Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen zwischen der offiziellen katholischen Kirche und der Piusbruderschaft steht die Frage der Liturgiereform. Die Bruderschaft hält an der ausschließlich lateinischen Liturgie fest, wie sie bis zum 2. Vatikanischen Konzil in der Katholischen Kirche gefeiert wurde. Und sie lehnt zahlreiche weitere Reformen dieses Konzils entschlossen ab.
Nun sehen wir in diesem Video einen katholischen Bischof, der sich 1:1 die Haltung der Piusbruderschaft zu Eigen macht. Er tritt – ohne jedes kritische Wort – als Botschafter dieser Gemeinschaft auf und klagt Papst Franziskus an, die Kinder der Kirche „hungern“ zu lassen und Verantwortlich für eine große Wunde zu sein, die sich zu einer giftigen Furunkel entwickele.
Hintergrund der bischöflichen Empörung sind die Einschränkungen für die Feier der alten Liturgie, die Papst Franziskus kürzlich verfügt hat, weil er im Kreis von deren Anhängern vor allem eine beinahe romantische Verklärung der Vergangenheit beobachtet und die irrationale Hoffnung, wenn man nur zu Haltungen und liturgischen Formen glorreicher Zeiten zurückkehre – so wäre die Krise der Kirche überwunden.
Und als wolle Bischof Huonder diese Haltung des Papstes bestätigen, so liegt er argumentativ genau auf dieser Linie. Man kommt aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus. Hier spricht ein Bischof, der aufgrund seiner Haltung nachhaltig Unfrieden in seiner Diözese gestiftet hatte. Man blicke nur zurück auf die letzten Jahre seiner „Regentschaft“ und wie sehr auch konservative Katholiken in den Schweizer Bistum aufatmeten, als endlich ein Versöhner (ausgerechnet ein Opus-Dei-Mann) zum Bischof gewählt wurde. Was von Huonders Anhängern zuvor noch mit schmutzigen Verfahrenstricks sabotiert werden sollte.
Besonders entlarvend erweist sich das von Huonder verwendete Bild, für das er zunächst noch ausgerechnet Erzbischof Gänswein und den verstorbenen Papst Benedikt XVI. vor seinen Karren spannt, indem er dessen angebliche Wortmeldungen bei der Frühstückslektüre des „Osservatore Romano“ zitiert. Nach dieser zurecht gebogenen „Steilvorlage“ versteigt sich Huonder zu der Formulierung, es ginge darum „eine Große Wunde zu heilen, denn sie blutet immer noch, sie blutet neuerdings, die Kirche leidet mehr denn je an dieser Wunde, sie wird größer, sie wird zu einem giftigen Furunkel, der den ganzen Körper in einen schlimmen Fieberzustand versetzt.“
Man fragt sich einen Moment, ob man recht gehört hat. Offenbar hatte sich der Bischof in sein Bild derart verliebt, dass er gar nicht merkt, wie schräg das alles ist. Denn einen giftigen Furunkel, das weiß schon der Karl May – Leser, muss man aufstechen, die Wunde muss gereinigt werden (mancher Traditionelle schwört hier noch auf die sogenannte Zugsalbe). „Die Ärztin oder der Arzt öffnet den Eiterabszess mit einem kleinen Schnitt, desinfiziert die Wunde und legt Stoffstreifen ein, die den Eiter aufsaugen und ableiten. Die Wunde heilt offen aus, muss also nicht vernäht werden.“
Dieses Bild wendet sich in einer Weise gegen die Piusbruderschaft, dass man beinahe hofft, der Bischof hätte sich diesen Gedankengang gespart.
Ich habe es an anderer Stelle schon gesagt, dass ich bezüglich der Einschränkungen für den traditionellen Ritus die Einschätzung des Hl. Vaters nicht teile. Allerdings kann ich seine Sorge um die Einheit der katholischen Liturgie verstehen. Und offensichtlich ist es ja so, dass die ausgestreckte Hand von Papst Benedikt XVI. nicht ergriffen wurde. Im Gegenteil, man hat den Hl. Vater damals stehen lassen, hat ihn zu vereinnahmen versucht, hat seine Hand zurückgeschlagen oder versucht ihn über den Tisch zu ziehen. Die Videos von Bischof Huonder machen das noch einmal überdeutlich. Es gibt für ihn nur einen Weg der Reform in der Kirche, das ist die Umgestaltung dieser Kirche nach dem Vorbild der Piusbruderschaft. Nach meiner Wahrnehmung ist das eine ungeeignete Medizin, deren Prinzipien eher jenen der Homöopathie ähneln als jenen der modernen Medizin oder selbst jenen des Mittelalters.
Die Ursache für die Krise der Kirche sind vielschichtig und liegen mitnichten darin, dass die Kirche sich mit dem 2. Vatikanum (noch dazu allzu spät) geweigert habe, den Weg in ein selbstgewähltes katholisches Ghetto zu gehen, sondern sich entschied „Sakrament für die Welt“ und „Ferment der Versöhnung“ in der Gesellschaft sein zu wollen. Mir kommt die Piusbruderschaft vor wie eine Amish-Gemeinde, wie die Gemeinschaften chassidischer Juden in Israel und den USA oder die Wahhabiten im Islam. Man beschreibt ein Glaubensideal, das nur in Abschottung und Abgrenzung von der modernen Welt gelebt werden kann. Man hat ein relativ einfaches Glaubensideal, das zum Allheilmittel aller Probleme und zum Weg der Erlösung stilisiert wird mit einzelnen Bausteinen, die nicht ohne Wahrheit und Überzeugungskraft sind und für die man göttliche Geltung beansprucht.
Kompromisse sind von dieser Position aus nicht möglich. Diese Konstrukte sind erstaunlich stabil, in einem gewissen Umfang sicher auch missionarisch. Ich lasse an dieser Stelle aber die Frage offen, ob sie einen Weg in die Zukunft darstellen oder nicht letztendlich eine Ursache des Fiebers und der gesellschaftlichen Spannungen sind, unter denen die Menschheit so leidet. Im Bereich des Islam muss man diese Frage leider mit ja beantworten. Auch Huonder zitiert Benedikt XVI. Mit den Worten „es sei immer gefährlich, eine Gruppe von Gläubigen in die Ecke zu drängen“ und ihren das Gefühl zu vermitteln „verfolgt zu sein.“
Nur, wäre es nicht seine Aufgabe als Bischof, als Pontifex, zur Befriedung beizutragen, statt derlei Ängste und Sorgen anzuheizen?
Es ist nicht allein die Haltung der römischen Kirche, die die Wunde der Liturgiereform nicht hat heilen lassen (auch wenn hier viele Fehler gemacht wurden und werden). Es ist aber in erster Linie die ideologische Abschottung der Piusbrüder, die die Transformation der schmerzenden Wunde in einen eiternden Furunkel erst ermöglich hat. Um das Bild des emeritierten Bischofs weiter zu strapazieren.
Zum Ende seines Films fabuliert der Bischof dann von einer angeblichen „innerkirchlichen Verfolgung“ und sieht sich in der Tradition des Ambrosius im Kampf gegen den sog. „Arianismus“ der frühen Kirche und zitiert dazu den Kirchenvater Basilius mit dessen Reflektion der Verfolgung der Glaubenstreuen im 4. Jahrhundert des Christentums. Er spricht von „Hetzjagden“ gegen die Anhänger der überlieferten Liturgie und es klingt, als würden Menschen (wenn nicht jetzt – dann aber bald - massenhaft verbannt, verbrannt und ermordet. Das Gegenteil ist der Fall. Mit der Autorität des Bischofsamtes irrlichtern eine ganze Reihe einst katholischer Bischöfe durch die Welt und sägen munter an den Stuhlbeinen der päpstlichen Kathedra.
Kein Wunder, dass auch die diesbezüglichen Hemmungen der liberalen Gegenseite in den letzten Jahren gefallen sind.
Fast kommen einem die Tränen, wenn man den Bischof abschließend seine Anklage an den Papst (der ihn angeblich nicht mehr empfangen würde) formuliert: „Was veranlasst ihn dazu? Warum nimmt er den Kindern das Brot weg? Was veranlasst ihn dazu sie hungern zu lassen? Was veranlasst ihn dazu sie zu Grunde gehen zu lassen. … Sie haben ein Recht auf diese Nahrung. Ich betonte, sie haben ein Recht auf DIESE Nahrung.“
Lieber Bischof Huonder, der Papst lässt die Kinder nicht hungern. Er lädt sie ein. So zum Beispiel in die Pauluskirche nach Voerde. Dort lässt er ihnen das Brot reichen. Am Samstag um 18.30 Uhr, am Sonntag um 9 Uhr und um 11 Uhr. Dazu noch in der Woche am Montag, Donnerstag und Freitag. Und wenn der Geschmack des Brotes dort nicht genehm ist: es gibt auch noch das Stift Heiligenkreuz, es gibt die Bethlehemschwestern in den hesssischen Wäldern und auf der Kinderalm, es gibt die Priorate der Petrusbruderschaft und Maria Vesperbild, des gibt Neviges, Banneux und das Kloster Beuron. In beinahe jeder kleinen Kapelle wird das Hl. Opfer dargebracht und das „Brot vom Himmel“ gereicht. Und kein Priester wird dem traditionellen Katholiken die Tür vor der Nase zuschlagen, wenn er vor der Hl. Messe die Beichte ablegen möchte.
Der Papst lässt seine Kinder keineswegs hungern. Es sind (die glücklicherweise wenigen) Bischöfe wie Vitus Huonder, die mit Gewalt die Türen der Brotschränke geschlossen halten, indem sie suggerieren, dass nur die alte Liturgie zum Heil führt und indem sie die erneuerte, gültige Liturgie der Kirche für minderwertig, ja wertlos erklären.
Und nicht nur das. Letztendlich stehen sie auf diese Weise auch dem sehr berechtigten Anliegen von Papst Benedikt XVI. im Wege, die Schwächen der Liturgiereform nach dem 2. Vatikanum tatsächlich und von der Wurzel her anzugehen. Benedikt XVI. hat sich eine Reform der Reform gewünscht und gehofft, dass die von ihm verfügten Öffnungen und Erleichterungen für die alte Liturgie zu einer offenen Atmosphäre des Dialogs, ja zu einer neuen liturgischen Bewegung führen. Das Gegenteil war (zumindest im Umfeld der Piusbruderschaft der Fall). Zunächst wurde offenbar, dass inzwischen auch höchst unappetitliche Kreise an der Bruderschaft angedockt hatten, wie der Skandal um den Holocaustleugner Bischof Williamson beispielhaft offenbarte. Aber auch weitere zweifelhafte Persönlichkeiten zeigten sich in diesem Kontext. Im Zuge der hierdurch entstandenen Krise scheiterten dann auch alle Bemühungen, die Bruderschaft wieder unter den Schirm der regulären katholischen Kirche zu integrieren.
Diese versammelte sich nämlich wieder stärker um den traditionalistischen Kern, entmachtete die reformbereiten Kräfte und entschied sich, weiter „das eigene Ding“ zu machen. Im Zuge dessen entstanden sogar einige neue Ableger, die man in der Wortwahl von Bischof Huonder wohl als komplett eingekapselte Furunkel betrachten muss, die glücklicherweise (hoffentlich) keinen Schaden mehr anrichten können. Obwohl...
Kommen wir noch einmal auf Bischof Huonder zurück. Es bedrückt, dass er in einem Internat lebt, wo junge Menschen in diese Gedankenwelten hinein geführt werden. Ja, wo Nachwuchs für diese Form einer Restauration der Kirche herangezogen wird. Nach seiner Emeritierung wollte Huonder den Dialog mit der Bruderschaft fördern. Mit seinen Videos zeigt er nun, dass er die Brücke überschritten hat und längst auf der Insel angekommen ist. In seinen Videos zeigt er sich als Bischof der Piusbruderschaft, an deren Haltung nicht der Hauch einer Kritik spürbar wird. Dialog bedeutet ein Ringen um die Wahrheit, ein Durchdenken auch der „gegnerischen“ Haltung und Position. Sowenig dies in der offiziellen Kirche der Schweiz und Deutschlands mit der Haltung der Piusbruderschaft zu geschehen scheint, so wenig geschieht dies bei Bischof Huonder und der Bruderschaft. De facto gibt es keinen Dialog, de facto dient der Dialog, dienten diese Videos allein der Mission für die eigene Position. Der Bischof ist kein Brückenbauer mehr, er ist ein Missionar einer anderen Kirche geworden. Konsequenterweise müsste man ihn auch offiziell in die Bruderschaft aufnehmen und aus dem Annuario Pontifico, dem päpstlichen Jahrbuch streichen, das u.a. die Namen der römisch-katholischen Bischöfe nennt. Da die Position des aus der Bruderschaft ausgeschlossenen Bischofs Williamson ja vakant geblieben ist, könnte er dessen Nachfolge antreten. Da die Bruderschaft ja durchaus erfolgreich missioniert, wäre sein Einsatz auch notwendig.
Offen fordert Bischof Huonder gar eine Entschuldigung der römischen Kirche gegenüber der Piusbruderschaft. Und selbst hier bringt er einen verborgenen und zutiefst vergifteten Seitenhieb ein, der erst beim zweiten Hören in seiner Ungeheuerlichkeit offenbar wird. Er spricht von "Phantomgräbern", für die sich die Kirche entschuldigt habe. Mit diesem Begriff dürfte er sich auf den Skandal der in Irland und Kanada im Umfeld katholischer Internate und Heime aufgefundenen Gräberfeldern, die für einen gewaltigen Skandal gesorgt hatten. Dort waren in katholischer Obhut verstorbene Kinder von unverheirateten Mädchen bzw. indigenen Völkern beigesetzt worden. Strittig ist, inwieweit die Kirche hier allein verantwortlich zu machen ist und was man konkret den damaligen Priestern, Ordensschwestern und Erzieher*innen vorzuwerfen hat. Trotzdem aber decken diese Skandale schreckliche Zustände auf, die ihre Ursache auch in einer moralischen Selbstüberhebung der Kirche haben, die durchaus auch Menschen ins Unglück gestürzt hat. Diesen komplexen Zusammenhänge mit der Wendung "Phantomgräber" zu marginalisieren ist im Grunde eine Ungeheuerlichkeit, die eines Bischofs unwürdig ist. Dafür empfinde ich eine gewisse Scham, weil ich Huonders Wirken in Chur vor vielen Jahren noch positiv gedeutet und teilweise verteidigt habe.
Einstweilen wird noch viel Wasser den Tiber herab fließen, bevor es zu einem Kirchenmodell kommt, wo möglicherweise eine Piusbruderschaft, eine Communauté von Taizé, ein Kartäuserorden und eine Lebensgemeinschaft katholischer Familien wie auch eine Gruppe feministisch gesinnter Katholiken versöhnt mit- und nebeneinander unter dem Dach der einen heiligen, weltweiten und apostolischen Kirche existieren könnten. Und die ohne aus der Hl. Schrift und den Worten der Heiligen und Päpste Knüppel, Sensen und Dreschflegel zu machen, die man „den Anderen“ um die Ohren haut. Und in der eine Vielfalt römisch katholischer Liturgieen gefeiert werden, vom einfachen Wortgottesdienst über einen Ritus von Zaire (oder vom Amazonas) bis hin zu einer reformierten katholischen (gerne auch lateinischen) Hochliturgie. Dazu sicher weiter der mozarabische und ambrosianische Ritus und in den Kapellen der Piusbruderschaft ein tridentinischer Ritus nach einer neu aufgelegten Variante der Messbücher von vor 1962. Verbindend wird in dieser Kirchenvision das Wort des Herrn, die frohe Botschaft des Evangeliums sein und nicht das Messbuch des Konzils von Trient und der Syllabus errorum. Ob die Bruderschaft auch einmal unter dieses Dach schlüpfen wird, das liegt ganz allein in deren Hand.
Die Filme des Bischofs verlinke ich diesmal nicht, da sie leicht bei Youtube zu finden sind.
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