(c) Giordano-Bruno-Stiftung: Die säkulare Buskampagne 2019, Foto vom Bus (1). Foto: Evelin Frerk |
Mein Lieblingsatheist hat mal wieder einen rausgehauen: Im
STERN erschien dieser Tage ein langer Artikel, in dem Michael Schmidt – Salomon
den Lesern die humanistische Welt erklärt. Mein erster, kurzer Kommentar dazu
in einem Diskussionsforum mit Atheisten und Gläubigen: „Nachrichten aus dem Paralleluniversum der
Giordano-Bruno-Stiftung“. Eine Provokation, die einen der Gesprächspartner dort
so aufgebracht hat, dass er mir Sehnsucht nach einer Theokratie, einen Gottesstaat
vorwarf.
Nachdem wir uns im Gespräch nicht darauf einigen konnten,
dass Michael Schmidt-Salomon (MSS) unfair und populistisch argumentiert, will
ich meinen Eindruck an dieser Stelle einmal ausführlicher darlegen, zumal die
Giordano-Bruno-Stiftung (GBS) in diesen Tagen wieder ihre große
Anti-Kirchen-Kampagne starten will.
Dabei steht mir, ich muss es ehrlich gestehen, noch ein
wenig das sogenannte „Wort zum Karfreitag“ im Wege, bei dem MSS im Stile des „Wort
zum Sonntag“ eine süffisante Rede gegen die Ausgestaltung des
gesellschaftlichen Rahmens für diesen christlichen Feiertag und das damit
einhergehende Verbot lauter und fröhlicher Veranstaltungen forderte. Persönlich
habe ich gar nichts dagegen, dass niemand Rücksicht auf christliche,
muslimische oder staatliche Feste nehmen muss und finde, dass er seine private
Lebensgestaltung deshalb auch nicht einschränken muss. Aber, welchen Sinn
machen dann eigentlich noch staatliche Feiertage, die einen gewissen Inhalt
religiöser Natur oder historischen Gedenkens transportieren wollen? Ich denke,
da braucht es immer mal wieder die Diskussion und den gesellschaftlichen
Konsens, der dann aber auch für einige Zeit durchgetragen wird. Wie feiern wir
einen Festtag und warum tun wird das? In einem evangelischen Land macht daher
ja ein freier Fronleichnamstag auch wenig Sinn. Und wo Festinhalte von einer
Gesellschaft nicht mehr begangen oder gefeiert werden, brauch es auch keine
freien Tage mehr. Mal ganz zu Schweigen davon, dass gerade der Karfreitag doch
die humanistische Grundhaltung des Mitgefühls in außerordentlicher Weise in den
Mittelpunkt stellen könnte. Ob sich Mitleiden und Mitfühlen allerdings mit
Klamauk und lauten Tanzpartys so leicht verbinden lassen, das möge sich die GBS
selbst fragen. Aber ab und an ist es ja auch gut, sich einmal abzulenken, vom
ganzen Elend dieser Welt.
„Kirchenstaat? Nein
Danke", mit diesem plakativen Spruch ist der Bus der säkularen Buskampagne
beschriftet. Dazu kann ja auch jeder Christ (mit Ausnahme einiger kleiner
Splittergruppen nur aus ganzem Herzen Ja sagen). Ehrlich gesagt fällt mir auch
so recht kein Land ein, wo man noch von einem Kirchenstaat reden kann, naja,
vielleicht noch der Vatikan. Aber gegen den feudalistischen Kleinstaat des Papstes
scheint man ja nicht protestieren zu wollen. Sonst stände der Bus – italienisch
beschriftet – am Tiber und nicht in Deutschland. Weniger plakativ als der
Spruch lautet denn auch das hiermit verfolgte Ziel der GBS: „Die konsequente Trennung von
Staat und Kirche sowie die strikte Beachtung des Verfassungsgebotes der
weltanschaulichen Neutralität des Staates."
Da wird nun spannend, was damit gemeint ist. In dieser allgemeinen
Formulierung fände er auch unter Christen sicherlich eine satte Mehrheit an
Zustimmung. Aber, hören wir auf MSS:
„Unsere Kampagne
richtet sich ausdrücklich nicht gegen die Kirche. Wir werben für einen
weltanschaulich neutralen Staat. Dafür können auch gläubige Menschen eintreten.“
Na, da bekomme ich doch etwas das Gefühl, da will mir einer
Sand in die Augen streuen. Dieses Werben für einen „säkularen Staat“ begründet
der Philosoph so, dass der Staat ja in den letzten Jahren vielgestaltiger, pluraler,
säkularer geworden sei und mehr und mehr herausgefordert wäre, auf dem Spiel
feld der Religionen und Weltanschauungen zum „unparteiischen Schiedsrichter“ zu
werden. Dass dies aktuell noch nicht gelänge sähe man daran, dass man heute den
Christen Rechte gewähre, die den Muslimen z.B. nicht offen stünden. Was er konkret damit meint, erklärt er leider
nicht. Mir will auch im Grunde nichts einfallen, womit man diese Behauptung
illustrieren könnte. Mal abgesehen davon, dass sich die vielgestaltigen
Organisationsformen des Islam nicht so recht in den organisatorischen Rahmen
einer „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ einfügen lassen wollen.
Auf die kritische Frage des Interviewers, ob die GBS nun die
sozialen Einrichtungen wie Caritas und Diakonie in Frage stellen wolle,
antwortet dieser: „Wir sprechen uns
nicht prinzipiell gegen die Kooperation, wohl aber gegen die Kumpanei von Staat
und Kirche aus.“ Um dies zu erläutern bringt MSS das putzige Bild, dass erst
die Weimarer Republik vor 100 Jahren Staat und Kirche getrennt habe, aber die
Scheidungspapiere habe man bis heute nicht unterzeichnet. Daher gebe es eine
Kumpanei bzw. eine staatliche Bevorzugung von Caritas und Diakonie gegenüber
anderen Trägern.
„Es gibt in dem
Bereich keinen wirklichen Wettbewerb – und die Kirchen verdienen sehr gut
daran. Mit reiner Wohltätigkeit hat das wenig zu tun.“
Diese Behauptung wird immer wieder gerne aufgestellt und
kaum ein Stammtischabend und kaum ein Facebook-Forum, wo das nicht auf den
Tisch gebracht wird. Man wundert sich, dass ein Philosoph auf diesem Niveau
argumentiert. Natürlich ist da auch was dran. Caritas und Diakonie tummeln sich
hier im weiten Feld sozialen Engagements. Hier finden wir vom Krankenhaus, über
den Kindergarten bis hin zum Hospizdienst zahlreiche soziale Angebote
unterschiedlichster Träger. Ihnen allen gemeinsam ist, dass ihre Mitarbeiter
über schlechte Bezahlung und ihre Träger über eine kaum auskömmliche
Finanzierung jammern.
In den Jugendjahren der Bundesrepublik haben die Väter und
wenigen Mütter unseres Staates den Gedanken gehabt, die Gleichschaltung der
sozialen Dienste und Initiativen zu beenden. Nie wieder sollte die
Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (oder andere Organisationen) das Leben
der Menschen von der Wiege bis zur Bahre bestimmen. Daher gründete man große
Wohlfahrtsverbände mit gewerkschaftlichem, sozialistischen, christlichem,
jüdischen Hintergrund. Heute ist diese Landschaft noch viel bunter als damals,
weil sich auch noch viele kleinere, freie Träger gründe(te)n, die soziale
Aufgaben im Auftrag der Kommune, des Landes oder des Bundes erfüllen möchten. Meist
steht dahinter eine kreative Idee oder eine konkrete Notlage, auf die man
antworten möchte.
Es ist doch die große Angst aller Kämmerer, dass sich die
Kirchen aus diesem Bereich zunehmend zurückziehen, weil auch bei ihnen die
Mittel immer knapper werden. Dann fällt so manches wieder voll in die Haushalte
der Städte, Kreise und Länder zurück. Ich kenne kaum einen Pfarrer, der allein aufgrund
der Bilanzen seiner Kindergärten, Krankenhäuser und Pflegedienste einen ruhigen Schlaf pflegt. Dass der Betrieb
sozialer Einrichtungen kein besonders vergnügungssteuerpflichtiges Unterfangen
ist und auch nicht „sehr gut daran verdient“ wird, kann man ja auch schon daran
erkennen, dass die GBS jedenfalls ausweislich ihrer Homepage nicht als großer
Träger sozialer Dienste unter die Leute geht. Vielleicht klänge dann mancher
vollmundige Satz auch weniger knallig.
Natürlich liegt ein großer Teil der sozialen Dienste in den
Händen kirchlicher Träger und sicherlich ist dort auch – aus verschiedensten
Gründen – nicht alles Gold. Ich sehe aber keine Gewähr, dass irgendetwas besser
würde, wenn all diese Dienste wieder unter staatliche Obhut gerieten. Und viele
Dienste, die durch freie und kirchliche Träger angeboten werden, machen eine
wirklich gute Arbeit, die sie mit Stolz den Prüfungsbehörden und Geldgebern
gegenüber verantworten.
Der wesentliche Unterschied zu einem völlig freien Markt
hier ist, dass gerade die Absicht zur Gewinnerzielung ausgeschlossen wird. Dass
dies auch anders sein kann, sieht man aktuell ja in der Diskussion um
Altenpflegeeinrichtungen in privater Trägerschaft und deren von den Investoren
erwarteter Gewinnspannen. Wer zahlt denn hier die Zeche am Ende?
Im Interview wird auch darauf hingewiesen, dass es doch
inzwischen zahlreiche weitere freie Träger gibt, die sich in diesem „Markt“
tummeln. MSS bügelt das mit der Bemerkung ab, dass es ja noch Regionen gäbe, wo
80 % aller Kindertageseinrichtungen in kirchlicher Trägerschaft seien. Angeblich, obwohl sich die Menschen in der
Region etwas Anderes wünschen würden. Ich würde MSS wünschen, dass er
wahrnimmt, dass sich diese Situation in einem rasanten Wandel befindet. Auch
von Seiten der Kirche gibt es Interesse daran, Kindergärten für die Familien zu
betreiben, die sich für ihre Kinder kirchliche Kindertageseinrichtungen wünschen.
In meiner Heimat ist die Situation inzwischen so, dass wir nur gut ¼ der
Kindertageseinrichtungen betreiben, aber 1/3 der Familien möchte bei uns einen
Platz. Es ist bedauerlich, so vielen Menschen absagen zu müssen und zieht
manche persönliche Enttäuschung nach sich.
Nun kommt es im Interview zu den beliebten Themen
Kirchenaustritt und Arbeitsplatz in kirchlichen Einrichtungen. Da sieht MSS die
Religionsfreiheit in Gefahr. Anhänger der GBS finden bei der Caritas keinen
Arbeitsplatz, wenn sie nicht wenigstens Mitglied einer Kirche oder anderen
Glaubensgemeinschaft sind. Auch dieses Problem erkennen wir als Kirche und
fragen uns zunehmend, wie man mit Leuten, die selbst nicht mehr kirchlich
glauben und praktizieren das katholische Profil einer Kita, eines Krankenhauses,
einer Schule oder einer Beratungsstelle bewahren kann. Ich denke, man würde
sich – wenn auch aus unterschiedlicher Sicht – in dieser Diskussion auf
Kompromisse einigen können. Wohl aber am Ende zum Leidwesen der weltanschaulich
neutralen Strukturen des Staates, der zusätzliche Aufgaben zu schultern hätte,
ginge es nach der GBS. Denn, dass ein humanistischer Träger wie ein
Giordano-Bruno-Wohlfahrtsverband derartige Dienste übernähme würde sich ja auch
mit der gewünschten Neutralität nicht besser vertragen als die Trägerschaft der
AWO oder der jüdischen Zentralwohlfahrtsstelle.
Gestreift wird übrigens noch die „Kumpanei des Staates“ mit
den Kirchen z.B. in der Frage der Misshandlungen in der Heimerziehung, die in
Heimen staatlicher wie kirchlicher Trägerschaft bedauerlicherweise
gleichermaßen vorkam und analog im Umgang des Staates mit den Täterorganisationen
kath. und ev. Kirche mit Blick auf die in deren Einrichtungen vorgekommenen
Fälle sexueller Gewalt gegen Kinder und Schutzbefohlene. Zu diesem traurigen
Thema kann ich nur schwer etwas beitragen. Im Evangelium heißt es klar: „Bei
euch aber soll es nicht so sein…“ Für praktizierende Christen ist es schwer zu
ertragen, dass „unsere Leute“ auch nicht besser handelten als jene, denen Jesu
Wort: „Wer einen von diesen Kleinen etwas antut, für den wäre es besser…“ nicht
in den Ohren klingt.
Auch die Staatsdotationen werden noch schnell hingeworfen. Damals
wären es ja selbst Kirchenfunktionäre gewesen, die diese Regelungen
unterzeichnet hätten. Soweit ich mich aus dem Geschichtsunterricht erinnere gab
es damals alles Andere als „Kumpanei“ zwischen Staat und Kirche. Im Gegenteil,
man nannte das damals „Kirchenkampf“ und der wurde von der Kirche wirklich als
Unterdrückung und Krieg erlebt. Allerdings konnte sich damals noch niemand
vorstellen, dass Gesellschaft ohne Glauben und entsprechend ohne Kirche
funktionieren könnte. Man stand daher vor der Aufgabe, den Kirchenbesitz zu
enteignen und dennoch eine Finanzierung der Kirche sicher zu stellen, die deren
Funktion weiter gewährleistete. Hier führte man dann unter Protest der Kirchen
die direkte Finanzierung bestimmter kirchlicher Dienste (die berühmten Gehälter
der höheren Geistlichen und den Unterhalt gewisser kirchlicher Einrichtungen) durch
den Staat und die Kirchensteuer als Eigenanteil der Gläubigen zur
Kirchenfinanzierung ein. Aus heutiger Sicht war das ein doppelter Segen für die
Kirche. Sie entkam der Situation, dass Bischöfe auch Landesfürsten waren und
Klöster Grundherren, die von ihren Untertanen Abgaben forderten. Und sie kam zu
einer langfristig auskömmlichen, gerechteren Finanzierungsbasis. Sicherlich ist
das alles weit von einem Ideal entfernt, aber so billig wie es gern und auch
hier diskutiert wird, ist es nicht. Ich fürchte einfach, dass der
Geschichtsunterricht zwischen den Siegen und Niederlagen des Kaisers Napoleon
und der Wirtschaftskrise der 1930er Jahre einige Kapitelchen überschlagen hat.
In dem Interview darf natürlich auch die
Abtreibungsgesetzgebung nicht fehlen. Hier wird ebenfalls ein interessantes
Geschichtchen präsentiert. Grob zusammengefasst habe der gute Kanzler Schmidt
die Fristenlösung eingeführt. Diese sei aber von katholischen Funktionären
unter den Bundesrichtern wieder gekippt worden. Schwangerschaftsabbrüche und
die Information darüber durch Ärzte sei daher bis heute gesetzeswidrig. Und das sei
nur eine Folge staatlich-kirchlicher Kumpanei.
Damit diskriminiere man nicht nur Millionen
konfessionsfreier Menschen, sondern auch Jüdinnen und Musliminnen. Hm, soweit
ich mich erinnere ist Abtreibung auch für gläubige Juden und Muslime keineswegs
erlaubt! Und ich halte es durchaus für eine bedrängende humanistische Frage,
inwieweit ein Kind im Leib der Mutter Anspruch auf Schutz hat. Ich kann mir
ehrlich nicht vorstellen, dass ein Humanist sich die Haltung „Mein Bauch gehört
mir!“ einfach so zu Eigen macht, sondern dass er durchaus das Recht der Mutter
und das Lebensrecht des Ungeborenen in Beziehung setzt und hier abwägt.
Jedenfalls kenne ich einige Philosophen, die hier sehr differenzierte und
abwägende Meinungen vertreten. Da muss man natürlich nicht die kirchliche
Haltung des Schutzes ungeborenen Lebens vom Moment der Zeugung an vertreten.
Und ich sehe in der Kirche auch niemanden, der mit der aktuellen Gesetzeslösung
in Deutschland vollständig einverstanden wäre. Ja, es gibt unglaubliche
Verhärtungen in der Diskussion über die Frage des Schutzes der ungeborenen
Kinder, wie uns die maßlosen Reaktionen auf entsprechende Protestaktionen von
Abtreibungsgegnern in ganz Deutschland immer wieder lautstark vor Augen führen.
„Hätt‘ Deine Mutter abgetrieben, wärt ihr uns erspart geblieben…“ Ich hoffe
noch immer, dass Christen und Humanisten in vielen Punkten keine Gegner sondern
eigentlich natürliche Verbündete sind.
Ähnlich wird auch die Frage der „Freitodbegleitung“ in das
Interview eingebracht. Auch hier ist die Kirche der Bremser an der
humanistischen Lokomotive.
„Unsere Gesetze sind quasi von der Wiege bis
zur Bahre religiös bestimmt.“ Der Zynismus dieses Satzes geht einem erst
auf, wenn man eine Weile über die Konsequenz des Gesagten in Sachen ärtzliche Freitodbegleitung
und Abtreibung nachdenkt.
„Das Beste kommt zum
Schluss!“
Auf den Einwand des Fragestellers, dass die Kirchen doch nicht
„nur rückwärtsgewandte Organisationen“
seien, die „sich in alle Belange des
Lebens einmischen“: „Sie geben immer noch vielen Menschen Halt und
Orientierung, sie stehen für Werte ein.“ Kommt dann MSS Unterscheidung
humanistischer und christlicher Werte. Der Aspekt, der mich besonders aufregt:
„Ich glaube, viele Menschen verwechseln die humanistischen
Werte mit den christlichen Werten. Christliche Werte waren zum Beispiel die
körperliche Züchtigung von Kindern oder der Kuppelparagraph. Die
Gleichberechtigung von Mann und Frau, Meinungsfreiheit, Selbstbestimmung – all
das, was bei uns im Grundgesetz steht, sind humanistische Werte.“
Das ist eine perfide Aschenputtel-Taktik. Die guten ins
humanistische Töpfchen, die Schlechten ins gierige Kröpfchen der Kirche.
Selbstverständlich wird MSS genügend Beispiele finden, um die Sünden der Kirche
und die Sünden von Kirchenmännern in diesem Kontext zu präsentieren. Es gab das
sicherlich auch genug. Aber wenn man sowas diskutiert, muss man entschieden an
die Wurzeln zurück gehen. Und das wären bei christlichen Werten die Werte Jesu,
die Werte des Evangeliums. Oft genug wurden diese in der Kirchengeschichte
verdunkelt, das ist keine Frage. Erst recht da, wo sich die Kirche mit der Macht
verbündet hatte oder sich Machtstrategien nur das christliche Mäntelchen
umhingen. Ähnliche ließe sich auch mit dem Deckmantel des Humanismus trefflich
betreiben. Christliche Werte, das sind Nächstenliebe, das ist auch
Feindesliebe, das ist auch Unterstützung und Hilfe für jene, die meine Hilfe
gerade nötig haben, das ist Rücksichtnahme auf Kinder, das ist Sorge für Arme,
Alte und Kranke, das ist Achtung vor den Eltern und vor alten Menschen, das ist
Achtung vor dem Eigentum der Anderen, das ist, sich nicht selbst zum Herrscher
und Unfehlbaren zu erheben, sondern über sich einen Gott zu sehen, dem man für
sein humanes Handeln verantwortlich ist. Das ist Ehrlichkeit, Gradlinigkeit…
und manches mehr.
Ich sehe nirgends die Perikope des Evangeliums, wo Jesus
Kuppelei verdammte oder zur Züchtigung von Kindern aufrief. Nein, das was nach
MSS christliche Werte „waren“, das waren und sind schon immer Handlungen
gewesen, die Gott missfallen (auch wenn Menschen das sicher über Jahrhunderte auch
schon mal anders sahen.) Ich halte auch nichts davon die ganze Sache umzudrehen
und für alle Gute „Christlichkeit“ zu beanspruchen. Dem hohen Anspruch des
Evangeliums sind Christen manches Mal nicht gerecht geworden. Oder sie haben
das Wort Jesu verdreht und verbogen.
Sowenig das Wort „christlich“ jeder Handlung heiligt, die
damit gestempelt wird, so wenig wird das Wort „humanistisch“ Menschen an
ethisch schlechten Handlungen hindern.
Die Geschichte ist voller Beispiele, wo Christen sich für
Arme, Alte, Kranke aufgeopfert haben. Ja, es gibt die Idee der „Hexenverfolgungen“,
die aus einer unseligen Mischung von Aberglauben und Christentum entstanden
ist. Aber es gab auch auf allen Ebenen der Kirche immer Widerstand dagegen, ich
erinnere hier nur an Friedrich Spee oder an die päpstlichen Verdammungen des
Hexenglaubens. Übrigens bis in die heutige Zeit, wo dieser in manchen Regionen
Afrikas weiterhin lebendig ist.
Ich erinnere an die Wurzeln der heutigen medizinischen
Versorgung und des Krankenhauswesens, die allesamt im Christentum und in den
Hospitälern liegen, die von frommen Bruderschaften erfunden und später von
Krankenpflegeorden fortgeführt wurden. In jüngster Zeit: Was wäre die
Hospizbewegung ohne engagierte evangelische und katholische Christen? Die
Begleitung von Menschen in der letzten Phase ihres Lebens erschöpft sich eben
nicht nur im ärztlich begleiteten Freitod.
Ja, ich höre schon die Einwände, lieber MSS; was ist mit
liberaler Demokratie, was ist mit Sklaverei, was ist mit Religionsfreiheit, was
ist mit Gleichberechtigung der Geschlechter und und und… Ja, es stimmt! Die Kirche, insbesondere deren
Kirchenleitung braucht nicht selten quälend lang für eine gute Einsicht. Aber
das beklagen vor allem engagierte und im Kopf bewegliche Christen in aller Welt
und sorgen dafür, dass die Dinge in Bewegung kommen. Das geschieht, ich gestehe
es ehrlich ein, oft weitaus langsamer als es vermutlich in Vorstand und
Kuratorium der GBS möglich ist. Leider kommt die Kirche mit einer so schlanken
Struktur nicht aus und beteiligt ihre Mitglieder auf vielen Ebenen und ist vor
allem weltweit eng vernetzt. Trotzdem, bei aller gebotenen Gründlichkeit und
Multikulturalität würde ich mir auch manchmal schnellere Verbesserungen
wünschen.
Ich erinnere an den Widerstand zahlreicher Christen gegen
faschistische und kommunistische Systeme, die Würde des Einzelnen und seiner
Haltungen und Überzeugungen für wertlos hielten und diese der Volksgemeinschaft
oder dem Wohl des sozialistischen Staates unterordneten. Beispiele hierfür
finden sich von der Kreuzigung Jesu an bis in die jüngste Zeit, wo christliche
Geistliche nach wie vor in den Konzentrations- und Umerziehungslagern Chinas
und Nordkoreas verschwinden.
MSS diagnostiziert eine unselige Verbindung zwischen
Chauvinismus und Religion z.B. in Polen, Ungarn und in der Türkei. Da ist ihm
sicher zuzustimmen. Es gibt offenbar immer die Versuchung, religiöse
Überzeugungen mit der Macht der Mächtigen durchzusetzen und einige Christen,
die dieser Versuchung erliegen. Das wird von der Mehrheit der engagierten
Christen im Übrigen auch öffentlich sehr beklagt.
Diese Situation kann man aber nicht bekämpfen durch eine
weitere Schwächung der Kirchen und der Christen, sondern mit dem Gegenteil. Die
Mehrheit aller gläubigen Christen weiß, dass mit autoritären Systemen kein
Staat zu machen ist und dass die Religion in solchen Systemen immer verliert.
Sie erinnern sich noch gut an die Diktatur des Nationalsozialismus und sie
wissen, dass gelebtes Christentum nur dann einen Wert hat, wenn es in Freiheit
gelebt wird. Christen denken und Handeln anders, weil sie sich an den Werten
und am Weg Jesu Christi orientieren. Dieser Lebensweg lebt und strahlt aus –
nicht unter Zwang sondern wenn, dann allein aus Einsicht und Entscheidung.
Sicherlich haben die Kirchen da auch weiterhin noch einen Pilgerweg
zu gehen. Anders als MSS glaubt, scheinen
sie mir allerdings durchaus mit der modernen Welt Schritt zu halten. Jedenfalls
liegen sie nicht immer ganz weit zurück – und manchmal ist es ja auch gut, die „Avantgarde“
im Auge zu halten, aber doch bei denen zu bleiben, die sonst abgehängt würden.
„Das kann nur
gelingen, wenn wir den einzelnen Menschen stärken…“ Genau, das sehen wir als
Kirchen gar nicht anders als MSS und so handeln wir sicherlich in weitgehend
allen Bezügen kirchlichen Handelns, was nicht ausschließt, dass es hier und da
nach wie vor Widersprüche gibt, auf die hinzuweisen ist.
Auch dass wir Gemeinschaft brauchen „Wir sind alle eine
Familie“ mit gemeinsamen Werten und gemeinsamem Erbe, mit dieser Erkenntnis
laufen Sie bei uns offene Türen ein. Wir glauben allerdings nicht, dass die
Individualität des Menschen durch eine fiktive „Menschheitsfamilie“ absorbiert
wird. In der Menschheitsfamilie gibt es auch jeweils kleinere Gruppen, die
durch ein gemeinsames (hier christliches) Erbe verbunden sind. Natürlich ist
unser Erbe im Guten wie im Schlechten durch rund 1.800 Jahre Christentum in Deutschland
geprägt und beeinflusst. Aus dieser Erfolgs- und Leidensgeschichte können wir
viel lernen für die Zukunft. Allerdings nicht, indem wir uns von diesem Erbe
trennen und einen neuen Humanismus konstruieren, als wäre dies als theoretische
Konstrukt gemeinsamer Werte ohne Wurzeln in der Geschichte möglich.
Das Beste kommt zum Schluß, dass gilt für dieses Interview von MSS
gleich doppelt:
Auf die Frage
nach einem Land, in dem die Trennung von
Staat und Kirche seiner Meinung nach gut läuft? Überlegt er erst und sagt dann:
„Tatsächlich sind wir in Deutschland schon relativ weit. ...
Frankreich und die USA, die oft als Musterbeispiel für Laizismus gelten, sind
keine leuchtenden Vorbilder. Dort wird die Religion aus der öffentlichen
Debatte herausgenommen, aber wir müssen über Religion diskutieren – und mit
ihr.“
Da sind wir
uns dann am Ende wenigstens einigermaßen einig geworden. Anders als in der „Dialoggruppe“
bei fb.
Man fragt sich, welches Zerr- und Feindbild von Kirche und Christentum dem Denken mancher Aktivisten zu Grunde liegt. Nirgendwo wird das schöner auf den Punkt gebracht als im Kampf gegen einen gefühlten Kirchenstaat Deutschland. Dabei gibt es sicher bedenkenswerte Punkte und vieles wird auch zu Recht kritisiert. Nur ist dieses Interview alles Andere als auf der Höhe der Zeit. Nein, es ist nicht auf philosophischem, sondern auf recht schlichtem Stammtischniveau, wenig differenzierend und ziemlich populistisch. Als Einladung zum Dialog "mit der Religion" empfinde ich das ebenso wenig wie die konkreten Gesprächserfahrungen mit den Anhängern der GBS. Aber wer weiß, vielleicht kommt das ja noch, wenn man mal Regeln humanistischer Gesprächskultur entwickelt.
Hier das Interview mit MSS im STERN:
Schon im Vorfeld der Aktion wurde ich um einen Gastbeitrag zur Kampagne der gbs (nach einer Wortmeldung bei fb) gebeten: https://www.kath.net/news/67630
Es gibt schon ein paar Dinge, die ich mir in Bezug auf eine klarere Trennung von Kirche und Staat wünschen würde: Mir gefällt die aktuelle Regelung des Religionsunterrichtes nicht. Ich möchte weder evangelischen, noch islamischen noch katholischen Religionsunterricht an unseren Schulen. Ich wünsche mir einen religionsübergreifenden, vergleichenden Religionsunterricht, der von vorneherein deutlich macht, dass es keinen "einzig wahren" Glauben geben kann. Ich fände es auch besser, wenn niemand (auch nicht bei der Einschulung seiner Kinder oder am Arbeitsplatz) Angaben zu seiner Glaubenszugehörigkeit machen müsste. Glauben ist etwas Privates und sollte vom Datenschutz abgedeckt sein.
AntwortenLöschenAuf der anderen Seite möchte ich auch eine Lanze für die Kirchen brechen. So habe ich in ökumenischen Projektchören mitgesungen, und Dinge besungen, an die ich persönlich nicht glauben kann. Aber die kirchliche Musik und das damit verbundene Gemeinschaftserlebnis wäre ohne das Engagement der Kirchen kaum möglich.
Ansonsten ist es unerheblich, aus welchen Motiven jemand versucht, ein einigermaßen "gutes" Leben zu führen.