Freitag, 27. Januar 2017

Von zweifelnden Kardinälen und schweigenden Päpsten.

Bischof Lehmann auf dem Katholikentag in Karlsruhe,
die Person halb verdeckt vor ihm
könnte Erzbischof Saier sein.
Als Katholiken müssen wir dem lieben Gott dankbar sein für das Schauspiel, das uns durch die Wahl und Amtseinführung des 45. Präsidenten Amerikas, Donald Trump zur Zeit beschert wird. Denn sonst würden sich die Medien sicher viel mehr mit einer innerkirchlichen Diskussion beschäftigen, die reichlich Stoff bietet, ein Zerrbild der Kirche zu präsentieren, das alle Vorbehalte der „zu Missionierenden“ bestätigt und diese in ihrer Haltung bestärkt, dieser Institution nur nicht zu nahe zu kommen. Kein Wunder, dass alternatives Christentum mit „milder“ Kirchenbindung gerade Konjunktur hat (Freikirchen, Evangelikale, Piusbruderschaft, Gebetshaus Augsburg u.ä.). 

Die Veröffentlichung des päpstlichen Schreibens „Amoris laetitia“ liegt nun ein dreiviertel Jahr zurück. Ich habe mich bisher schwer getan, mir hierzu eine abschließende Meinung zu bilden, die über das Allgemeine hinaus geht, welches z.B. durchaus selbst Kardinal Brandmüllel positiv zu würdigen wußte: „Das streckenweise sehr schöne und spirituell in die Tiefe führende Schreiben "Amoris laetitia" hat entschieden mehr und Bedeutenderes zu bieten als Antworten auf das Randproblem der sogenannten wiederverheirateten Geschiedenen.“ Es ist ein großartiges Schreiben, es bestärkt mich in vielen Punkten in meiner Sicht auf die menschliche Liebe, auf Wert und Bedeutung der Ehe. Es hilft mir, mit barmherzigen Augen und offenem Herzen auf verliebte und tief zerstrittene Paare zuzugehen, ihre Freude aneinander im Herzen zu teilen oder ihren Frust mitzutragen oder gar ihren Hass aufeinander zu mildern. 

Es ist wirklich bedrückend und bezeichnend, dass sich seit Jahrzehnten viele Diskussionen über die kirchliche Wertung und Wertschätzung des menschlichen Liebeslebens und der Formen des Zusammenlebens von Menschen, (unter denen die bewußt gefeierte, gelebte und auch mal durchgestandene sakramentale Ehe ohne Zweifel eine Art strahlender Diamant ist), auf die Frage des Umgangs mit dem Scheitern und den Varianten eines „Neubeginns“ für die Gescheiterten zuspitzte. 

Abschlußgottesdienst des Katholikentages 1992
in Karlsruhe mit Bischof Kasper.
Erstmals theologisch virulent wurde das für mich 1993 im Brief der oberrheinischen Bischöfe Kasper, Saier und Lehmann. Ausgerechnet Walter Kasper, nunmehr Kardinal in Rom, war es aufgegeben, eine erneute Diskussion anzustoßen, die in die Synoden zum Thema Ehe und Familie einmündete. Viel Stoff für die Biografen! Höhepunkt und erster Abschluß dieses neuen Durchdenkens all dieser Fragen ist nun das päpstliche Schreiben Amoris laetia. 

Trüffelschweinen gleich, stürzten sich Journalisten und Theologen auf den Text. Aber gleich geschulten Lektoren machten sie sich stärker daran, „Fehler“ und „Aufreger“ aufzuspüren, denn das Schreiben in seiner Vielfalt zu würdigen und literarische und theologische Höhepunkte hervorzuheben. Der Kernfehler (bzw. der eigentliche Fortschritt) verbarg sich für diese „Trüffelschweine“ der schreibenden und theologisch und kirchenpolitisch denkenden Zunft ausgerechnet in einer „Fußnote“ zu Fragen der Seelsorge mit Christen, die nach einer ersten Ehe neu geheiratet haben. Ich will den Text hier einmal zitieren: 

„In gewissen Fällen könnte es auch die Hilfe der Sakramente sein. Deshalb » erinnere ich [die Priester] daran, dass der Beichtstuhl keine Folterkammer sein darf, sondern ein Ort der Barmherzigkeit des Herrn « ... Gleichermaßen betone ich, dass die Eucharistie » nicht eine Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen « ist ...“

Spätestens, seit vier Kardinäle der Kirche dem Papst ein besonderes Schreiben zukommen ließen und dieses dann nach einigen Wochen veröffentlichten, richtet sich (zum Glück noch eher innerkirchlich) alle Aufmerksamkeit auf diese Fußnote. 

In dem Schreiben wird der Papst aufgefordert, den vier hochrangigen Fragestellern klar und eindeutig Auskunft zu geben, auf fünf Fragen. Um eine Antwort in Fußnoten zu vermeiden, drücken die Kardinäle auch gleich aus, was für eine Antwort sie erwarten, nämlich ein „JA“ oder ein „NEIN“. Natürlich erinnert sich jeder Katholik da sofort an Jesu Wort: „Euer Ja sei ein Ja...“ und an die knappen Glaubenssätze der alten Konzilien. Im Grunde kann man als lehramtstreuer Katholik, auch angesichts der in dem Brief geschilderten Hintergründe, nur eine einzige, nämlich die von den Autoren implizierte Antwort geben. Da alles in ausgesprochen demutsvolle Worte eingebettet ist, kommt kaum jemand auf die Idee zu fragen, wie höflich ein solches Schreiben ist, das eine ganz bestimmte Antwort erzwingen möchte und zudem noch eine Art Zwickmühle öffnet. 

Ich erinnerte mich an ein eher privates Gespräch mit meinem Bischof Reinhard Lettmann, wo er berichtete, wie viele Briefe er mit kritischen oder anregendem Inhalt zu beantworten habe. Es seien aber auch Briefe darunter, auf die er notieren würde: „In Stil und Inhalt für eine Antwort ungeeignet“. Just konservativste Internetforen bezeichneten die sogenannten „Dubia“ der vier Kardinäle denn auch konsequenterweise  als „Frontalangriff“ auf Papst Franziskus. Andere bemühten sich, neutraler zu kommentieren, der Brief und die Fragen selbst hätten ihre Berechtigung, nur die Tatsache, dass dieser Brief veröffentlicht worden sei stelle sich als problematisch dar. 

Ich habe mir den Brief der vier Kardinäle mehrfach durchgelesen. Anders als man denkt, ist der Brief ja nicht ähnlich knapp gehalten, wie die erwünschte Antwort. Sie erklären, rechtfertigen und begründen vielfach die eigenen Zweifel an den päpstlichen Worten.

Ich habe mir auch die Frage gestellt, wie ich die fünf Fragen beantwortet hätte, unter der Vorgabe Ja/Nein. Ich will es mal kurz versuchen hier: 

Zu 1: Ja
Zu 2: Ja
Zu 3: Ja
Zu 4: Ja
Zu 5: Ja

Aus der Rolle des Papstes heraus hätte ich noch hinzugefügt. "Liebe Mitbrüder! Ich danke euch für eure Sorge um die Lehre der Kirche und über die Verunsicherungen unter manchen gläubigen Christen, selbst solcher im Kardinals-, Bischofs- und Priesteramt. Vermutlich werden Sie sagen, mein fünffaches Ja auf Ihre Fragen passt nicht zusammen, wenn man die letzten vier Fragen mit Ja beantwortet erzwinge dies bei der ersten Fragen ein Nein. Und dann komme ich in die Situation, meine Antwort erklären zu müssen und hinzuzufügen, dass sich dieses Ja auf einige sehr spezielle Situationen bezieht, in denen ich das sehr wohl für möglich halte.

Als Papst habe ich ein hohes Vertrauen in die tiefe theologische Bildung aller Menschen, die in der Kirche einen Dienst und ein Amt ausfüllen. Ich glaube, dass sie eine lebendige Verbindung zum Herrn leben, dass sie viel beten und den einfachen Gläubigen mit der Barmherzigkeit und Sorge des guten Hirten zur Seite stehen. Ich traue ihnen zu, die Vielfalt und Unterschiedlichkeit des menschlichen Lebens zu sehen und sie aus dem Evangelium und der lebendigen Tradition der Kirche heraus zu deuten. Sie kennen das doch alle auch in anderen Kontexten des menschlichen Lebens, wenn Sie als Beichtväter angefragt sind. So kann es Situationen geben, in denen die Spendung des Beichtsakraments hilfreich und erlaubt erscheint, die man allerdings nicht in konkrete Kriterien oder gar rechtliche Regeln fassen kann. Ich bin sicher, dass Sie selbst aus Ihrem seelsorglichen Wirken solche Fälle kennen. Hier die notwendigen Unterscheidungen zu treffen, traue ich insbesondere Ihnen als Kardinälen unserer heiligen und apostolischen Kirche ohne Sorge um die Heiligkeit der Ehe und die Unversehrtheit der kirchlichen Lehre ohne Weiteres zu.“

Die von vielen Seiten postulierte „Verwirrung und Verunsicherung“ auf allen Ebenen der Kirche und der „Unruhe“ unter den Gläubigen ist nach meiner Wahrnehmung keinesfalls groß. Selbst die kirchenkritische Presse hat Amoris laetitia eher als Rückschritt denn als Fortschritt in der kirchlichen Lehre gewertet, zahlreiche Kirchenkritiker haben ihre Enttäuschung ausgedrückt, dass eine zweite kirchliche Eheschließung nach dem Vorbild der apostolischen orthodoxen Kirchen nicht ermöglicht wurde. 

Wie geht es nun weiter? Insbesondere Leo Kardinal Burke hat in einigen Interviews bereits ein Menetekel an die Wand gemalt. Eine päpstliche Antwort auf die kardinalen Zweifel sei unabwendbar. Gäbe es diese nicht, müsse man den Hl. Vater brüderlich zurechtweisen und es gäbe ja nicht nur die vier Zweifelsträger sondern neben ihnen noch weitere Kardinäle und Bischöfe. Einige von diesen haben sich ja durchaus schon geoutet, während andere teils mit erstaunlich harschen Worten dem Vorgehen der vier Kardinäle widersprochen haben. Aktuell entfachen drei Bischöfe Kasachstans einen Gebetssturm „für“ Papst Franziskus.

Während Kardinal Burke offenbar eher auf Öffentlichkeit und eine Eskalationsspirale setzt, versucht Kardinal Brandmüller die Aufregung zu bremsen und Kardinal Cafarra der Diskussion theologische Tiefe zu geben. Und einer, dem ich mich besonders nahe empfinde, der schweigt! Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Wie auch immer man zu diesem Streit steht, er sollte anders geführt werden.  

Mich macht diese Situation unglücklich. Aus vielerlei Gründen, auch weil eine innerkirchliche Konfrontation damit befeuert wird, die nach außen hin einen verheerenden Eindruck hinterläßt. Zumindest bei den (noch eher wenigen) Beobachtern, die sie zur Zeit wahrnehmen. Der Aufruf Jesu, dass wir eins sein sollen, verhallt ungehört selbst im heiligen Raum der Kirche. Ja, das Evangelium und die weiteren Schriften der frühen Kirche zeigen uns, dass Christen schon immer gestritten haben wie die Kesselflicker! Ja, gestritten wie die Kesselflicker, aber nicht wie Leute, die keine Hoffnung haben. 

Wo, wenn nicht bei uns könnte die Welt lernen, dass man in der Sache streiten kann und dennoch dabei konstatieren muss: „seht wie sie einander lieben“. Das fällt angesichts der aktuellen Ereignisse rund um die ersten Dreihunderternummern von Amoris Laetitia selbst mir schwer, der sich um eine tiefe Loyalität zur ganzen Kirche bemüht. 

Die Wortmeldung von Kardinal Caffarra (und anderen) zielte aktuell vor allem darauf ab, dass eine Zulassung zur Eucharistie für geschiedene und wiederverheiratete Katholiken ja möglich sei, aber nur, wenn sie sich zu einer Ehe ohne gelebte Sexualität verpflichteten. 

Ich weiß sehr wohl, was hinter der Idee einer Josefsehe steht. Aber nach wie vor steht für mich noch aus, dass konservative Theologen, Bischöfe und Kardinäle einmal einem normalen Ehepaar konkret und lebensnah erklären, warum der Verzicht auf Sex einen Ehebruch auf einmal verzeihlich macht. Bei aller Hochachtung vor der Formulierungskunst der Moraltheologen: führen Sie doch mal am Sonntag auf dem Kirchplatz ein Gespräch mit einem Paar über die Aussage, dass es „unter bestimmten Bedingungen in legitimer Weise Akte sexueller Intimität vollziehen“ dürfe. Wenn ich meine Familie verlasse und meiner Frau die vier Kinder zur weiteren Versorgung und Erziehung überlasse und eine Freundin heirate, mit der ich meinetwegen aus einer unehelichen Beziehung ein weiteres Kind habe, dann in einem Gespräch mit dem Beichtvater eine Josefsehe verspreche … dann darf ich Christus in der Eucharistie empfangen. Sollte ich ab und an mal schwach werden auf dem Weg könnte im Einzelnen ja mal ein Geschlechtsverkehr gebeichtet werden, oder? Der Austausch von Körperflüssigkeiten kann doch heute nicht mehr das Kriterium dafür sein, ob ein solcher Mensch zum Mahl des Herrn geladen ist.

Bevor jemand jetzt denkt, ich möchte alle Türen öffnen. Nein, ich bin da ganz bei Papst Franziskus, der von gewissen Fällen geschrieben hat. Ich interpretiere das, auch vor dem Hintergrund meiner seelsorglichen Erfahrungen wirklich als Lösung für Einzelfälle, insbesondere solche, in denen begründete Zweifel an der Gültigkeit einer ersten Ehe sich kirchengerichtlich nicht klären lassen. Ich glaube zudem, dass es Paare gibt, für die das Prinzip der Josefsehe „passt“ und achte jeden, der dies für sein Leben umsetzen kann. 

Soweit ich das wahrgenommen habe, hat die Sicht der Kirche auf die menschliche Sexualität seit den Zeiten des Apostels Paulus eine gewaltige Entwicklung hinter sich. Neben Anderen ist hier sicher der Hl. Papst Johannes Paul II. zu nennen. Sexualität ist weit mehr als der „eheliche Akt“, den man ausschließlich dann anzustreben habe, wenn die Zeugung eines Kindes angestrebt sei. Von dieser sehr einseitigen Verengung hat sich die katholische Theologie Gott sei Dank befreit, ohne in das Loblied einer von allen Regeln befreiten Sexualität einzustimmen, die in unserer heutigen Gesellschaft eine mächtige Leitidee darstellt. Dass es zu einer derartigen Vergötzung von Sexualität kommen konnte, dass heute sexuelle Beziehungen vom frühen Jugendalter an eine Selbstverständlichkeit darstellen, dass Prostitution, Pornografie und Untreue den Status von Kavaliersdelikten oder gar als normale Wirtschaftszweige und Ausdruck einer freien, ungebundenen Ehekultur gefeiert werden, hat nicht nur mit der Pille und der sexuellen Revolution zu tun, sondern auch mit dem Versagen der Kirche, ihre Lehre über die Sexualität, die Ehe und Familie jenseits enger gesetzlich – moraltheologischer Setzungen zu erklären, zu vermitteln und zu verkündigen. 

Hier hat sich – wir müssen es ehrlich eingestehen – eine kleinliche Gesetzlichkeit eingeschlichen, eine Regelungswut, die weit über die biblischen Jesusworte hinausgeht. Eingedenk der Tatsache, dass Jesus in diesen Fragen ausgesprochen klar spricht und die barmherzige Zuwendung zu den Sünderinnen und Sündern immer mit der Aufforderung: „Sündige in Zukunft nicht mehr...“ verbindet, hat Jesus sich trotzdem von Sünderinnen salben und von einer in Sünde lebenden Frau Wasser reichen lassen. Er hat mit Zöllnern und Sündern zu Tisch gesessen und deren Leben geteilt. Ein Seelsorger, der dies heute tut, der wird spüren, ob er einem Menschen zusprechen kann: „Deine Sünden sind Dir vergeben.“ Und sollte ein solcher Mensch dann zur Kommunion gehen und von sich sagen können: „Ich bin ein Sünder, den Gott angeschaut hat!“, könnte das nicht dann gut und richtig sein? Und ist eine in diesem Wort ausgedrückte Lebenshaltung nicht angemessener für eine Begegnung mit Christus in der Eucharistie als die Selbstverständlichkeit, mit der viele Katholiken heute den Leib des Herrn empfangen. 

Der Unterschied, ob jemand in einer Hl. Messe „geistlich“ oder „physisch“ kommuniziert … darf nicht überbetont werden. Hier kommt mir der Dialog Jesu in den Sinn, der die Gebote auf ihren Kern zurückführt. Durchaus so, dass es zu Verschärfungen kommen kann. „Wer eine Frau nur lüstern ansieht...“ Doch da geht es ihm nicht darum, jeden lüsternen Blick durch entsprechende Instanzen bestrafen zu lassen, sondern klar zu machen, dass es für den Einzelnen darum geht, dem inneren Anspruch eines Gebotes zu folgen. Und der Ehebruch beginnt in der Regel weit vor dem Moment, wo die Pharisäer eine „beim Ehebruch ertappte Frau“ auf den Dorfplatz schleifen können.

Ich lerne daraus, dass die Vielfalt der Lebensgeschichten sich nicht immer über den Leisten der Moraltheologie oder des Kirchenrechts biegen lassen. Im Fall der biblischen Ehebrecherin läge diese dann möglicherweise zu Recht verurteilt und gesteinigt auf dem Dorfplatz und ginge vermutlich nicht die ersten, tastenden Schritte in ein neues Leben. 

Vielleicht sollten wir den Streit an dieser Stelle wirklich einmal begraben und an einem anderen Punkt neu in die Lektüre von Amoris laetitia eintreten. Da lesen wir nämlich, unmittelbar nach den den viel diskutierten Abschnitten 301 – 306: 


„Um jegliche fehlgeleitete Interpretation zu vermeiden, erinnere ich daran, dass die Kirche in keiner Weise darauf verzichten darf, das vollkommene Ideal der Ehe, den Plan Gottes in seiner ganzen Größe vorzulegen: » Die jungen Getauften sollen ermutigt werden, nicht zu zaudern angesichts des Reichtums, den das Ehesakrament ihrem Vorhaben von Liebe schenkt, gestärkt vom Beistand der Gnade Christi und der Möglichkeit, ganz am Leben der Kirche teilzunehmen. «[354] Lauheit, jegliche Form von Relativismus oder übertriebener Respekt im Augenblick des Vorlegens wären ein Mangel an Treue gegenüber dem Evangelium und auch ein Mangel an Liebe der Kirche zu den jungen Menschen selbst. Außergewöhnliche Situationen zu verstehen bedeutet niemals, das Licht des vollkommeneren Ideals zu verdunkeln, und auch nicht, weniger anzuempfehlen als das, was Jesus dem Menschen anbietet. Wichtiger als eine Seelsorge für die Gescheiterten ist heute das pastorale Bemühen, die Ehen zu festigen und so den Brüchen zuvorzukommen.“ (Abschnitt 307) 

Ich würde mir wünschen, dass dies der Weg der Kirche ist, dass dies die Botschaft ist, die (nicht nur) von vier zweifelnden Kardinälen in die Welt hinaus getragen wird. Und dass die ein oder andere pastorale Feinheit von Bischöfen und Kardinälen in einer Weise geklärt wird, die einer Verkündigung der frohen Botschaft nicht im Wege steht. Ich gehe davon aus, dass das Schweigen des Papstes auf die „Dubia“ nicht das letzte Wort bleibt. 

Es fehlt dem apostolischen Schreiben des Papstes doch wahrhaftig nicht an Klarheit und es zeigt einen Weg auf, den die Kirche gehen müßte, einen mühevollen Weg, wo auch ich mich häufig frage, ob sie noch die Kraft dazu hat. Wer soll das alles leisten, was dem Papst da vorschwebt, wo es uns heute nicht einmal gelingt die vielen Paare, die getrennte oder neue Wege gehen annähernd angemessen zu begleiten oder überhaupt mit unserem Anspruch und unserem seelsorglichen Angebot zu erreichen. 

Nein, die Diskussion birgt nicht das Potential eines Schismas, auch wenn offensichtlich damit mancherlei unerquicklicher Streit und manche erstaunliche Aktion verbunden ist. Das Schisma-Gerede ist unverantwortlicher Alarmismus. Die Lehre der Kirche ist nicht in Gefahr. Ja, der Streit bringt Menschen auseinander, es tun sich Risse auf innerhalb der Kirche. Die könnten sogar dazu führen, dass Gruppen von der Kirche wegbrechen, so wie es einst die Piusbrüder taten, die zur Zeit ja ebenfalls weitergehende Schismen erleben. Solche Brüche aber zu heilen, das ist unser Job! Die Risse zu schließen mit Wahrheit, Barmherzigkeit, Gebet ist angesichts des drängenden Aufrufs Jesu Christi zu Einheit und Liebe bleibende Aufgabe. Und die stellt sich zunächst für Papst Franziskus, für Kardinal Kasper und für Kardinal Burke aber auch für mich und Dich.