Sonntag, 18. März 2012

Bis dass der Tod uns scheidet...

Ein ganz heißes Eisen ist der Umgang der katholischen Kirche mit den Geschiedenen, die sich wieder verheiratet haben oder eine neue feste Beziehung eingegangen sind. Rund um den Papstbesuch gab es einige Situationen, wo diese problematische Frage im kirchlichen Leben im Focus stand. Schon vor dem Papstbesuch nährte der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz Erzbischof Zollitsch im Gespräch mit der „Zeit“ die Hoffnung auf neue Wege im Umgang mit wiederverheirateten geschiedene Katholiken, die nach dem kirchlichen Recht vom Sakramentenempfang ausgeschlossen sind. Es gehe darum, Menschen zu helfen, "deren Leben in wichtigen Dingen unglücklich verlaufen ist", sagte der Freiburger Erzbischof. Als Beispiel nannte er den damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff, ein Katholik, der nach einer Scheidung zum zweiten Mal verheiratet ist. „Er ist für mich ein Katholik, der seinen Glauben lebt und darunter leidet, wie die Situation ist“, sagte Zollitsch. Auch Wulff selbst und der Bundestagspräsident Norbert Lammert wiesen in ihren Begrüßungsansprachen beim Besuch des Papstes in Deutschland auf diese Problematik hin.
(Bild: © pfarrbriefservice.de/Adelheid Weigl-Gosse, www.weigl-gosse.de)
Dennoch, das Thema schlug in Deutschland keine hohen Wellen. Einzig die betont konservativen Medien und Internetportale widmeten sich in negativer Weise den Personen, die den Finger in die Wunde gelegt hatten, dass die Kirche im Umgang mit Menschen aus gescheiterten Beziehungen ein Problem hat, das in den Augen der Gesellschaft ihre Glaubwürdigkeit und ihre Bedeutung als moralische Instanz tangiert, ja sogar beschädigt. Aber statt sich dem Thema selbst und seinen Lösungsmöglichkeiten zu widmen oder gar die neue Offenheit kirchlicher Kreise für seelsorgliche Lösungen zu betonen, bekamen Zollitsch, Lammert und Wulff von dort halt Prügel.
Ganz anders jetzt die Situation in der Schweiz, wo der Hirtenbrief von Bischof Vitus Huonder von Chur hohe Wellen schlägt, weil zahlreiche Priester sich weigern, diesen Hirtenbrief überhaupt zu Gehör zu bringen und viele kirchliche Gruppierungen ihrem Bischof offen widerstehen. All dies läßt sich vielleicht auch aus der besonderen jüngeren Geschichte des Bistums erklären und hat auch Gründe in der staatskirchenrechtlichen Verfasstheit der Schweizer Kirche. Ob der Bischof allerdings gut beraten war, in der – noch immer – angespannten Situation seines Bistums gerade ein gewisses Reizthema in den Mittelpunkt eines Fastenhirtenbriefs zu stellen – das sei einmal dahin gestellt. Verkündet hat er letztlich ganz wenig „Neues“, sondern nur die offizielle Lehre wiederholt. Und schon stellen sich die Christen an den bekannten Frontlinien munter gegeneinander.
Auf der Strecke bleiben – einmal mehr – die Betroffenen. Natürlich ist die „Lehre der Kirche“ eindeutig. Natürlich gibt es auch die 10 Gebote, die gleich zweimal vom „Ehebruch“ sprechen. Natürlich sind auch die Aussagen Jesu in dieser Frage eindeutig. Wir sollten aber nicht vergessen, dass Ehe zur Zeit Jesu noch etwas ganz anderes bedeutete als heute, romantische Liebesbeziehungen, das gab es damals noch kaum. Silberne Hochzeiten wohl auch nicht, und die Verwiesenheit aufeinander für das wechselseitige Überleben und das der Kinder war viel größer als heute. Wer sich von seiner Frau trennte gefährdete deren Leben. Die Ehe hatte einen völlig anderen Stellenwert als heute. Und Jesus verurteilt mit scharfen Worten vor allem den Bruch einer Ehe und die damit verbundene prekäre Situation vor allem für die Frau und die Kinder.
Natürlich gibt es aber auch gute Gründe, warum man die biblischen Stellen und die Tradition heute anders deuten und interpretieren müßte. In diesem kirchenpolitischen und moraltheologischen Streit ist eigentlich alles gesagt. Auf Grundlage dieser – jahrzehntealten theologischen Auseinandersetzung, die ja auch Klärungen brachte, ließe sich sicherlich der ein oder andere mutmachende Schritt auf die Betroffenen hin tun. Es ist aber schade, dass in dem ganzen öffentlichen Wortgeklingel um eine barmherzige Kirche viel zu wenig klar wird, dass die Kirche doch eine menschliche Botschaft und eine Wegweisung zu vermitteln hätte.
Was mir fehlt, ist aber auch der Blick auf die Betroffenen? Während sich theologisch manches klar sagen läßt und klären ließe, ist es im konkreten Fall oft auch jenseits dieser Fragen schwierig und wenig klar und eindeutig. Schon das Beispiel des Erzbischofs – der damals noch populäre Bundespräsident Wulff – läßt nachdenklich werden. Wie war noch damals, als der Ministerpräsident Wulff sich von seiner Frau trennte? Die heile Wulff-Welt hatte schon damals (und auch vorher schon lange tiefe) Risse, aber nach außen spielte man das Spiel vom harmonischen Familienleben weiter. Manchen Beobachtern ging der Frauen-Tausch damals (lange vor der Bundespräsidentenwahl) denn auch reichlich fix.
Harald Schmidt brachte das im Spiegel-Gespräch kürzlich so auf den Punkt:
„SPIEGEL: Sie bewundern den Papst?
Schmidt: Er ist für mich durch den Besuch in Deutschland noch mal in eine andere Liga gerückt. Christian Wulff hat bei der Gelegenheit auch die Formulierung dieses Jahres geprägt: "Brüche in den Lebensgeschichten der Menschen". Für mich ein mittelständischer Euphemismus für: die Alte in die Wüste schicken.“
Ich denke, auch diese freche Bemerkung wird der komplexen Situation zweier Menschen, deren (Liebes-)beziehung gescheitert ist nicht gerecht. Aber, eben das ist es in der Regel, ein komplexes, schwer zu entwirrendes Geflecht von Liebe und Hass, Schuld und Sünde, Entfremdung und Anziehung, gemeinsamer Geschichte, Lüge, enttäuschten Gefühlen, Enttäuschungen, Schuldgefühlen und und und... Wenn dann noch Kinder dazwischen stecken, umso schlimmer. Trennung, das klingt leicht und ist doch so schwer. Und nach jeder Trennung braucht es eigentlich Zeit, die ganze „Trümmer-“Landschaft aufzuräumen, bei sich selbst und beim ehemaligen Partner. Mal mehr, mal weniger, ganz individuell, abhängig vom Naturell der Einzelnen, von der Dauer der Beziehung, dem, was gemeinsam aufgebaut und geschaffen und nun wieder „eingerissen“ wurde. Das ist doch eine Beschreibung der Wirklichkeit, die vermutlich recht viele Leser und Beobachter mitgehen können.
Kommt nun noch eine „neue Frau“, ein „neuer Mann“ hinzu wird es vollends unübersichtlich. Und das Aufräumen der Lebens- und Beziehungslandschaft wird gestört. Manche Klärung kann nicht erfolgen, manche Trauer nicht durchgestanden, manche Enttäuschung kann nicht aufgearbeitet werden. Die neue Beziehung „erbt“ in der Regel so manche Belastung. Das ist eine Herausforderung für alle Beteiligten (zu denen auch der alte Partner (noch) gehört).
Und nach christlicher Auffassung ist auch Gott mit im Boot. Die Ehe ist nämlich, so die katholische Sakramententheologie, ein Spiegelbild der Liebe Gottes zu den Menschen. Und so wie die Liebe Gottes zu den Menschen beständig bleibt, durch alle Krisen hindurch, so soll auch der Mensch jede Krise der Beziehung durchstehen. Als christliche, katholische Eheleute haben sie versprochen, dass sie gute und schwere Zeiten miteinander durchstehen möchten, bis der Tod sie voneinander scheidet. Manch einer hört das in seiner Verliebtheit als freundliches Versprechen, als schöne Hoffnung, aber ohne den nötigen Ernst. In den meisten Fällen ist es auch eher eine Prophezeiung aus jahrhundertelanger Lebenserfahrung der Kirche als ein feierliches Versprechen. Es bedeutet: Dieser Ehe stehen noch schwierige Zeiten bevor, es wird vermutlich Beziehungskrisen geben, Krankheiten, wirtschaftliche Einbrüche und schwere Belastungen. Steht ihr die gemeinsam durch?
Die orthodoxe Kirche hat eine Lösung für Eheleute gefunden, die nach einer gescheiterten Beziehung eine neue Bindung beginnen. Liturgisch hat diese Zeremonie Aspekte einer Bußandacht. Und das ist sicher richtig so. Niemand geht schuldlos aus einer gescheiterten Beziehung. Jeder hat seine Anteile an einer Trennung. Natürlich gibt es auch Ehen, die auseinanderbrechen, in denen man klar den Schuldigen erkennt. Sicher gibt es die „Verlassenen“. Aber ganz so einfach ist es meistens ja nicht. Und nach kirchlicher Auffassung geht es bei der Buße und bei der Beichte nicht darum, sich selbst schuldig zu fühlen, sondern die Situation zu erkennen und diese Erkenntnis Gott hinzuhalten. Gott ist es der uns durch und durch erkennt. So kann eine Beichte, als Sakrament der Versöhnung dazu beitragen, dass ich mich auf Neues einlassen kann.
Und das finde ich in der ganzen Diskussion so verkehrt. Dass auf der einen Seite die kirchlichen Prinzipien hochgehalten und den neu verliebten Menschen vor die Nase gehalten werden. Und das auf der anderen Seite von kirchlicher Barmherzigkeit geschwärmt wird, ohne die konkrete Situation der betroffenen Menschen in den Blick zu nehmen. Gott ist barmherzig. Aber er sorgt auch dafür, dass der Mensch sich selbst erkennt und seine Schuld und seine Unschuld wahrnimmt, sich selbst sieht, so wie er oder sie ist.
Nur wenn das – einigermaßen – gelungen ist, sollten wir in die Diskussion eintreten, ob jemand in einer neuen Verbindung zu den Sakramenten zugelassen wird. In der orthodoxen Kirche sagt man ja. In meiner katholischen Kirche sagt man – zumindest öffentlich – eher nein, will das aber nicht als Ausschluß der wiederverheirateten Menschen begriffen wissen. Ich glaube, hier hat man sich ein wenig in moraltheologische Prinzipienreiterei verrannt. Damit nimmt sich die Kirche – so sehe ich es – die Möglichkeit, einen positiven Beitrag zum gelingenden Miteinander in einer Beziehung zu leisten. Wie heilsam könnte ein solcher Prozess der Zulassung zu einer zweiten Ehe sein, wenn er als Weg der Besinnung und der Heilung gegangen und schließlich gefeiert würde. Wie hilfreich könnte es für eine zweite Beziehung sein, wenn das „Vergangene“ wirklich abgeschlossen wäre. Und bei einem solchen Umgang mit einer gescheiterten Ehe könnte die Kirche wirklich deutlich machen, dass ihr das Anliegen Jesu, Menschen zu einer verläßlichen, sicheren Partnerschaft zu ermuntern etwas bedeutet.

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