Pfarrer Thomas Frings, der „So kann
ich nicht mehr Pfarrer sein“ - Frings hält bald einen Vortrag im
Bistum des Hl. Vaters in Rom. Sein Buch hat – verbunden mit seinem
konsequenten Verzicht auf die Pfarrstelle einer großen Münsteraner
Innenstadtpfarrei - 2016 einigen Wirbel ausgelöst und offenbar einen
Nerv getroffen. Inzwischen gibt es das Buch auch auf italienisch.
Offenbar sind die Pfarrer in Italien und auch die im Bistum Groningen
in den Niederlanden nicht weniger frustriert als hierzulande.
Die Kirchenzeitung im Bistum Münster
hat die Gelegenheit genutzt, mit Pfarrer Frings darüber zu sprechen.
Der ist inzwischen doch wieder irgendwie Pfarrer im Erzbistum Köln,
bzw. wie er selbst präzisiert, er sei nun nur noch Priester und übe
„priesterliche Tätigkeiten aus.“
Ganz offenbar hat das Nachbarbistum ihn
irgendwie wieder auf diese Spur setzen können. Wer weiß, vielleicht
erscheint demnächst ja ein neues Buch mit dem Titel: „So kann ich
wieder Priester sein.“ Darauf wäre ich tatsächlich gespannt.
Seine priesterliche Tätigkeit wird er
in Zukunft in der Kölner Innenstadt entfalten als Teil eines
Seelsorgerteams unter dem ehemaligen Generalvikar Dr. Dominik
Meiering.
Natürlich fragt die Kirchenzeitung
kritisch nach, was der „verlorene Sohn des Bistums Münster“ in
Köln gefunden habe, was er in Münster nicht entdecken konnte. Seine
Antwort ist interessant. Zunächst einmal zitiert er seinen Chef mit
der Antwort auf eine grundsätzliche Frage: „Wie kann Kirche sein,
wenn sie als Pfarrgemeinde für die meisten Menschen nicht mehr
relevant ist? Dafür setzt sich hier in Köln der Leitende Pfarrer
Dominik Meiering mit aller Vehemenz ein: Lasst uns suchen, wie es
gehen kann. Denn so, wie es war, geht es nicht mehr.“
Diese Überzeugung ist inzwischen in
der Kirche weit verbreitet. Als Bischof Felix Genn vor einigen Jahren
einmal feststellte: „Es ist nicht so, dass die Zeit der Volkskirche
zu Ende ginge, nein, sie ist längst zu Ende“, da ging noch ein
aufgeregtes Raunen durch die Reihen. Es gab Widerspruch, aber auch
viel Zustimmung.
In ihren Ansprachen und bischöflichen
Worten zum neuen Jahr gingen viele Bischöfe in diesem Jahr aber
schon weiter. Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf ist überzeugt, dass
die klassische, an einen festen Ort gebundene, territoriale Pfarrei
in einer mobiler werdenden Welt immer weniger den Lebenswelten vieler
Menschen entspreche. Und es sei niemandem gedient, "ein altes
Ideal von Pfarrei aufrechtzuerhalten".
Damit bringt er auf den Punkt, was
landauf, landab in den Bistümern geschieht. Das uralte Bistum Trier
legt aktuell fast 900 eigenständige Pfarreien zu „Pfarreien neuen
Stils“ zusammen, nur noch 35 Pfarreien dieser Art sollen übrig
bleiben. Im Bistum Essen, in Gelsenkirchen sind inzwischen Pfarreien
entstanden, die mehr Gläubige umfassen als im ganzen Bistum Görlitz
leben. Wenn auch dort mit älteren Traditionen und auf weiterem Raum.
So unterschiedlich das in den Bistümern gehandhabt wird, die gute
alte überschaubare Pfarrei gehört ganz offenbar der Vergangenheit
an. Um diese Strukturreformen umzusetzen, scheuen Bistümer nicht
einmal davor zurück, Pfarreien mit tausendjähriger Geschichte
aufzuheben und als Teil einer Pfarrei neuen Stils wieder auferstehen
zu lassen.
Wohin man als Seelsorger kommt hört
man aus den Reihen der Engagierten viel Frust über diese
Entwicklungen, wenngleich diese sich auch bemühen, die guten Seiten
der umfassenderen Kooperation ebenfalls zu unterstreichen.
Aber, wir wollen ja Lösungen sehen und
daher habe ich gespannt auf die Antwort von Pfarrer Frings auf die
nächste Frage des Interviewers gewartet: „Haben Sie denn auch
schon etwas gefunden, wie es gehen kann?“
„Der Startschuss zu diesem Projekt
war erst im Herbst letzten Jahres, da braucht es schon noch Zeit. Im
März wird es eine große Veranstaltung geben, zu der alle eingeladen
sind, die mitmachen und vorangehen wollen.“
Ich halte das für ein ehrliches
Bekenntnis. Ja, die bisherige Gestalt der Kirche vergeht, ja sie ist
zu einem guten Teil bereits vergangen. In den Gemeinden versuchen
viele Menschen die lieb gewordene, gute alte Zeit des Katholizismus
weiter am Leben zu erhalten. Für viele Menschen steckt darin nach
wie vor Halt und Lebensinhalt. An manchen Stellen entsteht in den
Gemeinden oder auch darüber hinaus auch Neues, Schönes, Wertvolles.
Woran es uns aber mangelt, das ist eine gemeinsame Vision zur Zukunft
der katholischen Kirche in Deutschland.
Albrecht von Croy bringt es auf
katholisch.de so auf den Punkt: „Viele Stimmen, keine Melodie. Die
Stellungnahmen reichen von Ratlosigkeit über gewagte Thesen oder
Binsen zur leichten Panik. Das, verehrte Eminenzen und Exzellenzen,
ist keine abgestimmte Kommunikation, das ist ein dissonanter Chor.“
Ja, der Bischof von Mainz hat sicher
recht, wenn er sagt, dass die klassische Pfarrei von den Katholiken,
die auf ihrem Territorium wohnen nur einen kleinen Teil erreicht.
Nach meiner Erfahrung ist es ein gutes Drittel, die in irgendeiner
Weise aktiv am Gemeindeleben teilhaben. Mal werden es mehr sein (wenn
man noch auf stabile soziale Dorfstrukturen bauen kann), mal werden
es weniger sein (wenn man sich in der Diaspora einer großen Stadt
bewegt). Aber in allen Reden zum anbrechenden Jahr 2019 fehlt mir
neben der depressiven Analyse die Vision einer Zukunft.
Die aktuelle Situation der Kirche ist
sicher das Ergebnis einer schwerfälligen Kirchenorganisation, sie
ist aber auch das Ergebnis von bis zum heutigen Tage kumulierten und
nie richtig aufgearbeiteten Fehlern und Verbrechen der
Kirchengeschichte. Bei aller Würdigung der historischen Realitäten,
wie sie z.B. Manfred Lütz und Arnold Angenendt vorgelegt haben, so
zeigt doch auch die aktuelle Mißbrauchskrise, wie schwer es der
Kirche fällt, das eigene Versagen so einzugestehen und
aufzuarbeiten, dass sie gestärkt aus der Krise hervorgeht. Wenn –
wie aktuell – ein Kardinal Wuerl in Amerika erst öffentlich
erklären läßt, er habe nie von den Verfehlungen seines Vorgängers
gewußt, wenn dann seine (ehemaligen) Bistümer öffentlich erklären
müssen, dass er doch darum gewußt habe und der Kardinal schließlich
von Erinnerungslücken spricht, dann widerspricht dieses Verhalten
allen Erwartungen, die ich an Menschen stelle, die sich als gläubige
Christen betrachten.
Aktuell wird wieder um die sündige
Kirche gestritten und ob das Idealbild der Kirche als Grundsakrament
„Strukturen des Bösen“ umfassen könne, ja diese gar in der DNA
tragen könne. Es ist sicher ehrenwert, das Ideal der Kirche im
Herzen zu tragen und auch zu verteidigen. Aber dieses Ideal stellt,
je stärker es glänzt, das Versagen seiner Vertreter in umso
helleres Licht. Mit der Folge, dass im Volk auch der Glaube bröckelt,
dass die Realitität sich jemals dem Ideal annähern könnte.
Wie wohltuend wäre es, wenn nach einer
inzwischen auch schon fast 20 Jahre schwelenden Mißbrauchskrise,
auch Bischöfe und Kardinäle offen ihre Schuld eingestehen und mit
ehrlichen Worten ihr Versagen bescheiben. Und dann auch die
persönlichen Konsequenzen tragen. Was sollte einen Kardinal Wuerl
hindern zu bekennen, ja ich habe um die Verbrechen meines Mitbruders
McCarrick gewußt. Ich ziehe die Konsequenz, ich suche nicht nach
Entschuldigungen, ich lege mein Amtsgewand in den Schrank und gehe in
eine arme Gemeinde meines Bistums, wo ich den herausgeforderten
Ortspfarrer bei seinem seelsorglichen Dienst unterstütze. Ich feiere
für ihn die Hl. Messen im Seniorenheim, ich besuche die Kranken und
mache kein Aufhebens mehr um meine Position, ich lasse mich nicht
hofieren und bedienen, sondern biete meinen Dienst dort an, wo auch
Jesus auf Erden wandelte – mitten zwischen den Menschen.
Aber selbst wenn es uns gelingen würde,
der Kirche als Organisation wieder zu einer idealen und
wirkungsvollen Struktur zu verhelfen mit einem attraktiven Angebot
für die potentiellen Gläubigen und die realen Kirchenmitglieder.
Wäre und würde dann alles wieder gut? Ist die Abwendung vom Glauben
an Gott nicht in erster Linie die Folge eines Megatrends den wir mit
unserem Handeln allenfalls verstärken oder abschwächen können?
Dieser Megetrend hat seine Quellen und Wurzeln in einer zunehmenden
Individualisierung, in einer Wohlstandsgesellschaft, in der
Globalisierung … Man könnte noch zahlreiche andere Gründe und Umstände aufführen die zu einem gesellschaftlichen Wandel
beigetragen haben, der (jenseits des Wandels durch Kriegs- und
Kathastrophenereignisse in der Vergangenheit) beispiellos ist.
Natürlich kann es heute nicht unsere Aufgabe sein, in einer
unübersichtlicher gewordenen Welt den Menschen einen heimeligen
Rückzugsraum anzubieten. Unser Auftrag muss vielmehr sein, inmitten
der Umbrüche für die Menschen den Himmel offen zu halten und den
sinnstiftenden Glauben an einen liebenden Gott überzeugend und
möglichst inspirierend vorzuleben. Wozu sicher auch Ruheräume des
Glaubens – wie ein Lazarett oder ein Gasthaus sicherlich beitragen
können, sofern sie sich nicht in reine Siechenhäuser für
sonderbare Persönlichkeiten verwandeln.
Doch zurück zu den Sendungsräumen,
Pfarreien neuen Typs, Großpfarreien und Seelsorgsbezirken: bei allem
Euphemismus der von Bischöfen und Bistumsverwaltungen versprüht
wird: Die Zusammenlegung der Gemeinden und Pfarreien zu immer
größeren, unpersönlicheren Verbünden, die Einsparung von Gebäuden
und auch von Kirchen ist kein Zeichen von Aufbruch sondern
signalisiert das glatte Gegenteil. Unendliche Kraft wird in die dann
notwendigen Umstrukturierungen investiert, zahlreiche Mitarbeiter
werden darin verbraucht und verschlissen. Die Frustration und innere
Emigration ist groß und nimmt zu.
Ich möchte diese Einschätzung mit
drei kleinen Beispielen illustrieren:
- In einer großen Nachbargemeinde erzählt mir die Sekretärin eines Tages, das sie allein mit der Planung der Dienste für Musiker, Küster und Priester viele Stunden ihrer Arbeitskraft aufzuwenden habe. Ein Aufwand, der in den kleinen Einheiten früher gar nicht notwendig war, weil jeder seine Dienste und Zeiten kannte. Das war sicher eintöniger – aber auch verläßlicher. Die Erfahrung zeigt, dass die Organisation und Verwaltung zusätzliche Kräfte und Mittel erfordert um eine Großpfarrei ordentlich zu führen und dass die Synergieeffekte damit schnell wieder aufgezehrt werden.
- In dem Dorf in der Eifel, wo wir seit fast 20 Jahren Urlaub machen, waren in den ersten Jahren die Gastgeber (Landwirte) kirchlich engagiert, er für seine 600 Seelen-Gemeinde im Kirchenvorstand, sie im Pfarrgemeinderat. Man kooperierte mit drei kleinen Gemeinden, die einen gemeinsamen Pfarrer hatten. Heute sind dort zwei ehemalige Dekanate mit Dutzenden von Gemeinden zu einer Pfarrei zusammengefasst. Sie werden von einem Pfarrer geleitet. Die zentrale Verwaltung sitzt im 20 km entfernten Schleiden. In der Familie ist heute niemand mehr kirchlich engagiert. Mit dem beruflichen Alltag in der Landwirtschaft lassen sich abendliche Sitzungen und lange Anfahrten nicht mehr vereinbaren.
- In meiner früheren Einsatzgemeinde hatte die 2.000er Gemeinde einen Kirchenvorstand, der sich um eine Kirche, einen Kindergarten und ein Jugendheim kümmerte. 8 Personen kamen da zusammen, eine abendliche Sitzung dauerte eine knappe Stunde, anschließend blieb man noch eine Stunde in geselliger Runde mit dem Pastor zusammen. Der schätze den Austausch in dieser Runde. Und ein oder zwei abendliche Bierchen. Wenn am Kindergarten ein Tor einzubauen war, stand der 75 jährige Pensionär mit einer Schüppe im Loch, während zwei andere KV-Mitglieder den Beton anmischten und ein Bekannter mit dem Trecker bereit stand, den Torpfeiler anzuheben und korrekt ins Loch zu setzen. Heute entscheiden doppelt so viele KV-Mitglieder über die Belange von 10 Kindertageseinrichtungen, die Arbeiten erledigen natürlich Fachfirmen. Die Sitzungen haben sich verdoppelt und dauern dank eines konsequenten Pfarrers von 19.30 – 22.00 Uhr – nicht länger. Um die Organisation kümmert sich eine neue Verwaltungsreferentin.
Es ist an der Zeit, einmal zu
evaluieren, ob die versprochenen Effekte einer besseren
Zusammenarbeit und von Synergien tatsächlich verwirklicht werden
konnten. Ich fürchte, das Ergebnis ist alles Andere als ermutigend.
Sicher ist die Zeit vorbei, da eine
Territorialpfarrei für die Menschen auf dem Territorium ein
umfassendes geistlich – seelsorgerisches Angebot machen konnte. Die
Menschen sind mobiler geworden. Die Seelsorger arbeiten auch schon
heute anders als früher, vielleicht noch nicht so flexibel und
modern wie sie sollten, aber doch mit Kreativität und Herzblut. Dass
mancher nicht aus seiner Haut kann, das ist sicher wahr. Die Frage
wäre aber, wie man den Seelsorgerinnen und Seelsorgern da mehr
Hilfestellung geben könnte. Vermutlich muss man mehr in gute
Begleitung, Seelsorge an den Seelsorgern und Supervision investieren.
Natürlich müssen wir den Wandel der
Gesellschaft wahrnehmen und so gut es geht für die Pastoral nutzen.
Wir müssen neue Angebote machen, wir müssen alte Angebote schneller
verändern, anpassen, modernisieren oder auch mal beerdigen. Wir
müssen die sozialen Medien nutzen und im Internet präsent sein. Wir
müssen einen guten und freundlichen Service bieten und Begegnungen
ermöglichen, die Lust auf mehr machen.
Aber ich bin sicher, dass wir in der
Fläche präsent sein müssen und dass die gute alte Pfarrei sich
noch lange nicht überlebt hat. Bei aller Mobilität brauchen wir
(nicht nur virtuell) Räume, Häuser, Kirchen und vor allem Menschen,
durch die wir auch gefunden werden können und in denen Kirche lebt.
Und es kann doch wirklich nicht schaden, wenn jeder, der sich in
einer Stadt neu niederläßt, mit geringem Aufwand eine Gemeinde
finden kann, die für ihn zuständig ist. Das gilt für meine
Auffassung gerade für Menschen, die die Angebote der Gemeinde nur
sporadisch nutzen. In welcher konkreten Gestalt eine solche Gemeinde
bestehen sollte, da kann man sicher ganz viel verändern und an den
Lauf der Zeit anpassen.
Ich werde den Verdacht nicht los, dass
es den Bistümern bei all den Zusammenlegungen in erster Linie um
zwei Aspekte geht. Man möchte nach wie vor die Zahl der Pfarreien an
die Zahl der Priester anpassen, die in einem solchen Bereich die
Leitung übernehmen können. Da die Zahlen der Priester sinken und
von den verbleibenden Priestern auch viele nicht willens und in der
Lage sind kleine Quasi-Bistümer zu verwalten, muss man am Ende den Weg des
Bistums Trier gehen und XXXL-Pfarreien gründen. Hier hat gemäß dem
Kirchenrecht dann halt ein leitender Pfarrer die Fäden in der Hand.
Und zumindest in ganz wesentlichen Fragen geht nichts an ihm vorbei.
Ich vermute, hier könnten wir noch sehr
viel von den Organisationsformen der Pfarreien in Lateinamerika oder
in Afrika lernen. Sie setzen sehr auf das Engagement und die
Leitungs- und Verkündigungs-Fähigkeiten der Katechistinnen und
Katechisten.
Der zweite Aspekt ist, dass die
Bistümer bestrebt sind, die jeweiligen Pfarreien zumindest
verwaltungsmäßig weiter ordnen zu können und unter Kontrolle zu
halten. Dahinter steckt vermutlich ganz viel gute Absicht, man möchte
den Überblick behalten, vermeiden, dass einzelne Gemeinden
randständige Sonderwege gehen. Ich denke an dieser Stelle hat jeder
von Ihnen konkrete Erfahrungen vor Augen mit einer in Deutschland
sehr gut durchorganisierten Kirche, die nach wie vor irgendwie
funktioniert. An unserem Organisationsgrad kann sich manche andere
Organisation orientieren.
Ich glaube nicht, dass wir als
katholische Kirche das Prinzip einer möglichst flächendeckenden
Präsenz aufgeben sollten. Zumindest nicht, ehe es nicht klare
Alternativen gibt, für die ein Großteil aller Engagierten sich mit
Lust und Engagement einsetzt.
Der katholische Publizist Andreas
Püttmann warnt zu Recht vor einer „Demoralisierung der Minderheit,
die das Hochamt am Sonntag und die Angebote der "Territorialgemeinde"
schätzen.“ Solange nämlich keine neue Gestalt der Kirche
erkennbar ist, stellt diese „Minderheit“ den Glutkern des
Christentums in unserer Gesellschaft dar. Das ist kein Plädoyer für
einen Rückzug in die Ruinen der guten alten Zeit. Wir müssen in den
Lebensspuren Jesu und seiner Jünger*innen neue und kreative
Möglichkeiten entwickeln, den Menschen die Botschaft des Evangeliums
anzubieten und näher zu bringen. Aber dazu braucht es – wie eine
Idee aus der anglikanischen Kirche es ins Bild setzt – die tiefen
ruhenden Seen genauso wie die munteren Bäche in der Fläche.
Ich fürchte allerdings, dass der
Kirchen-Frust und eine gewisse Lethargie unter den Engagierten, auch
unter den Seelsorgerinnen und Seelsorgern inzwischen längst zu einer
solchen tiefgehenden Demoralisierung geführt hat und dass dieses
Problem von den Bischöfen nicht ausreichend gesehen wird.
Eine Bank in Deutschland kann sich auf
ein anderes Geschäftsfeld verlegen, kann Investment-Banking machen,
kann mit Aktien handeln und es reicht dann, einige Leuchtturm-Filialen
zu unterhalten. Aber als Kirche geht es uns um den einzelnen
Menschen. Gerade auch um den, der geistlich und finanziell wenig zu
bieten hat. Wir brauchen erreichbare Filialen in der Fläche. Wir
müssen offen und ansprechbar bleiben. Kein Sportverein käme auf die
Idee, die regionale Präsenz aufzugeben und die Leute mit einem
besonders tollen Stadion in die entfernte Stadt zu locken. Dann gäbe
es über kurz oder lang keinen Nachwuchs mehr. Wir gehören in den
Alltag der Menschen. Wenn wir nicht mehr in der alten Sozialgestalt
der Pfarrfamilie auftreten können, dann müssen wir andere Wege der
Präsenz finden. Das hat die Kirche immer ausgezeichnet, denken wir
nur an die Hauskirchen der ersten Jahrhunderte.
Nicht zu vergessen, dass die
gemeinschaftliche Feier der Eucharistie, die Feier der Liturgie und
des Gotteslobes die Mitte und die Quelle allen christlichen Lebens
ist. Wenn es nicht möglich ist, flächendeckend Eucharistie zu
feiern, müssen wir mit Hochdruck Formen entwickeln und pflegen, die
in den Menschen die Sehnsucht nach dem Mahl am Tisch des Herrn
wecken, nähren. Und ihnen die Möglichkeit bieten, immer wieder zu
diesem Herrenmahl hinzutreten (wenn es denn nicht mehr Sonntag für Sonntag geht). Dafür sollte ein Priester dann auch
schon mal auf eine Sitzung oder ein anderes pastorales Projekt
verzichten können/dürfen.
Ich frage mich, ob das
Kirchensteuersystem uns nicht in gewisser Hinsicht dabei im Wege
steht. Wir haben nach dem 2. Weltkrieg die kirchlichen Geldströme
neu geordnet. Was in Deutschland früher in erster Linie den
Gemeinden zuströmte wurde nun in den Diözesen gebündelt. Der immer
breitere Geldstrom floß zum Bischof und wurde von dort – in
möglichst gerechter Verteilung – in die Gemeinden und
Einrichtungen geleitet. Es war wahrscheinlich ein Naturgesetz, dass
gleichzeitig auch die Verwaltung wuchs und immer mehr Aufgaben
übernahm. Das hat viele Vorteile, aber es hat auch Nachteile.
Es ist an der Zeit, den Gemeinden vor
Ort wieder mehr Verantwortung zu geben. Die Menschen müssen sehen,
wo ihr Steuergeld hingeht. Ja vielleicht sollte es sogar möglich
sein, dass sie ihr Geld bestimmten Projekten in der Gemeinde ihrer
Wahl widmen. Auf diese Weise würde vielleicht manches Projekt
aufblühen und manche, mühsam am Leben gehaltene pastorale Aktivität
würde verkümmern, weil sie im Grunde nur von wenigen geschätzt
wird. Wie auch immer man die Balance zwischen Gerechtigkeit und
Eigenverantwortung neu regelt, es braucht mehr Verantwortlichkeit und
Entscheidungsbefugnis vor Ort. Hier sollten die Bistümer großzügig
sein. Und sie sollten dringend Macht und Kontrolle wieder nach unten
abgeben. Vielleicht könnte man Einrichtungen wie Kindergärten und
Krankenhäuser, Caritas und Altenheime nach einheitlichen Regeln
finanzieren. Aber für das konkrete Gemeindeleben, den Erhalte von
Kirchen und Pfarrheimen brauchen die Leute vor Ort freie Hand. Ich
glaube, dann wären auch notwendige und schmerzliche Enscheidungen
einfacher zu fällen und weniger Gruppen ständen demonstrierend vor
den bischöflichen Generalvikariaten.
Bliebe noch das Problem der Leitung der
Pfarreien, für die es keine Priester mehr gibt. Hier plädiere ich
nicht zum ersten Mal dafür, das Amt des Pfarrers zu entschlacken und
auch dort Kontrolle aufzugeben. Der Pfarrer soll die Leitung haben,
aber er muss nicht jede Entscheidung treffen. Leitung im geistlichen
Sinne muss neu definiert werden. Dabei darf der Pfarrer ruhig mehr
Macht haben als ein Rabbi oder ein Hodscha, die ja ausschließlich
auf ihre geistlichen und pädagogischen Aufgaben beschränkt sind.
Und so könnte auch unter der Leitung eines Pfarrers ein Team von
ehren- und hauptamtlichen Personen die organisatorische Leitung einer
Pfarre in die Hand nehmen. Und diese Leute brauchen klar umschriebene
Machtbefugnisse und Verantwortungsbereiche. Ein Pfarrer, der über
viel zu viele Kirchenvorstandssitzungen klagt, der sollte den Vorsitz
in die Hand der Laien geben und nach dem Prinzip der Subsidiarität
die Aufgaben, die vor Ort zu erledigen sind in die Hände derer
legen, die von den notwendigen Entscheidungen betroffen sind. Und
dann vielleicht in einem Kooperations – Kirchenvorstand nur noch
die Dinge mit entscheiden, die die grundsätzliche Ausrichtung der
Pfarrei(en) und der Seelsorge in dem – seiner Leitung anvertrauten
– Gebiet betreffen oder die Auswirkungen über den einzelnen
Kirchturm hinaus haben.
Es ist höchste Zeit, dass die Bischöfe
zu einem klaren Bild der Situation in den Gemeinden kommen und eine
gemeinsame Vision entwicklen. Auch wenn im Süden Deutschlands die
Situation der Kirche noch anders aussieht: der Bischof von Hamburg
kann ihnen schildern, wohin die Reise über kurz oder lang gehen
wird. Kein Bischof sollte sich der Illusion hingeben, dass die
gesellschaftlichen Entwicklungen sich einfach so umkehren und seinen
Sprengel nicht in irgendeiner Weise betreffen werden. Es gilt schon
jetzt Weichen zu stellen, die über die reine
Organisationsentwicklung hinaus gehen. Im Mittelpunkt sollten Werte
wie Einfachheit, Bescheidenheit, Präsenz, Offenheit, Ehrlichkeit,
Verständlichkeit, Partizipation, selbstloses Engagement,
Glaubensfreude und Nähe zu den Menschen stehen. Wenn nicht bald die
notwendigen Schritte getan werden, fürchte ich, dass wir uns einzig
und allein noch auf die Zusage Jesu Christi, dass die Mächte der
Finsternis die Kirche nicht zerstören können, verlassen müssten.
Aber das käme mir vor wie das Handeln des einen Dieners, der die
anvertrauten Talente vergräbt und sicher für seinen Herrn verwahrt.
Ich vermute, der Herr erwartet etwas Anderes von uns.
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