Es ist ein kleines, unscheinbares Buch, mal in rot, mal in grün eingebunden, meist Kunststoff, manchmal sogar in Leder mit Goldschnitt. Und es ist das wohl meistgenutzte Buch in der katholischen Kirche überhaupt; häufiger zur Hand genommen als Bibel und Katechismus. Ich denke an unser „Gotteslob“. 1975 ist es erschienen, genau pünktlich zu meiner Erstkommunion. Damals löste es die noch unterschiedlichen Gesangbücher der einzelnen Bistümer ab.
Das „Gotteslob“ ist natürlich ein „Kind“ der Liturgiereform des 2. Vaticanums.
Wohl kaum jemand von den Katholiken, die es Sonntag für Sonntag (oh, das ist ja inzwischen auch selten geworden), na jedenfalls von Zeit zu Zeit in die Hand nehmen, ahnt, was für eine sensationelle Sache dieses Buch war und ist.
Waren Sie schon einmal in Polen in der Kirche, oder in den Niederlanden, in Frankreich oder Spanien, in Italien oder in Belgien?
So ein „Gotteslob“, ein landesweit einheitliches Gebet- und Gesangbuch werden Sie dort nur in seltenen Fällen finden. Auch kennen viele Länder gar nicht so viele landessprachliche Lieder, wie sie in Deutschland üblich sind.
Das ist für die deutschsprachigen Länder sicher auch eine Folge der Reformation. In den lutherischen und reformierten Gemeinden entstanden schon vor Jahrhunderten erste Kirchenlieder. Martin Luther selbst war als fleißiger Lieddichter bekannt. Auch im Gotteslob finden sich seine Lieder und die von weiteren protestantischen Autoren. Natürlich gab es auch echt „katholische“ Lieder, denken Sie nur an Friedrich von Spee und seine wunderbar poetischen Gesänge. Doch auch seine 1649 erschienene Liedsammlung „Trutznachtigall” war die katholische Antwort auf die Lieder von Martin Luther. Er ist im Gotteslob der häufigste Liedautor, seine Gesänge, etwa das „O Heiland, reiß den Himmel auf” (GL 107) oder „Zu Bethlehem geboren” (GL 140) sind unverzichtbar. Aber vorherrschend war und blieb in den katholischen Kirchen – jenseits der Volksfrömmigkeit – der lateinische Choral.
Der liturgische (manchmal etwas ungestüme) Aufbruch ab 1965 sorgte zudem für viele deutsche Übertragungen ursprünglich lateinischer Lieder. Ganze gesungene Messen wurden plötzlich vom Lateinischen ins Deutsche übertragen. Von all dem könnte unser Gotteslob „ein Liedchen singen“ und manche Geschichte erzählen. Diese vielfältige und vielschichte Liedtradition ist irgendwie „typisch deutsch“.
1964 weihte (vermutlich) der Bischof von Haarlem (Bisschop von Doodevaart) den jungen Jesuiten Hubertus Gerardus Josephus Henricus Oosterhuis zum Priester und setzte ihn als Studentenseelsorger in der Amsterdamer Studentengemeinde ein. Wer ein wenig über die Geschichte der Niederlande, die der katholischen Kirche und die der Studentenbewegung weiß, der ahnt, dass diese Gemeinde zu dieser Zeit ein lebendiger, kontroverser Brennpunkt des ungestümen Wandels in Kirche und Gesellschaft gewesen sein muss. Seit 1960 war der künstlerisch veranlagte Jesuit (seit 1952) Oosterhuis der Studentengemeinde verbunden, als Priester prägte er den Neuaufbruch nach dem 2. Vatikanischen Konzil entscheidend mit, seine Texte, Gebete und Lieder wurden für weite Teile der niederländischen Kirche – die als besonders „liberal“ galt – stilprägend. Die Studentengemeinde entwickelte sich mit dem Dichter Oosterhuis und dem Komponisten Bernard Huijbers (1922-2003), ebenfalls Jesuit, zu einer (eigene Aussage) „Werkstatt und einem Versuchsfeld, nicht nur für das neue geistliche Lied, sondern auch für die gesamte nachvatikanische Erneuerung der liturgischen Sprache und liturgischen Formen in den Niederlanden.“ Noch vor wenigen Jahren konnte man in den niederländischen Liturgieheftchen, die in fast allen Kirchen als Grundlage für die Feier des sonntäglichen Gottesdienstes verwendet werden, zahlreiche – hierzulande weitgehend unbekannte – Oosterhuis – Lieder finden. Manchmal stammten darin gar die Mehrzahl aller Texte und Lieder von diesem produktiven Dichter und Denker. Ein Spötter aus den Niederlanden hat ein Bibelwort so abgewandelt: „Warom hebt uw uit mijn huis een Oosterhuis gemaakt? Das heißt: Warum hast du von meinem Haus ein Oosterhaus gemacht? So viel Oosterhuis war einigen Katholiken auch zu viel.
Im Aufbruch der Nachkonzilszeit schoss die Studentenecclesia schnell über das Ziel hinaus. Schon 1969/1970 gab es den großen Knall. Aufgrund von Konflikten über den Zölibat (Oosterhuis stellte sich mit seiner Gemeinde hinter einen Mitbruder, der heiraten wollte) und die Rolle des Priesters bei der Eucharistie steht sie seitdem nicht mehr in der Verantwortung des Bischofs. Oosterhuis gab sein Priesteramt auf und verließ den Jesuitenorden. 1970 heiratete er. Die Amsterdamer Studentenekklesia besteht bis heute: sie kommt jeden Sonntag um 11 Uhr zusammen in 'De Nieuwe Liefde', ihrem Haus in Amsterdam. Sie betrachtet sich – wie Oosterhuis wohl auch selbst – noch als katholisch im Sinne von: 'allgemein, mit der ganzen Welt verbunden.' Auch Oosterhuis ist dort bis heute aktiv. Für die kath. Kirche in den Niederlanden blieb er ein prägender Charakter, trotz aller Konflikte. Mit dem sozial engagierten Mann von Königin Beatrix, Prinz Claus von Amsberg, war Oosterhuis freundschaftlich verbunden. Er hielt nach seinem Tod 2002 für ihn die Traueransprache. Im Jahre 2010 wurde in den römisch-katholischen Bistümern Utrecht und ’s-Hertogenbosch die Verwendung einer größeren Zahl seiner Lieder als „ungeeignet für den liturgischen Gebrauch“ befunden, was zu einem sogenannten „Liederstreit“ und Auseinandersetzungen bis auf Ebene der Bischöfe führte.
Als 1975 sechs Lieder aus dem Schaffen von Huub Oosterhuis ins Gotteslob aufgenommen wurden, beeinträchtigte der persönliche Hintergrund des Dichters die Freude an seinen Texten offensichtlich nicht. Bis heute finden sich zahlreiche Menschen in seiner Sprache, seinen Liedern, Gedichten, seiner Poesie gut aufgehoben, entdecken darin die lebendige Sprache des Evangeliums, die Stimme Gottes. „Ich steh vor Dir mit leeren Händen, Herr...“ kann man zu Recht als Klassiker betrachten.
Wohl als „Ableger“ der Auseinandersetzungen in den Niederlanden 2010 keimte kürzlich auch in Deutschland Unsicherheit auf, als das Gerücht die Runde machte, Oosterhuis-Lieder sollten im neuen Gotteslob keine Aufnahme mehr finden. Manch einer witterte reaktionäre Kräfte am Werk, auch wenn die verantwortlichen Bischöfe schnell betonten, dass sie kein Interesse daran hätten, die Lieder von Oosterhuis zu streichen. Mancher sieht aber hinter dieser Haltung sogar eine Taktik. Die Oosterhuis – Gegner würden darauf hofften, dass die vatikanischen Stellen diese Lieder beanstandeten und aus dem Gesangbuch streichen würden.
Ich mag nicht recht daran glauben, dass man ernsthaft die Lieder des Gotteslobes einem „Gesinnungstest“ unterziehen möchte. Und in diese Prüfung auch noch den Lebenswandel des einzelnen Dichters einbezieht. Da kann aus dem Gesangbuch schnell ein schmales Heftchen werden. Schon heute tummeln sich dort zahllose Dichter und Musiker, die nicht unbedingt eine tadellose katholische Biografie aufzuweisen haben. Auch das Leben eines Künstlers kennt Brüche und Krisen. Und will man ein gelungenes Lied plötzlich für ungeeignet erklären, weil sein Verfasser Jahre später das Priesteramt niederlegte, aus der katholischen Kirche austrat, sich von seiner Frau trennte und eine andere heiratete oder .... Das kann doch niemand wollen. Da gibt viel bessere Kriterien für Lieder und Texte, die ins Gotteslob gehören. Und, man mag gegen Oosterhuis und seine Positionen haben, was man will. Wer wird bestreiten, dass er ein Mann mit Sprachgefühl ist, ein Dichter, einer, der mit Sprache zu arbeiten, zu weben, zu bezaubern versteht. Auch scheint Osterhuis zwar ein streitbarer Charakter, aber weiterhin ein engagiert gläubiger Mensch zu sein.
Doch, auch das muss durchaus gesagt werden dürfen: Nicht jedes Oosterhuis – Lied eignet sich für den Gottesdienst. Das nimmt dem einzelnen Text nichts weg. Für die bei uns bekannten Lieder aus dem jetzigen Gotteslob: „Wer leben will wie Gott auf dieser Erde“ (GL 183), „Herr, unser Herr, wie bist du zugegen“ (GL 298), „Solang es Menschen gibt auf Erden“ (GL 300), „Nahe wollt der Herr uns sein“ (GL 617), „Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr“ (GL 621), „Sei hier zugegen“ (GL 764) dürfte diese Einschätzung aber nicht gelten. Wenn eines davon im neuen Buch herausfällt, dann eher, weil die Aufgabe, ein Gebet- und Gesangbuch für den ganzen deutschen Sprachraum zu erstellen, gar nicht so leicht ist. Und weil es zahlreiche wunderbare Lieder unterschiedlicher Autoren gibt, die neben den Liedern und Texten von Oosterhuis gut bestehen können und eine Aufnahme in dieses Buch verdient hätten. Auch in den vergangenen – fast 40 Jahren – sind zahlreiche gute neue Lieder erschienen und populär geworden. Doch irgendwann ist der Platz, der zu vergeben ist, trotz Dünndruckpapier und tausend Seiten, zu Ende. Unser neues Gesangbuch kann weder ein mehrbändiges Werk noch ein kiloschwerer Wälzer werden. Auch das sollten die Freunde und Verteidiger von Huub Oosterhuis bedenken.
Es scheint auch genau so zu kommen, wie ich es im obigen Artikel vermutet habe. In einem Bericht einer Kirchenzeitungsredaktion vom 7.12.12 heißt es: "Laut Redaktion enthält das neue Gesangbuch auch Lieder des niederländischen Theologen Huub Oosterhuis. In den vergangenen Monaten hatte es viele Gerüchte gegeben, dass die Werke des ehemaligen Jesuiten und Priesters auf Anweisung Roms nicht im neuen Gotteslob zu finden sein würden."
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