Dienstag, 12. Dezember 2017

Was hat der Heilige Vater nur mit dem Vater unser?

Wenn mich in der Firmkatechese eine Jugendliche gefragt hätte, ob das wirklich so ist, dass Gott selbst sie in Versuchungen führe... ich hätte mich sicher sehr bemüht, sie von diesem Gedanken ab zu bringen. Und auf das Argument hin, dass doch im Vater unser gebetet würde: „und führe uns nicht in Versuchung...“ hätte ich vermutlich gesagt, dass das wohl ein Problem der guten Übersetzung wäre und es darauf ankäme, den Inhalt richtig zu verstehen, dass es vielleicht auch bedeuten müsse: „und führe uns in der Versuchung...“ im Sinne von „laß uns auf dem rechten Weg bleiben“ oder „und lass uns nicht in Versuchung geraten...“

Ich bin sicher, seelsorgliche Unterhaltungen dieser Art, hat ein jeder Seelsorger schon einmal geführt. Je nach Intensität und Tiefe des Gesprächs ist man sicher auch schon mal an den Punkt gelangt, dass die Formulierung im Vater unser zu Recht etwas sperrig ist, weil die Wege Gottes für uns Menschen nicht immer nachzuvollziehen sind und dass man die Wege, die Gott uns führt mit menschlichem Verstand nicht leicht verstehen kann. Dass die Vater unser – Formulierung ist wie sie ist – hat auch etwas Gutes, hält sie doch Geist und Spiritualität lebendig.

Nicht viel anders als viele Gläubige und Seelsorger in einem Glaubensgespräch hat nun wohl auch Papst Franziskus gesprochen. Nur nicht auf dem Sofa, sondern in einer Gesprächsreihe des italienischen Senders TV2000. Das ist nicht irgendein Fernsehsender wie RTL oder ZDF, sondern der eigene Sender der italienischen Bischofskonferenz. Dort hat man ein Format entwickelt, in dem der Hl. Vater in Interview-Form über das Vater unser spricht. Soweit das von hier nachvollziehbar ist, wurde dies gerade erst dort gesendet, auch das parallel angekündigte Buch soll erst jetzt erscheinen. Im Rahmen der Werbung für dieses Projekt wurden einige Details aus den Fernseh-Gesprächen bekannt. Auch Radio Vatikan berichtete darüber und inzwischen wurde aus dem Theologischen „Rauschen im Blätterwald“ ein Sturm, ja ein eisiger Blizzard für den Hl. Vater.

Gipfel des Ganzen scheint mir die von einem der Herausgeber der FAZ ebendort gewählte polemische Formulierung: „Wer noch nicht abgefallen ist, der mag jetzt versucht sein, es zu tun: nicht vom Glauben, aber von dem an die Weisheit seines höchsten Repräsentanten.“ so formuliert es unter der Überschrift „Heilige Einfalt“ der Journalist und Volkswirt Jürgen Kaube (er studierte auch noch Philosophie, Germanistik und Kunstgeschichte) und die österreichische Kronen-Zeitung sekundiert, indem sie das „Vater unser“ wie eine Person anspricht: "Bist du doch eines der wenigen Gebete, die hierzulande das Gros der Gläubigen ohne zu stottern herunterzubeten imstande ist. Und da nehme ich mich nicht aus." Eine ganze Reihe von Bischöfen weist die „Initiative“ des Papstes entschieden und mit einer überraschenden Verve im Auftritt zurück, sogar die EKD fühlt sich bemüßigt, hierzu öffentlich Stellung zu nehmen und weist darauf hin, dass es in der neuen Luther-Bibel 2017 heiße – „und dabei bleiben wir auch“: „Und führe uns nicht in Versuchung“. Dazu bemüht man dann noch den Kleinen Katechismus Martin Luthers: „Gott versucht zwar niemand; aber wir bitten in diesem Gebet, dass uns Gott behüte und erhalte, damit uns Teufel, die Welt und unser Fleisch nicht betrüge und verführe in Missglauben, Verzweiflung und andere große Schande und Laster; und wenn wir damit angefochten würden, dass wir doch endlich gewinnen und den Sieg behalten.“ Abschließend ermutigt die EKD in diesem etwas allzu dramatisch geratenen Text: „Beten wir also weiter das Vaterunser!“ (Als sei das von irgendwem angezweifelt worden...)

Leider ist der Text des Gesprächs mit dem Hl. Vaters noch nicht allgemein im Netz verfügbar, aber ich finde keinen Hinweis, dass der Papst mehr gesagt hat, als jeder Seelsorger im Gespräch mit einem aufgeschlossenen Firmling von sich geben würde. Und originellerweise scheint sich seine Aussage sogar mit dem von der EKD zitierten Luther – Wort zu decken. Schauen wir einmal auf die bisher bekannten Fakten und nehmen dazu eine anerkannt sachliche, dem Vatikan nahe stehende Quelle. Radio Vatikan berichtet nämlich folgendermaßen über die Äußerungen des Papstes:

„Die Vaterunser-Bitte „und führe uns nicht in Versuchung“ ist in dieser Formulierung „keine gute Übersetzung". Das hat Papst Franziskus beanstandet. Es sei nicht Gott, der den Menschen in Versuchung stürze, um dann zuzusehen, wie er falle, sagte der Papst. „Ein Vater tut so etwas nicht: ein Vater hilft, sofort wieder aufzustehen. Wer dich in Versuchung führt, ist Satan", so Franziskus. ...
Der Papst verwies auf einen Beschluss der französischen Bischöfe, die offizielle Übersetzung des Vaterunsers zu ändern. In katholischen Gottesdiensten in Frankreich lautet die betreffende Bitte seit dem ersten Adventssonntag: „Lass uns nicht in Versuchung geraten“. Der Papst äußerte sich in einer Kurzserie zu den Vaterunser-Bitten.“

Aha, hier handelt es sich offenbar weder um ein Hirtenwort noch um eine offiziöse „Kritik“ und Stellungnahme des Hl. Vaters. Die Äußerungen sind Teil eines Gesprächs über spezielle Aspekte des Vater unser. Soweit das nachzuvollziehen ist, hat er auch keine Änderung des Gebetes gefordert, sondern darauf hingewiesen, dass die entsprechende Bitte nicht in dem Sinne zu verstehen ist, dass Gott (aktiv) in Versuchungen führt, um den Glaubenden zu Fall zu bringen. An diesen Gedanken hängen komplexe theologische und menschliche Fragestellungen, das wird auch in der heftigen Diskussion dieser Tage deutlich.

Jürgen Kaube hält in seinem Artikel die biblische Erfahrung gegen das Wort des Papstes. Schließlich habe Gott doch auch Jakob in Versuchung geführt, seinen Sohn Isaak zu opfern. Und was sei der Baum der Erkenntnis im Paradies anderes als eine große „Versuchungs-Falle“, die Gott dem Menschen aufgestellt habe. Leider versäumt es der FAZ-Herausgeber in seiner Wut-Rede und in dieser Aufzählung den biblischen Bericht der Versuchung Jesu in der Wüste (durch den Teufel) zu erwähnen. Bewusst oder unbewusst bedient er in seinem Artikel den auch von anderen Seiten genüsslich ausgebreiteten Verdacht, dem Hl. Vater fehle es an theologischer Substanz.

Mit Begeisterung verbreiteten selbst katholische Blogs und Medien diese Attacken gegen den Papst, statt ihn zu verteidigen oder manche Sachverhalte richtig zu stellen. Denn dass der Papst das Vater unser in der deutschen Fassung „umdichten“ wolle, dafür gibt es im Grunde keinerlei Hinweis.

Es erstaunt den Beobachter schon, warum dieses Thema in derartiger Weise hochgekocht wird. Zumal der Wortlaut des Gesprächs offensichtlich nirgendwo Grundlage der kritischen Artikel war und auch offenbar noch nicht verfügbar ist. So wird aus Halbwissen die Behauptung konstruiert „Papst Franziskus möchte das Vater unser „umtexten“ lassen“. Das scheint keineswegs der Fall zu sein. Allenfalls hat er sich hinter die französischen Bischöfe gestellt, die dies nun tun wollen und – vermutlich nicht unberechtigt – allerlei Kritik ernten. Denn die Frage, die z.B. Jürgen Kaube stellt ist ja sehr naheliegend: „Was wäre denn der Unterschied zwischen „in Versuchung führen“ und „nicht in Versuchung geraten lassen“?

Aber wenn das so ist – was soll dann die Aufregung? Vielleicht sollte man mit Blick auf Frankreich berücksichtigen, dass die Passage im französischen Text bisher lautete: „Ne nous soumets pas a la tentation". Zu Deutsch etwa: „Unterwerfe uns nicht der Versuchung". In der neuen Fassung heißt es nun: "Et ne nous laisse pas entrer en tentation". Zu Deutsch: "Und lass uns nicht in die Versuchung geraten".

Hier ist sicher festzuhalten, dass die bisherige, seit 1966 in Frankreich verwendete Version tatsächlich noch eine Schüppe auf das deutsche „führe uns nicht in Versuchung“ drauflegt. Und von daher durchaus korrekturbedürftig war. Letztlich verweist der ganze Streit auf die Notwendigkeit, einen griechischen (bzw. lateinischen) Text so zu übersetzen, dass er in der jeweiligen Muttersprache, den gemeinten Inhalt möglichst sicher und getreu wieder gibt. Und nirgendwo wird diese Problematik sichtbarer und spürbarer als bei dem bedeutendsten Gebet der Christenheit.

Umso mehr Sensibilität ist von denen gefragt, die um die rechten Worte und deren Bedeutung ringen. Das vermisse ich in diesen Tagen bei manchen Theologen, Bischöfen und Journalisten. Man möchte Ihnen zurufen: „Kommt runter!“ und „Keep calm and carry on“. Und sicher gilt das auch – bei allem Respekt – für den Hl. Vater.

Es ist sicher sympathisch, dass er als „Padre“ zu allen Katholiken sprechen möchte, vor allen zu den einfachen und armen Menschen, dass er mit schlichten Worten und nah an den Sorgen der Menschen argumentiert und eine bildhafte Sprache verwendet. Das lässt ihm die Herzen zufliegen, aber es macht auch angreifbar und allzu schnell wird eine Kampagne daraus, die nicht nur den Hl. Vater selbst, sondern auch die Kirche (und nicht auszuschließen, auch den Glauben des Einzelnen) beschädigt. Aber die Schuld an solchen Phänomenen ist nicht allein dem Hl. Vater zuzuschreiben, sondern auch allen, die die Gelegenheit nutzen, solche Äußerungen „misszuverstehen“ und aus einigen pastoralen Erklärungen sogleich abzuleiten, dass eine Revolution im Gebetsleben der Gläubigen ins Haus stünde.

Diese Revolution hat es ja vor nunmehr 50 Jahren schon gegeben, als das „Pater noster“ nach tiefgehenden Diskussionen, meist in ökumenischer Gemeinsamkeit in eine gemeinsame deutsche, französische, englische (u.s.f.) „offizielle“ Version übertragen wurde. In gewisser Weise ist der heutige „Sturm“ dann doch nur ein „Sturm im Wasserglas“ und eine Folge der liturgischen Reformen des 2. Vatikanums. (Wer das Buch von Annibale Bugnini über die Liturgiereform liest, der ahnt, zu welchem „Gemetzeln“ Katholiken in liturgischen Fragen in der Lage sind.)

So ist dem Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer unbedingt recht zu geben, wenn er (mit vielen anderen Theologen) vor einer „Verfälschung der Worte Jesu“ warnt. Es wird ja auch vom Papst nicht in Frage gestellt, dass die Vaterunser-Bitte „führe uns nicht in Versuchung" in dieser Formulierung bei den Evangelisten Matthäus und Lukas überliefert ist. Er sagt aber auch deutlich, dass diese Bitte des Vater unser so erklärt werden müsse, „dass das Gottesbild nicht verdunkelt wird“. Und ich möchte ergänzen, auch so, „dass das Gottesbild nicht weichgespült wird.“

Ich bin ziemlich sicher, dass es in diesem Anliegen in der Tiefe keine unterschiedlichen Auffassungen zwischen Papst, Kardinälen, Bischöfen, Theologen und Seelsorgern gibt. Es käme darauf an, von diesem festen Grund aus die Diskussion um die beste Übersetzung und Formulierung der Worte Jesu besonnen und zurückhaltend zu führen. Und nicht das Thema zu mißbrauchen, um kirchenpolitisch Kapital aufzuhäufeln. Oder Stimmungen gegen oder für irgendjemanden in der Kirche zu schüren.

Besser wäre, dass wir gemeinsam beten:
Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute, und vergib uns unsre Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
und natürlich gemeinsam zu bekennen:
Der Mensch lebt nicht nur von Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.
Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen.
Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen.
Amen!

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