Mittwoch, 12. Oktober 2011

Heilige Scheisse??


Sie hat mich neugierig gemacht, die Frage auf dem Buchtitel: „Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?“. Sonst fand ich den Titel „Heilige Scheisse“ eher dämlich, nicht mal wirklich kreativ, provokant oder gar witzig. Aber dieser Untertitel, der ließ ja erwarten, dass hier abgewogen wird, dass da vielleicht am Ende überraschende Ergebnisse präsentiert wurden. 
Aber beim Einkauf war ich wohl etwas zu leichtfertig. Das Lob von Michael Schmidt-Salomon auf der Rückseite des Buches, der sich hier als „Philosoph und Schriftsteller“ vorstellt hätte mich misstrauisch machen müssen. Als Sprecher der Giordano-Bruno-Stiftung kämpft er schon seit Jahren als gläubiger Atheist gegen den Glauben. In der ersten Hälfte des Buches hatte ich noch Spaß an der frischen und lockeren Sprache und Herangehensweise der Autoren.
Es klingt im Buch oft so, wie es in vielen Gesprächen mit Leuten klingt, die kaum Bezug zur Kirche haben und ihr „Insiderwissen“ aus der Zeitung und dem Weihnachtsgottesdienst beziehen. Locker, skeptisch, kritisch – aber ohne tiefe Sachkenntnis. Das Buch beschreibt ein wenig die religiöse Situation im Deutschland 2011. Aber manche inhaltlichen Fehler und Oberflächlichkeiten machen das Buch – Fehler um Fehler – immer ärgerlicher. Nur ein Beispiel: auf Seite 236 wird die Bekehrung des Christen Herbert Steffen (Gründer der Giordano-Bruno-Stiftung) zum Atheismus geschildert. Plötzlich habe er Bücher gelesen, die auf dem „Index“ der katholischen Kirche stünden. Diesen Index gab es zu dieser Zeit überhaupt nicht mehr. Je weiter man im Buch nach hinten kommt – desto flacher die Inhalte und desto enttäuschender die Erkenntnisse. Am Ende bleibt den Autoren offensichtlich nichts als der Glaube, dass sich ein gutes menschliches Miteinander und ein verantwortungsvoller Umgang mit Mitmensch und Schöpfung allein aus der Vernunft ergebe, aus der Erkenntnis, dass es ein gesunder Egoismus sei, der den Menschen vorwärts bringe, denn er wolle die Welt erhalten für sich und seine Nachkommen. Nun, jede Nachrichtensendung führt mir vor Augen, dass diese Annahme so nicht stimmen kann. Selbst eine gewisse Gläubigkeit bewahrt die Menschheit nicht vor lauter Dummheiten und den Folgen eines grenzenlosen persönlichen Egoismus. An Beispielen mangelt es nicht, da muss man gar nicht Hitler oder Stalin bemühen.
Ansonsten breitet das Buch alle Plattheiten der vergangenen Jahrzehnte über den Glauben an Gott aus. Wie eine Neuigkeit bekommt man die Erkenntnis vermittelt, dass nicht alles, was in der Bibel steht, einer historischen Überprüfung stand hält. Ach? Wirklich?
Seitenweise lässt man sich über die „Kreationisten“ aus. Als sei der Glaube an die Schöpfung in sieben Tagen vor knapp 6.000 Jahren in christlichen Gemeinden hierzulande eine ernstzunehmende Überzeugung. Die meisten Christen haben kein Problem damit, gleichzeitig Gott als Schöpfer der Welt zu ehren und die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Entstehung der Welt (und der Arten) für wahr zu halten. Wie sagte noch Papst Benedikt kürzlich in Berlin: „Ist es wirklich sinnlos zu bedenken, ob die objektive Vernunft, die sich in der Natur zeigt, nicht eine schöpferische Vernunft, einen Creator Spiritus voraussetzt?“
Wissenschaft und Glaube seien nicht vereinbar, so das „Credo“ von Bonner und Weiss. Belegt wird das mit einigen Lebensgeschichten von (zumeist weiter unbekannten) Menschen denen angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse Zweifel an Gott gekommen sind. Das gibt es sicherlich! Aber es gibt auch viele Menschen, die Glauben und Vernunft sehr gut zusammen bringen. Vielleicht handelt es sich bei den geschilderten Geschichten auch nur um ein Missverständnis, nämlich in dem Sinne, dass Glauben bedeute etwas für wahr zu halten, was man nicht beweisen kann. Das ist eine sehr verkürzte Sicht des Dinge. Im Gegenteil; ein gutes Miteinander von Glaube und Wissenschaft ist anregend, lässt immer neu über den Glauben nachdenken, weiterdenken, tiefer verstehen.
Je weiter man im Buch kommt, desto mehr wird es es ein Aufguss der ewig gleichen Themen, Kirche und Sex, Kirche und Geld, Kirche und Homosexualität, Kirche und Frauen...
Hätten die Autoren die Frage auf dem Titel „Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?“ doch gleich mit „Nein!“ beantwortet (was sie zweifellos Seite für Seite tun und von Anfang an geplant hatten), hätte ich mir die Ausgabe von fast neun Euro sparen können. So bleibt, dass ich mich besser zwei Stunden in die Kneipe gestellt hätte. Der Erkenntnisgewinn wäre vermutlich ähnlich gewesen; für die 8,99 Euro hätte ich drei Bier und eine Cola getrunken; und vielleicht doch noch einen Typen gefunden, der angesichts der Geburt seiner Tochter das Staunen gelernt hat und eine kleine Ahnung davon, dass da doch mehr ist als Leute wie Schmidt-Salomon; Bonner und Weiss als wahr anerkennen. Das Buch ist eine gute Bestandsaufnahme des traurigen (und manchmal auch witzigen) Zustands des angeblich so sehr in christlichen Werten wurzelnden deutschen Gesellschaft. Aber das rechtfertigt nicht die Zeit, die es braucht um es zu lesen. Neuigkeiten habe ich nicht erfahren; außer vielleicht der, dass die Autoren daran glauben, Gott habe einen Facebook – Account und nur 137 Freunde.

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