Samstag, 22. März 2014

Die Kirche und der Sex

http://www.spiegel.de/spiegel/print/index-2014-5.html
In der Kirche steht zur Zeit ein Doppel-Thema (wieder) ganz oben auf der Tagesordnung: die Sexualmoral und die Unauflöslichkeit der Ehe. Die anstehende Bischofssynode über Ehe und Familie im Herbst im Vatikan sorgt dafür, dass vielfältige (teils irrationale) Hoffnungen und Befürchtungen mit Blick auf diese Thematik durch die aktuelle öffentliche Debatte “geistern”.
Es lohnt sich also, hierüber einmal ins Nachdenken zu kommen. Ich versuche das mit Gedanken zunächst zum Themenkreis “Kirche und Sex” und dann zur Frage der Wiederverheiratung.

Ein spontaner Blick auf “Gloria.tv” am Tag als ich diesen Text begonnen habe zeigt: Es gibt für die “Traditionalisten” nur noch ein Thema. Man berichtet von einem amerikanischen Priester, der konstatiert: “In der Ehe-Frage erschüttert Satan die Kirche derzeit bis in ihre Grundfesten.” ... Die Verwirrung sei heute noch massiver als während der Verhütungsdebatte in den 60er Jahren. Dann forderten deutsche Bischöfe angeblich “öffentlich die Auflösung des Ehebandes” und Regina Einig weiß in der Tagespost zu berichten, dass andere deutsche Bischöfe eine zweite “Königsteiner Erklärung” fürchten. Für seine Bemerkung “Wiederverheiratete seien keine “Christen 2ter Klasse”” bekommt der neue Vorsitzende der Bischofskonferenz im zugehörigen Forum den Spottnamen “Kardinal Murks” und andere Diskutanten sprechen “Wiederverheiraten” das Christ-Sein gleich vollständig ab. Es rumort also im “Bauch” der katholischen Kirche.

Man hat den Eindruck, an der Frage der Ehe sehen gewisse Kreise gleich ihr ganzes Kirchenbild in Gefahr. Mehr “Barmherzigkeit” hier ... sorge für das endgültige Zerbröseln der katholischen Lehre. Andere befürchten – und manche Umfrage gibt ihnen recht – ein weiteres Auseinanderfallen von kirchlicher Morallehre und dem “praktischen Leben der Menschen”. Hier der erratische Block der kirchlichen Lehrverkündigung, dort die Menschen, auch die Katholiken, die das kunstvolle Lehrgebilde kaum mehr zur Kenntnis nehmen und tun, was das Gewissen sagt.

Auch wenn die Sexualität im gesellschaftlichen Leben gerade in den vergangenen Jahrzehnten einen unglaublichen Bedeutungswandel erfahren hat, mit der menschlichen Urkraft “Sexualität” hat sich die Kirche seit Jahrhunderten schwer getan. Aber vermutlich ist das so falsch formuliert. Mit dieser Urkraft – und wie sie in “menschliche” Bahnen zu lenken ist – beschäftigt sich die Menschheit, ja jeder einzelne Mensch seit Jahrtausenden. Also, gemeinsam mit der gesamten Menschheit sucht die Kirche nach einem Weg, diese schwer zu bändigende Kraft in gute Bahnen zu leiten. Wohl keine andere Antriebskraft des Menschen ist so ambivalent, keine andere Kraft vermag den Menschen auch auf solche Irrwege und Perversionen zu führen.

Rund um die Sexualität gibt es zahlreiche “Verirrungen”, die auch in einer entchristlichten Gesellschaft in einem großen Konsens abgelehnt werden. Dennoch wächst die Toleranz für mancherlei Ausdrucksformen der Sexualität, die noch für unsere Eltern “tabu” waren. Die Frage bleibt also, wo liegen die Grenzen? Eine Grenze ist klar und eindeutig, manches, was sich mit Sexualität verbindet ist schlicht ein Verbrechen: Zwangsprostitution – wobei schon die aussichtslose wirtschaftliche Lage mancher Frauen das Kriterium “Zwang” erfüllen dürfte. Ich denke, dass die weitaus meisten Prostituierten nicht absolut freiwillig in diesem Beruf arbeiten. Gewalt und Vergewaltigung in der Partnerschaft, Mißbrauch von Kindern und Erwachsenen, Folter und Erniedrigung, Menschenhandel bis hin zu der grauenhaften Strategie von Vergewaltigungen als Mittel der Kriegsführung. Aber für einen humanen Umgang mit meinem “Sexualpartner”, mit meiner und ihrer Sexualität braucht jeder Mensch Kriterien, Regeln, Sensibilität, Verständnis. Nicht alles was möglich ist und Lust bereitet (oder den Trieben “abhilft”) kann auch ausgelebt werden.

Bei ihre Suche nach Richtlinien im Umgang mit der eigenen Sexualität ist die Kirche, sind ihre Theologen und ihre Kirchenväter auf die mit der Sexualität verbundene Fruchtbarkeit gestoßen. Ob sich daraus Kriterien entwickeln lassen...? Sicherlich! “Die Liebe zwischen Frau und Mann kreist nicht in sich selbst, sie überschreite und objektiviert sich in den aus ihrer Liebe hervorgehenden Kindern.” ... Das gilbt nicht nur für den Akt der Zeugung, sondern reicht darüber hinaus.” (Aus der Rede von Walter Kardinal Kasper vor dem Kardinalskollegium). Aber es bleibt eine Spannung; wenn die Sexualität des Menschen ausschließlich auf Fruchtbarkeit ausgerichtet ist ... warum “ergreift” sie den Menschen so stark (und oft) und warum spielt sie dann für die Liebesbeziehung zweier Menschen eine so große Rolle? Dann hätte der Schöpfer doch aus ihr doch eine Kraft formen können, die den Menschen weniger packt und die leichter zu steuern ist. Wo liegt der tiefere Sinn?

Bei fast allen anderen Lebewesen auf dieser Welt gehört die Sexualität in eine bestimmte, zeitlich eng umrissene “Brunftzeit”, dient in erster Linie der Fortpflanzung. Dass sie beim Menschen noch weitere Funktionen hat und nicht so an die fruchtbaren Zeiten der Frau gebunden ist, sollte uns nachdenklich machen. Ist es nicht eine Gabe des Schöpfers, dass die Sexualität des Menschen anders ist, dass sie auch dazu dient, Liebe, Zärtlichkeit, Gefühle auszutauschen und die Bindung zwischen zwei Menschen zu stärken und das Band der Liebe spürbar zu machen? Ich glaube, es fehlt in der Kirche die rechte Sprache und die rechte Freude an der Schönheit der Sexualität. Sehr eindrucksvoll zeigte sich das vor einigen Jahren an dem Hype um den Franziskanerpater Ksawery Knotz. Er schreibt Bücher mit dem Titel „Sex und Sakrament“ und „Sex ist göttlich – die Erotik eines Katholiken“. Der Priester sagt u.a.: “Der körperliche Akt ist (…) ein Gebet, das die Liebenden in diesem Moment vor Gott sprechen – ein wirkliches Gebet vor dem Akt kann auch tatsächlich dabei helfen, die Anwesenheit von Gott noch stärker zu spüren. Ein erfülltes Liebesleben ist ein Weg, sich Gott zu nähern.“ Mal ehrlich, ich glaube bis heute sind die Bücher nicht mal bei Weltbild auf deutsch verfügbar. Wir können sicher selbst im aufgeklärten katholischen Deutschland noch was lernen. Was in der säkularen Gesellschaft (und Öffentlichkeit) zuviel davon ist, das fehlt uns in der Kirche. Wie wäre es einmal von Ksawery Knotz zu lernen und die Sache Sex und Kirche viel viel positiver rüber zu bringen.

Zumal wir als Kirche vielleicht einer zwar übersexualisierten aber dennoch manchmal eigentümlich verklemmten "Welt" durchaus auch eine positive Botschaft zu vermitteln hätten. Jahrhundertelang waren wir nicht unbeteiligt daran, die Urkräfte der menschlichen Sexualität eher zu dämonisieren, denn ins rechte Licht zu setzen. Das führte auch zu einem völlig verzerrten Blick auf die Rolle der Frau, die zur "Verführerin" stilisiert wurde. Bis heute sind Reste einer solchen Sicht im Bewußtsein der Menschen übrig geblieben. Dabei hätte man wissen können, dass Kräfte, die dämonisiert und nicht "angeschaut" werden, erst recht ihre dämonische Macht entwickeln, wie die Mißbrauchsdebatte in Kirche und Gesellschaft wieder schmerzlich vor Augen führt.

Ohne einem Priester, Mönch oder Bischof zu nahe treten zu wollen. Kann auch in der zölibatären Lebensform ein Keim für einen etwas skeptischen Blick auf die menschliche Sexualität liegen? Oft herrscht in den kirchlichen Köpfen ein eigenartig theoretisches Verständnis, ein etwas verzerrter Blick auf die Urkraft der Sexualität. Kann es sein, dass ein Bischof (manchmal) diese menschliche Kraft vor allem in Zerrbildern erfährt, beim Nachdenken über Pornografie und Sexualität, in der Auseinandersetzung über Mißbrauchsfälle in der Kirche, in den eigenen – abzuwehrenden (gerne auch zu sublimierenden – sexuellen Regungen, im Nachdenken über die immer weiter gehende Sexualisierung in Medien, Netzwerken, Werbung und im menschlichen Zusammenleben? Es wäre daher jedem, der über die menschliche Sexualität nachdenkt, mehr als zu wünschen, dass er selbst einmal Erfahrungen gelingender, liebevoller Sexualität gemacht hat. Nach katholischen Vorstellungen ist das aber für einen zölibatären Priester nur in seltenen Ausnahmefällen möglich. Theoretisches Nachdenken über Sexualität bleibt immer in gewisser Weise “defizitär”. Daher gehört auch der “Sachverstand” von verheirateten Paaren in die Diskussion hinein, ja er sollte auch für die Theologie fruchtbar gemacht werden.

Auf der anderen Seite wird in der Diskussion (beispielsweise über den Zölibat) allzu oft so getan, als ob erfülltes Leben ohne gelebte Sexualität gar nicht denkbar wäre. Auch ist die gesamte Diskussion oft von der Vorstellung dauernder sexueller “Höchstleistungen” bestimmt, die mit dem “Liebesleben” der allermeisten Paare in der Wirklichkeit eher wenig zu tun hat. Hier könnte die Kirche auch jenseits lehramtlicher Positionen hilfreiche Wege aufzeigen. Wenn es uns gelingt, eine Theologie des Leibes, vielleicht sogar eine Theologie der Sexualität zu entwickeln, die es den Christen möglich macht, den Sexualtrieb zu “zivilisieren” oder besser sogar “zu heiligen”, dann wäre das doch ein wirkliches Geschenk für die Welt. Eine Theologie, die nicht von Verzicht und Askese ausgeht, sondern von dem Geschenk, das der Schöpfer uns in der Sexualität gemacht hat.

Wenn es uns gelingt aus der Rolle des Spaßverderbers und Schlafzimmerkontrolleurs herauszukommen; wenn wir durch eine Verkündigung, die das Thema Sex vom Kopf wieder auf die Füße stellt, wieder mit den Menschen ins Gespräch kommen, dann bin ich sicher, dass viele Fragen rund um Treue, voreheliche Sexualität, Empfängnisverhütung wieder richtig gestellt werden können. Ich bin sicher, dass wir damit unseren Zeitgenossen, zumal den Christen und Katholiken unter ihnen helfen, die richtigen Antworten selbst zu finden. Sie werden auf jeden Fall umso richtiger, je mehr wir wieder – auf Augenhöhe – mit ihnen ins Gespräch kommen und mit unserer frohen Botschaft wahrgenommen werden. Auch wenn wir dann damit leben müssen, dass viele zu Antworten kommen, die nicht immer zu 100 Prozent mit der kirchlichen Morallehre deckungsgleich sind. Aber ich bin überzeugt, dass sie dann immer noch näher an der frohen Botschaft Jesu sind als dies heute – weitgehend - der Fall ist.

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