Freitag, 21. Februar 2020

Ein Irrer - und die AfD?

Es muss so in der Mitte der 90er gewesen sein. In Zeiten also, wo das Denken eines Rechtsextremen für die meisten Deutschen in etwa so verstörend war, wie heute die Gedankenwelt des Attentäters von Hanau. Damals war ich zu einem Kabarettabend mit Hanns-Dieter Hüsch eingeladen, irgendwo in einem Bildungshaus am Niederrhein. Ich erinnere mich an den Moment damals, als wenn es gestern gewesen wäre. Hüsch hatte den Saal zum Lachen gebracht. Alles gluckste noch vor sich hin, da kippte die Stimmung von einem Moment in den Nächsten... 

„Dann nehmt euch alle an die Hand
Und nehmt auch den der nicht erkannt
Dass früh schon in uns allen brennt
Das was man den Faschismus nennt“

Es wurde ernst und still im Raum. Faschismus, das ist für Hüsch scheinbar nicht eine obskure Krankheit faschistoider Gehirne. Es ist etwas, das „in uns allen brennt“. In uns allen? Augenscheinlich gibt es eine Ausnahme, nämlich Mitglieder und Wähler der AfD. Deren Frontmann Prof. Dr. Jörg Meuthen postete heute morgen eine entrüstete Botschaft. Gleich mit dem eigenen Foto im tief betroffenen schwarzweiß und mit dem entrüsteten Satz: „Es ist zu schäbig: Die Tat eines Wahnsinnigen soll UNS angelastet werden.“ Und das UNS auch noch supergroß und superfett. Im ersten Moment dachte ich an den Postillion.

Ein Wahnsinniger! Der Täter!
In einer begleitenden langen Erklärung legt Meuthen dar, warum die AfD sich diesen Irren nicht zurechnen lassen möchte. Und zitiert dann ellenlang aus dem inzwischen weitgehend aus den Medien getilgten „Manifest“ des Täters. In der Tat, irre! 

Mir ging es gestern schon auf die nerven, dass gleich von allen Seiten auf die AfD gezeigt wurde. Von daher kann ich das sogar etwas nachempfinden, dass jemand wie Meuthen sagt: Der nicht! Der ist keiner von uns! Der hat sich ja schon radikalisiert, da gab es uns noch gar nicht! 
Und dann wird gestern sogar von der AfD als „der politische Arm des Rechtsterrorismus“ gesprochen. Was für ein vielstimmiger Chor gestern – auf allen Kanälen. Bei Meuthens Freunden im Übrigen wurde – ebenso absurd aber offenbar ernst gemeint – die Kanzlerin zur Schuldigen dieses Massakers erklärt. 

So recht vermag ich das Durcheinander in meinem Kopf aber noch immer nicht zu entwirren. Die Tat in Hanau macht einen ja unter allen Umständen und aus welcher Betrachtungsweise auch immer sprachlos, so wie auch der bewußt herbei geführte Absturz der Germanwings-Maschine durch die Hand des Piloten, so wie der Angriff auf die Synagoge in Halle. Sind jetzt eigentlich alle „irre“ geworden? Das Entsetzen über die Tat in Hanau ist noch immer groß. Ich weiß wirklich nicht, was ich dazu sagen soll – zumal rund um uns noch der Karneval tobt. Wie irre ist das eigentlich alles? Müßte nicht erst mal Ruhe einkehren, Besinnlichkeit, Gebet? Kann mal einer diese Welt anhalten, den Karneval absagen und die politischen Aktivisten zum Schweigen bringen?

Kann man zu Hanau irgendetwas sagen, was uns weiter bringt oder enger zusammen führt? Dann hat Meuthen heute morgen den Faden rausgezogen, der zu diesem Blogbeitrag geführt hat, zusammen mit dem „alten“ Satz von Hanns-Dieter Hüsch.

Mit Rechten zu reden – das ist ja hoch umstritten. Gerade in der Kirche! Der BDKJ hat gerade eben noch mit Blick auf den ökumenischen Kirchentag Gespräche mit der AfD abgelehnt, die er da nicht sehen will. Und die Argumente sind ja nicht falsch. Es liegt ja eine gewisse Gefahr darin, sich mit den „Rechten“ einzulassen. Das haben wir ja in Thüringen ganz deutlich erlebt. Verwirrung und Zerstörung aus allen Ebenen! Allzu leicht fällt einem die Gesprächsbereitschaft selbst auf die Füße.

Trotzdem muss man mit Rechten (Extremen) reden, so denke ich. Aber dann in dem Sinne, wie ich es immer mit den „Grauen Wölfen“ gehalten habe. Mir war immer wichtig, klar zu sagen: „Ich rede mit Dir, weil Du ein Mensch bist. Aber ich lasse mich nicht von Dir für Deine Weltsicht mißbrauchen. Daher werde ich nicht mit Dir auf ein Foto gehen oder Deine Veranstaltungen besuchen oder mich anderweitig vor den Karren spannen lassen – solange Dein Idealistenverein im Verfassungsschutzbericht auftaucht.“ Natürlich müssen wir mit Rechten (Extremen) kommunizieren. Auch so, dass sie die Chance haben unser Anliegen und unsere Motivation richtig zu verstehen. Und wir müssen ihnen widersprechen. Wir müssen Ihre Denkhorizonte aufbrechen. Aber nicht in solchen Formen, bei denen sie uns für ihre Zwecke einspannen können. Das wird schwer werden, aber die notwendigen Weichen dagegen können wir stellen. Warum nicht beim Katholikentag ein Stuhlkreis hinter verschlossenen Türen und ohne Presse – aber doch nicht auf einem öffentlichen Podium!?

Zurück zu dem Schrecken, den mir Herr Meuthen heute morgen eingejagt hat. Was mir hier (und bei den Wortmeldungen vieler seiner Anhänger und Parteifreunde) völlig fehlt – ist ein gewisses Schuldbewußtsein, eine Selbsterkenntnis. Nämlich im Sinne dessen, was Hüsch formuliert, der uns ja schon vor Jahrzehnten den Spiegel vorhielt. 

Der Spiegel wäre auch für Herrn Meuthen das richtige Bild. Die AfD ist vermutlich nicht der geistige Brandstifter des Attentäters von Hanau. Für den wäre die AfD gar nicht radikal genug. Aber der Attentäter und die AfD sind Symptome derselben Krise, derselben Bewegung, derselben Verrohung. Der Attentäter ist ein Spiegelphänomen der AfD und sie könnte aus diesem Attentat auch eine Erkenntnis für sich gewinnen. 

„Dass früh schon in uns allen brennt…“ IN UNS ALLEN! Vermutlich selbst in denen, die unter den schwarz-roten Fahnen der Antifa auftreten. Und ganz bestimmt auch in denen, die der AfD das bürgerliche Antlitz verschaffen, an deren Parteibüros öffentlichkeitswirksam signalisiert wird: „Linke – ihr müsst draußen bleiben“, die aber lauter Hintereingänge und Hinterzimmer haben, in denen Kontakt zu ganz komischen Leuten gepflegt wird. Und die keine Scheu haben mit ganz, ganz Rechten zu reden. Solange sie nicht völlig irre sind. Obwohl – mit Reichsbürgern redet man da ja durchaus auch. Sie könnten ja – als wachsende Bewegung – „uns“ in der AfD Stimmen bringen. 

Hätte die AfD Hanau sich von diesem Täter fern gehalten? Offenbar hat das ja nicht mal irgendeine Behörde gemerkt. Obwohl der Vogel sogar seine Wahnvorstellungen auf einigen Polizeiwachen zu Protokoll gab, ohne dass einer bei der Computerrecherche merkte, dass dieser durchgeknallte Typ auch noch Waffen zu Hause hatte. Offenbar hat auch in seinem Schützenverein keiner gemerkt, was da für eine Zeitbombe tickte. 

Die AfD muss aufpassen. In ihrem Schatten gibt es einen großen Graubereich von Kontakten und Verbindungen in eine Szene, die zur Zerrüttung unseres „Systems“ beiträgt und hierfür Pläne macht. Dazu gehört eine gehörige Portion von Rassismus. Dazu gehört, die Welt einzuteilen in „Wir“ und in „Die“. Das sind dann nicht nur „Die Türken!“ oder „Die Flüchtlinge!“ oder „Merkels Gäste“ oder „Die Linken“ oder „Die Antifanten“ oder am Ende auch „Die System-Politiker“. Nein, das ist nicht alles Rassismus, aber das ist trotzdem ein schleichendes Gift, das das Zusammenleben in Deutschland vergiftet. Ich spüre ja jetzt schon, wie türkische Freunde auf Distanz gehen zu uns Deutschen. Wie Menschen, die sich intensiv für den Dialog engagieren sich unter dem wachsenden Druck in ihre Welten zurückziehen. 

Gegen dieses Gift gibt es nach meiner Überzeugung nur ein Gegenmittel. Und das ist die feste Überzeugung, dass jeder Mensch ein Kind Gottes ist, gleich an Rechten, gleich an Würde. Einfach ein Mensch! Und in der großen Menschheitsfamilie gibt es keine, die mehr oder minder wert sind. Liebe deinen Nächsten, liebe deine Feinde, liebe auch die Fernsten! Das fordert Jesus von uns. 

Ja, Herr Meuthen, das würde für Sie bedeuten, dass Sie sogar die Kanzlerin höchstselbst lieben müßten und anständig und mit Würde mit ihr umgehen. 

Sie tragen Mitverantwortung, dass ein bestimmtes Denken einsickert… langsam normal wird… denkbar wird. Selbst wenn Sie das eigentlich gar nicht wollen. In vielen Punkten haben Sie einen demokratischen Konsens in Frage gestellt, der mit viel Blut und Schmerzen erkämpft wurde. Die Demokratie ist – wie der gesellschaftliche Zusammenhalt - ein empfindliches System, sorgfältig austariert. Was hier einmal an Miteinander zerstört wird, das kann man nicht so schnell wieder reparieren. Das sollte man bei allem Engagement gegen Fehlentwicklungen, Langeweile und Frustration über unser politisches System nicht vergessen. Schon daher ist es notwendig den „Fliegenschiss“ in der Deutschen Geschichte sorgfältiger zu analysieren, ihm mehr Gewicht zu geben und mehr daraus zu lernen als aus der als glorreich empfundenen Zeit des Kaisers Barbarossa.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie im Spiegel des Textes des großartigen Kabarettisten Hüsch erkennen, wo Sie selbst das Gift des Faschismus, des Rassismus, der Menschenfeindlichkeit im Sog des Erfolgs der Protestpartei AfD aufsaugen und in unsere Gesellschaft weiter verteilen. 

Solange die AfD sich nicht klar distanziert von jeglicher Form der Menschenfeindlichkeit, selbst gegenüber denjenigen, die nicht von hier sind, die ein Kopftuch tragen oder unter linken Fahnen demonstrieren, solange braucht sie sich nicht zu wundern, dass man den Verdacht hegt und pflegt, dass Parteilinie sein könnte, was einige abseitige Protagonisten in voller Absicht, mausgerutscht oder leicht beschwipst von sich geben.

Allen Politikern wünsche ich die Kunst, dann zu schweigen, wenn Worte nichts besser machen. Und dass sie ihren Gefühlen nur dann freien Lauf lassen, wenn sie wirklich aufrichtig und ehrlich sind. 

Und das, was ich Herrn Meuthen wünsche, das wünsche ich im Übrigen jedem von uns. Und ganz besonders jenem, der in den Stunden nach dem Anschlag – wenn auch nur für einen Moment gedacht hat – 

Der Täter war ja zum Glück kein Rechter vulgo kein Flüchtling … 

oder gar... 
„Es waren ja keine „von uns“.“
„Schlimm, ganz schlimm, furchtbar, aber…“


Das Phänomen
von Hanns-Dieter Hüsch

Was ist das für ein Phänomen
Fast kaum zu hören kaum zu sehn
Ganz früh schon fängt es in uns an
Das ist das Raffinierte dran

Als Kind hat man's noch nicht gefühlt
Hat noch mit allen schön gespielt
Das Dreirad hat man sich geteilt
Und niemand hat deshalb geheult

Doch dann hieß es von oben her
Mit dem da spielst du jetzt nicht mehr
Das möcht ich nicht noch einmal sehn
Was ist das für ein Phänomen

Und ist man größer macht man's auch
Das scheint ein alter Menschenbrauch
Nur weil ein andrer anders spricht
Und hat ein anderes Gesicht

Und wenn man's noch so harmlos meint
Das ist das Anfangsbild vom Feind
Er passt mir nicht er liegt mir nicht
Das ist das nicht und find ihn schlicht

Geschmacklos und hat keinen Grips
Und außerdem sein bunter Schlips
Dann setzt sich in Bewegung leis
Der Hochmut und der Teufelskreis

Und sagt man was dagegen mal
Dann heißt's: Wer ist denn hier normal
Ich oder er du oder ich
Ich find den Typen widerlich

Und wenn du einen Penner siehst
Der sich sein Brot vom Dreck aufliest
Dann sagt ein Mann zu seiner Frau
Guck dir den Schmierfink an die Sau

Verwahrlost bis zum dorthinaus
Ja früher warf man die gleich raus
Und heute muss ich sie ernähr'n
Und unsereins darf sich nicht wehr´n

Und auch die Gastarbeiterpest
Der letzte Rest vom Menschenrest
Die sollt man alle das tät gut
Spießruten laufen lassen bis auf's Blut

Das hamwer doch schon mal gehört
Da hat man die gleich streng verhört
Verfolgt gehetzt und für und für
Ins Lager reingepfercht und hier

Hat man sie dann erschlagen all
Die Kinder mal auf jeden Fall
Die hatten keinem was getan
Was ist das für ein Größenwahn

das lodert auf im Handumdrehn
Und ist auf einmal Weltgeschehn
Denn plötzlich steht an jedem Haus
Die Juden und Zigeuner raus

Nur weil kein Mensch derselbe ist
Und weiß und schwarz und gelbe ist
Wird er verbrannt ob Frau ob Mann
Und das fängt schon von klein auf an

Und wenn ihr heute Dreirad fahrt
Ihr Sterblichen noch klein und zart
Es ist doch eure schönste Zeit
voll Phantasie und Kindlichkeit

Lasst keinen kommen der da sagt
Dass ihm dein Spielfreund nicht behagt
Dann stellt euch vor das Türkenkind
dass ihm kein Leids und Tränen sind

Dann nehmt euch alle an die Hand
Und nehmt auch den der nicht erkannt
Dass früh schon in uns allen brennt
Das was man den Faschismus nennt

Nur wenn wir eins sind überall
Dann gibt es keinen neuen Fall
Von Auschwitz bis nach Buchenwald
Und wer's nicht spürt der merkt es bald

Nur wenn wir in uns alle sehn
Besiegen wir das Phänomen
Nur wenn wir alle in uns sind
Fliegt keine Asche mehr im Wind


Ich verneige mich in Ehrfurcht vor den Opfern des Attentäters von Hanau. 
Möge Gott, der Herr sie in sein Reich aufnehmen und ihnen Frieden schenken. 
Mögen die Wunden der Verletzten, der Freunde, Angehörigen und Familien heilen. 
....
....
Amen!

Donnerstag, 20. Februar 2020

Ein Papst, ein Kardinal, ein Weihbischof und ein Priester

Vor zwei Jahren versammelten sich Monat für Monat die Opfer eines Bottroper Apothekers auf dem Kirchplatz zwischen der „Alten Apotheke“ und der benachbarten Cyriakuskirche, um eine gerechte Strafe für diesen perfiden Täter zu fordern. Auf diese Weise trugen sie auch ihre Hilflosigkeit auf die Straße, angesichts eines Verbrechers, der aus blanker Geldgier die lebensrettenden Medikamente unterdosiert hatte und damit seine Opfer möglicherweise sehenden Auges dem Krebstod überantwortete. Der in der Bottroper Stadtgesellschaft und auch in der Kirche gut vernetzte Mann schwieg zu seinen Taten und dieses Schweigen breitete sich aus. So taten sich auch die Kirchenleute schwer mit einem klaren Wort, Behörden und Politiker schwiegen betreten oder betroffen. Die Opfer schlugen „auf die Pauke“ um ihre Hilflosigkeit sichtbar zu machen und Konsequenzen zu fordern. Und viele Leute, die die Familie des Bottroper Apothekers kannten und schätzten, warfen sich für diese in die Bresche, erzählten von deren guten Taten und von besseren alten Zeiten. Demonstrativ trugen manche Bottroper ihre Rezepte weiter in eine Apotheke, von der nicht Heilung und Gesundheit sondern deren glattes Gegenteil ausgegangen war. 

Bei dieser Demo stand ich irgendwann einmal neben einem Mann in meinem Alter. Als Markus stellte er sich vor! Ah, ich auch! Krebsbetroffen war er nicht, aber solidarisch! Und diese Solidarität hatte offenbar Gründe. Ich weiß nicht, ob er das auch so sieht – aber er kennt das Gefühl, als Opfer einer unbeweglichen, gut vernetzten Organisation gegenüber zu stehen und über lange Zeit nicht gehört zu werden. Und er kennt das Gefühl, mit tröstenden Worten abgespeist zu werden, aber am Ende mit leeren Händen da zu stehen und keine echte Hilfe zu bekommen. Ein Kämpfer!

Als Kind wurde er in Bottrop von einem Kaplan missbraucht. Einige Wochen später hat er mir einmal seine Geschichte im Zusammenhang erzählt. Und berichtet, dass sein Täter heute mit voller Pension als Privatmann kaum geschoren irgendwo in München wohnt und im Grunde nie bestraft wurde. Trotz vielfach wiederholter Taten hielt es niemand für notwendig ihn, der auf Bewährung draußen war und blieb, einmal einzulochen. Er ist nach wie vor Priester, wenn auch suspendiert (seit 2010).

Jetzt ist es Markus gelungen – zusammen mit den Journalisten vom Netzwerk Correktiv – die Geschichte von Pfarrer Pe. Hu. (ich weiß nicht, ob es strafbewehrt ist, den Namen klar zu nennen, daher vermeide ich das hier) noch einmal prominent ins Fernsehen zu bringen. Bei Frontal 21 wurde der Fall – durch neue Details angereichert – erneut präsentiert. 

Für Journalisten ist dieser Fall besonders interessant, weil er zunächst einmal sehr exemplarisch das Versagen der katholischen Kirche im Umgang mit Missbrauchstätern im Priesterhemd schildert. Und weil in diesem dunkel schillernden Bild hier einige besonders interessante Protagonisten hervorstechen. Da ist einmal der in Essen hoch verehrte Kardinal Hengsbach, dann in München der dortige Weihbischof Heinrich Sigmund Maria Rudolf Graf von Soden-Fraunhofen und schließlich – besonders spannend – der ehemalige Papst Benedikt XVI,, alles Personen die in der ganzen Angelegenheit eine gewisse Rolle spielen. 

Erstere sind bereits verstorben, letzterer jedoch ist noch am Leben. Er trug vom Tag seiner Bischofsweihe 1977 an Mitverantwortung für die Leitung der katholischen Kirche und damit auch für den Umgang mit Missbrauchstätern in der Kirche. Das macht ihn für die Öffentlichkeit besonders interessant. Dazu braucht es im Übrigen keineswegs die aktuell gerade wieder gern bemühte angebliche Feindschaft eines "liberalen" Kirchenflügels und einer noch liberaleren, kirchenfeindlichen Presse, die darauf aus sei, seine Lebensleistung zu beschädigen.

Bisher bestand die Verbindung zwischen Pfarrer-Täter und Kardinal-Erzbischof ja nur auf dem Papier. Ein schönes Detail im schillernden Gesamtbild dieses Falls wäre ja eine Art Showdown; eine Begegnung des Täters mit demjenigen, dem als Präfekten der Glaubenskongregation die angemessene Verfolgung der Täter oblag. Das riecht ja für den investigativen Journalisten geradezu nach qualmendem Scheiterhaufen... 

Und im aktuellen Bericht ist nun tatsächlich so was drin. Ein Ohrenzeuge (nicht irgendwer, sondern der damals mit dem Pfarrer befreundete Gemeinderatsvorsitzende Klaus Mittermeier) berichtet darüber, dass Pfarrer H. ihm erzählt habe, dass Kardinal Ratzinger eines Abends überraschend an seiner Tür gestanden habe. Da der Kardinal den Weihbischof nicht antraf, wollte er offenbar beim Pfarrer fragen, wie er diesen erreichen und besuchen könne. Eine kleine Begegnung von zwei, drei Minuten. Ein Kardinal klingelt bei einem Pfarrer H.. Ob der Name des Pfarrers dem Kardinal damals noch in den Ohren „klingelte“ ist dabei noch gar nicht ausgemacht. Direkte Personalverantwortung für den Fall trug Joseph Ratzinger 1980/1981. Der Vorfall soll sich im Jahr 2000 zugetragen haben, als man noch glauben konnte, die Kirche habe kein tiefes Missbrauchsproblem. Es gebe nur Einzelfälle!

Weitaus verstörender als die denkbare Begegnung zweier Kirchenmänner in der bayrischen Provinz ist für mich in dem aktuellen Correktiv-Text die Tatsache, dass Weihbischof von Soden-Fraunhofen seinen Altersruhesitz ausgerechnet in der Gemeinde nahm, wo Pfarrer Hu., der zu therapierende Missbrauchstäter aus dem Bistum Essen segensreich (zynischer Einfwurf!) wirkte. 

Es ist etwas rätselhaft, warum der Weihbischof höchstselbst in diese Gemeinde zog. In seiner aktiven Zeit war er mit dem Fall des Pfarrers Hu. befasst. Er kannte offenbar alle Details. Dem behandelnden Psychiater soll er gesagt haben, er ziehe nach Engelsberg, weil er Pfr. Hu. auf die Finger gucken, ihn überwachen wollte. Offiziell wurde gesagt, seine Haushälterin habe Verbindungen in den Ort, er wähle ihn als Altersruhesitz ihr zuliebe. Das erinnert frappant an den Missbrauchstäter, den sein Orden nach Afrika versetze. Offenbar waren die Ordensoberen beruhigt, weil der dortige Bischof den Täter im Blick halten wollte. Ähnliche Beteuerungen hörte man kürzlich auch aus dem Bistum Münster für einen Täter in Westfalen. Aber de facto kann niemand glauben, dass er einen Missbrauchstäter im Griff haben kann. Und wer die kirchlichen Strukturen einigermaßen kennt, der weiß, dass niemand einen Priester rund um die Uhr überwachen kann. Auch insofern zeigt der Fall das hilflose Bemühen der kirchlichen Obrigkeit, das Phänomen und Problem des sexuellen Missbrauchs durch Priester angemessen anzugehen und zu bekämpfen (geschweige denn zu bestrafen). Von daher bin ich beinahe dankbar, dass Correktiv und Markus Elstner diesen Fall neu in die Öffentlichkeit bringen. Als Kirche sollten wir diese (vermutlich überscharfe Kritik) nicht abwehren, sondern lieber auch die andere Wange hinhalten, auch den Mantel geben oder eine Meile weiter mitgehen als vom Opfer gefordert. 

Zumal auch in dieser Hinsicht Pfr. Hu. ein Musterbeispiel für das Doppelleben solcher Täter ist. Viele beschreiben ihn noch heute als Priester erster Güte, fröhlich, modern, aufgeschlossen, offen, zugewandt, engagiert. Viele waren mit ihm befreundet, vertrauten ihm blind, vertrauten ihm gar die Kinder an. Gibt es eigentlich ehrenwertere Berufe als der des Apothekers, des Pfarrers, des Arztes … ? Und doch überdeckt und überstrahlt dies zuweilen eine überaus dunkle Schattenseite. 

Pfarrer Hu. war im Übrigen ein Priester ganz im Sinne der Einlassungen von Papst em. Benedikt XVI. zur Frage des sexuellen Missbrauchs im Kontext der sexuellen Revolution. Niemand sollte glauben, Joseph Ratzinger – Benedikt XVI. hätte irgendeine Sympathie für solche Priester-Täter gehegt noch auch nur im Ansatz Verständnis für ihre widerlichen Taten gehabt. Im Gegenteil, es ist vielfach belegt, dass er sich als Präfekt der Glaubenskongregation redlich um Aufklärung und Bestrafung bemühte. Aber in diesem Anliegen in erster Linie um das Ansehen, die Reinheit und Glaubwürdigkeit der Kirche in Sorge war. 

Selbst Daniel Deckers berichtete 2011 in der FAZ über den Fall des Pfarrer Hu. und hebt hier die kaum bestreitbaren Verdienste Kardinal Ratzingers als Präfekt und Papst im Kampf gegen den Missbrauch und für untadelige Priester hervor. 

Umso mehr erstaunt jetzt, dass – offenbar auf Nachfrage der Tagespost – Papst Benedikt XVI. es für notwendig hielt, die Episode einer persönlichen Begegnung mit dem Täter (und nur diese) dementieren zu lassen. Er sei dem Täter im Jahre 2000, bei seinem Besuch am Krankenbett von Weihbischof von Soden-Fraunhofen nicht begegnet!

Hm!

Das Erzbistum München ist groß! Jedes Jahr lädt der Erzbischof vermutlich seine Priester auch zu verschiedenen Begegnungen oder zur Chrisammesse in den Freisinger Dom ein. Ich halte es für höchst wahrscheinlich, dass Pfarrer Hu. seinem Bischof in den Jahren 1980 / 1981 irgendwann einmal begegnet ist. 

Ich grüble daher darüber nach, warum man es in Rom für opportun erachtet, eine beiläufige und völlig unbedeutende (immerhin aber denkbare) Begegnung eines römischen Kardinals mit einem Dorfpfarrer zu dementieren. Was ist, wenn sich nach diesem Dementi plötzlich die alte fromme Haushälterin von Pfr. H. meldet, die dem Kardinal damals (möglicherweise) die Pfarrhaustür geöffnet hatte? Auch wenn Papst Benedikt sich (was völlig verständlich wäre) an die kleine Episode im bayerischen Dorf nicht mehr erinnern kann, dieses Dementi kann dann erst recht großen Schaden anrichten. Es erinnert an die Frage an einen hessischen Bischof, ob er erster Klasse nach Indien geflogen sei – was dieser strikt verneinte. Am Ende stellte sich heraus, dass es doch die erste Klasse war – und die Glaubwürdigkeit war ganz dahin. Sind hier wieder wohlmeinende Leute am Werk, die sich schützend vor Benedikt XVI. stellen - und ihm am Ende - gut gemeint - eher schaden?

Die Spitze des aktuellen (nun nach 10 Jahren wieder aufgewärmten) Berichts ist doch die, dass der damalige Münchener Erzbischof im Jahre 1980 auch nicht klüger oder besser beraten war, als viele seiner Amtsbrüder auch. (Ich erinnere an die Worte des emeritierten Hamburger Erzbischofs Thissen). Der Bericht sagt mir (auch wenn ich alle fragwürdigen Details und Interpretationen weg lasse), dass auch der Münchener Erzbischof hinter der Kulisse eines engagierten, zugewandten und allseits beliebten Pfarrers die dunkle, gut verborgene aber teuflische Fratze des Gewalttäters nicht erkannt hatte. Was bisher über den Fall bekannt ist legt nahe, dass der Erzbischof wohl nicht über alle Details des Aufenthalts des Essener Diözesanpriesters in seinem Bistum informiert war oder dass er sie nicht angemessen zu interpretieren vermochte. Aber er kannte die harten Fakten: ein Missbrauchstäter sollte fernab der Tatorte und der Opfer sinnvoll beschäftigt, therapiert und überwacht werden. 

Anders scheint sich das bei den anderen Verantwortlichen in der Bistumsleitung zu verhalten, beim Personalchef und Generalvikar (der schon vor Jahren die ganze Verantwortung allein übernommen hatte) und vor allem beim Weihbischof. Dieser glaubte offenbar, das schändliche Treiben des Mitbruders durch persönliche Anwesenheit in dessen Nähe verhindern zu können. Wie sich heute zeigt, war das (möglicherweise) so ehrbar wie naiv. Aber er wäre nicht der erste Kirchenmann, der auf diesem Auge nicht ausreichend scharf sehen konnte. Da ist die Betroffenheit unter älteren Bischöfen und Prälaten heute hoch. Bei uns als normalen Gläubigen und einfachen Seelsorgern im Übrigen auch, wenn wir die Tatsache bedenken, dass man offenbar lieber verdächtige Priester (oder gar verurteilte Priester) in der Hoffnung auf Besserung normal weiter arbeiten ließ, statt umfassend darüber zu informieren, dass da jemand eine Gefahr für Kinder und andere Schutzbedürftige darstellen könnte. (Was natürlich in Frage gestellt hätte, dass so jemand überhaupt in der Seelsorge tätig sein kann). Mitgegeben hat man ihnen strenge Ermahnungen und Forderungen, aber versäumt die unmittelbaren Vorgesetzten zu informieren oder ernsthaft zu kontrollieren. Im Grunde ist so was die Quadratur des Kreises. Es gibt keine seelsorgliche Tätigkeit ohne Begegnung mit (schutz-)bedürftigen Menschen.) 

Ich bin fest überzeugt: es schadet dem Ansehen von Papst Benedikt XVI. in keiner Weise, wenn er hier und heute (noch einmal und klarer) erklärt hätte, dass auch er damals an die Therapierbarkeit des Täters geglaubt habe, dass auch er mit der naiven Vorstellung gescheitert sei, man könne diese Täter durch Therapie und "auf die Finger schauen" im Griff halten und von weiteren Taten abhalten.

Kein Bischof ist mit den Irrungen und Wirrungen des menschlichen Sexuallebens und mit der vielfältigen Wirklichkeit sexueller Straftaten vertraut. Es ist für mich nicht verwunderlich, dass ein Bischof auch deutlich lieber Bücher über Jesus Christus, über Glaubenswahrheiten und Trinität liest und schreibt, als sich diesen abstoßenden Schattenseiten der menschlichen Existenz auszusetzen. Ich glaube auch gern, dass man als Bischof sich lieber mal abwendet, wenn von freundlichen Pfarrern widerwärtige Dinge berichtet werden. Das haben mit dem Bischof auch viele andere Leute so getan, ja sogar Mütter und Väter gegenüber ihren Kindern. Trotzdem, die Verantwortung eines Bischofs für ein Opfer gleicht nach meiner Auffassung meiner eigenen Verantwortung als Vater für meine Kinder. Wir müssen zusammen hellwach sein. Und ab und an bereit, das Undenkbare zu denken und für möglich zu halten.

Es täte gut, wenn Benedikt XVI. im Rahmen seiner Erklärung in der Tagespost gesagt hätte, er habe keine genaue Erinnerung an den damaligen Besuch, aber wenn der Gemeinderat das berichte, könnte es möglich sein, dass es eine kurze Begegnung gab.

Es hätte auch gut getan zu hören, dass er die furchtbaren Realitäten heute rückblickend besser durchschaue und dass er alle kirchlichen Stellen aufrufe, unbürokratisch und großzügig den Opfern zur Seite zu stehen und so die mütterliche Sorge nachzuholen, an der es die Kirche so lange (und bis heute) habe fehlen lassen.

Wenn er gesagt hätte, ich bitte alle Opfer um Verzeihung und appelliere an die bischöflichen Ordinariate und ihre Verantwortlichen, ja möglicherweise an die bischöflichen Mitbrüder persönlich, sich mit den Opfern zu treffen und unbürokratisch und großzügig mit ihnen nach Wegen zu suchen, mit den Mitteln der Kirche ein möglicherweise schwieriges und belastetes Leben leichter zu machen.

Wie schön wäre es, wenn sie wenigstens etwas Frieden mit der Kirche Christi machen könnten, in deren Verantwortungsbereich ihnen Furchtbares angetan wurde.

Ich würde mir wünschen, dass Benedikt XVI. die Kirche entschieden aufruft, bei der Auswahl der Priester sehr aufmerksam und streng zu sein und Vergehen gegen das (Seelen-)heil der Kleinsten konsequent und deutlich zu ahnden, so wie es der Abscheulichkeit dieser Taten angemessen ist. Eine baldige Entlassung des Pfarrers Hu. aus dem Priesterstand wäre dann das I-Tüpfelchen.

Ich bin sicher, dass Papst Benedikt all dieses wirklich aus vollster Herzens-Überzeugung erklären könnte, ohne sich dabei zu verbiegen.

Zum Hintergrund, hier der Correktiv-Text: 


Exemplarisch ein Bericht der WAZ (Regionalzeitung, auch für Essen, Bottrop) von 2010:

Mittwoch, 12. Februar 2020

Überraschung! Der Papst ist katholisch!

Seit heute Mittag um zwölf sind die „Papst- und kirchentreuen Katholiken“ wieder ein Stück versöhnter mit dem amtierenden Papst. Manchmal hatte man ja in den vergangenen Wochen das Gefühl, am Liebsten wäre es Manchem gewesen, dass ein wieder wunderbar verjüngter und gestärkter Papst Benedikt XVI. das Ruder des Kirchenschiffs wieder in seine Hände genommen hätte.

Und jetzt! Überraschung! Der Papst ist katholisch! Wer hätte das gedacht!?

Jetzt hat Papst Franziskus getan, was sie alle nicht zu hoffen wagten. Erst kürzlich noch hatten Internetforen vermeldet, der Papst habe den einschlägigen Abschnitt des Abschlussdokuments der Amazonas-Synode beinahe 1:1 in seine apostolische Exhortation übernommen. Der Zölibat sei in höchster Gefahr, der Großangriff auf das sakramentale Priestertum stünde bevor. Es wurde sogar behauptet, einige Bischöfe hätten genau dies schon bestätigt. Kardinal Sarah wurde nicht müde, den Papst vor diesen Sündenfall zu warnen und sein Brandbuch gegen diese Gefahr zu bewerben.

Und nun war alle Aufregung umsonst! (Vermutlich werden das einige Leute noch als ihren Erfolg verkaufen.) Auf jeden Fall hat Papst Franziskus in seinem heute erschienenen apostolischen Schreiben Querida Amazonia, seiner Antwort auf die Amazonas-Synode vom Oktober 2019, keine Sonderregelungen für die leichtere Weihe verheirateter bewährter Männer eingeführt und auch kein neues Diakoninnenamt in dieser Region. Nicht im Text und nicht einmal in einer Fußnote.

Gleichzeitig sind wohl manche Freude der Kirchenreformen tief enttäuscht. Hatten sie doch auf eben dies gehofft. Prof. Schüller spricht schon von der Reformunfähigkeit der kath. Kirche. Bedauern allenthalben, auch am Rande des synodalen Wegs.

Ich bedauere, dass ich nicht schon vor Wochen mutig nach Wettpartnern gesucht habe. Ich hätte die Wetten gewonnen. Denn mich wundert das überhaupt nicht. Bei der Amazonas-Synode hatte ich aus mancherlei Gesprächen und Interviews herausgehört, dass die Synode der Öffentlichkeit nicht die Synode in den Mauern des Vatikan war. Bischof Bahlmann sagte mir im Oktober, das die ganzen heißen Eisen in der Presse auf der Synode nur Randthemen waren, egal ob Zölibat, Priesterinnen (sowieso nicht) oder gar eine angebliche amazonische Pachamama-Verehrung. Bis heute geben gewisse Kreise einem jungen Vandalen ein Forum, der einige Holzfiguren aus einer Kirche entwendet und in den Tiber geworfen hatte. Ohne überhaupt ein ausgewiesener Kenner der Kultur des Amazonas zu sein, erklärte er die Holzfigürchen öffentlich zu Götzen und ermächtigte sich selbst, diesen „Götzendienst“ zu beenden. Erst in dieser Woche durfte er noch seine kleine Weltsicht in einem Café in Herzogenrath zum Besten geben. Auch für ihn hält Querida Amazonia ein Bonbon bereit.

Jetzt ist der Jubel laut und verbindet sich gleich mit lautstarker Häme all jenen gegenüber, die auf schnelle Reformen in der Kirche gehofft hatten. Jetzt habe der Synodale Weg einen Dämpfer erhalten und man verstünde nun, dass Kardinal Marx sich als erste Ratte von diesem sinkenden Schiff davon gemacht habe. Der synodale Weg könne nun beendet werden, seine Ziele könnten die Reformer mit dem Synodalen Weg nicht mehr erreichen.

Auch hier zeigt sich, wie sehr interessierte Kreise den Synodalen Weg, der ja noch ganz am Anfang steht, mit ihren eigenen, teilweise irrealen Ängsten aufgeladen haben.

Ich teile nicht die Hoffnung mancher Leute, dass unsere Kirche schlicht durch die Aufhebung des Zölibats und die Weihe von Frauen in klassische Kirchenämter reformiert werden kann. (Da ich aufgrund einer vorherigen Formulierung angefragt wurde (weil es klang als wäre das quasi eine Mindestforderung) habe ich das etwas umformuliert. Den Satz würde ich auch so vertreten, wenn der Papst "Viri probati" und Diakoninnen tatsächlich eingeführt hätte. Ich streite persönlich nicht dafür, bin skeptisch, ob es die Kirche weiter bringt und die Probleme löst. Aber ich kann mir verheiratete Priester vorstellen (kenne sogar welche), bin etwas skeptisch, wie das umzusetzen wäre und bin durchaus offen für ein (grundlegend reformiertes) Diakonat der Frau.) Ich habe in meinen Blog-Beiträgen oft darüber geschrieben, dass ich glaube, dass jenseits der ganz heißen Eisen in der konkreten Gestalt der Kirche reichlich Reform und Verbesserungsbedarf besteht. Da kann man noch eine Menge machen, um eine ärmere, glaubwürdigere, anziehendere Kirche zu gestalten.
Und Vorsicht, mögen einige katholisch-Konservative in einer erschütternd kurz blickenden Perspektive auch heute noch jubeln (aufgrund der Schlagzeilen), die Piusbruderschaft z.B. wird „not amused sein“, aufgrund vieler – aus ihrer Sicht - sehr spezieller Inhalte des Schreibens.

Papst Franziskus wäre nicht klug gewesen, das vielschichtige, bunte Papst-Schreiben derart in den Schatten dieser „heißen Eisen“ zu stellen. Ich habe „Geliebtes Amazonien“ vorhin einmal flugs quer gelesen. Da steckt noch eine Menge drin! Zunächst einmal fällt die poetische Sprache auf und die darin eingestreuten Gedichte. Dann widmet sich der Papst ausführlich der Kultur, den sozialen, politischen und ökologischen Problemen der Region. Er fordert sehr deutlich eine weit tiefgehendere Inkulturation der Kirche in der Region. Ein Mahnruf, der auch weit darüber hinaus Gültigkeit besitzt und auch in Frankfurt gehört werden sollte. In diesem Zusammenhang läßt aufmerken, dass das Schreiben auch in deutscher Sprache veröffentlicht wurde.

Papst Franziskus stutzt einer Aufladung des priesterlichen Amtes mit überbordender Macht- und Entscheidungsgewalt deutlich die Flügel und definiert noch einmal mit wünschenswerter Klarheit, was der Priester ist und was ihn ausmacht. Das empfehle ich allen zur vertieften Lektüre. Mit größter Selbstverständlichkeit beschreibt er die Rolle der Katechisten als Gemeindeleiter und Gemeindeleiterinnen. 

„Eine Kirche mit amazonischen Gesichtszügen erfordert die stabile Präsenz reifer und mit entsprechenden Vollmachten ausgestatteter Laien-Gemeindeleiter, die die Sprachen, Kulturen, geistlichen Erfahrungen sowie die Lebensweise der jeweiligen Gegend kennen und zugleich Raum lassen für die Vielfalt der Gaben, die der Heilige Geist in uns sät. ... Dies setzt in der Kirche die Fähigkeit voraus, der Kühnheit des Geistes Raum zu geben sowie vertrauensvoll und konkret die Entwicklung einer eigenen kirchlichen Kultur zu ermöglichen, die von Laien geprägt ist.“ Und weiter vorn: „Die Laien können das Wort verkünden, unterrichten, ihre Gemeinschaften organisieren, einige Sakramente feiern, verschiedene Ausdrucksformen für die Volksfrömmigkeit entwickeln und die vielfältigen Gaben, die der Geist über sie ausgießt, entfalten.“

Papst Franziskus spricht auch über die Rolle der Priester in einer Kirche, die von großem Priestermangel geprägt ist. Nur er kann der Eucharistie vorstehen: „Das ist sein spezifischer, vorrangiger und nicht delegierbarer Auftrag. Einige meinen, dass das, was den Priester auszeichnet, die Macht ist, die Tatsache, dass er die höchste Autorität innerhalb der Gemeinschaft ist. Aber der heilige Johannes Paul II. erklärte, dass, obwohl das Priestertum als „hierarchisch“ betrachtet wird, dieser Dienst keine Überordnung gegenüber den anderen bedeutet, sondern dass »sie völlig auf die Heiligkeit der Glieder des mystischen Leibes Christi ausgerichtet ist«. Wenn gesagt wird, dass der Priester „Christus das Haupt“ darstellt, dann bedeutet das vor allem, dass Christus die Quelle der Gnade ist: Er ist das Haupt der Kirche, denn er hat »die Kraft, allen Gliedern der Kirche Gnade einzuflößen«.“

Franziskus betont den engen inneren Zusammenhang zwischen der Eucharistie und dem Sakrament der Versöhnung und eröffnet weite Räume für eine Kirchenstruktur, die auf dem Engagement, dem Zeugnis und der Leitung durch Laien, Männer wie Frauen aufbaut. Laien können in ihrer Funktion der Gemeindeleitung mit den Gläubigen Sakramente feiern, predigen, Wortgottesfeiern halten. So zeigt der Papst der Kirche gangbare Wege, um trotz des Priestermangels mitten unter den Menschen am Amazonas präsent zu sein. Der Papst wünscht sich mehr Diakone in der Pastoral und stärkt auch dieses Amt, das in vielen Weltregionen als ständiges Diakonat noch immer nicht im Sinne des 2. Vatikanums umgesetzt ist.

Sicherlich werden seine Worte zu den unterschiedlichen Rollen und Aufgaben von Männern und Frauen viel diskutiert werden. Anders als in mancher Diskussion in Europa hält der Papst an der Unterschiedlichkeit der Geschlechter fest und betont dabei die Mütterlichkeit. Er denkt dabei aber nicht an Über- und Unterordnung, Frauen und Männer sind absolut gleichberechtigt. Manches können Frauen besser, anderes die Männer. Franziskus hält daher fest: „Das bedeutet auch, dass Frauen einen echten und effektiven Einfluss in der Organisation, bei den wichtigsten Entscheidungen und bei der Leitung von Gemeinschaften haben, ohne dabei jedoch ihren eigenen weiblichen Stil aufzugeben.“ 

An diesem Punkt will ich Bischof Overbeck zitieren, der heute wie folgt (in der FR) Stellung nimmt: „Im Vergleich mit der Situation, in der die Kirche vor 40, 50 Jahren war, ist das Papst-Schreiben fraglos ein Fortschritt. Solch einen Text hätte es noch vor zehn Jahren nicht gegeben, und das freie Reden über die Probleme unserer Kirche auch nicht. In der gegenwärtigen Situation der Kirche bin ich immer schon froh, wenn Türen nicht zugeschlagen werden. Das täten bestimmte Gruppierungen – übrigens auch in der Gesellschaft – gern, um vermeintlich für Klarheit zu sorgen.“

Einen „amazonischen Ritus“ scheint der Hl. Vater nicht zu befürworten, er sagt aber deutlich, dass vielfältige Symbole, Riten und Bräuche, Musik und Tanz in die Liturgie aufgenommen werden können. Auch scheint er die unsägliche Pachamama-Diskussion zu streifen, indem er deutlich macht, dass die Kirche indigene Symbole aufgreifen kann ohne das dies in irgendeiner Weise Götzendienst sei. "Ein Mythos von spirituellem Sinngehalt kann aufgegriffen und muss nicht immer als heidnischer Irrtum angesehen werden." Auch empfiehlt er das Studium der Geschichten und Mythen der indigenen Völker, die ihrerseits auch die Bibel studieren.

Es wäre wirklich schade gewesen, wenn die vielen wichtigen Äußerungen des Papstes aus Lateinamerika einfach in einer aufgeregten Diskussion um Viri probati oder den Frauendiakonat verschwunden wären.

Diese Diskussion bleibt übrigens auf der Agenda. Denn so sehr betont wird, dass der Papst sich dazu nicht geäußert hat, so sehr sollten wir auch aufmerksam sein für die Tatsache, dass der Papst sich dazu eben nicht geäußert hat. Er hat gar nichts dazu geschrieben. Wohl hat er argumentiert, warum das Priesteramt ein Amt für Männer in der Kirche sei, aber er hat auch mit großer Wertschätzung über das Engagement der Frauen gesprochen. Ich glaube, es wäre auch nicht angemessen, angesichts der schwierigen Diskussion über die Gestalt des priesterlichen Amtes und der Bedeutung und Ausgestaltung des Diakonen bzw. Diakoninnenamtes ausgerechnet für Amazonien dieses quasi „ad experimentum“ einzuführen als Priesteramt light oder Diakoninnenamt light. Auch sollte man nicht übersehen, dass der Papst dazu einlädt, das Schlußdokument der Synode parallel zu seinem apostolischen Schreiben zu lesen, ja das er diese offenbar als Teil von Querida Amazonia selbst betrachtet. Hier ist zumindest keine Tür ganz geschlossen worden. Es bleibt spannend!

Abschließend noch zwei bemerkenswerte Zitate von Bischof Overbeck. Im Ersten leuchtet auf, dass die Schwierigkeiten der Kirche in Deutschland nicht mit der Abschaffung des Zölibats und der Weihe von Priesterinnen geheilt werden können und dass das eigentliche Problem woanders liegt, nämlich darin, dass für immer mehr Menschen der Glaube an den dreifaltigen Gott kaum noch Relevanz in ihrem Leben hat. Der Bischof empfiehlt: „Das intellektuelle und existenzielle Wagnis, so zu leben, als gäbe es Gott.“ Auf die Nachfrage, wie man dann leben würde, sagt er: „Gelassener – und zugleich bereiter, selbstlos für andere einzustehen. Nicht, dass man dafür unbedingt den Glauben bräuchte. Aber er gibt ein eigenes Fundament. Nur kommt diese Option eines Lebens mit Gott in unserer postmodernen, säkularen Welt ja immer weniger in Betracht. In Lateinamerika aber schon. Der Gottesglaube wird dort anders gelebt als bei uns. Insofern ist das nicht 1:1 übertragbar. Aber angesichts der vielen, die auch bei uns auf der Suche nach Sinn sind, könnte darin doch ein Moment der Anziehung stecken – auch durch eine Gemeinschaft, die trägt.“
Und er macht jenen Mut, die auf Reformen hoffen: „Schritt für Schritt nach vorn. Auch daraus wird ein Weg.“

Ich bin gespannt auf die Diskussionen in der nächsten Zeit (nach der ersten Aufregung) und ob das Dokument am Amazonas eine gute Wirkung entfaltet und evtl. auch auf den Synodalen Weg ausstrahlt.

Der Originaltext: https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2020-02/exhortation-querida-amazonia-papst-franziskus-synode-wortlaut.html

Sehr lesenswert und besser als mein obiger Text: https://www.zeit.de/2020/08/zoelibat-papst-franziskus-katholische-kirche-amazonas

Montag, 3. Februar 2020

Beinahe alle meine Befürchtungen sind wahr geworden... beim Synodalen Weg

Gerade habe ich eine Mail von Pater Abraham Fischer aus der Abtei Königsmünster bekommen. Er schreibt, dass er mir sehr gern ein kleines Kreuzchen zusendet, wie es auch alle Teilnehmer des Synodalen Weges in Frankfurt bekommen haben, ein Erzeugnis der Klosterschmiede. 

Ich bin sehr skeptisch, was den synodalen Weg angeht. Es ist ja nicht der erste Dialogprozess, an einem davon (das Diözesanforum) habe ich in meinem Bistum sogar als Delegierter teilgenommen. Die Ergebnisse waren mager, die Erfahrung aber möchte ich nicht missen. Die ganze Organisation und Struktur des Synodalen Wegs scheint mir allzu bürokratisch und kompliziert. Manche Teilnehmer kommen mir etwas schrill vor und die ganze Begleitmusik macht keine Freude. Auch die Qualität der Argumente und die Schärfe der Auseinandersetzung im Vorfeld gefällt mir nicht. Mir würde sicher noch mehr einfallen, warum mich der synodale Weg nicht hoffnungsfroh stimmt, aber das tut in diesem Zusammenhang nichts zur Sache.

Manchmal frage ich mich, ob der Synodale Weg eigentlich mehr das Symptom einer Kirchenkrise ist oder ob er wirklich zum Gegenmittel taugt. Ob die gewählte Therapie wohl zur Heilung beiträgt – oder die Krankheit verschärft – das ist noch lange nicht ausgemacht.

Wenn mir also vor wenigen Tagen beim Schauen der Gottesdienstübertragung zur Eröffnung jemand gesagt hätte, ich würde mir eines (der aus dem sehr modernen (gewöhnungsbedürftigen) Vortragekreuz gestanzten Kreuzchen schicken lassen – ich hätte ihn wohl ausgelacht. Aber jetzt, um einige Wortspenden zum Thema klüger, haben mich manche Leute beinahe unmerklich ins Lager der Unterstützer des Synodalen Weges getrieben. Und das geht nicht nur mir so. Namentlich erwähne ich stellvertretend Gero Weishaupt, Priester und Kirchenrechtler aus Aachen, Michael van Laack, ursprünglich aus Spellen stammender Facebook – Freund, Bischof Rudolf Voderholzer aus Regensburg und Weihschof Atanasy Schneider aus Astana, genannt Nursultan. Und in ihrem Gefolge noch allerhand andere Aktivisten, die aktuell jede Diskussion um Themen und Verlauf des Synodalen Weges mit den immer gleichen Argumenten und Sprüchen vollschreiben. Das langweilt nicht nur, es nervt inzwischen! Wortreiche Gesprächsverweigerung in Reinkultur.

Gero Weishaupt war es, der einen Gedanken aus einer skurilen Demonstration in München aufgriff. Eine aus dem Ausland eingeflogene Gruppe von Gegnern des synodalen Prozesses forderte in einer anschließenden Pressekonferenz die deutschen Katholiken zum Kirchenaustritt auf. Das griff Weishaupt auf und begründete ausführlich, warum man Mitglied der katholischen Kirche bleiben könne, auch wenn man aus dieser als strukturierter Organisation mit Steuerpflicht in Deutschland austrete. In einem weiteren facebook-Post vertrat Hochwürden Weishaupt (der übrigens ein sonst durchaus geschätzter konservativer Kirchenrechtler ist) die These, es sei manchmal besser, ein Bein zu amputieren, als den Tod eines Menschen in Kauf zu nehmen. In diesem Bild brachte er seine Sehnsucht nach einem Schisma, nach einem Hinauswurf der vielen kritischen und aufmüpfigen Katholiken ins Wort. Damit legte er auf den verbreiteten Spruch „werdet doch protestantisch“ noch eine Schüppe drauf. Und viele tuteten ins selbe Horn. Inzwischen gelten in solchen Kreisen nur noch ganz wenige deutsche Bischöfe als rechtgläubig, weit mehr als 2/3 der Oberhirten scheinen ihnen auf dem direkten Weg ins Schisma. 

Dazu wiederholte Bischof Voderholzer seine Kritik an der MHG-Studie und dem darin zur Sprache gebrachten Zusammenhang zwischen den Missbrauchsfällen in der Kirche und dem von katholischen Priestern geforderten Zölibat. Das sei alles unwissenschaftlich und es brauche erst weitere Untersuchungen in anderen gesellschaftlichen Feldern, ob es wirklich die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen sei, die als eine der Ursachen für einen Teil der Missbrauchshandlungen zu benennen wäre. Schließlich sei ja die MHG-Studie der Auslöser und damit die Basis für den ganzen Synodalen Weg. Viele applaudierten ihm (außerhalb der Aula in Frankfurt), gerade diejenigen, die ansonsten allüberall betonen: „Es sind die Schwulen, es sind die Schwulen, die ins Priesteramt eingesickert sind...“ Weil, ja weil offenbar das zölibatäre Leben für Menschen mit einem ungeklärten Verhältnis zur eigenen Sexualität anziehend wirke. Eine Tatsache, die ja aufgrund der vielfach aufgedeckten Fakten niemand mehr ernsthaft bestreiten will. Und braucht es dazu wirklich noch mehr an Informationen? Oder eines wissenschaftlich geführten Beweises? Gibt es nicht genügend Wissen darüber, dass das Zölibat nicht wenige Schwierigkeiten mit sich bringt, dass es auch dazu geführt hat, dass Menschen ein verlogenes Doppelleben führten und führen und teilweise sogar zu Verbrechern wurden. Jeder kennt solche Beispiele und wenn Bischof Voderholzer hier dem Zeugnis von Wunibald Müller und Frederic Martel nicht glauben möchte, so soll er doch auf die Päpste Benedikt XVI. und Franziskus hören. Oder das ein oder andere Buch der Opfer lesen, von denen es – angefangen bei „Das Buch Groer“ inzwischen zahlreiche gibt (schmerzlich viele). Sogar solche, die mit päpstlichen Vorworten versehen werden. Ja sicher, so sehr es die sexuelle Revolution war, die ihre Opfer produziert hat, so sehr war es auch der Zölibat. 
Und natürlich ist die Aufhebung des Zölibats keine Lösung, selbstverständlich nicht. Denn wir wissen ja, dass auch diejenigen zu Tätern werden, die sich im Ehebett mit einer Frau „austoben“ könnten. Es muss da etwas geben, das man sorgfältig und ohne Polemik in seiner Tiefe ergründen sollte. Und dazu brauche ich mitnichten noch Vergleichsstudien, die unvergleichliches unter der Zuspitzung auf Ehelosigkeit vergleichen. 

Zur Frage, was Michael van Laack so vom synodalen Weg hält verweise ich mal auf sein Profil. Manchmal schätze ich es, wenn er den Finger in die Wunde legt. Aber hier ist es unnützes Herumgeprockel im Eiter. Und jeder weiß ja, dass er ja von einer ganz anderen Kirche träumt... Und bezeichnenderweise auch beklagt, wie uneinig sich die Bewahrer sind, weil sie sich lieber im „Klein-Klein“ zerstreiten als zusammen zu finden. 

Jetzt fehlte noch Bischof Schneider in der Sammlung. Ich habe ihn kürzlich noch mit Waldorf oder Statler verglichen. Der redet sich gleich wieder völlig in Rage und erweckt den beinahe vergessenen Arianismus wieder zum Leben. Aber im Osten nichts Neues! Ich frage mich, ob der Papst den nicht in irgendeine römische Behörde nehmen könnte oder ob es nicht eine traditionelle Gemeinschaft in Deutschland gibt, die eine Wohnung für ihn hätte. Dann kann er ungestört zu jedem Ereignis der Weltkirche Stellung nehmen und man fragt sich nicht dauernd, ob die Katholiken in Kasachstan eigentlich ihren Bischof gar nicht brauchen oder ob es in Nursultan nicht Menschen gibt, die geistlichen Zuspruch bräuchten. Aber kann ja sein, dass er das alles auch noch vorbildlich macht. Ich versuche ja auch ordentliche Arbeit zu machen und nutzte trotzdem freie Stunden, um meine Gedanken aufzuschreiben. Aber so gibt es wieder Leute die sagen: Ich stehe hinter Bischof Schneider! Was für ein mutiger Mann!

Nervig auch die "lustigen" Stempel, die man der Versammlung gibt, wie z.B. "Jodelsynode" oder wenn man von Synodentheater und Synodenpropaganda redet.

Ganz anders getroffen hat mich das kurze Statement von Kardinal Woelki, das er direkt nach den Sitzungen seinem Domradio-Chefredakteur ins Micro sprach. Ich mag Kardinal Woelki sehr und finde es schade, wenn er jetzt ganz in die Rolle des dunkelkatholischen Märtyrer-Bischofs aufgehen würde. Sein Interview steht auch in einem eigenartigen Widerspruch zu seinen Wortmeldungen beim Synodalen Weg, wo er sich bemühte, zunächst einmal die positiven Aspekte zu würdigen. Aber dann sprach er von der Erfahrung eines protestantischen Kirchenparlaments, dass ja die katholische Kirche nicht sei. Er verwies dazu auf den Einzug zum Eröffnungsgottesdienst im Frankfurter Dom, wo Laien und Kleriker gleichberechtigt aufgetreten seien. Insgesamt seien seine schlimmsten Befürchtungen wahr geworden. Und schließlich seien die Beiträge der Bewahrer vom Präsidium klein gemacht und unwirksam gehalten worden. 

Beim „protestantischen Kirchenparlament“ mag man ihm ja noch zu Gute halten, dass das nicht wertend gemeint sein könnte. Es gibt ja wirklich einen gewichtigen Unterschied in der Verfasstheit der Kirchen. Es gab ja interessanterweise sogar den Vorschlag, alle geistlichen und akademischen Titel einfach wegzulassen. Aber das wäre ja geradezu absurd, Gleichheit zu simulieren, wo de facto keine Gleichheit ist. An dieser Stelle wurde ja auch aus ganz unterschiedlichen Motivationen „nachgebohrt“ und gefragt, ob nicht doch einige gleicher als gleich seien. Der Widerspruch zu Woelkis Worte aus dem Präsidium war allerdings mindestens genauso missglückt, wie die Bemerkungen des Kölner Erzbischofs, die er vermutlich inzwischen bedauert. Jedenfalls deute ich die Tatsache so, dass er gestern schon ein Zitat aus den Texten des 2. vat. Konzils über das Miteinander von Laien und Amtsträgern twitterte: „so waltet doch unter allen eine wahre Gleichheit in der allen Gläubigen gemeinsamen Würde und Tätigkeit zum Aufbau des Leibes Christi.“ Schön!

Solange die Bischöfe und Priester aber letztlich über allerlei Dinge entscheiden, die mit dem Kern des Glaubens und des kirchlichen Lebens wenig zu tun haben, ist dieser Satz noch nicht verwirklicht. Gerade in einer Kirche, die so wohlhabend ist wie die in Deutschland und vielfältige Macht ausübt, muss über die Machtfrage gesprochen werden. Dringend! Man kann versuchen, das wegspiritualisieren wie es Weihbischof Schwaderlapp tat, der in einem Beitrag über seine geschwundene administrative Macht als ehemals „starker“ Generalvikar zu einem heute beinahe machtlosen Weihbischof sprach. Das lässt mich schmunzeln, auch wenn ich weiß, was er meint und sagen will. Aber er soll doch mal einer alleinerziehenden Mutter auf dem Wartestuhl vorm Jugendamt etwas über Macht und Ohnmacht erzählen. Oder besser, sich von ihr einige echte Ohnmachtserfahrungen schildern lassen, um zu verstehen, wie machtvoll auch der Posten eines Weihbischofs zu Köln ist. „Mit mir kannste reden, wie mit einem ganz normalen Menschen.“ pflegte mein Lohberger Pfarrer zu sagen, wenn jemand sich nicht traute, ihm etwas zu sagen. Das gehört zu den Sätzen, die ich nie vergessen werde. Kann das auch ein Kölner Bischof auf vollster Überzeugung sagen, so dass man mit ihm auch reden möchte, wie mit einem ganz normalen Menschen? 

Kardinal Woelki offenbart in seinem spontanen Interview einen nicht unbedeutenden Knackpunkt aller Kirchenreformen. Trotz allem Gerede von Demut und Dienst werden Priester und Bischöfe doch in eine Rolle gehoben (ja, nicht vom Papst oder von ihnen selbst, sondern von uns, den Gläubigen), die ihnen eine bunt schillernde Machtposition gibt. Das ist geradezu ein Amalgam von Verfügungsmacht über Geld, Befehlsmacht über Menschen, machtvollem Auftritt durch Rolle und dienstliches Ornat, geistlicher Macht, es ist die Macht, die einem Menschen durch seine besondere Position zugesprochen wird, selbst wenn der ein oder andere sich (überzeugend) bemüht, Mensch unter Menschen zu sein. Ein kleines Beispiel: Kann es einen Menschen unberührt und unverändert lassen, wenn in seiner Bischofsstadt alle Gebäude und Kirchen mit heiligen Mitraträgern geschmückt sind, wenn Kirchenfenster sein Wappen tragen und dieses in Bronze an der Haustür hängt (selbst wenn hier manchmal nur die Würde von heiligmäßigen Vorgängern auf ihn übergeht.) Der Bischof selbst ist zum Symbol geworden, das auch heute noch wirksam ist in unseren Herzen. Dass es da schwer fällt, zurück ins Glied, zurück auf Augenhöhe zu gehen, das offenbart Kardinal Woelki in seiner Wortmeldung. Und das ist sehr menschlich!

Ja, natürlich braucht unsere Kirche Leitung, gute Leitung, Klarheit in der Leitung – wie jede gut funktionierende Organisation. Aber wir müssen doch auch konstatieren, dass die Qualität der Leitung in der Kirche, sei es durch Laien, sei es durch Kleriker nicht immer dem Anspruch entspricht, den man daran zu Recht stellen könnte, weil die Kirche ist, was sie ist. Leib Christi!

Im Chor mit Kardinal Woelki beklagt auch Maria 1.0 (ja, hier ist – anders als bei Maria 2.0 – eine Vertreterin der Gruppe Mitglied im synodalen Weg), dass die Stimme der Bewahrer unterdrückt worden sei. Nicht nur dadurch, dass diese unterrepräsentiert seien, sondern auch durch die Sitzungsregie. 

Dazu fand ich einen Hinweis von Matthias Drobinski in der Süddeutschen Zeitung sehr interessant. Er schreibt: „Die konservative Minderheit war auf der ersten Versammlung des Synodalen Weges nicht deshalb schwach, weil sie trickreich an den Rand gedrückt wurde, wie ihre Vertreter kritisierten. Sie war schwach, weil sie sich hinter vorformulierten Statements verschanzte, weil sie zu erkennen gab, dass gerade die Debatte auf Augenhöhe ihr Problem ist und der gleiche Rang der Argumente. Dreißig Jahre haben die Konservativen in der katholischen Kirche nicht argumentieren müssen. Sie konnten, wenn es eng wurde, sich ins Autoritative flüchten. Das rächt sich nun, wo diese Zeit vorbei ist.“ 

„Linkes Kampfblatt“ und „Herz-Jesu-Kommunist“ werden da einige sofort denken, aber ich stelle mal die Frage, ob das nicht doch auch eine wirkliche Schwäche der „Bewahrer“ ist. Einen weiteren Hinweis gibt mir nämlich die Tatsache, dass Beiträge mit Herzblut und biografischer Betroffenheit und Authentizität sehr viel Aufmerksamkeit bekamen, wogegen die immer gleichen Formeln blutleer und wie schon zu oft gehört wirken. Da braucht es dann doch etwas mehr, um dem wieder mehr Leben einzuhauchen als ein korrekt vom Blatt gelesenes Statement. Aber, deren Stärke wird sich sicher an anderer Stelle erweisen, wenn Beschlussvorlagen theologisch fundiert werden müssen und ausdiskutiert werden. Nein keiner kann eine neue Kirche erfinden, auch nicht 230 interessante Leute auf einem Synodalen Weg.

Ohne die Tradition und eine gute Begründung und Verankerung werden alle unsere Ideen irgendwann auf dem Schutthaufen des Zeitgeistes landen. Ich fand einige Statements sehr berührend, so z.B. die von Sr. Philippa und Mara Klein. Sie waren unterfüttert mit schmerzlicher Erfahrung. Und ohne daraufhin zu sagen: „Ja, auch das ist Kirche“ und ohne Antworten darauf zu geben kann der Synodale Weg nicht zu Ende gehen.

In diesem Kontext fand ich den Beitrag des Schweizer Beobachters Weihbischof Alain de Raemy spannend, der sagte: „Ich wünsche ihnen, dass sie das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Dass sie nicht beim Blick auf all das Negative, was in der Kirche in den letzten Jahren Thema war, stehen bleiben, sondern auch sehen, was alles an Grossartigem und Gutem in der Kirche weiterlebt. Das kann auch eine Stütze sein für die Arbeit gegen das Unschöne.“ Diese Warnung dürfen sich alle ins Tagebuch schreiben, aber nicht als Waffe gegen die „Erneuerer“. 

Und bedenkenswert kritisch fand ich auch den Text von Christian Geyer-Hindemith in der FAZ, wenngleich er es recht spitz formuliert und sowieso ein scharfer Kritiker des Synodalen Weges ist. Dennoch: „Ist die flache Hierarchie im Sozialen erst einmal als Superkriterium etabliert, so wirkt sakramentales Hierarchiedenken als Anschlag auf die Gemeinnützigkeit, und Ämterfragen können nicht anders denn als Machtragen aufgefasst werden.“ ... „Man versteht insoweit Kardinal Woelkis Zwischenruf, als er … gegenüber dem sozial begründeten Durchgriff auf sakramentale Kirchenverständnis davor warnte, dasselbe „als kalten Kaffee abzutun – weil ich es vielleicht nicht verstehe.“ … „Das wirklich Verstörende war in Frankfurt etwas anderes: die Ersetzung des Glaubensbegriffs durch jenen der Glaubwürdigkeit. Tatsächlich beschwört der Synodale Weg die persönliche Glaubwürdigkeit der Glaubenszeugen wie ein Heilsversprechen.“

Der Hassbischof mancher „Bewahrer“, Bischof Franz-Josef Overbeck wurde in diesen Tagen mit dem Satz zitiert: „Die Vollversammlung des Synodalen Wegs war ein Zeugnis echter Katholizität der Kirche in Deutschland.“

Der Satz ist weniger schlicht, als man glauben mag. Ich muss noch heute immer lachen, wenn mir Kardinal Marx und Bischof Overbeck von manchen Leuten als die liberalsten deutschen Bischöfe beschrieben werden. Ernsthaft Leute?! Wenn ich an meine Begegnungen mit Bischof Overbeck zurückdenke, komme ich sehr ins Lachen. Und Marx wird auch von allen, die ihn kennen als eher konservativ beschrieben. Was hat ihnen diesen Stempel eingebracht? Auch darüber lohnt es sich nachzudenken! Und auch ihren Wandel zu würdigen und trotzdem mal genauer hinzuschauen, bevor man jemanden stempelt. Kardinal Woelki scheint ja auch ganz anders zu sein, als mancher dachte, der ihn wegen des Flüchtlingsboot-Altars heftigst kritisierte. 

Ja, ich glaube wirklich, dass die Vollversammlung die Kirche in ihrer ganzen Vielfalt geoffenbart hat. Auch wenn ihr Gesicht ein Anderes war, als das was sich manche Konservativen und Traditionalisten von ihr erhoffen. Aber vielleicht wäre es gut, dass der Traum von der guten alten Zeit endlich mal ausgeträumt und ins Archiv gelegt wird. Wir sind gefordert, auf die vielfältigen Fragen unserer Zeit Antworten zu geben, die durch Lebenserfahrung und eigenen, tiefen Glauben gedeckt sind. Antworten, die – wenn sie nicht überzeugen – wenigstens mit Respekt angehört werden. Die Kirche ist – und war es schon immer – vielfältig und bunt. Als „katholische“ Kirche hat sie viel, sehr viel Raum geboten. Durch die Jahrhunderte sogar für verheiratete Priester und geheim geweihte Bischöfe – ohne dass sie daran zugrunde ging. Ich wünsche mir, dass die Bewahrer beim Synodalen Weg ehrliche und gute Antworten geben auf die ehrlich gestellten Fragen. Ich wünsche mir, dass sie bereit sind zur Umkehr, wo die Kirche sich vom Auftrag Jesu entfernt hat. Dass sie die Wunden wahrnehmen, die die Kirche gewollte oder ungewollt geschlagen hat und zu ihrer Heilung beitragen. Ich wünsche mir, dass nicht taktiert wird und auch, dass einer wie ein Kardinal Marx nicht gleich eine Ohrfeige zurückreicht, wenn ihm ein kardinaler Mitbruder vor das Schienbein tritt. Da lohnt es sich, die Bibel des synodalen Wegs aufzuschlagen. „Wenn Dich einer auf die Wange schlägt...“ Das steht nämlich auch da drin. 

Und die Worte der Lesung des vorvorigen Sonntags möchte ich allen Synodalen und ihren Freunden und Gegnern sehr ans Herz legen. Es ist ein wahrhaft großartiges Wort des Hl. Paulus, gerade von ihm: „ Ich ermahne euch aber, Brüder und Schwestern, im Namen unseres Herrn Jesus Christus: Seid alle einmütig und duldet keine Spaltungen unter euch; seid vielmehr eines Sinnes und einer Meinung! Es wurde mir nämlich, meine Brüder und Schwestern, von den Leuten der Chloë berichtet, dass es Streitigkeiten unter euch gibt.  Ich meine damit, dass jeder von euch etwas anderes sagt: Ich halte zu Paulus - ich zu Apollos - ich zu Kephas - ich zu Christus. Ist denn Christus zerteilt? Wurde etwa Paulus für euch gekreuzigt? Oder seid ihr auf den Namen des Paulus getauft worden? Ich danke Gott, dass ich niemanden von euch getauft habe, außer Krispus und Gaius, sodass keiner sagen kann, ihr seiet auf meinen Namen getauft worden. Ich habe allerdings auch das Haus des Stephanas getauft. Ob ich sonst noch jemanden getauft habe, weiß ich nicht mehr. Denn Christus hat mich nicht gesandt zu taufen, sondern das Evangelium zu verkünden, aber nicht mit gewandten und klugen Worten, damit das Kreuz Christi nicht um seine Kraft gebracht wird.“

Nein, ich werde noch immer nicht mein Profilbild mit dem Logo des Synodalen Weges schmücken. Aber das Kreuz von Pater Abraham nehme ich zur Hand. Und möchte gern im stillen Kämmerlein dafür beten - verbunden mit allen, denen die Kirche am Herzen liegt - dass der Synodale Weg ein guter Weg für die Kirche in Deutschland wird. Und wenn es nur erste, tastende Schritte werden.