Sonntag, 29. April 2018

In diesem Zeichen wirst Du ...

In einer christlich-muslimischen Dialoggruppe entstand eine heftige Diskussion über dieses Bild. Eine Muslima hatte es irgendwo im Netz gefunden und zur Diskussion gestellt. Leider konnte ich die genaue Bildquelle (zunächst) nicht finden, ich vermute aber, dass es sich um ein spätmittelalterliches bzw. frühneuzeitliches Folterinstrument handelte. Ob es in gewissermaßen „weltlichen“ Gerichtsverfahren, bei Hexenprozessen oder gar von der spanischen Inquisition benutzt wurde (wie behauptet), konnte ich nicht herausfinden. Es dürfte auch nicht bedeutsam sein.

Während die Kirche zunächst das Quälen von Menschen eindeutig ablehnte, so kam die Folter in Deutschland zu Beginn des 14. Jahrhunderts in Gebrauch und wurde erst im 18. Jahrhundert wieder abgeschafft. Vor allem, aus der Erfahrung heraus, dass die Folter keinen Beitrag zur Wahrheitsfindung leistete. Die Opfer „gestanden“ schlicht unter der Folter oder aus Angst vor den Qualen.

Vor Jahren besuchte ich einmal das mittelalterliche Kriminalmuseum in Rothenburg ob der Tauber. Ich weiß noch, dass ich nächtelang von diesen grässlichen Instrumenten geträumt habe. Wie können Menschen anderen Menschen so etwas antun? Unvorstellbar! Erschütternd, dass es auch in der Kirche Menschen und Zeiten gab, in denen Folter für angemessen und legitim gehalten wurde.

Besonders pervers empfand ich, dass in dieses widerliche Gerät das Symbol des Kreuzes eingebaut wurde. Der damit Gequälte hatte dieses Zeichen so beständig vor Augen. Einfach widerlich, abstoßend! Wie konnten Geistliche damals den Kreuzweg Jesu meditieren und gleichzeitig zulassen, dass Menschen unter diesem Zeichen gefoltert wurden, ja das das Zeichen der Erlösung gar zum Bestandteil eines Folterinstrumentes selbst wurde. Ich werde das wohl niemals verstehen.

Man fragt sich, was heute ein Markus Söder oder Markus Blume zu diesem Missbrauch sagen würden. Die Rechtsgeschichte hat, insbesondere auch durch das Engagement kirchlicher Theologen und Juristen neben solchen dunklen Aspekten auch die bis heute gültigen Rechtsgrundsätze hervorgebracht. Doch wurzeln diese auch in einer Unrechtsgeschichte. Gott sei Dank, hat die Kirche ihre Beteiligung an dieser Unrechtsgeschichte inzwischen eingestanden und um Vergebung gebeten. Inwieweit sehen wir heute in all dieser Zwiespältigkeit auch die dunklen Stellen, in denen diese Rechtskultur und damit auch die christlich-abendländische Kultur wurzelt? Da gibt es sicher mehr Licht, als von allzu vielen Leuten mit ihrem Halbwissen zum Mittelalter, zur Inquisition und zu den Hexenprozessen munter in die Kommentarspalten geschrieben wird – aber eben auch nicht wenig Schatten.

Mich ärgert dieser Missbrauch des Christentums und des Kreuzes (vermutlich im späten Mittelalter) maßlos. Und daher bin ich auch sehr skeptisch gegen jegliche Verzweckung des Kreuzes. Es ist das Zeichen für Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu Christi. Es ist das Zeichen unserer Erlösung. Wir dürfen darüber nicht verfügen. Es ist uns gegeben und geschenkt. Als gläubiger Christ kann man eigentlich nichts dagegen sagen, wenn das Zeichen des Kreuzes in Kirchen oder auch im öffentlichen Raum präsent ist. Aber wer dieses Zeichen des Glaubens aufhängt, der sollte es immer aus dem Geist der Anbetung und mit Ehr-Furcht tun. Ein Kreuz hängt man nicht mal eben so auf. Und wo es hängt, da fordert es nicht wenig! Können wir dem mit unserem Handeln gerecht werden?

P.S.: Tragen wir noch die historischen Fakten nach: Das Folterinstrument war Teil der Sammlung des 2008 verstorbenen Scharfrichters Fernand Meyssonnier. Dieser hatte die Stücke seiner Sammlung in den 1970er Jahren (lang nach dem Ende des Algerienkrieges, während dessen er als Scharfrichter tätig war) in europäischen Auktionshäusern zusammengetragen. Dazu fuhr er mit seinem Wohnmobil durch Europa und trug diese Gegenstände zusammen. Später versuchte er seine Sammlung zu verkaufen, nachdem er mit einem privaten Museum in seinem Haus in Fontaine-de-Vaucluse gescheitert war. 2008 starb er, 2012 versuchte seine Tochter die große Sammlung durch ein renommiertes Auktionshaus versteigern zu lassen, was zu einigen Turbulenzen und Diskussionen in Frankreich und Algerien führte. Die Versteigerung wurde daraufhin abgesagt. Die doppelte Schraubzwinge sollte etwa 3.000 - 4.000 Euro erbringen. Ein Auktionskatalog hat sich im Netz erhalten. Das Objekt trägt darin die Nr. 637.
http://art-et-communication.fr/_media/_pdf/2012/Catalogue-vente-collection-Fernand-Meyssonnier.pdf

Donnerstag, 26. April 2018

Was nun, Angstprediger? Was tun, Liane Bednarz?

Hier folgt der abschließende Teil meiner Gedanken zu Liane Bednarz Buch "Die Angstprediger". Daher nun auch mit einigen kritischeren Bemerkungen.

Dass ich hier dieses offizielle Autorenportrait verwende, liegt in der Beobachtung begründet, dass einige Fundamentalkritiker glauben, ihre "Argumente" durch besonders unvorteilhafte Fotos der Autorin stützen zu müssen. Eigentlich sollte ein Autor, der seine Weltsicht durch eine immergültige Philosophie geschärft glaubt, instinktiv spüren, dass er solche Stilmittel nicht nötig haben sollte. Und die Anderen könnten schlicht aus Anstand ein besonders schönes Foto verwenden, auch wenn sie die Autorin inhaltlich scharf unter Feuer nehmen. (Wollte ich nur mal so loswerden...) 

Zur Kontroverse um die Person Liane Bednarz

Es bleibt mir im Grunde rätselhaft, warum Liane Bednarz ein derartiges Feindbild darstellt, warum man sich unter (gewissen) konservativen Katholiken gern über sie lustig macht (um es mal freundlich zu formulieren). Im Grunde möchte ich es auch gar nicht im Detail wissen, aber sicher spielt eine Rolle, was Harald Stollmeier in seiner Buchbesprechung bei „the cathwalk“ andeutete, dass ihre Abwendung von einem gewissen konservativ-katholischen Milieu mit politischen Ambitionen als Verrat begriffen wurde. Und in dem ihre nachfolgenden Veröffentlichungen als „Namedropping“ und „Geisterjagd“ abgetan wurden, ohne auf die Substanz ihrer Kritik überhaupt einzugehen. Sehr schnell stand als Urteil fest: Bednarz Kriterien seien willkürlich und subjektiv. Man könne im Buch weder Sachlichkeit noch Niveau erkennen. Ergebnis: Buch irrelevant und die kritischen Fragen darin uninteressant.

Liane Bednarz steht/sitzt zwischen den Stühlen, zwischen den Lagern mit ihrer Kritik. Und klare Abgrenzung ist ja das Rezept, mit dem man hier politisch „Nektar“ saugt. Gegen einen klar definierten Gegner läßt es sich leicht kämpfen. Man vereinfacht die komplexe Welt und am Ende ist Bednarz ein „linke Publizistin“ oder war ein „linkes U-Boot“. Und eine komplexe Welt wird auf einmal erklärbar. Hier die Guten, dort die Bösen, hier die Rechten, dort die Linken, hier die Deutschen, dort die Fremden. Besonders putzig wirds, wenn sich die extreme Linke wegen anderer Themen über Liane Bednarz zu Wort meldet.

In der Diskussion um Bednarz vorheriges Buch „gefährliche Bürger“, das sie zusammen mit dem liberalen Politiker Christoph Giesa schrieb, wurde der Autorin vorgehalten, sie könne gar nicht schreiben, ihre Behauptungen seien nicht ausreichend belegt und ihr Beitrag zum gemeinsamen Buch sei im Grunde nur marginal gewesen.
Von diesem Vorwurf bleibt – nachdem ich nun das neue Buch gelesen hatte – nicht viel übrig. Es liest sich flüssig, ist spannend geschrieben und stringent aufgebaut.

Man hat Liane Bednarz „Panikmache“ und „Geisterjagd“ vorgeworden oder die Skandalisierung von Randbemerkungen, mit denen sie Personen, Medien und Organisationen pauschal als problematisch und „rechtsradikal“ abstempele. Auch das kann ich nicht bestätigen. Verständlicherweise wird es niemanden erfreuen, in dem Buch erwähnt zu sein. Aber eigentlich kann sich auch niemand über eine ungerechte Behandlung oder absurde Zuspitzung beschweren. (Wer sich allzu spitzfindig, mehrdeutig oder ironisch ausdrückt darf sich nicht wundern, nur in der allgemeinen Tendenz "verstanden" zu werden.) Liane Bednarz ist nicht ungerecht, sondern durchaus differenziert (ob sich das dem unbedarften oder gar linken Leser immer erschließt, vermag ich nicht zu beurteilen). Ich erinnere mich persönlich auch bei manchen der benannten Akteure an weit schärfere Positionen in spontanen Facebook-Wortmeldungen der letzten Jahre. Oder an obskure Beiträge, bei denen ich manchmal per Kommentar anregte, auf deren Weiterverbreitung doch besser zu verzichten, um das eigene Renommé nicht zu beschädigen.

Bednarz Buch ist keinesfalls eine stumpfe Liste „neurechter“ Christen und problematischer Autoren, sondern liefert zahlreiche Belege für die These, dass konservative Christen teilweise auch politisch nach rechts driften.
Bednarz hält einen Spiegel vor. Er ist durchaus kein Zerrspiegel und wir sollten offen hineinschauen und uns prüfen. Die abschließende Bewertung nimmt sie uns nicht ab, aber sie bietet Maßstäbe an. Die müssen wir nicht übernehmen, aber verstehen und bedenken sollten wir sie schon, denn Christen sind immer zur Umkehr aufgerufen und dürfen sich an Jesu Wort neu orientieren. Nein, das Wort Christi ist niemals rechts. Aber es ist legitim zu prüfen, ob es letztlich um seine Nachfolge geht oder ob jemand Jesu Wort (und Zeichen) für eigene Interessen einspannt.

Mancher Widerstand gegen die Anfragen von Liane Bednarz wird damit begründet, sie wende sich insgesamt gegen das konservative katholische / evangelikale Milieu, sie stemple deren Überzeugungen schlicht und unberechtigt als „rechts“ ab, ja sie verdächtige insgesamt die Kirche rechter Umtriebe. Das wäre übertrieben und das gibt eine unvoreingenommene Lektüre des Buches absolut nicht her. Wenn, dann beklagt die Autorin, dass die Kirchen als Institution nicht aufmerksamer das Treiben ihrer sog. „Angstprediger“ verfolgen und dagegen vorgehen. Aber hierzu werde ich später noch einige Gedanken notieren.

Im rechts-konservativen Mileu gibt es durchaus auch Zustimmung zum Buch, wie auch Desinteresse, weil einen die Thematik persönlich gar nicht betrifft. Die ablehnenden Reaktionen (die teils schon vor Erscheinen des Buches formuliert wurden) kann man grob in vier Variationen einordnen:
  • Das Buch wird in Bausch und Bogen abgelehnt und es wird mit schillernden Argumenten widersprochen (bis hin in die Amazon-Rezensionen), obwohl es offenbar weder gelesen noch das Anliegen verstanden wurde. Einige verleihen ihren Aussagen sogar Relevanz indem sie betonen, sie hätten es in der Buchhandlung in der Hand gehalten und ihnen sei beim Blättern aufgefallen...
  • Es wird konstatiert, dass mit der Autorin etwas nicht stimme, daher seien auch ihre Argumente eigentlich für die Tonne. Eine Alternative zu dieser Linie ist die, dass es der Autorin nur ums Geld ginge, das man mit diesem Thema aktuell gerade „machen könne“. Mit diesem Argument bliebe aber auf dem Büchermarkt nicht mehr viel übrig, vor allem nicht mehr viel, was man dann noch lesen möchte.
  • Andere Rezensenten bzw. Reaktionen sind, dass die Autorin eine ganz normale, berechtigte Haltung kritisiere. Der wahre Christ sei eben rechts und konservativ und rechte Positionen würden unberechtigterweise von links kritisiert bzw. skandalisiert. Überhaupt würde die Autorin die differenzierte Argumentation der rechts-konservativen Christen unzulässigerweise mit verdrehten und verkürzten Zitaten belegen und sich nicht die Mühe machen, die evtl. feineren Schattierungen der geäußerten Überzeugungen auch zu verstehen. Die Autorin unterscheide auch nicht genug zwischen legitimen rechten und rechtsextremistischen Positionen und gäbe der „Linken“ Argumente in die Hand die konservative Weltsicht noch weiter zu diskreditieren. Auch insgesamt sei die Kirche zu weit nach links gerückt und brauche die wahren, konservativen und überzeugten rechten Christen. Und die seien keineswegs Angstprediger, sondern bemühten sich um einen Lebensweg, mit dem sie vor dem Richterstuhl Christi bestehen könnten.
  • Die vierte Gruppe von Reaktionen beklagt, dass Liane Bednarz wohl viel von Dialog spreche, aber dass ihr Buch kein wirkliches Dialogangebot sei, sondern eher als Angriff auf die eigenen Positionen empfunden wird. Die Autorin fordere nur, trage Unruhe in die Kirchen und spiele Christen gegeneinander aus. Einen echten Dialog wolle sie nicht bzw. der sei mit ihr auch nicht möglich.
Was Bednarz in ihrem Buch berichtet, hat mich überhaupt nicht erstaunt. Ich habe – leider – nur wenig Neues erfahren. Das was sie berichtet, ist offenkundig und vielfach belegt und genau das, was mir aus dem Netz täglich entgegen schallt. Von „Geisterjägerin“ kann keine Rede sein. Allenfalls bleibt die Frage, wie man die offenkundige Übernahme rechter Positionen, die Zusammenarbeit und die Solidarität mit Personen, Parteien und Bewegungen und die publizistische Unterstützung für deren Thesen in den christlich-kirchlichen Raum hinein zu bewerten hat. Während katholischer Saure-Gurken-Zeiten (wo gerade nichst über Papst Franziskus, dem Vatikan und der DBK zu berichten ist) werden von konservativen Akteuren und Vereinigungen in den letzen Jahren auffällig zunehmend „Nachrichten“, teils aus zweifelhaften Quellen zu sehr politischen Themen geteilt und verbreitet. Gleichzeitig nimmt man offenbar den Widerspruch nicht wahr, gleichzeitig von – als liberal gestempelten – Bischöfen und Kirchenleuten vehement politische Zurückhaltung einzufordern.

Dabei fällt auf, dass der Stempel „liberal“ oder „konservativ“ gern anhand solcher theologieferner Wortmeldungen der Bischöfe verteilt werden. Wie wenig solche „Stempel“ oft passen, zeigt sich aktuell bei Kardinal Woelki, der sich gerade vom Outlaw zum Lieblingskardinal der Konservativen wandelt, ohne seine Positionen und Überzeugungen überhaupt verändern zu müssen.

Erschwerend kommt hinzu, dass offenkundig sowohl auf Seiten der Autorin als auch auf Seiten ihrer schärfsten Kritiker Verletzungen und Empfindlichkeiten vorhanden sind, die manchmal eine mögliche Verständigung schwierig bis unmöglich machen.

Wohin fährt der Zug? Sind „Angstprediger“ auch „gefährliche Bürger“?

„Die Allianzen zwischen christlichem und rechtem Denken haben sich weit über das Pegida – Milieu hinaus verstärkt und werden auch offener gezeigt als früher.“ So resümiert Liane Bednarz auf S. 188 ihres Buches, nachdem sie entsprechende strategische Planungen von Götz Kubitschek zitiert hatte. Offenbar haben die Strategien einen gewissen Erfolg.

Ob man das aber wirklich so werten muss, da bin ich persönlich unsicher. Mag auch der Kontakt fester geworden sein, mögen auch gemeinsame Themen die Gruppen verbinden, eine über die bisherigen Protagonisten hinaus gehende Breitenwirkung ins allgemeine christliche Milieu ist eigentlich kaum festzustellen. Allenfalls sind konservative Christen politischer geworden oder haben den Kampfplatz gewechselt, weil ihnen die Politik „geschmeidiger“ erschien als die eher starren kirchlichen Strukturen.

Nach meiner Wahrnehmung gibt es die meisten Berührungspunkte aktuell mit der AfD und evtl. noch Pegida. Allerdings stößt die Partei und Bewegung aufgrund ihrer offenen Antikirchlichkeit sicher so viele Christen ab (oder hält sie auf Distanz) wie sie für sich gewinnt. Diese tragen häufig auch massive Enttäuschungen und Frustrationen mit sich und erwarten von der „offiziellen“ Kirche nicht mehr viel. Das fröhliche „Bischofs-Bashing“ gewisser kirchenferner Pegida-Anhänger im Verein mit ultrakonservativen Katholiken befremdet Katholiken, die sich als kirchentreu verstehen (also der normale, breite konservative (Volks-)katholizismus, der immer noch die Hauptströmung des pfarrlich-kirchlichen Lebens bildet). Zur IB und rechten Vordenkern wie Kubitschek und Kositza bleiben selbst katholische Traditionalisten nach meiner Wahrnehmung eher auf Distanz, selbst wenn letztere sich dezidiert christ-katholisch geben. Es wäre sicher einmal interessant zu erfahren, wie rechte Vordenker als Mitglieder in einer konkreten Ortsgemeinde gesehen werden.

Natürlich gibt es AfD und Pegida – Unterstützer auch in christlichen Gemeinden, über den Kreis der konservativen Aktivisten hinaus. Voraussichtlich – wie Andreas Püttmann kürzlich empirisch belegte – sind unter ihnen weit eher „kirchenferne“ Christen als regelmäßige Kirchgänger. Aber dennoch sind sie da.

Diejenigen unter den Konservativen, die ihre (gesellschaftspolitischen) Ziele mit Hilfe der AfD zu erreichen trachten, sollten aufmerksam hinsehen. Ich persönlich habe an dieser Partei zuerst eher die Höckes und Poggenburgs wahrgenommen. Daher war sie für mich nie eine Alternative, weil ich alles durch dieses Brennglas betrachte und auch die Ausfälle mancher anderer Akteure aufmerksam wahrnehme. Auch bin ich sicher etwas empfindlich, durch intensive Beschäftigung mit den Ereignissen und der gesellschaftlichen und politischen Bewegungen der Jahre 1900 - 1945. Aber ich weiß, dass man die Partei auch anders betrachten kann. Es ist sicher unfair, alle AfD-Wähler unmittelbar für rechtsradikal bis rechtsextrem zu halten. Aber Vorsicht ist geboten, erst recht mit Blick auf die strategischen Pläne der neurechten Vordenker. Sobald das Wohl und die Würde des einzelnen Menschen nicht mehr im Focus stehen, sobald Leben gegen Leben und Chancen gegen Chancen aufgerechnet werden, ist zumindest Vorsicht angesagt. Mit Blick auf welche Ideologie auch immer.

Durch einen Flirt oder gar eine Affaire mit der extremen Rechten schadet sich die kirchlich-konservative Szene selbst. Sie muss damit zu leben lernen, dass sie inhaltlich/theologisch zwar eine recht starke Position hat, innerkirchlich ihre argumentative Stärke aber kaum ausspielen kann.

Die katholische Zeitung „Der Fels“ stellt seit vielen Jahren die katholischen Opfer des Nationalsozialismus vor. Wir können mit Recht stolz sein, auf Viele, die Widerstand leisteten und dafür allzu oft mit dem Leben bezahlten. Und wir sollten uns da nicht die Butter vom Brot nehmen lassen, selbst wenn es einige dunkle Stellen im Katholizismus gibt, wo Widerstand unterlassen oder gar die Nazi-Ideologie gestützt wurde. Doch aus der Erkundung just dieser dunklen Stellen wachsen uns Erfahrungen zu, die auch für die heutige Zeit hilfreiche Beurteilungsmaßstäbe beinhalten. Was war die Motivation für die sogenannte „Rattenlinie“ nach dem Untergang des zwölfjährigen, angeblich tausendjährigen Reischs? Es war „falsches Mitleid“ mit „Verfolgten“, die angeblich Hitler aus reinem Idealismus unterstützt hatten. Sollte uns nicht gerade dies eine Lehre sein? Eigentlich verbietet sich jede Identifikation mit autoritären Politikern und rechten Ideologen, auch wenn sie Christus, Christus sagen, sich mit Christen zusammen präsentieren oder ein Kreuzzeichen schlagen. Solidarität mit denen, die im Kreuzfeuer der Meinungen stehen (möglicherweise für Positionen, denen ich mich inhaltlich hier und da verbunden fühle) muss nicht kritiklos sein, sondern sollte die Augen öffnen für Aspekte, die vom Weg Jesu Christi abweichen. Neben der Parabel vom toten Fisch, der mit dem Strom schwimmt gibt es auch das sprechende Bild vom Autofahrer dem überraschenderweise zahlreiche Geisterfahrer entgegen kommen. Wohl dem, der dann mit gesunder Distanz auf sein Leben und Agieren schauen kann. 

Es ist verständlich, dass konservative Katholiken in ihrem Engagement für eine traditions- und glaubenstreue Kirche manchmal frustriert sind. Ihre liberalen und lauen Gegner haben aufgrund der anhaltenden „Kirchenflucht“ nach wie vor Oberwasser, weil sie mit dem Argument punkten können, die Kirche müsse sich mehr zur Gesellschaft und zur Welt hin öffnen und „alte Zöpfe“ abschneiden.

Was ist ein sinnvolles Ziel für katholische Konservative? Zurück in vermeintlich bessere Zeiten, wie die 50er Jahre kann niemand wirklich wollen, und wenn er es wollte, kann er nicht wieder dorthin kommen, weil sich der Rahmen völlig verändert hat. Das darf aber auch kein Argument dafür sein, alles, was nach Tradition „riecht“ pauschal als untauglich abzulehnen.

Letztlich hilft nur die Kraft des persönlichen Engagements, die eigene, überzeugende Frömmigkeit, Gesprächsbereitschaft und Einsatz für die Kirche und für den Nächsten. Politischer Einfluss und Applaus von glaubensfernen Rechtsradikalen wird konservativen Positionen in der Kirche sicherlich nicht zum Durchbruch verhelfen.

Die argumentative Durchschlagskraft in den Raum der Kirche hinein, läßt sich nicht durch Verlagerung des Engagements in die Politik steigern. Im Gegenteil, bestärkt man doch damit die liberale bzw. laue innerkirchliche Opposition. Und liefert diesen weitere und begründetere Argumente, deren Positionen als „Rechtskatholizismus“ zu marginalisieren. (Da muss völlig klar sein, dass Liane Bednarz, Andreas Püttmann und Andere zwar die Überbringer einer Nachricht sind, aber sie sind nicht die Täter.) Auch ist ja inzwischen deutlich zu erkennen, dass sich Personen vom konservativen Milieu absondern und sich klar von allen Kontakten ins politisch rechtere Milieu distanzieren. Da ist die Autorin des Buches selbst ein prominentes Beispiel, wie auch der katholische Publizist Andreas Püttmann und manche mehr. Es ist eine deutliche Spaltung der christlich-konservativen Szene zu beobachten.

Wir (damit meine ich alle Menschen guten Willens, die persönlich gläubig sich für eine lebendige und glaubensfrohe Kirche bemühen) müssen unsere Meinungen äußern, mit der Liebe und Geduld, die auch Jesus (meist) an den Tag gelegt hat und mit der Bereitschaft, auch weiterhin Tag für Tag unser Kreuz zu tragen und unserem Nächsten – und sei er noch so links- (oder rechts-)katholisch die Last des Kreuzes zu erleichtern, wie einst Simon von Cyrene.

Bei aller Offenheit braucht die Kirche auch eine klare, erfahrbare Struktur mit dem einen Ziel: Gott die Ehre zu geben, ihn anzubeten, ihm Raum in unserem Leben zu bieten und mit Gottes Hilfe die Welt ins Gebet zu nehmen und in seinem Sinne zu beackern.

Liane Bednarz beklagt, dass die kath. und evangelische Kirche sich kaum um die „Angstprediger“ in ihren Reihen kümmern und das Problem nicht energisch angehen. Daraus ergeben sich spannende Fragen, da die konservativ – katholische Szene aktuell im Umbruch steckt. Konnte man früher (zur Zeit der Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI.) anhand des Kriteriums der „Papst- und Romtreue“ ein gewisses Koordinatensystem für die kirchliche Szene entwickeln, so kehrt sich dies aktuell etwas um. Weil es einigen Leuten schwer fällt, Papst Franziskus hier als klaren, eindeutigen Pol zu verorten, entsteht hier heute eine gewisse Unordnung. Liberale Bewegungen bekennen sich plötzlich (recht selektiv) zu päpstlichen Aussagen, Konservative erinnern sich sentimental an die Predigten von Papst Benedikt XVI.. Während früher von einzelnen Leuten annähernd alle deutschen Bischöfe als laue „Mietlinge“ geschmäht wurden, sucht man aktuell nach rechtgläubigen Bischöfen, die in der neuen Unübersichtlichkeit in der Kirche durch konservative Glaubenstreue glänzen.

Diese kirchenpolitischen Umbrüche beschäftigen viele kirchliche Akteure so sehr, dass sie den ins politische abdriftenden – auch zuvor schon randständigen Katholiken – zu wenig Aufmerksamkeit schenken. Da deren Wirksamkeit in den katholischen Gemeinden jedoch seit vielen Jahren denkbar marginal war, erwarte ich auch keine ernstzunehmende „Rechtsdrift“ der katholischen Kirche insgesamt.

Viel spannender dagegen finde ich die Frage, wie wir innerkirchlich „mit Rechten zu reden“ lernen können. Wie kann es gelingen, auf berechtigte Fragen und Sorgen angemessene Antworten zu geben? Wie kann das gehen, dass mehr oder weniger kirchentreue, liberale und konservative Christen miteinander ins Gespräch kommen und Extrempositionen überwinden. Das Bednarzsche Buch bietet eine zuverlässige Problembeschreibung. Nun gilt es, sich den Problemen und Gesprächen zu stellen. Gesprächsblockaden gibt es auf beiden Seiten, wie die heftige Diskussion um den Auftritt eines AfD-Vertreters beim Katholikentag in Münster zeigt. Daran scheiden sich die Geister extrem. Während Liane Bednarz eher für das Gespräch plädiert ist Andreas Püttmann der entschiedendste Gegner eines solchen Gesprächs. Ich habe an anderer Stelle in diesem Blog schon einmal als verbindende Position vorgeschlagen, die notwendigen Gespräche auf jeden Fall und intensiv, aber hinter verschlossenen Türen zu führen. So dass keine Seite damit öffentlich allzu sehr „punkten“ kann. Die Kirche ist nicht dazu da, populistische Positionen zu verbreiten und entsprechenden Personen ein Podium dafür zu bieten. Gegen Populismus und Demagogie hilft die Stimme der Vernunft in einem öffentlichen Dialogforum nur bedingt. Diese Überlegung gilt in gewisser Weise aber für „politische Bühnen und Podien“ insgesamt.

Aber auch jenseits der Mikrofone und Lautsprecher könnte unter kirchlichen Dächern eine neue Dialogkultur wachsen, im Sinne eines Wortes von Freré Roger, dass Christen dazu berufen seien, Ferment der Versöhnung in der Gesellschaft zu sein. Oder, wenn Sie es so möchten: Salz der Erde, Licht der Welt...

Abschließend frage ich mich, auch angesichts der aktuellen originellen Versuche des bayrischen Ministerpräsidenten, eine Art politischer Kreuzestheologie zu entwicken, warum es bis heute nicht gelungen ist, eine Partei zu gründen, die aus christlichem Geist den Schöpfungsauftrag annimmt und die Welt zu einem menschenfreundlichen, freien, pluralistischen, offenen Ort zu machen. Eine Partei, in der nicht nur eine etwas abstrakte christlich-jüdische Kultur im Focus steht und ein etwas trockener Gottesbezug in Grundgesetzen befürwortet wird, sondern eine Partei, deren Akteure aus dem Glauben an Gott und aus Liebe zu den Menschen aktiv werden. Und dabei ein politisches Angebot machen, das z.B. auch von Muslimen (und Anderen) in der Weise angenommen wird, wie sie heute vielfach auch kirchliche Kindergärten und Krankenhäuser schätzen, weil dort der Glaube an Gott noch eine Bedeutung hat. Ein politisches Angebot, dass niemanden zum Glauben drängt, sondern zeigt, dass ein Leben nach den Geboten Gottes auch ein Leben ist, dass dem Menschen an sich und seiner Freiheit gerecht wird. Warum könnte man „rechts“ nicht in diesem Sinne einfach neu erfinden, nicht als Neuauflage eines ewigen, darwinistischen Konkurrenzkampfes um Recourcen und Macht, sondern als Dienst am realen Menschen, meinem Zeitgenossen, meinem Nächsten. Einen Dienst, in dem wir dem Lebensopfer Jesu Christi auch in unserem gesellschaftspolitischen Engagement zumindest anfanghaft nacheifern.

Montag, 23. April 2018

Brückenbau von Rechts ins katholische Lager? Liane Bednarz Angstprediger


Hier nun der 2. Teil meiner Gedanken zu den Angstpredigern, notiert bei der Lektüre dieses Buches:

Was bringt Christen nach rechts? Solidarität der Marginalisierten?

Letztlich problematisiert Liane Bednarz in ihrem Buch eine offenkundige Entwicklung, die jedem, der Kontakte ins konservativ-traditionalistische Milieu pflegt, nicht entgehen konnte: Die zunehmende Solidarisierung mit Personen und Parteien des rechten Mileus. Sie beobachtet eine gewisse Solidarität der Marginalisierten.

Ein Grund für solche Solidarisierung liegt wohl in Erfahrungen, die fromme Katholiken mit politisch Radikalen teilen. Ihre Überzeugungen interessieren kaum jemanden, ihre Vorstellungen für eine bessere (christlichere) Gesellschaft lassen sich nicht realisieren. Und in einigen Themenfeldern hat man möglicherweise vergleichbare Vorstellungen.

Christliche AfD-Unterstützer seien, merkt Bednarz auf S. 223 des Buches an, „so sehr auf ihre Schlüsselthemen wie Abtreibung, Gender und Islam focussiert, dass ihnen der Blick dafür fehle, was sie alles mit dazu erhalten.“ Diesen Eindruck teile ich.

Menschen, die bei sich bei Pegida und AfD engagieren, kennen die Erfahrung von Dialogverweigerung und Abwehr ihrer Klagen und Ideen allzu gut. Daher auch das Bemühen, ihre Minderheitenposition als „gesunden Menschenverstand“ allgemeingültig zu machen oder man präsentiert sich als „das Volk“ oder gar als Stimme einer „schweigenden Mehrheit“.

Auch wenn es uns Christen sympathisch ist, dass Probleme, wie sie z.B. im Gefolge der Migration nach Deutschland getragen wurden offen angesprochen werden oder sich Bewegungen plötzlich mit Fragen der Abtreibung, des Islam und der sozialen Gerechtigkeit beschäftigen, sollten wir genau hinschauen, ob sich die vorgeschlagenen Lösungen mit dem Wort und Beispiel Jesu Christi in Einklang bringen lassen.

Ich frage mich schon lange, warum brauchen konservative Katholiken solche Koalitionspartner? Wir sind doch davon überzeugt, dass die Wahrheit sich durchsetzt, aus ihrer inneren Kraft heraus.

Nichts nötigt uns, uns mit denen gemein zu machen, die wegen ihrer steilen Thesen in der Diskussion stehen, selbst wenn sie dafür von „Linken“ unter Feuer genommen werden. Mag es einen konservativen Christen auch an leidvolle Erfahrungen erinnern, mit den eigenen Überzeugungen unter Druck zu stehen, so ist Solidarität um der Solidarität willen nicht immer angemessen.

Verbindende „Trigger“ - Zeitgeist – politische Korrektheit

Wo vom Zeitgeist geraunt wird, da steckt meist der immer gleiche, frustrierte Kulturpessimismus dahinter. Und letztlich blockiert diese Haltung Mission in der Welt und das unbefangene Zugehen auf Menschen, die sich zumindest vorsichtig für den Glauben interessieren. Wie gern wird der evangelischen Kirche vorgeworfen, sich der „Diktatur des Zeitgeistes“ zu ergeben. Und gleichzeitig ist es interessant, dass diese zum Beispiel zum Islam ein sehr kritisches Dokument herausgegeben hat, dass aber in der „Szene“ keinesweg rezipiert und zitiert wird. Vermutlich wegen dessen letztlich differenzierten Gesamthaltung. Da wählt man sich lieber den humanistisch-atheistischen Aktivisten der Giordano-Bruno-Stiftung Hamed Abdel-Samad zum Kronzeugen und Islamkenner. Ja, er kennt den Islam, aber nur den, von dem viele christliche Islamskeptiker gerne hören. Aber letztlich ist das, als würde man sich von Michael Schmidt-Salomon einen Katechismus formulieren lassen.

Dem „Zeitgeist – Konzept“ verbunden ist auch das Schlagwort von der „politischen Korrektheit“, beide sind zu einem Modewort in politisch rechten Kreisen wie unter konservativen Christen geworden. Anders formuliert verbirgt sich hinter „politischer Korrektheit“ so etwas wie Anstand, Respekt, Rücksichtnahme und Toleranz. Sie schiesst sicher hier und da über das Ziel hinaus, wenn sie aber zu bekämpfen wäre, dann nur im Sinne solcher Übertreibungen, aber nicht als Idee selbst. Mit dem Spruch „man wird doch noch sagen dürfen“ - sollte man sich nicht jeden Radikalismus und jede Nonsens-Bemerkung erlauben. Man darf sicher alles sagen, aber vieles davon ist (im Sinne von „Schweigen ist Gold“) nicht klug, anderes ist falsch und weiteres ist verletzend und bringt Menschen gegeneinander in Stellung.

Selbstredend versuchen eher "linke" Aktivisten christlich-konservative Positionen mit Hilfe der berühmten "Rechtsextremismuskeule" zurückzudrängen und zu verhindern, dass sie überhaupt auf die Agenda kommen. Das ist ja sogar anhand der aktuellen Debatte über antisemitische Übergriffe auf jüdische Bürger zu beobachten. Auch hier gilt es genau hinzuschauen. Peinlich finde ich in diesen Tagen die Wortmeldungen zahlreicher Politiker, die die Selbstverständlichkeit in die Welt posaunen, dass niemand wegen des Tragens religiöser Symbole (insbesondere der Kippa) angegriffen oder angepöbelt werden dürfe. Und dies, ohne auch nur einen Halbsatz dazu zu verlieren, was sie konkret an Maßnahmen planen, um dies zu verhindern. Das ist wohlfeil und billig! Die Sache ist nicht gelöst, wenn man den syrischen Täter jetzt schnell nach Damaskus zurück schickt. 

Auch ist der „Gesunde Menschenverstand“ nicht immer gesund und Freiheit hat ihre Grenzen in der Freiheit des Anderen. Es kommt also immer auf ein ausgewogenes Verhältnis, auf Maß und Mitte an. Niemand kann gegen Anstand und Rücksichtnahme sein, aber auch nicht gegen gesunden Menschenverstand, Freiheit und offene Rede. Aber Extreme müssen ebenfalls benannt und begrenzt werden. Am Wirkungsvollsten durch engagierte Gegenrede und Argumentation.

Katholiken, Homophobe, Islamkritiker, Heimatfreunde, Genderkritiker vereinigt euch?

Ein Beispiel wunderlicher Solidarisierung ist der Schriftsteller Akif Pirinçci, der Gegenwind aus allen Richtungen wegen seiner vulgären und teils unmöglichen und menschenfeindlich, sexistischen Ausdrucksweise bekommt. Diese würde man auch sonst niemandem durchgehen lassen. Warum stellen sich manche Leute hinter ihn, wenn er gewisse Reizthemen anspricht, statt ihm deutlich zu sagen, dass er sich in seinem Furor verrennt? So halte ich „Verschwulung“ nicht für eine Vokabel, die Katholiken auch nur ansatzweise akzeptieren sollten. Der damit ausgedrückte Subtext geht weit, weit über den Katechismus hinaus.

Und was sollte uns als Christen veranlassen, einem erfolgreichen Buchautor, dessen Thesen in allen Foren diskutiert, auf allen Podien besprochen und dessen Verkaufszahlen durch die Decke schießen, für ein Opfer von Tugendterror zu halten? Herr Sarrazin ist sicher Manns genug, seine Dinge zu sagen, er braucht keine katholische Sekundanz! Auch bis zum Erscheinen seines Buches war es möglich, auf die Probleme der Migration und der zunehmenden Auflösung sozialer (oft noch dörflich-kleinstädtischer) Milieus in Deutschland durch die zunehmend erforderliche Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt hinzuweisen und dies zu diskutieren. Allerdings im Sinne eines gesetzeskonformen Prozesses der verbesserten Integration, Bildung, Aufbau sozialer Strukturen etc... Die beliebte Formel von „Man wird doch wohl noch sagen dürfen...“ (in vielen Varianten), wird doch im Grunde immer dann bemüht, wenn Positionen vertreten werden, die zu Recht zu Widerspruch und zur Gegenrede herausfordern.

Das wird man doch noch sagen dürfen?!

Notwendiger Widerspruch braucht es nämlich dort, wo Vorstellungen „gesagt werden dürfen“, die sich in gesetzlichen Zwangsmaßnahmen erschöpfen, den Rechtsstaat aushöhlen, ausschließlich auf harte Strafmaßnahmen setzten oder die „Lösung“ aller Probleme durch „Wegschaffen“ derer zu setzten, die Probleme verursachen. Nein, solcher Widerspruch ist kein Zeichen dafür, dass „man etwas nicht formulieren darf“ wenn auch nicht unbedingt, dass die vorgeschlagene Maßnahme falsch ist. Solcher Widerspruch sollte – zumindest von uns Christen – ernst genommen und Gegenargumente erwogen werden. Davon ist leider in vielen, ach so "christlichen" Diskussionsforen wenig zu spüren.

Hier könnten wir uns engagieren, hier ist christliche Diskussionskultur gefordert. Die einfache Lösung ist nicht immer die Beste. Als Theologen sollten wir wissen, wie komplex die Welt ist. So sehr ich selbst ab und an die Sehnsucht nach einfachen Lösungen teile und von besseren Zeiten und alten Tagen träume...

Liane Bednarz untersucht in ihrem Werk eine ganze Reihe von „Brückenthemen“, anhand derer es zu Kontakten und Allianzen über den Graben zwischen Konservativen und Rechten kommt.

Zäune bauen – Abschieben:

Ein Problem, das ich einfach ins Ausland verlagere, ist nicht weg. Und zudem kann ich nichts mehr zur Lösung der Schwierigkeiten beitragen. Ein Straftäter in Algerien richtet in Deutschland vielleicht keinen Schaden mehr an, kann aber in den Strukturen der Mafia oder des Islamischen Staats weit gefährlicher für Menschen werden, als er es in Deutschland jemals gewesen wäre. Die Probleme im Ausland fallen uns vielfach wieder „auf die Füße“. Wie sich ja angesichts von Migration und Terror sehr schmerzhaft in unseren Tagen zeigt. Kein Zaun der Welt wird uns letztendlich alle Krisen unserer Zeit vom Halse halten. Allenfalls werden uns solche „Lösungen“ kurze Atempausen verschaffen, um dann umso heftiger auf uns einzuprasseln.

Der „liebe Doktor“, der nicht wehtut, der die Krankheit begrenzt und ihre Symptome ertragbar macht, ist nicht zwingend der bessere Arzt als der, der vielleicht manchmal etwas grob erscheint, sein Handwerk aber versteht und der Erkrankung auf den Grund und an die Wurzel geht. Von daher sollte man die allzu leichten Lösungsvorschläge nicht allzu fröhlich unterstützen.

Abtreibung und Ehe für Alle

Auch im Kapitel des Buches, wo es um die Sexualmoral, um Ehe und Genderfragen geht, ist mir ab und an die Frage gekommen, ob man hier klar definieren kann, mit welcher Position, Grenzen und rote Linien überschritten werden. Sicher nicht mit den Haltungen, die der Katechismus der katholischen Kirche nahe legt. Wenn man hier sehr konservativ denke, trifft man sich in den Überzeugungen sicher leicht mit denen von AfD und Protagonisten der Neuen (und alten) Rechten. Bin ich dann etwa schon „rechts“? Diese Anfrage an Liane Bednarz ist ja immer wieder zu hören. Die Gefahr besteht, dass sie durchaus so missverstanden werden kann, wenn sie engagiert die Koalition von christlichen Aktivisten, Lebensschutzbewegung und „Demo für Alle“ mit der AfD (+ Co.) beleuchtet. Aber sie macht auch klar, dass es nicht nur einfache AfD-Leute oder „normale Bürger“ sind, die hier gute Anliegen und Ziele durch Teilnahme an Demonstrationen unterstützen. Unter ihnen sind auch Strategen, die Bürgerliche und konservative Christen für ihre Ziele einspannen möchten und deren politischer Horizont weit über das konkrete Thema hinaus geht.

An einigen Punkten ist es inzwischen so, dass Organisationen und Personen bestens vernetzt sind mit AfD und neurechten Organisationen. Bednarz liefert manche Beispiele. Von daher verwundert es nicht, wenn umgekehrt extreme Linke diese Demonstrationen nicht in der Sache betrachten, sondern zu getarnten rechtsextremen Aufmärschen umdeuten oder als eine Art Trojanisches Pferd betrachten, mit dem neue Sympathisantengruppen erschlossen werden sollen. Nichts kann die Machenschaften ultralinker Gruppierungen im Umfeld solcher Aktionen entschuldigen. Man kann sich auf Demonstrationen seine Unterstützer oft nicht aussuchen, aber zumindest doch sorgfältig organisatorische Verflechtungen vermeiden.

Sexualisierung, Homosexualität, Genderfragen

Bednarz betont, dass sie religiöse Überzeugungen keineswegs in die Kategorie „rechts“ einordnet, ja sich selbst eher als traditionell christlich (evangelisch mit katholischen Sympathien) einordnet. Aber das wird vermutlich fix überlesen. Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass einige christliche Aktivisten bei diesen Themen die katholische Katechismusposition längst verlassen haben und zu weit extremeren Haltungen und Formulierungen gefunden haben. Seltener äußern sie diese dann bei „Maischberger + Co.“ oder bei Reden auf offenen Bühnen, sehr wohl aber bei Facebook und Twitter.

Bednarz macht deutlich und begründet dies auch überzeugend, dass manche ihrer „Angstprediger“ aus dem Thema „Gender“ eine Art Popanz kreieren und bekämpfen, den es in der Realität so gar nicht gebe. Als Beleg für die Panikmache um Gender werden dann aus der bunten Welt des extremen Feminismus oder auch aus dem Wissenschaftsbetrieb einzelne Akteure identifiziert und zu Kronzeugen und Lieblingsgegnern stilisiert. Sicher gibt es Übertreibungen, aber den weitaus meisten Akteuren geht es schlicht um Gleichberechtigung und Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern. (Ja, an dieser Stelle kann die allgemeine Verschwörungsschleife nun losgehen: als "Gutmensch" erkenne ich die Gefahr des Genderismus nicht, sogar der Papst warne davor, ich verharmlose die Gefahren, es seien weltweit Strategen am Werke, die göttliche Schöpfungsordnung aufheben wollten, vermutlich noch unterstützt von Bill Gates und Soros - Stiftungen und Freimaurern. Und dass ich mich darüber lustig mache, zeige doch die Naivität, mit der ich den Gender-Strategen auf den Leim gehe.)

Das Gespräch mit jungen und alten Menschen zeigt doch immer wieder, wie viel Sehnsucht nach dem Guten es gibt, nach Treue, wahrer Liebe, gegenseitiger Hilfe. Es kommt darauf an, wohin ich meine Aufmerksamkeit richte. Warum können wir uns nicht freuen, wenn eine junge linke Feministin, die Darstellung von Frauen als Ware kritisiert? Warum im Gegenzug nicht klar kritisieren, wenn Matthias Matussek für sein neuestes Buch ausgerechnet mit der nackten Konzeptkünstlerin Milo Moiré wirbt? Möglicherweise ist das nur, wonach es aussieht: ein Aufleuchten lüsterner Männerphantasien, die auch das Herz konservativer Katholiken bedrängen mögen. Auch wenn sie sich angeblich aus Protest gegen sexuelle Übergriffe von Flüchtlingen nackend auf dem Bahnhofsvorplatz in Köln präsentiert hatte, ihre sonstigen Auftritte und Botschaften sind für mich als Katholiken nicht weniger verstörend als ein FEMEN - Protest. Da lasse ich sie gern nackend sein und ziehe meiner Wege, statt mich mit ihnen gemein zu machen. Es hat etwas von Doppelmoral, dem Einen etwas durchgehen zu lassen, weil ich ihn für einen Freund halte, während beim Anderen allzu fix eine ehrenhafte Motivation ausgeblendet wird.

Wenn Gabriele Kuby die traditionelle Familie fördern will, warum reist sie da (ich unterstelle mal ehrenhafte Motive) zu einem Kongress nach Rußland, wo sie auf lauter undurchsichtige Partner und unbekannte Organisationen mit höchst unklaren Zielen trifft? Vermag Frau Kuby all dies auszubalancieren? Auch wenn Präsident Putin sich als orthodoxer Gläubiger präsentiert, eine kritische Distanz ist bei ihm weit mehr geboten als ein klarer Abstand zur Bundeskanzlerin. Was spricht dagegen Rußland, seine Menschen, seine Religion und Kultur wertzuschätzen. Dafür muss niemand Putin umarmen.


Islam – Islamismus – Islamisierung – christliches Abendland

Es ist verständlich, dass Christen einen glaubensstarken Islam als bedrohlich erleben, während sie gleichzeitig ein eher glaubensschwaches Christentum erleben. Dieses hat seinen stützenden, äußeren Halt durch die zunehmend pluralistische, postchristliche, demokratische Gesellschaft weitgehend verloren. Und es krankt nach wie vor daran, dass Menschen mit der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten negative Erfahrungen gemacht haben. Es ist erstaunlich, dass sich solche negativen Erfahrungen und die hieraus folgende Abkehr von der Kirche sogar noch über Generationen weiter "vererben". Kirche wird und wurde als Zwangsorganisation erlebt, die die persönliche Freiheit und Entwicklung beschnitt und hemmte. Aus mancherlei Gründen befreien sich Menschen von kirchlichen Bindungen, auch wenn es aktuell schwer wäre, persönlich negative Kirchenerfahrungen zu machen. Wir müssen den verklärten Blick auf die 50er Jahre aufgeben, als die Kirche nach den traumatischen Erfahrungen der Nazizeit eine Scheinblüte erlebte. Diese Blüte hatte auch einen Preis, den wir heute abzahlen. Warum das so ist, das kann in wenigen Sätzen nicht geklärt werden. Dass es so ist, das erlebe ich beinahe jeden Tag, wenngleich ich in diesem Phänomen nicht den Hauptgrund für die Krise der Kirchen entdecke.

Der Islam dagegen hat durchaus noch stützende Halteplanken, vor allem in Europa sind das: die Suche nach Identität in der Fremde, die damit korrespondierende Verunsicherung, die Heimatgefühle und die Landestraditionen, vor allem aus der Türkei. Als weitere Stärke erweist sich unter den freiheitlich - demokratischen Bedingungen das Fehlen einer Großinstitution. Im Islam ist jeder Gläubige unmittelbar Gott gegenüber verantwortlich, kirchenähnliche Strukturen fehlen. Eine Auflehnung gegen den Islam ist daher kein Kampf gegen eine Kirchenstruktur sondern richtete sich gegen Gott selbst.

Umso wichtiger ist es, dass wir als Kirche auf Christen setzen, die dies aus „Einsicht und Entscheidung“ sein wollen. Und dass wir die Kirche als Institution weniger wichtig nehmen, dass sie deutlich spürbar in erster Linie wieder dem Glauben an Gott dient.

Das christliche Abendland, das ausgerechnet von religionsfernen Bewegungen und Parteien (es ist vielfach empirisch belegt, dass keine andere Partei so wenige praktizierende Christen in ihren Reihen hat, wie die AfD und dass die große Mehrheit der PEGIDA-Leute konfessionslos ist) wird so zum beliebigen Popanz. Ein christliches Abendland, bei dem christlichen Wurzeln beschworen werden, erinnert mich etwas an die Formulierung des „ewigen Rom“, mit dem sich die Piusbruderschaft eine Hilfskonstruktion aufgebaut hat, das Lehramt zu abstrahieren und damit den nach dem 2. Vaticanum amtierenden Päpsten den Gehorsam partiell zu versagen. Der Unterschied ist, dass das „ewige Rom“ Orientierungspunkte kennt, die beispielsweise in den Beschlüssen des tridentinischen Konzils kumulieren, es ist damit – anders als das oft beschworene christliche Abendland - kein reines Gedankenkonstrukt, das von zu viel Phantasie und schlechter historischer Bildung zeugt.

Die Wortverbindung Abendland und Christentum ist überhaupt tückisch, denn Christentum ist weit mehr als „christliches Abendland“ und „christlich-jüdische Wurzeln“.
Interessant ist an dieser Stelle, dass Liane Bednarz sich nicht ausdrücklich der Petrus- bzw. Piusbruderschaft in Deutschland widmet. Aber ich nehme ebenfalls nicht wahr, dass die konservativ-traditionalistischen Gemeinschaften eine besondere Nähe zu politisch rechten Akteuren, Parteien und Bewegungen unterhalten, wenngleich es einige Protagonisten aus deren Umfeld gibt, wie z.B. der Dresdner Rechtsanwalt Maximilian Krah oder der Münsteraner Priester Paul Spätling, der sich auf eine der ersten PEGIDA - Demonstrationen verirrte. In anderen europäischen Ländern muss man das leider differenzierter sehen. Ich würde das mal mit der alten Lebensweisheit "Schuster bleib bei deinen Leisten" beschreiben, an der sich die Freunde der "Alten Messe" in Deutschland weitgehend orientieren.

Skurril aber symptomatisch empfand ich eine Schilderung im Buch, wo ein evangelikaler Christ auf einer AfD-Veranstaltung versuchte, AfD-Ziele biblisch zu begründen. Mit Hilfe des Begriffs „Nächstenliebe“ erklärt er u.a., dass all die Flüchtlinge ja aus weiter Entfernung, manchmal über 10.000 km, zu uns gekommen seien. Für so weit Entfernte könne er doch kein Nächster sein. Nächste seien seine Frau und seine Familie. Er verkehrt damit die Aussageabsicht des Barmherzigen Samariters in ihr glattes Gegenteil. Jesus betont, dass derjenige mein Nächster sei, der gerade in diesem Moment meine Hilfe braucht. (Was mich natürlich in keiner Weise der Sorge um meine Liebsten enthebt.) Aber damit bleibt auch zu der Behauptung, das Evangelium fordere keine „Fernstenliebe“, jeder weitere Kommentar überflüssig.

Ganz zu schweigen von der langen Tradition christlicher Mission und der segensreichen Tätigkeit der kirchlichen Hilfswerke wie Misereor, Adveniat und „Kirche in Not“.

Abschließen werde ich diesen Text im Laufe der Woche noch mit einigen Notizen zur Kontroverse um das Buch, um Liane Bednarz und eine abschließende Bewertung des Bandes. Es folgt also noch ein dritter Teil.


Hier lesen Sie den dritten und abschließenden Teil.: 

Samstag, 21. April 2018

Frohe Botschaft gegen Angstpredigt? Unterwanderung statt Pilgerfahrt?

Etwas reißerisch kommt er schon rüber, der Titel des aktuellen Buchs von Liane Bednarz: „Die Angstprediger - Wie rechte Christen Gesellschaft und Kirchen unterwandern.“ So ganz überzeugend erscheint mir weder Titel noch Untertitel, was aber nichts daran ändert, dass ich das Buch mit großem Interesse gelesen habe.

Ab wann ist man Angstprediger
– und könnte ich einer davon werden?

Während der Lektüre habe ich mich gefragt, wo ich mich persönlich im kirchen(politischen) Spektrum verorten würde. Ich pflege manche Kontakte ins konservativ-traditionalistische Milieu und viele der von Bednarz erwähnten Personen zählen zu meinem „Freundeskreis“ bei facebook. Ich bin nicht gerade ein Verfechter des Frauenpriestertums und halte den Zölibat für die dem Priestertum angemessene Lebensweise. Ich versuche mich mit den Argumenten konservativer und sogar traditionalistischer Katholikinnen und Katholiken auseinanderzusetzen; ich habe Kardinal Müller und Bischof Tebartz van Elst in Blogbeiträgen verteidigt; ich pilgere nach Kevelaer, Banneux, Rom und Santiago; mich fasziniert Reliquienverehrung; ich bete den Rosenkranz; ich bin kein Freund sprachlicher Experimente in der Messfeier; ich schätze das Ordensleben und besonders die Kartäuser, Trappisten; Zisterzienser und die Schwestern und Brüder von Bethlehem; ich kann mich sogar mit Frömmigkeitshaltungen wie der knieenden Mundkommunion anfreunden. Ich sehe meine geistlichen Wurzeln aber auch in Assisi und Taizé, pflege den Dialog mit Muslimen und bin Mitglied in einem Verein, der zum Dialog mit dem Buddhismus einlädt. Als Vater von vier Kindern bin ich klar gegen Abtreibung, habe aber kein Rezept, für dass ich auf die Straße gehen möchte. Ich unterstütze lieber - wenn ich kann - Initiativen wie 1000plus und setze mich in der Pfarrei für Familien ein.

Ich schätze Papst Benedikt XVI. sehr, gebe aber auch Papst Franziskus jenen Vorschuß an Vertrauen, den jener für sein Denken, Verkündigen und Handeln erbeten hatte. Ich schätze das schöne Gebäude der katholischen Sexual- und Ehemoral, halte es aber dennoch hier und da für renovierungsbedürftig. Ich liebe katholische Prachtentfaltung und meine dennoch, dass es sehr sehr notwendig ist, angesichts der Zeit in der wir leben, neue Formen von Schlichtheit und Einfachheit zu entdecken. In der Weise, wie es z.B. Ordensgemeinschaften wie die Monastische Familie von Bethlehem, die Gemeinschaften von Jerusalem oder auch Taizé uns vorleben, als Konzentration auf das Wesentliche und das Evangelium. Wie auch immer, ich vermute, in das Raster „rechter Christ“ passe ich nicht. Ich bin auch etwas skeptisch, ob die politischen Kategorien „rechts“ und „links“ heute überhaupt noch angemessen verwendet werden können. Es fehlt aber ein ähnlich griffiges neueres Koordinatensystem, daher bleiben wir bei dieser Hilfskonstruktion. Jedenfalls, wenn von „rechts“ die Rede ist, so geht es nicht um einen festen Punkt, sondern eher um eine Skala, die zahlreiche Differenzierungen zuläßt. In Bednarz Buch ist so auch die Rede von Rechts, Rechtspopulistisch, Rechtsradikal und Rechtsextremistisch. Die spannende Frage wäre, wo beginnt konkret die „Gefahrenzone.“

Wo verlaufen die roten Linien zwischen konservativ und rechts?

Ich hatte ursprünglich gar nicht vor, über dieses Buch zu schreiben, konnte es dann aber nicht lassen, mir eigene Notizen zu machen und Gedanken zu den Themen und Thesen des Buches zu notieren. Zumal sich – wie mir scheint – an Liane Bednarz „die Geister scheiden...“. Daher wird dies auch keine klassische Rezension, sondern eher eine Reflexion meiner persönlichen Gedanken, angeregt durch ihr Buch „Die Angstprediger“.

Ja, man kann sagen, es ist ein ärgerliches Buch, weil es Phänomene beleuchtet, für die man als konservativer Christ nicht gern im „rechten“ Licht steht. An manchen Stellen erlebte ich ein „Deja vu“ und empfand das Buch als Relectüre des Bandes „Gefährliche Bürger...“. Auch die Frage, die mich bei diesem Buch damals beschäftigte tauchte wieder auf: „Wo konkret läuft die „rote Linie“, die einen konservativen Katholiken zu einem „Angstprediger“ oder gar zu einen „gefährlichen Bürger“ macht?“

Kardinal Marx zieht die roten Linien wie folgt (zitiert auf S. 211 des Bandes): „Es herrscht Meinungsfreiheit, auch unter Katholiken. Aber es gibt rote Linien. Da muss man als Bischof deutlich werden, wenn die rote Linie überschritten wird. Wo Ausländerfeindlichkeit erkennbar ist, wo undifferenziert diskutiert wird, wo mit Schlagworten gearbeitet wird, wo Feindbilder aufgebaut werden, da kann ich keine Diskussion mehr führen.“ Auch wenn das in leicht autoritärer, Marx'scher Diktion rüber kommt, ganz verkehrt ist es nicht.

Bednarz plädiert für eine klare Grenzziehung zwischen konservativen Überzeugungen und Haltungen und (neu-)rechtem Denken. Wobei sich diese Grenze wohl weniger entlang inhaltlicher Positionen bestimmen läßt. Eher anhand des Gesamtkontextes, in den Positionen eingebettet sind und auch anhand der Mittel, mit denen die politischen Akteure ihre Ziele erreichen möchten.

Auf S. 217 wird der Journalist Marc-Felix Serrao aus der NZZ mit seinem Urteil über rechte Publizistik wie folgt zitiert: „Wut verzerrt den Blick. Man liest nur noch, was ins Weltbild passt, und man ignoriert die vielen Zwischentöne, die es in allen großen deutschen Verlagshäusern bis heute gibt. Das Ergebnis sind Texte, die zu laut sind. Zu erwartbar. … Für rechte Wut muss niemand bezahlen. Davon quillt das Netz schon über.“ 
Bednarz legt Verknüpfungen verschiedener Personen und Gedankenwelten offen, ohne dabei polemisch oder ungerecht und anklagend zu werden. Wer darauf hinweist, dass in den rechtspopulistischen Kreisen Probleme dramatisiert und politisch mißbraucht werden, der leugnet die realen Probleme nicht. Er will sie aber korrekt einordnen, denn nur so lassen sich angemessene Gegenmaßnahmen ergreifen.

Es geht dabei nicht um die ein oder andere, etwas extremere Meinung oder Überzeugung. Wenngleich man sicher zu Recht erwarten darf, daß Christen ihre Position an der Realität und an der kirchlichen Lehre messen und sich selbst überprüfen. Natürlich sind gewisse Positionen legitim, die Frage ist, inwieweit man sich darüber hinaus von rechten Topoi beeinflussen und sein Urteilsvermögen in diesen Fragen vernebelen läßt.

Die Bewertung der einzelnen Positionen nimmt das Buch dem Leser zumeist nicht ab, aber die Autorin bietet Maßstäbe dafür an. Diese muss natürlich niemand übernehmen, es macht aber sicher Sinn, sie zu bedenken und zu verstehen. Warum sollte ein solches Buch nicht ein – möglicherweise ähnlich ärgerlicher – Beichtspiegel sein, wie die Ansprachen des Papstes beim Empfang für die Mitarbeiter der Kurie? Als Christen sind wir immer aufgerufen, umzukehren und uns an Jesu Wort und Beispiel neu auszurichten.

Schwierig wird es immer dann, wenn auch im politischen Raum Quasi-Dogmen vertreten werden, z.B. die These, der Islam sei keine Religion, sondern eine extreme politische Ideologie, die es zu bekämpfen gelte. Wer solchen Thesen widerspricht, wird dann entweder für „blind“ gehalten oder als „Gutmensch“ abgestempelt. Dass diese These möglicherweise Nonsens ist, wird gar nicht in Betracht gezogen.

Mathias Mattuseks sehr spezielles „katholisches Abenteuer“

Der katholische Journalist Mathias Mattusek scheint sich geradezu zu bemühen, die Urteile der – ihm früher durchaus gewogenen – Autorin Liane Bednarz über seine politische Entwicklung (bei gleichzeitig lautstark geäußertem Widerspruch) durch Reden und Handeln zu bestätigen oder gar noch zu übertreffen. Man hat den Eindruck, Bednarz steht inzwischen selbst eher sprachlos dieser Entwicklung gegenüber.

Wenn 150 Leute mit Matthias Matussek in Hamburg „Widerstand“ rufen, dann wirkt das auf mich mehr skurril als beeindruckend. Wenn diese kleine Gruppe sich dann noch zum „Volk“ hochstilisiert, zur Vertetung der „normalen Bürger von nebenan“, dann sollten doch alle Warnlampen angehen. Selbst wenn 1.500 Antifa-Leute incl. Schwarzem Block gegen Matussek und seine Bürger Sturm laufen, braucht dieser neben handfestem Schutz durch die Polizei sicher nicht noch unbesehene Unterstützung durch uns Christen (auch wenn er früher sehr lesenswerte Texte geschrieben hat). Wir reden doch ehrlicherweise weder bei Pegida noch bei der AfD noch bei beiden zusammen von einer ernstzunehmenden Vertretung einer schweigenden Mehrheit der Deutschen. Nein, die zeigt sich hier eben nicht, sondern eine überschaubare Gruppe von Bürgern, die ihre von der breiten Mehrheit abweichenden Überzeugungen und Wertmaßstäbe dokumentieren und ihre Enttäuschung ausdrücken, dass ihre Anliegen in der Politik nicht aufgegriffen und vertreten werden und dass sie als Personen oder als Gruppe weder politisch, noch gesellschaftlich, noch kulturell nennenswert Einfluß haben.

„Merkel muß weg“, das mag sich eine Mehrheit der Bundesbürger insgeheim schon mal gedacht haben. Aber doch sieht die Mehrheit der Bundesbürger in ihr weiterhin eine Garantin von Demokratie und Stabilität. Jedenfalls so lange, bis ein Anderer diese Rolle übernimmt und ihre Nachfolge antritt.

Die konservativ-christliche Szene ist gut vernetzt. Viele sind medial aktiv, da boten sich die neuen Medien für diese geradezu an. Ich habe in Bednarz Buch kaum neue Leute kennengelernt und muss auch feststellen: Nicht alle Leute aus der Szene driften nach rechts. Im Gegenteil, einige widesprechen energisch und mit guten Argumenten.

Aber Andere verlassen die Sphäre der Theologie doch, fordern Solidarität mit AfD und Pegida und ereifern sich über Gender und Islam, teilen fleißig Beiträge neurechter Propagandekanäle. Selbst das ursprünglich rein auf kirchliche Themen orientierte „Forum deutscher Katholiken“ wird in seinem Blog und auf facebook erstaunlich und recht eindimensional politisch. Das mag man für wenig problematisch halten, problematisch wird es aber doch, wenn man auch eine gewisse Gegenbewegung beobachtet, die ausgerechnet der Frontmann der identitären Bewegung, Martin Sellner beschreibt. Er konstatiert, dass „von Cicero über AchGut bis hin zur JF (Jungen Freiheit) über viele Pfade ein reger Ideenschmuggel ins Zentrum der Meinungsmacht statt“ fand. Das macht nachdenklich.

Obwohl ich sicher bin, dass keines dieser Medien Sellners Strategie zur Redaktionsmaxime erheben würde, so stimme ich doch in diesem Fall der Analyse zu. Wir Katholiken sollten aufpassen, dass es uns nicht ähnlich geht. Wir sollten aufpassen, von wem wir uns aufzäumen lassen, welches trojanische Pferd wir in die Kirche zerren und welcher Schwanz einst mit uns wackeln möchte.

Oder um die schon von Bednarz zitierte Mahnung von Wolfgang Bosbach zu wiederholen: „Man sollte sich nicht für extreme politische Ziele instrumentalisieren lassen (S. 192). Eine Bemerkung, die sicher auch für den Umgang mit Linksextremen Gültigkeit hat.

Mag es auch eine gewisse Schnittmenge zwischen konservativen christlichen Überzeugungen und den Thesen radikaler rechter Bewegungen geben, so zeichnet es konservative Christen doch eigentlich aus, dass sie Maß und Mitte wahren, weil sie für ihre Überzeugungen klare Orientierungspunkte im Evangelium haben.

So, an dieser Stelle geht es erst los, Fortsetzung folgt zu den inhaltlichen Themen des Angstprediger-Buchs. Hier finden Sie die Fortsetzung. 

Hier meine ältere Besprechung des Bandes "Gefährliche Bürger" aus dem Jahr 2015: