Ich erinnere mich an eine
einzige, kurze Begegnung mit Gerhard Ludwig Kardinal Müller. Nach
der Amtseinführung des neuen Kölner Erzbischofs 2014 stand er am
Rande der Festgemeinde auf dem Roncalliplatz, umgeben von einigen
Leuten, die mit ihm sprechen wollten. Ich stellte mich ebenfalls
dazu, in der Hoffnung mit ihm einige Worte wechseln zu können in
einer Sache, über die wir zuvor korresponiert hatten. Da trat ein
älterer Mann auf ihn zu und sagte: „Herr Kardinal, eines wollte
ich Ihnen unbedingt noch sagen: Sie sind ein Kirchenschädling.“
Sprachs, drehte sich um und verschwand in der Menge. Der Kardinal war
einigermaßen aufgebracht und offenbar ratlos, wo er nun mit seinem
Ärger hin sollte. Mir schien, am Liebsten hätte er ihm einige
wütende Sätze hinterher geworfen, aber das Gespräch mit mir lenkte
ihn ab.
An diese Szene muss ich
in diesen Tagen häufiger denken. Ich weiß gar nicht, was den Mann
zu diesem verbalen Angriff auf den Kardinal verleitet hatte, zumal
dieser eine hochgewachsene, Ehrfurcht einflößende Erscheinung ist,
sein Kritiker dagegen ein kleineres Männchen.
Ich habe Kardinal Müller
in den letzten Jahren oft gegen Angriffe in den sozialen Medien
verteidigt und immer wieder für ihn Partei ergriffen. Mir scheint,
er ist ein solider Dogmatiker mit wirklich profundem theologischem
Wissen. Aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass er ein
eher aufbrausender Charakter ist und nicht besonders geübt darin,
mit Leuten zu kommunizieren, die ihm theologisch nicht das Wasser
reichen können.
Mir scheint, dass es
diese Charakterzüge waren, die ihn letztlich das exponierte Amt des
Präfekten der Glaubenskongregation „gekostet“ haben. Im
Vergleich zu seinem Vorgänger und Nachfolger im Amt, war Kardinal Müller weit mehr
mit prägnanten und oft auch umstrittenen Wortmeldungen in den
Medien.
Dabei täte man ihm
unrecht, wenn man ihn im extrem konservativ-bewahrenden Lager der
Kirche verortet. Es lohnte sich immer, seine Interviews im
Zusammenhang zu lesen. Auch wenn man nicht jedem Gedanken zustimmte,
aber hier sprach ein Denker, der etwas zu sagen hatte. Auf jeden
Fall, konnte man seine Positionen nicht abtun und die Beschimpfung
als „Kirchenschädling“ ist keineswegs gerechtfertigt, nein ich
halte sie für eine schliche Unverschämtheit. Wer Gerhard Ludwig
Kardinal Müller einzig als Gegner und Feind einer modernen und
liberalen Theologie betrachtete, der kannte seinen Müller nicht.
Dieser war (und ist) ein Mann, der sich nicht scheute um der Sache willen
gleichermaßen mit den Piusbrüdern und den Kirchenvolksbewegten in
den Clinch zu gehen.
Gestern war die Meldung
zu lesen, Kardinal Müller bekomme für seine jüngst in Kanada
geäußerten Positionen Zuspruch von Weihbischof Schneider aus
Kasachstan, Kardinal Brandmüller aus Rom und Weihbischof Eleganti
aus der Schweiz. Man kann sich aber vorstellen, dass diese an anderer
Stelle durchaus mit Kardinal Müller über Kreuz lägen. Ich erinnere
an die Diskussionen um dessen Rechtgläubigkeit nach seinem Aufstieg
zum Präfekten der Glaubenskongregation, als sein Dogmatik-Lehrbuch
in traditionellen Kreisen gnadenlos zerpflückt wurde.
Das Interview, das Gerhard Ludwig Kardinal Müller der kanadischen Plattform
Lifesitenews gegeben hatte, hat in der Tat einige Aufregung
ausgelöst. Wie immer sollte man sich erst nach Lektüre des gesamten Textes ein Urteil bilden: https://www.kath.net/news/65962
Werfen wir zunächst
einmal einen Blick in die Arena der Streithähne, die nach diesem
Interview aufgetreten sind. Den Pokal für die schärfste Äußerung
hat hier sicherlich der Jesuitenpater Klaus Mertes verdient. In einem
Interview mit katholisch.de äußerte er sich u.a. folgendermaßen:
„Die jüngsten Aussagen des Kardinals zur Kirchenkrise seien der
"zum Dogma geronnene klerikale Dünkel", der der Schlüssel
zum Gesamtproblem Missbrauch ist...“
Auch die Aussage
Müllers, dass sich die Kirche im Hinblick auf die Missbrauchsfälle
mit der praktizierten Homosexualität auseinandersetzen müsse,
griff der Jesuit auf. "Es gebe eine Fraktion, die den Homosexuellen
die Schuld geben wolle, so Mertes. Doch das entscheidende Problem
liege in der Tabuisierung der Homosexualität selbst. Die Aussagen
des früheren Glaubenspräfekten seien daher "unglaublich
dreist" und "abgründig falsch" und riet Kardinal
Müller dazu, zehn Jahre lang Pfarrer in einer normalen Stadtgemeinde
zu sein - und bis dahin zu schweigen.“
Der Essener
Generalvikar schloss sich auf Facebook mit deutlichen Worten der Kritik an: „Ich stimme P.
Mertes voll und ganz zu. Auch während der gerade stattfindenden
Präventionstagung der Bischofskonferenz sorgen die Aussagen von
Kardinal Müller für Empörung. Mit solchen Äußerungen, wie sie
Müller von sich gibt, werde eine Sexualmoral zementiert, die zur
sexuellen Gewalt beigetragen habe, stellte Prof. Harald Dreßing,
Leiter des Forscherteams der MHG-Studie, unter großem Beifall des
Auditoriums fest. Darum muss solchen brandgefährlichen Aussagen auch
deutlich widersprochen werden.“
Während das Interview
des ehemaligen Präfekten der Glaubenskongregation in manchen Kreisen gefeiert wurde, bekommt dieser offenbar aus der Riege derer,
die aktuell in der Missbrauchskrise das Heft des Handelns in der Hand
halten, heftigen geradezu empörten Gegenwind.
Das ließ der gescholtene
Kardinal nicht auf sich sitzen und gab den Angriff mit gleicher Münze
zurück: Die Wortmeldungen des Jesuitenpaters seien „dreiste
Beschimpfungen". Diese habe "besinnungsloser Zorn" dem
Direktor des Jesuitengymnasiums Sankt Blasien eingegeben, sagte
Müller der "Passauer Neuen Presse".
Zugleich sprach der
frühere Präfekt der Römischen Glaubenskongregation Mertes
"Sachkenntnis und Urteilskraft" ab. Der Jesuit, der 2010
die ersten Missbrauchsfälle am Berliner Canisius-Kolleg publik
gemacht hatte, gebe sich "zu Unrecht als Experte in Sachen
sexueller Missbrauch von Jugendlichen aus".
Dagegen handle die
Glaubenskongregation auf einer wirklichen Datenbasis, so Müller
weiter. Er hielt Mertes vor, es sei "einfach nur infam, die
sexuellen Verbrechen an Teenagern und jungen Erwachsenen für
kirchenpolitische Ziele zu benutzen". Offenbar kenne der
Jesuitenpater nicht "die biblische Lehre zu homosexuellen
Handlungen und zur absoluten Verwerflichkeit der Schändung von
Heranwachsenden". Müller fügte hinzu: "So wenig man eine
Schreibmaschine zu einem Klavier weiterentwickeln kann", so
wenig vermöge Mertes, "das Wort Gottes in das Gegenteil zu
verkehren".
Im Grunde braucht man
nicht viel mehr zu wissen, um zu erkennen, wo die Konfliktlinien
verlaufen und um welche Themen da diskutiert wird. In diesen Tagen
sekundieren die „üblichen Verdächtigen“ jeweils der einen oder
anderen Seite, ein eher verstörendes Schauspiel das in der
Öffentlichkeit einen wahrhaft verheerenden Eindruck erzeugt und
mühsam aufgebautes Vertrauen in die Kirche (wieder und wieder)
zerschlägt.
Ich würde mir wünschen,
dass jeder Mensch, dessen Tun und Reden in diesem Tagen mit der
Kirche in Verbindung gebracht wird, folgendes Signale setzt und entsprechend handelt:
- Wir stehen an der Seite der Opfer, wir tun alles, um Unrecht wieder gut zu machen.
- Wir investieren sehr viel Kraft in Aufklärung, Transparenz und Prävention.
- Wir lassen kirchenpolitische Kämpfe ruhen und reden diszipliniert über alle Fragen, die sich in der Mißbrauchskrise stellen. Wir reden über Sexualität, Zölibat, Homosexualität, über das Miteinander und Zueinander von Männern und Frauen in der Kirche.
- Wir tun alles, damit sich das Wirken der Kirche in Zukunft wieder nur um eines dreht: Die Verkündigung der Frohen Botschaft, die Sorge um die Menschen und die Anbetung Gottes.
Vor diesem Hintergrund
macht es Sinn, das lange Interview von Kardinal Müller einmal im
Gesamtzusammenhang zu lesen und hier und da zu kommentieren.
Die vielen Gedanken darin
umfassend zu würdigen, das kann dieser Beitrag hier nicht leisten.
Aber die Aufmerksamkeit auf die ein oder andere Aussage des
Kardinals zu richten, könnte die Diskussion insgesamt erhellen. Ich
hoffe, dass die vielen Müller – Kritiker den Text wirklich gelesen
haben … fürchte aber, dass sie sich nur mit den Schlagworten aus
der Presse begnügt haben.
Viel zitiert wurde ein
Aspekt seiner Antwort auf die erste Frage von Dr. Maike Hickson:
„Laien können nicht über Bischöfe urteilen.“ - wo Müller
letztlich darauf aufmerksam macht, dass man jetzt nicht
holterdipolter die Verfasstheit der Kirche auf den Kopf stellen kann.
Letztlich wendet sich der Kardinal damit auch sehr deutlich gegen
eine Initiative in den USA, die betont hatte, die „Laien“ müssten
den Bischöfen jetzt mal Beine machen und vor allem die Rolle der
Kardinäle in der Missbrauchsaffäre extern unter die Lupe nehmen.
Bemerkenswert finde ich die abschließende Formulierung, wo der
Kardinal um Dialog und Vertrauensbildung wirbt und die Verantwortung betont, die jeder mit seinen Wortmeldungen nun trägt.
Wesentlich ist an der
Antwort des Kardinals auch, das er sehr klar sagt, dass ein
straffällig gewordener Bischof oder Priester sehr wohl durch Laien
vor weltlichen Gerichten zu verurteilen sei. Dass es aber in der
Kirche ausreichende Strukturen gäbe, einen Priester oder Bischof
auch noch kirchenrechtlich zur Verantwortung zu ziehen (was man dann auch
tun müsse). Er betont die eigene Verantwortung der Bischöfe für
ihre Diözesen und fordert vertrauensbildende Maßnahmen.
Geradezu verstörend
jedoch ist Müllers Antwort auf die 2. Interviewfrage: Er habe
Kardinal McCarrick persönlich nicht gekannt und niemand habe ihn
über dessen Vergehen informiert. Und dann kommt es: Man habe ihn
vermutlich deshalb nicht informiert, da man von seiner Seite eine
„rigide Reaktion“ befürchtet habe. Doch hätte (s)eine rigide
Reaktion „uns“ vor vielem bewahrt. „Dass er mit seinem Clan und
geschützt von einer Homo-Lobby mafiös in der Kirche sein Unwesen
treiben konnte, hängt mit einer Unterschätzung der moralischen
Verwerflichkeit homosexueller Praxis unter Erwachsenen zusammen.“ Dies scheint mir ein Kernsatz des ganzen Interviews zu sein. Zur 3. Frage führt er dann weiter aus, dass die Glaubenskongregation
für die Fälle sexuellen Mißbrauchs an Heranwachsenden zuständig
gewesen sei, beklagt aber die fehlende Zuständigkeit für Fälle von
Unzucht von Klerikern mit Klerikern oder Laien. Die kirchliche
Sexualmoral dürfe auch nicht durch die weltliche Akzeptanz von
Homosexualität relativiert werden.
Auf die bemerkenswerte
Frage, ob „Richtlinien“ in dieser Sache weiter helfen oder ob
nicht eher eine „tiefere Bekehrung der Herzen“ gefordert sei
antwortet Kardinal Müller, dass die Krise ihren Ursprung in einer
„Verweltlichung der Kirche“ und in „einer Reduktion des
Priesters auf einen Funktionär“ habe. Es gäbe Bischöfe, die die
Kirche säkularisieren wollten, um nicht mehr als „unbequeme Mahner
und Leute von gestern“ dazustehen. Diese opferten die Wahrheit des
Dogmas und die Prinzipien der Moral“, da diese nicht mehr mit der
Lebenswirklichkeit übereinstimmten. So stände einem „Leben nach
den eigenen Lüsten und Bedürfnissen“, angepasst an eine „Welt
ohne Gott“ die Offenbarung nicht mehr im Wege. Das ist für den
Kardinal ein „Atheismus, der sich in der Kirche breitgemacht“
habe.
Auf diesem Horizont
analysiert er dann eine Zahl aus der Statistik, dass nämlich nur 5 %
der Täter krankhaft pädophil seien. Daher habe die große Masse der
Täter „freiwillentlich aus Unmoral das 6. Gebot des Dekalogs mit
Füßen getreten“ und setze sich „blasphemisch über den heiligen
Willen Gottes hinweg“.
Was mir an dieser Stelle
und auch im ganzen Interview fehlt, ist eine klare Positionierung auf
der Seite der Opfer, deren Sichtweise, deren Schicksal und deren
Situation an keiner Stelle auch nur erwähnt werden.
Ich würde sagen,
dass es unbedingt Beides braucht, klare Richtlinien und eine tiefe
Bekehrung der Herzen. Das eine geht nicht ohne das Andere. Aber die
Aufarbeitung der Mißbrauchsfälle hat auch gezeigt, dass wir nicht
über eine Frage der Moral reden, sondern über eindeutige Verbrechen
an Menschen, die der Macht eines Anderen ausgeliefert sind, weil
dieser über ihnen steht, älter ist, einen Status hat, der ihm Macht
verleiht. Er setzt sich über den Willen und das Wohl anderer
Menschen hinweg und zudem über den Willen Gottes. Im schlimmsten
Fall setzt er noch sein persönliches Wollen mit dem Willen Gottes
gleich. Bekehrung kann man nicht erzwingen, klare Richtlinien aber sehr wohl durchsetzen.
In der 6. und 7. Frage
geht es um das Kirchenrecht und die Unterschiede zwischen dem CIC
1983 und 1917.
Interessant ist, dass der
Kardinal hier gleichgewichtig die zölibatären und die verheirateten Priester
des östlichen Ritus erwähnt, die auch in ihrer Ehe ein Vorbild für
die Herde sein sollen. „Nicht die wilde Gier nach der Befriedigung,
sondern die leibliche und geistige Überantwortung in der Agape an
eine Person des anderen Geschlechts ist der Sinn der Sexualität.“
Keine Sternstunde ist die
wütende Antwort auf die Frage, dass Kardinal Cupich ja davon
gesprochen habe, dass man „differenzieren“ müsse zwischen
einvernehmlichen sexuellen Kontakten zwischen Erwachsenen und dem
Missbrauch Minderjähriger. „Man kann alles differenzieren und sich
dabei noch als großer Intellektueller vorkommen, aber nicht die
schwere Sünde relativieren.“
Ich frage mich: War das
nötig? Gibt es eine Konfliktgeschichte zwischen den beiden Kardinälen?
Natürlich muss man differenzieren! Und das tut die Kirche doch auch.
Für einen überführten Mißbraucher gibt es klare Kirchenstrafen
(wenn sie denn angewandt werden), für einen sündigen Kleriker gibt
es die Beichte. Nicht nur hier wird deutlich, dass für Kardinal
Müller eigentlich kein wesenhafter Unterschied zwischen
Mißbrauchsverbrechen und Zölibatsverstößen von Priestern besteht,
besonders dort, wo es um männliche Betroffene geht. Beides müsse
durch eine Stärkung der Disziplin, durch tieferen Glauben und
klarere Regeln verhindert werden.
In Frage 9 und vielen
folgenden geht es denn auch um die Rolle der Homosexualität und die ungewöhnliche Tatsache, dass 80 % der Opfer dieser Sexualverbrecher
„Jugendliche männlichen Geschlechts“ seien, "der größte Teil
schon nach der Pubertät". In einigen etwas verschachtelten Sätzen
zieht der Kardinal daraus dann offenbar den Schluß, dass bei den
Tätern eine „tiefe Unordnung ihrer Triebwelt“ vorliege. Und
meint offenbar auch, dass daraus zu schließen sei, dass die Täter zwar überwiegend homosexuell seien, woraus man aber nicht schließen
könne, dass überdurchschnittlich viele Prieser homosexuell seien,
wohl aber, dass die Homosexuellen unter diesen besonders häufig zu
Tätern würden. Man hätte hier wenigstens erwähnen können, dass es einige schlüssige Erklärungen für die hohe Zahl männlicher Opfer gibt, die nicht von der Notwendigkeit homosexuell veranlagter Täter ausgehen. Wenngleich diese Erklärungen sicher nur einen gewissen Teil des Phänomens erhellen.
Der Kardinal führt
weiter aus: „Meiner Ansicht nach gibt es keine homosexuellen Männer
oder gar Priester.“ Es könne aber „Männer und Frauen geben mit
einer ungeordneten Triebstruktur in Bezug auf Personen des eigenen
oder anderen Geschlechtes.“ Sexualität außerhalb der Ehe sei
„Unzucht und Missbrauch der Geschlechtlichkeit“, sei diese auf
Personen gleichen Geschlechts gerichtet handele es sich um eine
„widernatürliche Steigerung der Sünde“.
Unbedingt zuzustimmen ist
dem Kardinal in der Bemerkung: „Nur wer gelernt hat, sich zu
beherrschen, erfüllt … auch die moralische Voraussetzung für den
Empfang der Priesterweihe.“ Als Ehemann würde ich dies auch für
Eheleute so fordern.
Insgesamt erkennt Müller
in der Kirche offenbar mächtige Stimmen, die darauf aus sind, die
Homosexualität von dem Makel freizusprechen, eine „widernatürliche
Steigerung der Sünde der Unzucht“ darzustellen. Ganz offen spricht
er von einer „Gay Lobby“ in der Welt aber auch in der Kirche, die
an diesem Ziel arbeitet (deren Protagonisten er aber nicht kenne und
nenne).
Diesen wirft er vor, sich
„ins warme Mäntelchen des Zeitgeistes einkleiden“ zu wollen um
„modern und zeitgemäß anzukommen auf Kosten ihrer Mitbrüder.“
Hier entdeckt er wiederum
eine „Verweltlichung der Kirche“ und den „schleichenden
Einfluss des Atheismus in der Kirche“, der verantwortlich sei für
die Krise der Kirche seit einem halben Jahrhundert.
Offenbar hat er keine
hohe Meinung von einigen seiner priesterlichen und bischöflichen
Mitbrüder, denen er attestiert, dass sie „im naiven Glauben,
modern sein zu wollen, gar nicht das Gift merken, das sie jeden Tag
einschlürfen und das sie fahrlässig anderen zu trinken anbieten.“
In diesem Kontext kommt
er abschließend auf die Hintergründe zu sprechen, aufgrund derer er
glaubt, sein Amt als Präfekt der Glaubenskongregation verloren zu
haben.
Eine Gruppe von
Kardinälen habe beim Papst den Eindruck vermittelt, er stünde als
Präfekt nicht hinter dessen Ideen. Diese hätten aber nie mit ihm
selbst gesprochen und sie hätten doch wissen müssen, dass er als
Bischof und Kardinal nicht dem Papst nach dem Mund zu reden habe,
sondern die Lehre des katholischen Glaubens zu vertreten habe. In
diesem Zusammenhang erwähnt er seine „orthodoxe Auslegung“ von
Amoris laetitia, bemängelt, dass seine anonymen Kritiker offenbar
nicht sein Buch über das Papsttum gelesen hätten. „Das Lehramt
der Bischöfe und des Papstes steht unter dem Wort Gottes in Schrift
und Tradition und dient ihm.“ Er habe sich als Präfekt „keiner
Innovation oder Reformen im katholischen Sinne des Wortes widersetzt“
und man habe ihm bis heute nicht mitgeteilt, was der Grund für die
Nichtverlängerung seines Mandates sei.
Es sei argerlich, „dass
theologisch ungebildete Leute in den Bischofsrang erhoben werden, die
unfähig sind zu lehren und dies dem Papst mit einer infantilen
Ergebenheit meinen danken zu müssen.“
Diese Formulierungen aus
dem Mund eines Kardinals muss man wirklich erst einmal verdauen. Der
Papst, umgeben von „Schmeichlern und Karrieristen am päpstlichen
Hof“, denen noch dazu grundlegende theologische Fähigkeiten
fehlen. Wann hat man so etwas jemals gehört?
Auch zum „Klerikalismus“
hat der Kardinal eine klare Meinung. „Klerikalismus als Vorwurf
gegen gute Priester dient der homophilen Lobby als Vernebelung ihrer
Missetaten und unchristlichen Ideologie.“
Wenn das – durchaus
problematische - Wort vom „Klerikalismus“, das ja das
Machtgefälle beschreiben soll, das die Mißbrauchstaten überhaupt
möglich macht, derart von der einen oder anderne Seite als
Kampfbegriff verwendet wird, dann ist es in der Tat wertlos geworden.
Ich denke an die klugen Worte meines Bischofs Felix Genn, der in
diesem Zusammenhang von „geistlichem Mißbrauch“ sprach. Wann
immer jemand als Kleriker sein Amt dazu mißbraucht, mit Hilfe der
durch Weihe und Status gegebenen Macht persönliche Wünsche und
Bedürfnisse durchzusetzten sollten wir sehr aufmerksam werden. Hier
wird die Botschaft Jesu schon verbogen und entstellt. Hier hält dann
in der Tat der „Atheismus ins Christentum“ Einzug. Und jeder, der
mit solcher klerikaler (und anderer) Macht ausgestattet ist, sollte
sich in jeglicher Hinsicht im Griff haben. „Wir tragen unseren
Schatz in zerbrechlichen Gefäßen. Unsere Kraft kommt von Gott und
nicht von uns.“ Wie recht Paulus hier mit seinen Worten hat.
Bezüglich der Gründe
für die Ablösung des Kardinals von seiner Aufgabe an der Spitze der
Glaubenskongregation weiß ich nach der Lektüre des Interviews weit mehr, als ich jemals
wissen wollte.
Das Interview läßt
spüren: Hier ist jemand tief verletzt, verletzt über die Tatsache,
dass Leute, die ihm theologisch und intellektuell nicht das Wasser
reichen können, mit dazu beigetragen haben, dass er heute nicht mehr
im Amt ist. Möglicherweise hatte er auch das Ideal der
Zusammenarbeit zwischen Papst Johannes Paul II. und Kardinal
Ratzinger vor Augen als er sein Amt antrat.
Die vom Kardinal
beanspruchte Expertise in Sachen „Sexueller Mißbrauch“ vermisse
ich in seinem langen Interwiew durchaus. Es ist sicher sein gutes
Recht und auch seine Aufgabe als Kardinal, die katholische Lehre in
Erinnerung zu rufen. Sicher auch, sich für die traditionelle Ehe und
die Haltung der Kirche zur gelebten Homosexualität zu engagieren.
Man fragt sich allerdings: „Muss es mit dem Holzhammer sein?“ Und
wenn er schon die große Sachkenntnis der Glaubenskongregation für
sich reklamiert, warum dann kein einziges Wort zur Rolle des Zölibat,
zur Priesterausbildung, zur konkreten Lebensform und
Lebenswirklichkeit vieler Priester, zum angemessenen Umgang mit den
Opfern, zu Strukturen und Organisationsformen in der Kirche, die
Missbrauch begünstigen? Die Fehler liegen allesamt bei den Anderen,
bei denen, die sich ins Priestertum gemogelt haben, bei der bösen
Welt und bei Seilschaften homosexueller oder homophiler Kleriker und
möglicherweise auch beim Papst selbst. Ich lese auch kein einziges,
auch nur annähernd selbstkritisches Wort. Auch das macht dieses
Interview – bei allem was darin auch wichtig und richtig ist –
für mich ziemlich unverdaulich. Auf meiner persönlichen
Sympathie-Skala, von sagen wir mal 10 Punkten rutscht Kardinal Müller
mit seinen aktuellen Wortmeldungen sicher um einige Punkte ab, sagen
wir mal von 8 auf 5 Punkte. Ich hoffe sehr, dass er es schafft, an
seine früheren Stärken wieder anzuknüpfen. Wir brauchen solche
Leute, die in den Chor derjenigen, die auch in der Missbrauchskrise
die immer gleichen Heilmittel für die Kirche empfehlen, begründete,
kritische Worte hineinsprechen und beispielsweise auf die
erschreckende Tatsache aufmerksam machen, dass es beispielsweise
Machtmißbrauch, Gewalt und sexuellen Mißbrauch auch durch Frauen
geben kann, dass auch Schwule nicht alle nur sanft und lieb sind und
dass die Aufhebung des Zölibats neben der Lösung von Problemen auch
viele neue schafft. Umso bedeutsamer ist, dass sie auch durch
persönliche Integrität und Glaubwürdigkeit Gehör finden und nicht
nur durch Amt und Würde.
Ich bin eigentlich
unverdächtig, zum Kreis der Schmeichler und Karrieristen zu zählen.
Ich weiß auch nicht genug darüber, wie gut oder schlecht Papst
Franziskus mit seinen Mitarbeitern umgeht. Aber ich würde mir
wünschen, dass er u.a. Gerhard Ludwig Kardinal Müller für einige
Tage zu sich einlädt, dass die beiden miteinander die Messe feiern,
die Bibel lesen, essen, einmal gemeinsam mit den Schwestern der
schmerzhaften Mutter am Borgo Santo Spirito den obdachlosen
Lebensmittelspenden austeilen und über ihre Differenzen ins Gespräch
kommen.
Und allen Kontrahenten
würde ich empfehlen, nicht nur die Verse über Unzucht und
Barmherzigkeit zu zitieren, sondern den folgenden kleinen Dialog
zweimal zu lesen, bevor sie in einem Interview über einen Anderen
sprechen: „Petrus fragte Jesus: "Sag mal, wie oft soll ich
jemandem vergeben, der mir Unrecht tut? Siebenmal?" "Nein!",
antwortete Jesus, "Siebzigmal siebenmal! Soll heißen; ohne
Ende! Zähl nicht nach. Vergib!"
Kyrie eleison!
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