Freitag, 20. Mai 2016

Kisslers Manege: von katholischen Zirkuselefanten und Zirkuspferden

(c) wikipedia (s.u.)
Im journalistischen Umfeld von Artikeln wie: „Doris Schröder-Köpf: Merkel hat das Asylrecht ausser Kraft gesetzt“; „Darum stehen Männer auf Analsex“, „Weil er sich zum Christentum bekannte…“ und „Das verraten die Brüste über die Gesundheit“ erschien in diesen Tagen auch ein Artikel mit der Überschrift „Darum schadet dieser Papst seiner Kirche“. Aufgeregt wurde dieser Artikel von einigen begeisterten und anderen – davon angeekelten Foristen in zahlreiche Dialoggruppen gepostet. 

Erst wollte ich schon weiterzappen, da blieb mein Auge an den Stichworten „Alexander Kissler“ und FOCUS hängen. Ah, FOCUS, das Magazin, das einst dem SPIEGEL das Wasser abgraben wollte und inzwischen zum Hausblatt besorgter Bürger mutiert ist. Und Kissler, der so gern mit spitzer Feder schreibt: hat er jetzt den Papst vollends abgeschrieben? Oder stempelt er ihn nun so einprägsam, wie er einst Erzbischof Zollitsch als Zirkuspferd bezeichnete, den Hl. Vater selbst zum Zirkuselefanten im Porzellanladen der Kirche?

Ganz ehrlich, dieser Artikel ließ mich zunächst einmal sprachlos. Aber dann fand ich darin zahlreiche Argumentationsmuster, die mir sowohl aus dem liberal-katholischen Umfeld von „Wir sind Kirche“ wie auch aus traditionalistisch bespielten Diskussionsgruppen bekannt vorkamen. Und von daher lohnt es sich, einmal hierauf zu reagieren. 

Kissler fällt ja schon lange damit auf, dass er (zur Zeit vor allem als Kulturjournalist beim Cicero tätig) im kirchenpolitischen Kampf den Kontrahenten die scharfen Sprach-Schwerter leiht … und seit einigen Monaten auch dadurch, dass er einen Art rasselnden Säbelverleih auch für das AfD – Umfeld bereit hält. 

In seinem Artikel über den schädlichen Papst kommen zahlreiche kaum belegte Vorwürfe vor, denen ich gern etwas auf den Grund gehen möchte. Und dies tue ich als einer, der bisher weder in den Enthusiasmus der Papst-Jubler eistimmen mag, noch in die Sirenengesänge der Papst-Kritiker.

Mit einer steilen Grundthese eröffnet der Autor die Kampfzone: „Vermutlich ist Jorge Mario Bergoglio ein exakt so machtbewusster, geschwätziger und am Katholischen relativ desinteressierter Relativierer, wie Papst Franziskus mehr und mehr erscheint.“

Das muss man sich langsam auf dem Herzen zergehen lassen. Der Papst selbst (die Symbolfigur des Katholischen) sei am Katholischen desinteressiert! Für Kissler scheint er eine zwiegespaltene Persönlichkeit zu sein, einmal die Person eines argentinischen Kardinals (den er zudem unterschlägt) – dann das Amt eines Papstes. Die Botschaft: wo ein Papst zu sein scheint, ist in Wirklichkeit nur ein „desinteressierter, geschwätziger Relativierer“ drin. In Tradi-Foren, also dort, wo man Priester noch mit „Hochwürden“ anspricht, ist es seit langem üblich, vom Hl. Vater nur noch als „Herr Bergoglio“ zu sprechen und ihm jegliche Hochachtung zu verweigern.  

Schon im nächsten Abschnitt erklärt Kissler den Papst subtil zur Witzfigur, ausgehend von dessen eigenem Humor, der – zumindest nach meiner Wahrnehmung – ansonsten weithin geschätzt wird. Wer es gut mit Papst Franziskus meint, fühlt sich an Johannes XXIII. erinnert, dem ebenfalls eine gewisse Selbstironie und ein unkomplizierter Umgang zu eigen war. Als Papst, der sich noch in der „sedia gestatoria“ tragen und von Straußenfederfächern geleiten ließ, wurde dessen humorvolle Art aber nicht so augen- und ohrenfällig wie heute, wo jeder Bischof ein Anekdötchen aus der Privataudienz per Twitter zum Besten gibt. 

„Das Pontifikat droht der Kirche zu schaden und einer Welt zu gefallen, die allem Kirchlichen skeptisch gesonnen bleibt. Franziskus stößt Katholiken vor den Kopf, ohne unter Nichtkatholiken Gläubige zu finden.“ Um dem Satz noch Gewicht zu geben, werden schnell noch „Beweise“ angeführt. „Die Austrittszahlen bleiben hoch...“ Woher weiß Kissler das? Oder ist das eine rein deutsche Einsicht? Als Mann der Kultur und aufmerksamer Beobachter der gesellschaftlichen Vorgänge, sollte ihm doch klar sein, dass die Krise der Kirche mitnichten eine Krise des Papstes oder gar eine Krise der Bischöfe ist. Jedenfalls liegt deren Einfluß im niedrigen einstelligen Bereich (mal mit einer Ausnahme, über die ich zuvor schon in diesem Blog geschrieben habe). An anderer Stelle weist Kissler ja auch gerne darauf hin, dass selbst die rundum reformierte und sanierte evangelische Kirche pastoral nicht erfolgreicher ist als wir Katholiken. Dem jeweils regierendem Papst hier einen signifikanten Einfluss auf Kirchenaustrittszahlen zuzuschreiben zeugt von einer gesunden (oder zweckgerichteten) Naivität. Im gleichen Zusammenhang dürfte auch die Frage der Neupriesterzahlen zu sehen sein. Wie die Zugkraft des außerordentlichen Jahres der Barmherzigkeit einzuschätzen ist, da kann die Phantasie munter ins Kraut schießen. Für solche Zahlen gibt es – gute Gründe – die meist wenig mit der Person des jeweiligen Amtsinhabers zu tun haben. Bei den Audienzen gab es durch den „neuen“ Papst Franziskus auch vorübergehend eine Verdreifachung der Zahlen, inzwischen geht es auch wieder zurück.

Ja, Alexander Kissler, dieser Papst ist anders! Ob aber Ihre Beschreibung „Dieser Papst ist sich für keine Albernheit und keinen Affront wider die eigene Kirche zu schade“ die Sachlage wirklich trifft, möchte ich bezweifeln. 

Im Kontext des päpstlichen Interviews mit der (katholischen) Zeitung La Croix, unterstellt der Autor - ohne Witz - dem Papst (der bei zahllosen Gelegenheiten zum Gebet für verfolgte Christen einlädt, zur Versöhnung unter Völkern und Religionen; der diplomatische Initiativen zur Befriedung von Konflikten anschiebt und auch zu persönlichem Einsatz bereit ist), den verfolgten Christen in den Rücken zu fallen. Selbst wenn der Hl. Vater sich in seinem Versuch, Religionsfreiheit für Anhänger aller Religionen zu fördern und Muslime gegen unberechtigte Angriffe zu schützen sprachlich und inhaltlich verrannt haben sollte. Wer sind wir, dass wir einen möglichen Fehlgriff benutzen, um einen Keil zwischen die verfolgten Christen und ihrem Papst zu treiben? Wer sind wir, dass wir das Schicksal unserer leidenden Schwestern und Brüder für die Rechtfertigung persönlicher Angriffe und Ressentiments gegen den Hl. Vater verwenden zu dürfen glauben? Sind wir nicht genauso gerufen, für die Einheit der Kirche zu arbeiten und im Zweifel den Hl. Vater gegen Verleumdungen und Verdächtigungen zu verteidigen, die heutzutage offesichtlich nicht mehr in erster Linie von Atheisten und Agnostikern, von sozialistischen Kirchenhassern oder darwinistischen Kirchenverächtern stammen, sondern aus der Mitte der Kirche selbst?

Was soll daran falsch sein, wenn der Papst mit Blick auf das laizistische Umfeld Frankreichs Religiosfreiheit fordert, für kreuztragende Christen und kopftuchtragende Musliminnen. In keiner Weise betreibt er hier Gleichmacherei. Hat Kissler das Interview gelesen? Ich kann es mir nicht vorstellen, denn sonst würde ich eigentlich dessen Jubelrede erwarten, angesichts eines Papstes der „manif pour tous“ verteidigt, von Grenzen der Aufnahmefähigkeit Europas für Flüchtlinge spricht, die christlichen Wurzeln in Frankreich und die Gewissensfreiheit aus religiösen Gründen verteidigt, die Piusbruderschaft katholisch nennt und manchen bedenkenswerten Gedanken anregt. Von einem Interview in der Tageszeitung erwarte ich wirklich nicht den Ton eines geschichtlichen oder theologischen Seminars. Der Hl. Vater wollte die laizistisch geprägte und tief entchristlichte Gesellschaft in Frankreich ansprechen. Und dazu muss er eine Sprache wählen, die auch verstanden wird, jenseits des Kulturressorts des Ciceros, sondern auch vom ganz normalen „Focus“-Leser. Die Gefahr von Diskursen in Fachkreisen scheint er dem Verpuffen allzu kirchenpolitisch ausgewogener Fachsprache (Kirchisch) vorzuziehen.

Nun folgt zum zweiten Mal der Vorwurf, dieser Papst sei „theologisch unbeleckt“ und „unwissend“, belegt durch eine spontane Antwort auf die Frage nach dem Diakonat – gegenüber einer großen Gruppe von Frauen, die mit Herz und Seele und ihrem ganzen Leben für die Kirche und ihren diakonalen Dienst einstehen. Hätte wohl dieselbe Bemerkung, mit den gleichen Worten von Benedikt XVI. formuliert, Anlaß zu irgendwelcher Aufregung gegeben? Zumal inzwischen jeder nachlesen kann (auch Herr Kissler bzw. wer, wenn nicht er), dass der Papst mitnichten in irgendeiner Weise irgendetwas theologisch unsauber formuliert hat oder gar irgendwelche Versprechungen gemacht hat. Mir scheint, die Hauptverantwortlichen für die angeblich schwache und wackelige Theologie des Papstes sind die Kollegen des Herrn Kissler, die da aus jeder Mücke einen Elefanten machen. Dieses Phänomen mußte auch Franziskus hochverehrter Vorgänger immer wieder erleiden. Ich erinnere nur an die Regensburger Rede (und behaupte bitte keiner, Benedikt XVI. habe genau das ausdrücken wollen, was ihm bis heute ab und an in den Mund gelegt wird, nämlich platteste Islamkritik. Es ist inzwischen hinlänglich gezeigt worden, dass es ihm ausschließlich um die Thematik der Rede ging, nämlich Glaube und Vernunft. Dass dies implizite Kritik an bestimmten Theologien (christlich wie islamisch) beinhaltet, versteht sich von selbst. Oder denken Sie an die Bemerkung über Aids und die Schutzwirkung von Kondomen...

Bei Benedikt allerdings, waren es vor allem die Journalisten des liberalen Lagers, die gewisse Botschaften und Stimmungen verbreitet haben, unterstützt vom humanistischen Pressedienst. Bei Franziskus dagegen gibt es Sperrfeuer auch aus gewissen Teilen des papsttreuen Lagers. Und der Kissler-Artikel erscheint mir als bisherige Spitzenleistung dieser Urheber eines anschwellenden „friendly-fire“. 

Ob der Papst im Moment seiner Antwort auf die Fragen der Ordensfrauen die Ergebnisse der internationalen Theologenkommission vor Augen hatte, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber nach dem, was ich bisher von ihm gelesen habe, mangelt es ihm nicht an Kenntnis einschlägiger kirchlicher Dokumente. Aber selbst, wenn in diesem Dokument sämtliche Erkenntnis dieser Welt zur Frage der Diakoninnen enthalten sollte: es hat bis heute keine entsprechende Wirkung entfaltet. Weder verzichten „Reformgruppen“ auf ihren „Tag der Diakoninnen“ noch hat es bis zum heutigen Tage ernsthafte Schritte auf dem Weg zu einem Frauendiakonat gegeben. Nach meiner Wahrnehmung vermeiden die kirchlichen Verantwortlichen geradezu eine klare Festlegung in dieser Frage. (Mit der Ausnahme von Papst Benedikt (wiederum), der einen interessanten theologischen Schritt zur klareren Definition und Abgrenzung zwischen Priestern und Diakonen getan hat. Das geschah übrigens nach der von Kissler zitierten Publikation der Theologenkommission und würde allein schon die Einsetzung einer neuen Kommision rechtfertigen.)

Ich denke, in der Frage des Diakonats und der anderen kirchlichen „Halbämter“ wie Katechisten, Ordensleute, Pastoralassistenten, Laien als De-Facto-Gemeindeleiter könnten durchaus noch Spielräume für sinnvolle und praxistaugliche Klärungen und Weiterentwicklungen stecken. Ich schätze das Amt und den Dienst der Diakone sehr. Doch zu 100 Prozent fügt sich die derzeitige Ausgestaltung des Amtes (noch) nicht in die Praxis der Gemeinden vor Ort ein. Ich sehe nicht, was gegen ein nichtsakramentales Diakoninnenamt spricht, das im Kontext von Riten wie Witwen-, Äbtissinnen- und Jungfrauenweihe gestaltet werden könnte. Aber dann müßte man ein analoges nichtsakramentales Diakonenamt ermöglichen, denn wie würde man eine ausschließlich Frauen vorbehaltene Diakoninnen“weihe“ begründen wollen? Dann sollte allerdings das sakramentale Diakonenamt neu ausgerichtet und unterscheidbar werden. Auch die zahlreichen Laien, die sich haupt- und nebenamtlich in unterschiedlichen Dienstbezeichnungen in den Gemeinden pastoral engagieren (in der Katechese und in der Gestaltung der vielen Aktivitäten der Koinonia, in der Mitgestaltung der Liturgie und in der Verkündigung des Evangeliums im Alltag). Das ist ein weites Feld, wo ich eine Klärung sehr begrüßen würde, weil dies auch das besondere Profil der Priester deutlicher hervortreten läßt. Dieses Anliegen des Papstes öffentlich als „Plauderei“ und ihn selbst als „ahnungslos“ hinzustellen bezeugt eigentlich hinlänglich, dass der Schreiber dieser Worte eben dies selbst ist „ahnungslos“ und ein „Plauderer“. 

Was den finalen Vorwurf der völlig überzogenen „Priesterschelte“ in Kisslers Worten angeht, so zitiere ich einen (gewöhnlich sehr kirchentreuen, besonnenen Priester) in einem Facebook-Forum, der sich unmittelbar an Kissler wendet: „Ich bin am Ende dieses Monats 23 Jahre Priester. Ich war gern Priester unter Johannes Paul II. Ich war gern Priester unter Benedikt XVI. und ich bin gern Priester unter Papst Franziskus. Ich habe eine starke Affinität zur Theologie, ich lese Benedikt XVI., Rahner, Balthasar, die Kirchenväter so wie es mir möglich ist. Ich bin kein Doktor der Theologie, dazu hat es nicht gereicht, aber ich habe Ahnung. Sie nicht, jedenfalls kann ich sie in ihrem Artikel nicht entdecken. Der Papst schadet der Kirche? Nach den Massstäben. die sie in ihrem Artikel verwenden haben ALLE Päpste, die ich und damit auch Sie, erlebt haben, der Kirche geschadet, also halten sie mal inne und denken nach! … Ich danke Gott für Johannes XVIII. und das II. Vatikanische Konzil, denn das hat die Kirche zu einem Ort im Jetzt gemacht, in dem ich gern Priester bin. ...“ Ich bin kein Priester, aber genau so ist es!

Mir ist bisher noch kein Priester persönlich begegnet, der sich von Franziskus kritischen Worten entmutigt fühlt (es mag welche geben). Mich erinnert das an das Wort meiner Oma: „Wem der Schuh passt, der zieht ihn sich an!“ Aber ich habe überhaupt nicht den Eindruck, dass unsere Priester und Bischöfe einen Laien brauchen, der sie publizistisch und polemisch gegen den Hl. Vater verteidigt. Mit drei Bischöfen habe ich gesprochen, die dem Hl. Vater persönlich begegnet sind und mir keinesfalls vermittelten, sie haben „Prügel von hinten und Prügel von vorne“ erhalten. Nicht einmal die in konservativen Kreisen so hoch gelobte schriftliche päpstliche Ermahnung der deutschen Kirche wurde als solche empfunden. Angesicht der Diskrepanzen in der Beurteilung der päpstlichen Verlautbarungen fragt man sich, ob der Papst nur dann zum „Schwätzer“ erklärt wird, wenn einem die öffentliche Resonanz auf dessen Worte (oder manchmal gar seine Worte selbst) inhaltlich nicht passt. 

Und gerade von frommen und kirchenverbundenen Katholiken (die regelmäßig die Sakramente empfangen und auch regelmäßig beichten) höre ich viel Zustimmung gerade hierzu, wobei sie die päpstliche Kritik sehr an in Deutschland längst vergangene Zeiten erinnert, an Zeiten, die heute von manchen Leuten glorifiziert werden (sicherlich auch durchaus glorreich waren) aber dennoch nicht ohne Schatten. Und da muss ich Kissler einmal partiell zustimmen, die „kuschelige Eiapopeia-Verkündigung“ (wenn das denn ein angemessener Begriff für die Bemühungen von Priestern und Bischöfen im Westen sein sollte) hat sich heute weitgehend von dem befreit, was der Papst manchmal engagiert kritisiert. Dennoch, der laute Aufschrei aus Teilen des früher einmal papsttreuen Lagers läßt mich an einen weiteren Spruch meiner Oma denken: „Getroffene Hunde bellen!“

Natürlich fehlt in dem Focus-Text auch die Kritik an Amoris laetitia nicht, eine Schrift, mit der man im liberalen Umfeld keinen Blumentopf gewinnen kann. Mir persönlich fällt es schwer, einem eher abständigen, wiederverheirateten Paar redlich zu erklären, ob sich ihr Status nun verbessert habe. Ich würde im Moment sagen: „Lasst mich ehrlich sein: eher nicht!“ Kissler beschwört mit Spaemanns Worten die angebliche „Verwirrung“ in der Kirche herauf, von der auch schon ein Weihbischof aus Kasachstan geschrieben hatte. Wobei ich ganz sicher bin, dass in Astana der Dompfarrer durch Amoris laetitia ebensowenig verwirrt ist, wie mein Pfarrer Möller in Voerde. „Das Chaos wurde zum Prinzip erhoben!“ Aha, ist mir noch nicht aufgefallen. Bei uns in St. Peter und Paul ist alles ruhig und friedlich. Und die Zahl derer, die sich – in irregulären Verhältnissen lebend – an der Kommunionbank drängeln, ist so überschaubar wie eh und je. „Der Papst hätte wissen müssen, dass er mit eiem solchen Schritt die Kirche spaltet und in Richtung eines Schismas führt.“ Unter dem Eindruck dieser Worte mache ich heute mittag den Briefkasten auf und finde in einem Brief mit dem Absender meines Bischofs Felix die gedruckte Ausgabe von „Amoris laetitia“. Und dies ohne einen begleitenden Brief, der mich auf die Risiken der Lektüre hinweist. Von daher scheint es sich um gut katholische Lektüre zu handeln, so, wie ich es von Zusendungen von Bischof Felix gewöhnt bin. 

Dass Kissler im Hl. Vater einen weiß gewandeten Dalai Lama entdeckt, zeigt vor allem, dass er den Dalai Lama offensichtlich genausowenig kennt wie den Papst. Oder, dass er halt das mediale Bild der beiden mit der Person verwechselt. Dass der Dalai Lama ein bedeutender spiritueller Führer mit tiefer Kenntnis der buddhistischen Lehrtexte und der Theologie des tibetischen Buddhismus ist, wird leider aus den von westlichen Journalisten aus seinen Wortmeldungen herausdestillierten Seichtheiten bei oberflächlicher Betrachtung nicht erkennbar. Der Dalai Lama muss sich allerdings den Vorwurf gefallen lassen, dass er das auch allzu wehrlos mit sich machen lasse. Und vielleicht täte auch dem Hl. Vater ein offensiveres und professionelleres journalistisches Marketing gut. 

Dass dieser kürzlich den Karlspreis verliehen bekam darf man ihm gerechterweise nicht unmittelbar auf das Schuldkonto rechnen und das macht ihn auch noch lange nicht zu einem „Uno-Generalsekretär mit Brustkreuz“. Das hatte wohl mehr mit der Krise des europäischen Gedankens zu tun und der Ratlosigkeit angesichts der Tatsache, dass weit und breit niemand zu sehen ist, der sich durch sein Agieren im europäischen Kontext irgendwelche Meriten verdient hatte. Ähnlich ratlos schien ja vor einigen Jahren auch das Komitee für den Friedensnobelpreis gewesen zu sein. 

„Mene mene tekel u-parsin“, malt Kissler's Konter an die Wand: „Der Nachfolger (dieses Papstes) wird eine spirituell ausgezehrte und verunsicherte Kirche übernehmen.“ Mit Verlaub, das ist grober Unfug. Selbst wenn dieser Papst (die Kirchengeschichte wird es vielleicht einmal zeigen, wenn Kissler, der etwas jünger als ich ist, längst irgendwo – so wie ich vermutlich auch – den Tag der Auferstehung geduldig erwartet), tatsächlich ein theologisches, sprachliches oder menschliches Leichtgewicht sein mag (was ich überhaupt nicht glaube), so hat die Kirche schon ganz andere Päpste ausgehalten und überstanden. Da muss man gar nicht obscure Prophezeiungen des Malachias aus der kirchengeschichtlichen Schublade kramen. 

Ich will ihn ja nicht gegen jede Kritik verteidigen, erwarte aber von Glaubensgeschwistern aber, dass es in einer Art und Weise geschieht, die das bisherige Prädikat „papsttreu“ nicht entwertet. Zum „Zirkuselefanten“ wird dieser Hl. Vater Franziskus nur dann, wenn Journalisten wie Alexander Kissler in seinem weiteren Umfeld die Vasen und Tassen des Porzellanladens Kirche zerdeppern. Nein, Herr Kissler, nicht der Papst selbst schadet seiner Kirche, es sind vielmehr die, die ihm die kalte Schulter zeigen und die grundsätzliche Gefolgschaft verweigern, weil sie der eigenen Unfehlbarkeit mehr vertrauen als der reichen spirituellen Tradition und dem geistlichen Potential der Kirche und dem Wirken des göttlichen Geistes. 

Wir haben in unserer Kirche zahlreiche Priester, Diakone, Ordensleute, Eremiten, Laien die ein reiches, spirituelles Leben führen. Hier hat unter diesem Papst nichts nachgelassen, ich sehe das wirklich nicht. Im Gegenteil, erfahre ich durchaus reiche Inspiration, durch päpstliche Texte, die meinem Leben nahe sind und die unmittelbar von Herz zu Herz sprechen. Und trotzdem lese ich weiterhin die Worte von Papst Benedikt, studiere die Benediktsregel und die Consuetudines Cartusiae, die Worte des Hl. Bernhard und die geistlichen Gedichte von Gottfried Bachl. Ganz zu schweigen vom Reichtum des göttlichen Wortes. 

Doch bevor ich mich weiter in Rage schreibe, schließe ich mit einem Lied von Reinhard Mey, dass ich allen Lesern zu hören empfehle: „Mein achtel Lorbeerblatt“. Als Westfale, der die Eiche liebt und als Schweinefreund mag ich dieses Lied sehr. Hört mal rein!



Auszüge aus dem Interview mit Papst Franziskus in "La Croix":

Sogar Robert Spaemann kritisiert Alexander Kissler: http://www.die-tagespost.de/kirche-aktuell/Die-Kirche-ist-nicht-grenzenlos-belastbar;art312,170272

Bildquelle: Wikipedia, von Casa Rosada (Argentina Presidency of the Nation), CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=41540543