Dienstag, 1. Mai 2012

"für alle" und Hintergedanken bei vielen....


Primizmesse P. Maurus Runge OSB,
St. Marien, Dinslaken-Lohberg
In unserer Gemeinde in Voerde gibt es einen Kreis von Menschen, die Wortgottesdienste, Maiandachten, Kreuzwege und Rosenkranzandachten gestalten. Es sind alles Leute, die mitten im Leben und im Glauben stehen. Mit ihnen kam ich gestern ins Gespräch über das „für alle“ und „für viele“. Mit großem Interesse und ohne Aufregung haben wir über die Hintergründe diskutiert. Kein Grund zur Aufregung unter uns kirchlich verbundenen Katholiken.
Soweit ich das sehen kann, reagierten auch die deutschen Bischöfe weitgehend positiv und gelassen auf den Papstbrief, der doch von zahlreichen Zeitungen, Bloggern und Kommentatoren zur Sensation oder gar zur „Ohrfeige“ und „Rüge“ für die Bischöfe hochgejazzt wurde. Offensichtlich brauchte das aus der Perspektive der Tagespresse etwas trockene und unbedeutende Thema ein wenig „Pfeffer“.
Etwas erschreckend war für mich, wie oberflächlich und teilweise fehlerhaft selbst überregionale Tageszeitungen die Thematik aufgriffen: „Jesus starb nicht mehr „für alle““ war da zu lesen. Da hatten sich die Autoren nicht mal die Mühe gemacht den Papstbrief selbst zu lesen.
Einige vermuteten in der päpstlichen Entscheidung gar ein Zugeständnis an die Piusbruderschaft. Sogar der Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster, Klaus Müller äußerte sich in dieser Richtung: „Der Papst will die Schwelle für die Piusbruderschaft und andere weiter absenken, die die Änderung der Einsetzungsformel in der Messe schon lange fordern", sagte Müller am Mittwoch (25.04.2012), wie die Universität Münster mitteilte. Dafür erntete er prompt einen Widerspruch des Münsteraner Bischofs Felix Genn.
Bei allem Respekt vor einem Dekan würde ich sagen „völlig zu recht“. Man mag zu der vom Papst gewünschten Änderung der Wandlungsworte stehen wie man möchte; mit der Piusbruderschaft hat diese Entscheidung nur ganz am Rande zu tun. Der Papst ist dieser Gemeinschaft aus anderen Gründen schon weit entgegengekommen, dass ein zusätzlicher Schritt völlig unnötig wäre. Und eine Gemeinschaft, die die Rückkehr zum tridentinischen, lateinischen Ritus fordert, müsste ja mit dem Klammerbeutel gepudert sein, wenn sie Reformen an der „Neuen Messe“ fordern würde.
Allerdings, in einem Punkt hat Prof. Müller vielleicht recht. Traditionalistische und ultrakonservative Kreise fordern schon lange eine Änderung der Formulierung in der deutschen (und anderen) Übersetzungen des Messbuches.
Dabei haben sie im Wesentlichen wohl zwei „Hintergedanken“.
Einmal vermuten sie hinter der Formulierung „für alle“ die Auffassung, dass durch Christi Tod jeder Mensch schon persönlich gerechtfertigt ist, völlig unabhängig davon, wie er lebt und was und woran er glaubt. Also so eine Art „Allerlösungslehre“ bzw. „Allversöhnungslehre“, die letztlich in der Idee gipfelt, dass „die Hölle leer ist“. Ehrlich gesagt, begegnet mir diese Glaubensauffassung in den ganz normalen katholischen Gemeinden, in denen ich bis dato aufgewachsen bzw. tätig war, im Grunde nicht. Eher hoffen die Gemeindemitglieder auf einen „gerechten“ Gott. Und ich glaube auch nicht daran, dass die Formulierung „für alle“ in den Wandlungsworten die wesentliche theologische Quelle einer solchen Theologie ist. Sicherlich gibt es diese, sie wurzelt aber in anderen theologischen Quellen und Gedankengängen.
Im Kontext eines Kampfes gegen die Idee der Religionsfreiheit und andere angebliche „Irrlehren“ des 2. Vatikanischen Konzils wurde die Diskussion um die Wandlungsworte für einige aus diesen Kreisen ein willkommenes Vehikel. Es ist aber nicht zu erkennen, dass der Papst und der Hl. Stuhl gewillt sind das theologische Rad hier zurückzudrehen.
Ähnlich nützlich erwies sich für die sehr konservativen Kreise eine Diskussion um die interpretierende Formulierung „für alle“, um damit auch angebliche weitere „Mißbräuche“ in der Liturgie anzuprangern. Die Diskussion um das „für viele“ sollte damit zum Hebel werden gegen eine angeblich grassierende freiere (manchmal sicher zu freie) Gestaltung der Messfeiern im erneuerten römischen Ritus.
Allerdings nimmt der Papst in seinem Brief den Argumenten solcher Verfechter des „für viele“ die Spitze, weil es in seinem Brief um „eine „Veränderung im Ausdruck“ geht und nicht um eine „Veränderung in der Sache“ (Prof. Thomas Söding). Papst Benedikt XVI. selbst schreibt, beim „für alle“ handele es sich um „eine Interpretation, die sehr wohl begründet war und bleibt, aber doch schon Auslegung und mehr als Übersetzung ist“. Dem Papst seien daher, so Prof. Söding, zwei Aspekte wichtig: eine einheitliche Formel für die gesamte Kirche durchzusetzen und die Einsetzungsworte näher an die biblische Überlieferung heranzubringen.
Von einem Zugeständnis an extrem konservative Kreise (Prof. Müller) kann also auch aus dieser Perspektive keine Rede sein.

Paul Badde, Korrespondent der „Welt“ in Rom schreibt dazu zwei Kommentare in dieser Zeitung. Den ersten Text halte ich für sehr treffend und gelungen. Dort wehrt er sich gegen ideologisierende Aufladungen der Übersetzungsfrage und schreibt völlig richtig: „Aus einem Konflikt zwischen Rechtgläubigen und Häretikern hat der Papst die Debatte nun also auf jene Ebene zurück geholt, wo sie hingehört. Das ist der Bereich der Philologie."
Einige Tage später scheint sich diese - wie ich finde sehr vernünftige und realistische - Einschätzung bei Paul Badde verändert zu haben. Jetzt geht er das Thema anders an und deckt damit (vermutlich ungewollt) das Denken mancher „Streiter“ für das „für viele“ auf und zeigt, dass diese (und er selbst) aus anderen Motiven (als der Papst) agieren.
Er schreibt, durch die interpretierende Übersetzung des „pro multis“ (in der ersten Übersetzung des Messbuches in den 1970er Jahren) mit „für alle“ sei „allerdings auch eine fatale Tür" mit diesem Prinzip geöffnet worden. "Es war zunächst nur ein Spalt breit. Doch er lud zu einer Entwicklung ein, wo innerhalb der einen Kirche fortan jeder Orden und jede Gruppierung mit eigenen Theologen anfangen konnte, eigene interpretierende „Übersetzungen“ der Bibel zu produzieren, natürlich immer im Sinne dessen, was Jesus „eigentlich damit gemeint“ habe - um es ihm dann gleich auch in den Mund zu legen.“ Nach Badde lag darin z.B. die Quelle einer „Theologie der Befreiung“, die Karl Marx zum „Kirchenlehrer“ gemacht habe. Solche Theologen hätten letztendlich in Jesu Wort und Handeln ihre eigene Deutung so hineininterpretiert, dass dessen Verkündigung und Absicht völlig verfälscht worden sei. Paul Badde: „Denn in letzter Konsequenz öffnete diese Entwicklung ja auch eine Tür zum „anything goes“ der Theologie und der Liturgie, im Leben und in der Lehre, die viele Gläubige irritierte und der Kirche entfremdete, wo der Kanon immer häufiger nach Gutdünken verändert wurde, so dass sich heute in vielen Pfarreien Deutschlands keiner mehr wundert, wenn statt einer Lesung etwa aus den Briefen des Apostels Paulus auch einmal ein selbstgemachtes Märchen der Pfarrgemeinderatsvorsitzenden vorgelesen wird, ... bis hin zu Pappnasen und Osterhasen im Altarraum, als „Gräuel der Verwüstung an heiliger Stätte“ (Paul Badde in „Die Welt“).
Also ehrlich gesagt, ich finde, da gehen die Pferde mit ihm durch. Ich lese Baddes Texte nicht ungern, aber hier erschreckt es mich, was in den Augen mancher Leute aus dem kleinen Wörtchen „für alle“ geworden ist. Ich finde, so entsteht ein Zerrbild der katholischen Kirche, das einige Publizisten und Akteure auf zunehmend mehr Webseiten und mit den Mitteln der modernen Medien in alle Welt transportieren. Sicher gibt es das ein oder andere ungute Phänomen, aber man sollte doch auch sehen, dass es sich meist nur um wenige Fälle handelt. Und von den Urhebern solcher angeblichen "Skandale" ist es meist sogar gut gemeint (natürlich, ich weiß, dass dies das Gegenteil von gut gemacht ist).
Auch ich habe auf gloria.tv den Auftritt des sonderbaren „Osterhasen“ in einer Familienmesse in Österreich gesehen. (Hier ist er: http://es.gloria.tv/?media=283593) Und genauso den Kopf darüber geschüttelt, wie ein Petrusbruder in Wigratzbad und wie Paul Badde in Rom. Aber ich bin völlig sicher, dass in tausenden von Familienmessen im deutschsprachigen Raum auf gute und würdige Art den Kindern das Geheimnis der Auferstehung vermittelt wurde (zu vermitteln versucht wurde). Und ich bin sicher, dass auch der Kaplan mit dem Osterhasen aus Österreich bei seiner Gewissenserforschung am Abend gedacht hat: „Nun, den Kindern hat es wohl Spaß gemacht, aber dieser Gottesdienst war jetzt nicht wirklich gelungen. Wenn es Dir missfallen hat, guter, barmherziger Gott, bitte ich Dich um Vergebung. Im nächsten Jahr bleibt das Osterhasenkostüm beim Kostümverleiher. Schenke mir gute Ideen, Deine frohe Botschaft in die Welt zu tragen.“

Paul Badde auf kath.net: www.kath.net/detail.php?id=36334
Paul Badde am 29.4. in der WELT: www.welt.de/debatte/article106237568/Papst-schiebt-theologischer-Willkuer-den-Riegel-vor.html

Ach ja, und was diesem Artikel und fast allen anderen Diskussionen im Netz noch fehlt ist genau das, was auch der Papst angemahnt hat, ein vertieftes Nachdenken, eine Katechese über den Sinn und die Bedeutung dessen, was Jesus im Abendmahl gesagt und durch seinen Tod am Kreuz für alle Menschen getan hat.

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