Montag, 28. Mai 2012

Von ATHANASIUS von Alexandrien zu Athanasius von Astana


Athanasius der Groß
Schon als Kind ließ mich in der Allerheiligenlitanei ein Name ganz besonders aufhorchen. Heiliger Athanasius – bitte für uns. Während die Namen der „vertrauten“ Heiligen nur so dahinplätschern und man sich im wohltuenden Wechselgebet zwischen Priester und Gemeinde aufgehoben fühlt, so erklang dieser Name wie ein Donnerschlag. Athanasius, das klingt nach Energie, nach Nähe zum Ursprung, nach unverrückbarem Fundament, nach geistlicher und sprachlicher Kraft.
Erst viel später habe ich nachgesehen, um welchen „Athanasius“ es sich handelt. Es ist Athanasius der Große. Sein griechischer Name bedeutet „der Unsterbliche“. Als Bischof von Alexandria war er entschiedener Gegner des Arianismus (der Idee, Jesus Christus sei Geschöpf des Vaters). Neben Nikolaus von Myra und vielen weiteren Bischöfen war er Teilnehmer des Konzils von Nicäa. Ganz im Gegensatz zum starken Namen war er wohl ein kleiner schwarzer Mann, seine Gegner verspotteten ihn als „schwarzen Zwerg“. Zeit seines Lebens war er zahlreichen Verfolgungen ausgesetzt und musste immer wieder vor seinen Verfolgern fliehen. Die Wahrheit, die er im Glauben erkannt hatte, verteidigte er Zeit seines Lebens.
Es ist sicher gut, einem solchen „Kirchenvater“ zu nachzufolgen. Und wenn man das aufregende Leben des „heiligen schwarzen Zwerges“ im theologischen Hinterstübchen hat, dann wird man besonders aufmerksam, wenn man heute einem Menschen begegnet der diesen Namen trägt. Kennen Sie da einen? Ich wüsste nicht, dass in den über 30 Jahren, die ich sehr bewusst in der Kirche lebe, ein einziges mal erlebt habe, dass ein Kind (nicht einmal mit zweitem oder drittem Namen) Athanasius getauft wurde.
Den dazu notwendigen frommen Mut hatten wohl auch Josef Schneider und seine Frau Maria nicht, als sie ihren Sohn im Jahre 1961 auf den Namen Anton tauften. Aber immerhin kommt das von Antonius, und wenn sie als seinen Namenspatron den Wüstenvater gewählt hatten, dann war er der, dessen Lebensbeschreibung aus der Feder des Athanasius bis heute berühmt ist.
Bischof Atanazy Schneider ORC
Als Anton Schneider nunmehr im Jahre 1982 dem Orden der Regularkanoniker vom Heiligen Kreuz beitrat, legte er den Vornamen des Wüstenvaters ab und nahm als Ordensnamen den Namen des urchristlichen Bischofs an. Seit 2006 ist er selbst Weihbischof Athanasius von Astana in Kasachstan. Zum Bistum gehören 21 Pfarreien und ca. 90.000 Katholiken, die von 34 Priestern betreut werden. Der Weihbischof ist seitdem viel unterwegs, hält zahlreiche Vorträge und feiert Hl. Messen, vor allem im außerordentlichen Ritus. Wer seinen Namen googelt findet Belege seines Wirkens in vielen Orten der Welt. Mehr über die Kirche in Kasachstan findet sich auch in deutscher Sprache hier: http://www.catholic-kazakhstan.org/
Sehr populär wurde Weihbischof Athanasius Schneider ORC in einigen Kreisen in Deutschland durch sein Buch „Dominus est“ mit Gedanken über die Hl. Kommunion. Auf dem Titel ist ein sehr hübsches Bild zu sehen, auf dem Papst Benedikt XVI. einem Erstkommunionkind die Hl. Kommunion spendet. Zum Inhalt dieses Buches und zum kraftvollen Vornamen des Verfassers passt, was dieser kürzlich in einem Vortrag in Paris (15.1.2012) ausführte. Er sprach – unter anderem von den „fünf Wunden am liturgischen Leib der Kirche“.
Sie ahnen schon, was er meinen könnte... (1. Zelebrationsrichtung, 2. Handkommunion, 3. neue Opferungsgebete, 4. Verschwinden der lat. Sprache und schließlich 5. Frauen im liturgischen Dienst. Möglicherweise ist diese bildhafte Sprache ja eine Besonderheit der kasachischen Frömmigkeit, ich muss aber ehrlich gestehen, dass mich die Gleichsetzung der Wunden Jesu und der – nach Auffassung von Weihbischof Athanasius – fünf Irrungen und Wirrungen des liturgischen Lebens etwas irritiert zurücklässt. Mir wäre es etwas nüchterner lieber gewesen. Ich habe in einem alten Gebetbuch einmal gelesen, man soll den Namen Jesu nicht unwürdig aussprechen.... Diese Art, seine persönlichen Anliegen und Überzeugungen mit dem Leben Jesu zu verbinden würde für mich darunter fallen. Letztlich möchte Bischof Athanasius Schneider ORC auf folgendes hinaus: „Wenn man diese fünf Wunden heilen würde, dann wäre der Unterschied („der Bruch“) in der Liturgie der außerordentlichen und der ordentlichen Form des römischen Ritus beinahe aufgehoben.“
Vielleicht sollte es mich versöhnen, dass der Weihbischof davon spricht, dass die Wunden nach Heilung rufen. Das unterscheidet sie von den Wunden Jesu, die vor seiner Himmelfahrt nicht heilen konnten und die der Apostel Thomas am Auferstandenen in Augenschein nehmen wollte.
Ich möchte dem Weihbischof gar nicht in allen Punkten widersprechen. Mir geht es vielmehr darum zu bedenken, ob der Bruch, den er zu erkennen glaubt, vielleicht gar keiner ist. Daher möchte ich gern auf seine Argumentation in Sachen Zelebrationsrichtung eingehen.
Es liegt sicher eine gewisse Geringschätzung darin, wenn davon gesprochen wird, dass in der außerordentlichen Messform die Messe „mit dem Rücken zum Volk“ zelebriert würde. Weihbischof Athanasius und mit ihm inzwischen viele Diskutanten sprechen daher inzwischen von „ad orientem, ad Crucem, ad Dominum“; also Zelebration nach Osten, zum Kreuz, zum Herrn hin. Oder, dass Gemeinde und Priester sich gemeinsam zum Herrn hinwenden. (Vielleicht sollte man in diesen Foren einmal darüber nachdenken, wie überzeugend es eigentlich ist „ad tabernaculum“ zu zelebrieren, wie es in den meisten Messen im außerordentlichen Ritus noch immer geschieht.)
Im „normalen“ Ritus wird üblicherweise „versus populum“ gefeiert. Aber manchmal wird das ebenso geringschätzig zugespitzt. Vielleicht sollte man besser von „versus participantes“ reden.
Ich halte es für falsch, hier zu behaupten, dass man „zum Volk hin“ schaut oder zelebriert. Jeder einigermaßen gebildete Katholik weiß, dass im Mittelpunkt der Altar steht. Dass also Priester und „Volk“ auf die eucharistischen Gaben schauen. Auf Christus, der in der Mitte der Gemeinde gegenwärtig ist. Auch ist vorgeschrieben, dass auf oder über dem Altar ein Kreuz sichtbar ist.
Also ist auch diese Zelebrationsrichtung nichts anderes als „ad Crucem“ und mehr noch „ad Dominum“. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gott Vater, dass Christus, ja dass das Wirken des Hl. Geistes nur auf eine Richtung hin „wirksam“ werden können. Anders als die Muslime kennen wir Christen daher auch keine verbindliche Gebetsrichtung und unsere Kirchen sind nicht konsequent orientiert bzw. geostet.
Am heutigen Pfingsttag hören wir im Evangelium, dass Christus in die Mitte seiner Jünger tritt. In der Lesung des Pfingsttages ist das Brausen und das Feuer des heiligen Geistes mitten unter ihnen, ohne dass sie genau beschreiben können was mit ihnen geschieht. Und wenn nur zwei oder drei in Jesu Namen beisammen sind, dann ist er mitten unter ihnen. Dem Apostel Thomas tritt Christus gegenüber und zeigt ihm seine Hände und seine Seite.
Immer wieder wird (auf den ersten Blick zu Recht) darauf hingewiesen, dass das Konzil überhaupt keine Veränderung der Zelebrationsrichtung gefordert hatte. Aber gleichzeitig darf man auch nicht so tun, als wäre die Zelebration „versus populum“ eine Erfindung übereifriger deutscher Priester. Sie war Teil der Liturgiereform, die Papst Paul VI. im Auftrag der Konzilsväter des 2. Vatikanischen Konzils umgesetzt hatte. Aber es entschied, dass der Altar frei stehen sollte, damit er die Mitte ist, auf die sich die Versammlung ausrichtet.
Vor einigen Jahren (2000) hatte Joseph Kardinal Ratzinger in seinem Buch „Der Geist der Liturgie“ Sympathien für die „alte“ Zelebrationsrichtung erkennen lassen. Aber schon 1966 schrieb er – wie ich finde recht nachdenklich - „Muss eigentlich wirklich jede Messe versus populum (=zum Volk hin gewendet) zelebriert werden? Ist es eigentlich so wichtig, dem Priester ins Gesicht schauen zu können, oder ist es nicht oft recht heilsam, daran zu denken, dass er Mitchrist mit den anderen ist und so allen Grund hat, sich gemeinsam mit ihnen zu Gott hin zu wenden und so mit allen zu sagen ‚Vater Unser’?“ Wer wird ihm da widersprechen wollen?
Interessant ist, dass die päpstliche Hauskapelle so eingerichtet ist, dass der Zelebrant gar nicht „hinter“ dem Altar stehen kann, der Papst zelebriert hier also grundsätzlich vor dem Altar. Im Vorwort zum ersten Band seiner gesammelten Werke geht er auf die – für ihn offensichtlich überraschend heftige Diskussion auf die Bemerkungen im „Geist der Liturgie“ ein und versucht die Positionen zusammenzuführen. So schreibt er, man solle „...einfach das Kreuz in die Mitte des Altares zu stellen, auf das Priester und Gläubige gemeinsam hinschauen, um sich so auf den Herrn hinführen zu lassen, zu dem wir alle miteinander beten.“ Der heutige Papst möchte offensichtlich vermeiden, dass man die Diskussion um die Gebetsrichtung „ideologisch“ auflädt.
Ich denke, dass es sehr unterschiedliche Sichtweisen und (Be)Deutungen der Gebetsrichtung geben kann. Bei einem Wortgottesdienst mit Kommunionausteilung stelle bzw. kniee ich mich auch zu einer Zeit der Stille und Anbetung mit den Gottesdienstbesuchern vor den Altar. In Taizé richten sich alle zum Gebet gemeinsam „zum Herrn hin“ aus. In vielen Gebetsformen ist diese Gebetsrichtung auch in „normalen“ katholischen Gemeinden üblich. Bei anderen Gelegenheiten versammelt man sich im Gebet um eine Mitte herum, die idealerweise auf Gott, auf Christus hinweist. Aber in der Messe kommt noch etwas hinzu. Hier ist es der Priester, der im Moment der Wandlung „in persona Christi“ handelt. Unser Gegenüber ist in der Tiefe nicht der Priester, es ist in Wahrheit Christus selbst. 

Lieber Weihbischof Athanasius Schneider OSC von Astana. Wäre es nicht schön, wenn wir gemeinsam die Wunden des Leibes Jesu verkündigen, wie am Feuer der Osternacht: „Durch seine heiligen Wunden, die leuchten in Herrlichkeit behüte uns und bewahre uns Christus der Herr.“ Denn „Er hat unsere Sünden mit seinem Leib auf das Holz des Kreuzes getragen, damit wir tot seien für die Sünden und für die Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr geheilt.“


Aktuelle Predigt von Weihbischof Atanazy Schneider in Maria Vesperbild: www.gloria.tv/?media=295287. Darin greift er die Methapher von den Wunden am liturgischen Leib ebenfalls auf.

Dienstag, 22. Mai 2012

Katholikentage sind auch nicht mehr das...

Um es gleich vorweg zu sagen: Ich war gar nicht beim Katholikentag in Mannheim! Eigentlich bedauere ich das, denn ich erinnere mich gern an die großen Katholikentage, die ich besuchen konnte, die vielfältigen Messen, Vorträge und Gebetszeiten, die Gespräche zwischen Christen und Juden und nicht zuletzt die lebendigen Diskussionen auf den Straßen, zwischen Katholiken aus dem ganzen breiten Spektrum der Kirche. In jedem Jahr nutzten auch Gruppen wie die z.B. die Piusbruderschaft, die Petrusbruderschaft und die Jugend 2000 dieses Forum, um ihre Themen unter die Leute zu bringen.
So nimmt es nicht Wunder, dass kürzlich quer (oder längs) durch die ganze Blogozese der Ruf hallte: „Es gibt eine „Alte Messe“ beim Katholikentag!“ Eine „Premiere“ sollte das sein (was ich gar nicht so recht glauben kann, schließlich sind Petrus- und Piusbruderschaft schon lange in Deutschlands großen Städten präsent.) Auch aus dem schönen Mühltal stimmte „Landpfarrer“ Jolie in den Jubel mit ein, packte seine Schola und einen Teil der Gemeinde in den Bus, um in Mannheim gleich noch eine zweite... alte, nein „gregorianische“ Messe zu feiern.
Ich bewundere das Netzwerk katholischer Priester und seine Protagonisten dafür, dass sie die Klaviatur der modernen Medien so gut beherrschen. So nutzte Pfarrer Hendrik Jolie die öffentliche Aufmerksamkeit noch besser als P. Bernward Deneke und versäumte es nicht gleich seine gesamte Kritik an seinem – etwas unwilligen - Gastgeber in eine Pressemeldung zu packen und über kathnews.de publik zu machen. Nicht ohne zu beklagen, dass diese zweite "alte" Messe gar nicht ins Programmheft gedurft hätte. 
Ich vermute, es gab dafür zwei Gründe. Einmal: Das Heft würde aus allen Nähten platzen, wenn jede Mannheimer Gemeinde ihre Gottesdienste darin finden wollte. Und vielleicht hat er sich nicht an die richtigen Stellen gewandt oder war schlicht zu spät. Ich tue mich jedenfalls schwer damit, darin die böse Absicht der ach so "liberalen" Organisatoren zu vermuten. Und es ist auch nicht sehr freundlich, über den mangelnden Dialog des gastgebenden Erzbistums zu klagen, wo doch der Ortspfarrer (Priester dieses Bistums) die Nutzung der Kirche für die "gregorianische" Messfeier ausdrücklich genehmigte, ohne dass sein Bischof ihn "zurückpfiff". (Ja, Pfarrer Jolie, ich gebe Ihnen recht, das, was Herr Glück später gesagt hat war jetzt auch nicht klug. An seiner Stelle wäre ich einfach mal zur "alten Messe" hingegangen. Er wird doch das Stufengebet wohl noch auswendig können!?!)
Aber zu glauben, dass das Erzbistum hier opponiert hat, um seine „liberale Gesinnung“ zu zeigen fällt mir sehr schwer. Das wäre doch ein sehr ungewöhnlicher Aufwand für einen – nach den Pressemeldungen – zwar gelungenen, festlichen und frommen Gottesdienst, der aber ansonsten – außer der gregorianischen Liturgie nichts Besonderes hatte. Gut 100 Leute haben mitgefeiert. Dafür hat er in der Presse mehr Raum eingenommen als manche große Aktion. Das Priesternetzwerk kann doch sehr zufrieden sein.
Angesichts der sonstigen Dimensionen auf Katholikentagen; denken Sie nur an die ständigen „Halle überfüllt“ - Schilder, nimmt sich das alles aber bescheiden aus. 20.000 Teilnehmer beim Hauptgottesdienst; 80.000 Teilnehmer insgesamt und 33.000 Dauerteilnehmer. Das sind zwar – wie der Kölner Kardinal so spitz wie treffend bemerkte – nicht gerade die „Massen“, die da einen neuen Aufbruch wagen. Aber in diesen beiden „alten Messen“ so etwas wie einen „Exorzismus“ für die in manchen Augen allzu liberale Großveranstaltung zu sehen ist auch alles andere als angemessen. Die „offizielle“ tridentinische Messe mit P. Deneke aus der Petrusbruderschaft hat es immerhin auf 150 – 250 Teilnehmer gebracht. Die Angaben gehen da sehr auseinander. Aber immerhin nutzen einige „normale“ Katholikentagsgäste die Gelegenheit, diese besondere Liturgie einmal selber mitzufeiern. Und auch hier herrschte eher normale Frömmigkeit als Skandal. P. Deneke wehrte sich ja auch ausdrücklich gegen eine mediale Zuspitzung dieser Messfeier als gegen die „ordentliche“ Liturgie gerichtet.
Da „saß“ (und schmerzte die Organisatoren) viel mehr, was Kardinal Meisner aus der Ferne; Bischof Tebartz van Elst (es fehlten ihm die Themen Katechese, Ehe und Familie) und Bischof Müller (der einige Termine auf dem Katholikentag absagte und erst später erschien) zum Katholikentag zu sagen hatten. Vielleicht hatten sie aus ihrer Perspektive recht. Aber war es nötig, den anderen damit die Freude an dem zu verderben, was gelungen ist in diesen Tagen in Mannheim?
Schade eigentlich, dass es so schwer ist, miteinander ins Gespräch zu kommen und einen neuen Aufbruch zu wagen. Der Katholikentag wäre doch ein Forum dafür. Und ein Bischof, der etwas vermisst oder zu verbessern hat, hat doch alle Chancen seine Kritik an geeigneter Stelle einbringen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Familienbischof, der gute Vorschläge zum Katholikentagsprogramm mitbringt, diese nicht umgesetzt bekommt.
«Katholikentage sind nicht mehr das, was sie mal waren», sagte Kardinal Meisner der «Kölnische Rundschau« und dem Bonner «General-Anzeiger». Da wird man ihm aus vollem Herzen zustimmen! Aber die Welt hat sich auch sehr verändert. Ob es aber auch stimmt, dass man „Verbundenheit und Einheit von Papst, Bischof, Priestern und dem Volk Gottes“ nicht mehr spürt? Ich weiß es nicht, es kommt wohl sehr auf die Perspektive an. Und – mit Verlaub, lieber Herr Kardinal, wer dieser Veranstaltung fern bleibt, kann aus der Ferne auch nichts spüren. Dabei ist gerade der Kölner Erzbischof mit seiner Herzlichkeit und teils einfachen und klaren Sprache durchaus ein Mensch, der Beziehung aufnehmen und ein Gefühl der Verbundenheit vermitteln könnte. Und „Wertschätzen“ kann er eigentlich auch, wie das Lob für die Hl.-Rock–Wallfahrer und Kölner-Dom-Besucher im selben Interview zeigt.
Aber zurück zu Pfarrer Jolie und seiner kritischen Analyse, die er uns begleitend zur „gregorianischen“ Messe in Anlehnung an die Kritik des Kölner Kardinal liefert: „Den heutigen Katholikentagen fehlt es an profilierten Persönlichkeiten: Menschen, die erkennen lassen, dass spirituelle Kraft, Originalität und Durchsetzungsfähigkeit einerseits und Glaubenstreue, Romverbundenheit und Liebe zur Kirche andrerseits kein Widerspruch sind. Diese Personen haben im derzeitigen System keine Chance, nach „oben“ zu kommen – weder als Laie noch als Kleriker. Sie haben sich deshalb längst auf andere Kongresse glaubenstreuer Katholiken verzogen, weil sie durch die beständigen Verleumdungen und Angriffe mürbe gemacht wurden. Auch in Mannheim trifft man sie nur am Rande.“
Ich glaube nicht, dass es uns an profilierten Persönlichkeiten fehlt. Die sind schon da, aber die Aufmerksamkeit für das, was sie zu sagen haben nimmt ab. Oder aus anderem Blickwinkel betrachtet – wie ordnet Pfr. Jolie denn Leute wie P. Anselm Grün OSB oder P. Notger Wolf OSB ein (waren gar nicht in Mannheim), bei deren Auftritten die Hallen aus allen Nähten platzen. Ja, stimmt, mit der Menge der Worte, die sich gedruckt in Büchern finden, muss nicht zwangsläufig auch die Qualität des Gesagten steigen. Aber lesen Sie doch heute mal die alten Bücher und Texte solcher profilierter Persönlichkeiten wie P. Leppich SJ oder Christa Meves. Würden die auch heute noch Leute auf die Beine bringen?
Etwas schmunzeln musste ich, als Pfr. Jolie dann die Eigenschaften solcher spirituellen Wundermenschen aufzählte: Einerseits „spirituelle Kraft, Originalität und Durchsetzungsfähigkeit und andererseits „Glaubenstreue, Romverbundenheit und Liebe zur Kirche“. Als spräche er hier tatsächlich von Gegensätzen. Es klingt mir ein wenig so, als wäre das eher ein selbstgefälliges Schulterklopfen der Kreise, die sich auf „Kongresse glaubenstreuer Katholiken“ verzogen haben. Es klingt auch sehr nach Pfarrern, die gegenüber ihren Gemeinden manchmal so beinhart auftreten und so "alleswisserisch", als wären Liebe zur Kirche und Liebe zum Gottesvolk Eigenschaften, die nicht zusammen gehen. Ich glaube auch nicht, dass „profilierte Persönlichkeiten“ automatisch zur Zielscheibe ungerechter Kritik werden. Das geschieht eher, wenn Profil und Persönlichkeit nicht zusammen passen.
Vielleicht würde etwas draus, wenn solche Christen neben den von Jolie aufgezählten Eigenschaften noch diese besäßen: Lebenerfahrung, den Mut zu schweigen, wenn es not tut, Bescheidenheit, Liebe zu den Menschen, Frömmigkeit, Dialogbereitschaft, Demut; Dienstbereitschaft und manches mehr.

Sonntag, 13. Mai 2012

Noch eine Wallfahrt nach Banneux...

Seit Jahrzehnten schon pilgern Katholiken aus dem Dekanat Dinslaken (mit Voerde, Walsum und Hünxe) in die belgischen Ardennen, nach Banneux. Banneux, das ist ein kleines, verschlafenes Dorf der Gemeinde Pepinster.
Dort erschien in dem Jahr, da in Deutschland die Faschisten unter Hitler die Macht übernahmen, eine „schöne Frau“ einem 12jährigen Mädchen. Mariette Beco, nicht frömmer als ihre Altersgenossen damals, erkannte in der leuchtenden Gestalt die Gottesmutter Maria. Es war eine Zeit, die für solche Erfahrungen sehr offen und bereit war. Die großen, neueren Marienwallfahrtsorte Europas wie Lourdes und Fatima und auch die weniger bekannten Orte wie Knock in Irland, Wigratzbad in Deutschland oder La Salette in Frankreich entstanden in der Folge solcher Erscheinungen in den Jahren zwischen 1850 und 1950. Das Phänomen selbst gab es allerdings in der gesamten Geschichte des Christentums. Nicht alle dieser Erscheinungen erregten so großes Aufsehen wie Lourdes (1858) und Fatima (1917).
Im Jahr 1932/33 versetzten die Erlebnisse von fünf Jungen in Beauraing, ebenfalls in der Wallonie, die belgischen Katholiken in Aufregung und wurden heftig diskutiert. Die Gottesmutter war ihnen dort über 30 Mal erschienen. Zahllose Bücher und Artikel wurden über die „Echtheit“ solcher Marienerscheinungen geschrieben. Theologen, Priester und Gläubige schlugen sich die Argumente und die Glaubenserfahrungen um die Ohren. Bis heute tobt z.B. ein erbitterter Streit um die Ereignisse in Medjugorje, wo die Marienerscheinungen bis auf den heutigen Tag anhalten sollen.
Werfen wir einmal einen Blick auf die Seherinnen und Seher, die am Anfang all dieser Wallfahrtsorte stehen. Während die Seherkinder in Lourdes und Fatima seit langem selig und heilig gesprochen sind, enttäuschte die Seherin von Banneux die allzu frommen Verehrer eher. Obwohl Banneux heute der bedeutendste Wallfahrtsort Belgiens ist (erwarten Sie von einem Besuch nicht zu viel „Sehenswertes“ – ich komme noch dazu), spielt die Figur der Seherin darin kaum eine Rolle. Symptomatisch ist, dass man auf der Suche nach Bildern von ihr im ganzen Internet nur einige sympathische Kinderfotos und ein einzelnes Bild einer älteren Dame findet. Mariette Beco blieb offensichtlich Zeit ihres Lebens „völlig normal“. Jedem „Hype“ um ihre Person entzog sie sich und profitierte in keiner Weise von ihrer besonderen Rolle. Im vergangenen Jahr ist sie – nunmehr - 90jährig verstorben.
Das aktuelle Wallfahrtsmagazin „Jungfrau der Armen“ widmet ihr einen Nachruf. Und darin ist offensichtlich weder von einer Heiligen die Rede noch werden irgendwelche aufregenden mysteriösen Details berichtet. Wir erfahren, dass Mariette Beco während der Kriegsjahre im Widerstand aktiv war und aus der deutschen Gefangenschaft geflohene belgische Soldaten durch die Region schleuste. 1942 heiratete sie gegen den Willen ihrer Eltern (21jährig) und eröffnete mit ihrem Mann ein Restaurant. Die beiden hatten zwei Kinder, ein drittes Kind starb kurz nach der Geburt.
Die Ehe ging in die Brüche und Mariette bestritt ihren Lebensunterhalt mit einer „Fritüre“ (ein Schnellrestaurant) im benachbarten Pepinster. 1981 zog sie mit ihrem Lebensgefährten (!) zusammen, der 1989 verstarb. Der Lebensbericht von Abbé A. Reul im Wallfahrtsmagazin endet so unspektakulär, wie er begonnen hat: „Während ihrer letzten Lebensjahre wurde sie schwerhörig, die Sehkraft ließ nach. Auch die Beine wollten nicht mehr. Mehrere Todesfälle – ihr Bruder René starb 2007, ihre Tochter Myriam 2008 und ihre Schwester Simone 2009 – haben sie sehr mitgenommen. Mariette sagte: „Ich verstehe es nicht, die Jungfrau hat mir gesagt: „Ich komme, das Leid zu lindern“, und ich, ich leide schon seit meinem sechsten Lebensjahr. Warum?“
Nachts konnte sie nur zwei, drei Stunden schlafen. Die restliche Zeit saß sie betend in ihrem Bett. In ihren Schmerzen klammerte sie sich an die Worte der Jungfrau der Armen: „Ich werde für dich beten“.
Neben mir liegt der „Totenzettel“ von Mariette Beco, auf der letzten Seite des Pilgermagazins ist ihr Name ohne besondere Hervorhebung als 12. in einer Liste der Verstorbenen vermerkt. Nichts zeichnete sie vor anderen Betern in Banneux aus und die Begegnungen mit der „Schönen Dame“ haben ihr Leben nicht leichter und schöner gemacht. Auch ihr Glaube war nicht einfacher, sie hatte wohl keine größere Gewissheit in Händen als jede(r) von uns. Ich kann es mir nicht erklären, aber, wenn ich am Ende eines menschlichen Lebens die Gelegenheit bekomme, auf Höhen und Tiefen zu blicken und die Spuren von Kampf und Freude, von Leiden und Hochzeiten des Lebens betrachten darf, überkommt mich Rührung und eine tiefe Gewissheit, dass ein solcher Mensch in Gottes Reich willkommen ist. Ob es nun Mariette Beco ist, die als Jugendliche der Gottesmutter begegnen durfte oder ein anderer Mensch, der im Verlauf seines Lebens seine Frau und seinen Mann gestanden hat. Mit all den kleinen Siegen und allen Niederlagen. Mit seiner Schuld und Sünde und seinem guten Wollen und seinen guten Seiten.
Es macht mich betroffen, dass Mariette Beco sehr gelitten hat unter Christen, die nicht akzeptieren konnten, was das junge Mädchen in einer inneren Schau gehört und gesehen hatte. Es muss zu sehr unchristlichen Begegnungen und Ereignissen gekommen sein.
Ein schönes Ereignis war für Mariette sicher die Begegnung mit Papst Johannes Paul II., der den Ort 1985 besuchte. Zahlreiche Bilder dieses Ereignisses sind in der großen Kirche in Banneux ausgestellt. Keines zeigt den Papst mit Mariette. Sie traf ihn verborgen in einer Sakristei. Auch von diesem Gespräch wissen wir nichts, sie hat Zeit ihres Lebens keine Interviews gegeben.
Jungfrau der Armen“ hatte sich Maria in Banneux genannt. Da war sie bei der Familie Beco und auch im Dorf selber an den richtigen Ort gekommen. Mir kommt in den Sinn, dass diese Wallfahrt immer eine Wallfahrt der Laien war. Die kirchliche Hierarchie, die Priester und Bischöfe haben sich oft auf Distanz gehalten. „Lourdes für Arme“ nannte man Banneux spöttisch und akzeptierte achselzuckend, dass kleine Gruppen von Gläubigen eher halboffiziell immer wieder dorthin fuhren.
Vielleicht ist der spöttische Name aber eine treffende Charakterisierung des Wallfahrtsortes. Es ist ein Ort „für Arme“ und Maria hat ihn ausdrücklich so gewollt. „Kommt alle her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“. Dieses Wort Jesu kommt einem in den Sinn, wenn man die Pilger sieht, die an der Quelle ihre Hände in das Wasser tauchen. Banneux ist kein Ort einer abstrakten Frömmigkeit und hoher Theologie. Nie habe ich so konkretere und frommere Predigten gehört, wie hier. Die Priester sind fromm, vielleicht auch sehr traditionell. Da ist zum Beispiel „Don Camillo“, Kaplan Jean Schoonbroodt, der stets in Soutane und mit Birett oder in Priesterkleidung auftritt, die mindestens so „von gestern“ erscheint, wie die Wallfahrt selber. Er ist so etwas wie das personifizierte offene Ohr Gottes. Unscheinbar, eher im Hintergrund ist er so zahllosen Pilgern zum Beichtvater und Gesprächspartner geworden.
Er und seine Mitbrüder sorgen dafür, dass Banneux ein Ort der Laien bleibt. Wo immer es ihm möglich ist, stellt er die Beter und Pilger in den Vordergrund. Wenn für den Gebetsweg am Nachmittag einmal genug Pilger dabei sind, die die Lesungen und Gebete vortragen zieht er durchaus einmal – in Soutane - den Lautsprecherkarren. Um kurz danach wieder im Beichtstuhl zu sitzen oder bei der Krankensegung einem der Gastpriester zu assistieren, der die Pilger mit der Monstranz segnet. Wer immer als Lektor, Kirchenmusiker, Pilgerbegleiter, Kommunionausteiler sich einbringen möchte – ist in Banneux herzlich willkommen. Die zurückhaltende Bescheidenheit und Freundlichkeit des Ortes und der dort tätigen Priester, Schwestern und Laien rührt an und öffnet das Herz.
In Banneux gibt es nichts zu sehen und nichts zu bestaunen. Keine kunsthistorischen Besonderheiten, kein uraltes Gnadenbild, dass durch mysteriöse Ereignisse in den Ort kam, keine grandiosen Kirchen, selbst die „große Kirche“ hat den Charme einer Turnhalle. Figuren und Standbilder sind von lokalen Künstlern aus Ton oder Gips geformt worden, alle Gebäude aus den örtlichen Natursteinen errichtet. Die meisten Fenster in den Kirchen und Kapellen sind mit Normalglas ausgestattet. „Richtige“, kleine Kirchenfenster finden sich nur in der Michaelskapelle, finanziert aus Deutschland und in der zentralen Erscheinungskapelle neben dem Haus der Familie Beco. Alles erhält sich aus Spendengeldern und die fließen deutlich überschaubarer als die Kirchensteuer im benachbarten Deutschland. Vieles wirkt improvisiert und mit eigener Hand errichtet. Und gerade das macht einen tiefen Eindruck, denn nichts wirkt aufgesetzt, gekünstelt oder übertrieben. Selbst die Restaurants und Andenkengeschäfte sind aus dem eigentlichen Wallfahrtsbezirk „verbannt“. Außer dem Pilgerheft mit Liedern und Gebeten gibt es in den Kirchen nichts zu kaufen.
Man mag über die „Erscheinungen“ spotten, über den geistlichen Gehalt der Botschaften Mariens unterschiedlicher Meinung sein, die Kirchenmusik, die „hohe Kirchenkunst“, vermissen, die Wahrheit und Wirklichkeit der Ereignisse 1933 anzweifeln... Für all diese Haltungen bietet Banneux Raum. Und nimmt auch diese Pilger gastlich auf. Für „Wundergläubigkeit“ bietet der Ort keinen Raum. Und die Botschaft die hier verkündet wird ist keine andere als das Wort der Bibel, die auch in Banneux viel mehr gilt als die schlichten Worte, die Mariette von der „Schönen Frau“ gehört hat. Wer auf das Leben von Mariette Beco schaut, der wird spüren: Hier in Banneux bin auch ich willkommen. Mit all meinen Fragen und Zweifeln, mit all meinem Versagen, meinen Hoffnungen und Sehnsüchten und mit meinen Bitten.
Möge Mariette Beco ruhen in Frieden.

Das belgische Fernsehen berichtete über den Tod von Mariette Beco:
http://brf.be/nachrichten/regional/301134/ hier ist auch ein kurzer Film zu sehen.

Der Wallfahrtsort: www.banneux-nd.be

Mittwoch, 9. Mai 2012

Wunst oder Kunst?


Es muss sich um eine verborgene Kunstaktion handeln, bei dem, was als offizielles Pressegespräch der dOCUMENTA (13) – Leitung heute über die Nachrichtenkanäle rauscht. Die documenta, ihre Zeichens weltweit bedeutendste Ausstellung für zeitgenössische Kunst fühlt sich gestört. Durch Kunst! Die Verantwortlichen empören sich öffentlich über ein kirchliches Kunstprojekt: «Es stört erheblich. Die künstlerische Leiterin fühlt sich von dieser Figur bedroht, die mit der dOCUMENTA (13) nichts zu tun hat», so der documenta-Geschäftsführer Bernd Leifeld.
Ich kann es mir nicht anders erklären: die künstlerische Leiterin der documenta meint das nicht wörtlich so, sondern möchte wohl auf die Tatsache hinweisen, dass die Kirche über Jahrhunderte – positiv wie negativ – die moderne, bzw. die aktuelle Kunst beeinflusste. Es gab Zeiten, da hätte es ohne die Kirche überhaupt keine Kunst gegeben. Priester, Bischöfe, Kardinäle, Päpste, Christen waren die großen Förderer und Finanziers von Kirche und Kunst. Was der künstlerischen Freiheit (freilich eine eher moderne Idee) nicht immer zu Gute kam. Oft gab es halt Kunst nach dem Motto: „Wer das Bild bezahlt, bestimmt auch was und wie gemalt wird!“ Die Künstler suchten sich ihre Nischen, oder sie malten halt für die Auftraggeber so und zeigten zwischendurch in den Hinterzimmern der Ateliers, was sie sonst noch konnten. In manchen „Glücksfällen“ sorgte die Kirche allerdings selbst für einen Modernisierungsschub in der Kunst, denken Sie nur an Künstler wie Raffael, El Greco, Michelangelo oder Gaudi (und viele mehr). Aber Licht ergibt auch Schatten: es gab sehr dunkle Zeiten, in denen gläubige Menschen Kunst zur „Unkunst“ erklärten oder gar (aus unterschiedlichsten Motiven) vernichteten.
Möglicherweise wollte Carolyn Christov-Bakargiev genau auf diesen historischen Aspekt aufmerksam machen oder eine Anregung geben, darüber nachzudenken, was es bedeutet, dass sich heute nur noch wenige Kirchengemeinden (z.B. St. Andreas in Köln oder die Domkirche ebendort) auf moderne, zeitgenössische Kunst einlassen mögen. Das hat ganz sicher vielfältige Gründe, über die zu reden sich lohnen würde.
Wenn die künstlerische Leitung der dOCUMENTA (13) der Kirche möglicherweise nicht ganz wohl gesonnen ist könnte sie dabei auch eher dunklen Seiten der kirchlich-künstlerischen Geschichte ins Visier genommen haben. Oder sie hat dabei schlicht gedacht: Warum drehen wir den Spieß nicht einfach mal um: Jahrhundertelang hat die Kirche die Kunst drangsaliert – jetzt schlagen wir zurück und drangsalieren wir die Kirche.
Es kann ja auch sein, dass ich die Aktion völlig falsch interpretiere und die dOCUMENTA (13) wollte ganz selbstlos der Ausstellung in der Kasseler St. Elisabeth – Kirche (weltweite) Aufmerksamkeit gönnen. Keine Gemeindepressemeldung wäre von den namhaften Zeitungen Deutschlands überhaupt wahrgenommen worden. Was für ein Glücksfall für den renommierten Künstler Stephan Balkenhol, der übrigens in Kassel aufgewachsen ist und heute in Karlsruhe als Professor lehrt.
Es erscheint mir verrückt, dass eine Kunsthistorikerin und künstlerische Leiterin einer Weltkunstausstellung die Kunst, die im Umfeld dieser Ausstellung gezeigt wird ernsthaft im Sinne Max Liebermanns zur „Wunst“, zur „Klein-“ oder „Unkunst“ erklärt. Aber es hört sich ganz so an: «Die künstlerische Leiterin weiß, dass diese Art von Kunst für diese documenta nicht adäquat ist.» Ein satirischer Unterton ist in diesen Einlassungen der dOCUMENTA (13) kaum zu entdecken. Sollte es ernst gemeint sein? Die Sache hat ja offensichtlich schon eine Vorgeschichte, hatten die documenta – Verantwortlichen doch schon im Vorjahr sich jede Konkurrenz aus kirchlicher Seite verbeten, worauf sich aber nur die evangelische Kirche einlassen wollte.
Ich persönlich würde Frau Christov-Bakargiev gerne beruhigen. Wenn „diese Art von Kunst“ doch für das allgemeine Publikum gut erkennbar „nicht adäquat“ für die dOCUMENTA (13) ist, dann kann sie doch ebendiese gar nicht stören. Und die weltkunstverständigen Besucher werden sofort erkennen: „Nein, das ist nur provinzielle Kirchenkunst, das hat mit der dOCUMENTA (13) gar nichts zu tun!“.
Schade, denn es geschieht doch im Grunde genau das, was Künstler und Theologen landauf, landab fordern. Es ist ein Zeugnis der Bereitschaft der heutigen Kirche, sich auf Gegenwartskunst einzulassen, sich selbst anfragen zu lassen von Künstlern, die ihre eigenen Anregungen geben und uns Fragen stellen. Sicher werden sich im Raum der Kirche auch Kritiker finden, die lautstark aufschreien und der Meinung sind, dass solche Werke in einer Kirche nichts zu suchen haben, weil sie nicht christlich genug sind. Sind sie das wirklich nicht? Ich finde, der Mann im Turm stellt mir interessante Fragen und provoziert durchaus Gedanken, die sich zu denken lohnen.
Oder ist es verwerflich, die Aufmerksamkeit zu nutzen, die eine Ausstellung wie die documenta nach Kassel lenkt? Tun das nicht in dieser Zeit alle, die in Kassel „Honig“ aus dieser Blüte ziehen wollen? Die Zimmervermieter in den Hotels und Pensionen, die Geschäftsleute und Buchhändler und letztlich auch die Stadtväter, die in dieser Zeit eine weltweite Aufmerksamkeit genießen, eine Situation derer sich die Stadt in der Mitte der Republik sonst – mangels Attraktionen – nur selten erfreuen kann. Wer will es ihnen verdenken? Vermutlich ist Kassel nicht zuletzt deshalb der Austragungsort für die dOCUMENTA (13), weil dort normalerweise nichts (wenig) die Aufmerksamkeit von dieser Weltkunstattraktion ablenkt.
Liebe Frau Christov-Bakargiev! Warum gleich mit Kanonen auf Spatzen schießen? Hätte es nicht gereicht, wenn die documenta schlicht betonen würde, dass nur das „documenta“-Kunst ist, wo auch dieses Logo draufklebt? Wahre Kunst setzt sich auch so durch – sie braucht keine Konkurrenz zu fürchten. Ich jedenfalls wünsche der dOCUMENTA (13) und der Ausstellung in der St. Elisabeth-Kirche viele Besucher und vor allem Menschen, die sich von der Kunst vieler Jahrhunderte ansprechen und anfragen lassen. 


http://www.katholische-kirche-kassel.de/stephan_balkenhol.php

Die beiden Zitate «Es stört erheblich. Die künstlerische Leiterin fühlt sich von dieser Figur bedroht, die mit der dOCUMENTA (13) nichts zu tun hat», und «Die künstlerische Leiterin weiß, dass diese Art von Kunst für diese documenta nicht adäquat ist.» aus der Pressearbeit der documenta (13) entstammen einer dpa - Meldung, konkret aus deren Veröffentlichung in der ZEIT: http://www.zeit.de/news/2012-05/09/kunst-documenta-stoert-sich-an-balkenhol-skulptur-09172202

Samstag, 5. Mai 2012

Bunt und vielfältig wie unsere Kirche...


Kardinal Schönborn und Kardinal Husar
Alle Augen blicken zur Zeit in die Ukraine. Es naht die Fußball – EM. Und es mutet sehr sonderbar an, was dort in der Politik geschieht und mit welchen undemokratischen Mitteln der amtierende Präsident Janukowitsch gegen die Opposition und die ehemalige Premierministerin Julia Timoschenko vorgeht. Dabei spielt dieser Präsident gern den gläubigen orthodoxen Christen.
Aber auch jenseits politischer Auseinandersetzungen lohnt sich ein Blick hinter die Kulissen dieses Landes, denn in der Ukraine gibt es die Größte der Katholischen Ostkirchen, die den Papst als Oberhaupt anerkennen. Die sogenannte griechisch-katholische Kirche der Ukraine schloss sich der katholischen Kirchengemeinschaft im Jahr 1595/1596 wieder an. Vielen Menschen ist bekannt, dass diese Kirche z.B. auch verheiratete Männer zu Priestern weiht und eine Form der Wiederverheiratung von Katholiken kennt. Aber ansonsten ist sie – trotz ihrer 5,2 Millionen Mitglieder eine Minderheitenkirche.
Ein sehr bedeutsamer Unterschied ist, dass die ukrainischen Katholiken ihre Gottesdienste in einem eigenen Ritus feiern, dem byzantinischen Ritus. Neben diesem ostkirchlichen Ritus gibt es noch vier weitere, die sich durch die liturgische Sprache und die Form des Gottesdienstes sehr deutlich von unseren Gottesdiensten unterscheiden. Entsprechend ist z.B. auch die liturgische Kleidung der Priester und Bischöfe eine völlig andere. Weitere Unterschiede im Leben dieser Kirchen ergeben sich auch dadurch, dass sie ein eigenes, vom römischen CIC unterschiedenes Kirchenrecht kennen.
Bei vielen Diskussionen innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland wird leider übersehen, dass es in der Weltkirche eine große Vielfalt an Riten und Gebräuchen gibt und tiefe Gläubigkeit, die sich in ganz anderen Formen äußert, als das, was hierzulande vertraut und manchmal unveränderlich erscheint.
Bis vor einem Jahr war das Oberhaupt der katholischen Ukrainer der „Großerzbischof von Kiew und Halytsch“ Lubomyr Kardinal Husar. Er wurde im Januar 2001 zum Kardinal erhoben und nahm am Konklave teil, das Papst Benedikt XVI. gewählt hat. Es gibt noch weitere Kardinäle, die aus den Ostkirchen stammen, z.B. Mar Nasrallah Boutros Kardinal Sfeir (Maronitische Kirche des Libanon), Lucian Kardinal Mureșan (rumänisch-katholische Kirche), Emmanuel III. Kardinal Delly ist Patriarch der chaldäisch-katholischen Kirche und Antonios Kardinal Naguib, Patriarch der koptisch-katholischen Kirche. Aber unter den 210 Kardinälen (davon 123 wahlberechtigt) sind sie selten und bieten daher ein recht auffälliges Bild bei Kardinalsversammlungen.
Der amtierende Großerzbischof:
Swjatoslaw Schewtschuk
Lubomir Husar hat im Westen studiert, nämlich in Washington D.C., New York City und später in Rom. Das hat auch mit der Geschichte der ukrainischen Katholiken zu tun, die in der kommunistischen Zeit brutal verfolgt wurden. Der damalige Großerzbischof von Lemberg Jossyf Ivanovič Kardinal Slipyj floh kam für 18 Jahren in ein sibirisches Straflager und ging nach seiner Freilassung nach Rom, wo er Lubomir Husar 1977 in einem unierten Kloster die Bischofsweihe erteilte. Da diese Weihe damals (immerhin durch einen Kardinal) ohne die Zustimmung des Papstes Paul VI. erfolgte, wurde er in seinem Amt erst im Jahr 1996 durch Papst Johannes Paul II. bestätigt, der ihn als Weihbischof von Lemberg einsetzte. Überhaupt hat die Ukrainische griechisch-katholische Kirche weitgehende Autonomie in der Wahl von Bischöfen. Erst kürzlich (Anfang 2011) wurde der Nachfolger von Kardinal Husar, der erst 51jährige Swjatoslaw Schewtschuk, von der Synode der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche in Lemberg zum Großerzbischof von Kiew-Halytsch gewählt, eine Wahl die vom Papst zwei Tage später bestätigt wurde.
Dennoch scheint es im Vatikan selbst, dem Zentrum der Weltkirche Personen zu geben, die eine gewisse Weite gegenüber der Vielfalt des Katholischen vermissen lassen. In einem Interview mit der Zeitung „Die Tagespost“ sagt Lubomir Kardinal Husar zu diesbezüglichen Schwierigkeiten seiner Kirche: „Leider ist man in Rom nicht immer konsequent. Da sind gewisse Gruppen in der römischen Kurie, die Angst haben, dass die Verwirklichung einer echten Tradition innerhalb der katholischen Kirche zur Spaltung führen könnte. Das ist nicht gut begründet, aber es hat die Politik beeinflusst. Schon seit Jahren bitten wir um die Anerkennung unserer Kirche als ein Patriarchat. Man versteht das sehr oft als Spaltung, so als wollten wir uns vom Heiligen Stuhl entfernen. Das ist nicht wahr, aber viele sehen es so. Darum habe ich mit Johannes Paul II. und Benedikt XVI. selbst gesprochen. Sie haben persönlich nicht diese Angst, aber es gibt Gruppen im Vatikan, die Angst haben.“ So scheint es im Vatikan (der aus deutscher Sicht manchmal als monolithischer Block erscheint) durchaus unterschiedliche Meinungen und Strömungen zu geben.
Der Kardinal hat auch eine sehr ermutigende Sicht auf die Ökumene: „Wir griechischen Katholiken sind daran sehr interessiert, denn es gibt nicht vier Kiewer Kirchen, sondern die eine Kiewer Kirche in vier Teilen.“
Die nächsten Schritte auf dem Weg zu mehr Kirchengemeinschaft sieht er so: „Der einzige Vorwurf, den die Orthodoxen haben, ist, dass wir als Griechisch-Katholische Kirche ein wenig zu sehr latinisiert sind. Im 19. Jahrhundert und im ersten Teil des 20. Jahrhunderts war die Latinisierung auch äußerlich sichtbar. Die Latinisierung ist heute immer noch da, aber mehr innerlich, also auf dem Feld der Theologie. Vieles in der Theologie ist immer noch lateinisch geblieben. Die jungen Priester müssen unsere echte Theologie wieder kennenlernen, leben und umsetzen. Es war ein Nachteil der Verfolgung, dass Leute durch lateinische Praktiken beweisen wollten, dass sie katholisch sind. Wir müssen die Orthodoxen überzeugen, dass griechisch-katholisch zu sein und östlich zu sein ganz logisch verbunden ist.“
Eine interessante Sichtweise, bei der der Kardinal in keiner Weise daran zu denken scheint, dass hierdurch die enge Einbindung in die katholische Kirche beeinträchtigt werden könnte. Es geht ihm darum, dass die Priester und die Gläubigen immer tiefer eindringen in den Glauben und in die Theologie und dies im Kontext ihrer Kultur tun. Die „Latinisierung“ erscheint ihm dabei als eine Oberflächlichkeit. Sie abzulegen gefährdet das enge Band des Katholischen nicht. Ob wir im Westen nicht von den griechisch-katholischen Schwestern und Brüdern manches lernen könnten? Zum Beispiel eine große Liebe zur Theologie und zu deren Verwurzelung in unserer Kultur; eine große Liebe und Verbundenheit mit dem Hl. Vater; eine große Liebe zu unserer reichen Tradition; Stolz und Freude über die lange und interessante Geschichte der katholischen Kirche ein Deutschland und über deren Eigen- und Besonderheiten; eine tiefe Gläubigkeit und Verbundenheit mit Bräuchen und Traditionen und schließlich die Überwindung mancher (theologischer und menschlicher) Oberflächlichkeiten im Denken und Urteilen über Andere. „Die Teilung ist über viele Jahrhunderte gekommen. Die Teilung zu überwinden, ist keine leichte Sache und braucht sehr lange Zeit. Ich habe keine Illusionen, dass es in zwei oder drei Generationen zu einer Annäherung kommen wird.“ Aber es ist eine wichtige Aufgabe daran zu arbeiten, dass die Christen zur Einheit finden, in der Ukraine aber auch hier bei uns in Deutschland.

Sehr interessantes Interview mit Lubomir Kardinal Husar:

Dienstag, 1. Mai 2012

"für alle" und Hintergedanken bei vielen....


Primizmesse P. Maurus Runge OSB,
St. Marien, Dinslaken-Lohberg
In unserer Gemeinde in Voerde gibt es einen Kreis von Menschen, die Wortgottesdienste, Maiandachten, Kreuzwege und Rosenkranzandachten gestalten. Es sind alles Leute, die mitten im Leben und im Glauben stehen. Mit ihnen kam ich gestern ins Gespräch über das „für alle“ und „für viele“. Mit großem Interesse und ohne Aufregung haben wir über die Hintergründe diskutiert. Kein Grund zur Aufregung unter uns kirchlich verbundenen Katholiken.
Soweit ich das sehen kann, reagierten auch die deutschen Bischöfe weitgehend positiv und gelassen auf den Papstbrief, der doch von zahlreichen Zeitungen, Bloggern und Kommentatoren zur Sensation oder gar zur „Ohrfeige“ und „Rüge“ für die Bischöfe hochgejazzt wurde. Offensichtlich brauchte das aus der Perspektive der Tagespresse etwas trockene und unbedeutende Thema ein wenig „Pfeffer“.
Etwas erschreckend war für mich, wie oberflächlich und teilweise fehlerhaft selbst überregionale Tageszeitungen die Thematik aufgriffen: „Jesus starb nicht mehr „für alle““ war da zu lesen. Da hatten sich die Autoren nicht mal die Mühe gemacht den Papstbrief selbst zu lesen.
Einige vermuteten in der päpstlichen Entscheidung gar ein Zugeständnis an die Piusbruderschaft. Sogar der Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster, Klaus Müller äußerte sich in dieser Richtung: „Der Papst will die Schwelle für die Piusbruderschaft und andere weiter absenken, die die Änderung der Einsetzungsformel in der Messe schon lange fordern", sagte Müller am Mittwoch (25.04.2012), wie die Universität Münster mitteilte. Dafür erntete er prompt einen Widerspruch des Münsteraner Bischofs Felix Genn.
Bei allem Respekt vor einem Dekan würde ich sagen „völlig zu recht“. Man mag zu der vom Papst gewünschten Änderung der Wandlungsworte stehen wie man möchte; mit der Piusbruderschaft hat diese Entscheidung nur ganz am Rande zu tun. Der Papst ist dieser Gemeinschaft aus anderen Gründen schon weit entgegengekommen, dass ein zusätzlicher Schritt völlig unnötig wäre. Und eine Gemeinschaft, die die Rückkehr zum tridentinischen, lateinischen Ritus fordert, müsste ja mit dem Klammerbeutel gepudert sein, wenn sie Reformen an der „Neuen Messe“ fordern würde.
Allerdings, in einem Punkt hat Prof. Müller vielleicht recht. Traditionalistische und ultrakonservative Kreise fordern schon lange eine Änderung der Formulierung in der deutschen (und anderen) Übersetzungen des Messbuches.
Dabei haben sie im Wesentlichen wohl zwei „Hintergedanken“.
Einmal vermuten sie hinter der Formulierung „für alle“ die Auffassung, dass durch Christi Tod jeder Mensch schon persönlich gerechtfertigt ist, völlig unabhängig davon, wie er lebt und was und woran er glaubt. Also so eine Art „Allerlösungslehre“ bzw. „Allversöhnungslehre“, die letztlich in der Idee gipfelt, dass „die Hölle leer ist“. Ehrlich gesagt, begegnet mir diese Glaubensauffassung in den ganz normalen katholischen Gemeinden, in denen ich bis dato aufgewachsen bzw. tätig war, im Grunde nicht. Eher hoffen die Gemeindemitglieder auf einen „gerechten“ Gott. Und ich glaube auch nicht daran, dass die Formulierung „für alle“ in den Wandlungsworten die wesentliche theologische Quelle einer solchen Theologie ist. Sicherlich gibt es diese, sie wurzelt aber in anderen theologischen Quellen und Gedankengängen.
Im Kontext eines Kampfes gegen die Idee der Religionsfreiheit und andere angebliche „Irrlehren“ des 2. Vatikanischen Konzils wurde die Diskussion um die Wandlungsworte für einige aus diesen Kreisen ein willkommenes Vehikel. Es ist aber nicht zu erkennen, dass der Papst und der Hl. Stuhl gewillt sind das theologische Rad hier zurückzudrehen.
Ähnlich nützlich erwies sich für die sehr konservativen Kreise eine Diskussion um die interpretierende Formulierung „für alle“, um damit auch angebliche weitere „Mißbräuche“ in der Liturgie anzuprangern. Die Diskussion um das „für viele“ sollte damit zum Hebel werden gegen eine angeblich grassierende freiere (manchmal sicher zu freie) Gestaltung der Messfeiern im erneuerten römischen Ritus.
Allerdings nimmt der Papst in seinem Brief den Argumenten solcher Verfechter des „für viele“ die Spitze, weil es in seinem Brief um „eine „Veränderung im Ausdruck“ geht und nicht um eine „Veränderung in der Sache“ (Prof. Thomas Söding). Papst Benedikt XVI. selbst schreibt, beim „für alle“ handele es sich um „eine Interpretation, die sehr wohl begründet war und bleibt, aber doch schon Auslegung und mehr als Übersetzung ist“. Dem Papst seien daher, so Prof. Söding, zwei Aspekte wichtig: eine einheitliche Formel für die gesamte Kirche durchzusetzen und die Einsetzungsworte näher an die biblische Überlieferung heranzubringen.
Von einem Zugeständnis an extrem konservative Kreise (Prof. Müller) kann also auch aus dieser Perspektive keine Rede sein.

Paul Badde, Korrespondent der „Welt“ in Rom schreibt dazu zwei Kommentare in dieser Zeitung. Den ersten Text halte ich für sehr treffend und gelungen. Dort wehrt er sich gegen ideologisierende Aufladungen der Übersetzungsfrage und schreibt völlig richtig: „Aus einem Konflikt zwischen Rechtgläubigen und Häretikern hat der Papst die Debatte nun also auf jene Ebene zurück geholt, wo sie hingehört. Das ist der Bereich der Philologie."
Einige Tage später scheint sich diese - wie ich finde sehr vernünftige und realistische - Einschätzung bei Paul Badde verändert zu haben. Jetzt geht er das Thema anders an und deckt damit (vermutlich ungewollt) das Denken mancher „Streiter“ für das „für viele“ auf und zeigt, dass diese (und er selbst) aus anderen Motiven (als der Papst) agieren.
Er schreibt, durch die interpretierende Übersetzung des „pro multis“ (in der ersten Übersetzung des Messbuches in den 1970er Jahren) mit „für alle“ sei „allerdings auch eine fatale Tür" mit diesem Prinzip geöffnet worden. "Es war zunächst nur ein Spalt breit. Doch er lud zu einer Entwicklung ein, wo innerhalb der einen Kirche fortan jeder Orden und jede Gruppierung mit eigenen Theologen anfangen konnte, eigene interpretierende „Übersetzungen“ der Bibel zu produzieren, natürlich immer im Sinne dessen, was Jesus „eigentlich damit gemeint“ habe - um es ihm dann gleich auch in den Mund zu legen.“ Nach Badde lag darin z.B. die Quelle einer „Theologie der Befreiung“, die Karl Marx zum „Kirchenlehrer“ gemacht habe. Solche Theologen hätten letztendlich in Jesu Wort und Handeln ihre eigene Deutung so hineininterpretiert, dass dessen Verkündigung und Absicht völlig verfälscht worden sei. Paul Badde: „Denn in letzter Konsequenz öffnete diese Entwicklung ja auch eine Tür zum „anything goes“ der Theologie und der Liturgie, im Leben und in der Lehre, die viele Gläubige irritierte und der Kirche entfremdete, wo der Kanon immer häufiger nach Gutdünken verändert wurde, so dass sich heute in vielen Pfarreien Deutschlands keiner mehr wundert, wenn statt einer Lesung etwa aus den Briefen des Apostels Paulus auch einmal ein selbstgemachtes Märchen der Pfarrgemeinderatsvorsitzenden vorgelesen wird, ... bis hin zu Pappnasen und Osterhasen im Altarraum, als „Gräuel der Verwüstung an heiliger Stätte“ (Paul Badde in „Die Welt“).
Also ehrlich gesagt, ich finde, da gehen die Pferde mit ihm durch. Ich lese Baddes Texte nicht ungern, aber hier erschreckt es mich, was in den Augen mancher Leute aus dem kleinen Wörtchen „für alle“ geworden ist. Ich finde, so entsteht ein Zerrbild der katholischen Kirche, das einige Publizisten und Akteure auf zunehmend mehr Webseiten und mit den Mitteln der modernen Medien in alle Welt transportieren. Sicher gibt es das ein oder andere ungute Phänomen, aber man sollte doch auch sehen, dass es sich meist nur um wenige Fälle handelt. Und von den Urhebern solcher angeblichen "Skandale" ist es meist sogar gut gemeint (natürlich, ich weiß, dass dies das Gegenteil von gut gemacht ist).
Auch ich habe auf gloria.tv den Auftritt des sonderbaren „Osterhasen“ in einer Familienmesse in Österreich gesehen. (Hier ist er: http://es.gloria.tv/?media=283593) Und genauso den Kopf darüber geschüttelt, wie ein Petrusbruder in Wigratzbad und wie Paul Badde in Rom. Aber ich bin völlig sicher, dass in tausenden von Familienmessen im deutschsprachigen Raum auf gute und würdige Art den Kindern das Geheimnis der Auferstehung vermittelt wurde (zu vermitteln versucht wurde). Und ich bin sicher, dass auch der Kaplan mit dem Osterhasen aus Österreich bei seiner Gewissenserforschung am Abend gedacht hat: „Nun, den Kindern hat es wohl Spaß gemacht, aber dieser Gottesdienst war jetzt nicht wirklich gelungen. Wenn es Dir missfallen hat, guter, barmherziger Gott, bitte ich Dich um Vergebung. Im nächsten Jahr bleibt das Osterhasenkostüm beim Kostümverleiher. Schenke mir gute Ideen, Deine frohe Botschaft in die Welt zu tragen.“

Paul Badde auf kath.net: www.kath.net/detail.php?id=36334
Paul Badde am 29.4. in der WELT: www.welt.de/debatte/article106237568/Papst-schiebt-theologischer-Willkuer-den-Riegel-vor.html

Ach ja, und was diesem Artikel und fast allen anderen Diskussionen im Netz noch fehlt ist genau das, was auch der Papst angemahnt hat, ein vertieftes Nachdenken, eine Katechese über den Sinn und die Bedeutung dessen, was Jesus im Abendmahl gesagt und durch seinen Tod am Kreuz für alle Menschen getan hat.