Montag, 23. April 2018

Brückenbau von Rechts ins katholische Lager? Liane Bednarz Angstprediger


Hier nun der 2. Teil meiner Gedanken zu den Angstpredigern, notiert bei der Lektüre dieses Buches:

Was bringt Christen nach rechts? Solidarität der Marginalisierten?

Letztlich problematisiert Liane Bednarz in ihrem Buch eine offenkundige Entwicklung, die jedem, der Kontakte ins konservativ-traditionalistische Milieu pflegt, nicht entgehen konnte: Die zunehmende Solidarisierung mit Personen und Parteien des rechten Mileus. Sie beobachtet eine gewisse Solidarität der Marginalisierten.

Ein Grund für solche Solidarisierung liegt wohl in Erfahrungen, die fromme Katholiken mit politisch Radikalen teilen. Ihre Überzeugungen interessieren kaum jemanden, ihre Vorstellungen für eine bessere (christlichere) Gesellschaft lassen sich nicht realisieren. Und in einigen Themenfeldern hat man möglicherweise vergleichbare Vorstellungen.

Christliche AfD-Unterstützer seien, merkt Bednarz auf S. 223 des Buches an, „so sehr auf ihre Schlüsselthemen wie Abtreibung, Gender und Islam focussiert, dass ihnen der Blick dafür fehle, was sie alles mit dazu erhalten.“ Diesen Eindruck teile ich.

Menschen, die bei sich bei Pegida und AfD engagieren, kennen die Erfahrung von Dialogverweigerung und Abwehr ihrer Klagen und Ideen allzu gut. Daher auch das Bemühen, ihre Minderheitenposition als „gesunden Menschenverstand“ allgemeingültig zu machen oder man präsentiert sich als „das Volk“ oder gar als Stimme einer „schweigenden Mehrheit“.

Auch wenn es uns Christen sympathisch ist, dass Probleme, wie sie z.B. im Gefolge der Migration nach Deutschland getragen wurden offen angesprochen werden oder sich Bewegungen plötzlich mit Fragen der Abtreibung, des Islam und der sozialen Gerechtigkeit beschäftigen, sollten wir genau hinschauen, ob sich die vorgeschlagenen Lösungen mit dem Wort und Beispiel Jesu Christi in Einklang bringen lassen.

Ich frage mich schon lange, warum brauchen konservative Katholiken solche Koalitionspartner? Wir sind doch davon überzeugt, dass die Wahrheit sich durchsetzt, aus ihrer inneren Kraft heraus.

Nichts nötigt uns, uns mit denen gemein zu machen, die wegen ihrer steilen Thesen in der Diskussion stehen, selbst wenn sie dafür von „Linken“ unter Feuer genommen werden. Mag es einen konservativen Christen auch an leidvolle Erfahrungen erinnern, mit den eigenen Überzeugungen unter Druck zu stehen, so ist Solidarität um der Solidarität willen nicht immer angemessen.

Verbindende „Trigger“ - Zeitgeist – politische Korrektheit

Wo vom Zeitgeist geraunt wird, da steckt meist der immer gleiche, frustrierte Kulturpessimismus dahinter. Und letztlich blockiert diese Haltung Mission in der Welt und das unbefangene Zugehen auf Menschen, die sich zumindest vorsichtig für den Glauben interessieren. Wie gern wird der evangelischen Kirche vorgeworfen, sich der „Diktatur des Zeitgeistes“ zu ergeben. Und gleichzeitig ist es interessant, dass diese zum Beispiel zum Islam ein sehr kritisches Dokument herausgegeben hat, dass aber in der „Szene“ keinesweg rezipiert und zitiert wird. Vermutlich wegen dessen letztlich differenzierten Gesamthaltung. Da wählt man sich lieber den humanistisch-atheistischen Aktivisten der Giordano-Bruno-Stiftung Hamed Abdel-Samad zum Kronzeugen und Islamkenner. Ja, er kennt den Islam, aber nur den, von dem viele christliche Islamskeptiker gerne hören. Aber letztlich ist das, als würde man sich von Michael Schmidt-Salomon einen Katechismus formulieren lassen.

Dem „Zeitgeist – Konzept“ verbunden ist auch das Schlagwort von der „politischen Korrektheit“, beide sind zu einem Modewort in politisch rechten Kreisen wie unter konservativen Christen geworden. Anders formuliert verbirgt sich hinter „politischer Korrektheit“ so etwas wie Anstand, Respekt, Rücksichtnahme und Toleranz. Sie schiesst sicher hier und da über das Ziel hinaus, wenn sie aber zu bekämpfen wäre, dann nur im Sinne solcher Übertreibungen, aber nicht als Idee selbst. Mit dem Spruch „man wird doch noch sagen dürfen“ - sollte man sich nicht jeden Radikalismus und jede Nonsens-Bemerkung erlauben. Man darf sicher alles sagen, aber vieles davon ist (im Sinne von „Schweigen ist Gold“) nicht klug, anderes ist falsch und weiteres ist verletzend und bringt Menschen gegeneinander in Stellung.

Selbstredend versuchen eher "linke" Aktivisten christlich-konservative Positionen mit Hilfe der berühmten "Rechtsextremismuskeule" zurückzudrängen und zu verhindern, dass sie überhaupt auf die Agenda kommen. Das ist ja sogar anhand der aktuellen Debatte über antisemitische Übergriffe auf jüdische Bürger zu beobachten. Auch hier gilt es genau hinzuschauen. Peinlich finde ich in diesen Tagen die Wortmeldungen zahlreicher Politiker, die die Selbstverständlichkeit in die Welt posaunen, dass niemand wegen des Tragens religiöser Symbole (insbesondere der Kippa) angegriffen oder angepöbelt werden dürfe. Und dies, ohne auch nur einen Halbsatz dazu zu verlieren, was sie konkret an Maßnahmen planen, um dies zu verhindern. Das ist wohlfeil und billig! Die Sache ist nicht gelöst, wenn man den syrischen Täter jetzt schnell nach Damaskus zurück schickt. 

Auch ist der „Gesunde Menschenverstand“ nicht immer gesund und Freiheit hat ihre Grenzen in der Freiheit des Anderen. Es kommt also immer auf ein ausgewogenes Verhältnis, auf Maß und Mitte an. Niemand kann gegen Anstand und Rücksichtnahme sein, aber auch nicht gegen gesunden Menschenverstand, Freiheit und offene Rede. Aber Extreme müssen ebenfalls benannt und begrenzt werden. Am Wirkungsvollsten durch engagierte Gegenrede und Argumentation.

Katholiken, Homophobe, Islamkritiker, Heimatfreunde, Genderkritiker vereinigt euch?

Ein Beispiel wunderlicher Solidarisierung ist der Schriftsteller Akif Pirinçci, der Gegenwind aus allen Richtungen wegen seiner vulgären und teils unmöglichen und menschenfeindlich, sexistischen Ausdrucksweise bekommt. Diese würde man auch sonst niemandem durchgehen lassen. Warum stellen sich manche Leute hinter ihn, wenn er gewisse Reizthemen anspricht, statt ihm deutlich zu sagen, dass er sich in seinem Furor verrennt? So halte ich „Verschwulung“ nicht für eine Vokabel, die Katholiken auch nur ansatzweise akzeptieren sollten. Der damit ausgedrückte Subtext geht weit, weit über den Katechismus hinaus.

Und was sollte uns als Christen veranlassen, einem erfolgreichen Buchautor, dessen Thesen in allen Foren diskutiert, auf allen Podien besprochen und dessen Verkaufszahlen durch die Decke schießen, für ein Opfer von Tugendterror zu halten? Herr Sarrazin ist sicher Manns genug, seine Dinge zu sagen, er braucht keine katholische Sekundanz! Auch bis zum Erscheinen seines Buches war es möglich, auf die Probleme der Migration und der zunehmenden Auflösung sozialer (oft noch dörflich-kleinstädtischer) Milieus in Deutschland durch die zunehmend erforderliche Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt hinzuweisen und dies zu diskutieren. Allerdings im Sinne eines gesetzeskonformen Prozesses der verbesserten Integration, Bildung, Aufbau sozialer Strukturen etc... Die beliebte Formel von „Man wird doch wohl noch sagen dürfen...“ (in vielen Varianten), wird doch im Grunde immer dann bemüht, wenn Positionen vertreten werden, die zu Recht zu Widerspruch und zur Gegenrede herausfordern.

Das wird man doch noch sagen dürfen?!

Notwendiger Widerspruch braucht es nämlich dort, wo Vorstellungen „gesagt werden dürfen“, die sich in gesetzlichen Zwangsmaßnahmen erschöpfen, den Rechtsstaat aushöhlen, ausschließlich auf harte Strafmaßnahmen setzten oder die „Lösung“ aller Probleme durch „Wegschaffen“ derer zu setzten, die Probleme verursachen. Nein, solcher Widerspruch ist kein Zeichen dafür, dass „man etwas nicht formulieren darf“ wenn auch nicht unbedingt, dass die vorgeschlagene Maßnahme falsch ist. Solcher Widerspruch sollte – zumindest von uns Christen – ernst genommen und Gegenargumente erwogen werden. Davon ist leider in vielen, ach so "christlichen" Diskussionsforen wenig zu spüren.

Hier könnten wir uns engagieren, hier ist christliche Diskussionskultur gefordert. Die einfache Lösung ist nicht immer die Beste. Als Theologen sollten wir wissen, wie komplex die Welt ist. So sehr ich selbst ab und an die Sehnsucht nach einfachen Lösungen teile und von besseren Zeiten und alten Tagen träume...

Liane Bednarz untersucht in ihrem Werk eine ganze Reihe von „Brückenthemen“, anhand derer es zu Kontakten und Allianzen über den Graben zwischen Konservativen und Rechten kommt.

Zäune bauen – Abschieben:

Ein Problem, das ich einfach ins Ausland verlagere, ist nicht weg. Und zudem kann ich nichts mehr zur Lösung der Schwierigkeiten beitragen. Ein Straftäter in Algerien richtet in Deutschland vielleicht keinen Schaden mehr an, kann aber in den Strukturen der Mafia oder des Islamischen Staats weit gefährlicher für Menschen werden, als er es in Deutschland jemals gewesen wäre. Die Probleme im Ausland fallen uns vielfach wieder „auf die Füße“. Wie sich ja angesichts von Migration und Terror sehr schmerzhaft in unseren Tagen zeigt. Kein Zaun der Welt wird uns letztendlich alle Krisen unserer Zeit vom Halse halten. Allenfalls werden uns solche „Lösungen“ kurze Atempausen verschaffen, um dann umso heftiger auf uns einzuprasseln.

Der „liebe Doktor“, der nicht wehtut, der die Krankheit begrenzt und ihre Symptome ertragbar macht, ist nicht zwingend der bessere Arzt als der, der vielleicht manchmal etwas grob erscheint, sein Handwerk aber versteht und der Erkrankung auf den Grund und an die Wurzel geht. Von daher sollte man die allzu leichten Lösungsvorschläge nicht allzu fröhlich unterstützen.

Abtreibung und Ehe für Alle

Auch im Kapitel des Buches, wo es um die Sexualmoral, um Ehe und Genderfragen geht, ist mir ab und an die Frage gekommen, ob man hier klar definieren kann, mit welcher Position, Grenzen und rote Linien überschritten werden. Sicher nicht mit den Haltungen, die der Katechismus der katholischen Kirche nahe legt. Wenn man hier sehr konservativ denke, trifft man sich in den Überzeugungen sicher leicht mit denen von AfD und Protagonisten der Neuen (und alten) Rechten. Bin ich dann etwa schon „rechts“? Diese Anfrage an Liane Bednarz ist ja immer wieder zu hören. Die Gefahr besteht, dass sie durchaus so missverstanden werden kann, wenn sie engagiert die Koalition von christlichen Aktivisten, Lebensschutzbewegung und „Demo für Alle“ mit der AfD (+ Co.) beleuchtet. Aber sie macht auch klar, dass es nicht nur einfache AfD-Leute oder „normale Bürger“ sind, die hier gute Anliegen und Ziele durch Teilnahme an Demonstrationen unterstützen. Unter ihnen sind auch Strategen, die Bürgerliche und konservative Christen für ihre Ziele einspannen möchten und deren politischer Horizont weit über das konkrete Thema hinaus geht.

An einigen Punkten ist es inzwischen so, dass Organisationen und Personen bestens vernetzt sind mit AfD und neurechten Organisationen. Bednarz liefert manche Beispiele. Von daher verwundert es nicht, wenn umgekehrt extreme Linke diese Demonstrationen nicht in der Sache betrachten, sondern zu getarnten rechtsextremen Aufmärschen umdeuten oder als eine Art Trojanisches Pferd betrachten, mit dem neue Sympathisantengruppen erschlossen werden sollen. Nichts kann die Machenschaften ultralinker Gruppierungen im Umfeld solcher Aktionen entschuldigen. Man kann sich auf Demonstrationen seine Unterstützer oft nicht aussuchen, aber zumindest doch sorgfältig organisatorische Verflechtungen vermeiden.

Sexualisierung, Homosexualität, Genderfragen

Bednarz betont, dass sie religiöse Überzeugungen keineswegs in die Kategorie „rechts“ einordnet, ja sich selbst eher als traditionell christlich (evangelisch mit katholischen Sympathien) einordnet. Aber das wird vermutlich fix überlesen. Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass einige christliche Aktivisten bei diesen Themen die katholische Katechismusposition längst verlassen haben und zu weit extremeren Haltungen und Formulierungen gefunden haben. Seltener äußern sie diese dann bei „Maischberger + Co.“ oder bei Reden auf offenen Bühnen, sehr wohl aber bei Facebook und Twitter.

Bednarz macht deutlich und begründet dies auch überzeugend, dass manche ihrer „Angstprediger“ aus dem Thema „Gender“ eine Art Popanz kreieren und bekämpfen, den es in der Realität so gar nicht gebe. Als Beleg für die Panikmache um Gender werden dann aus der bunten Welt des extremen Feminismus oder auch aus dem Wissenschaftsbetrieb einzelne Akteure identifiziert und zu Kronzeugen und Lieblingsgegnern stilisiert. Sicher gibt es Übertreibungen, aber den weitaus meisten Akteuren geht es schlicht um Gleichberechtigung und Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern. (Ja, an dieser Stelle kann die allgemeine Verschwörungsschleife nun losgehen: als "Gutmensch" erkenne ich die Gefahr des Genderismus nicht, sogar der Papst warne davor, ich verharmlose die Gefahren, es seien weltweit Strategen am Werke, die göttliche Schöpfungsordnung aufheben wollten, vermutlich noch unterstützt von Bill Gates und Soros - Stiftungen und Freimaurern. Und dass ich mich darüber lustig mache, zeige doch die Naivität, mit der ich den Gender-Strategen auf den Leim gehe.)

Das Gespräch mit jungen und alten Menschen zeigt doch immer wieder, wie viel Sehnsucht nach dem Guten es gibt, nach Treue, wahrer Liebe, gegenseitiger Hilfe. Es kommt darauf an, wohin ich meine Aufmerksamkeit richte. Warum können wir uns nicht freuen, wenn eine junge linke Feministin, die Darstellung von Frauen als Ware kritisiert? Warum im Gegenzug nicht klar kritisieren, wenn Matthias Matussek für sein neuestes Buch ausgerechnet mit der nackten Konzeptkünstlerin Milo Moiré wirbt? Möglicherweise ist das nur, wonach es aussieht: ein Aufleuchten lüsterner Männerphantasien, die auch das Herz konservativer Katholiken bedrängen mögen. Auch wenn sie sich angeblich aus Protest gegen sexuelle Übergriffe von Flüchtlingen nackend auf dem Bahnhofsvorplatz in Köln präsentiert hatte, ihre sonstigen Auftritte und Botschaften sind für mich als Katholiken nicht weniger verstörend als ein FEMEN - Protest. Da lasse ich sie gern nackend sein und ziehe meiner Wege, statt mich mit ihnen gemein zu machen. Es hat etwas von Doppelmoral, dem Einen etwas durchgehen zu lassen, weil ich ihn für einen Freund halte, während beim Anderen allzu fix eine ehrenhafte Motivation ausgeblendet wird.

Wenn Gabriele Kuby die traditionelle Familie fördern will, warum reist sie da (ich unterstelle mal ehrenhafte Motive) zu einem Kongress nach Rußland, wo sie auf lauter undurchsichtige Partner und unbekannte Organisationen mit höchst unklaren Zielen trifft? Vermag Frau Kuby all dies auszubalancieren? Auch wenn Präsident Putin sich als orthodoxer Gläubiger präsentiert, eine kritische Distanz ist bei ihm weit mehr geboten als ein klarer Abstand zur Bundeskanzlerin. Was spricht dagegen Rußland, seine Menschen, seine Religion und Kultur wertzuschätzen. Dafür muss niemand Putin umarmen.


Islam – Islamismus – Islamisierung – christliches Abendland

Es ist verständlich, dass Christen einen glaubensstarken Islam als bedrohlich erleben, während sie gleichzeitig ein eher glaubensschwaches Christentum erleben. Dieses hat seinen stützenden, äußeren Halt durch die zunehmend pluralistische, postchristliche, demokratische Gesellschaft weitgehend verloren. Und es krankt nach wie vor daran, dass Menschen mit der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten negative Erfahrungen gemacht haben. Es ist erstaunlich, dass sich solche negativen Erfahrungen und die hieraus folgende Abkehr von der Kirche sogar noch über Generationen weiter "vererben". Kirche wird und wurde als Zwangsorganisation erlebt, die die persönliche Freiheit und Entwicklung beschnitt und hemmte. Aus mancherlei Gründen befreien sich Menschen von kirchlichen Bindungen, auch wenn es aktuell schwer wäre, persönlich negative Kirchenerfahrungen zu machen. Wir müssen den verklärten Blick auf die 50er Jahre aufgeben, als die Kirche nach den traumatischen Erfahrungen der Nazizeit eine Scheinblüte erlebte. Diese Blüte hatte auch einen Preis, den wir heute abzahlen. Warum das so ist, das kann in wenigen Sätzen nicht geklärt werden. Dass es so ist, das erlebe ich beinahe jeden Tag, wenngleich ich in diesem Phänomen nicht den Hauptgrund für die Krise der Kirchen entdecke.

Der Islam dagegen hat durchaus noch stützende Halteplanken, vor allem in Europa sind das: die Suche nach Identität in der Fremde, die damit korrespondierende Verunsicherung, die Heimatgefühle und die Landestraditionen, vor allem aus der Türkei. Als weitere Stärke erweist sich unter den freiheitlich - demokratischen Bedingungen das Fehlen einer Großinstitution. Im Islam ist jeder Gläubige unmittelbar Gott gegenüber verantwortlich, kirchenähnliche Strukturen fehlen. Eine Auflehnung gegen den Islam ist daher kein Kampf gegen eine Kirchenstruktur sondern richtete sich gegen Gott selbst.

Umso wichtiger ist es, dass wir als Kirche auf Christen setzen, die dies aus „Einsicht und Entscheidung“ sein wollen. Und dass wir die Kirche als Institution weniger wichtig nehmen, dass sie deutlich spürbar in erster Linie wieder dem Glauben an Gott dient.

Das christliche Abendland, das ausgerechnet von religionsfernen Bewegungen und Parteien (es ist vielfach empirisch belegt, dass keine andere Partei so wenige praktizierende Christen in ihren Reihen hat, wie die AfD und dass die große Mehrheit der PEGIDA-Leute konfessionslos ist) wird so zum beliebigen Popanz. Ein christliches Abendland, bei dem christlichen Wurzeln beschworen werden, erinnert mich etwas an die Formulierung des „ewigen Rom“, mit dem sich die Piusbruderschaft eine Hilfskonstruktion aufgebaut hat, das Lehramt zu abstrahieren und damit den nach dem 2. Vaticanum amtierenden Päpsten den Gehorsam partiell zu versagen. Der Unterschied ist, dass das „ewige Rom“ Orientierungspunkte kennt, die beispielsweise in den Beschlüssen des tridentinischen Konzils kumulieren, es ist damit – anders als das oft beschworene christliche Abendland - kein reines Gedankenkonstrukt, das von zu viel Phantasie und schlechter historischer Bildung zeugt.

Die Wortverbindung Abendland und Christentum ist überhaupt tückisch, denn Christentum ist weit mehr als „christliches Abendland“ und „christlich-jüdische Wurzeln“.
Interessant ist an dieser Stelle, dass Liane Bednarz sich nicht ausdrücklich der Petrus- bzw. Piusbruderschaft in Deutschland widmet. Aber ich nehme ebenfalls nicht wahr, dass die konservativ-traditionalistischen Gemeinschaften eine besondere Nähe zu politisch rechten Akteuren, Parteien und Bewegungen unterhalten, wenngleich es einige Protagonisten aus deren Umfeld gibt, wie z.B. der Dresdner Rechtsanwalt Maximilian Krah oder der Münsteraner Priester Paul Spätling, der sich auf eine der ersten PEGIDA - Demonstrationen verirrte. In anderen europäischen Ländern muss man das leider differenzierter sehen. Ich würde das mal mit der alten Lebensweisheit "Schuster bleib bei deinen Leisten" beschreiben, an der sich die Freunde der "Alten Messe" in Deutschland weitgehend orientieren.

Skurril aber symptomatisch empfand ich eine Schilderung im Buch, wo ein evangelikaler Christ auf einer AfD-Veranstaltung versuchte, AfD-Ziele biblisch zu begründen. Mit Hilfe des Begriffs „Nächstenliebe“ erklärt er u.a., dass all die Flüchtlinge ja aus weiter Entfernung, manchmal über 10.000 km, zu uns gekommen seien. Für so weit Entfernte könne er doch kein Nächster sein. Nächste seien seine Frau und seine Familie. Er verkehrt damit die Aussageabsicht des Barmherzigen Samariters in ihr glattes Gegenteil. Jesus betont, dass derjenige mein Nächster sei, der gerade in diesem Moment meine Hilfe braucht. (Was mich natürlich in keiner Weise der Sorge um meine Liebsten enthebt.) Aber damit bleibt auch zu der Behauptung, das Evangelium fordere keine „Fernstenliebe“, jeder weitere Kommentar überflüssig.

Ganz zu schweigen von der langen Tradition christlicher Mission und der segensreichen Tätigkeit der kirchlichen Hilfswerke wie Misereor, Adveniat und „Kirche in Not“.

Abschließen werde ich diesen Text im Laufe der Woche noch mit einigen Notizen zur Kontroverse um das Buch, um Liane Bednarz und eine abschließende Bewertung des Bandes. Es folgt also noch ein dritter Teil.


Hier lesen Sie den dritten und abschließenden Teil.: 

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