Wenn mich in der Firmkatechese eine
Jugendliche gefragt hätte, ob das wirklich so ist, dass Gott selbst
sie in Versuchungen führe... ich hätte mich sicher sehr bemüht,
sie von diesem Gedanken ab zu bringen. Und auf das Argument hin, dass
doch im Vater unser gebetet würde: „und führe uns nicht in
Versuchung...“ hätte ich vermutlich gesagt, dass das wohl ein
Problem der guten Übersetzung wäre und es darauf ankäme, den
Inhalt richtig zu verstehen, dass es vielleicht auch bedeuten müsse:
„und führe uns in der Versuchung...“ im Sinne von „laß uns
auf dem rechten Weg bleiben“ oder „und lass uns nicht in
Versuchung geraten...“
Ich bin sicher, seelsorgliche
Unterhaltungen dieser Art, hat ein jeder Seelsorger schon einmal
geführt. Je nach Intensität und Tiefe des Gesprächs ist man sicher
auch schon mal an den Punkt gelangt, dass die Formulierung im Vater
unser zu Recht etwas sperrig ist, weil die Wege Gottes für uns
Menschen nicht immer nachzuvollziehen sind und dass man die Wege, die
Gott uns führt mit menschlichem Verstand nicht leicht verstehen
kann. Dass die Vater unser – Formulierung ist wie sie ist – hat
auch etwas Gutes, hält sie doch Geist und Spiritualität lebendig.
Nicht viel anders als viele Gläubige
und Seelsorger in einem Glaubensgespräch hat nun wohl auch Papst
Franziskus gesprochen. Nur nicht auf dem Sofa, sondern in einer
Gesprächsreihe des italienischen Senders TV2000. Das ist nicht
irgendein Fernsehsender wie RTL oder ZDF, sondern der eigene Sender
der italienischen Bischofskonferenz. Dort hat man ein Format
entwickelt, in dem der Hl. Vater in Interview-Form über das Vater
unser spricht. Soweit das von hier nachvollziehbar ist, wurde dies
gerade erst dort gesendet, auch das parallel angekündigte Buch soll
erst jetzt erscheinen. Im Rahmen der Werbung für dieses Projekt
wurden einige Details aus den Fernseh-Gesprächen bekannt. Auch Radio
Vatikan berichtete darüber und inzwischen wurde aus dem
Theologischen „Rauschen im Blätterwald“ ein Sturm, ja ein
eisiger Blizzard für den Hl. Vater.
Gipfel des Ganzen scheint mir die von
einem der Herausgeber der FAZ ebendort gewählte polemische
Formulierung: „Wer noch nicht abgefallen ist, der mag jetzt
versucht sein, es zu tun: nicht vom Glauben, aber von dem an die
Weisheit seines höchsten Repräsentanten.“ so formuliert es unter
der Überschrift „Heilige Einfalt“ der Journalist und Volkswirt
Jürgen Kaube (er studierte auch noch Philosophie, Germanistik und
Kunstgeschichte) und die österreichische Kronen-Zeitung sekundiert,
indem sie das „Vater unser“ wie eine Person anspricht: "Bist
du doch eines der wenigen Gebete, die hierzulande das Gros der
Gläubigen ohne zu stottern herunterzubeten imstande ist. Und da
nehme ich mich nicht aus." Eine ganze Reihe von Bischöfen weist
die „Initiative“ des Papstes entschieden und mit einer
überraschenden Verve im Auftritt zurück, sogar die EKD fühlt sich
bemüßigt, hierzu öffentlich Stellung zu nehmen und weist darauf
hin, dass es in der neuen Luther-Bibel 2017 heiße – „und dabei
bleiben wir auch“: „Und führe uns nicht in Versuchung“. Dazu
bemüht man dann noch den Kleinen Katechismus Martin Luthers: „Gott
versucht zwar niemand; aber wir bitten in diesem Gebet, dass uns Gott
behüte und erhalte, damit uns Teufel, die Welt und unser Fleisch
nicht betrüge und verführe in Missglauben, Verzweiflung und andere
große Schande und Laster; und wenn wir damit angefochten würden,
dass wir doch endlich gewinnen und den Sieg behalten.“ Abschließend
ermutigt die EKD in diesem etwas allzu dramatisch geratenen Text:
„Beten wir also weiter das Vaterunser!“ (Als sei das von
irgendwem angezweifelt worden...)
Leider ist der Text des Gesprächs mit
dem Hl. Vaters noch nicht allgemein im Netz verfügbar, aber ich
finde keinen Hinweis, dass der Papst mehr gesagt hat, als jeder
Seelsorger im Gespräch mit einem aufgeschlossenen Firmling von sich
geben würde. Und originellerweise scheint sich seine Aussage sogar
mit dem von der EKD zitierten Luther – Wort zu decken. Schauen wir
einmal auf die bisher bekannten Fakten und nehmen dazu eine anerkannt
sachliche, dem Vatikan nahe stehende Quelle. Radio Vatikan berichtet
nämlich folgendermaßen über die Äußerungen des Papstes:
„Die Vaterunser-Bitte „und führe
uns nicht in Versuchung“ ist in dieser Formulierung „keine gute
Übersetzung". Das hat Papst Franziskus beanstandet. Es sei
nicht Gott, der den Menschen in Versuchung stürze, um dann
zuzusehen, wie er falle, sagte der Papst. „Ein Vater tut so etwas
nicht: ein Vater hilft, sofort wieder aufzustehen. Wer dich in
Versuchung führt, ist Satan", so Franziskus. ...
Der Papst verwies auf einen Beschluss
der französischen Bischöfe, die offizielle Übersetzung des
Vaterunsers zu ändern. In katholischen Gottesdiensten in Frankreich
lautet die betreffende Bitte seit dem ersten Adventssonntag: „Lass
uns nicht in Versuchung geraten“. Der Papst äußerte sich in einer
Kurzserie zu den Vaterunser-Bitten.“
Aha, hier handelt es sich offenbar
weder um ein Hirtenwort noch um eine offiziöse „Kritik“ und
Stellungnahme des Hl. Vaters. Die Äußerungen sind Teil eines
Gesprächs über spezielle Aspekte des Vater unser. Soweit das
nachzuvollziehen ist, hat er auch keine Änderung des Gebetes
gefordert, sondern darauf hingewiesen, dass die entsprechende Bitte
nicht in dem Sinne zu verstehen ist, dass Gott (aktiv) in
Versuchungen führt, um den Glaubenden zu Fall zu bringen. An diesen
Gedanken hängen komplexe theologische und menschliche
Fragestellungen, das wird auch in der heftigen Diskussion dieser Tage
deutlich.
Jürgen Kaube hält in seinem Artikel
die biblische Erfahrung gegen das Wort des Papstes. Schließlich habe
Gott doch auch Jakob in Versuchung geführt, seinen Sohn Isaak zu
opfern. Und was sei der Baum der Erkenntnis im Paradies anderes als
eine große „Versuchungs-Falle“, die Gott dem Menschen
aufgestellt habe. Leider versäumt es der FAZ-Herausgeber in seiner
Wut-Rede und in dieser Aufzählung den biblischen Bericht der
Versuchung Jesu in der Wüste (durch den Teufel) zu erwähnen.
Bewusst oder unbewusst bedient er in seinem Artikel den auch von
anderen Seiten genüsslich ausgebreiteten Verdacht, dem Hl. Vater
fehle es an theologischer Substanz.
Mit Begeisterung verbreiteten selbst
katholische Blogs und Medien diese Attacken gegen den Papst, statt
ihn zu verteidigen oder manche Sachverhalte richtig zu stellen. Denn
dass der Papst das Vater unser in der deutschen Fassung „umdichten“
wolle, dafür gibt es im Grunde keinerlei Hinweis.
Es erstaunt den Beobachter schon, warum
dieses Thema in derartiger Weise hochgekocht wird. Zumal der Wortlaut
des Gesprächs offensichtlich nirgendwo Grundlage der kritischen
Artikel war und auch offenbar noch nicht verfügbar ist. So wird aus
Halbwissen die Behauptung konstruiert „Papst Franziskus möchte das
Vater unser „umtexten“ lassen“. Das scheint keineswegs der Fall
zu sein. Allenfalls hat er sich hinter die französischen Bischöfe
gestellt, die dies nun tun wollen und – vermutlich nicht
unberechtigt – allerlei Kritik ernten. Denn die Frage, die z.B.
Jürgen Kaube stellt ist ja sehr naheliegend: „Was wäre denn der
Unterschied zwischen „in Versuchung führen“ und „nicht in
Versuchung geraten lassen“?
Aber wenn das so ist – was soll dann
die Aufregung? Vielleicht sollte man mit Blick auf Frankreich
berücksichtigen, dass die Passage im französischen Text bisher
lautete: „Ne nous soumets pas a la tentation". Zu Deutsch
etwa: „Unterwerfe uns nicht der Versuchung". In der neuen
Fassung heißt es nun: "Et ne nous laisse pas entrer en
tentation". Zu Deutsch: "Und lass uns nicht in die
Versuchung geraten".
Hier ist sicher festzuhalten, dass die
bisherige, seit 1966 in Frankreich verwendete Version tatsächlich
noch eine Schüppe auf das deutsche „führe uns nicht in
Versuchung“ drauflegt. Und von daher durchaus korrekturbedürftig
war. Letztlich verweist der ganze Streit auf die Notwendigkeit, einen
griechischen (bzw. lateinischen) Text so zu übersetzen, dass er in
der jeweiligen Muttersprache, den gemeinten Inhalt möglichst sicher
und getreu wieder gibt. Und nirgendwo wird diese Problematik
sichtbarer und spürbarer als bei dem bedeutendsten Gebet der
Christenheit.
Umso mehr Sensibilität ist von denen
gefragt, die um die rechten Worte und deren Bedeutung ringen. Das
vermisse ich in diesen Tagen bei manchen Theologen, Bischöfen und
Journalisten. Man möchte Ihnen zurufen: „Kommt runter!“ und
„Keep calm and carry on“. Und sicher gilt das auch – bei allem
Respekt – für den Hl. Vater.
Es ist sicher sympathisch, dass er als
„Padre“ zu allen Katholiken sprechen möchte, vor allen zu den
einfachen und armen Menschen, dass er mit schlichten Worten und nah
an den Sorgen der Menschen argumentiert und eine bildhafte Sprache
verwendet. Das lässt ihm die Herzen zufliegen, aber es macht auch
angreifbar und allzu schnell wird eine Kampagne daraus, die nicht nur
den Hl. Vater selbst, sondern auch die Kirche (und nicht
auszuschließen, auch den Glauben des Einzelnen) beschädigt. Aber
die Schuld an solchen Phänomenen ist nicht allein dem Hl. Vater
zuzuschreiben, sondern auch allen, die die Gelegenheit nutzen, solche
Äußerungen „misszuverstehen“ und aus einigen pastoralen
Erklärungen sogleich abzuleiten, dass eine Revolution im Gebetsleben
der Gläubigen ins Haus stünde.
Diese Revolution hat es ja vor nunmehr
50 Jahren schon gegeben, als das „Pater noster“ nach tiefgehenden
Diskussionen, meist in ökumenischer Gemeinsamkeit in eine gemeinsame
deutsche, französische, englische (u.s.f.) „offizielle“ Version
übertragen wurde. In gewisser Weise ist der heutige „Sturm“ dann
doch nur ein „Sturm im Wasserglas“ und eine Folge der
liturgischen Reformen des 2. Vatikanums. (Wer das Buch von Annibale
Bugnini über die Liturgiereform liest, der ahnt, zu welchem
„Gemetzeln“ Katholiken in liturgischen Fragen in der Lage sind.)
So ist dem Regensburger Bischof Rudolf
Voderholzer unbedingt recht zu geben, wenn er (mit vielen anderen
Theologen) vor einer „Verfälschung der Worte Jesu“ warnt. Es
wird ja auch vom Papst nicht in Frage gestellt, dass die
Vaterunser-Bitte „führe uns nicht in Versuchung" in dieser
Formulierung bei den Evangelisten Matthäus und Lukas überliefert
ist. Er sagt aber auch deutlich, dass diese Bitte des Vater unser so
erklärt werden müsse, „dass das Gottesbild nicht verdunkelt
wird“. Und ich möchte ergänzen, auch so, „dass das Gottesbild
nicht weichgespült wird.“
Ich bin ziemlich sicher, dass es in
diesem Anliegen in der Tiefe keine unterschiedlichen Auffassungen
zwischen Papst, Kardinälen, Bischöfen, Theologen und Seelsorgern
gibt. Es käme darauf an, von diesem festen Grund aus die Diskussion
um die beste Übersetzung und Formulierung der Worte Jesu besonnen
und zurückhaltend zu führen. Und nicht das Thema zu mißbrauchen,
um kirchenpolitisch Kapital aufzuhäufeln. Oder Stimmungen gegen oder
für irgendjemanden in der Kirche zu schüren.
Besser wäre, dass wir gemeinsam beten:
Vater unser im Himmel, geheiligt werde
dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so
auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute, und vergib uns unsre
Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns
nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein
ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
und natürlich gemeinsam zu bekennen:
Der Mensch lebt nicht nur von Brot,
sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.
Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht
auf die Probe stellen.
Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du
dich niederwerfen und ihm allein dienen.
Amen!
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