Montag, 20. März 2023

Hilfe, Hurra, diese Hierarchie geht unter... (K.I.Z.)

Dä! Da haben wir's nun! Das Schisma! Angeblich hat ja ein Teil der Kirche und der Bischöfe in unserem Land aufgehört, so richtig katholisch zu sein, weil sie sich entschieden haben, den Papst zu bitten, doch möglichst bald auch Frauen zu Diakoninnen zu weihen; weil normale Katholiken dem Pastor oder gar ihrem Bischof nicht nur guten Rat geben möchten, sondern auch mit ihm entscheiden, bei Fragen, die die Zukunft der Kirche betreffen; weil sie meinen, dass das Versprechen eines gleichgeschlechtlichen Paares, das Leben gemeinsam in Liebe und Treue zu leben, einen Gottesdienst und eine Segensfeier wert wäre; weil eine Pastoralreferentin nicht mehr ihren Job verlieren soll, wenn sie ihre Partnerin heiratet; weil demnächst ab und an einmal ein Laie das Evangelium in der Hl. Messe auslegen wird. Ich glaube, das waren grob gesprochen die wesentlichen Reformen, die in den nächsten Jahren (vielleicht) in deutschen katholischen Pfarreien möglich werden. Ob die Menschen dies wohl als grundstürzende Reformen erleben?

Weit stärker werden die Katholiken in Deutschland aber den Wind der Realitäten spüren, dass Kirchen geschlossen werden, dass Pastoralteams zusammenschmelzen wie der Schnee in der Sonne, dass gar keine Hl. Messe mehr am Wochenende in ihrer Heimatkirche gefeiert werden kann und für die Beerdigung der Oma vielleicht gar kein Seelsorger mehr verfügbar ist.

Mir ist durch den Kopf gegangen, dass ich auch nach dem letzten synodalen Wochenende das Glaubensbekenntnis noch genauso und mit Überzeugung beten kann, wie das zuvor möglich war. Denn der Synodale Weg hat den Glauben an den dreifaltigen Gott nicht abgeschafft, er bekannte sich ausdrücklich zu Christus und immer wieder sogar zum Hl. Geist. Auch die Geburt Jesu als Sohn der Jungfrau Maria wurde nicht in Frage gestellt und die Göttlichkeit Jesu offenbar ebenso wenig. Selbst die Gemeinschaft der Heiligen, die Auferstehung der Toten, die Wiederkunft in Herrlichkeit, die zwei Naturen und der Primat des Papstes soll nicht abgeschafft werden, nicht einmal die besondere Stellung des bischöflichen und priesterlichen Amtes. Man mag es nicht glauben: der Synodale Weg steht zum katholischen Priesteramt.

Kürzlich las ich im aktuellen Band „Nichts als die Wahrheit“ von Erzbischof Gänswein, dass Papst Benedikt XVI., der seine Bücher überaus liebte, sich zur Gewohnheit machte, für ein neues Buch ein anderes aus seiner Bibliothek auszusortieren. Diese Stärke habe ich leider nicht. So werde ich wohl bald zum Textband der Gemeinsamen Synode und zum Band mit den Ergebnissen des Diözesanforums auch noch die Texte des Synodalen Weges dazu stellen können.

Natürlich kann ich die Besorgnis verstehen, die manche konservative Beobachter des Synodalen Weges in den vergangenen Jahren vorgetragen haben. In der Tat ist die Reform der katholischen Kirche nicht so einfach, wie mancher Lautsprecher dies rund um die Synodalversammlungen so eingefordert hat. Und die vorgeschlagenen Lösungen beim Synodalen Weg erschienen mir leider auch etwas dürftig. Ganz besonders der verbissene Kampf um einen Synodalen Rat hat mich erstaunt. Als sei dies der feuchte Traum eines jeden synodal bewegten Katholiken. Auch ich denke, dass Papst Franziskus mit seiner Frage, ob hier in Deutschland der synodale Weg nicht von einer gewissen Form von „Elite“ geprägt sei, durchaus (auch) recht hatte. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Indizien.

Es ist schwer, hier und heute schon ein Fazit zu ziehen. Mir hat vieles nicht gefallen, was beim Synodalen Weg zu hören war. Zu einfach sollten wir es uns mit der Synodalität, den Ergebnissen des Synodalen Wegs und der Zukunft der Kirche nicht machen.

Daher möchte ich in diesem Test einem gewichtigen Thema nachgehen, angeregt durch das Wort MACHT, das im heutigen Sonntagsgottesdienst in unseren Gemeinden in Voerde besonders bedacht wurde. Inspiriert durch MISEREOR und die Erwählung des kleinen David unter den vielen Söhnen des Ísai in der heutigen Lesung.

Macht, das war auch beim Synodalen Weg einer der schillerndsten Schlüsselbegriffe.

Lautstark beklagten die konservativen Kritiker, dass es den Synodalen (Laien) in erster Linie um die Macht ginge. Kirche sei keine Demokratie, sie sei eine Hierarchie und Christus ihr Haupt. Das ginge nicht anders... In der Tat ist das ein Knackpunkt vieler Diskussionen – wenn auch anders als einige Kommentatoren meinen. Hierzu möchte ich gern einige Beobachtungen zu Papier bringen.

Wie im Brennglas hat auch der Synodale Weg selbst die Probleme gezeigt. So wurde dort immer wieder (meist zwecks Verharmlosung in Richtung der Kritiker) betont, dass man ja keine bindenden Beschlüsse fassen könne und dass alles, was dort beschlossen würde, erst von einem Bischof oder gar vom Papst in Kraft gesetzt werden müsse. In aller Regel ist in diesem Ideal der römisch-katholischen Welt der Prozess des Beratens vom Prozess der Entscheidung strikt getrennt. Schon die Zusammensetzung des Synodalen Weges zeigt diese Besonderheit des Katholischen. Auch wenn dem Plenum vorgeworfen wurde, dass es zu sehr von „Laienfunktionären“ bestimmt sei, so zeigt doch ein Blick in die Teilnehmerliste: Rund die Hälfte der Teilnehmer waren gar keine Laien, sondern Kleriker, Diakone, Priester und Bischöfe. Die Bischöfe mussten den Beschlüssen gar mit einer eigenen 2/3 – Mehrheit zustimmen. Kam die nicht zustande – galt die Zustimmung der sonstigen Versammlung nichts.

Ein Kommentator beim Synodalen Weg (ich glaube, es war Prof. Tiefensee) sagte in seiner Wortmeldung etwa: In die DNA der katholischen Kirche sei nach wie vor die Monarchie als Konstruktionsplan eingeschrieben. In der Tat ist da ja etwas dran: Der Vatikan als heutiger Kleinstaat ist ja nach wie vor eine Art Monarchie, in der der Papst der absolute Monarch ist. Nach diesem Prinzip ist auch die kirchliche Hierarchie gestrickt.

In Deutschland ist diese Regierungsform ja hier und da auch wieder „en vogue“, man schaue nur auf die Zunahme der Reichsbürgerszene. Allerdings scheint mir dahinter eher eine Idealvorstellung der Monarchie zu stecken, als eine real existierende oder irgendwie existenzfähige Regierungsform. Der gute König ist und bleibt leider Gottes eine Märchengestalt. Kein Wunder, dass sie so viele Märchen prägt und doch nur selten (oder nie) Wirklichkeit wurde. Die Regel ist doch, dass der König allenfalls mittelmäßig, wenn nicht gar ein grottenschlechter Regent ist. Dennoch ist uns Menschen offenbar die Sehnsucht nach einem starken Mann, einem Kaiser, König oder Führer ins Herz geschrieben. Die wachsende Unzufriedenheit mit der Demokratie, die Kritik an Politikern, die Wahl von Populisten in höchste Staatsämter, all das demonstriert diese irreale Sehnsucht überdeutlich. Gerade unser Volk hat diesen Wunsch-Traum teuer bezahlen müssen, als es das verklärte Bild vom deutschen Kaiser eintauschte gegen einen Führer, der ein tausendjähriges Reich versprach – und dann unser Land innerhalb kürzester Zeit in einen Abgrund stürzte.

Auch die Bibel kennt den verklärten König aller Könige in David und Salomo. Wobei drumherum immerhin genügend Geschichten eingeflochten werden, die die Königsgestalten wieder zu entzaubern vermögen. Aber der Traum von einem idealen König, der ein Land zu Wohlstand, Gerechtigkeit und Frieden führt – der durchzieht die Jahrhunderte und glimmt auch heute noch unter der demokratischen Asche.

Zu einer meiner frühesten Erinnerungen an kirchliche Gremienarbeit gehört, dass in meiner Heimatgemeinde das sogenannte „Vetorecht“ des Pfarrers hitzig diskutiert wurde. Das muss jetzt weit über 30 Jahre her sein. Der Pfarrer könne mit seinem Veto jede Entscheidung des Pfarrgemeinderates zu Fall bringen. Jede? Ernsthaft? Ich kann mich nicht erinnern, dass ein Pfarrer einmal diese Karte gezogen hat. Ganz ähnlich erlebte ich das in diözesanen Gremien, wo es verschiedenen Akteuren immer extrem wichtig war, zu betonen, dass es sich (nur – oder immerhin) um Beratungsgremien handeln würde, die keine Entscheidungsvollmacht hätten. Vor diesem Hintergrund ist es eine schöne Erfahrung, dass meine Stimme in einer Frage im Jugendhilfeausschuss der Stadt eine Entscheidung durchbringen oder verhindern kann. Es ist schon ein Unterschied, ob Wort und Stimme im Zweifel auch Gewicht haben. Oder ob es egal ist, wie viel ich mich engagiere und ob ich recht oder unrecht habe.

Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch das Gerangel beim Synodalen Weg um die sogenannte „Selbstbindung“ der Bischöfe an Entscheidungen synodaler Gremien. Man sieht hierin einen Ausweg aus dem Dilemma, dass der Bischof in der katholischen Kirchenverfassung letztlich die Person ist, die eine Entscheidung zu fällen hat. Wenn der Bischof nun verspricht, nicht gegen die Entscheidung eines synodalen Rates zu handeln, dann ist das im theoretischen Machtkonstrukt der katholischen Kirche eine trickreiche Idee, um dem Gremium zu signalisieren: „Ihr seid keine reine Quasselbude!“ Ich schätze euren Rat und eure Meinung.

Ist das jetzt wahrhaftig? Außenstehende Personen werden hierüber den Kopf schütteln und darin möglicherweise einen Selbstbetrug sehen. Ob man mit so einem Verfahren Glaubwürdigkeit zurück gewinnt?

Dagegen scheint immerhin beim Kirchenvorstand die demokratische Welt auch in die Kirche eingezogen zu sein. Hier zählt die Stimme des Pfarrers nicht mehr als jene des einfachen Mitglieds, auch wenn der Pfarrer der „geborene“ Vorsitzende dieses Gremiums ist. Der Kirchenvorstand ist jedoch ein deutscher Sonderweg, Staatskirchenrecht, das der Kirche um 1925 aufgezwungen wurde. Der Staat wollte damit die Verbindung der deutschen Gemeinden zum vatikanischen Machtzentrum jenseits der Alpen schwächen. Es ging um Eigenständigkeit des deutschen Reichs und man unterstellte den Pfarrern bloße Befehlsempfänger einer ausländischen/externen Macht zu sein. Heute kenne ich jedoch kaum einen Pfarrer, der grundsätzlich auf die Unterstützung verzichten möchte, die ein Kirchenvorstand und ein Rendant in der Leitung einer Gemeinde bringt. Die Mitglieder tragen ein großes Maß an Fachexpertise und Engagement bei.

Insofern ist die reine katholische Lehre ja heute schon an vielen Stellen durch Räte und Kirchenvorstände aufgebrochen. Und das ist gut so, auch wenn über allzuviele Ratssitzungen auch gerne geklagt wird, gerade auch von Priestern und Bischöfen. Auf der anderen Seite klagen die Laien. Der Ausgangspunkt des Synodalen Weges ist doch durchaus auch die Erfahrung des Scheiterns der Hirten, die im Gottesvolk den Wunsch weckt, die eigene Expertise mit einbringen zu können, ja selbst mit entscheiden zu können. Und der Bischof tut gut daran, die Meinung der Laien mit Offenheit und auf Augenhöhe zu hören, zu berücksichtigen, ja ihr durchaus zu folgen. Hier bringt die hohe Stellung und Hochachtung des Priester- und Bischofsamtes auch Probleme. Nichts verschlimmbessert eine Fehlentscheidung so sehr, wie zahlreiche windschnittige Berater, die nur das Beste für den Bischof wollen. Das war ja in den Konflikten rund um Papst Benedikt und seine Rolle in einigen Fällen des Münchner Missbrauchsgutachten zu erleben. Lauter Verteidigungsstellungen, wo doch ein schlichtes Mea culpa angebracht gewesen wäre. Und dies auch dann, wenn es dabei nicht nur um eigene Schuld und Fehler sondern gerade um die der ganzen Kirche und die der früheren Zuarbeiter und Untergebenen geht.

Aber es ist jetzt an der Zeit, nicht nur das Phänomen zu betrachten, sondern einen kurzen Blick auf die theologische Basis zu werfen.

Kernproblem ist (und das haben die Konservativen und Traditionalisten sofort erkannt), dass in der gewachsenen Struktur der katholischen Kirche das Priester- und Bischofsamt im Zentrum steht. Das 2. Vatikanische Konzil hat diese Tradition noch einmal etwas zugespitzt, indem es in der Bischofsweihe die Vollgestalt des Weihesakraments sah und die Lehre vom dreifachen Amt (triplex munus) Jesu Christi als König, Priester und Prophet noch einmal schärfte. Obwohl jeder Getaufte mit diesem dreifachen Amt von Christus her und aufgrund der Taufgnade ausgestattet ist, so sind es die dazu berufenen und von der Kirche als solche angenommenen und mit dem Weihesakrament ausgestatteten Priester und Bischöfe, die im Namen des Herrn der Gemeinschaft der Getauften gegenüber treten dürfen, um sie zu lehren, zu heiligen und zu leiten.

Auch wenn ein Priester bei der Weihe seinem Bischof (oder Ordensoberen) Gehorsam verspricht, so ist ein jeder Pfarrer in seiner Pfarrei doch nach Kirchenrecht ein kleiner Bischof mit eigenen Rechten, oder wie das Kirchenrecht sagt: „der eigene Hirte der ihm übertragenen Pfarrei; er nimmt die Seelsorge für die ihm anvertraute Gemeinschaft (…) wahr, (…) um für diese Gemeinschaft die Dienste des Lehrens, des Heiligens und des Leitens auszuüben...“

Diese, von Christus, dem eigentlichen Haupt und Hirten der Kirche abgeleitete Leitungsvollmacht der Priester ist es, die das Teilen von Verantwortung und Leitungsaufgaben so komplex macht. Da das dreifache Amt unmittelbar dem Priester- und Bischofsamt zugeordnet ist und hierzu in aller Regel nur zölibatäre Männer zugelassen sind, werden Leitungsaufgaben in der hierarchischen Struktur der Kirche ausschließlich von Männern wahrgenommen. Sie prägen auch das Bild der Kirche nach außen. Ein sprechendes Bild dafür sind die neuesten Fotos der deutschen Bischofskonferenz mit der einsamen Generalsekretärin Beate Gilles.

Kein Wunder, dass dies als Ungerechtigkeit empfunden wird und dass Reformgruppen vehement Geschlechtergerechtigkeit einfordern und fehlende Menschen- und Frauenrechte in der Kirche beklagen. Streng genommen trifft diese Diskriminierung ja nicht nur Frauen, sondern auch Familienväter und andere Laien.

Anders, als zu früheren Zeiten, als es in kirchlichen Kontexten mächtige Fürstinnen und Königinnen „von Gottes Gnaden“ und Klostervorsteherinnen, Äbtissinnen gab, die machtvolle Rollen ausfüllten – sieht man heute in kirchlichen Spitzenrollen fast nur Priester und Bischöfe.

Die Bischöfe spüren natürlich diesen Stachel im Fleisch der Kirche und versuchen Abhilfe zu schaffen, indem sie zunehmend Leitungspositionen außerhalb der klassischen Hierarchie aufwerten und hohe Verwaltungsposten bzw. repräsentative Aufgaben mit Frauen besetzen. Selbst im Vatikan ist dies inzwischen so, wenngleich hier häufiger Ordensfrauen zum Zuge kamen. Im Bistum Mainz hat man nun sogar eine Art dreifaltige Bistumsleitung aus Bischof, Generalvikar und Amtsleiterin geschaffen. Im Bistum Münster soll sogar eine Kanzlerin neben dem Generalvikar amtieren können – wenn denn diese Position tatsächlich wieder besetzt werden sollte. Ein interessanter kleiner Fortschritt ist in den letzten Monaten beinahe unbeachtet geblieben. Abt einer Benediktinerabtei kann heute auch ein Laienbruder werden. „Optisch“ treten allerdings solche Laien und Frauen in den Leitungspositionen der Kirche nicht in Erscheinung. Das Bild ist nach wie vor von Männern in Dalmatik und Messgewand, mit Mitra, Soutane und Stab geprägt. Eine Ordensschwester, die auf einem hohen Posten im vatikanischen Staatssekretariat bekleidete erzählte mir einmal im Flugzeug, wie sehr viele ihrer männlichen, priesterlichen Kollegen nach Titeln und Ehrenzeichen strebten, eine Haltung, die sie zutiefst befremdete.

"Seht ihr, es geht wieder nur um Macht.“ Dieser Vorwurf erschallt aus dem konservativeren Kirchenflügel, wann immer Frauen und Laien eine demokratischere Kirche und Mitbestimmung fordern. Dabei ist „Macht“ in der Kirche ja sowieso ein eher vergifteter Begriff. Viel lieber spricht man von Dienst und Hirtenamt.

Dennoch ist es nicht zu leugnen, dass das Amt eines Priesters und Bischofs mit Macht ausgestattet ist. Da ist zunächst einmal die Macht, die mit der jeweiligen Position verbunden ist. Die Tradition, die Theologie und das Kirchenrecht definieren, was ein Bischof ist. Diese Amtsmacht steht natürlich auch in Verbindung, mit der Person die diese Macht wahrnimmt, mit der Art der Machtausübung, mit seinem Talent der Mitarbeiterführung, der Manipulation, seinem mehr oder minder überragenden Wissen, seinem rhetorischen Talent und natürlich auch mit Hilfe weiterer mächtiger Verbündeter und manchmal auch alter „Seilschaften“ wird es dem Amtsinhaber gelingen, seine Macht zu festigen oder gar zu erweitern. Geld und Besitz spielt dabei natürlich auch eine Rolle. Wer über relevante Mittel verfügt, kann mehr bewegen. Ein Bischof in einem armen Land Afrikas ist diesbezüglich sicher anders aufgestellt als beispielsweise der Erzbischof von Köln, der über einen gewaltigen Apparat und weltkirchlich beinahe beispiellose Finanzmittel verfügt.

Die vielfache „Unwucht“ in der katholischen Kirche wird auf lange Sicht ein Ärgernis bleiben. Noch so viele Frauen in kirchlichen Verwaltungs-Leitungs-Ämtern werden dieses Ungleichgewicht nicht verändern. Auch nicht die Beauftragung von Frauen mit der Gemeindeleitung in Gemeinden, die keinen eigenen Pfarrer mehr haben. Hier behilft man sich aktuell noch mit dem Trick, einem Priester die Pfarrverwaltung zu übertragen, der die Füße still hält, solange er nicht gefordert ist. Aber, wie glaubwürdig ist das?

Die wollen ja nur an die Macht.“ Dieser Vorwurf wirkt heute mehr als abwegig, wenn er von jenen ausgesprochen wird, die an den Schalthebeln der Macht sitzen. Und ist damit wenig überzeugend.

Der Vatikan wehrt sich mit Händen und Füßen gegen einen Synodalen Rat. Auf keiner Ebene der Kirche könne niemand, weder ein Bischof noch eine Synode so etwas einführen. So war es im Vorfeld des Synodalen Wegs klar und deutlich zu hören. Man schüttelt den Kopf, gibt es doch in der Kirche schon längst erfolgreiche Gremien der Mitverantwortung, die mehr und mehr auch Entscheidungen treffen.

Die Erfurter Dogmatikerin Julia Knop zieht nach dem vorläufigen Abschluss des Synodalen Weges ein bitteres Fazit: „Am neuralgischen Punkt, an dem Heilung tatsächlich beginnen könnte, haben sich die Bischöfe auf dem Synodalen Weg verweigert: Sie lassen auf ihre Macht nichts kommen“. Die empfindlichste Stelle für die Bischöfe sei die Macht, seien die eigenen Privilegien, sei die eigene Rolle im System. „Daran soll partout nicht gerührt werden. Und jeder Versuch, das zu tun, löst sofort ihren Abwehrreflex aus.“

Für weit größer als das Problem der Akkumulation von Macht bei den Priestern und Bischöfen halte ich in der Kirche das Problem der nicht oder schlecht ausgeübten Macht. Aus der Soziologie und der Gruppenpsychologie wissen wir, dass es Strukturen von Leitung und Macht in jeder Gruppe und in jeder Organisation gibt. Entsteht hier ein Machtvakuum, weil jemand seine Aufgaben nicht erfüllt oder aus anderen Gründen, so füllen schnell Andere dieses Vakuum aus. Es gibt das Phänomen einer „geheimen Leitung“ und es gibt auch Priester, ja sogar Bischöfe, die sich von machtvollen Persönlichkeiten aus ihrem Umfeld steuern lassen. Weit größer ist jedoch das Problem, dass es aktuell immer weniger Priester gibt, die ein immer größeres Aufgabenfeld und eine immer größere Verantwortung zugeordnet bekommen. Aus der überschaubaren Gemeinde mit dem Pastor vor Ort werden pastorale Räume oder gar neue Pfarreien, die die Größe des Bistums Görlitz inzwischen leicht übertreffen.

Der pastorale Raum Dinslaken – Voerde – Hünxe und Walsum wird demnächst etwas unter 50.000 Katholiken umfassen. Um das Konstrukt zu leiten sind in Zukunft leitende Pfarrer und Pfarrverwalter für die vier Gemeinden vorgesehen, die werden administrativ unterstützt von Verwaltungsreferenten, der pastorale Raum selbst soll von einem Team aus Seelsorgern und einem Verwaltungsdirektor administriert werden. Wer mag, darf in diesem Konstrukt gern Aufstiegsmöglichkeiten für Laien suchen und entdecken. Der Frust scheint mir vorprogrammiert.

Wichtiger als eine theologisch saubere Struktur mit römisch-ordentlich ausgeübtem Hirtenamt wäre mir eine gut durchdachte und funktionierende Struktur. Wenn die wenigen vorhandenen Priester ihre Leitungsaufgaben nicht mehr ausfüllen können, dann braucht es saubere Delegation und Beauftragung. Insofern wird Leitung in Zukunft nur noch durch ein Team aus Frauen und Männern geschehen können, die das Vertrauen der Gemeinde und das des Pfarrers haben. Zumindest letzterer braucht dazu auch das Charisma, das Talent zur Leitung – und Delegation. Ich persönlich habe nichts dagegen, dass grundsätzlich ein Priester an der Spitze steht – nur muss dies jemand sein, der dies auch kann und ausfüllt.

Die Kehrseite der Allmacht des kirchlichen Hirtenamtes ist in der grassierenden Kirchenkrise deutlich zu Tage getreten. Es waren die Bischöfe, die ihrer Verantwortung gegenüber den missbrauchten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen nicht gerecht wurden und auch nicht ihrer Verantwortung als Chefs der Täter. So viel „wir“ habe ich in der Kirchen noch nie gehört, wie in der Frage, wer denn nun für das Versagen im Umgang mit Missbrauch zuständig war.

Im theologischen Ideal geht in einem Bistum alle Macht vom Bischof aus. Damit konzentriert sich aber auch alle Verantwortung auf diese eine Person. Aber diese Machtfülle hat auch eine Kehrseite. Am Beispiel des Kölner Erzbischof kann man diese aktuell in Deutschland besichtigen. Natürlich kann der Bischof in einem komplexen System, wie einer Diözese in Deutschland nicht alle Fäden in der Hand halten. Er ist damit nicht nur persönlich, er ist auch strukturell überfordert. Alle schauen auf ihn und warten auf seine Entscheidung oder zumindest auf seine Duldung von Entscheidungen. Am Ende erlebt man, dass es wieder niemand gewesen sein will. Weder der Bischof selbst noch die Entscheider in seinem Auftrag. Ein frustrierendes Pingpong-Spiel.

Misslingt Leitung, so wird es einsam um den Betreffenden, wie man am Fall des Limburger Bischofs und sicher auch im Erzbistum Köln beobachten kann. Oder es bleibt nur eine bestimmte Art Anhängerschaft, auch dies ist niemandem zu wünschen. Zumal deren Treue in aller Regel auch vergänglich ist. Ist das Vertrauen einmal futsch – dann ist es kaum noch zu kitten, selbst wenn die persönliche Schuld verzeihbar ist.

Um so wichtiger wäre es, dass in die Kirche eine Kultur geteilter Verantwortung gelebt wird. Wenn man den Gläubigen vor Ort zutraut, das Prinzip der Subsidiarität zu leben und die Entscheidungen, die die Gemeinde selbst betreffen – auch selbst zu fällen. Das rein demokratische Verfahren ist hier aber sicher auch nicht das „Non plus Ultra“. Über manche Glaubensthemen kann man nicht einfach abstimmen und hier sind die Mahnungen von Papst Franziskus bezüglich einer echte Synodalität wichtig. Andererseits kann man auch nicht solange verhandeln, bis ein fauler Kompromiss dabei heraus kommt. Und mit jenen eine Lösung zu finden, die für sich die unumstößliche Wahrheit des Glaubens beanspruchen, das kann einfach nicht gelingen, wie unserer Kirche ja in der unendlichen Geschichte der Verhandlungen mit der Piusbruderschaft immer wieder vor Augen gestellt wird. Insofern ist das Papstamt schon eine geistgewirkte Institution, eine Person, die die Einheit symbolisiert und für die Einheit arbeitet. Aber das ist ein lebendiger Prozess und nicht mit der Verkündigung von Dogmen oder dogmatisch aufgeladenen Entscheidungen erledigt.

Der Papst hat immer wieder schöne Impulse gegeben, wie er sich das Hirtenamt des Bischofs vorstellt. So in Evangelii gaudium 31 über den Bischof: „Darum wird er sich bisweilen an die Spitze stellen, um den Weg anzuzeigen und die Hoffnung des Volkes aufrecht zu erhalten, andere Male wird er einfach inmitten aller sein mit seiner schlichten und barmherzigen Nähe, und bei einigen Gelegenheiten wird er hinter dem Volk hergehen, um denen zu helfen, die zurückgeblieben sind, und – vor allem – weil die Herde selbst ihren Spürsinn besitzt, um neue Wege zu finden.“ Und weiter schreibt er: „Es ist klar, dass Jesus Christus uns nicht als Fürsten will, die abfällig herabschauen, sondern als Männer und Frauen des Volkes. Das ist nicht die Meinung eines Papstes, noch eine pastorale Option unter möglichen anderen. Es sind so klare, direkte und überzeugende Weisungen des Wortes Gottes, dass sie keiner Interpretation bedürfen...“

Ich weiß nicht, ob unsere Kirche einen Synodalen Rat braucht. Was aber notwendig ist, dass die Gläubigen auf überzeugende Art an der Entscheidungsfindung beteiligt werden, dass Frauen und Männer gleichberechtigt entscheiden können, was sie persönlich und die Gemeinde vor Ort betrifft und bewegt. Dabei kommt dem Pfarrer oder dem vom Bischof beauftragten Gemeindeleiter, Katechisten oder Diakon sicher eine besondere Aufgabe zu, die Einheit mit der Gesamtkirche und die Übereinstimmung mit dem Evangelium und der Lehre der Kirche sicher zu stellen.

Auf Dauer werden sich keine ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen mehr gewinnen lassen, wenn sie in ihrem Verantwortungsbereich nicht auch mitbestimmen können. Und die Frustrationstoleranz wird bei heutigen Ehrenamtlichen eher nicht größer, wenn sie mehrfach erleben müssen, dass der Pfarrer ihnen vor den Kopf stößt. Erst recht, wenn dieser im übernächsten Nachbarstädtchen amtiert und nur ab und an einem exklusiven Personenkreis im eigenen Sozialraum begegnet.

Und hier läge für mich auch der Ausweg aus der verfahrenen Situation, die die geweihten Amtsträger zunehmend zu überfordern droht. Die überlieferte Struktur der Kirche macht nach meiner Wahrnehmung nach wie vor Sinn. Aber die Hirtenaufgabe muss noch einmal deutlicher akzentuiert werden. Nicht jede Entscheidung, die heute noch dem Pfarrer oder Bischof zukommt, hat geistliche Qualität. In einer jüdischen Gemeinde – so hat es mir ein Rabbiner mal erklärt – käme niemand auf die Idee, ihm in seine Amtsausübung hineinzureden. In Sachen des Glaubenslebens ist der Rabbiner die Autorität. Er hat aber mit der Organisation der Synagoge oder der gemeindeeigenen Schule, Küche, Mikwe nur insofern zu tun, als dies den religiösen Bereich betrifft. In der Küche muss der die koschere Versorgung sicher stellen, in der Schule den Religionsunterricht und die Einhaltung der Gesetze. Aber ums kaputte Dach des Kindergartens kümmern sich andere und auch um die Aufgaben des Hausmeisters oder die Anstellung einer Erzieherin.

Wer das Hirtenamt der Bischöfe und die Andersartigkeit der Synodalität in der katholischen Kirche betont muss auch klarer und für die Gläubigen verlässlich definieren, was damit gemeint ist und was nicht. Und sich dabei zu Herzen nehmen, was Papst Franziskus in seiner Theologie des Hirtenamtes so nachdrücklich beschreibt. Wäre dies Wirklichkeit, so bräuchte es keinen Synodalen Weg. Und mir wäre um die Zukunft der Kirche weniger bange.

Hirten, nicht Herrscher: Papst Franziskus über die Gestalt des Bischofs (herder.de)

Das Thema scheint auch Andere zu beschäftigen. Hier ein Text eines Kirchenhistorikers, Thomas Jürgasch, Juniorprofessor für Alte Kirchengeschichte und Patrologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Tübingen: 

https://www.feinschwarz.net/was-macht-macht-perspektiven-eines-kirchenhistorikers-auf-bischoefliche-macht/?fbclid=IwAR3EmXmdsx1CvECkmjJ_jwgYJOxBxZhphAIEtZi0OYWPwQyVwTjm5C8VFrQ

Samstag, 11. März 2023

Maria macht mobil - Folge 1.0

(c) Synodaler Weg /
Maximilian von Lachner
Eines muss man den Akteuren von Maria 1.0 neidlos zugestehen. Es ist beeindruckend, welche Aufmerksamkeit eine doch überschaubare Gruppe von katholischen Aktivisten auf sich ziehen kann, wenn sie nur professionell genug agiert und in gewisser Weise einen Nerv in der Diskussion trifft. Zudem wecken sie Aufmerksamkeit, weil sie als junge Frauen für den Erhalt einer angeblich frauenfeindlichen Institution kämpfen. Am kommenden Dienstag kann man zur besten Sendezeit im Rahmen der Reihe 37 Grad im ZDF eine Dokumentation über die Gruppe sehen. (Ab Sonntag vorab in der Mediathek verfügbar). 

https://www.zdf.de/dokumentation/37-grad-leben/update-gescheitert-kirche-im-reformversuch-102.html

In der Öffentlichkeit wird Maria 1.0 durchaus als gleichgewichtige Gegenbewegung zu Maria 2.0 gehandelt und kann ihre Position als Kontrast hierzu in manchen Zeitungen darlegen. Die Aktivistinnen werden immer wieder auch für Interviews und Diskussionen angefragt. Witziges Detail: Auf der Cocktailkarte bei den abendlichen Begegnungen des Synodalen Weges im März 2023 gab es die Varianten 1.0 und 2.0 des Cocktails Bloody Mary.

Gegründet wurde Maria 1.0 als unmittelbare Reaktion auf die Initiative Maria 2.0, die sich im Kontext des Synodalen Weges Anfang 2019 zunächst in der Gemeinde Hl. Kreuz im Münsteraner Kreuzviertel bildete, aber bald Unterstützung durch katholische Frauenverbände wie die KFD und den KDFB erhielt. Durch einen sogenannten „Kirchenstreik“ und weitere Aktionsformen fand die Bewegung sehr viel öffentliche Resonanz. Nach drei Jahren sind einige prominente Aktivistinnen inzwischen aus der katholischen Kirche ausgetreten, was sie aber nicht hindert, sich weiter zu engagieren und weitreichende Reformen in der Kirche zu verlangen.

Für kirchlich-konservative Kreise war diese Bewegung offenbar ein rotes Tuch und so gründete die Schongauer Lehrerin Johanna Stöhr die Bewegung Maria 1.0, die Frauen sammeln wollte, die die deutliche Kritik an der Haltung der katholischen Kirche nicht teilten. Man könne die Kirche nicht „wie einen von Menschen gemachten Verein verändern.“ Mit den Worten: „Maria braucht keine Update!“ bringt die Gruppe, der sich bald weitere Frauen anschlossen, ihre Haltung bis heute auf den Punkt. Maria sei perfekt.

Inzwischen will man den Status einer Gegenbewegung zu Maria 2.0 überwunden haben und „ nimmt jetzt jedoch alle katholischen Themen in den Blick und verleiht so der katholischen Lehre eine Stimme“, wie man auf der Homepage nachlesen kann. Stöhr sah sich nicht als Traditionalistin, sie wolle „normal katholisch sein“ und sich „an der katholischen Lehre orientieren.“ https://www.youtube.com/watch?v=mhdI0Drmdus

Weil Johanna Stöhr mehr Zeit für die Familie haben wollte übernahm im Mai 2021 die heute 25jährige Clara Steinbrecher die Leitung der Initiative, weitere exponierte Vertreterinnen sind Jessica Brandstetter als Vize-Leitung Margarethe Strauss, die als Mag. Strauss auch mit zahlreichen Youtube-Videos im Netz präsent ist und die Journalistin Dorothea Schmidt, die schließlich von der deutschen Bischofskonferenz als Vertreterin der Bewegung in den Synodalen Weg berufen wurde und diese Position auch für einen sehr kritischen Blog und zahlreiche Artikel in der Tagespost nutzte.

Wer und was ist nun die Bewegung Maria 1.0?

Per Selbstdefinition ist sie lt. Dorothea Schmidt dies: „Der innere Kern von Maria 1.0 sind junge, ehrenamtlich tätige Frauen, vor allem junge Mütter, die abends neben Beruf und Familie Interviews geben, Newsletter schreiben, organisieren et cetera. Ich denke, es gibt unzählige Menschen auf der ganzen Welt, die uns im Gebet unterstützen und die vor allem den Spirit von Maria 1.0 leben, die mit der Muttergottes leben, sie lieben und sie zum Vorbild haben.“

Konkret spricht man von Unterstützerzahlen von ca. 3.000 – 5.000 Katholiken in Deutschland und teilweise hierüber hinaus. 4.481 Menschen folgen deren Facebook-Auftritt. Den offenen Brief an den Vorsitzenden der Bischofskonferenz Bischof Georg Bätzing vom Sommer 2022, in dem dieser aufgefordert wurde, die Zusammenarbeit mit der Präsidentin des Zentralkomitees der dt. Katholiken aufzukündigen, unterschrieben ca. 2.600 Katholiken, darunter auch viele bekannte Protagonisten der konservativen Kirchenszene. Eine formale Mitgliedschaft scheint es nicht zu geben, auf der Homepage kann man sich mit seiner Adresse als Unterstützer*in eintragen. Selbst spricht die Bewegung jedoch von ca. 50 Unterstützern und Unterstützerinnen, wobei man auch Männer in diesen Reihen sieht.

Mit dem offenen Brief an Bischof Bätzing wollte man „dem stillen Schrei der treuen Katholiken" Gehör verschaffen. Mit auffallender Deutlichkeit werden in Presseerklärungen und weiteren Wortmeldungen der Bewegung auch Bischöfe angegriffen und belehrt. Ganz zu Schweigen von den Diskussionen, die auf Social Media geführt werden.

Am 28. Februar 2022 besuchten Clara Steinbrecher, Jessica Brandstetter und Johanna Stöhr den apostolischen Nuntius, Dr. Nikola Eterović, der die Gruppe angeblich ermutigte „weiterzumachen“ und deren Arbeit lobte. Auch Bischöfe lobten die Gruppe und empfingen sie wie z.B. Bischof Rudolf Voderholzer von Regensburg oder der vormalige Bischof von Augsburg Konrad Zdarsa. Kardinal Kurt Koch traf Clara Steinbrecher, auch gab es Begegnungen mit einigen weiteren Bischöfen.

Als wesentliches Thema ihres Engagement benennt die Bewegung auch den Lebensschutz, u.a. durch Präsenz beim "Marsch für das Leben".

Darüber hinaus strebt man eine stärkere Vernetzung sog. glaubenstreuer Kreise an. „Ein großer Wunsch von uns wäre, dass Maria 1.0 eine Art Sammelstelle für verschiedene katholische Initiativen und Bewegungen wird. Deshalb sind wir dabei uns mit anderen katholischen Gruppierungen zu vernetzen und wollen u.a. die Bandbreite dieser katholischen Angebote über unsere Kanäle darstellen.“ Quelle: Kath.news

Nach meiner Wahrnehmung hat Maria 1.0 inzwischen die katholische Mitte klar verlassen., Das ist immer wieder spürbar, so z.B. kürzlich auf der Facebook-Seite von Maria 1.0 als dort die Mundkommunion diskutiert wurde. Hier kommt einem der Text vor, wie von einer Traditionalisten-Seite abgeschrieben, wenn hier z.B. vom „Novus Ordo“ die Rede ist. „VA II hat weder die Kommunionbank abgeschafft, noch die Handkommunion eingeführt. Letzteres erfolgte eigenmächtig durch einige europäische Bischöfe.“ Die folgende Diskussion ist dann wirklich erhellend, wie überhaupt der Kreis jener, die sich dort als Freunde der Bewegung äußern.

Konkret gelang es der Bewegung, bei der Frühjahrsvollversammlung in Dresden 35 Gebetsdemonstrant*innen für eine Gebetsdemo zu motivieren, wobei der Anteil junger Menschen bei unter einem Dutzend blieb. Etwas größer war die Gruppe beim der Gebetsdemonstration bei der heute beendeten Versammlung des Synodalen Weges in Frankfurt. Man sei mit 14 Personen vor Ort. Hier in Frankfurt wurden sie flankiert von Demonstranten der Bewegung TFP, für Tradition, Familie und Privateigentum, mit deren auffälligen roten Fahnen. In Dresden waren Demonstranten von Pro Missa Tridentina präsent. Auf Transparenten in Dresden und Frankfurt wurden Bischöfe als „Mietlinge“ tituliert – im Sinne der Worte Jesu aus dem Evangelium, als Hirten, die vor der Verantwortung fliehen, weil sie nur bezahlte Knechte sind. In den Kommentarspalten klingt das dann unwidersprochen so: „Weicheier mit Mitra“, „modernistische Zeitgeistgefocuste Karrieretiger“.

Für einen Skandal sorgte Maria 1.0 aktuell mit einem auf allen sozialen Medien verbreiteten Filmschnipsel aus der Performance, die im Frankfurter Dom das Thema des Missbrauchs in den Focus stellen wollte. Teil dieser Inszenierung war eine Tanzperformance, die von der Gruppe in einem – interessanterweise – englischsprachigen Kommentar als „satanisch“ und „dämonisch“ bezeichnet wurde. Die Kirche sei hierdurch entweiht (desecrating) worden. Auch eher konservative Bischöfe wie Bischof Oster und wohl auch Kardinal Woelki distanzierten sich daraufhin von dieser Wortmeldung, auch sonst gab es viel Kritik. Maria 1.0 verteidigte diese Sicht jedoch vehement in den Kommentarspalten und bat um Unterstützung aus der Weltkirche, was wohl auch von vornherein so intendiert war.

Nachvollziehbar ist sicherlich das Unbehagen, die Frankfurter Hauptkirche zum Schauplatz einer Performance zu machen. Das verwendete Vokabular und die Skandalisierung machen jedoch darauf aufmerksam, dass Maria 1.0 längst zum Kristallisationspunkt einer eher ultrakonservativen und rechthaberischen Kirchenszene geworden ist. Die Gruppe ist mitnichten einfach nur ein Zusammenschluss jener, die „normal katholisch“ bleiben wollen, sondern längst tief vernetzt mit Personen und Bewegungen wie z.B. TFP, Petrusbruderschaft, Forum Deutscher Katholiken, „Neuer Anfang“, „Pro Missae Tridentina“. Der Kanal des TFP-Aktivisten Mathias von Gersdorff wird vom Maria 1.0 am 23.2.23 auf facebook ausdrücklich empfohlen. Dieser arbeitet sich mit täglichen Videostatements am Synodalen Weg, den Bischöfen und seinen Unterstützern ab. Für einen Eindruck sollte man ruhig einmal seinen Kanal aufsuchen. Es ist schon ein sehr besonderer Ton, der hier angeschlagen wird.


Zum Ende der Synodalversammlung demonstrierte eine Gruppe der KJB, der Jugendorganisation der Piusbruderschaft vor dem Tagungsgebäude am "Kap Europa" mit einer "Gebetskundgebung". Maria 1.0 schreibt dazu bei facebook: "Ein Teil unseres Teams harrte bis zum Nachmittag am Lifestream aus, während eine zweite Abteilung sich aufmachte, um einer gleichgesinnten Jugendgruppe bei einer Glaubenskundgebung Verstärkung zukommen zu lassen. Clara bog von dort aus zu einem Interview ab. Am Nachmittag beteten wir mit der erwähnten Jugendgruppe den Rosenkranz vor dem Dom, während die Synodalen zur Abschlussmesse einzogen, welche mit allen notwendigen Elementen wie Laienpredigt und Abweichung von den liturgischen Vorgaben versehen war." Auf den Fotos und Filmen der Proteste sind die markanten Transparente der KJB "Der synodale Irrweg" deutlich zu erkennen und auch die Maria 1.0 - Aktiven mit einem Transparent "Nein zu Häresie und Schisma". Bemerkenswerte Koalitionen!

Ich habe gar keine Schwierigkeiten mit frommen und konservativen Überzeugungen. Im Gegenteil, diese müssen unter dem Dach der katholischen Kirche Raum haben und mehr als nur Duldung oder Gastrecht.

Selbst über die aktuelle Diskussion um die sogenannte „Alte Messe“ und die vatikanischen Maßnahmen dagegen bin ich sehr unglücklich. Das Vorgehen des Vatikans wird die Probleme nicht lösen. Natürlich ist die Argumentation des Hl. Stuhls nachvollziehbar. Der Kern des Problems liegt aber nicht in der traditionellen Liturgie selbst oder gar bei jenen, die ihre Spiritualität in der alten Messe, den lateinischen Gebeten, der Hochachtung vor dem künstlerischen Ausdruck der katholischen Tradition und Vergangenheit, der Freude am gregorianischen Gesang suchen und darin Gott begegnen.

Schwierig wird es aber dann, wenn die erneuerte Liturgie als minderwertig, ungültig oder häretisch angesehen wird. Und schwer wird es – gerade auch in Sinne der angestrebten Synodalität – wenn die Diskussionen sich so zuspitzen, dass es nicht in erster Linie die Spiritualität ist, die mir persönlich und meinem Glauben gerecht wird, sondern die Spiritualität, der nach meiner Meinung die ganze Kirche, ja möglichst die ganze Welt folgen sollte und die zum Hebel wird, andere Gläubigkeiten und Spiritualitäten auszugrenzen.

Genau diese Haltung hat aber in der Kirche zugenommen, übrigens durchaus auch im reformerischen Lager. Der Stil, in dem liberale Katholiken sich zu Wort melden ist leider wenig erfreulich, ja manchmal geradezu abstoßend. Die Klagen von Dorothea Schmidt über ihre Erfahrungen auf dem Synodalen Weg sind sicher nicht aus der Luft gegriffen. Wenngleich sie selbst auch nicht zimperlich ist.

Ich bin fest überzeugt, dass wir als Kirche von den Bewahrern der alten Traditionen profitieren, dass sie die Reflektion über den richtigen Weg der Kirche bereichern. Sie müssen Raum haben in unserer Kirche, ohne als überkommen gebrandmarkt und marginalisiert zu werden. Aber ihr Weg ist ihr Weg und nicht das Rezept für den Weg der ganzen Kirche. Im Stil der Amish-People, der Piusbruderschaft, der Gruppe von Palmar oder als Katholiban haben wir keine Zukunft.

Gesunden Zulauf werden auch traditionsverbundene Gruppen nur haben, wenn sie sich offen und einladend zeigen und vor allem ihren Mitgliedern auch jederzeit ermöglichen, dieses Umfeld, den eigenen Raum ganz entspannt wieder zu verlassen – wenn es letztendlich nicht zur Person passt. Im Raum einer einzig wahren und unfehlbaren Religion und Spiritualität besteht – das mussten wir als Kirche bitter erfahren – ein großes Risiko des spirituellen und sonstigen Missbrauchs. Der Glaube muss uns in die Freiheit führen, auch der recht verstandene Gehorsam gegenüber religiösen Autoritäten.

Unerfreulich wird es leider immer wieder, wenn man versucht, über die unumstößlichen Positionen zu diskutieren. Erst recht, wenn diese für sich in Anspruch nehmen, dass sie die reine Lehre der Kirche, die Lehre an sich repräsentieren. In dieser Gefahr sehe ich die Protagonisten von Maria 1.0 inzwischen deutlich. Es ist eine gewisse Hybris spürbar, wenn eine junge Studentin glaubt einen katholischen Bischof einfach so als Häretiker verdammen oder als „Mietling“ brandmarken zu können. Ich glaube einfach, auf diese Weise leistet man weder der Diskussion noch der Sache der Kirche einen hilfreichen Dienst.


Abschließend noch einige Informationen über wichtige Aktivisten von Maria 1.0, die diese öffentlich in Interviews und Wortmeldungen bekannt gemacht haben:

Clara Steinbrecher stammt aus München. Sie ist Studentin für das Gymnasiallehramt mit den Fächern Mathematik und Schulpsychologie und seit letztem Jahr mit Felix Steinbrecher (wiss. MA an der theol. Fakultät, Eichstätt) verheiratet. Nach eigener Aussage hat sie die Gemeinschaft Emmanuel kennengelernt und engagierte sich bei der Jugend 2000 in Eichstätt. Prägend sei für sie auch der „Vetus ordo“, die Messe, wie sie früher gefeiert wurde. Dies verbinde sie mit der „Kirche aller Zeiten.“ Sie lebt in Eichstätt. Ihr Ehemann war offenbar früher auch in der Nightfever-Bewegung engagiert. Aktuell strebt er seine Promotion an.

Jessica Brandstetter lebt ebenfalls in Eichstätt. Sie kommt aus einer eher atheistischen Familie, hat dann aber zum Glauben gefunden, sich firmen lassen und „geht wie Clara auch gern zum alten Ritus“.

Dorothea Schmidt kommt aus Peiting im Erzbistum München. Sie gehört offenbar zur ersten Generation von Maria 1.0. 2019 war sie mit Johanna Stöhr und Katrin Schwegele beim Regensburger Bischof zum Gespräch. Sie arbeitet als „freie Journalistin“ und hat unter dem Titel „Pippi Langstrumpf – Kirche“ ein Buch über ihre Erfahrungen beim Synodalen Weg geschrieben. „Ich mach mir die Kirche … wie sie mir gefällt....“ Schmidt hat den Synodalen Weg vor der letzten Versammlung öffentlichkeitswirksam verlassen, gemeinsam mit drei weiteren Frauen. Zur Begründung sagte sie auf Domradio: „Ich habe auf echte Debatten gehofft, auf sachliche Debatten, einen echten Austausch, eine echte Suche auch nach dem Willen Jesu für die Kirche, damit wir die Krise überwinden können. Aber von Anfang an habe ich mich auf einer rauen politischen Bühne befunden, in der es im Tauziehen um Mehrheiten ging, statt um ein Ringen um die Wahrheit.“ Es gab auch immer wieder Emotionalisierungen, die den notwendigen sachlichen Diskurs einfach ersticken. Denn bei Emotionalisierung gewinnt immer der, der die extremsten Gefühle zeigt. Aber die Kirche ist doch eine Familie, keine politische Bühne. Sie ist der Leib Christi mit Christus als Haupt. Da hätte ich mir eine echte Suche nach der Wahrheit im Gebet gewünscht.“

Dr. Margarete Strauss scheint erst später dazu gestoßen zu sein. Sie stellt sich selbst auf ihrem Blog so vor: „Als katholische Theologin und Publizistin setze ich mich mit meinem Internet-Apostolat für die Neuevangelisierung unserer Gesellschaft und eine kniende Theologie in unserer Kirche ein.“ Sie wurde in Karaganda, Kasachstan geboren und kam mit ihrer Familie als Spätaussiedlerin nach Deutschland. Als „Familie Berger“ ist die Familie auch musikalisch aktiv. Sie studierte an der Universität Münster und promovierte im Fach „Exegese des Neues Testaments“ bei Prof. Dr. Adrian Wypadlo.