Samstag, 16. September 2017

AfD - eine Alternative für Christen?

Dieses Bild wird auf
ausdrücklichen Wunsch des AfD -
Unterstützers Stefan Thien hier gezeigt.
Kürzlich erregte in konservativ – christlichen Kreisen eine Umdichtung des Vater unser in „Merkel unser“ ein wenig die Gemüter. Tummeln sich durchaus AfD – Befürworter unter den konservativen Christen, so war hier durch den sehr freien Umgang mit einem der heiligsten Texte der Christenheit, für Einige eine Grenze überschritten. 

Als ich mir kürzlich einen Ausschnitt der Debatte im NRW-Landtag ansah, weil eine mir persönlich bekannte junge Landtagsabgeordnete zur „Ehe für alle“ sprach, hörte ich mit zunehmendem Erstaunen auch den Beitrag des AfD-Landtagsabgeordneten Herbert Strotebeck. Dieser führte unter anderem als Argument gegen die „Ehe für alle“ ins Feld, dass die Ehe ein Sakrament sei. Ein solches Argument im politischen Raum, ausgerechnet von der AfD?

Just heute morgen wurde ein Foto durch die sozialen Medien gereicht (mit dem Kommentar: „Ein Mann des Glaubens. Bilder die unsere Presse nicht veröffentlicht“ und bisher 1.234 mal geteilt), das den Benediktinerbruder Augustinus Kaulwell OSB auf einer AfD-Bühne zeigt, wie er Alice Weidel die Hand reicht. Ehrlich gesagt, wüßte ich auch nicht, warum die Presse das veröffentlichen sollte. Ein Kirchenmann, der für eine politische Partei eintritt – das ist doch sicher keine Pressenachricht wert. Im Gegenteil, wird doch gerade in diesen Kreisen sehr gern und negativ die (vermutete) Nähe der evangelischen Kirche zu Grünen und SPD benörgelt oder die der katholischen Kirche zur CDU. 

Ich sehe jedoch unter meinen Kontakten auf facebook, dass offenbar nicht wenige Katholiken nicht abgeneigt sind, die AfD zu unterstützen. Das geht bis zu offener Werbung für diese Partei. Und kaum irgendwo arbeiten sich die AfD-Unterstützer in und außerhalb der Kirche so an kritischen Positionen zur AfD ab, wie wenn Bischöfe, Kardinäle und Pfarrer gegen Positionen der Partei offen Stellung beziehen. Ein veritabler Shitstorm und schlaflose Nächte der Social-Media-Beauftragen sind dann noch die harmlosesten Auswirkungen. 

Also, es gibt Katholiken, die die AfD offen unterstützen. Das ist sicher nicht der Mainstream und auch im konservativen und traditionellen katholischen Spektrum eher die Minderheit, aber doch eine nennenswerte Minorität. (Auf katholisch.de gibt es einen etwas älteren Beitrag dazu.) Über Herbert Strotebeck, den NRW-MdL und seine Kirchenbindung ist leider im Netz nichts Konkretes zu erfahren, zu vermuten ist allerdings, dass er dass er Katholik ist. Sein MdL-Kollege aus Rheinland-Pfalz dagegen, Michael Frisch ist (war) katholischer Religionslehrer an einer berufsbildenden Schule. Auch Jörg Meuthen betont gerne seine katholische Bindung und Verbindung beispielsweise mit Papst Benedikt XVI.. Auch Frau von Storch ist unlängst katholisch geworden. Ich denke, dass diese Personen durchaus exemplarisch stehen für weitere, eher bürgerliche Akteure in der AfD. 

Es war die Journalistin und Juristin Liane Bednarz, die diesen christlichen Kreisen den Stempel „rechte Christen“ aufdrückte, was wiederum zu einem heftigen Widerspruch bis hin zu persönlichen Anfeindungen führte, mit Formulierungen, die ich Katholiken bis dato nicht zugetraut hätte. Liane Bednarz, die sich früher durchaus in konservativ-traditionell eingestellten christlichen Umfeld bewegte, sich daher auch vom eigenen „Lager“ distanzierte, wie auch Andreas Püttmann, ein ebenfalls eher konservativer, kirchlich verbundener Publizist beobachten diese Szene mit hoher Aufmerksamkeit und kommen daher in diesen Tagen immer wieder in Zeitungen und Fernsehsendungen zu Wort. 

Anläßlich des nahenden Wahltermins, gab es in den letzten Wochen insbesondere zwei Fernsehproduktionen, die das schwierige Verhältnis der Kirchen zur AfD einmal genauer unter die Lupe nahmen und dabei durchaus den Finger in die Wunde legten, dass sich auch unter AfD – Anhängern und Politikern eine gewisse Gruppe Christen tummelt. 

In der Diskussion mit kirchennahen AfD-Akteuren wird immer wieder auf die schriftlich niedergelegten Parteiprogramme verwiesen und auf Stellungnahmen namhafter AfD-Funktionäre. Diese stehen allerdings in einem gewissen Kontrast zu den lautstark herausgehauenen „Sprüchen“ und den an Rednerpulten vorgetragenen „Tabubrüchen“. Hiermit erzeugt und verstärkt die AfD geschickt eine Stimmung und eine weit verbreitete Politik- und Demokratieverdrossenheit unter den Bürgern, die sie durchaus in „klingende Münze“ bei den Wahlen umzuwandeln versteht. Auf dieser Welle reitet die Partei zur Zeit, die Frage ist nur, wie lange sie sich auf diesem Surfbrett halten kann. Denn irgendwann werden Inhalte und diskursive Umgangsformen gefragt sein und damit die gestandenen politischen Akteure unter den Krawallmachern. 

Zur Zeit geht es mir mit der AfD noch wie mit der alten Fabel von den Blinden und dem Elefanten. Je nachdem, was man erspüren kann, stellt sie sich anders da. Und an diesem Eindruck hält der Einzelne dann fest. Ein solcher Elefantenfuß ist das Eintreten der Partei für das Lebensrecht und gegen die Auswüchse der Genderdiskussion. Ein anderes Standbein ist für die konservativ-katholischen Unterstützer die Skepsis gegenüber den vielen Flüchtlingen und Migranten und gegenüber einem offenbar als (zu) stark empfundenen Islam. Das hat sicher damit zu tun, dass man erfährt, wie die Muslime aufgrund der grundgesetzlich garantierten Religionsfreiheit öffentlich sichtbar Rechte in Anspruch nehmen, deren Raum zuvor sichtbar und kraftvoll von den Kirchen ausgefüllt wurde. Diese schwächeln ja inzwischen deutlich, wie uns die Debatte um die „Ehe für Alle“ und die krachende Niederlage derer, die die Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau hochhalten wollten, überdeutlich vor Augen geführt hat. Diese Niederlage war auch eine krachende Niederlage der Bischöfe, was auch darin sichtbar wird, dass „die Kirche“ und „die Bischöfe“ nach dieser Abstimmung nur noch eher kleinlaut reagierten. Wo vor etlichen Jahren noch die Eingetragene Lebenspartnerschaft als Niedergang des Abendlandes bekämpft wurde, hoben nun einzelne Bischöfe deren Genialität auf den Schild. 

Zu den eher verstörenden Erkenntnissen des Wahlkampfes gehören für mich die vielen Meldungen darüber, dass die AfD den inhaltlichen Diskurs nicht selten vermeidet. Wo parteipolitische Positionen in Zeitungen oder von Interessenvertretungen abgefragt werden, „glänzt“ die AfD immer wieder durch Abwesenheit uns Schweigen, ebenso auf lokalen politischen Diskussionsforen. Diesen Eindruck rundet ihr Umgang mit den Medien durchaus ab, so die genüsslich zelebrierten Verweigerungen und das Abbrechen von Interviews, das Verlassen politischer Diskussionsveranstaltungen, sobald zu viele missliebige Fragen gestellt werden. Das liegt natürlich auf der Linie der gern postulierten allgemeinen Verdächtigung der Medien als „linker Systempresse“. Es erscheint mir aber auch als Ausdruck einer gewissen Bequemlichkeit. Der Zuspruch der Wähler scheint ja dennoch sicher, sogar noch mehr wenn man sich (nicht immer zu Recht) als Medienopfer präsentieren kann. Man muss der AfD allerdings manchmal zu Gute halten, dass die Qualität der Fragen oder der Stil sehr plakativer Angriffe selbst mich als eher distanzierten Beobachter zunehmend nervt. Die Formate, die sich offen und geradeaus mit der AfD, ihren Akteuren und Positionen auseinandersetzen gibt es auch, allerdings eher in gewissen Nischen der sozialen Medien und im Internet. 

Das Getöse der politischen Auseinandersetzung ist auch über das als „Kirchenpolitisches Manifest“ der AfD angekündigte Papier des kirchenpolitischen Sprechers der AfD im Landtag von Rheinland-Pfalz hinweg gegangen. Nach Pressemeldungen gab es davon zwei Varianten, öffentlich vorgelegt hat man eine Kurzfassung in 6 Seiten, mit der ich mich hier befassen möchte. 

Im ersten Punkt setzt sich der Autor mit der Tatsache auseinander, dass die europäische Kultur tiefgreifend vom Christentum geprägt ist. Er ergänzt, dass diese christliche Kultur durch Humanismus und Aufklärung weiter entwickelt worden sei und bekennt sich klar zur „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“. Diese Kultur sieht man allerdings in Gefahr, denn der weitere Text befasst sich sehr damit, dass man die abendländisch christliche Kultur, Sprache und Tradition erhalten und verteidigen wolle. Aufgrund der christlichen Kultur fühle man sich vor allem jenen Nationen nahe, die ebenfalls vom christlichen Glauben geprägt seien. In der Tradition der Aufklärung betone man aber auch die klare Trennung zwischen Kirche und Staat und wehre sich gegen einen totalitären politischen Anspruch einer Religion. 

Hier gäbe es sicher Ansatzpunkte zu einem Diskurs mit kirchlichen Positionen. Unklar bleibt, ob die AfD für das heutige Modell einer Trennung von Kirche und Staat mit einer dennoch denkbaren Zusammenarbeit z.B. im Feld von Bildung und Caritas eintritt oder ob sie den Kirchen eher nur das Feld des „Religiösen“ zuschreiben möchte. Es stellt sich die Frage, wie eine christlich-abendländische Kultur ohne das Wirken der Kirche und ohne eine klare Rückbindung an das Evangelium und seine Verkündigung existieren oder gar verteidigt und weiter entwickelt werden kann. Es ist fragwürdig, wenn die christlich-abendländische Kultur zu einem beliebigen Popanz wird und man dies vor allem deshalb hoch hält, um „Einflüsse anderer Religionen“ abzuwehren. Was konkret für die AfD die Werte sind, die sich aus der christlichen, durch Aufklärung und Humanismus veredelten Kultur ergeben, wird nur in Ansätzen deutlich. Aus katholischer Sicht ist die christlich-abendländische Kultur keine untrennbare Wortverbindung. Als Katholiken schreiben wir das CHRISTLICH darin dick und das abendländisch nicht größer als das CHRISTLICH-orientalisch, -lateinamerikanisch, -afrikanisch der vielen anderen christlich geprägten Nationen auf der Erde, die wir doch inzwischen stark als „Eine Welt“ wahrnehmen.

Im zweiten Punkt des Manifestes beklagt Michael Frisch, dass die Kirchen die AfD dennoch scharf kritisieren und zitiert entsprechend drei evangelische und einen katholischen Kirchenführer. Auch wirft er den Kirchen vor, den Diskurs mit Vertretern der AfD zu verweigern. Die in den Kirchen angeblich weit verbreitete Haltung, die AfD in die „Nähe nationalsozialistischer Ideologie und Verbrechen“ zu rücken rügt er als „menschlich verletzend und zutiefst unchristlich“. 

Ich nehme an, dass in solchen Verletzungen auch die Schärfe mancher Reaktion aus der AfD auf kirchliche Aktionen und Stellungnahmen begründet liegt. Und mancher bürgerliche AfD-Mensch möchte wohl auch nicht den Kopf hinhalten für Entgleisungen in Reden von Parteifreunden, beispielsweise Björn Höcke, deren Inhalt und deren zugespitzte Bejubelung durch gewissen Zuhörer einem Michael Frisch wohl eher peinlich sind. Doch auch diese Zuspitzungen gehören zum Bild der AfD, nicht nur einige wohlgesetzte Worte in Parteiprogrammen. 

Dennoch meine ich, sollte die Kirche das Gespräch mit AfD – Vertretern suchen. Wobei zu wünschen wäre, dass die AfD wirklich ein Gespräch wollen würde. Ich denke, dass dieses Gespräch auch (noch) nicht auf öffentliche Podien gehört, wo es in erster Linie darauf ankommt, Stimmungen zu nutzen und zu verstärken, die man dann in Stimmen ummünzen will. Ein ernsthaftes Gespräch kann in einem ersten Schritt nur von Mensch zu Mensch geführt werden. Und es muss offen und mit wechselseitiger Geduld geführt werden. Wenn Kirchenvertreter sagen „Unser Kreuz hat keine Haken“, dann könnte man als AfD-Mann doch gelassen bleiben und sagen: „Mein Kreuz hat auch keine Haken“. Wenn man sich jedoch auf eine entsprechenden Bühne stellt und die „Leistungen der deutschen Wehrmachtssoldaten in zwei Weltkriegen“ als Teil der nationalen Identität und Subjekt des Stolzes präsentiert, muss man sich fragen lassen, was damit gemeint ist und welche Subtexte man da verbreitet. Ich persönlich hoffe auch, dass ich auf meinen Opa stolz sein kann, der bei einer furchtbaren Panzerschlacht in der heutigen Westukraine von einer Granate getötet wurde. In den beiden Ordnern mit Feldpost, die mir meine Oma hinterlassen hat, lese ich allerdings von seinen Leistungen als Soldat keinen einzigen Satz. Er durfte und wollte offenbar darüber nicht schreiben. Und so bete und hoffe ich, dass er nicht gezwungen war, sich an Verbrechen gegen Juden oder „Sowjetmenschen“ zu beteiligen.

Ich kann die Sehnsucht vieler Menschen nachvollziehen, sich mit der Vergangenheit Deutschlands zu versöhnen. Aber billig werden wir diese nicht bekommen. Weder durch Glorifizierung der Wehrmachtssoldaten noch durch deren Kriminalisierung.

Im 3. Punkt bekennt sich die AfD zur christlichen Sozialethik, zu Personalität, Subsidiarität (ein sehr katholisches Prinzip), Solidarität und Gemeinwohl. Leider widmet man diesen wichtigen Punkten nur sieben Zeilen und nutzt die abschließenden sechs Zeilen zu einem Lamento darüber, dass die Kirchen dieses Bemühen der AfD nicht wertschätzten sondern sich „an verbreiteten medialen Klischees und der Polemik politischer Mitbewerber“ orientierten. 

Punkt 4 widmet sich der schon weiter oben erwähnten „konsequenten“ Trennung von Kirche und Staat. Wie diese konkret gestaltet werden soll wird aber auch nur angedeutet, während dann die Kirchen als Unterstützer einer „zeitgeistkonformen mainstream-Politik“ dargestellt werden, gegen die die AfD die „Freiheit eines Christenmenschen“ für sich beanspruche. „Alternativlose Entscheidungen im Namen des Christentums“ gäbe es mit Ausnahme der „konsequenten Ablehnung der Abtreibung als der Tötung eines unschuldigen Menschen“ nicht. Michael Frisch sieht die Kirchen offenbar als Unterstützer einer gewissen politischen Richtung. „Eurorettung um jeden Preis, Energiewende zur Rettung des Weltklimas, Masseneinwanderung und Merkels Willkommenskultur, Multi-Kulti-Gesellschaft, Gender-Mainstreaming und links-grüne Familienpolitik“ seien keine Glaubenssätze, die nicht angezweifelt werden dürften, so der kirchenpolitische Sprecher für seine Fraktion. 

Als Katholik lässt mich das einigermaßen kopfschüttelnd zurück. Zumindest in der katholischen Kirche kann ich da keine nennenswerte Unterstützung derartiger Ziele erkennen. Ja, die Kirchen treten für Europa ein, gerade weil sie katholisch sind und über die Grenzen der Nationalstaaten hinaus betonen, dass Christen eine weltumspannende Gemeinschaft sind. Sie tun das, weil die Impulse für die Versöhnung und Einigung Europas vor allem von Christen ausgingen, man nenne nur die Namen Adenauer und Schumann oder schaue auf die Initiativen der polnischen und deutschen Bischöfe. Wir unterstützen als Kirchen die Bemühungen die Schöpfung zu retten, das christliche Menschenbild gilt uns auch für Atheisten, Buddhisten und Muslime (das ist auch Teil unserer Mission), wir gehen offen und mit einem Vorschuss an Vertrauen auf Menschen zu und sehen Gender-Mainstreaming und links-grüne Familienpolitik doch mindestens so skeptisch bis ablehnend wie MdL Michael Frisch selbst. 

Die christlichen Haltungen werden im 5. Punkt des Manifestes als „Gesinnungsethik“ gesehen und kritisiert. Anhand der Haltung von Kanzlerin Angela Merkel in der Asylkrise wird dargelegt, dass eine solche christliche Gesinnungsethik unabsehbare „politische, soziale und ökonomische“ Konsequenzen habe. Interessant ist an diesem Abschnitt, dass die AfD gegenüber dem Problem der Flüchtlingsströme durchaus zu einer Verantwortung Deutschlands zur Hilfeleistung bekennt und Alternativen wie „Unterbringung und Versorgung in den Heimatregionen“ dieser Menschen ins Gespräch bringt. Hier gäbe es sicher Ansätze, um über praktikable Lösungen zu diskutieren. 

Dass die Flüchtlingsströme und die Folgen der Globalisierung dieser Tage massive Schwierigkeiten mit sich bringen, wird von den Kirchen und vor allem auch von vielen in der Flüchtlingshilfe engagierten Christen keinesfalls geleugnet. Sie sind ja täglich mit den Schwierigkeiten konfrontiert, aber auch davon überzeugt, dass man das Problem nicht durch Sprüche und Parolen löst sondern ganz handfest, Schritt für Schritt und vermutlich unter Schmerzen und Verzicht für alle Beteiligten. Nein, das bedeutet keinesfalls, dass man einfach kapituliert und beispielsweise Fehlverhalten von Flüchtlingen als „kulturelle Eigenart“ schön redet. Der exemplarische „Gutmensch“, über den die AfD-Nahen gerne spotten, ist in der Wirklichkeit weitaus seltener vertreten, als mancher glaubt. 

Auch der 6. Punkt des Textes beschäftigt sich mit der Asyldebatte. Hier beklagt das Papier eine unzulässige Vermischung von Individual- und Sozialethik. „Es ist ein erheblicher Unterschied, ob Frau Merkel und ihre Regierung einzelne „Flüchtlinge“ in ihren eigenen Häusern beherbergen oder ob sie im Namen Deutschlands eine Einladung an alle Mühseligen und Beladenen dieser Welt aussprechen.“ 

Diese Formulierung und deren spätere Begründung läßt mich einigermaßen ratlos zurück. Auf der Pegida – Bühne bekäme der Redner sicher stürmischen Szenenapplaus. Aber genau hier scheint wieder das zwiespältige Bild auf, dass die AfD dem Beobachter bietet. Als Christen dürfen wir zu Recht von einem Politiker erwarten, dass er Entscheidungen unabhängig vom Privatleben fällt. Im konkreten Beispiel: Kein Politiker muss einen Flüchtling privat beherbergen, um seine Entscheidung zu rechtfertigen z.B. Flüchtlingen aus Syrien subsidiären Schutz zu gewähren. Keine Schulministerin sollte sich dafür rechtfertigen müssen, wenn sie aus persönlicher Überzeugung ihr Kind auf einer Waldorfschule anmeldet. Ich erwarte von ihr aber sicher zu Recht, dass sie das öffentliche Schulsystem ordentlich ausstattet und den Waldorfschulen keine zusätzlichen Privilegien verschafft. Wenn die AfD den Satz „Es ist Aufgabe der Kirchen, barmherzig zu sein und Aufgabe des Staates, gerecht zu sein.“, mit dem sie den evangelischen Theologen Richard Schröder zitiert, wirklich für wahr hält, dann verpufft die Kritik am „Gutmenschentum“ der Kirchen wirkungslos, denn damit könnte man die (unterstellte) kirchliche Position leicht begründen. 

Man kann sicher berechtigt Kritik äußern an den Positionen und Entscheidungen der Kanzlerin. Aber es erscheint mir aus christlicher Perspektive doch zweifelhaft, ihr vorzuwerfen, dass sie (und die anderen Politiker) nicht mehr verantwortlich entschieden, dass sie sich davon verabschiedet hätten „primär Politik für das eigene Volk“ zu machen und damit den Amtseid brächen, den „sie feierlich geschworen“ hätten. 

Im 7. Absatz bekennt sich die AfD zu einer Politik aus „Vernunft und Verantwortung“, was für sie eine Politik aus „dem Geist des Christentums“ darstellt. „Sie möchte dabei die Errungenschaften einer christlich geprägten Kultur bewahren, die in der Begegnung mit antiker Philosopie und Aufklärung zur Grundlage unserer Demokratie und zur Garantie von Freiheit, Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit geworden ist. Sie möchte diese Kultur unseren Kindern und Enkeln weitergeben und so eine erfolgreiche Zukunft unseres Landes sichern.“ Soweit dürfe jeder Bischof, jeder Katholik und beinahe jeder Bundestagsabgeordnete das Manifest ebenfalls unterzeichen können. Die AfD verwahrt sich dann noch gegen „linke Ideologien, ungezähmten Kapitalismus und die Utopie eines multikulturellen Weltstaats“. Auch hier dürfte man schnell die meisten Katholiken und zumindest alle CDU – Abgeordneten hinter sich versammeln. Spannend wäre dann die Diskussion darüber, ob die gepriesene „Vernunft und Verantwortung“ nicht auch sehr unterschiedliche Vorschläge zur Lösung von Problemen ergeben könnten, die abgewogen, diskutiert und im demokratischen Prozess zu einer Lösung geführt werden müssten. Ich verweise hier einmal auf das Wort von Henry Louis Mencken: „Für jedes Problem gibt es eine einfache Lösung – klar, einleuchtend und falsch.“ 

Im 8. Punkt wird auf das AfD-Wahlprogramm verwiesen und auf zahlreiche Inhalte die „den Grundprinzipien der christlichen Soziallehre Rechnung tragen“ und daher für den Dialog mit den Kirchen Anknüpfungspunkte bieten. „Alle diese Punkte sind Ausdruck einer Politik aus christlichem Ethos“ heißt es abschließend. Ob diese Punkte in den nächsten Jahren zur Basis eines Gesprächs zwischen Kirchen, Christen und AfD-Politikern werden können ist sicher eine spannende Frage. Zur Zeit sind dies nach meiner Wahrnehmung aber auch nicht die Themen, mit denen die AfD Aufmerksamkeit und Wählerstimmen gewinnt. Dass die AfD die Mehrwertsteuer um sieben Prozentpunkte senken möchte und gleichzeitig die Verschuldung der öffentlichen Haushalte senken will, habe ich erst durch das Papier „Vernunft und Verantwortung“ wirklich wahrgenommen. Dass sie öffentlich für eine neue Abtreibungsgesetzgebung eintritt, die Abtreibungen weitgehend verbietet, erschließt sich mir nur durch den schäbigen Kampf linksextremer Gruppierungen gegen den „Marsch für das Leben“ oder die Initiative „Demo für alle“. Diese wüten offenbar vor allem deswegen gegen die Initiativen von Christen für das Leben, weil sie in diesen eine Art verlängerten Arm der AfD, also des politischen Gegners erkennen. Der linksextreme Furor trifft dadurch auch jene, die mit der AfD nichts an der Brause haben, sondern „nur“ ein Zeichen für das Leben setzen wollen. Ich frage auch: Gibt es eigentlich auch AfD – Plakate zu dieser Thematik? Das, was ich bisher von der AfD zu sehen bekam beschäftigt sich mit ganz anderen Themen, daher sehe ich hier auch die AfD in der Verantwortung, uns Christen ein ehrliches Gesprächsangebot zu machen. 

Mit dem in Punkt 9 geäußerten Vorwurf, dass die Kirchen es an offener Kritik an den aus christlicher Sicht fragwürdigen Positionen anderer Parteien mangeln ließen, hat die AfD nach meiner Wahrnehmung durchaus einen Punkt gemacht. Die politische Auseinandersetzung dringt kaum in die tagespolitische Debatte vor, wohingegen eine Kundgebung unter dem Motto „Unser Kreuz hat keine Haken“ maximale mediale Aufmerksamkeit erhält. Das gilt sicher auch in dem Punkt „Ehe für Alle“, wo die AfD die kirchliche Unterstützung vermisste, als sie als „einzige politisch relevante Kraft“ dagegen Einspruch erhob. Auch in der Abtreibungsfrage sieht man sich als einzige Partei, die aus christlichen (katholischen) Positionen klare politische Forderungen stelle. Die AfD rätselt betroffen, „warum das alles keine Würdigung der Kirchen erfährt, während man gleichzeitig den Mantel des Schweigens über die wenig christliche Agenda der Altparteien bei den genannten Themen hüllt...“

Vielleicht muss man abwarten, bis man selbst zu den Altparteien gehört und gestandene, bürgerliche Katholiken wie Herbert Strotebeck mit einem Bischof ins Gespräch kommen. Vielleicht muss auch die Kirche noch etwas abwarten, bis sich die Neupartei AfD das ein oder andere rassistische, populistische und krawallige Horn abgestoßen hat und in den Niederungen der Alltagspolitik wieder um praktikable Lösungen für alltägliche Probleme gerungen wird. 

Die AfD dagegen scheint nicht auf diesen Dialog – auch mit den Kirchen – zu setzten. „Vielleicht könnte eine größere Distanz der katholischen und evangelischen Kirche zum Staat dazu beitragen, ökonomische und politische Abhängigkeiten zu verringern und damit mehr Freiheit des Denkens und Handelns zu ermöglichen.“ Das korrespondiert doch sehr mit dem absurden Vorwurf, kirchliche Wohlfahrtsverbände würden durch die Flüchtlingshilfe in erster Linie Geld verdienen. 

Der abschließende 10. Punkt des Textes zur Verhältnisbestimmung zwischen Kirchen, Christentum und AfD beklagt die Verweigerung des öffentlichen Dialoges mit der Partei durch die Kirchen. Ich habe bereits weiter oben ausgeführt, warum dies nur das Ende eines Gesprächsprozesses sein kann und dass dem „interne Treffen mit einem Meinungsaustausch unter vier Augen“ vorausgehen müssten. Diese Mühen muss die AfD auf sich nehmen, wenn sie schreibt: „Wir als Alternative für Deutschland stehen jederzeit für einen solchen Dialog zur Verfügung“. Dann darf es nämlich nicht darum gehen, aus dem Gespräch mit den Kirchen politisch Kapital zu schlagen. 

Die auch in dem vorliegenden Manifest deutlich vorgetragene und übersteigerte Sicht der Kirchen als Handlanger der herrschenden Verhältnisse und der Umgang mit ihren Vertretern analog zum Umgang mit politischen Gegnern macht die Zurückhaltung kirchlicher Vertreter, angesichts des postulierten Wunsches von Seiten der AfD in ein Gespräch einzutreten und nicht weiter als Schmuddelkinder behandelt zu werden, vielleicht verständlich.

Die AfD erlebt diese Dialogverweigerung offensichtlich als Kränkung. Ein Gefühl, das ihre Vertreter möglicherweise auch mit den konservativ-traditionalistischen Katholiken verbindet, die eine ähnlich distanzierte Haltung ihrer Kirchenführer seit vielen Jahren erleiden. Ob auch das eine Motivation für die Unterstützung dieser Partei ist?

Insgesamt hätte ich mir vom kirchenpolitischen Manifest aus der Feder eines Religionslehrers (und Theologen) mehr erwartet. Fast die Hälfte des Textes arbeitet sich daran ab, dass die Kirchen und ihre Vertreter der Partei distanziert bis kritisch gegenüber stehen. Kein Wunder dass da jede Unterstützung aus dem kirchlichen Lager bejubelt wird, wie das Erscheinen eines Benediktinerbrudes auf einer Parteibühne. Der Zuspruch aus dem konservativ – christlichen Lager und die hier durchaus vorhandene Unterstützung in konservativ-christlichen Kernfragen wie Ehe, Gendertheorie, Islamkritik und Lebensschutz wird vom Autor kaum erwähnt. Die christliche Soziallehre wird zwar erwähnt, der Diskurs hierüber bleibt allerdings eher schlagwortartig. Leider ist das Papier annähernd theologiefrei, eine Verantwortung gegenüber Gott und gegenüber dem Evangelium oder eine Beziehung zu Christus wird nicht einmal am Rande erwähnt, auch nicht die Tatsache, dass es unter AfD-Politikern ja durchaus praktizierende Christen gibt. Erhofft hätte ich auch eine zumindest verhaltene Distanzierung aus christlicher Perspektive von gewissen Positionen und Personen in der AfD und ihrem Unterstützerumfeld. Oder auch zu der von AfD-Bundesvorstandsmitglied Armin Paul Hampel beim Bundesparteitag in Köln geforderten Abschaffung der Kirchensteuer und der Aufforderung zum Kirchenaustritt.

Ich würde mir eine Neuauflage des Papiers aus Sicht der Bundespartei wünschen. Eine Neuauflage, die weniger jammert, sondern offensiv und kritisch ein Angebot zum Gespräch macht und Anknüpfungspunkte für dieses Gespräch offen legt. Und dann muss man sehen, was sich bewegt. Im Raum der Kirchen und in den Fraktionszimmern und Parteiräumen der AfD.

Ein solcher Diskurs kann aber nicht unter Einschluß der populistischen Positionen und des Unterstützerumfelds aus rassistischen, rechtsradikalen und religionsfeindlichen Gruppierungen gelingen. Hier wird die AfD noch einen Läuterungsprozess durchlaufen müssen. Manche Stimme, die ihr in diesen Tagen gegeben wird, erhält sie nicht aufgrund politischer Leistungen und Postionen, sondern weil es ihr gelingt, Stimmungen und Frustrationen unter den Wählern aufzugreifen und zu verstärken. Das gibt der Partei ein schillerndes Profil aber auch viel Verantwortung. Es setzt Kräfte frei und verstärkt sie, von denen wir heute noch nicht sagen können, ob sie destruktiv oder doch konstruktiv wirksam werden. Ich hoffe, dass die Politiker in der Partei, denen die Haltung der Kirchen, die christliche Prägung unserer Gesellschaft und Kultur und die Worte Jesu, das Evangelium nicht gleichgültig sind in diesem Sinne ihre Partei prägen und voran bringen. 

Es ist abzusehen, dass die AfD auf Jahre ein Teil der politischen Landschaft Deutschlands bleiben wird. Die Kirchen werden sich auf einen Dialog mit deren Wählern und Politikern einlassen müssen. Zumal diese durchaus aus den eigenen Reihen kommen.

Der Text der Fraktion im Landtag Rheinland-Pfalz von AfD-MdL Andreas Frisch:
http://www.afd-rlp-fraktion.de/kommentare/kirchenpolitisches-manifest

P.S.: Stefan Thien hatte auf seiner facebook-Seite beklagt, dass dieses Foto nicht von den Medien verbreitet wird. Ich weiß nicht, ob er an eine Verbreitung mit diesem Begleittext gedacht hat. Sollte das Bild in diesem Kontext nicht erwünscht sein wäre ich für einen Hinweis in den Kommentaren dankbar.

1 Kommentar:

  1. Der AFD muss man teilweise Recht geben. Denn Gender Mainstreaming beachtet zu wenig gegebene Fakten und bedenkt nicht mögliche negative Folgen ihrer fraglichen Behauptungen und zwanghaften Implementierungen . So begeht z. B. die einseitig theoretisierende Gender Mainstreaming-Ideologie den fundamentalen Irrtum, die als entscheidende menschliche Gegebenheit vorliegenden neuro-physiologischen Unterschiede in den Gehirnen von Frau und Mann völlig auszuklammern bzw. zu negieren.
    Hinsichtlich von Gender Mainstreaming z. B. geforderter durchgehender Berufstätigkeit von Frauen weisen sorgfältige Recherchen überdies deutlich auf die beachtlichen Probleme der scheinbar alternativlos propagierten Krippe (Stresshormonausschüttung: Cortisol, Wachstumshormonreduktion infolge Schlafmangel, Zerstörung der für die frühkindliche Sprachentwicklung wichtigen Dyadenbindung an die Mutter, auf deren Stimme der Foet bereits ab der 20. Entwicklungswoche massiv fixiert ist) hin, wodurch z. B. mangelnde Stressresistenz und Angstbewältigung, Sprachentwicklungsstörungen (Lese- Rechtschreibstörungen) und auch ADHS teilweise zurückführbar sind. [Beleg: „Kinder – Die Gefährdung ihrer normalen (Gehirn-) Entwicklung durch Gender Mainstreaming“ in: „Vergewaltigung der menschlichen Identität. Über die Irrtümer der Gender-Ideologie, 6. Auflage, Verlag Logos Editions, Ansbach, 2015: ISBN 978-3-9814303-9-4 und „Es trifft Frauen und Kinder zuerst – Wie der Genderismus krank machen kann“, Verlag Logos Editions, Ansbach, 2015: ISBN 978-3-945818-01-5

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