Haben Sie sich wohl abgesprochen? Zwei
Bischöfe vom jeweils anderen Ufer einer doch recht pluralistischen
katholischen Kirche haben das Wort vom „Vorabend der Reformation“
in den Mund genommen, um die aktuelle Situation der katholischen
Kirche im Westen, in Deutschland zu umschreiben.
Im Norden der Republik, im
multireligiösen und vielgestaltigen Ruhrbistum mahnte Ruhrbischof
Franz-Josef Overbeck am Samstag bei einem Auftritt in Münster: „Die
alte Zeit ist zu Ende.“ „Wir sind in einer Krise und stehen an
einer Zäsur, die vielleicht noch tiefer geht als die Reformation, am
Anfang der Wirkung eines geistlichen und geschichtlichen Tsunamis.“
Wenn Kirche sich den gegenwärtigen Herausforderungen verweigere,
drohe sie völlig belanglos zu werden.
Sein Amtsbruder vom Donauufer im Bistum
Passau, Bischof Stefan Oster sagte es in einer Predigt zum 5.
Jahrestag seiner Weihe: „Maria hilf! Das rufen wir auch heute, da
die Kirche bei uns aber ich meine auch beinahe weltweit durch eine
ihrer schwersten Krisen seit der Reformation vor 500 Jahren geht. Und
tatsächlich, liebe Schwestern und Brüder, meine ich Anzeichen zu
sehen, die der Zeit der Reformation durchaus ähnlich sind. Das
Vertrauen in die Kirche, in ihre Lehre und in viele ihrer Vertreter
ist fundamental erschüttert.“
Und führt dann in erfreulicher
Deutlichkeit aus, aus welchen Bausteinen sich die aktuelle Krise
zusammen setzt. Lesenswert! Immer wieder ruft er in dieser Predigt
die Gottesmutter um Hilfe an „Maria hilf!“. Schließlich begeht
man im Bistum Passau die „Maria-Hilf-Woche“.
„Maria hilf!“, diesen Ruf hatte
eine Gruppe katholischer Frauen aus Münster wohl auch im Hinterkopf,
als sie die Initiative Maria 2.0 gründeten. Die Idee: Der männlich
bestimmten Kirche einmal aufzeigen, was von der Kirche übrig bliebe,
wenn die Frauen sich zurückzögen. Zunächst schrieben die Frauen
einen Brief an den Papst, der bis heute von fast 32.000
Unterzeichner*innen unterstützt wird. Dem folgte in der vergangenen
Woche ein „Kirchenstreik“, der im Mittelpunkt des Widerstandes
stehen sollte und mit dem vier prägnante Forderungen verbunden
waren:
- Kein Amt mehr für diejenigen, die andere geschändet haben an Leib und Seele oder diese Taten geduldet oder vertuscht haben.
Die selbstverständliche Überstellung der Täter an weltliche Gerichte und uneingeschränkte Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden.
- Zugang von Frauen zu allen Ämtern der Kirche.
- Aufhebung des Pflichtzölibats.
- Kirchliche Sexualmoral an der Lebenswirklichkeit der Menschen ausrichten.
Medial fiel der Samen, den die Frauen
ausgestreut hatten, auf sehr fruchtbaren Boden. Viele Gruppen und
Organisationen schlossen sich der Bewegung an, die öffentliche
Aufmerksamkeit schoss in der „Streikwoche“ durch die Decke. Das
Symbolbild von Maria 2.0 war die an eine Ikone angelehnte Darstellung
der Gottesmutter, deren Mund mit einem Pflaster verklebt war – eine
Anspielung auf eine Erzählung über den Hl. Bernhard von Clairvaux,
der einer Mariendarstellung das Schweigen geboten haben soll, als
diese das Wort an ihn richtete.
Die Beteiligung an der Streikwoche war
sicher bemerkenswert, aber doch längst keine Massenbewegung.
Auffallend war allerdings, dass sich vor allem jene Frauen
beteiligten, die in den Kirchengemeinden die Arbeit der Frauengruppen
und -aktivitäten tragen, ergänzt um einige weitere Frauen und
Männer, die durch diese Bewegung in der Kirche neugierig geworden
waren: „Es tut sich etwas in der katholischen Kirche!“
Die Bischöfe und die „Kirchentreuen“
reagierten unterschiedlich, mal zurückhaltend, mal vorsichtig
solidarisch (aber nie ohne kritische Worte), mal gesprächsbereit,
andere ignorierten emonstrativ, was dort geschah. Einige wenige
Bischöfe wurden deutlich, so wie Rainer Kardinal Woelki, der die
Maria 2.0 als „Fake“ brandmarkte: „Hier in Bödingen
(Marienwallfahrtsort) begegnen wir nicht einer Mainstream-Maria. Hier
begegnen wir dem Original, hier begegnen wir einer Maria, die nicht
irgendwelche Wahrheiten verkündet, hier begegnen wir einer Maria,
die nicht verwendet wird zur Durchsetzung kirchenpolitischer
Überlegungen."
Ganz ähnlich meldete sich nach
tagelangem Schweigen auch der Bischof von Münster zu Wort: Man müsse
zwischen Emotion und Sachfragen differenzieren. „Schließlich ist
es eine Entscheidung, wie sinnvoll es ist, in Emotionen einzugreifen
oder besser nicht, weil Öl ins Feuer zu gießen auch keine Hilfe
ist.“ Allerdings gebe es Grenzen, „und zwar dort, wo das
Heiligste berührt ist, zum Beispiel die Heilige Messe oder die
Verzweckung der Gottesmutter Maria“, erklärte Genn. „Das ist für
mich eine unüberschreitbare Grenze – und das will ich ganz offen
und ehrlich sagen.“
Ganz hoch kochten die Emotionen, als
die Fachschaft Theologie an der Universitätskirche in Freiburg ein
Transparent mit einer sehr speziellen Mariendarstellung anbrachten:
„Maria Vulva“. Hier hatte man die Darstellung der Gottesmutter
mit dem Erscheinungsbild der weiblichen Vulva verbunden. Auf
y-nachten.de versuchte sich Tage nach dem Sturm der Entrüstung eine
Studentin an einer vertiefenden Rechtfertigung der Aktion. Ich habe
versucht, mit ihnen darüber ins Gespräch zu kommen, doch auf meine
Bemerkung bei fb hat bis dato niemand reagiert: „„Maria Vulva",
diese Darstellung ist doch nicht mehr als ein recht kurz gesprungener
grafischer Gag, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Über Geschmack kann
man normal ja streiten. Aber das hier ist eine völlig unnötige
Provokation. Für die anders denkenden Seite übrigens eine
Steilvorlage, die das ganze Anliegen diskreditierte. Ich bin durchaus
offen für das Gespräch über die Themen, die Maria 2.0 gesetzt hat.
Ich kann auch mit den Formen des Protests leben, die dafür gewählt
wurden. Aber für diese Aktion hier fehlt mir das Verständnis. Den
Frauen von Maria 2.0 hat diese „Solidarität“ einen Bärendienst
erwiesen. Das war ein politisches Eigentor. In diese Text hier hätte
ich mir endlich etwas Selbstkritik erhofft. ... ausgerechnet die
entblößte Vulva zu zeigen und "gegen Missbrauch" darunter
zu schreiben ist für mich absolut grenzüberschreitend. Etwas
Verständnis für das Befremden normaler Katholiken hätte ich mir in
dieser Stellungnahme schon erwartet und nicht ein schlichtes "Vulva
hin oder her...". ... Wenn ich ein solches Motiv beispielsweise
in einer Maiandacht in der Gemeinde zeigen würde - wäre damit
vermutlich das Ende meines pastoralen Dienstes eingeläutet. Mit
welchen Argumenten sollte ich das einer normalen Katholikin (selbst
wenn diese Maria 2.0 durchaus gut fände) erklären? Es mag sich ja
feministischem Denken möglicherweise erschließen, aber außerhalb
dieser Blase ist die Grafik doch kaum vermittelbar. Ein Zeichen muss
unmittelbar verständlich sein, so lernte ich einst im theologischen
Studium.“
„Maria braucht kein Update!“ sagte
dagegen die junge Lehrerin Johanna Stöhr und startete im Netz die
viel beachtete Gegeninitiative Maria 1.0. „Das Original!“.
Der Streit um den Namen der Aktion ist
eigentlich obsolet und bringt nicht weiter. Was soll Maria 1.0 sein?
Glaubt jemand ernsthaft, es gibt ein einheitliches, originales Bild
und Verständnis der Gottesmutter? Heißt es doch in einem Gedicht
von Novalis:
„Ich sehe dich in
tausend Bildern,
Maria, lieblich
ausgedrückt,
Doch keins von allen kann
dich schildern,
Wie meine Seele dich
erblickt.“
Mag die Maria der Bibel als das
Original gesehen werden, so hat es zu jeder Zeit der
Kirchengeschichte ganz neue Perspektiven und Darstellungen der
Gottesmutter gegeben. Selbst die Kirchen der Reformation entdeckt sie
nach 500 Jahren zaghaft wieder, wie eine aktuelle Initiative zu Maria
und Nikolaus im europäischen Kultur-Kontext zeigt.
Nicht zu vergessen wären hier auch die
Marienerscheinungen der vergangenen 150 Jahre, die ein sehr
spezielles Bild von Maria zeichneten, einer Maria als manchmal allzu
treue Verbündete einer klassischen Gestalt von Kirche, allerdings
auch manches Mal mit geradezu verstörenden Botschaften, die die Axt
an die Wurzeln der katholischen Kirche zu legen instande wären. Seit
einigen Jahren nervt in diesem Sinne: „Die Warnung“ gläubige
Christen.
Maria 4.0 ?
Ich denke, man darf sich getrost darauf
einigen, dass Maria alles Andere ist, als die stille, folgsame und
vor allem schweigsame Frau, der man in der Kirche den Mund verbietet.
Sie eignet sich auch keinesfalls zur Sedierung aufmüpfiger Gläubiger
oder als Motiv des Banners, das dem kämpfenden Heer voran getragen
wird. Eher ist sie diejenige, der man jede Sorge und jedes Anliegen
sagen kann und mit deren fürbittender Hilfe so mancher
problematische Knoten zu lösen wäre. Eine „Verzweckung der
Gottesmutter“, ja das sollten wir in jedem Fall vermeiden, weder
ist sie die Speerspitze der Kirchenreformen, noch ist sie
Briefträgerin von Mahnbriefen an allzu unbotmäßige oder unfromme
Katholiken.
Ich finde, Maria 2.0 kann man auch als
Aufforderung verstehen, unter den Verkrustungen süßlicher
Frömmigkeitsgeschichte die wahre Gestalt der heiligen Gottesmutter
wieder frei zu legen. Dazu muss man nicht allen katholischen Kitsch
beiseite räumen, aber doch im Herzen und im Beten konstatieren, dass
das Bild Marias vielgestaltig ist und dass tausend Bilder nicht
reichen, ihr gerecht zu werden. Und neben der rheinischen schönen
Madonna hat auch das Gnadenbild von Banneux Platz, neben dem
Vesperbild von Telgte auch Maria lactans von Jean Fouquet, ja und von
mir aus auch das Marienbild von Lisa Kötter aus Münster.
Ich habe mich nicht an einer der
Aktionen von Maria 2.0 beteiligt. Und auch nicht wenige Leute
getroffen, die das alles sehr, sehr skeptisch sahen. Selbst unter den
Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Wobei die Punkte zur Thematik der
sexuellen Gewalt und auch des spirituellen Missbrauchs völlig
unstrittig sind.
Spannend wird es bei den Themen: Weihe
der Frauen, Zölibat und kirchliche Sexualmoral. Hier scheiden sich
die Geister. Und hier wird es auch schwierig.
Die Protestaktion fällt in eine Zeit,
wo junge Leute für den Schutz der Umwelt und des Klimas
demonstrieren und der Politik Beine machen. In diesen Tagen ist es
dem Youtuber „Rezo“ - zunächst allein und dann mit Unterstützung
von 70 anderen Youtube-Stars gelungen, die CDU und andere etablierte
Parteien wie die SPD, aber auch die AfD unter Druck zu setzen. Man
beobachtet wie in einem Brennglas, dass sich eine Kluft auftut,
zwischen den althergebrachten Weisen, Politik zu machen, politische
Entscheidungen zu treffen und einer lauten, bunten und entschlossenen
Protestbewegung. Wir wissen heute noch nicht, wohin uns das führen
wird.
In dieser Klemme steckt nun auch die
Kirche. Sie muss auf die drängender werdenden Anfragen aus der Mitte
ihrer Anhängerschaft reagieren, Anfragen, die durch die
Entwicklungen in der Gesellschaft, durch Skandale in der Kirche und
eine rasante Modernisierung in zahlreichen Lebensbereichen einen
gehörigen Rückenwind bekommen. Die Argumente derer, die
altüberlieferte Haltungen, Überzeugungen und Formen bewahren
möchten finden immer weniger Gehör. Solche Argumente überzeugen
nicht mehr, weil sich mehr und mehr auch der Bezugsrahmen hierfür
verändert.
Was sich gesellschaftlich in Sachen
Frau und Mann im vergangenen halben Jahrhundert getan hat, dass kann
man leicht ermessen, wenn man Werbefilmchen der 60er Jahre schaut.
Und manche ältere Dame kann da erhellende Erlebnisse aus ihrem Leben
beisteuern.
Schaut man in die Kirchengeschichte
zurück, so muss man konstatieren, dass Macht und Einfluß der Frauen
gerade in unserer Zeit durchaus zurückgegangen sind. Hubert Wolf hat
darauf aufmerksam gemacht, welch machtvolle Position manche
Ordensobere in vergangenen Jahrhunderten hatte. Unter einer Äbtissin
arbeiteten häufig viele Priester und hatten sich ihrer Weisung zu
beugen. Bis heute werden gern Legenden und Geschichten heiliger
Frauen erzählt, die Päpsten, Kardinälen und Bischöfen Paroli
boten oder ihnen geschätzte Ratgeberinnen waren. Unter den
Bedingungen einer feudalen Welt gerieten Frauen immer wieder in
machtvolle Positionen, die ihnen auch gegenüber der Kirche Bedeutung
verliehen. Und dies, obgleich die Männer weitaus häufiger die Macht
in Händen hielten. Heute sind diese Zeiten vorbei, in der
katholischen Kirche haben zwar manche Politikerinnen bzw. auch einige
adelige Frauen noch Positionen, die durchaus Achtung und Ehrerbietung
verdienen, aber durch die weitgehende Trennung von Kirche und Staat
hat sich die ganze Situation deutlich verändert. Größe und
Finanzkraft der schrumpfenden Klöster haben zudem zu einem Verlust
an Einfluß und Gestaltungskraft geführt. Einstmals gab es große
Orden, die sich in der Kranken- und Kinderpflege engagierten, die
heute nur noch mit Mühe die eigenen Schwestern betreut bekommen. Ich
glaube, man kann durchaus sagen, dass sich auch hierdurch die Fragen
der „Machtverteilung“ in der Kirche in einer ganz neuen
Dringlichkeit stellen.
(Ja, hier wird vorausgesetzt, dass es in der Kirche natürlich nie um Macht geht, sondern immer nur um Dienst. Mir fällt nur gerade kein Begriff ein, der Dienst, Verantwortung, Aufgaben, Macht … und was noch so dazu gehört auf einen prägnanten Nenner bringt.)
(Ja, hier wird vorausgesetzt, dass es in der Kirche natürlich nie um Macht geht, sondern immer nur um Dienst. Mir fällt nur gerade kein Begriff ein, der Dienst, Verantwortung, Aufgaben, Macht … und was noch so dazu gehört auf einen prägnanten Nenner bringt.)
Die Bischöfe sind aktuell sehr
beflissen, fähige Frauen auf wichtige Verwaltungspositionen zu
berufen und in vielen Gemeinden sind Ordensschwestern und Pastoral-
und Gemeindereferentinnen tätig. Aber die wesentlichen
Entscheidungen treffen für die Kirche doch in weit höherem Maße
als in anderen gesellschaftlichen Lebensbereichen die Männer,
insbesondere die geweihten Männer.
Pfarrers und Bischöfe haben im Laufe
der Jahre eine Fülle von Aufgaben auf sich vereint, die mit
Gestaltung, Macht, Einfluß, Geld zu tun haben. Eine Entwicklung, die
sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verschärft hat. Und dies
auch und gerade in Zeiten stattlicher Kirchensteuereinnahmen. Das
halte ich durchaus für eine kirchengeschichtlich einmalige
Situation. Sehr viel Energie wird auch darauf investiert, dass dies
so bleibt, dass Strukturen so verändert werden, dass die großen
Linien nach wie vor durch die klassisch, kirchliche Hierarchie
gezogen werden. Für mich liegt darin der Hauptgrund der
Zusammenlegung zahlreicher Pfarren zu Großpfarreien.
Hier stellt sich ernsthaft die Frage
nach einer guten Aufgabenteilung zwischen Priestern und nicht
geweihten Männern und Frauen. Die Priester (und Bischöfe) leiden
dabei durchaus an der Überfülle ihrer Macht, die auch mit einem
Berg an Aufgaben und Verantwortlichkeiten einher geht.
In diesem Kontext muss man sich die
Frage stellen, ob sich in unserer Religion nicht überhaupt die
Kirche als Institution (nicht als mystische Größe) allzu breit
gemacht hat. „Entweltlichung“, das ist seit dem Besuch von Papst
Benedikt XVI. in Deutschland die Herausforderung an die Kirche. Es
muss sich etwas ändern. Entweder in der Frage, ob wirklich nur die
Männer zum priesterlichen Dienst berufen sind oder ob auch Frauen
Priester werden können. Oder, inwieweit die Institution sich
zurücknehmen muss, um Energie und Kreativität der Laien frei werden
zu lassen, die sich nicht im Erhalt kirchlicher Strukturen, in der
Verwaltung der kirchlichen Machpositionen erschöpft, sondern in der
Verkündigung des Evangeliums. Ich glaube, wenn die Kirche daran
festhalten möchte, dass der Priester Christus als Mann
repräsentiere, und dass dieser der Gemeinde als Braut Christi
gegenüber stehe. Wenn ihr diese Symbolik so wichtig ist, die ja
möglicherweise auch durch die Tatsache unterstützt wird, dass Jesus
12 Männer in den Jüngerkreis aufgenommen hat, dann muss sich auch
die Rolle des Priesters in der Gemeinde wandeln. Der Priester muss
nicht das Haupt jeglichen gemeindlichen Tuns sein, auch die Apostel
traten in vielfacher Hinsicht immer wieder in den Hintergrund, wenn
es nicht um ihre spezifische Berufung und Sendung ging. Angefangen
schon in dem Moment, wo Christus in Fesseln aus dem Garten Gethsemani
abgeführt wurde.
Kirche als Institution raubt uns
aktuell sehr viel Energie. Hier ist etwas aus dem Gleichgewicht
geraten. Sicherlich wäre es unklug, im Sinne einer schlanken Kirche
zahlreiche segensreiche Einrichtungen und Initiativen gezielt zu
beenden. Nur ein Beispiel: Prävention von sexueller Gewalt und
spirituellem Missbrauch braucht auch Struktur und Organisation.
Dennoch: der Aufwand für die kirchliche Struktur muss in einem
vertretbaren Verhältnis zum Aufwand für die Verkündigung des
Evangeliums stehen. Vielleicht ist es ein Anfang, wenn jede*r
kirchlich Engagierte einmal schaut, wie viele Stunden er/sie von
seinem Engagement für den einen oder anderen Bereich aufwendet.
Der Zölibat, die Ehelosigkeit um des
Himmelreichs willen, hat seine prophetische Kraft weitgehend
verloren. Er ist eher zum Ärgernis geworden. Kaum noch jemand
erkennt mehr darin, was die Kirche darin sehen möchte. Der Versuch
hier zu vermitteln ist heutzutage zum Scheitern verurteilt. Allein
die Verkündigung überzeitlicher Wahrheiten macht diese nicht
unmittelbar einsichtig. Wir müssen das Sprechen über Ehe und
Zölibat völlig neu lernen. Ich bin skeptisch, ob eine schlichte
Aufhebung des Zölibats die Lösung wäre. Nein, ich glaube das
nicht. Aber vielleicht müssen wir neu über Ämter und Dienste in
der Kirche nachdenken und über die Charismen, die das ehelose und
das verheiratete Leben in diese Ämter und Dienste einzubringen
vermag. Vielleicht wirklich mehr im Sinne des Matthäusevangeliums:
„Wer es fassen kann, der fasse es.“
Zur Sexualmoral habe ich an dieser
Stelle schon häufiger Gedanken notiert. Das möchte ich jetzt nicht
wiederholen. Wem nützt eine Moraltheologie, die wie ein wunderbares,
goldenes Sakramentshäuschen auf dem Sockel steht, aber unerreichbar
ist oder auch nur von kleinen Minderheiten gelebt wird. Wir müssen
den Schatz der kirchlichen Moralverkündigung wieder neu heben und
uns von dem ein oder anderen Schnörkel auch einmal verabschieden.
Und dürfen auch hier und da noch dazu lernen. Das wird das
Gesamtkunstwerk nicht aus den Angeln heben. „An der
Lebenswirklichkeit“ ausrichten kann nicht heißen, die – sehr
vielgestaltige – Lebenswirklichkeit als Maßstab nehmen, sondern
eine Moralverkündigung möglich zu machen, wo Samenkörner auf
fruchtbaren Boden fallen und im Herzen der Betreffenden zu keimen
beginnen. Und den ein oder anderen Um- und Irrweg der Menschen auch
liebevoll zu begleiten.
Maria 2.0 ist ein Problemanzeiger. Hier
sprechen Menschen, denen die Kirche wichtig ist. Auch wenn sie zu
Worten und Aktionen greifen, die manche anders kirchenverbundene
Menschen irritieren. Es macht keinen Sinn, ihnen, – um in
biblischen Worten zu sprechen, den „verlorenen oder besser
verlaufenen Schafen“ hinterherzubrüllen und so noch Angst zu
machen. Diese Aktionen sind Problemanzeiger in vielfacher Hinsicht.
Selbst mit noch so berechtigter Kritik an der Aktion kommen wir nicht
einen Schritt weiter. Wir müssen feststellen, dass gewisse Aspekte
des kirchlichen Lebens heute nicht einmal mehr von jenen verteidigt
und vertreten werden, die das kirchliche Leben weitgehend stützen.
Die Argumente sind wirkungslos geworden. Soll die Kirche der Zukunft
etwa nur noch aus jenen bestehen, die - sicher wichtige - aber oft
auch nur sekundäre - Überzeugungen der Kirche zu 100 Prozent
teilen? Mir ist extrem unbehaglich mit Maria 2.0, aber nicht in
erster Linie wegen mancher schriller Wortmeldung, sondern wegen
grundsätzlicher Probleme, die sich hier aufdecken. Allein mit
Top-Down-Verkündigung und Katechese ist da nichts zu retten. Und
auch nicht mit "anathema sit".
Ich finde es unverantwortlich, dass
Bischöfe so reden, wie kürzlich Konrad Zdarsa, der meinte, es stehe
jedem frei, "das Schiff der römisch-katholischen Kirche zu
verlassen“. Auch wenn er sich dabei auf Papst Franziskus beruft,
der das aber scherzend sagte, um deutlich zu machen, dass es doch
unzweifelhaft sei, dass man gemeinsam katholisch bleiben wolle.
Wir haben als Kirche einen schwierigen,
geistlichen Weg vor uns. In direkter Konfrontation können wir diese
(geistliche) Auseinandersetzung nicht gewinnen.
„Nichts ist verloren durch den
Frieden, alles kann verloren werden durch den Krieg", so lautete
der eindringliche Appell des Papstes Pius XII. in einer
Rundfunkbotschaft am 24. August 1939. Dieses weise Wort gilt auch am
Vorabend der 2. Reformation, wo man schon die ersten Hammerschläge
Luthers an der Tür zu hören meint.
Viele der "heute gängigen
Forderungen", vor allem auf dem Gebiet der Sexualität und dem
Verhältnis der Geschlechter zueinander, würden das bisherige
Menschenbild, Glaubens- und Kirchenverständnis so verändern, "dass
uns letztlich eine neue Kirchenspaltung droht", warnte Bischof
Oster in der schon zitierten Predigt. Vor 500 Jahren hat die
katholische Kirche hier den Kairos verpasst und notwendige Reformen
erst später im Konzil von Trient, vielleicht sogar erst im 2.
Vatikanum angepackt. Hoffen wir, dass unsere Bischöfe mit den Rufen
nach Reformen heute verantwortlicher umgehen, als es den Bischöfen
und dem Papst damals gelang. Im Lutherjahr wurde ja hierzu vielfältig
geforscht und veröffentlicht. Vielleicht bleiben wir ja diesmal
davor verschont „zu spät zu kommen und vom Leben bestraft zu
werden.“
Ich denke, es ist nicht falsch zu
sagen, dass sowohl die katholische wie auch die evangelische Kirche
bis zum heutigen Tag unter den Folgen der Reformation leiden. Die
Kirchenspaltung hat beiden Seiten ein schweres Erbe auferlegt und es
wäre wirklich erstrebenswert, wenn wir mit großer Entschiedenheit
auf allen Seiten dem Gebet Jesu für seine Jünger folgen (Joh. 17):
Hier zitiere ich dies in ökumenischer
Verbundenheit aus der Luther-Übersetzung:
„Heilige sie in der Wahrheit; dein
Wort ist die Wahrheit. Wie du mich gesandt hast in die Welt, so habe
auch ich sie in die Welt gesandt. Ich heilige mich selbst für sie,
auf dass auch sie geheiligt seien in der Wahrheit. Ich bitte aber
nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an
mich glauben werden, dass sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir
bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, auf dass die
Welt glaube, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die
Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, auf dass sie eins
seien, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, auf dass sie
vollkommen eins seien und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast
und sie liebst, wie du mich liebst.