Hier nun der 2. Teil meiner Gedanken zu den Angstpredigern, notiert bei der Lektüre dieses Buches:
Was bringt Christen
nach rechts? Solidarität der Marginalisierten?
Letztlich problematisiert Liane Bednarz in ihrem Buch eine
offenkundige Entwicklung, die jedem, der Kontakte ins
konservativ-traditionalistische Milieu pflegt, nicht entgehen konnte:
Die zunehmende Solidarisierung mit Personen und Parteien des rechten
Mileus. Sie beobachtet eine gewisse Solidarität der
Marginalisierten.
Ein Grund für solche Solidarisierung liegt wohl in Erfahrungen, die fromme Katholiken mit politisch Radikalen teilen. Ihre Überzeugungen interessieren kaum jemanden,
ihre Vorstellungen für eine bessere (christlichere) Gesellschaft lassen sich nicht realisieren. Und in einigen Themenfeldern hat man möglicherweise vergleichbare Vorstellungen.
Christliche AfD-Unterstützer seien,
merkt Bednarz auf S. 223 des Buches an, „so sehr auf ihre
Schlüsselthemen wie Abtreibung, Gender und Islam focussiert, dass
ihnen der Blick dafür fehle, was sie alles mit dazu erhalten.“
Diesen Eindruck teile ich.
Menschen, die bei sich bei Pegida
und AfD engagieren, kennen die Erfahrung von Dialogverweigerung und Abwehr ihrer Klagen und Ideen allzu gut. Daher auch das Bemühen, ihre Minderheitenposition als „gesunden Menschenverstand“
allgemeingültig zu machen oder man präsentiert sich als „das Volk“
oder gar als Stimme einer „schweigenden Mehrheit“.
Auch wenn es uns Christen sympathisch
ist, dass Probleme, wie sie z.B. im Gefolge der Migration nach
Deutschland getragen wurden offen angesprochen werden oder sich
Bewegungen plötzlich mit Fragen der Abtreibung, des Islam und der
sozialen Gerechtigkeit beschäftigen, sollten wir genau hinschauen,
ob sich die vorgeschlagenen Lösungen mit dem Wort und Beispiel Jesu
Christi in Einklang bringen lassen.
Ich frage mich schon lange, warum
brauchen konservative Katholiken solche Koalitionspartner? Wir sind
doch davon überzeugt, dass die Wahrheit sich durchsetzt, aus ihrer
inneren Kraft heraus.
Nichts nötigt uns, uns mit denen
gemein zu machen, die wegen ihrer steilen Thesen in der Diskussion
stehen, selbst wenn sie dafür von „Linken“ unter Feuer genommen
werden. Mag es einen konservativen Christen auch an leidvolle
Erfahrungen erinnern, mit den eigenen Überzeugungen unter Druck zu
stehen, so ist Solidarität um der Solidarität willen nicht immer
angemessen.
Verbindende
„Trigger“ - Zeitgeist – politische Korrektheit
Wo vom Zeitgeist geraunt wird, da
steckt meist der immer gleiche, frustrierte Kulturpessimismus
dahinter. Und letztlich blockiert diese Haltung Mission in der Welt
und das unbefangene Zugehen auf Menschen, die sich zumindest
vorsichtig für den Glauben interessieren. Wie gern wird der
evangelischen Kirche vorgeworfen, sich der „Diktatur des
Zeitgeistes“ zu ergeben. Und gleichzeitig ist es interessant, dass
diese zum Beispiel zum Islam ein sehr kritisches Dokument
herausgegeben hat, dass aber in der „Szene“ keinesweg rezipiert
und zitiert wird. Vermutlich wegen dessen letztlich differenzierten
Gesamthaltung. Da wählt man sich lieber den
humanistisch-atheistischen Aktivisten der Giordano-Bruno-Stiftung
Hamed Abdel-Samad zum Kronzeugen und Islamkenner. Ja, er kennt den
Islam, aber nur den, von dem viele christliche Islamskeptiker gerne
hören. Aber letztlich ist das, als würde man sich von Michael
Schmidt-Salomon einen Katechismus formulieren lassen.
Dem „Zeitgeist – Konzept“
verbunden ist auch das Schlagwort von der „politischen
Korrektheit“, beide sind zu einem Modewort in politisch rechten
Kreisen wie unter konservativen Christen geworden. Anders formuliert
verbirgt sich hinter „politischer Korrektheit“ so etwas wie
Anstand, Respekt, Rücksichtnahme und Toleranz. Sie schiesst sicher
hier und da über das Ziel hinaus, wenn sie aber zu bekämpfen wäre,
dann nur im Sinne solcher Übertreibungen, aber nicht als Idee
selbst. Mit dem Spruch „man wird doch noch sagen dürfen“ -
sollte man sich nicht jeden Radikalismus und jede Nonsens-Bemerkung
erlauben. Man darf sicher alles sagen, aber vieles davon ist (im
Sinne von „Schweigen ist Gold“) nicht klug, anderes ist falsch
und weiteres ist verletzend und bringt Menschen gegeneinander in
Stellung.
Selbstredend versuchen eher "linke" Aktivisten christlich-konservative Positionen mit Hilfe der berühmten "Rechtsextremismuskeule" zurückzudrängen und zu verhindern, dass sie überhaupt auf die Agenda kommen. Das ist ja sogar anhand der aktuellen Debatte über antisemitische Übergriffe auf jüdische Bürger zu beobachten. Auch hier gilt es genau hinzuschauen. Peinlich finde ich in diesen Tagen die Wortmeldungen zahlreicher Politiker, die die Selbstverständlichkeit in die Welt posaunen, dass niemand wegen des Tragens religiöser Symbole (insbesondere der Kippa) angegriffen oder angepöbelt werden dürfe. Und dies, ohne auch nur einen Halbsatz dazu zu verlieren, was sie konkret an Maßnahmen planen, um dies zu verhindern. Das ist wohlfeil und billig! Die Sache ist nicht gelöst, wenn man den syrischen Täter jetzt schnell nach Damaskus zurück schickt.
Auch ist der „Gesunde
Menschenverstand“ nicht immer gesund und Freiheit hat ihre Grenzen
in der Freiheit des Anderen. Es kommt also immer auf ein ausgewogenes
Verhältnis, auf Maß und Mitte an. Niemand kann gegen Anstand und
Rücksichtnahme sein, aber auch nicht gegen gesunden
Menschenverstand, Freiheit und offene Rede. Aber Extreme müssen
ebenfalls benannt und begrenzt werden. Am Wirkungsvollsten durch
engagierte Gegenrede und Argumentation.
Katholiken,
Homophobe, Islamkritiker, Heimatfreunde, Genderkritiker vereinigt
euch?
Ein Beispiel wunderlicher
Solidarisierung ist der Schriftsteller Akif Pirinçci, der Gegenwind
aus allen Richtungen wegen seiner vulgären und teils unmöglichen
und menschenfeindlich, sexistischen Ausdrucksweise bekommt. Diese
würde man auch sonst niemandem durchgehen lassen. Warum stellen sich
manche Leute hinter ihn, wenn er gewisse Reizthemen anspricht, statt
ihm deutlich zu sagen, dass er sich in seinem Furor verrennt? So
halte ich „Verschwulung“ nicht für eine Vokabel, die Katholiken auch nur ansatzweise akzeptieren sollten. Der damit ausgedrückte Subtext geht weit, weit
über den Katechismus hinaus.
Und was sollte uns als Christen
veranlassen, einem erfolgreichen Buchautor, dessen Thesen in allen
Foren diskutiert, auf allen Podien besprochen und dessen
Verkaufszahlen durch die Decke schießen, für ein Opfer von
Tugendterror zu halten? Herr Sarrazin ist sicher Manns genug, seine
Dinge zu sagen, er braucht keine katholische Sekundanz! Auch bis zum
Erscheinen seines Buches war es möglich, auf die Probleme der
Migration und der zunehmenden Auflösung sozialer (oft noch
dörflich-kleinstädtischer) Milieus in Deutschland durch die
zunehmend erforderliche Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt
hinzuweisen und dies zu diskutieren. Allerdings im Sinne eines
gesetzeskonformen Prozesses der verbesserten Integration, Bildung,
Aufbau sozialer Strukturen etc... Die beliebte Formel von „Man wird
doch wohl noch sagen dürfen...“ (in vielen Varianten), wird doch
im Grunde immer dann bemüht, wenn Positionen vertreten werden, die
zu Recht zu Widerspruch und zur Gegenrede herausfordern.
Das wird man doch
noch sagen dürfen?!
Notwendiger Widerspruch braucht es nämlich dort, wo Vorstellungen
„gesagt werden dürfen“, die sich in gesetzlichen Zwangsmaßnahmen
erschöpfen, den Rechtsstaat aushöhlen, ausschließlich auf harte
Strafmaßnahmen setzten oder die „Lösung“ aller Probleme durch
„Wegschaffen“ derer zu setzten, die Probleme verursachen. Nein,
solcher Widerspruch ist kein Zeichen dafür, dass „man etwas nicht
formulieren darf“ wenn auch nicht unbedingt, dass die
vorgeschlagene Maßnahme falsch ist. Solcher Widerspruch sollte –
zumindest von uns Christen – ernst genommen und Gegenargumente
erwogen werden. Davon ist leider in vielen, ach so "christlichen" Diskussionsforen wenig zu spüren.
Hier könnten wir uns engagieren, hier ist christliche Diskussionskultur
gefordert. Die einfache Lösung ist nicht immer die Beste. Als
Theologen sollten wir wissen, wie komplex die Welt ist. So sehr ich
selbst ab und an die Sehnsucht nach einfachen Lösungen teile und von
besseren Zeiten und alten Tagen träume...
Liane Bednarz untersucht in ihrem Werk eine ganze
Reihe von „Brückenthemen“, anhand derer es zu Kontakten und
Allianzen über den Graben zwischen Konservativen und Rechten kommt.
Zäune bauen –
Abschieben:
Ein Problem, das ich einfach ins
Ausland verlagere, ist nicht weg. Und zudem kann ich nichts mehr zur
Lösung der Schwierigkeiten beitragen. Ein Straftäter in Algerien
richtet in Deutschland vielleicht keinen Schaden mehr an, kann aber
in den Strukturen der Mafia oder des Islamischen Staats weit
gefährlicher für Menschen werden, als er es in Deutschland jemals
gewesen wäre. Die Probleme im Ausland fallen uns vielfach wieder
„auf die Füße“. Wie sich ja angesichts von Migration und Terror
sehr schmerzhaft in unseren Tagen zeigt. Kein Zaun der Welt wird uns
letztendlich alle Krisen unserer Zeit vom Halse halten. Allenfalls
werden uns solche „Lösungen“ kurze Atempausen verschaffen, um
dann umso heftiger auf uns einzuprasseln.
Der „liebe Doktor“, der nicht
wehtut, der die Krankheit begrenzt und ihre Symptome ertragbar macht,
ist nicht zwingend der bessere Arzt als der, der vielleicht manchmal
etwas grob erscheint, sein Handwerk aber versteht und der Erkrankung
auf den Grund und an die Wurzel geht. Von daher sollte man die allzu
leichten Lösungsvorschläge nicht allzu fröhlich unterstützen.
Abtreibung und Ehe
für Alle
Auch im Kapitel des Buches, wo es um
die Sexualmoral, um Ehe und Genderfragen geht, ist mir ab und an die
Frage gekommen, ob man hier klar definieren kann, mit welcher
Position, Grenzen und rote Linien überschritten werden. Sicher nicht
mit den Haltungen, die der Katechismus der katholischen Kirche nahe
legt. Wenn man hier sehr konservativ denke, trifft man sich in den
Überzeugungen sicher leicht mit denen von AfD und Protagonisten der
Neuen (und alten) Rechten. Bin ich dann etwa schon „rechts“?
Diese Anfrage an Liane Bednarz ist ja immer wieder zu hören. Die
Gefahr besteht, dass sie durchaus so missverstanden werden kann, wenn
sie engagiert die Koalition von christlichen Aktivisten,
Lebensschutzbewegung und „Demo für Alle“ mit der AfD (+ Co.)
beleuchtet. Aber sie macht auch klar, dass es nicht nur einfache AfD-Leute
oder „normale Bürger“ sind, die hier gute Anliegen und Ziele
durch Teilnahme an Demonstrationen unterstützen. Unter ihnen sind
auch Strategen, die Bürgerliche und konservative Christen für ihre
Ziele einspannen möchten und deren politischer Horizont weit über das konkrete Thema hinaus geht.
An einigen Punkten ist es inzwischen
so, dass Organisationen und Personen bestens vernetzt sind mit AfD
und neurechten Organisationen. Bednarz liefert manche Beispiele. Von
daher verwundert es nicht, wenn umgekehrt extreme Linke diese
Demonstrationen nicht in der Sache betrachten, sondern zu getarnten
rechtsextremen Aufmärschen umdeuten oder als eine Art Trojanisches
Pferd betrachten, mit dem neue Sympathisantengruppen erschlossen
werden sollen. Nichts kann die Machenschaften ultralinker
Gruppierungen im Umfeld solcher Aktionen entschuldigen. Man kann sich
auf Demonstrationen seine Unterstützer oft nicht aussuchen, aber
zumindest doch sorgfältig organisatorische Verflechtungen vermeiden.
Sexualisierung,
Homosexualität, Genderfragen
Bednarz betont, dass sie religiöse
Überzeugungen keineswegs in die Kategorie „rechts“ einordnet, ja
sich selbst eher als traditionell christlich (evangelisch mit
katholischen Sympathien) einordnet. Aber das wird vermutlich fix
überlesen. Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass einige
christliche Aktivisten bei diesen Themen die katholische
Katechismusposition längst verlassen haben und zu weit extremeren
Haltungen und Formulierungen gefunden haben. Seltener äußern sie
diese dann bei „Maischberger + Co.“ oder bei Reden auf offenen Bühnen,
sehr wohl aber bei Facebook und Twitter.
Bednarz macht deutlich und begründet
dies auch überzeugend, dass manche ihrer „Angstprediger“ aus dem
Thema „Gender“ eine Art Popanz kreieren und bekämpfen, den es in
der Realität so gar nicht gebe. Als Beleg für die Panikmache um Gender
werden dann aus der bunten Welt des extremen Feminismus oder auch aus dem Wissenschaftsbetrieb
einzelne Akteure identifiziert und zu Kronzeugen und Lieblingsgegnern
stilisiert. Sicher gibt es Übertreibungen, aber den weitaus meisten
Akteuren geht es schlicht um Gleichberechtigung und Chancengleichheit
zwischen den Geschlechtern. (Ja, an dieser Stelle kann die allgemeine Verschwörungsschleife nun losgehen: als "Gutmensch" erkenne ich die Gefahr des Genderismus nicht, sogar der Papst warne davor, ich verharmlose die Gefahren, es seien weltweit Strategen am Werke, die göttliche Schöpfungsordnung aufheben wollten, vermutlich noch unterstützt von Bill Gates und Soros - Stiftungen und Freimaurern. Und dass ich mich darüber lustig mache, zeige doch die Naivität, mit der ich den Gender-Strategen auf den Leim gehe.)
Das Gespräch mit jungen und alten
Menschen zeigt doch immer wieder, wie viel Sehnsucht nach dem Guten
es gibt, nach Treue, wahrer Liebe, gegenseitiger Hilfe. Es kommt
darauf an, wohin ich meine Aufmerksamkeit richte. Warum können wir
uns nicht freuen, wenn eine junge linke Feministin, die Darstellung
von Frauen als Ware kritisiert? Warum im Gegenzug nicht klar
kritisieren, wenn Matthias Matussek für sein neuestes Buch
ausgerechnet mit der nackten Konzeptkünstlerin Milo Moiré wirbt?
Möglicherweise ist das nur, wonach es aussieht: ein Aufleuchten lüsterner Männerphantasien, die
auch das Herz konservativer Katholiken bedrängen mögen. Auch wenn
sie sich angeblich aus Protest gegen sexuelle Übergriffe von
Flüchtlingen nackend auf dem Bahnhofsvorplatz in Köln präsentiert
hatte, ihre sonstigen Auftritte und Botschaften sind für mich als
Katholiken nicht weniger verstörend als ein FEMEN - Protest. Da
lasse ich sie gern nackend sein und ziehe meiner Wege, statt mich mit
ihnen gemein zu machen. Es hat etwas von Doppelmoral, dem Einen etwas
durchgehen zu lassen, weil ich ihn für einen Freund halte, während
beim Anderen allzu fix eine ehrenhafte Motivation ausgeblendet wird.
Wenn Gabriele Kuby die traditionelle
Familie fördern will, warum reist sie da (ich unterstelle mal ehrenhafte Motive) zu einem Kongress nach
Rußland, wo sie auf lauter undurchsichtige Partner und unbekannte
Organisationen mit höchst unklaren Zielen trifft? Vermag Frau Kuby
all dies auszubalancieren? Auch wenn Präsident Putin sich als
orthodoxer Gläubiger präsentiert, eine kritische Distanz ist bei
ihm weit mehr geboten als ein klarer Abstand zur Bundeskanzlerin. Was
spricht dagegen Rußland, seine Menschen, seine Religion und Kultur
wertzuschätzen. Dafür muss niemand Putin umarmen.
Islam – Islamismus
– Islamisierung – christliches Abendland
Es ist verständlich, dass Christen
einen glaubensstarken Islam als bedrohlich erleben, während sie
gleichzeitig ein eher glaubensschwaches Christentum erleben. Dieses
hat seinen stützenden, äußeren Halt durch die zunehmend pluralistische, postchristliche, demokratische Gesellschaft weitgehend verloren. Und es krankt nach
wie vor daran, dass Menschen mit der Kirche in den vergangenen
Jahrzehnten negative Erfahrungen gemacht haben. Es ist erstaunlich,
dass sich solche negativen Erfahrungen und die hieraus folgende
Abkehr von der Kirche sogar noch über Generationen weiter "vererben". Kirche wird und wurde als Zwangsorganisation erlebt, die
die persönliche Freiheit und Entwicklung beschnitt und hemmte. Aus
mancherlei Gründen befreien sich Menschen von kirchlichen Bindungen,
auch wenn es aktuell schwer wäre, persönlich negative
Kirchenerfahrungen zu machen. Wir müssen den verklärten Blick auf
die 50er Jahre aufgeben, als die Kirche nach den traumatischen
Erfahrungen der Nazizeit eine Scheinblüte erlebte. Diese Blüte
hatte auch einen Preis, den wir heute abzahlen. Warum das so ist, das kann in wenigen Sätzen nicht geklärt werden. Dass es so ist, das erlebe ich beinahe jeden Tag, wenngleich ich in diesem Phänomen nicht den Hauptgrund für die Krise der Kirchen entdecke.
Der Islam dagegen hat durchaus noch stützende Halteplanken, vor allem in Europa sind das: die Suche nach Identität in der
Fremde, die damit korrespondierende Verunsicherung, die Heimatgefühle
und die Landestraditionen, vor allem aus der Türkei. Als weitere
Stärke erweist sich unter den freiheitlich - demokratischen Bedingungen das Fehlen
einer Großinstitution. Im Islam ist jeder Gläubige unmittelbar Gott
gegenüber verantwortlich, kirchenähnliche Strukturen fehlen. Eine
Auflehnung gegen den Islam ist daher kein Kampf gegen eine Kirchenstruktur
sondern richtete sich gegen Gott selbst.
Umso wichtiger ist es, dass wir als
Kirche auf Christen setzen, die dies aus „Einsicht und
Entscheidung“ sein wollen. Und dass wir die Kirche als Institution
weniger wichtig nehmen, dass sie deutlich spürbar in erster Linie wieder dem
Glauben an Gott dient.
Das christliche Abendland, das
ausgerechnet von religionsfernen Bewegungen und Parteien (es ist
vielfach empirisch belegt, dass keine andere Partei so wenige
praktizierende Christen in ihren Reihen hat, wie die AfD und dass die
große Mehrheit der PEGIDA-Leute konfessionslos ist) wird so zum
beliebigen Popanz. Ein christliches Abendland, bei dem christlichen
Wurzeln beschworen werden, erinnert mich etwas an die Formulierung
des „ewigen Rom“, mit dem sich die Piusbruderschaft eine
Hilfskonstruktion aufgebaut hat, das Lehramt zu abstrahieren und
damit den nach dem 2. Vaticanum amtierenden Päpsten den Gehorsam
partiell zu versagen. Der Unterschied ist, dass das „ewige Rom“
Orientierungspunkte kennt, die beispielsweise in den Beschlüssen des
tridentinischen Konzils kumulieren, es ist damit – anders als
das oft beschworene christliche Abendland - kein reines Gedankenkonstrukt, das
von zu viel Phantasie und schlechter historischer Bildung zeugt.
Die Wortverbindung Abendland und
Christentum ist überhaupt tückisch, denn Christentum ist weit mehr als
„christliches Abendland“ und „christlich-jüdische Wurzeln“.
Interessant ist an dieser Stelle, dass Liane Bednarz sich nicht ausdrücklich der Petrus- bzw. Piusbruderschaft in Deutschland widmet. Aber ich nehme ebenfalls nicht wahr, dass die konservativ-traditionalistischen Gemeinschaften eine besondere Nähe zu politisch rechten Akteuren, Parteien und Bewegungen unterhalten, wenngleich es einige Protagonisten aus deren Umfeld gibt, wie z.B. der Dresdner Rechtsanwalt Maximilian Krah oder der Münsteraner Priester Paul Spätling, der sich auf eine der ersten PEGIDA - Demonstrationen verirrte. In anderen europäischen Ländern muss man das leider differenzierter sehen. Ich würde das mal mit der alten Lebensweisheit "Schuster bleib bei deinen Leisten" beschreiben, an der sich die Freunde der "Alten Messe" in Deutschland weitgehend orientieren.
Skurril aber symptomatisch empfand ich
eine Schilderung im Buch, wo ein evangelikaler Christ auf einer
AfD-Veranstaltung versuchte, AfD-Ziele biblisch zu begründen. Mit
Hilfe des Begriffs „Nächstenliebe“ erklärt er u.a., dass all die
Flüchtlinge ja aus weiter Entfernung, manchmal über 10.000 km, zu
uns gekommen seien. Für so weit Entfernte könne er doch kein
Nächster sein. Nächste seien seine Frau und seine Familie. Er
verkehrt damit die Aussageabsicht des Barmherzigen Samariters in ihr
glattes Gegenteil. Jesus betont, dass derjenige mein Nächster sei,
der gerade in diesem Moment meine Hilfe braucht. (Was mich natürlich
in keiner Weise der Sorge um meine Liebsten enthebt.) Aber damit
bleibt auch zu der Behauptung, das Evangelium fordere keine
„Fernstenliebe“, jeder weitere Kommentar überflüssig.
Ganz zu schweigen von der langen
Tradition christlicher Mission und der segensreichen Tätigkeit der
kirchlichen Hilfswerke wie Misereor, Adveniat und „Kirche in Not“.
Abschließen werde ich diesen Text im Laufe der Woche noch mit einigen Notizen zur Kontroverse um das Buch, um Liane Bednarz und eine abschließende Bewertung des Bandes. Es folgt also noch ein dritter Teil.
Hier lesen Sie den dritten und abschließenden Teil.: