Pfortenhaus der Kartause Marienau bei Seibranz im Allgäu |
Von Düsseldorf aus erreicht mein Zug Köln, den Heimatort des Hl. Bruno, des
„Vaters der Kartäuser“. Der wurde im Jahre 1032 in der rheinischen Stadt
geboren und war schon damals ein echter Europäer, er studierte und lebte später
vor allem in Reims in Frankreich, lebte als Mönch in Molesme, im
Chartreuse-Massiv bei Grenoble und am Hof des Papstes in Rom. Gestorben ist er
1101 in Kalabrien. Als scharfer Kritiker kirchlicher Machtausübung zog er sich
mit sechs Gefährten in ein wildes, menschenleeres Gebirgstal zurück. Die kleine
Gemeinschaft verwirklichte hier ein geistliches Leben nach Brunos Ideen, ein
Leben als Einsiedler mit einer Prise Gemeinschaft. An die Gründung eines
eigenen Ordens hatte Bruno wohl noch nicht gedacht. Die Gemeinschaft folgte
schlicht den Idealen ihres Gründers. Zwischen 1084 und 1090 leben sie so. Doch
dann erscheinen Boten des neu erwählten Papstes Urban II. in der Einöde.
Dieser, ein ehemaliger Schüler Brunos, möchte seinen Lehrer als Berater in Rom
sehen. Bruno blieb keine Wahl. Kurze Zeit später folgen ihm seine Gefährten
nach Rom, doch schon bald schickte Bruno sie zurück in ihr schlichtes Kloster,
wo sie ihr ursprüngliches Leben wieder aufnehmen. Als der Papst sich endlich
bereit erklärt, Bruno von seinem Dienst im Vatikan zu befreien, begründet
dieser ein zweites Kloster in Kalabrien, wo er 1101 stirbt. Erst ca. 25 Jahre
später schreibt Brunos Nachfolger Guigo als 4. Oberer der Gemeinschaft eine Art
Ordensregel auf, die er bescheiden „Consuetudines“ nennt, die „Gebräuche der
Kartäuser“. Diese Regel hat sich im Verlauf der Jahrhunderte kaum verändert,
auch die Kartäuser der Marienau folgen ihr bis zum heutigen Tag. Von Köln aus
fährt mein Zug durch das Rheinal und durchquert Deutschland. Seine Blüte hatte
der Kartäuserorden vom 14. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. In Deutschland
bestanden in dieser Zeit bis zu 58 Kartausen. Doch mit der Reformation begann
der Niedergang, die Revolution in Frankreich und die Maßnahmen Napoleons und
Bismarcks gegen die Orden beendeten zeitweilig die Existenz des Kartäuserordens
in Deutschland. Nur eine Kartause wurde danach wieder besiedelt, das Haus Maria
Hain in Düsseldorf im Jahre 1890. Die vorerst letzte Station auf meiner Reise
ist in Memmingen, dort bestand im Dorf Buxheim die – auch künstlerisch höchst
bedeutende – Reichskartause mit den bis heute erhaltenen, von berühmten
süddeutschen Barockkünstlern prächtig ausgestatteten Klostergebäuden.
Kapelle der Brüder |
Doch all diese Pracht mag nicht so recht zu dem Orden
passen, der heute seine einzige Kartause in Deutschland ca. 30 km von Buxheim
entfernt in einem dichten Fichtenwald vor den Augen der Menschen verbirgt.
Kürzlich hat der Orden sogar eines seiner Klöster (Aula Dei) in Spanien
aufgegeben, weil viele Touristen die prachtvollen historischen Gebäude und
Gemälde von Goya besichtigen wollten und die Mönche daher die notwendige Stille
und Einsamkeit nicht mehr fanden.
Die Präsenz der Kartäuser im Allgäu könnte leicht übersehen
werden, Hinweisschilder sind selten und in der Regel mit dem Zusatz versehen,
dass eine Besichtigung des Klosters nicht möglich ist. Der deutlichste Hinweis
auf die Kartäuser findet sich an unerwarteter Stelle in der Tatsache, dass in
den Dörfern um Bad Wurzach selbst kleine „Tante-Emma-Läden“ im Spirituosenregal
den berühmten Kartäuserlikör führen. Normalerweise gibt es den in Deutschland
nur in Spezialgeschäften für exklusive Liköre. Im Supermarkt in Bad Wurzach
gibt es ihn günstiger, beinahe zum halben Preis.
Selbst unmittelbar vor der Kartause sieht man noch wenig davon... |
Vom Örtchen Seibranz aus schlängelt sich eine schmale,
asphaltierte Straße zu den „Einödhöfen“ im Talacker. Hier, nach vier Kilometern
(auf denen mir als Fußgänger kein einziges Auto begegnete) steht ein erster
Wegweiser: „Kartause Marienau“. Nun sind es noch gut 1 ½ km bis zur
Klosterpforte. Man muss schon genau hinsehen, um hinter den Bäumen am Rande der
Weiden überhaupt ein Kloster zu entdecken. Dabei umgibt die 2 ½ m hohe
Klausurmauer eine Fläche von ca. 10 Hektar.
Ich habe es bei meinem ersten
Besuch vorgezogen, quer durch den Wald von hinten an das Kloster
heranzuwandern. Auf dem ca. 6 km langen Wanderweg durch die tiefen Wälder sind
mir zwar etliche Wildschweine, aber wieder kein Mensch begegnet. Dass diese
wunderschöne, sanft geschwungene Landschaft mit Bächen und Teichen, Wäldern und
Hügeln so wenige Touristen anzieht, wundert mich. Plötzlich, im tiefen Wald
durchbricht der Klang einer Kirchenglocke die Stille und das Zwitschern der
Vögel. Der Jungfuchs, der gemächlich über den Waldweg zieht, lässt sich
hierdurch nicht stören. Er kennt das Geräusch offensichtlich, das hier sogar
nachts um halb eins ertönt, wenn die Mönche für ihre ersten Gebete, die Matutin
und Laudes ihren Schlaf unterbrechen und in der Kirche zusammenkommen. Jetzt
ist es 14.00 Uhr, das Geläut ist das Zeichen für eine weitere Gebetszeit, die
Non, die alle Kartäuser allein in ihren „Zellen“ beten. Es ist eine der neun
Gebetszeiten, die das Leben der Mönche prägen.
Auch sonst gibt es im Kartäuserorden einige Besonderheiten.
Die Mönche leben im Grunde vegetarisch, allerdings steht ab und an Fisch auf
den Speiseplan. Es gibt nur zwei Mahlzeiten am Tag, das Frühstück fällt aus.
Zusätzlich gibt es ausgedehnte Fastenzeiten. Die Nachtruhe ist geteilt. Mitten
in der Nacht erheben sie sich zu einem ca. zweistündigen Gebet. Die gesamten Gottesdienste
werden in lateinischer Sprache gefeiert. Der Orden hat eine eigene, von unserer
gewohnten Messfeier abweichende Liturgie. Der Kartäusermönch lebt allein in
einem eigenen kleinen Häuschen und pflegt einen eigenen Garten. Niemals
verlässt er seine Zelle einfach so. Nur selten spricht der Mönch mit seinen
Mitbrüdern, er wahrt das Schweigen. In der Woche gibt es zwei Gelegenheiten zum
Gespräch, bei der gemeinsamen Erholung am Sonntag oder beim wöchentlichen
Spaziergang. Die Tage sind ausgefüllt mit Gebetszeiten, Studium, Handarbeit und
Gartenarbeit. Jeder Mönch heizt seine eigene Zelle mit selbst gesägten Holz.
Das macht selbst Pater Werenfried Schrör, der Prior der Gemeinschaft.
Auf den ersten Blick scheint dieser Orden wie aus der Zeit
gefallen, ein Reservat vergangener Zeiten irgendwie... Die Kartäuser bleiben
hinter den Klostermauern und konzentrieren sich ganz auf Gott. Daher gibt es
auch fast keine Publikationen von Kartäusermönchen. Sie kommunizieren auch
nicht per Brief, Telefon oder e-mail. Für Außenkontakte werden einzelne
Konventsmitglieder beauftragt.
Als ich an der Pforte stehe, öffnet mir einer von ihnen, der
Pförtner Bruder Antonius. (Sein Name kommt vom frühchristlichen ägyptischen
„Wüstenvater“, den er sehr verehrt.) Wie es mit dem Nachwuchs aussieht, möchte
ich gern wissen. Man konnte kürzlich einmal lesen, dass von zehn ernsthaften
Interessenten nur einer tatsächlich im Kloster bleibt. „In letzter Zeit ist es
etwas besser mit dem Bleiben“, sagt der Pfortenbruder. Zur Zeit lebten 35
Mönche im Kloster, damit ist es beinahe voll. „Zehn von ihnen sind unter
vierzig Jahre alt“ und „wir kommen aus zehn Nationen“, berichtet Bruder
Antonius, der für einen schweigenden Mönch durchaus gerne Auskunft gibt. „Sie
werden nicht glauben, was wir im Pfortendienst hier alles erleben!“. Es kämen
immer mehr Leute, die sich einfach einmal aussprechen möchten, einen guten Rat
wünschen oder das Gebet der Mönche erbitten. Zwei Brüder teilen sich diesen
herausfordernden Dienst.
Das Gebet ist zu Ende. |
Vor einigen Tagen hatte ich den Bad Wurzacher Pfarrer Stefan
Maier gefragt, ob es pastorale Kontakte zu den Kartäusern gibt. „Nein!“, sagte
er, „sie leben ganz für sich, weil sie das so wollen und es zu ihrer
Spiritualität gehört.“ „Aber ich bin sehr dankbar, dass sie da sind und dafür,
dass sie für uns alle beten. Das gibt mir Kraft.“
Hier geht es zum zweiten Teil... www.kreuzzeichen.blogspot.de/2012/07/in-der-stille-des-allgaus-die-kartauser.html
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