Mittwoch, 21. März 2018

Ja was denn nu? Gehört er dazu oder nicht? Der Islam? Und welcher?

Diesem Social-Media-Bildchen der CSU und der
darin dokumentierten Meinung vermag ich
keineswegs zuzustimmen. Aber es illustriert wunderbar
die hier im Blog bedachte Thematik.
Zwei Erkenntnisse habe ich beim Schreiben dieses Textes schon mal gewonnen: Die Antwort wird länger und - es wird Widerspruch geben. Nun denn - trotzdem los...

Man mag zu Horst Seehofer stehen wie man will – eines muss man neidlos anerkennen: er ist ein politischer Fuchs. Das bewies er just nach der Regierungsbildung in Deutschland wieder als frisch gebackener Heimatminister, indem er in einem Interview auf die Frage der Journalisten, ob der Islam zu Deutschland gehöre, folgendes zum Besten gab: "Nein. Der Islam gehört nicht zu Deutschland. Deutschland ist durch das Christentum geprägt. Dazu gehören der freie Sonntag, kirchliche Feiertage und Rituale wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten."
Die in Deutschland lebenden Muslime, so Seehofer weiter, gehörten aber "selbstverständlich" zu Deutschland. Aber das bedeute nicht, "dass wir deswegen aus falscher Rücksichtnahme unsere landestypischen Traditionen und Gebräuche aufgeben".

In der „Welt am Sonntag“ verteidigte er seine These und sagte: „Dass Deutschland geschichtlich und kulturell christlich-jüdisch und nicht islamisch geprägt ist, kann doch niemand ernsthaft bestreiten.“

Schließlich ließ die WELT noch erfragen, inwieweit Seehofer mit seinen Aussagen die Überzeugungen der Deutschen insgesamt treffe. Mit dem wenig überraschenden Ergebnis: „Horst Seehofer bekommt viel Zuspruch für seine Aussage, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. 76 Prozent der Deutschen stimmen ihm zu.“ Nimmt man noch die Unentschlossenen dazu, bleiben gar nicht mehr so viele Leute in Deutschland übrig, die sich hinter den damaligen Bundespräsidenten Wulff stellen, der mit dem Satz „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“ 2010 in die Geschichtsbücher eingegangen ist.

Mal am Rande bemerkt: die AfD kann sich beruhigt zurücklehnen und mit ihr alle, die sich vor der Islamisierung fürchten. Selbst inclusive aller GRÜNEN und der westdeutschen Linken findet sich nur eine klare Minderheit von 11 – 20 %, die Horst Seehofer widerspricht. Das rückt die Unterwerfung (Michel Houellebecq) doch – wenn überhaupt – in eine ziemlich ferne Zukunft.

Doch Seehofer „trifft den Nerv“, sein Kalkül scheint aufzugehen. Die bayrische Landtagswahl steht vor der Tür und wenn ein politischer Fuchs wie Horst Seehofer auf diese Weise „preiswert“ das Revier für die CSU markieren kann... …warum sollte er die Gelegenheit ungenutzt lassen?

Doch: die Zustimmung zu seinen Aussagen ist das Eine. Aber nicht immer ist das, worauf sich Mehrheiten einigen auch die Wahrheit. Wer weiß das besser als wir Kenner des Evangeliums, denkt man an die Frage des Pilatus - und die Folgen.

Seehofer macht ja eine bemerkenswerte Einschränkung: Der Islam gehöre nicht zu Deutschland, da Deutschland durch das Christentum geprägt sei. Die Muslime jedoch gehörten selbstverständlich zu Deutschland, das deshalb aber nicht seine landestypischen Traditionen und Gebräuche aufgeben werde.

Da fragt sich der Theologe unmittelbar: Fehlt da nicht etwas? Ist nicht sonst immer von den jüdisch-christlichen Wurzeln der europäischen Kultur die Rede? Gilt das jetzt für Deutschland nicht (mehr)?
Aber gehen wir einmal davon aus, dass selbst dem politischen Fuchs Seehofer da an dieser Stelle was verloren gegangen ist, schließlich fiel ihm kürzlich auch der Begriff Heimat-Muse(nisterium) auch nicht unmittelbar ein. Dennoch bleibt hier schon eine bemerkenswerte Leerstelle, über die Frau Knobloch mal mit Herrn Seehofer reden sollte. Ich denke, er wird sich dann sehr bemühen, den Beitrag jüdischer Künstler und Wissenschaftler für die deutsche Kultur umfassend zu würdigen.

Und der Islam? Ich frage mich, warum niemand in dieser Debatte die gelebte Kultur und Religion von Millionen von Gastarbeitern, vornehmlich aus der Türkei, aber auch aus Marokko und anderen arabischen Ländern, die Kultur der Flüchtlinge aus Bosnien oder der iranischen Ärzte und Ingenieure in den letzten 50 Jahren für erwähnens- und bemerkenswert ansieht? Ist Kultur also erst etwas, wenn sie bis ins Mittelalter zurückreicht? Seit über 50 Jahren leben Muslime mitten unter uns und sie beten in ihrem Moscheen, sie fasten, sie betreiben Gaststätten, Imbissbuden, Marktstände und Läden und vieles mehr.). Es gibt selbst in Bayern keine Stadt, wo nicht auch Dönerbuden mit Weißwurstständen friedlich koexistieren.

Zumindest für das vergangene halbe Jahrhundert müßte auch ein Seehofer konstatieren: „Ja, der Islam ist ein Teil Deutschlands“, zumal zahlreiche dieser muslimischen Gastarbeiter (und ihre Kinder) längst Deutsche geworden sind. Und selbst die Probleme der Integration sind inzwischen ein Teil des deutschen Alltagslebens und damit auch der deutschen Kultur.

Aber selbst einem nur mittelmäßig und keineswegs akademisch gebildeten Deutschen wie mir fallen noch einige weitere Aspekte an, die aus dem Islam einen integralen Teil Deutschlands machen:

Schauen wir in die jüngere Vergangenheit, so wird zu konstatieren sein, dass sowohl im ersten wie auch im zweiten Weltkrieg muslimische Truppenverbände für deutsche Interessen in den Krieg zogen. Das kann man nun sicher positiv oder auch negativ bewerten, es bleibt eine Tatsache. 
Vom 18. Jahrhundert an verbündeten sich die Preußen mit den Osmanen, eine Verbindung, die insbesondere der deutsche Kaiser Wilhelm der II. pflegte. Während des 1. Weltkrieges wurden die in der Nähe von Berlin internierten muslimischen Gefangenen besonders gut behandelt, mit dem Ziel, sie zum Überlaufen zum osmanischen Reich zu motivieren. Man errichtete für sie sogar eine eigene, schöne Moschee.

Nicht zu vergessen in diesem Zusammenhang auch die in Kunst und Kultur der damaligen Zeit durchaus präsente Faszination für den Orient und seine Kultur und Religion, von der z.. B. die in Form einer Moschee gebaute Tabakfabrik in Dresden Zeugnis ablegt, aber auch die weit verbreiteten und viel gelesenen Romane von Karl May, um nur zwei allgemein bekannte Aspekte des Einflusses islamischer Kultur zu streifen. Auch war der Orient ein beliebtes Forschungsgebiet der Deutschen. Zahlreiche Archäologen, Geologen, Botaniker, Historiker machten sich auf den Weg in den nahen, mittleren und fernen Osten. Wegweisende Erkenntnisse über Geschichte und Kultur dieser Länder wurden in deutscher Sprache erstmals publiziert.

Es sollte Allgemeingut sein, dass der deutschen Nationaldichter Goethe sich intensiv mit dem Islam und dem Koran beschäftigt hatte. Erwähnt sei hier nur der West-östlichen Divan oder auch Lessings Ringparabel. Schiller war übrigens der erste deutsche Schriftsteller, dessen Werke ins Arabische übertragen wurden.

500 Jahre liegt die Reformation nun zurück. Luther wies häufiger auf die Türken (gemeint war das osmanische Reich) und den Koran hin, um Unterschiede zwischen Christentum und Islam zu verdeutlichen. Obwohl der Reformator keinen persönlichen Kontakt zu Muslimen hatte, kannte er den Koran und den Glauben der Muslime und sah dies nicht ausschließlich aus einem negativen Blickwinkel.

Möglicherweise ist Herrn Seehofer unbekannt, dass Hildegard von Bingens Heilkunst zu großen Teilen aus arabischsprachigen Schriften stammte. Manche Mönche und Nonnen erlernten diese Sprache, um die Werke berühmter Gelehrter lesen zu können, die in den Klosterbibliotheken aufbewahrt wurden. Die islamische Heilkunst war zur Zeit Hildegards der christlichen Medizin haushoch überlegen. Arabisch als gemeinsame Sprache der islamisch geprägten Zivilisation wurde auch von jüdischen, christlichen und anderen Ärzten benutzt und kennzeichnet die Medizin des islamischen Kulturraums, die deshalb auch als „arabische“ oder „arabisch-persische“ Medizin bezeichnet wird. Rückblickend muss man sagen, dass die arabische Kultur im Mittelalter wesentlich zu Deutschland gehörte.

Die in arabischer Sprache aufgezeichnete Medizin der damaligen Zeit beeinflusste die Ärzte des westlichen Mittelalters, die die grundlegenden Werke der klassischen griechisch-römischen Medizin zunächst in arabischer Übersetzung kennenlernten.

Zu den Hauptquellen der klassischen oder frühen islamischen Philosophie zählte die Philosophie der Antike, mit der die arabische Welt durch Übersetzungen aus dem Griechischen in Berührung kam. Zahlreiche Schriften antiker Philosophen kennen wir heute nur noch durch den Umweg über arabische Übertragungen und christliche Klöster. Hier sollten auch die Namen Avicenna und Averroës Erwähnung finden. Den Einfluss der arabischen Philosophie auf christliche und jüdische Autoren des Mittelalters sollte nicht klein geredet oder aus Unkenntnis schlicht verneint werden.

Schließlich könnte auch die Geschichte der Kreuzzüge durchaus als Einfluss des Islam auf die europäische Kultur betrachtet werden. Neben den kriegerischen Auseinandersetzungen fand auch ein kultureller Austausch statt. Weitere Schlagworte, die kriegerische Auseinandersetzungen beschreiben wäre die Reconquista in Spanien und die Eroberungszüge des osmanischen Reiches, die mal in Polen, mal vor den Toren Wiens, mal in der Seeschlacht von Lepanto gestoppt wurden.

Selbst in die Alltagssprache hinein belegen Linguisten osmanische und arabische Einflüsse. Da mus man gar nicht die „arabischen Zahlen“ bemühen. Wikipedia belegt dies in umfassender Hinsicht: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_deutscher_W%C3%B6rter_aus_dem_Arabischen.

Mögen diese Einflüsse der islamischen Kultur auch aus der Perspektive der Deutschen nicht nur positiv gewesen sein, so zeigen doch allein diese wenigen Schlaglichter, dass dies alles nicht nichts ist und es falsch wäre zu behaupten, das Deutschland ein allein christlich geprägtes Land sei. Unsere Geschichte und Kultur ist so komplex und vielfältig, dass selbst ein um prägnante Sprüche nicht verlegener Alexander Dobrindt wohl nicht in der Lage wäre zu sagen, all dies ist zu genau xx Prozent vom Christentum geprägt. Und selbst wenn man dies könnte – was konkret sagt das dann aus?

Auch wenn es schwer fällt, der Islam hat seinen Anteil an der deutschen Kultur, so wie auch das Judentum, die demokratische Bewegung, die Anthroposophie und manche Kulturströmung mehr. Natürlich wird niemand leugnen, dass Deutschland in der Hauptsache vom Christentum geprägt ist, aber halt nicht ausschließlich. Und vermutlich aus heutiger Perspektive mehr durch die Osmanen als durch die Germanen.

Es ist ja aufschlussreich, dass der Heimatminister, die Muslime als selbstverständlich zu Deutschland gehörig bezeichnet. Und klug, wählen doch bis dato die Mehrzahl der Deutschen türkischer Herkunft die CSU-Schwesterpartei CDU. Und nicht wenige dieser Deutschen sind auch in dieser „christlichen“ Partei selbst politisch engagiert.

Mag die Aussage Seehofers selbst noch diskutabel sein, so dürfte es angemessen sein, den Subtext dieser Bemerkungen freizulegen. Und mit diesem möchte Seehofer die weit verbreiteten und zunehmenden Ressentiments in der Bevölkerung gegen den Islam aktivieren und in „klingende“ Wählerstimmen ummünzen.

Mag er das selbst auch noch bestreiten, so legt doch seine Partei dies vollständig offen, wenn sie zur Illustration der Seehofer – Aussage von der Nichtzugehörigkeit des Islams zur Deutschland das Bild einer Burka verwendet, ein Foto, das vermutlich in Afghanistan aufgenommen wurde, denn bis dato ist noch kein einziges Foto einer deutschen Burka – Trägerin in den Medien aufgetaucht. Entweder gibt es diese tatsächlich nicht oder sie trauen sich nicht aus dem Haus. Die Burka- und Nikab-Besessenheit der Islamskeptiker in Deutschland nimmt doch vollständig irreale Züge an.

Entlarvend ist ein weiteres CSU-Bildchen, das Alexander (heißt auf arabisch übrigens Iskandar) Dobrindt mit der Aussage zeigt: "Der Islam gehört egal in welcher Form nicht zu Deutschland". Damit erteilt dieser auch den Bemühungen engagierter Muslime für einen „deutschen Islam“ eine Absage und stärkt damit einmal mehr die radikaleren Strömungen, die entweder den Islamismus bzw. eine strenge Auslegung der Religion befördern oder diejenigen Staatslenker fördert, die die muslimische Religion als Mittel der Bindung der Menschen an das ursprüngliche Heimatland missbrauchen.

Letztlich reiben sich die Radikalen ringsum freudig die Hände. Die AfD, weil sie die Politiker der „Systemparteien“ vor sich her treibt und dennoch in Hase und Igel – Manier immer sagen kann: „Wir waren zuerst da“. Die Anführer des IS, die umso eher Anhänger gewinnen können, wie Muslime in ihrer deutsch-muslimischen Identität angekratzt und verunsichert werden. Gerade junge Leute, die auf der Suche nach Orientierung sind und diese in unserer Gesellschaft zunehmend weniger (durch fehlende Arbeits- und Ausbildungsplätze und angemessene Bildungschancen) finden, sind hierfür empfänglich. Und auch Politiker wie Erdogan freuen sind, dass das, was sie mit dem Gerede von „Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ nicht erreichen konnten – nun mit Hilfe deutscher Politiker zum Ziel gebracht wird, die sichere Rückbindung an das Herkunftsland ihrer Eltern und Großeltern.

Natürlich betrifft dies in der gesamten muslimischen Community konkret nur Minderheiten, aber die werden durch solche Stimmungen nun mal eher größer als kleiner. Und sie sind – natürlich – gefährlich, in welche Richtung auch immer sie sich radikalisieren.

Ist es für unsere Politiker heute eigentlich so schwierig, überzeugend gegenüber den islam-skeptischen Deutschen zu belegen, dass es darauf ankommt, die Gesellschaft mit ihren unterschiedlichen Bürgern zu einen, Konfliktfelder zu verkleinern und Menschen zusammenzuführen? Wir wissen doch aus historischer Erfahrung, welch furchtbare Auseinandersetzungen und Verbrechen dadurch ermöglicht wurden, dass Keile in die Gesellschaft getrieben und Risse verbreitet wurden. (Ich erwarte von unseren Politikern, selbst von der AfD auch, dass sie alles tun, dass Gewalttätern keine Möglichkeiten zur Rechtfertigung ihrer Angriffe auf Menschen, auf Moscheen, Flüchtlingsheime und muslimische Einrichtungen gegeben wird, ja dass solcher (wie jeglicher) Terror mit aller Entschiedenheit bekämpft wird.)

Kann es so schwer sein, uns Deutschen klar zu machen, dass wir – Gott sei Dank – in einem Land leben, dass sich den Schutz der Rechte jedes der einzelnen Bürgers auf die Fahne geschrieben hat und nicht den Einsatz für die Interessen einer Mehrheit? Wenn etwas für unsere Gesellschaft in den Jahren nach 1945 prägend war, dann der Schutz von Minderheiten und ein weiter Freiheitsraum für den Einzelnen.

Dazu gehört es sicher auch, entschlossen und entschieden jede Gefahr für die Sicherheit und für die Demokratie zu bekämpfen. Der Aufstieg der AfD ist ganz bestimmt ein Problemanzeiger. Wir haben in Deutschland ein Gerechtigkeitsproblem. Es gibt nicht wenige Menschen, die von der allgemeinen Entwicklung abgekoppelt wurden und kaum Perspektiven für einen Aufstieg oder eine Verbesserung ihrer Lebenssituation sehen. Gleichzeitig wird ihnen auf allen Kanälen präsentiert, dass es Anderen weitaus besser geht. Wir brauchen wieder eine Bewegung hin zu mehr Miteinander und Solidarität. Wir müssen die Verbindungen der Menschen untereinander stärken und Menschen, Gruppen, Initiativen und Parteien wieder mehr vernetzen. Der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält ist in den letzten Jahren brüchiger geworden. Es gibt zahlreiche Symptome hierfür.

Die logische Gegenbewegung wäre (und ist) dann die Suche nach der eigenen Identität. Aber anders als Horst Seehofer vermutet, entdecken immer weniger Menschen diese positiv in den christlichen Wurzeln unseres Landes. Aktuell jedenfalls geschieht dies eher negativ – durch Abgrenzung zu dem, was man nicht will bzw. was einem Angst und Sorge macht. Auch die Leitkulturdebatte hat uns ja vor Augen geführt, dass es gar nicht so leicht ist, sich auf das zu einigen, was – positiv – zu Deutschland gehört, was unser Land ausmacht. Leichter ist es zu definieren, was einer Mehrheit Unbehagen oder Angst bereitet.

Die Angst vor dem Islam in Deutschland hat sicher mehrere Quellen: 
  • Stimmungs-/Panikmache durch Populisten (AfD, Pegida u.a.)
  • Terrorismus, Gewalt, patriarchalische Strukturen, archaische Traditionen
  • Berichterstattung über Konflikte in der islamischen Welt.
  • Scharia, bestimmte Aspekte des Koran bzw. islamischer Theologie
  • Abschottung der Moscheegemeinden / muslimischer Communities (wechselseitiges Phänomen)
  • auch öffentlich – sichtbar gelebte Gläubigkeit von Muslimen.
  • Verunsicherung in der eigenen (christlichen) Identität
  • Schwäche der Kirche – des christlichen Glaubens
  • allgemeine Reserviertheit gegenüber dem Fremden bis hin zur Fremdenfeindlichkeit
  • Kulturelle Konflikte, für deren Regelung es noch keinen juristischen Rahmen gibt.
  • Flüchtlingskrise
An all diesen (Problem-)feldern sollte man mit hoher Fachkompetenz und in aller Ruhe und Entschiedenheit arbeiten. Man darf Schwierigkeiten nicht verharmlosen und klein reden. Wohin das führt, das zeigt ein ehrlicher Blick auf die Fehler in der Integration der Zuwanderer in den vergangenen Jahrzehnten. Man sollte sie aber auch nicht künstlich aufbauschen, wie das z. Zt. In den sozialen Netzwerken und am Stammtisch massiv passiert.

Vielleicht täte es ja sogar der guten alten Kneipenkultur in Deutschland gut, wenn diese Themen in deftigen Gesprächen beim Bier oder beim Cay diskutiert würden, statt am elektrischen Stammtisch in Pegida – Foren. Wenn wir die Zeit vor dem Rechner statt mit dem Basteln von Lügen- und Sprüchebildchen für Facebook und Twitter mit dem Besuch in Kirche und Kneipe verbringen würden, wo einem der Kumpel nach dem Dritten Bier vielleicht sagt „Was redest Du da für einen Blödsinn“ und dann trotzdem die nächste Runde bestellt.

Eigentlich macht eine Diskussion doch nur Spaß, wenn einem auch widersprochen wird. Diese menschliche Erfahrung scheint im wirklichen Leben, in der Kneipe, in Stadtrat und Bundestag, bei Katholikentagen und bei Fernsehdiskussionen zu stimmen, im Reich des Herrn Zuckerberg suchen viele dann sonderbarerweise Diskussionsforen auf, wo möglichst viele Schulterklopfen, zustimmen und stumpf LIKEN. Wie sonderbar!

Was ist das Ziel solcher Debatten, wie sie aktuell von Horst Seehofer angestoßen und von der CSU, von Alexander Dobrindt und der AfD befeuert werden? Man muss die Dinge doch vom Ende her denken oder einfach einmal in Ruhe zu Ende denken. Welches reale Problem in Deutschland wird hierdurch gelöst? Die Schwierigkeiten der Integration? Straftaten von Menschen mit muslimischem Hintergrund? Die Flüchtlingskrise?

Nein, im Gegenteil. Die Situation wird verschärft, aus Rissen im gesellschaftlichen Gefüge entstehen Gräben, die nur mühsam wieder zu verfüllen sind. Wir führen mit Verve und Energie eine Scheindiskussion und am Ende fehlt die Kraft, wirkliche Probleme anzupacken. Es entsteht der Eindruck mit bloßer Definition würden Schwierigkeiten gelöst, die viel tiefere Ursachen haben, wie die europäische Integration, die Globalisierung und die wirtschaftliche … .
Warum tun wir das also, als könne das Wortgeklingel irgendein Problem lösen?

Selbstverständlich stimme ich dem Innenminister zu, dass wir nicht aus „falscher Rücksichtnahme“ auf „landestypische Traditionen und Gebräuche“ verzichten sollten. Das will doch auch niemand von denen, die den Beitrag des Islam zur deutschen Kultur würdigen und den Muslimen in Deutschland Lebensräume und Möglichkeiten eröffnen möchten. Die realen Schwierigkeiten im Zusammenleben lassen sich nicht mit der Perspektive lösen, irgendwann wird der Islam schon verschwinden, werden sich die Muslime assimilieren oder in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Die Zeit für solche „Lösungsperspektiven“ ist vorbei bzw. wir hoffen doch alle gemeinsam, dass diese Zeit nicht wiederkehrt, wo es statt „Der Islam gehört nicht zu Deutschland – Muslime aber irgendwie wohl“ hieße: „Der Islam ist unser Unglück!“ und man man Strategien zur Lösung des „Moslemproblems“ entwickelte.

Landestypische Traditionen und Gebräuche“ sind in viel stärkerer Gefahr durch ganz andere Aspekte. Sie sind gefährdet durch das Schwinden des gelebten Christentums, durch laue und lasche Christen (auch unter unseren Politikern, selbst wenn ein C vorne steht), durch die Mobilität und die Einsatzbereitschaft, die die moderne Wirtschaftsordnung von denen fordert, die Arbeit haben, durch den allgemeinen Kulturwandel in unserer Zeit und die Geschichts- und Kulturvergessenheit weiter Kreise, durch mangelnde Bildung und manches mehr. Wir selbst sind es, die unsere „landestypischen Traditionen und Gebräuche“ auf die „rote Liste“ bringen, nicht der Islam und auch nicht die Scharia-Polizei, die an einigen Abenden ihr Theater in Wuppertal aufführte. Es sind doch dieselben Kräfte, die das Christentum in die Schieflage bringen, die auch den Islam bedrohen, wie es Michael Blume in seinem Buch „Islam in der Krise“ so eindringlich belegt. Der augenscheinliche "Vorteil" mancher tief im Glauben verwurzelter Muslime (wenngleich inzwischen doch einer Minderheit) ist es doch, dass sie im Islam einen wichtigen Pfeiler ihrer Identität erkennen, während man dies nur noch von wenigen Christen so sagen können. Da ist dieser eher schmückendes Beiwerk, gutes Gefühl oder mehr diffuse innere Haltung aber nicht mehr festes Standbein in den – durchaus heftigen – Stürmen des Lebens und der Zeit.

Die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört, läßt sich nicht mit Ja oder Nein und auch nicht mit einer handvoll erklärender Sätze erläutern. Man sollte sie aber immer so beantworten, dass die hier lebenden gläubigen Muslime nicht verletzt und ausgegrenzt werden oder dies so empfinden.

Die Lösung kann nur in einem Mehr an Miteinander liegen und dazu müssen die Muslime mindestens soviel beitragen wie die Christen, die Atheisten, die Buddhisten und Hinduisten die hier leben. Das ist ein ebenso langer und anstrengender wie auch schöner Weg.

Staat und Gesellschaft sollten Muslimen einen großzügigen Raum für ihr religiöses Leben bieten und gleichzeitig den Radikalen klare Grenzen setzen. Natürlich hat der Staat das Recht, ausufernde und schädliche Formen der Religionsausübung zu begrenzen. Aber das rein rechtliche „Bannen“ von Burka und Nikab löst kein konkretes Problem, sondern schafft im Gegenteil neue Schwierigkeiten. Selbstredend ist in Deutschland kein Platz für die Vielehe oder die Kinderehe. Diese zivilisatorischen Errungenschaften kann man nicht mit Verweis auf „Andere Länder, andere Sitten“ einfach aufgeben, auch nicht in Einzelfällen.

Auch Muslimen wird auf diesem Weg manches abverlangt. Sie müssen lernen, den kulturellen Rahmen ihres Islams aus dem Herkunftsland in jeder Hinsicht nach Deutschland zu verlegen. Sie müssen damit zu leben, dass religiöse Überzeugungen und Gebote den deutschen Alltag nicht (mehr) prägen, dass die Religion von Deutschen nicht verlangt, auf den Genuß von Alkohol und Schweinefleisch zu verzichten. Ich muss es als Katholik auch ertragen, dass Leute am Sonntag shoppen gehen und sich am Aschermittwoch den Bauch voll schlagen, am Freitag gedankenlos Fleisch essen und an Karfreitag tanzen gehen wollen. Natürlich muss es Muslimen möglich sein, auch auf deutschen Volksfesten und in Schul-Kantinen satt zu werden, ohne heilige Traditionen aufgeben zu müssen. Aber ein Land, das auf Vegetarier selbstverständlich Rücksicht nimmt, kann dies auch bei Muslimen tun, deren Speiseregeln noch weit leichter zu erfüllen sind als die überzeugter Veganer. Und auch der Veganismus, ja selbst Paläo-Frutarier scheinen heutzutage ja zu Deutschland zu gehören.

Am Ende frage ich mich als Katholik und mittelmäßig gebildeter Theologe, wo denn in dieser Debatte die Stimme der Christen ist. Die offizielle Kirche hält sich da aktuell vornehm zurück. Vermutlich weil die Bischöfe spüren, dass man hier gerade keinen Blumentopf gewinnen kann und weil Horst Seehofer ja gewissermaßen sedierend in den Raum geworfen hat, dass zu Deutschland der„freie Sonntag, kirchliche Feiertage und Rituale wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten." gehören. Wer kann dazu schon nein sagen. Umso reger beteiligt sich ein Teil der katholisch-konservativen Szene – in der ich auch einen Teil meiner Wurzeln sehe – an der Debatte. Bedauerlicherweise nicht immer konstruktiv.

Der emeritierte Theologieprofessor Dr. Hubert Windisch wundert sich: „Wer in diese Debatte nicht einsteigen will, gibt sich auf. Die Kirchenführer schweigen!“ Die Fragen, die er dann aber in seinem Beitrag auf kath.net formuliert klingen allerdings, wie bei der Pegida-Demo mitstenografiert. „Warum hört man nicht auf Islamkenner und –kritiker wie Imad Karim, Hamad Abdel-Samad, Sabatina James, Necla Kelek, Rüdiger Safranski, Hans-Peter Raddatz, Alice Schwarzer, David Berger und viele andere? Warum nur quer durch unser Land dieser selbstzerstörerische islamergebene Masochismus? Worum geht es? Es geht darum, den Islam kritisch in seinem sozialpolitischen Kern wahrzunehmen, wonach Staat und Religion nicht zu trennen sind und alles daranzusetzen ist, bis überall die Scharia gilt.“

Ich fürchte, das ist wirklich keine Basis, auf der man diskutieren kann, ob der Islam zu Deutschland gehört. Nähme man den Islam der zitierten Personen als Maßstab, kann es auch nur eine Antwort geben. Nein! Aber die Frage ist doch, ob wir über diese Form des Islam und dessen Darstellung ernsthaft zu diskutieren haben und ob dies dem Islam gerecht wird, den die gläubigen Muslime hier leben. Sonst ist das nur eine weitere Phantomdiskussion. Warum man als katholischer Theologe ernsthaft über die Thesen eines Hamad Abdel-Samad diskutieren möchte, während man ansonsten doch der Giordano – Bruno – Stiftung abspricht, zu Fragen des Christentums Relevantes beitragen zu dürfen, erschließt sich mir nicht. Jedenfalls sollte man als Theologe dann aus ihren Beiträgen die bedeutsamen Fragen herausfiltern und gleichzeitig auch die Stimmen derer wahrnehmen, die sich als gläubige Muslime in Deutschland für den Dialog einsetzen und als spirituelle Menschen den Islam hier leben.

Bedauerlicherweise ist Prof. Dr. Windisch nicht der einzige Katholik, der das Konzilsdokument „Nostra aetate“ in diesem Kontext offenbar für irrelevant hält. Wohlgemerkt, es geht absolut nicht darum Probleme in der islamischen Theologie, in islamisch geprägten Traditionen oder die Schwierigkeiten, die uns radikale und fundamentalistische Vertreter des Islam bereiten klein zu reden. Aber ich wünsche mir doch Diskussionen, die die Realitäten wahrnehmen, wirkliche Probleme benennen und echte Lösungswege erarbeiten und nicht solche, die ablenkend und ergebnislos im luftleeren Raum geführt werden.

Gerade gläubige Katholiken, insbesondere Theologen könnten doch dazu einen wesentlichen Beitrag leisten. In der Diktion von Prof. Dr. Windisch schließe ich daher meinen Beitrag mit den Worten: „Wer in diese Auseinandersetzung nicht einsteigen will, gibt das Evangelium auf. Viel zu viele schauen zu und schweigen. Noch. Bis die Opfer weinen. (vgl. Lk 23,28)!

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