Montag, 12. November 2012

SPIEGEL infiziert vom Kreuz.net – Stil?

Gemeinhin gilt der Spiegel als Flaggschiff des seriösen und mutigen Journalismus. Aber bei manchem Artikel beschleicht einen die Sorge, ob hier doch keine neutralen und investigativen Reporter am Werk sind, sondern Praktikanten, die ihre private, etwas uninformierte Meinung beim SPIEGEL – online wie auf ihrem facebook-Profil kundtun. So erschien am 11. November 2012 (hoffentlich nicht auch noch um 11.11 Uhr) ein Artikel, aus dem ich hoffentlich einige prägnante Sätze zitiere darf: „Verdikt gegen Toleranz - Vatikan wettert gegen gleichgeschlechtliche Ehen“ - so lautete schon die Überschrift, für den Inhalt beruft man sich auf die Nachrichtenagentur „dapd“.
Und weiter: „Petersdom: Kirchenfürsten stemmen sich gegen gleichgeschlechtliche Ehe - Kampagne für das Ewiggestrige: Der Vatikan hat seine Ablehnung von Eheschließungen von Homosexuellen bekräftigt. Die Kirche halte an der katholischen Lehre fest, auch wenn "politisch korrekte Ideologien in jede Kultur der Welt Einzug halten", ätzte das Papst-Blatt "L'Osservatore Romano". Sollte der SPIEGEL-Journalist da vorher zu lange auf kreuz.net gesurft haben und kann deren Sprachstil eigentlich abfärben?
Dabei war es sicher nicht schwer zu recherchieren, dass die angebliche vatikanische Stellungnahme wohl gar nicht aus der offiziellen Vatikanzeitung stammt, sondern eine eher persönliche Stellungnahme des Papst – Sprechers P. Lombardi in einer regelmäßigen Kolumne bei Radio Vatikan war. Der SPIEGEL dagegen behauptet in seiner Online-Ausgabe, dass auf der Titelseite des L'Osservatore Romano zu lesen sei: „Die Kirche halte an der katholischen Lehre fest, auch wenn "politisch korrekte Ideologien in jede Kultur der Welt Einzug halten.“ Ich halte es für ausgeschlossen, dass die nun wirklich guten Journalisten des „L'Osservatore“ einen so schwammigen Begriff wie den von „politisch korrekten Ideologien“ verwenden. (Ich beziehe die offiziöse Zeitung aus dem Vatikanstaat leider nicht in ihrer italienischen Ausgabe, aber ich würde durchaus eine Wette eingehen, dass dieser Artikel dort so nicht erschienen ist.)
Und weiter lese ich in der angeblichen SPIEGEL-Meldung: „Mit aller Macht stemmt sich die Kirche gegen die zunehmende Toleranz.“ Nein, lieber SPIEGEL-Praktikant, die Kirche stemmt sich überhaupt nicht gegen Toleranz, ganz im Gegenteil. Sie tritt in aller Welt für Religionsfreizeit und für einen menschlichen Umgang mit Menschen anderer Herkunft, anderen Glaubens, anderer Überzeugung und anderen Aussehens ein. Sie engagiert sich dafür, dass die Ehe letztlich das bleibt, was sie seit ihrer „Erfindung“ ist, nämlich eine Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau aus der (hoffentlich) Kinder hervorgehen. Für die Kirche ist die Ehe aus ihren Glaubensüberzeugungen und aus einer langen Tradition heraus, ein kostbarer Schatz, den es zu bewahren gilt. Das muss nicht bedeuten, dass die Kirche sich gegen eine rechtliche Regelung anderer Formen von Partnerschaften engagiert (ruhig auch mit Feier im Standesamt) und das heißt erst recht nicht, dass sie intolerant gegenüber Menschen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung ist.
Ich finde, dass die (vielleicht etwas ironisch-spitze) Anfrage von Pater Federico Lombardi (in seiner Kolumne und nicht in einem „Interview“ mit Radio Vatikan) sehr berechtigt ist!
Wenn nicht, warum wird dann nicht auch Polygamie erwogen und auch Polyandrie (Vielmännerei), natürlich um niemanden zu diskriminieren.“ Mag SPIEGEL-Online diese Bemerkung auch als Beleg für „Intoleranz“ werten, eine Antwort darauf vermeidet der SPIEGEL-Schreiber doch selber auch. Und es ist doch auch so, mit welchem Argument möchte man bei einer vollständigen Öffnung der Ehe eine Form des Zusammenlebens unter Menschen gegenüber anderen denkbaren Formen privilegieren? Letztlich ist es doch – selbst wenn allen unterschiedlichen Formen des Zusammenlebens einzelner Menschen (was zunächst einmal deren Privatsache ist) – entscheidend, den Kindern, die in einer Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau geboren werden, einen guten Rahmen für das Aufwachsen und Leben zu ermöglichen. Und aus gutem Grund setzt der deutsche Staat auch für die „eingetragene Lebenspartnerschaft“ gewissen Grenzen. Nicht jeder, der mit einem anderen Menschen zusammenlebt, kann diese auch eingehen. Für eine Frau, die seit Jahren mit ihrer Tante zusammenlebt und die (außer dem Bett) alles andere miteinander teilen, ist diese Möglichkeit schlicht ausgeschlossen. Mit all den negativen Folgen, die das für diese beiden Menschen hat.
Weiter lesen wir in SPIEGEL Online nach einer Aufzählung der Länder, die die Ehe zwischen zwei Frauen oder zwei Männern einführen möchten: „In Deutschland können gleichgeschlechtliche Paare ihre Beziehung seit 2001 offiziell machen.“ Richtig ist, dass es seitdem eine Möglichkeit gibt, diese Partnerschaft in einem rechtlichen Akt eintragen zu lassen. „Offiziell“ waren die meisten dieser Beziehungen schon lange zuvor. Und nach wie vor lehnen es viele Paare (ob homo oder hetero) es ab, ihren Beziehungen einen offiziösen Status zu geben, weil sie meinen, dass die Form ihre Zusammenlebens nur sie etwas angeht und keine staatliche Stelle. Auch diese Haltung findet sicher nicht den Beifall von P. Lombardi, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser deshalb einem Journalisten, der so lebt weniger freundlich entgegenkommt als dem Chefredakteur von Kirche und Leben.
Bei aller Dramatik, die der SPIEGEL in diesen angeblichen „Kampagne der Kirche für das Ewiggestrige“ entdeckt, ist doch eigentümlich, dass sich niemand daran erinnern wird, dass sich Bischöfe vor den Standesämtern angekettet hätten oder dass wütende Gläubige die Trausäle stürmten, um vor 11 Jahren gegen dieses Gesetz zu protestieren.
Natürlich gab es einige kirchliche Stellungnahmen, die aber vor allem ihr Augenmerk darauf legten, dass es nach wie vor einen Unterschied geben sollte zwischen einer staatlicher Anerkennung unterschiedlichster Formen gemeinschaftlichen Lebens und einer Eheschließung. Das bedeutet nicht, dass Katholiken nicht positiv würdigen könnten, was an Gutem auch in anderen Formen des Zusammenlebens geschieht. Eine entsprechende öffentliche und positive Aussage hat ja erst kürzlich noch der als konservativ geltende Berliner Kardinal Rainer Maria Woelki gemacht. Wir leben in einer Gesellschaft, die auf der einen Seite Rechtssicherheit, weitere Förderung und Unterstützung für verbindliche Partnerschaften fordert und auf der anderen Seite lautstark beklagt, dass der Adenauer-Satz „Kinder kriegen die Leute sowieso!“ eben kein ehernes Gesetz ist. Wenn wir in dieser Gesellschaft leben, muss die Frage erlaubt sein, was wir ernsthaft unternehmen, damit unsere Kinder in gesicherten Verhältnissen aufwachsen und dass ein Paar den Mut hat, ein (oder mehrere) Kind(er) zu zeugen (und anzunehmen) und ins Leben zu führen. Die Kirche sagt nicht mehr und nicht weniger: Dafür braucht es einen guten Rahmen, und diesen Rahmen bietet seit mehreren tausend Jahren die Ehe zwischen Mann und Frau. Maßnahmen wie die „eingetragene Lebenspartnerschaft“ dürften auf die Geburtenrate weder einen positiven noch einen negativen Einfluss haben.


Beim Münchener Kirchenradio (sicher auch kein Hort der Intoleranz und Reaktion) kann man lesen, wie die Nachricht auch seriös präsentiert werden kann:

Sonntag, 4. November 2012

"Das Konzil hat die Katholiken lasch gemacht..." Wirklich?

Papst Paul VI., Foto von Lothar Wolleh
(http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)
via Wikimedia Commons
Es ist ein eher unscheinbares, grünes Büchlein aus meinem Bücherschrank: „Kleines Konzilskompendium“ heißt es. Es fasst alle Konstitutionen, Dekrete und Erklärungen des 2. Vaticanums in einem Band zusammen, Herausgeber waren damals Karl Rahner und Herbert Vorgrimler. Soeben hat Peter Hünermann eine neue Auflage der Texte veröffentlicht, ein Werk in lateinisch mit der deutschen Übersetzung. Kürzlich hat sich mal jemand öffentlichkeitswirksam an die Brust geklopft und gesagt: „Ich bekenne, ich habe die Texte des 2. Vatikanischen Konzils noch nie komplett gelesen.“ Mich würde ja wirklich einmal interessieren, wie viele Gläubige oder gar Priester die Texte wirklich komplett gelesen und nicht nur überflogen oder sich auf „Kerntexte“ beschränkt haben. Wer kann schon für sich beanspruchen, ein solche komplexes Werk komplett zu kennen und zu verstehen? Schließlich geht es nicht um ein Buch wie die Dogmatik des heutigen Erzbischofs Prof. Dr. Gerhard Ludwig Müller, die aus der Feder eines einzigen Wissenschaftlers stammt, dessen Denken man nach einigem Studieren kennen könnte. Nein, es ist die Essenz jahrelanger Dialoge unter mehr als 2000 Kirchenführern. Da verbergen sich die Feinheiten oft im Detail, man erinnere sich nur an die Auseinandersetzungen um das kleine lateinische Wort „subsistit“. Konzil macht also Mühe, und die scheuen viele. 
Aber zurück zum Ereignis selbst: Vor 50 Jahren, am 11. Oktober 1962, zogen rund 2.800 Kardinäle und Bischöfe zusammen mit Papst Johannes XXIII. zur Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) feierlich in den Petersdom ein. Das Konzil sollte das wichtigste kirchliche Ereignis des 20. Jahrhunderts werden. Der Papst selbst hatte von „Aggiornamento“, vom Heutig-Werden der Kirche gesprochen. Das Konzil leitete umfangreiche Veränderungen in der katholischen Kirche ein. Beschlüsse wurden allerdings nicht nach dem Prinzip „die Mehrheit hat recht“ gefällt, sondern in einem langen Prozess der Suche, des Nachdenkens, des Gesprächs und des Gebetes. Daher wurde den einzelnen Dokumenten des Konzils mit hohen Mehrheiten zugestimmt. Einzig ein unbedeutender Text über die Massenmedien erhielt mehr als einhundert Gegenstimmen (ca. 7 %). Bei wichtigen Texten waren nur einzelne Konzilsväter anderer Meinung. 
Für viele Christen war dieses Konzil mehr als eine Wegmarkierung, sie sehen es als Kehrtwende der Katholischen Kirche mitten hinein in die moderne Welt. Unter den Anhängern unterschiedlicher theologischer Richtungen ist in der Folge – immer wieder – Streit entbrannt. Auf der einen Seite stehen heute, nach 50 Jahren die, die betonen, das Konzil könne einzig im Licht der jahrhundertelangen Tradition der kirchlichen Verkündigung richtig gelesen und verstanden werden. Andere entdecken im Konzil einen Bruch mit dem, was Kirche vorher war. Und Vertreter dieser Überzeugung gibt es interessanterweise sowohl in der Piusbruderschaft (und ähnlichen Richtungen) als auch bei den Anhängern einer „Kirche von unten“. 
Gerne berufen sich die Kirchenreformer auf einen „Geist des Konzils“, für den sie die muntere Aufbruchstimmung nach der großen Kirchenversammlung als Beweis anführen. Manchmal hat man in der Rückschau durchaus den Eindruck, dass der Rückenwind für manche Reformen nicht ausschließlich der Hl. Geist gewesen sein kann. Und dass man aus der Ungeduld mit manchem Reformstau in der Kirche die anstehenden Reformen allzu radikal anpackte.
Doch die sehr kleine Gruppe der Konzilsskeptiker und Gegner war von Anfang an nicht leise. Gern zitiert wird von ihnen ein Papst Paul VI. zugeschriebener Ausspruch, durch das Konzil sei der „Rauch Satans, ... durch irgendeinen Riss in den Tempel Gottes eingedrungen sei.“ Dieses Wort stammt aus einer Predigt, die der Hl. Vater in freier Rede am 29. Juni 1972 gehalten hat. Und er bezog es auf die vielen Unsicherheiten und Auseinandersetzungen, die es in der Folge des Konzils in der Kirche gegeben hat. Es ist also mitnichten ein Urteil über das Konzil, eher eines über die Vertreter der allzu liberalen und der traditionalistischen Streithähne. Offensichtlich war da ein in der Vergangenheit eher verborgen schwelender Konflikt an die Oberfläche gedrungen. Die offene Aussprache beim Konzil wurde plötzlich auch in der allgemeinen kirchlichen Öffentlichkeit gepflegt. 
Kürzlich wurde der durchaus anerkannte Philosoph Robert Spaemann in der WELT über das Konzil befragt. Und neben manchem Bedenkenswerten spricht er dem zweiten Vatikanische Konzil ein hartes Urteil: Es habe eine „Epoche des Niedergangs" der katholischen Kirche eingeleitet. „Das Konzil hat die Katholiken lasch gemacht", sagt Spaemann und „Es ist alles so welk geworden." Die Kirchenversammlung sei Teil einer Kulturrevolution in den westlichen Staaten gewesen und habe zu einer „Anpassung" der Kirche an die säkulare Welt geführt, kritisierte Spaemann. Erst zum Ende des Interviews kommt der Philosoph zu der Erkenntnis, dass die Konzilstexte auch viele richtige und wichtige Aussagen enthalten. Alle Ultrakonservativen klatschten begeistert Beifall!
In dem Interview fällt u.a. der interessante Satz, dass es eine Tatsache sei, „dass Tausende von Priestern schon während des Konzils ihren Dienst verlassen haben.“ Diese Bemerkung, die in noch übertriebenerer Formulierung gerne in den ultrakonservativen Zirkeln kolportiert wird, machte mich neugierig. Aber, selbst wenn es stimmen würde, wäre das denn ein Beleg für die Behauptung, dass die Kirche seit dem Konzil „lasch“ und angepasst sei? Mir erscheint die Bemerkung unlogisch, denn ich frage mich, warum sollten „moderne“ Priester ihren Dienst aufgeben, wo es doch einen erkennbaren Aufbruch in der Kirche gab? Und auf der anderen Seite, warum sollten „traditionelle“ Priester ihren Dienst aufgeben, wenn die Kirche bis zu diesem Tag so makellos und rein da gestanden hätte, wie es heute in der Rückschau so gern behauptet wird. Daher sollte man prüfen, ob überhaupt stimmt, woran Spaemann zu glauben scheint. Daher müsste man eine entsprechende Statistik bemühen. Doch, belastbare Zahlen über Priestern und Ordensleute, die ihren Beruf oder ihren Orden verlassen haben, scheinen eher in den Giftschränken der Diözesen zu liegen. Wenn, dann gibt es Schätzungen und Mutmaßungen oder konkrete Geschichten rund um Priester die wegen einer Frau ihr Amt verließen. Daher schaue ich einfach mal auf die „positive Seite“ und die öffentlich verfügbaren Informationen. Die Zahl der Priesterweihen jedenfalls nimmt während des Konzils nicht ab. Sie bleibt konstant bei über 500 Priestern in Deutschland und geht danach aber bis 1994 kontinuierlich auf unter 200 zurück. Heute liegt sie bei unter einhundert. Inwieweit das Konzil hier „schuldig gesprochen werden kann“? Ich halte das für unwahrscheinlich. Die vatikanische Kongregation für den Klerus veröffentlicht die Information, dass es 1914 insgesamt 323.890 Kleriker auf der Welt gab, 1927 waren es 351 Tausend, 1961 (vor dem Konzil) 406 Tausend und 1970 (nach dem Konzil) 425 Tausend. Bei dieser Zahl ist es dann in der Folge geblieben, sie stieg bis zum Jahr 2001 auf 439 Tausend Priester, Bischöfe und Diakone. Einen „Konzilsknick“ kann ich hier nicht erkennen. Im Gegenteil, noch nie in der Geschichte der Kirche gab es mehr Kleriker als heute. 
Als Pastoralreferent komme ich mit vielen Menschen zusammen. Nur äußerst selten erlebe ich, dass jemand der Kirche seiner Jugend im Sinne der Konzilsgegner hinterhertrauert. Die Erinnerungen sind positiv geprägt, aufgrund von Erlebnissen in der katholischen Jugend und mit den Jugendseelsorgern. Den Umbruch der Konzilszeit haben die meisten von ihnen aber in guter Erinnerung, wenngleich auch von Konflikten zwischen traditionellen Pfarrern und allzu munteren Reformern berichtet wurde. Beklagt wurde das ein oder andere Mal, dass der liturgische Aufbruch auch mit der Beseitigung lieb gewordener Traditionen einherging, manchmal gar mit der Beseitigung kirchlicher Kunstwerke.
In negativer Erinnerung haben viele Menschen, die die „vorkonziliare“ Kirche noch erlebt haben, dass diese durch eine gewisse Enge gekennzeichnet war, die von vielen als Zwang und Druck erlebt wurde. Vermutlich konnte dies nicht anders sein, die Kirche lebt ja nicht im luftleeren Raum, ihre Sozialgestalt entwickelt sich im Dialog mit der gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung, die sie umgibt. 
Das Konzil, für den großen Wandel in der Bedeutung des Christentums in der heutigen Gesellschaft  schuldig zu sprechen, dürfte in etwa so gerecht sein, wie eine Verprügelung des Postbeamten, weil dieser eine schlechte Nachricht überbracht hatte. Wir erleben in Europa sicherlich schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts eine Krise von Kirche und Glauben, die im Kern sogar mehr ist. Sie ist eine Krise der seit der Antike überlieferten Form von Religion. Und diese Krise hat ihren Höhepunkt bis heute noch nicht erreicht. 
Das Konzil reagierte vor 50 Jahren auf diese Krise und versuchte die Substanz des Glaubens im Dialog mit seiner Umwelt zu wahren. Es versuchte, was alle anderen Konzilien auch versucht haben und was mehr oder minder gelungen ist. Aber die Krisen der vergangenen Zeiten sind vergangen, die Glaubenskrise von heute hält noch an. 
Vielleicht täten wir alle gut daran, die Texte des Konzils neu zu lesen und uns auch mit der Vor- und Nachgeschichte des Konzils vertraut zu machen. Dieses große Ereignis der Kirche fand nicht im luftleeren Raum statt. Die Auseinandersetzungen und historischen Umwälzungen des frühen 20. Jahrhunderts müssen mit betrachtet werden. Ich nenne nur die Stichworte: Kulturkampf, katholisches Milieu, Faschismus, Kommunismus, Individualisierung, Säkularisation. Man mag es drehen und wenden, aus welcher kirchenpolitischen Richtung auch immer. Eines ist klar, am Konzil führt kein Weg vorbei. 
Was bringt intelligente Menschen wie – unter anderem - Robert Spaemann eigentlich dazu, das 2. Vatikanische Konzil als Ursprung allen Übels und Quelle aller negativen Entwicklungen zu sehen? Was bringt traditionalistische Katholiken dazu, im Konzil den Anfang vom Ende der katholischen Kirche zu entdecken?
Manchmal scheint es, als wäre der Wunsch nach einem Automatismus der Verkündigung oder Automatismus der Weltverbesserung der Vater des Gedankens. Natürlich wäre es (vielleicht) schöner, wenn die Verbreitung des Glaubens weniger Mühe erforderte, wenn es weniger kritische Anfragen und ein der Kirche wohl gesonnenes staatlich-gesellschaftliches Umfeld gäbe. Aber in der heutigen Gesellschaft kann der Glaube nicht mehr verordnet werden. Früher mag er so etwas wie ein Betriebssystem der Gesellschaft gewesen sein, eine vorgegebener Orientierungsrahmen, aus dem allenfalls kleine Ausbrüche möglich waren. Heute aber muss der Glaube einen Deutungsrahmen für die Welt bieten, den sich ein Christ aus Einsicht und Überzeugung hineinbegibt. Der Glaube ist nicht mehr unmittelbar plausibel. Und es fällt schwer, unseren Zeitgenossen einsichtig zu machen, warum aus Tugenden wie Selbstbeschränkung, Verzicht auf völlige Freiheit, Verzicht auf freie Zeit durch Gebet, Gottesdienst, Einsatz für andere ein möglicherweise glücklicheres, gelingenderes Leben zu erhoffen ist. Für viele erscheint der Glaube als zusätzliche Last in einem sowieso schon anstrengenden und komplizierten Leben. Und ebensoviele vermissen nichts, wenn sie keinen Glauben praktizieren. 
In diese Situation sind wir als Kirche gestellt, in diese Situation dürfen wir einen Gott verkündigen, der uns Vater ist, der der allmächtige Schöpfer unserer Welt ist und in Jesus Christus an unserem Leben und Leiden Anteil nimmt. Er schenkt uns seinen Geist. „Macht euch keine Sorgen, was ihr sagen sollt. Denn der Heilige Geist wird euch in der gleichen Stunde eingeben, was ihr sagen müsst. (Lk 12,11b-12)“
Das Spaemann-Interview: www.welt.de/kultur/medien/article110261782/Das-Konzil-hat-die-Kirche-lasch-gemacht.html
www.clerus.org/clerus/dati/2003-06/22-6/totalclerge.htm - mehr zu den Zahlen der Diakone, Priester und Bischöfe.