Dienstag, 21. August 2012

Dann mach ich was ein Baum tun würde, wenn ein .... sich an ihm kratzt...

Игорь Мухин at ru.wikipedia [GFDL
(http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) oder CC-BY-SA-3.0
(http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons
Geht es Ihnen auch so? Seit Wochen zeigt das Fernsehen Bilder dreier inhaftierter junger Frauen aus Russland: Nadeschda, Marija und Jekaterina sitzen in einem Käfig auf der Anklagebank. Ich kann mich einer gewissen Sympathie und Besorgnis nicht erwehren. 

Ein sonderbarer Kontrast – drei hübsche Frauen, durchaus sympathisch, angebliche Mitglieder einer Punk-Band (wo ist da eigentlich „Punk“) auf der einen Seite – die geballte Staatsmacht und Handschellen, Einzelzellen, Hochsicherheitsverwahrung auf der anderen Seite. Man behandelt sie wie Schwerverbrecher. Viele fragen sich, was für eine Gefahr von diesen Frauen eigentlich ausgehen mag, dass ein so mächtiger Staat wie Rußland sie für derart gefährlich hält und zu zwei Jahren Strafarbeitslager verurteilt. 

Ihr Vergehen war ein provozierender „Auftritt“ in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale (in unmittelbarer Nähe zum Kreml). Für den Protest gegen Präsident Putin war der Ort nicht schlecht gewählt. Wohl bei kaum einer anderen Kirche der russischen Orthodoxie mischen sich politische Aspekte so sehr in die Religion. Die Kirche war 1931 unter Stalin zerstört worden und erst 2000 mit massiver Unterstützung des russischen Staates neu errichtet worden. Sie gilt als der zentrale Kirchenbau der russischen Kirche und ist Schauplatz kirchlicher Großereignisse, an denen auch bedeutende russische Politiker beteiligt wurden. Zahlreiche russisch-orthodoxe Gläubige betrachteten den Auftritt als Schändung des Gotteshauses und Basphemie. Nur wenige russische Bürger heißen das Verhalten der Frauen gut. Nach meinem Eindruck überwiegt bei den jungen Frauen allerdings der politische Aspekt. Ihr Protest galt aber auch der (zu) engen Verbindung zwischen russischer Orthodoxie und der amtierenden russischen Regierung. 
Diese komplizierte Ausgangslage löste vielfältige Diskussionen aus und ist – nach meiner Wahrnehmung – inzwischen auch deutlich antireligiös unterfüttert. Gegner der Kirche (und des Glaubens) springen auf den Zug auf und kochen ihr antikirchliches Süppchen im Kielwasser der Aktivistinnen von Pussy Riot. 

Erschüttert hat mich die Aktion der feministischen Aktivisten der FEMEN-Gruppe in Kiew, die ihren Protest gegen die Verurteilung der Pussy Riot – Mitglieder dadurch ausdrückten, dass sie mit Billigung zahlreicher Pressefotografen und Filmteams ein großes Holzkreuz in der Stadt mittels einer Kettensäge zu Fall brachten. Was können die Gläubigen, die diese Kreuz aufgestellt und verehrt haben für ein mögliches Unrechtsurteil der russischen Justiz? Was kann der Gekreuzigte dafür, dass einige politische Aktivistinnen ein möglicherweise zu hartes Urteil trifft? Er selbst war schließlich unschuldig ans Kreuz geschlagen worden. Was für eine schwachsinnige Aktion, noch dazu barbusig und mit albernen Posen!

Zahlreiche konservativ – christliche Medien nutzen die Aufmerksamkeit für den Fall Pussy Riot, um die Frage nach Strafen für „Gotteslästerung“ auch hierzulande wieder zu thematisieren. Erzbischof Ludwig Schick von Bamberg brachte das Thema ebenfalls auf die Tagesordnung und vor einigen Tagen nutzten einige deutsche Aktivisten das Forum einer Hl. Messe im Kölner Dom, um durch eine Störung des Gottesdienstes eine entsprechende Öffentlichkeit für ihre Protestaktion zu bekommen. Obwohl der Zelebrant, der Kölner Weihbischof Heiner Koch die Anliegen der Demonstranten und der Menschen in Russland umgehend ins Gebet einschloss, brachte es den Protestiereren denn doch eine Anzeige ein, wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz, Hausfriedensbruch und wegen Störung der Religionsausübung, alles auch nach deutschem Recht strafbar. 
Das mit der Anzeige war Wasser auf die Mühlen der russischen Behörden, die getrost darauf verweisen, dass solche Taten auch in Deutschland unter Strafe stehen. Ob die Aktivisten in Köln wohl klug beraten waren mit ihrem Protest?

Als Christ fühle ich mich in einem Zwiespalt und mir scheint, es geht vielen Menschen so. Auf der einen Seite kann es nicht richtig sein, dass das, was mir und anderen Menschen heilig ist, von Protestierern in den Dreck gezogen, veralbert und geschändet wird. Pastor Ulrich Rüß bringt es so auf den Punkt: „Blasphemie taugt nicht als Mittel des Protests.“ 
Auf der anderen Seite scheint mir ein zweijähriges Arbeitslager für eine solche Aktion - beinahe noch jugendlicher Frauen - überzogen und mir wird unbehaglich, wenn ich sehe, dass einem Kind für diese Zeit die Mutter entzogen wird. 
Auch besteht für die Kirchen und ihre Verantwortlichen immer wieder ein Grund zur Erforschung des eigenen Gewissens. Genießen sie die Nähe zur Macht und die Vorteile daraus zu sehr, sind ihnen persönliche Privilegien wichtiger sind als die Botschaft Christi: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist.“ Wenn hier etwas nicht stimmt – darf der Protest dagegen nicht als schlichte Blasphemie abgetan werden. 

Doch das, was anderen Menschen heilig ist, sollte von Allen, auch den nicht gläubigen Bürgern mit Respekt behandelt werden. Leider ist das heute noch weniger selbstverständlich als in der Vergangenheit. Immer wieder werden Heiligenfiguren zerstört und Kirchen geschändet, immer wieder gibt es Störungen von Gottesdiensten...
Finden wir Christen uns mit solchen Taten zu schnell ab? Heiß diskutiert wird auch hierzulande, dass die gläubigen Muslime eine viel niedrigere Toleranzschwelle haben. Das hat sicher vielfältige Gründe. Im Gegensatz zu vielen Christen – die zudem selbst oft kritisch gegenüber kirchlichen Institutionen eingestellt sind (die im Islam ja fehlen) – sind westliche Christen eher tolerant und „einiges gewohnt“, ihre „Schmerzschwelle“ liegt deutlich höher. 

Allerlei Geschmacklosigkeiten konnten in den letzten Jahren ohne Proteststürme publiziert werden, besonders die Titanic hat sich hier hervorgetan, z.B. mit ihren geschmacklosen Titelbildern mit verfremdeten Papst-Bildern. Nur, was kann man dagegen tun? Nicht einmal gerichtliche Verfügungen konnten diese Darstellungen verhindern, Strafen wurden nicht verhängt. Eher trieben rechtliche Maßnahmen die Auflage und Verbreitung dieser unwürdigen Darstellungen (dann eben über das Internet) noch auf die Spitze. 
Kein Wunder, dass der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick eine gesetzliche Regelung forderte: „Wer die Seele der Gläubigen mit Spott und Hohn verletzt, der muss in die Schranken gewiesen und gegebenenfalls auch bestraft werden“, sagte er und möchte ein solche Gesetz auf alle Religionen angewendet wissen. Schick forderte die Gläubigen auf, sich gegen Verunglimpfungen ihrer Religion zu wehren. Christen müssten fordern, „dass die Person Jesu Christi, Gott der Vater, Maria, die Heiligen, die Hostie des Altarsakraments, die sakralen Gegenstände wie Kelche und Monstranzen, auch die Kirchengebäude und Prozessionen von unserem Staat geschützt werden“. Dazu seien entsprechende Gesetze nötig. Christen müssten „deutlich machen, dass wir Verunglimpfungen unserer Überzeugungen und Werten in Medien und öffentlichen Organen nicht hinzunehmen bereit sind“, betonte der Erzbischof. Bisher steht nur all das unter Strafe, was geeignet ist, die öffentliche Ruhe und Ordnung zu stören. Und das wurde von den Gerichten bisher selten so gesehen.  

Ich würde mir wünschen, dass in unserem Land und in anderen Ländern „die Person Jesu Christi, Gott der Vater, Maria, die Heiligen, die Hostie...“ geschützt werden. Ob staatliche Gerichte und staatliche Stellen aber hierfür die richtigen „Schutzinstanzen“ sind, da bin ich skeptisch. Wie schnell hier Politik und Religion ineinander fließen, das zeigt der Fall „Pussy Riot“ ja deutlich. Neben all dem erhofften Schutz des Heiligen liegt auch ein Risiko darin sich hier der staatlichen Gerichtsbarkeit anzuvertrauen. 
Es ist ein schwieriges Unterfangen, im Umgang mit dem Heiligen die richtige Grenze zu definieren. Für mich ist es letztlich auch eine Frage von Intelligenz und Geist auf Seiten der Protestierer. Sie sollten sich die Frage stellen, ob die Botschaft, die sie – mehr oder minder berechtigt – in die Öffentlichkeit bringen möchten, die richtigen Leute trifft, eben die Mächtigen und die, die Unrecht tun. Wenn dagegen eher die „Kleinen“ und Unterdrückten in ihren Gefühlen und in ihrem Glauben getroffen werden, sollte ein solcher Protest unterbleiben. 

Und, als Gläubige sollten wir genau hinsehen und hinter die Aktion blicken, und vor allem (wenn möglich) ins Gespräch kommen mit denen, die sich am Glauben und seinen Inhalten, an der Kirche und ihren Institutionen reiben. Jesus Christus hat geraten, zunächst einmal auch „die andere Wange hinzuhalten“ und die Angreifer durch Friedfertigkeit zu entwaffnen. Ich weiß, dieses Rezept passt nicht in jeder Situation doch hinter manchem rebellischen Protest steckt auch eine Wahrheit, die wir in Demut annehmen könnten. 
Aber das bedeutet auch, dass wir nicht schlicht gleichgültig sind und Toleranz nicht mit Gleichgültigkeit und Desinteresse verwechseln. Es bedeutet auch, dass wir selbst wissen, was uns wichtig, heilig, bedeutsam ist – und warum. Besser als in den Händen staatlicher Stellen ist der Schutz des Heiligen in unseren Herzen, in unseren Gebeten, in unserem Leben und in unserem Engagement aufgehoben. Wenn wir als Christen auch nach außen heilig halten, was uns heilig ist, wenn wir überzeugend und mitmenschlich leben, sinkt der Reiz, sich an der Kirche und am Glauben zu reiben. 
Ganz fern von Gläubigkeit scheinen mir selbst die inhaftierten Frauen in Russland nicht zu sein – und wer weiß, vielleicht engagieren sie sich in einigen Jahren in sozialen Projekten der russisch – orthodoxen Kirche. Ich hätte mir von den orthodoxen Autoritäten gewünscht, dass sie die Aktion der Frauen klar als falsch verurteilen, aber für die Sünder klar und deutlich um ein mildes Urteil bitten und selbst Vergebung gewähren, notfalls siebenundsiebzig mal.  

Ganz wichtig ist mir aber letztlich eine wichtige Tatsache: Es gibt einen, den wir als Gläubige vor „blasphemischen Aktionen, Worten und Gedanken“ nicht zu schützen brauchen. Es ist der lebendige, dreifaltige Gott selbst. Er schaut den Menschen bis auf den Grund ihrer Seele, er kennt ihre Beweggründe und ich bin sicher, dass er sehr viel erträgt und aushält und letztlich die Macht hat, auch solche Menschen zum Glauben zu führen, die an ihm schuldig wurden. „Vater, vergib Ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“