Ich weiß nicht, was ich tun würde, wenn ich quasi im Vorübergehen einmal viel Geld verdienen könnte. Vermutlich würde ich diese Gelegenheit nutzen.
So kann man sicher auch Peter Seewald nicht böse sein, dass er - in Absprache mit Papst em. Benedikt XVI. - die Protokolle einiger "letzter" Gespräche nun als Buch herausgegeben hat. Ursprünglich sollten diese "letzten" Gespräche wohl nur der Vorbereitung einer Benedikt - Biografie dienen. (Mir ging durch den Kopf, dass ich Peter Seewald vermutlich unrecht tue, wenn ich ihm hiermit ausschließlich finanzielle Motive unterstelle. Das stimmt sicher nicht. Das Werk ist lesenswert und sicher ein guter Abschluss der Reihe der Gesprächsbände. Vermutlich hat der Autor auch gemeint, dass er diese Informationen der Öffentlichkeit nicht vorenthalten dürfe. Trotzdem hat diese Buch ein ganz anderes "Gewicht".)
Da das Buch inzwischen einige Aufregung ausgelöst hat, und vor allem, da ich die drei ersten Interviewbände mit hohem Interesse gelesen hatte, war ich froh, als mir das Buch auf den Schreibtisch flatterte.
Einige Eindrücke, die nach der Lektüre blieben, möchte ich hier notieren:
(Dies ist übrigens der 100. Beitrag in meinem Blog)
- Dreimal findet die Causa Williamson Erwähnung, ganz offensichtlich hat dieses Thema den Hl. Vater emotional sehr bewegt. Ihm ist wichtig, zu betonen, dass er über die Haltungen des unerlaubt geweihten Bischofs der Piusbruderschaft nicht informiert war.
- Viele Themen des Gesprächsbandes wurden schon in früheren Bänden angesprochen, Seewald stellt manche weiterführenden Fragen, um Details für seine, in Arbeit befindliche Biografie zu erkunden. Einigermaßen befremdlich ist, dass beinahe jeder Seufzer des 264. Nachfolgers des Hl. Petrus aufgeschrieben wurde. Nicht immer ist das zum Verständnis des Inhaltes wirklich notwendig.
- So bietet die Lektüre des Bandes wenig ganz "neue" Erkenntnisse. Wer sich an Wort und Tat seiner Amtszeit hielt und mit einigen Erläuterungen und Erklärungen aus seinem Umfeld beschäftigt hatte, der sieht sich hier in seiner Einschätzung bestätigt.
- So z.B. in der Frage der Bewertung der Einführung der Mundkommunion für die großen Papstmessen auf dem Petersplatz, wo er ein weiteres Mal betont, dass er darin kein Signal für eine "Reform der Liturgiereform" setzen wollte. Auch den Wechsel von Marini eins zu Marini zwei möchte er nicht in diesem Sinne interpretiert wissen. Leider wird auch diese Aussage nicht dazu führen in den allfälligen Diskussionen mit dem Argument behelligt zu werden, das Papst Benedikt dieses oder jenes gewollt habe.
- Natürlich antwortet Benedikt XVI. auch auf einige hartnäckige Fragen zu den Hintergründen seines Rücktritts - und natürlich gibt es keine neuen Antworten, allenfalls interessante Details. Spannend wäre es vielleicht gewesen, vom ersten emeritierten Papst der neueren Kirchengeschichte einige Sätze zu hören, ob er für den Fall eines weiteren Papstrücktritts bestimmte Ratschläge für denjenigen Papst geben würde, der ihm auf diesem neuen Weg einst folgen wird, z.B. in der Frage der Kleidung, der Präsenz außerhab des Ruhesitzes, der Wortmeldungen eines emeritierten Papstes oder dessen korrekte Anrede.
- Etwas unfair fand ich auf S. 52, dass Seewald versucht, Interna aus dem Konklave 2005 zu erfahren, das ja mit der Wahl Papst Benedikt XVI. endete. Hier fragt er zunächst nach einer damaligen evtl. Favoritenrolle Kardinal Bergoglios, worauf ihm der Papst eine Antwort verweigert. Auf einige weiterführende Fragen folgt dann die Bemerkung des Interviewers: "Obwohl es heißt, er sei, wie schon gesagt, beim vorhergehenden Konklave neben Ihnen einer der Favoriten gewesen." Daraufhin sagt der Hl. Vater: "Das ist richtig. Aber ich dachte, das ist vorbei. Man hörte nichts mehr von ihm."
- Es ist Papst Benedikt wichtig, keinen Schatten auf seine Beziehung zum amtierenden Papst Franziskus fallen zu lassen. Er betont, was auch schon früher u.a. von Erzbischof Gänswein gesagt wurde. Mit dem bisherigen Pontifikat seines Nachfolgers ist er zufrieden und drückt dies sehr überzeugend aus: "Ja. eine neue Frische in der Kirche, eine neue Fröhlichkeit, ein neues Charisma, das die Menschen anspricht. Das ist schon etwas Schönes."
- Für "Fans" interessant sind sicher die Berichte und Details aus Kindheit, Jugend und Werdegang des Pontifex. Gänzlich Neues darf man hier aber wohl nicht mehr erwarten. Manches ist nett, anderes eher skuril zu lesen. Viele Personen werden genannt, mit denen Joseph Ratzinger sich verbunden fühlt(e). Interessant auch die Darstellung eines Wandels in der Theologie, angeregt durch die Jugendbewegung und die liturgische Bewegung, die Überwindung der Neoscholastik in den Jahren zwischen Studium und späterer Lehrtätigkeit.
- Wesentlich Neues bringt auch die Behandlung des 2. Vaticanums nicht. Benedikt XVI. outet sich als "echter Fan" von Johannes XXIII., während des Konzils zählte er sich zu den Progressisten und man warf ihm vor an einem "typisch freimaurerischen Text" mitgearbeitet zu haben. Er betont, dass er sich auch theologisch immer treu geblieben sei und kann keinen Bruch zwischen einem Professor Ratzinger und dem Bischof und späteren Papst sehen.
- Lesenswert sind auch die Bemerkungen über Karl Rahner und Hans Küng, Henri Lubac und Hans Urs von Balthasar.
- Gefreut habe ich mich, dass er auf S. 205 noch einmal an die Trauerfeier für Johannes Paul II. erinnert: "Zugleich hatte ich das Bewußtsein, dass er (der verstorbene Papst) da ist. Dass er uns von seinem himmlischen Fenster aus segnet, wie ich das dann auch auf dem Petersplatz sagte. Das war keine Phrase. Das kam wirklich aus einem innersten Bewußtsein, dass er auch heute heruntersegnen wird, dass er da ist und dass die Freundschaft weiterbesteht auf eine andere Weise." Diese Sätze haben mich damals sehr bewegt und lange begleitet.
- Sonderbar berührt, dass Seewald den emeritierten Papst auf eine Bemerkung anspricht, die Kardinal Marx geäußert haben soll. Diesem sei aufgefallen, dass die "Hofhaltung" im Vatikan viel zu pompös sei. Diesen Aspekt hob interessanterweise auch Erzbischof Gänswein bei der Vorstellung des Seewald-Buches besonders hervor. 2013 soll dieses Wort gefallen sein. "Kardinal Marx solle vor seiner eigenen Tür kehren." soll der Erzbischof angedeutet haben (er hat das allerdings nicht wörtlich so gesagt) und ähnlich kommentierten auch viele Nicht-Freunde des Münchner Kardinals. Wer will ihnen da widersprechen? Leider konnte ich ein solches Wort von Kardinal Marx nirgends dokumentiert finden, allenfalls folgendes aus einem Interview des Deutschlandfunk: Auf die Frage: "Der Papst kam im schlichten weißen Gewand auf die Loggia des Petersdoms, fuhr im schlichten Fahrzeug zur Kirche Santa Maria Maggiore durch die Stadt am Donnerstagmorgen. Ist das Programm? Ist das ein Zeichen, dass die Kirche jetzt ärmer wird und er sich mehr um die Armen kümmert?" antwortet der Kardinal: "Ja, ich glaube, er will deutlich machen: Er liebt nicht diesen äußeren Prunk. Er wird sich in manchen Dingen auch anpassen müssen. Man muss sich bewegen können. Er wird auch mit dem Flugzeug fliegen müssen, wenn er nach Rio de Janeiro will zum Weltjugendtag. Das ist klar, aber er möchte deutlich machen: Das ist nicht eine Kirche des Prunks und der Hofhaltung oder so etwas. Da ist er, glaube ich, zurückhaltend, und das finde ich auch ganz gut." Es erscheint schwer vorstellbar, dass Kardinal Marx hier einen offenen Vorwurf äußern wollte, ich glaube überhaupt nicht, dass er hierbei die konkrete Amtsführung von Papst Benedikt kritisieren wollte, auf keinen Fall jedoch seine persönliche Lebensführung. Ich weiß von meinem Bischof, dass die persönliche Bescheidenheit Benedikt XVI. unter den deutschen Bischöfen völlig außer Frage stand. Die Empfindlichkeit Benedikts an dieser Stelle läßt aufmerken. Der Papst selbst sagt dazu: "Wir haben immer sehr einfach gelebt, schon von meiner Herkunft her. ... Was den Kardinal zu seiner Bemerkung veranlasste weiß ich nicht." Es wäre wünschenswert wenn dieser Punkt zwischen Kardinal und Papst em. noch zu einer Klärung kommt.
- Bemerkenswert ist das Engagement Benedikts in der Frage der Karfreitagsfürbitte in der a.o. Form des römischen Ritus und ihrer Neuformulierung. Auch hier hätte mich sehr interessiert, wie der Hl. Vater das Nebeneinander der ordentlichen und der außerordentlichen Form der Liturgie sieht und welche Entwicklungslinien er für sinnvoll hält. Natürlich ist ihm unbedingt zuzustimmen, wenn er sagt, dass es nicht richtig sein kann, eine Liturgie regelrecht zu verbieten, die über Jahrhunderte für die Menschen das Heiligste war. Aber das 2. Vaticanum hat ja auch deutlich gemacht, dass diese liturgische Form eine Reform nötig hat und Benedikt hat einen ersten zögerlichen Schritt ja auch mit der Neuformulierung der Karfreitagsfürbitte getan. Weitere Schritte waren ja schon bis 1962 erfolgt, aber welche wären jetzt noch dran, damit das Nebeneinander der ordentlichen und der außerordentlichen Form zu einem Miteinander wird, ganz im Sinne seines Begleitschreibens zu Summorum Pontificum: "Im übrigen können sich beide Formen des Usus des Ritus Romanus gegenseitig befruchten: Das alte Meßbuch kann und soll neue Heilige und einige der neuen Präfationen aufnehmen. ... In der Feier der Messe nach dem Missale Pauls VI. kann stärker, als bisher weithin der Fall ist, jene Sakralität erscheinen, die viele Menschen zum alten Usus hinzieht." Leider stellt der Interviewer, wie auch an manchen anderen Stellen, die notwendigen Fragen nicht. Ich bin sicher, dass Benedikt XVI. ihm das nicht übel genommen hätte, hier auch theologisch noch einmal herausgefordert zu sein.
- Überraschend ist die Entschiedenheit, mit der Papst Benedikt XVI. in Fragen der Liturgie ein päpstliches "Machtwort" ablehnt. Hier könne man nur anregen und nicht "kommandieren".
- Selbstredend interessiert mich besonders, was Benedikt XVI. über Deutschland schreibt. Das war ja auch zuvor schon hier und da recht genüßlich ausgebreitet worden. Der emeritierte Papst hält die Kirchensteuer zwar nicht für falsch, allerdings die automatische Exkommunikation für alle, die sie nicht zahlen möchten. Verständlich, wo doch die wenigsten Ortskirchen überhaupt Kirchensteuern kennen, allenfalls freiwillige Kirchenbeiträge. Niemand, der nicht spendet, ist deshalb aus der Kirche ausgeschlossen. Angriffe aus der deutschen Presse haben den deutschen Papst wenig beeindruckt. Und dann fällt das Wort vom "etablierten und hochbezahlten Katholizismus", das ich nach wie vor gern etwas erklärt hätte. Im Kontext der Freiburger Rede könnte man das in Richtung auf "Entweltlichung" deuten. Zumal er von den "angestellten Katholiken" spricht, die der Kirche in einer Gewerkschaftsmentalität entgegen träten. Ich vermute, das hinter diesen Formulierungen eine Mischung aus konkreten Erfahrungen und theoretischen Überlegungen steht und erinnere an den "bezahlten Knecht" aus dem Evangelium, den ich an anderer Stelle in diesem Kontext schon mal ins Gespräch gebracht habe. Die deutsche Kirche habe "zu viel bezahlte Mitarbeiter" und hierdurch einen "Überhang an ungeistlicher Bürokratie". Im Grunde wird jeder deutsche Pfarrer dieser Erfahrung zustimmen, angesichts zunehmender innerkirchlicher und außerkirchlicher Bürokratie. Aber wie dies auch angesichts der Einbindung der Kirche in gesellschaftliche Strukturen und Aufgaben und der Verantwortung für zahllose Arbeitskräfte verantwortlich zu verändern ist, daran werden sich wohl noch einige Generationen von Katholiken die Köpfe zerbrechen. Ähnliches kennt Benedikt nach eigenem Bekenntnis (einige Seiten später) ja selbst, wo er fragt, ob der Papst selbst nicht deutlichere Zeichen hätte setzen müssen, weil die Kirche sich von manchen Gütern zu trennen habe. "Vielleicht, aber es ist sehr schwer. Da muss man immer zuerst bei sich selbst anfangen. Hat der Vatikan zu viel? Ich weiß es nicht. Wir müssen sehr viel tun für die ärmeren Länder, de unsere Hilfe brauchen..." Dass die Richtung, die Benedikt mit seiner Freiburger Rede angedeutet hat und die er im Wirken von Papst Franziskus wieder entdeckt, richtig ist, das wird kaum jemand bestreiten. Aber auch hier hätte mich interessiert, wen Seewald, der das Stichwort "katholisches Establishment" in seiner Frage eingeführt hatte und wen Benedikt, der das mit "etablierten (und hochbezahlten) Katholizismus" aufgreift mit diesem Begriff überhaupt meint? Die Bischöfe? Die Pfarrer? Die Laien-Katechisten / Pastoralreferenten oder die höheren Verwaltungsposten in den Ordinariaten? Oder gar die Vertreter in Gremien und Verbänden, die diese Aufgaben auch hin und wieder in bezahlten Stellen ausüben. Und was möchte der Interviewer damit sagen, dass er unmittelbar nach Berlin die Reise nach Kuba anspricht und beispielsweise den "Heimatbesuch" in Bayern ganz ausspart?
- Aufmerken ließ mich die Formulierung: "Wie Europa sich entwickeln wird, wie weit es noch Europa sein wird, wenn andere Bevölkerungsschichten es neu strukturieren, wissen wir nicht. .... Das Wort des Evangeliums kann natürlich aus Kantinenten verschwinden. ... Aber nie kann es ungesagt bleiben und nie unwichtig werden." Auch hier hätte ich mir gezielte Nachfragen des Interviewers gewünscht. Das Thema war noch nicht zu Ende besprochen.
- Angenehm liest sich die Einordung der Malachias - Prophetien, mit denen zahlreiche Unheilspropheten rund um die Wahl des 266. Papstes nervten. Diese Prophezeiung sei im Umfeld des (Spaßvogels) Philipp Neri entstanden, der den Protestanten mit einer langen Liste von Päpsten hätte beweisen sollen, dass die Rede vom Ende des Papsttums Unfug sei.
- Wer die theologischen Texte Benedikt des XVI. schätzt, seine Fähigkeit, komplizierte Sachverhalte zu erschließen und auf neue Weise ins Wort zu bringen, der wird in diesem Buch bis zur Seite 268 warten müssen. Natürlich ist mancher schöne Satz dabei, mancher erhellende Kommentar und manch menschelnde Episode. Aber erst die Antwort auf die Frage: Weißt Du wo der Himmel ist? ist wirklich wieder so ein echtes Bonbon der Theologie Joseph Ratzingers. Allen, die wenig Zeit haben, rate ich, auf die Lektüre des restlichen Buches zu verzichten, aber sich die Seiten 268 - 270 kopieren zu lassen. Das ist mein persönlicher Höhepunkt in diesem Buch.
Das Interview von Kard. Marx: http://www.dw.com/de/kardinal-marx-ich-musste-mich-kneifen/a-16676123
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