das Gebet der Anderen die eigenen Überzeugungen ins Wanken bringt? Trauen sie unserem Beten mehr Macht zu als wir Glaubenden das gemeinhin selbst tun?
Natürlich könnte man auf die Minderheitenbefindlichkeit der Atheisten mehr Rücksicht nehmen, als Kermani das tut. Man ist ja zunehmend in Gesellschaft und Politik sogar geneigt, dies zu tun, weil gerade die kämpferischen Atheisten immer wieder auf Benachteiligungen durch Privilegierung der Kirche und der Religionsgemeinschaften hinweisen.
Oft sind dies nur gefühlte Einschränkungen, die nicht mit wirklichen Lasten verbunden sind. Sie werden aber mit Verve und Systematik vorgetragen. Manchmal, und in der Vergangenheit zumal, waren es ja durchaus spürbare, wirkliche Verfolgungen, wenn man zu den Wenigen gehörte, die den Gottesglauben ablehnten oder ganz anders glaubten. Und solche alten Geschichten wirken noch nach, wenn heute gefordert wird, Religion habe möglichst ganz aus der Öffentlichkeit zu verschwinden; wenn Kreuze abgehängt werden sollen und manches mehr. Diese atheistischen Grundströmungen und Forderungen tragen aber ganz konkret dazu bei, die öffentliche Religionsausübung mehr und mehr zu einem Tabu zu machen. Wo dies dann auch noch zusammen fällt mit einem zunehmenden Desinteresse an den christlichen Wurzeln unserer Gesellschaftsordung und Zivilisation, sind diese Strategien auch durchaus erfolgreich.
Es wird inzwischen zum Skandal, wenn einer öffentlich betet, beispielsweise im Restaurant. In gewissen Kreisen wird man heute schon als fundamentalistisch und einer weitergehenden Diskussion unwert betrachtet, wenn man vor dem Essen ein Kreuzzeichen schlägt und so als Betender und Gläubiger einschlägig aufgefallen ist. So mussten es einige Blogger in Berlin erfahren.
Diese Grundströmungen spielen auch mit, wenn mit Verweis auf nicht christliche Gläubige Weihnachten zum Geschenkefest der Liebe, Ostern zum Frühlingsfest, St. Martin zum Laternenfest und St. Nikolaus zum Weihnachtsmann transformiert wird.
Ich halte all dies für falsch und fatal. Womöglich war es ein weises Prinzip des preußischen Königs, dass in dessen Reich jeder „nach seiner Façon selig werden“ möge. Soviel muss auch heute möglich sein.
Ein gemeinsames Gebet ist kein Übergriff! Niemand wird gezwungen zum Gebet. Mir kommt da das Wort des Paulus in den Sinn: „Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.“ Wo sollte dies mehr gelten als in der Kommunikation zwischen Mensch und Gott.
Wer nicht an Gott glaubt, der ist schlicht nicht fähig zum Gebet, nicht fähig zum Gespräch mit einem personalen Gott. Wer Wünsche an eine mysteriöse höchste Macht formulieren kann, der kann dieses tun, ohne einen bärtigen alten Mann als Gott aufgezwungen zu bekommen. Wer den Gottesglauben komplett ablehnt, von dem erwarte ich allerdings, dass er fähig ist, zu respektieren, dass der Sitznachbar dagegen zur Kommunikation über einen allzu engen Welthorizont hinaus in der Lage sein könnte.
Es ist keinesfalls ein Übergriff, wenn jemand zum Gebet einlädt. Im Gegenteil, wegen eigener Glaubensschwierigkeiten das öffentliche Gebet zu tabuisieren oder das Gebet sogar zu verbieten, das wäre ein wahrhaft unerträglicher Übergriff.
Die Frage, welchen Raum Religion in einer zunehmend religiös zerfaserten Gesellschaft einnimmt, einnehmen darf, ist sicher noch offen und harrt einer Klärung. Es ist aber sicher der falsche Weg, alle religiösen Regungen und die Religionsausübung in aller Öffentlichkeit auf ein minimalstes, eher atheistisches Niveau herunter zu regeln.
Die Süddeutsche Zeitung zitiert in ihrer Kritik gar Jesus und das Evangelium selbst, um die steile These der Überschrift zu belegen. „Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten."
Man übersieht dabei den Kontext der Jesusworte und liest die Bibel wie der Salafismus seinen Koran, ohne den Zusammenhang zu beachten. Man missbraucht so das Hl. Buch als Wort-Steinbruch zur Bekräftigung der eigenen Überzeugungen.
Das Gebet ist, so sagt es Jesus in seiner Erzählung, das Gebet ist kein politisches Statement, es ist auch nichts, mit dem ich mich über andere erhebe: „seht, wie fromm ich bin“. Das Gebet ist auch keine Machtdemonstration in aller Öffentlichkeit, das würde Gebet und Gottesdienst pervertieren. Aber der Glaube an Gott bleibt dennoch etwas entschieden Öffentliches. Christus hat in aller Öffentlichkeit gewirkt, gepredigt, geheilt, Wunder getan. „Ich habe offen vor aller Welt gesprochen. Ich habe immer in der Synagoge und im Tempel gelehrt, wo alle Juden zusammenkommen. Nichts habe ich im geheimen gesprochen.“ Zu diesem, seinem Auftrag stand Jesus sogar im Angesicht seiner Scharfrichter.
Dass er sich dennoch für ein Gebet im Verborgenen ausspricht, zeigt, dass Gebet und Leben eine Einheit sind, dass das ganz Leben von Gott umfangen ist. Glauben ist nicht, dass man am Sonntag in der Kirche betet und mit dem Schritt durch die Kirchentür die Welt der Religion hinter sich lässt. Im Gegenteil, die Kirchentür ist die Pforte in eine Welt, in der ich dann erst recht Gottes-Dienst und Nachfolge leben darf.
Jesu Wort gilt, nicht nur im stillen Kämmerlein des privaten Hauses, sondern mehr noch im Kämmerlein des eigenen Herzens und aus diesem Herzen hinaus mitten in die Welt hinein.
Mitfühlen, Mitleiden, Mitfreuen, Leben miteinander teilen, das st ein Schlüssel zur Lösung vieler Probleme dieser Welt. Ich bin fest überzeugt, dass dieser Schlüssel im Herzen vieler Gläubiger und in den Lehren der Religionen eher zu finden wäre, als in der Verdrängung des Gedankens an einen Gott durch die Thesen des Atheismus und der hierauf basierenden Philosophien.
Jedenfalls konnte mir bisher noch niemand stimmig erläutern, warum die Ablehnung Gottes zur Mitmenschlichkeit und Empathie mit Menschen, die meiner Hilfe bedürfen, mit Flüchtlingen, Armen, Kranken, Alten, behinderten Menschen führen sollte.
Ich sehe dennoch ebenso klar, dass ein Missbrauch der Religion, vielleicht erst recht dort, wo ihre Vertreter Machtmittel in die Hand bekamen, sehr viel Leid über die Menschheit brachte und bringt. Der später abgesetzte katholische Bischof von Evreux, Jaques Gaillot hat einmal formuliert, dass eine neue Glaubwürdigkeit der Kirche in einem weitgehenden Machtverzicht begründet liegt, leider finde ich die konkrete Formulierung nicht. Im Koran heißt es „Es gibt keinen Zwang im Glauben“ und Papst Benedikt zitiert in seiner Regensburger Rede den byzantinischen Kaiser Manuel II mit den Worten „Der Glaube ist Frucht der Seele, nicht des Körpers. Wer also jemanden zum Glauben führen will, braucht die Fähigkeit zur guten Rede und ein rechtes Denken, nicht aber Gewalt und Drohung…“ (Leider hat ein anderes Zitat dieses Kaisers in dieser Rede allzu viel Aufmerksamkeit gefunden.) Aber bei aller Ablehnung einer „mächtigen“ Religion kann die Antwort auf einige Verirrungen der institutionalisierten Religion nicht lauten, die Religiosität und den Glauben der Menschen ins private Gefängnis einzusperren.
Ich bin dem muslimischen Migranten Navid Kermani sehr sehr dankbar für seine Gedanken, seine Anregungen, für seine Texte und Bücher, für seine Reden, für seinen Einsatz für die durch den Terror der IS-Fundamentalisten bedrohten Christen, Muslime, all der Menschen in Syrien und anderswo und auch für seinen Anstoß zum gemeinsamen Gebet. Was wären wir heute in Deutschland ohne solche Menschen?!
Kritik in der SZ: