- Seit Jahren wird um den rechten Weg in der Seelsorge an und mit geschiedenen und wieder verheirateten Ehepartnern gerungen. Der Ruf nach Möglichkeiten der Zulassung zu den Sakramenten ist laut.
- Wer in einer Gemeinde verantwortlich ist für die Erstkommunionkatechese, der trifft so unterschiedliche Familienmodelle an, der begegnet so viel Patchwork in den Familien, dass er getrost alle Idealisierungen christlichen Lebens fahren lässt.
- Wenn er nicht eine besonders beliebte, attraktive Traukirche hat, wird kaum ein Pfarrer heute noch mehr Hochzeiten als Ehejubiläen feiern. Selbst bei anhaltend hoher Scheidungsquote erreichen heute deutlich mehr Paare die goldene oder silberne Hochzeit (und feiern dieses) als dass neue Ehen richtig katholisch geschlossen werden.
- Mancher Priester verzweifelt über den Schwerpunktsetzungen der Eheleute; Blumenschmuck und Musik, die Rolle des Brautvaters, die Kleidung und die Schönheit der Kirche stehen im Vordergrund. Es soll ja der schönste Tag des Lebens werden. Ehevorbereitungskurse? Wer braucht das schon?
Schritt für Schritt kommt es – mit (höchst)gerichtlicher Schützenhilfe zu einer "Gleichberechtigung" unterschiedlichster Partnerschaftsformen. Gleiche Liebe, gleiche Verantwortung, gleiche Rechte. Manch konservativer Publizist fragt schon spitz, ob demnächst auch die Beziehung der alten Dame zu ihrem Dackel Jockel beim Standesamt beurkundet werden wird.
Jetzt scheint auch die evangelische Kirche die christlichen Bastionen zu räumen. Die EKD hat eine „Orientierungshilfe“ zum Thema Familie vorgestellt. Darin fordert sie, alle Familienformen anzuerkennen und zu stärken. Dabei schließt sie auch Patchworkfamilien und homosexuelle Partnerschaften ein.
Die Kritik der christlichen Schwestern und Brüder ließ nicht lange auf sich warten: Die Publizistin Birgit Kelle schrieb: „160 Seiten braucht die EKD, um zu definieren, was die normale Familie ist ... Liebe EKD, es geht auch mit drei Worten: Vater-Mutter-Kinder.“ Ihr Kollege Alexander Kissler griff in einer Polemik bei cicero gleich zum ganz schweren Degen: „grün-besserwisserischer Zeitgeist“, „beklagenswerte Zustand der protestantischen Universitätstheologie“, er spottet über Formulierungsfragen und Bibelfälschung. Selbst wenn er mit der ein oder anderen Bemerkung recht haben sollte, von inhaltlicher Auseinandersetzung ist wenig zu lesen, es ist nur ein Aufguss der allseits bekannten Evangelenfeindlichkeit in bestimmten Kreisen. Natürlich kriegen auch Margot Käßmann, Nikolaus Schneider und Heinrich Bedford-Strohm ihr Fett weg. Warum eigentlich? Kissler reicht es, dass sie allesamt Bücher verfassen, ein Symptom einer angeblichen Schwafelkirche und ergeht sich im Spott über einzelne Formulierungen darin. Mich überzeugt ein solcher Krawallkatholizismus nicht. Selbst wenn Kissler manchmal durchaus unterhaltsam ist.
Ganz anders geht der eher konservative Prälat Wilhelm Imkamp an die Sache heran. Die Orientierungshilfe sei "ganz auf Linie Luthers", weil sie die Ehe als "weltlich Ding" und nicht als Sakrament beurteile. Darin sieht er eine begrüßenswerte Klarheit und stellt die katholische Position vor dieser Folie dar. Anders als Luther sehen die Katholiken in der liebevollen Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau ein Sakrament. In dieser Verbindung spiegelt sich die Liebe Jesu Christi zu seinen Jüngern, zu seiner Kirche. So wie diese Liebe unzerstörbar sei, so ist auch das Sakrament der Ehe nicht aufzulösen; so wie Jesus seine Gläubigen nie im Stich lässt, so sollten auch Eheleute einander in guten und in schlechten Zeiten zur Seite stehen.
Ehe = Vater, Mutter, Kinder! Und das sei nach biblischem Zeugnis so! Das hört man in dieser Diskussion häufiger. Vielleicht sollten wir mal die Bibel lesen. Da sind zum Beispiel Abraham und seine Frauen Sara und Hagar: Mit beiden hatte der Stammvater des Volkes Israel Kinder. Oder sein Enkel Jakob mit seinen beiden Frauen, den Schwestern Rahel und Lea, mit denen er zwölf Söhne zeugte, auf die die zwölf Stämme des biblischen Israel zurückgehen. So ganz einfach ist das nicht mit dem biblischen Familienbild. Und auch auf Jesus können sich die Vertreter des traditionellen Vater, Mutter, Kinder nicht ganz so leicht berufen. Ein Familienmensch war dieser nicht, seine Angehörigen hatten es nicht gerade leicht mit ihm. „Jeder, der um meinetwillen und um des Evangeliums willen Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird das Hundertfache dafür empfangen.“ oder auf die Frage nach der Ehe: „Meister, Mose hat gesagt: Wenn ein Mann stirbt, ohne Kinder zu haben, dann soll sein Bruder dessen Frau heiraten und seinem Bruder Nachkommen verschaffen. Bei uns lebten einmal sieben Brüder. Der erste heiratete und starb, und weil er keine Nachkommen hatte, hinterließ er seine Frau seinem Bruder, ebenso der zweite und der dritte und so weiter bis zum siebten. Als letzte von allen starb die Frau. Wessen Frau wird sie nun bei der Auferstehung sein? Alle sieben haben sie doch zur Frau gehabt. Jesus antwortete ihnen: Ihr irrt euch; ihr kennt weder die Schrift noch die Macht Gottes. Denn nach der Auferstehung werden die Menschen nicht mehr heiraten, sondern sein wie die Engel im Himmel.“
Aber kommen wir zurück zur Ausgangsfrage. Wir erleben einen großen Wandel mit Blick auf die Formen menschlichen Zusammenlebens. Was uns heute manchmal als „Standard“ erscheint, als erhaltenswertes Ideal ist dabei so alt noch nicht. Die „Liebesheirat“, bei der sich zwei Partner frei füreinander entscheiden ist ein Kind des bürgerlichen Lebens. Dass eine Ehe Jahrzehnte lang währt, auch das gibt es erst dank des medizinischen Fortschritts der letzten hundert Jahre. Ich kann mir nicht helfen, wann immer Jesus in der Bibel von Ehe spricht hat er wohl etwas anderes vor Augen, als die Ehe meiner Großeltern, die über 60 Jahre trug und erst mit dem Tod meines Opas endete. Auch stellt eine Trennung ein Paar heute nicht mehr vor derart schwierige gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme, wie noch vor vierzig Jahren. Nicht alle diese Phänomene sind in sich schlecht. Sie sind auch Ausdruck gesellschaftlichen Fortschritts. So ist es kein Wunder, dass sie mit einem Wandel in der Beziehungskultur einher gehen. Und dieser Wandel ist noch immer im Gange, denn es wächst die Akzeptanz und Toleranz für ungewöhnliche Lebensformen. Anything goes und kaum noch etwas regt die Nachbarschaft und die Verwandschaft wirklich auf. Der soziale Druck nimmt spürbar ab und damit auch Bindungskräfte, die auch jenseits der tragenden Liebesbeziehung eine Ehe zusammen hielten.
Doch trotz all diesen Wandels ist und bleibt die Ehe ein hoher Wert. Noch immer wünscht sich die überwiegende Mehrzahl der jungen Menschen im Grunde „katholische Werte“. Treue steht hoch im Kurs! Möglichst lebenslang! Auch Kinder werden von den allermeisten Paaren in ihrer Lebensplanung gewünscht. Die Sehnsucht nach einer funktionierenden und tragenden Beziehung ist groß. Vieles, was uns Katholiken an einer Ehe wichtig ist, halten unsere Zeitgenossen, ob katholisch, ob gläubig oder nicht ebenfalls für wichtig. Trotzdem gelingt es uns offensichtlich nicht, die katholische Idee von der Ehe so zu präsentieren, dass die Leute erkennen: das ist es, wonach ich schon so lange gesucht habe.
Die Ehe ist ein weltlich Ding, diese evangelische Überzeugung wird uns zur Zeit überdeutlich vor Augen geführt. Die Verantwortlichen in Staat und Gesellschaft machen, ob in Deutschland, Amerika und Frankreich damit was sie wollen. Die Ehe ist ihnen wohl keine heilige Institution, nicht einmal ein schützenswertes Modell. Sie dehnen den Begriff auf weitere Lebensformen. Vielleicht gibt es demnächst ja Ehen mit „Verfallsdatum“.
Vielleicht sollten wir uns darauf besinnen, dass die katholische Auffassung von Ehe nicht davon abhängig ist, wie der Staat das Zusammenleben von Paaren regelt. Vielleicht müssen wir auch wieder deutlicher darauf hinweisen, dass das, was der Staat als Ehe definiert noch lange nicht das ist, was wir darunter verstehen. Vielleicht müssen wir uns in der Frage der Ehe und der Familie stärker vom Staat abgrenzen und die Kooperation mit staatlichen Stellen in der Ehefrage einstellen.
Wir sollten weniger darauf starren, was Staat, Gesellschaft, Gerichte und Eheleute selbst aus ihren Ehen und Beziehungsformen machen. Auch wenn es in staatlicher und kirchlicher Definition jeweils Ehe heißt – so ist es nicht dasselbe. Kein Bundesverfassungsgericht und keine Staat kann gläubige Menschen zwingen, ihre Ehe neu und anders zu verstehen und zu leben.
Für Bischof Voderholzer geht es bei der Ehe „nicht um ein paar moralische Fragen. Es geht um die Schöpfungsordnung, um die Einsicht: In der gegenseitigen Anziehung von Mann und Frau, in der Bezogenheit von Frau und Mann aufeinander hat der Schöpfer die Zukunft der Menschheit, die Zukunft von Gesellschaft und Kirche gelegt. Damit wird niemandem eine Lebensweise vorgeschrieben. Aber es wird die besondere Schutzwürdigkeit von Ehe und Familie als Keimzelle der Gesellschaft und als Ort der Zukunftsfähigkeit der Menschheit herausgestellt.“
Wenn heute in der Öffentlichkeit und auch kirchenintern über die Ehe debattiert wird, dann – leider – meist im negativen Kontext. Wir sprechen über die Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten, über hohe Scheidungsraten, über Patchworkfamilien, über die Unbarmherzigkeit der Kirche im Umgang mit Geschiedenen, Homosexuellen und modernen Formen der Lebens-Abschnitts-Partnerschaft. Und wir tun uns schwer mit der Seelsorge und mit Angeboten, die diesen Personen das Gefühl geben, in ihrer Lebensform und mit ihren Problemen ernstgenommen, verstanden, akzeptiert zu werden. Viele von ihnen wollen nicht als „defizitäre Christen“ gesehen werden. Hier müssen wir etwas tun, ohne unsere Idee von Ehe und Familie aufzugeben. Es überzeugt nur schwer, wenn wir uns seelsorglich einem wiederverheirateten Paar zuwenden, aber ihnen nicht irgendwann einmal die Gnade und das Verzeihen Gottes zuzusprechen und einen echten Neubeginn zu ermöglichen. Es ist auch kaum vermittelbar, auf Homosexuelle zuzugehen, ihnen Nähe zu signalisieren und gleichzeitig (gelebte) Homosexualität als Sünde zu brandmarken. Diese Spannung hält auf Dauer weder der Betroffene noch der Seelsorger aus.
Es macht wenig Sinn, wenn unsere Rede von der Ehe vor allem aus Sätzen besteht wie „Du sollst“ und „Die Eheleute müssen“. Um das Sakrament der Ehe einen Zaun aus Verboten und Geboten zu errichten, hilft nicht weiter, es verdunkelt nur das Licht, das sie eigentlich ausstrahlen könnte.
„Die Ehe gewinnt ihre besondere Bedeutung und Heiligkeit daraus, dass sie an der Schnittstelle des Verhältnisses von Gott und Mensch steht. Einerseits lebt sie ganz aus dem freien, rückhaltlosen „Ja“ von Mann und Frau zueinander; andererseits erwächst sie nach christlicher Überzeugung unmittelbar dem Willen des Schöpfers.“ - so Joachim Kardinal Meisner in einer aktuellen Stellungnahme. Wenn Jesus über die Ehe spricht, dann (nach Markus) so: „Jesus entgegnete ihnen: Nur weil ihr so hartherzig seid, hat er euch dieses Gebot (die Möglichkeit der Ehescheidung) gegeben. Am Anfang der Schöpfung aber hat Gott sie als Mann und Frau geschaffen. Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen, und die zwei werden ein Fleisch sein. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins. Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.“ Kardinal Meisner betont: „Die Ehe zwischen Mann und Frau, aus der Kinder hervorgehen, ist in der christlichen Frömmigkeitsgeschichte als Abbild der göttlichen Dreifaltigkeit verstanden worden.“ Die Wertschätzung, die in weiten Kreisen der katholischen Kirche nach wie vor
dem Zölibat entgegengebracht wird, sollten wir auch der sakramentalen Ehe widmen.
Die Ehe ist schon ein besonderes Sakrament. Das Ehesakrament spenden sich zwei Laien. Sie tun es gemeinsam und gleichberechtigt, als Mann und als Frau und in besonderen Fällen sogar ohne jegliche Mitwirkung eines Geistlichen allein vor dem Standesamt.
Wir sollten wieder mehr von dem sprechen, was das Sakrament ausmacht. Wir sollten von Beispielen gelingender Ehen erzählen und davon, wie es funktioniert, gute und schlechte Zeiten miteinander durchzustehen. So sieht das auch der Regensburger Bischof Voderholzer: „Müssen wir nicht auch von der Gnade sprechen und sie hochhalten, die darin besteht, dass es ungezählte Beispiele der gelungenen Verwirklichung dieses Ideals gibt?“ Wir sollten die Ehevorbereitung intensivieren und Paare in Krisen weiter engagiert begleiten. Wir sollten die spirituelle Dimension der Ehe betonen, durchaus auch aus theologischer Perspektive darüber reden, was in menschlicher Liebe, in Sexualität, im Familienleben auch von Gott zum Ausdruck kommt.
Wir müssen uns, wie Papst Franziskus sagt, für die „Institution der auf Ehe gegründeten Familie einsetzen“. Wir müssen dafür werben, wir müssen immer mehr Leute finden, die diesen Weg zu gehen bereit sind, wir müssen ihnen bei der Vorbereitung helfen, ihnen in Beziehung und als Familie mit Seelsorge, in der Kindererziehung und so zur Seite stehen und wir müssen ihnen Auswege aufzeigen, sollten ihre hohen Pläne – trotz Gottes Hilfe scheitern.