Dienstag, 18. Oktober 2011

Demontage unserer Bischöfe


Der Kölner Kardinal Joachim Meisner hat vor einiger Zeit ein bemerkenswertes Projekt gestartet. Unter www.direktzumkardinal.de kann „Otto-Normal-Christ“ Fragen stellen, auf die der Kardinal selbst antwortet. Damit er noch Zeit für andere Dinge hat, gibt es ein Verfahren, bei dem die Nutzer bestimmte Fragen unterstützen können. So antwortet Kardinal Meisner nur auf die Fragen, die das größte Interesse finden. Tolle Idee, aber sehr schnell haben bestimmte Kreise von Internet-Katholiken diese Homepage als Werkzeug entdeckt. In ihren Blogs und Foren heizen sie die Leser an, bestimmte Themen aus dem traditionellen und angeblich papsttreuen Themenspektrum zu voten. So finden sich vor allem Themen aus der weiten Welt des modernen Traditionalismus wie Priesterkragen, „Alte Messe“, Handkommunion, liturgischer Missbrauch und und und. 
Was man darin fast gar nicht liest sind Fragen aus der Mitte der Gemeinden im Erzbistum Köln, also der Zielgruppe dieser Website. Offensichtlich geht es vielen dieser Fragestellern auch weniger um eine Antwort auf eine echte Frage. Dass die Fragenden „Ihre“ Antwort längst haben, erkennt man schnell in der Formulierung der Frage. Vielmehr scheint es aber darum zu gehen, den Kardinal vorzuführen. Der antwortet wirklich gut und ausgewogen, aber ich zweifele, dass die Fragenden sich die Antwort zu Herzen nehmen und die Argumentation würdigen. Nur kurze Zeit später zerreißen sich die Schreiberlinge auf bestimmten kämpferisch-traditionalistischen Portalen sich regelmäßig das Maul über die Antwort des Kölner Erzbischofs. 
Waren es früher die angeblich „linken“ Katholiken, die ihre Probleme mit Kardinal Meisner hatten, so sind es heute die, die gerne so tun, als ob sie dem Papst die Stange halten. In Wahrheit arbeiten sie gegen ihn, indem sie die Autorität der Bischöfe demontieren.
Ähnlich läuft es bei der aus diesen Kreisen befeuerten Diskussion über die Tatsache, dass es Berührungspunkte zwischen der katholischen Schwangerschaftsberatung und der Beratung von Pro Familia gibt, da beide Kontakt zu bundesweit organisierten Beratungsdachverbänden pflegen. Und sich zu freuen, dass die katholischen Beraterinnen und Berater auch dort Zeugnis für das Leben geben, werden sie und ihre Bischöfe beim päpstlichen Nuntius denunziert: Diese Zusammenarbeit verdunkle „das Zeugnis der Kirche“. Manchem wird die Argumentation sehr bekannt vorkommen. 
Besonders munter in der Demontage der Autorität einzelner Bischöfe zeigt sich der junge Autor Alexander Kissler, der in einer abstoßenden Weise Erzbischof Zollitsch kürzlich als „Zirkuspferd“ karikierte. Trotzdem läßt er sich gern die Honorare mancher Kirchenzeitungen überweisen, die ihm und seinem Gedankengut Platz einräumen. Warum eigentlich? 
Was in solchen Kreisen über Kardinal Lehmann geschrieben wird, das mag ich nicht einmal zitieren. Vor einiger Zeit noch ordnete man die Bischöfe auf der beliebten Skala zwischen Liberal über konservativ und traditionell ein und arbeitete sich dann vor allem an den angeblich liberalen Bischöfen ab. Aber das hat sich verändert. Inzwischen sind sogar betont konservative Bischöfe wie Kardinal Meisner und Bischof Müller von Regensburg vor Herabsetzung und teils ätzender, unsachlicher Kritik nicht mehr sicher.
Ausdrücklich ermuntern z.B. die Initiativkreise der konservativ-traditionellen Minderheiten in der Kirche dazu, sogenannte „Missbräuche“ in Liturgie und Lehre den Bischöfen zu melden und – offensichtlich da man diesen nicht trauen könne - diese Meldungen auch per Durchschlag der Nuntiatur zu übermitteln.
Mitten aus dieser – angeblich so papsttreuen Szene – werden so die von Papst eingesetzten Bischöfe Stück für Stück demontiert. Man achtet sie nur noch dann, wenn sie die eigene Meinung und den eigenen theologischen Standpunkt stützen. Weichen sie vom selbsternannten Lehramt mancher Blogger und der angeblich so romtreuen Traditionalisten ab, werden sie zum Abschuss freigegeben. 
Schön läßt sich das auch beobachten an der immer wieder aufgeworfenen Frage, warum die Bischöfe nicht endlich dem Papst gehorchen und die Einsetzungsworte umformulieren. Jeder weiß, sie arbeiten am Messbuch und denken nicht im Traum daran dem Papst nicht zu gehorchen. Aber so ist schon wieder etwas Autorität dahin. Billig, schäbig, unwürdig und unchristlich....
So bietet sich den Kirchengegnern unserer Tage das gewünschte Bild einer in sich zerrissenen Kirche, das in Talksendungen und Internetforen genüsslich in die Öffentlichkeit transportiert wird. So findet man zu den Namen unserer Bischöfe im Internet viel mehr an Herabsetzung, Lächerlich machen und Kritik aus unberufenem Munde als Ehrfurcht und Achtung vor den Nachfolgern der Apostel und Aufmerksamkeit für deren Christus - Verkündigung. Mich interessiert weniger, ob mein Bischof dieser oder jener Theologie anhängt. Mich interessiert, was er über Christus verkündigt und wie es ihm gelingt, unsere Diözese so zu leiten, dass die Gottesfrage in der Gesellschaft präsent bleibt. Über den Abt einer berühmten, großen Schweizer Abtei war kürzlich zu lesen, dass man seiner Predigt nicht hätte entnehmen können, ob er nun ein Gegner oder ein Freund des Papstes sei. Wer mit dieser Schere im Kopf einer Predigt lauscht, der wird Gottes Wort nicht ins Herz und in den Verstand lassen können. Da läuft etwas gründlich falsch in der ach so katholischen Blogoezese.
Oder sind diese Leute letztlich darauf aus, die Kirche zu schrumpfen bis auf einen „heiligen Rest“, der im katholischen Disneyland im Internet nur noch sich selbst und seine Papst- und Glaubenstreue feiert. Um dann am Sonntag 300 km in die nächste Piusbruderschaftskirche zu fahren, weil der dortige P. Athanasius Donnerschlag FSSPX mit klarer Stimme die lateinischen Choräle so intoniert, wie es Papst Leo XIII. damals in der legendären Gründonnerstagsliturgie 1901 im Petersdom tat. Eben jener Leo XIII., der als letzter „wahrer Papst“ noch für die jährliche Standeskommunion einstand, während der „häretische“ Piux X. die Frühkommunion und die häufigere Kommunion förderte.
Natürlich gehört zur katholischen Kirche selbstverständlich der Papst und die Treue zu ihm als Nachfolger des Apostels Petrus. Aber genauso unaufgebbar ist (gerade auch für unseren Papst Benedikt XVI.) die Gemeinschaft der Bischöfe und die Treue der Priester und Gläubigen ihnen gegenüber.

Mittwoch, 12. Oktober 2011

Heilige Scheisse??


Sie hat mich neugierig gemacht, die Frage auf dem Buchtitel: „Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?“. Sonst fand ich den Titel „Heilige Scheisse“ eher dämlich, nicht mal wirklich kreativ, provokant oder gar witzig. Aber dieser Untertitel, der ließ ja erwarten, dass hier abgewogen wird, dass da vielleicht am Ende überraschende Ergebnisse präsentiert wurden. 
Aber beim Einkauf war ich wohl etwas zu leichtfertig. Das Lob von Michael Schmidt-Salomon auf der Rückseite des Buches, der sich hier als „Philosoph und Schriftsteller“ vorstellt hätte mich misstrauisch machen müssen. Als Sprecher der Giordano-Bruno-Stiftung kämpft er schon seit Jahren als gläubiger Atheist gegen den Glauben. In der ersten Hälfte des Buches hatte ich noch Spaß an der frischen und lockeren Sprache und Herangehensweise der Autoren.
Es klingt im Buch oft so, wie es in vielen Gesprächen mit Leuten klingt, die kaum Bezug zur Kirche haben und ihr „Insiderwissen“ aus der Zeitung und dem Weihnachtsgottesdienst beziehen. Locker, skeptisch, kritisch – aber ohne tiefe Sachkenntnis. Das Buch beschreibt ein wenig die religiöse Situation im Deutschland 2011. Aber manche inhaltlichen Fehler und Oberflächlichkeiten machen das Buch – Fehler um Fehler – immer ärgerlicher. Nur ein Beispiel: auf Seite 236 wird die Bekehrung des Christen Herbert Steffen (Gründer der Giordano-Bruno-Stiftung) zum Atheismus geschildert. Plötzlich habe er Bücher gelesen, die auf dem „Index“ der katholischen Kirche stünden. Diesen Index gab es zu dieser Zeit überhaupt nicht mehr. Je weiter man im Buch nach hinten kommt – desto flacher die Inhalte und desto enttäuschender die Erkenntnisse. Am Ende bleibt den Autoren offensichtlich nichts als der Glaube, dass sich ein gutes menschliches Miteinander und ein verantwortungsvoller Umgang mit Mitmensch und Schöpfung allein aus der Vernunft ergebe, aus der Erkenntnis, dass es ein gesunder Egoismus sei, der den Menschen vorwärts bringe, denn er wolle die Welt erhalten für sich und seine Nachkommen. Nun, jede Nachrichtensendung führt mir vor Augen, dass diese Annahme so nicht stimmen kann. Selbst eine gewisse Gläubigkeit bewahrt die Menschheit nicht vor lauter Dummheiten und den Folgen eines grenzenlosen persönlichen Egoismus. An Beispielen mangelt es nicht, da muss man gar nicht Hitler oder Stalin bemühen.
Ansonsten breitet das Buch alle Plattheiten der vergangenen Jahrzehnte über den Glauben an Gott aus. Wie eine Neuigkeit bekommt man die Erkenntnis vermittelt, dass nicht alles, was in der Bibel steht, einer historischen Überprüfung stand hält. Ach? Wirklich?
Seitenweise lässt man sich über die „Kreationisten“ aus. Als sei der Glaube an die Schöpfung in sieben Tagen vor knapp 6.000 Jahren in christlichen Gemeinden hierzulande eine ernstzunehmende Überzeugung. Die meisten Christen haben kein Problem damit, gleichzeitig Gott als Schöpfer der Welt zu ehren und die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Entstehung der Welt (und der Arten) für wahr zu halten. Wie sagte noch Papst Benedikt kürzlich in Berlin: „Ist es wirklich sinnlos zu bedenken, ob die objektive Vernunft, die sich in der Natur zeigt, nicht eine schöpferische Vernunft, einen Creator Spiritus voraussetzt?“
Wissenschaft und Glaube seien nicht vereinbar, so das „Credo“ von Bonner und Weiss. Belegt wird das mit einigen Lebensgeschichten von (zumeist weiter unbekannten) Menschen denen angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse Zweifel an Gott gekommen sind. Das gibt es sicherlich! Aber es gibt auch viele Menschen, die Glauben und Vernunft sehr gut zusammen bringen. Vielleicht handelt es sich bei den geschilderten Geschichten auch nur um ein Missverständnis, nämlich in dem Sinne, dass Glauben bedeute etwas für wahr zu halten, was man nicht beweisen kann. Das ist eine sehr verkürzte Sicht des Dinge. Im Gegenteil; ein gutes Miteinander von Glaube und Wissenschaft ist anregend, lässt immer neu über den Glauben nachdenken, weiterdenken, tiefer verstehen.
Je weiter man im Buch kommt, desto mehr wird es es ein Aufguss der ewig gleichen Themen, Kirche und Sex, Kirche und Geld, Kirche und Homosexualität, Kirche und Frauen...
Hätten die Autoren die Frage auf dem Titel „Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?“ doch gleich mit „Nein!“ beantwortet (was sie zweifellos Seite für Seite tun und von Anfang an geplant hatten), hätte ich mir die Ausgabe von fast neun Euro sparen können. So bleibt, dass ich mich besser zwei Stunden in die Kneipe gestellt hätte. Der Erkenntnisgewinn wäre vermutlich ähnlich gewesen; für die 8,99 Euro hätte ich drei Bier und eine Cola getrunken; und vielleicht doch noch einen Typen gefunden, der angesichts der Geburt seiner Tochter das Staunen gelernt hat und eine kleine Ahnung davon, dass da doch mehr ist als Leute wie Schmidt-Salomon; Bonner und Weiss als wahr anerkennen. Das Buch ist eine gute Bestandsaufnahme des traurigen (und manchmal auch witzigen) Zustands des angeblich so sehr in christlichen Werten wurzelnden deutschen Gesellschaft. Aber das rechtfertigt nicht die Zeit, die es braucht um es zu lesen. Neuigkeiten habe ich nicht erfahren; außer vielleicht der, dass die Autoren daran glauben, Gott habe einen Facebook – Account und nur 137 Freunde.