Mittwoch, 18. Juli 2012

In der Stille des Allgäus - die Kartäuser

Lesen Sie zunächst den ersten Teil des Berichts über die Marienau:

Die Klosterkirche
Bruder Antonius ist ein optimistischer Mensch. Sorgen um den Fortbestand seines Ordens macht er sich keine. „Gott schickt uns genügend Nachwuchs“, ist er überzeugt, Er selbst berufe Menschen zum Leben in einer Kartause. Werbung für neue Kartäuser ist daher völlig unnötig.

Wer sich für einen Eintritt interessiert, nimmt zunächst Briefkontakt mit dem Prior auf. Später wird er eingeladen, das Leben in der Kartause kennenzulernen. Wenn es konkret wird, kann er sogar für einige Wochen in einer Zelle leben und seinen zukünftigen Lebensstil direkt erproben. Dann schließen sich Postulat und Noviziat an. Bei vielen Interessierten zeigt sich, dass sie für das Leben der Kartäuser nicht geeignet sind. In der Regel merken sie es selbst und entscheiden sich zu gehen. Wenn es sein muss, schickt sie der Prior auch nach Hause. Über die endgültige Aufnahme entscheidet der gesamte Konvent in einer geheimen Abstimmung.
Neben den Priestermönchen in ihren Zellen gibt es in der Kartause die Brüder, für die andere, manchmal weniger strenge Regeln gelten. Die Brüder sorgen dafür, dass die Kartause beinahe autark von der Außenwelt existieren kann. Sie bauen Gemüse an und ernten das Obst, sie backen, schneidern, kochen; sie arbeiten als Schreiner, Schlosser, Schneider, Hausmeister... Nur selten müssen Handwerker von außen beschäftigt werden. Eine „Pensionierung“ gibt es nicht, jeder kümmert sich nach seinen Möglichkeiten und Fähigkeiten um die anstehenden Arbeiten.
Vor dem Gebet: alle Priestermönche läuten die Glocke.
Da ich im Vorfeld mit der Kartause Kontakt aufgenommen hatte, darf ich auf der Gästeempore am Nachmittagsgebet, der Vesper teilnehmen. Auf der Empore treffe ich einen jungen Pater an, ein Kroate, der mir schweigend die riesigen Gebetbücher an der richtigen Stelle aufschlägt, so dass ich dem Gebet folgen kann. Die Kirche ist, wie das ganze Kloster, von schlichter Zweckmäßigkeit. Es gibt keinerlei Schmuck und Schnörkel wie sonst überall im barocken Oberschwaben. Alle Möbel sind selbst gefertigt. An der Stirnwand der Kirche über dem Altar thront eine Kreuzigungsgruppe, die Darstellung von Christus mit Maria und Johannes.

Das vorabendliche Gebet beginnt mit einem besonderen Ritual. Der erste Pater, der die Kirche betritt, läutet die Glocke und gibt das Glockenseil dem nächsten Pater weiter. Jeder, der in das Gotteshaus kommt, läutet im Takt weiter bis die Gemeinschaft der ca. 20 Priestermönche komplett ist. Gebetet wird aus gewaltigen Büchern, das, aus dem jetzt die Vesper gesungen wird stammt aus dem Jahre 1876. Es wurde nach dem 2. Vatikanischen Konzil nur geringfügig verändert. Diese Antiphonale sind so groß, dass jeweils drei Mönche es gemeinsam verwenden können. In diesen Büchern könnte selbst ich ohne Brille lesen.

Die Kartäuser singen eine schlichtere Form des gregorianischen Chorals. Aber sie singen aus tiefer Überzeugung, schlicht und schön, es berührt mich sehr. Ganz ohne Orgelbegleitung erklingt ihr Gotteslob.
Auf der Gästeempore kann man dem Gebet der Mönche folgen.
Die Gemeinschaft ist stolz darauf, dass es im Laufe ihrer 900jährigen Ordensgeschichte bisher noch keine Reform gegeben hat. Sie war einfach nicht notwendig, weil die Ordensregel einen zwar strengen aber dennoch sehr menschlichen Rahmen vorgibt und Übertreibungen vermeidet. So wird z.B. nur insoweit gefastet, wie es dazu beiträgt, sich stärker auf das Ziel des Kartäuserlebens auszurichten: die Suche nach Gott und der Kontakt mit ihm. Fasten ist niemals Selbstzweck. Niemand sollte versuchen, den Mitbruder beim strengen Schweigen, im Verzicht oder im Gebetsleben zu übertreffen. Alles dient nur dem Ziel einer tieferen Gemeinschaft mit Gott. „Gott allein genügt“, dieses Wort der Hl. Theresia von Avila zitiert auch der Pförtner Bruder Antonius.
Diese Art eines ausgeglichenen Lebens scheint sogar noch recht gesund zu sein, denn es ist kein Gerücht, dass die Mitglieder des Ordens recht alt werden und lange gesund bleiben.

Das 2. Vatikanische Konzil hat dennoch einige kleine Veränderungen gebracht. Es hat zwar nicht das unterschiedliche Leben von Brüdern und Patres aufgehoben, aber unnötige Trennungen zwischen beiden Gruppen beseitigt. So gibt es heute ein engeres und vertrauteres Miteinander unter allen Mitgliedern des Konventes. Auch lehnen die Kartäuser Neuerungen nicht grundsätzlich ab, sondern prüfen alles, ob es mit ihrer Lebensweise zusammenpasst. So kann man sie heute sogar per e-mail erreichen – aber auf Facebook kann man Pater Prior trotzdem nicht als Freund gewinnen.

Hinter der Klostermauer sind die "Zellen" der Mönche sichtbar.
Das höhere Gebäude dient der Ausbildung der Ordensanwärter.
Die Patres verlassen ihr Kloster normalerweise nicht. Dennoch begegnet mir ein junger Pater in Begleitung zweier weiterer junger Leute draußen auf dem Weg zum Kloster. Ich erfahre später, dass er den jährlichen Besuch seiner Familie empfängt. Dafür wird er für zwei Tage von seinen Verpflichtungen in der Kartause teilsweise befreit und darf mit seinen Angehörigen in Kontakt sein. Sonst gehen die Mönche nur gemeinsam aus dem umfriedeten Bezirk der Klostermauern hinaus, nämlich, wenn der wöchentliche gemeinsame Spaziergang ansteht. Alles andere sind Ausnahmen, z.B. wenn ein Arzt aufgesucht werden muss oder z.B. zur Priesterweihe kein Bischof kommen kann.
Was für ein ungewöhnliches Leben! Manche Zeitgenossen werden denken, dass diese Männer (es gibt auch Frauenkartausen) ihr Leben verschleudern. Vermutlich wäre es angemessener, von „verschenken“ zu sprechen, denn sie geben ihr Leben schon heute in Gottes Hand. Das hat für sie viel mit Liebe zu tun. Nicht mit enttäuschter Liebe zur Welt oder zum Leben oder gar zu einer Frau, sondern mit dem, was Jesus so formuliert hat: „Du sollst Gott lieben, mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft (Markus 12,30).“

Keimzelle des Klosters: ein ehemaliger "Einödhof",
ein Bauernhof in Seibranz-Talacker
Es sind 35 Männer, die in Deutschland das Leben eines Kartäusers leben. Auf den ersten Blick erscheint es schon wegen seiner äußeren Umstände mehr als ungewöhnlich. Aber ist es in seinem Verzicht auf Fleisch, auf zwischenmenschliche Liebe, auf Gemeinschaft, auf Kommunikation, auf öffentliche Wirkung und Bedeutsamkeit wirklich so anders? Wie viele Menschen halten heute deutlich abstrusere Diätvorschriften ein, um ihr Idealformat zu erreichen; wie viele Menschen verzichten aus vielerlei Gründen freiwillig oder unfreiwillig auf Familie und zwischenmenschliche Kontakte; wie viele Menschen sind einsam, ohne in der Gemeinschaft mit Gott einen Ausgleich zu haben; wie viele Menschen müssen auf Konsum und Luxus verzichten, weil sie kein Geld dafür haben. In gewisser Weise stehen die Kartäuser mit ihrem entschiedenen und ungewöhnlichen Leben symbolisch für die Kirche, die in den Augen mancher Leute auch eher eine Bewegung „von gestern“ ist, aus der Zeit gefallen, aber dennoch vielen Menschen eine spirituelle Heimat schenkt und eine Gottesbeziehung ermöglicht. Und: von der Einfachheit, Bescheidenheit und Entschiedenheit der Kartäuser kann die Kirche sicherlich für ihr Auftreten und ihre Verkündigung viel lernen.

Ich hatte in diesen Tagen die Gelegenheit, das Kloster, die Klausur dreimal zu betreten. Eine Besucherin des Klosters fragte mich draußen vor der Tür einmal, ob die Kirche öffentlich zugänglich ist. Nein, sie ist es nicht – und für Frauen gibt es keinen Zugang in die Kartause. Ich bin als Mann also privilegiert. Aber in einer Frauenkartause wäre ich auch draußen vor geblieben. Ich bin den Kartäusern dafür sehr dankbar, dass ich einen kleinen Einblick bekommen habe, denn als Familienvater komme ich als Ordensnachwuchs nicht in Frage. 

Der Weg zur Kirche mitten im Kloster ist lang. Groß ist die Versuchung, auf dem Weg zur Empore die Tür zum Kreuzgang zu öffnen und einmal ins „Allerheiligste“ des Klosters zu blicken. Doch ich mochte das Vertrauen der Mönche nicht enttäuschen. 
Einblicke gibt es in einer kleinen Broschüre, die an der Pforte erhältlich ist. Die Kartäuser sind auch eher ein Männerorden. Es gibt 18 Kartausen für Männer, aber nur sechs für Frauen, obwohl es schon fast zu Beginn der Ordensgeschichte einen Frauenzweig gab. Zu den Besonderheiten der Kartäuserinnen gehört, dass ihnen durch den Bischof (auf Wunsch) die Diakonissenweihe gespendet wird. Viele halten das für einen historischen Rest einer Diakoninnenweihe aus der frühen Kirche. Die Kirche betont aber, dass es sich nicht um ein Weiheamt handelt. Dennoch haben Kartäuserinnen als Diakonissen das Recht, eine Stola zu tragen und in der Messe das Evangelium vorzutragen. Eine einzigartige liturgische Besonderheit! Erwähnenswert ist, dass ein den Kartäusern naher, neuerer Orden (Gemeinschaften der monastischen Familie von Betlehem und der Aufnahme Mariens in den Himmel und des hl. Bruno) zahlreiche Frauenklöster aber wenige Männerklöster hat.

Beim Abschied am Sonntag komme ich mit „meinem Kartäuser“, Bruder Antonius noch einmal ins Gespräch über die Freude an der Schöpfung. Er schwärmt über das Sonnenlicht am Morgen, über die vielen schönen Blumen und die Freude über das erste Gänseblümchen nach dem langen Winter. Für ihn ist die Natur eine beständige Botschaft von Gott und er bedauert, dass viele Menschen diese Schönheiten nicht mehr wahrnehmen. Für ihn ist das einfache Leben der Kartäuser ein Geschenk, weil er hierdurch viel aufmerksamer wird, für die Wunder der Natur, für die Stimme Gottes und die Sorgen und Nöte der Menschen, die bei ihm an der Pforte klingeln. Er verabschiedet mich mit den Worten „Gelobt sei Jesus Christus!“ „In Ewigkeit! Amen!“.

Ein Besuch im Kartäuserkloster Marienau

In welcher Gegend Deutschlands könnte man eine Wüste entdecken? Für die Kartäuser, die ihre Klöster bevorzugt in menschenleeren Einöden errichten, war diese Wüste im Jahre 1964 ein sogenannter „Einödhof“ im Allgäu. Dort haben die Mönche des strengsten katholischen Ordens die gesuchte Einsamkeit gefunden. 

Pfortenhaus der Kartause Marienau bei Seibranz im Allgäu
Wer sie in diesen Tagen besucht, legt von Voerde aus beinahe den gleichen Weg zurück, auf dem die weißen Mönche in den 60er Jahren vor dem Lärm der Großstadt Düsseldorf und des nahen Flughafens geflüchtet sind. Der Weg von Voerde nach Seibranz im Allgäu streift aber auch bedeutende Orte des Kartäuserordens. In Wesel bestand bis zum Jahr 1628 auf der Grav – Insel ein heute beinahe vergessenes Kartäuserkloster. In Düsseldorf bestand bis 1964 das nach der Säkularisation letzte deutsche Kloster dieses Ordens, die Kartaus Maria Hain. Aus dem weitläufigen Klostergelände sollte Bauland werden, deshalb konnte die Ordensgemeinschaft vom Verkaufserlös im Süden Deutschlands einen abgelegenen Bauernhof kaufen und auf dem Gelände ihr neues Kloster errichten. 
Von Düsseldorf aus erreicht mein Zug Köln, den Heimatort des Hl. Bruno, des „Vaters der Kartäuser“. Der wurde im Jahre 1032 in der rheinischen Stadt geboren und war schon damals ein echter Europäer, er studierte und lebte später vor allem in Reims in Frankreich, lebte als Mönch in Molesme, im Chartreuse-Massiv bei Grenoble und am Hof des Papstes in Rom. Gestorben ist er 1101 in Kalabrien. Als scharfer Kritiker kirchlicher Machtausübung zog er sich mit sechs Gefährten in ein wildes, menschenleeres Gebirgstal zurück. Die kleine Gemeinschaft verwirklichte hier ein geistliches Leben nach Brunos Ideen, ein Leben als Einsiedler mit einer Prise Gemeinschaft. An die Gründung eines eigenen Ordens hatte Bruno wohl noch nicht gedacht. Die Gemeinschaft folgte schlicht den Idealen ihres Gründers. Zwischen 1084 und 1090 leben sie so. Doch dann erscheinen Boten des neu erwählten Papstes Urban II. in der Einöde. Dieser, ein ehemaliger Schüler Brunos, möchte seinen Lehrer als Berater in Rom sehen. Bruno blieb keine Wahl. Kurze Zeit später folgen ihm seine Gefährten nach Rom, doch schon bald schickte Bruno sie zurück in ihr schlichtes Kloster, wo sie ihr ursprüngliches Leben wieder aufnehmen. Als der Papst sich endlich bereit erklärt, Bruno von seinem Dienst im Vatikan zu befreien, begründet dieser ein zweites Kloster in Kalabrien, wo er 1101 stirbt. Erst ca. 25 Jahre später schreibt Brunos Nachfolger Guigo als 4. Oberer der Gemeinschaft eine Art Ordensregel auf, die er bescheiden „Consuetudines“ nennt, die „Gebräuche der Kartäuser“. Diese Regel hat sich im Verlauf der Jahrhunderte kaum verändert, auch die Kartäuser der Marienau folgen ihr bis zum heutigen Tag. Von Köln aus fährt mein Zug durch das Rheinal und durchquert Deutschland. Seine Blüte hatte der Kartäuserorden vom 14. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. In Deutschland bestanden in dieser Zeit bis zu 58 Kartausen. Doch mit der Reformation begann der Niedergang, die Revolution in Frankreich und die Maßnahmen Napoleons und Bismarcks gegen die Orden beendeten zeitweilig die Existenz des Kartäuserordens in Deutschland. Nur eine Kartause wurde danach wieder besiedelt, das Haus Maria Hain in Düsseldorf im Jahre 1890. Die vorerst letzte Station auf meiner Reise ist in Memmingen, dort bestand im Dorf Buxheim die – auch künstlerisch höchst bedeutende – Reichskartause mit den bis heute erhaltenen, von berühmten süddeutschen Barockkünstlern prächtig ausgestatteten Klostergebäuden.
Kapelle der Brüder
Doch all diese Pracht mag nicht so recht zu dem Orden passen, der heute seine einzige Kartause in Deutschland ca. 30 km von Buxheim entfernt in einem dichten Fichtenwald vor den Augen der Menschen verbirgt. Kürzlich hat der Orden sogar eines seiner Klöster (Aula Dei) in Spanien aufgegeben, weil viele Touristen die prachtvollen historischen Gebäude und Gemälde von Goya besichtigen wollten und die Mönche daher die notwendige Stille und Einsamkeit nicht mehr fanden.

Die Präsenz der Kartäuser im Allgäu könnte leicht übersehen werden, Hinweisschilder sind selten und in der Regel mit dem Zusatz versehen, dass eine Besichtigung des Klosters nicht möglich ist. Der deutlichste Hinweis auf die Kartäuser findet sich an unerwarteter Stelle in der Tatsache, dass in den Dörfern um Bad Wurzach selbst kleine „Tante-Emma-Läden“ im Spirituosenregal den berühmten Kartäuserlikör führen. Normalerweise gibt es den in Deutschland nur in Spezialgeschäften für exklusive Liköre. Im Supermarkt in Bad Wurzach gibt es ihn günstiger, beinahe zum halben Preis.
Selbst unmittelbar vor der Kartause sieht man noch wenig davon...
Vom Örtchen Seibranz aus schlängelt sich eine schmale, asphaltierte Straße zu den „Einödhöfen“ im Talacker. Hier, nach vier Kilometern (auf denen mir als Fußgänger kein einziges Auto begegnete) steht ein erster Wegweiser: „Kartause Marienau“. Nun sind es noch gut 1 ½ km bis zur Klosterpforte. Man muss schon genau hinsehen, um hinter den Bäumen am Rande der Weiden überhaupt ein Kloster zu entdecken. Dabei umgibt die 2 ½ m hohe Klausurmauer eine Fläche von ca. 10 Hektar.

Ich habe es bei meinem ersten Besuch vorgezogen, quer durch den Wald von hinten an das Kloster heranzuwandern. Auf dem ca. 6 km langen Wanderweg durch die tiefen Wälder sind mir zwar etliche Wildschweine, aber wieder kein Mensch begegnet. Dass diese wunderschöne, sanft geschwungene Landschaft mit Bächen und Teichen, Wäldern und Hügeln so wenige Touristen anzieht, wundert mich. Plötzlich, im tiefen Wald durchbricht der Klang einer Kirchenglocke die Stille und das Zwitschern der Vögel. Der Jungfuchs, der gemächlich über den Waldweg zieht, lässt sich hierdurch nicht stören. Er kennt das Geräusch offensichtlich, das hier sogar nachts um halb eins ertönt, wenn die Mönche für ihre ersten Gebete, die Matutin und Laudes ihren Schlaf unterbrechen und in der Kirche zusammenkommen. Jetzt ist es 14.00 Uhr, das Geläut ist das Zeichen für eine weitere Gebetszeit, die Non, die alle Kartäuser allein in ihren „Zellen“ beten. Es ist eine der neun Gebetszeiten, die das Leben der Mönche prägen.

Auch sonst gibt es im Kartäuserorden einige Besonderheiten. Die Mönche leben im Grunde vegetarisch, allerdings steht ab und an Fisch auf den Speiseplan. Es gibt nur zwei Mahlzeiten am Tag, das Frühstück fällt aus. Zusätzlich gibt es ausgedehnte Fastenzeiten. Die Nachtruhe ist geteilt. Mitten in der Nacht erheben sie sich zu einem ca. zweistündigen Gebet. Die gesamten Gottesdienste werden in lateinischer Sprache gefeiert. Der Orden hat eine eigene, von unserer gewohnten Messfeier abweichende Liturgie. Der Kartäusermönch lebt allein in einem eigenen kleinen Häuschen und pflegt einen eigenen Garten. Niemals verlässt er seine Zelle einfach so. Nur selten spricht der Mönch mit seinen Mitbrüdern, er wahrt das Schweigen. In der Woche gibt es zwei Gelegenheiten zum Gespräch, bei der gemeinsamen Erholung am Sonntag oder beim wöchentlichen Spaziergang. Die Tage sind ausgefüllt mit Gebetszeiten, Studium, Handarbeit und Gartenarbeit. Jeder Mönch heizt seine eigene Zelle mit selbst gesägten Holz. Das macht selbst Pater Werenfried Schrör, der Prior der Gemeinschaft.

Auf den ersten Blick scheint dieser Orden wie aus der Zeit gefallen, ein Reservat vergangener Zeiten irgendwie... Die Kartäuser bleiben hinter den Klostermauern und konzentrieren sich ganz auf Gott. Daher gibt es auch fast keine Publikationen von Kartäusermönchen. Sie kommunizieren auch nicht per Brief, Telefon oder e-mail. Für Außenkontakte werden einzelne Konventsmitglieder beauftragt.

Als ich an der Pforte stehe, öffnet mir einer von ihnen, der Pförtner Bruder Antonius. (Sein Name kommt vom frühchristlichen ägyptischen „Wüstenvater“, den er sehr verehrt.) Wie es mit dem Nachwuchs aussieht, möchte ich gern wissen. Man konnte kürzlich einmal lesen, dass von zehn ernsthaften Interessenten nur einer tatsächlich im Kloster bleibt. „In letzter Zeit ist es etwas besser mit dem Bleiben“, sagt der Pfortenbruder. Zur Zeit lebten 35 Mönche im Kloster, damit ist es beinahe voll. „Zehn von ihnen sind unter vierzig Jahre alt“ und „wir kommen aus zehn Nationen“, berichtet Bruder Antonius, der für einen schweigenden Mönch durchaus gerne Auskunft gibt. „Sie werden nicht glauben, was wir im Pfortendienst hier alles erleben!“. Es kämen immer mehr Leute, die sich einfach einmal aussprechen möchten, einen guten Rat wünschen oder das Gebet der Mönche erbitten. Zwei Brüder teilen sich diesen herausfordernden Dienst. 

Das Gebet ist zu Ende.
Bruder Antonius ist 82 Jahre alt und hat mehr als 2/3 seines Lebens hinter Klostermauern verbracht. „Die Pfarrer haben heute so viel zu tun und sind für die Leute nicht mehr so erreichbar.“ Hier an der Pforte ist immer jemand da. Wie er damit umgeht, dass er vielen Menschen nicht tatkräftig helfen kann, möchte ich gern wissen. Der Kartäuserbruder sagt, dass er in einer anderen Welt lebe und daher aus einer anderen Perspektive auf das Leben schaue. Er zitiert Schopenhauer um den Blick Gottes auf die Welt zu verdeutlichen: „Die Erde ist nunmehr nur eine der zahllosen Kugeln im unendlichen Raum, auf der ein Schimmelüberzug lebende und erkennende Wesen gezeugt habe.“ Und doch sei Gott diesen Menschen verbunden und ihren Sorgen nahe. Der Mönch spricht von seinem Vertrauen in Gott, der alles zum Guten wende. Darauf baue er und schließe die Sorgen der Menschen in sein persönliches Gebet ein.

Vor einigen Tagen hatte ich den Bad Wurzacher Pfarrer Stefan Maier gefragt, ob es pastorale Kontakte zu den Kartäusern gibt. „Nein!“, sagte er, „sie leben ganz für sich, weil sie das so wollen und es zu ihrer Spiritualität gehört.“ „Aber ich bin sehr dankbar, dass sie da sind und dafür, dass sie für uns alle beten. Das gibt mir Kraft.“

Freitag, 6. Juli 2012

Keine Schublade frei für Gerhard Ludwig Müller???


Er wird mir geradezu sympathisch, der Bischof em. Gerhard Ludwig Müller von Regenburg, inzwischen dort emeritiert und zum Erzbischof und „Dritten Mann im Vatikan“ ernannt. Gerade hat der Papst ihn zum Präfekten der Glaubenskongregation berufen. Die Reaktionen darauf sind – gelinde gesagt - „gemischt“. Ich würde sagen: Meine Güte, hat der arme Mann Gegner! 
Selbst das sonst so sachliche ZDF garniert seinen Bericht über die Ernennung so mit Einseitigkeiten, dass man meinen könnte, Johann Tetzel persönlich sei zurückgekehrt. Oder Bischof Müller sei zum Großinquisitor ernannt und gleich wieder mit diesem Titel ausgezeichnet worden. Dabei wäre es doch eigentlich einmal ein guter Anlass gewesen, fröhlich zu jubilieren und zu rufen: „Wir sind Papst...“, nein, das jetzt nicht... Aber warum nicht einfach froh darüber sein, dass ein deutscher Theologe auf diesen vor allem theologisch so wichtigen Posten berufen wurde. Schließlich wurde immer wieder betont, es sei das „drittwichtigste“ Amt im Vatikan. Und daher kann es doch nur gut sein, wenn hier jemand arbeitet, der von der Sache etwas versteht und eigenständig zu denken gelernt hat. 

„Als Präfekt der Glaubenskongregation ist dieser bornierte Scharfmacher fehl am Platz“, soll Hans Küng gesagt haben. Es versteht sich von selbst, dass auch „Wir sind Kirche“ von der Ernennung nicht erfreut ist. Schließlich hatte Gerhard Ludwig Müller als Bischof von Regensburg mit den engagierten Laien gerne einmal „die Klinge gekreuzt“ und so manchen Strauß ausgefochten. Manchmal sogar vor kirchlichen und weltlichen Gerichten. Trotzdem bescheinigt der Vorsitzende des Landeskomitees der Katholiken in Bayern, Albert Schmidt dem Bischof einen „ansteckenden Humor“ und sieht in ihm eine „Idealbesetzung in diesen schwierigen römisch-vatikanischen Zeiten“. Gerhard Ludwig Müller ist ein Freund des offenen Wortes und ich finde, manchmal schießt er auch über das Ziel hinaus, z.B. als er „Wir sind Kirche“ als „parasitäre Existenzform“ bezeichnete. Was er damit meint, formuliert er nun im Interview mit Radio Vatikan so: „Es darf nicht sein, dass die Einheit der Kirche Gottes gestört wird durch Ideologien, sektenhafte Art – am linken oder rechten Rand –, die auf sonderbare Weise kollaborieren und so der Kirche schaden. Diese Gruppierungen haben leider in manchen Medien mehr Resonanz als die vielen Millionen Gläubigen, die den Weg der Nachfolge Jesu Christi gehen und Vieles und Gutes leisten für den Aufbau der Kirche." Ich mag ihm und seinen Einschätzungen nicht widersprechen. Zumeist lohnt es sich bei Müller, den ganzen Text zu lesen und von dort her die ein oder andere Spitze zu verstehen. Es wäre wünschenswert, wenn er selbst es seinen Kritikern durch übertriebene Zuspitzungen nicht zu leicht machen würde.

Man sollte nun meinen, wenn ein „(erz-)konservativer“ Bischof auf diesen Posten berufen wird, sollte die konservativ – fromme Szene jubilieren. Aber weit gefehlt: Pius-Bischof Alfonso de Galarreta kommentierte noch am selben Tag – offensichtlich spontan in seine Predigt zur Priesterweihe eingefügt – der Papst habe einen „Häretiker“ zum Glaubenswächter ernannt. Damit habe er sprichwörtlich „den Bock zum Gärtner“ gemacht (Das ist jetzt kein Zitat). Nun, de Galarreta hat ihn nicht direkt „Häretiker“ genannt, aber gesagt: „Es ist unglaublich, dass wir heute so weit sind, dass der Oberste Hüter des Glaubens Häresien verbreitet.“ Auf diese Unterscheidung (worin auch immer der Unterschied genau liegt) legte man zunächst bei der Piusbruderschaft wert. Doch nur einen Tag später legte man durch P. Matthias Gaudron nach, der eine offizielle Erklärung veröffentlichte und darin benannte, worin die Häresien des neuen Präfekten der Glaubenskongregation denn nun – nach Ansicht seiner Bruderschaft – bestehen. Ob er für diesen Text wohl die Originaltexte Müllers gelesen hat? Jedenfalls klingt die Erklärung, als habe er sie eher bei kreuz.net und den einschlägigen Blogs zusammengestoppelt. Vom Dogmatiker der Piusbruderschaft hätte ich mehr erwartet! 
Und die Vorwürfe sind zumeist so auf einen Satz zugespitzt, dass man sich fragt, was Gaudron und seine Piusbruderschaft mit dieser Attacke erreichen möchten. Immerhin ist der zukünftige Kardinal Müller letztlich der Mann, der in Sachen Versöhnung mit der Bruderschaft ein sehr gewichtiges Wort mitzusprechen hat. Will man hier gleich im Vorfeld das persönliche Klima so vergiften, dass ein Scheitern der Versöhnungsbemühungen dem Vatikanischen Behörden in die Schuhe geschoben werden kann? Ich mag mir die taktischen Spielereien (mit dem Feuer) hinter den Kulissen der Piusbruderschaft gar nicht ausmalen. Schade, wie hier das Entgegenkommen des Hl. Vaters verspielt wird. Aber ich schweife ab. Jedenfalls bin ich sehr gespannt, was Bischof Müller oder Bischof Fellay zu einer Befriedung der Situation beitragen wollen.
Es kann doch selbst in der Piusbruderschaft niemand ernsthaft glauben, dass der Hl. Vater nicht intensiv geprüft hat, wen er für diese gewichtige Aufgabe beruft und ob seine theologischen Positionen der Lehre der Kirche widersprechen. Wenn die Einzelsätze aus dem theologischen Werk des Bischofs (der gleichzeitig Herausgeber der gesammelten Werke des Papstes ist und bleibt) Anlass zu lehrmäßigen Beanstandungen geben würden) hätte man dies sicherlich im Vorfeld geklärt. Schließlich ist z.B. das Lehrbuch zur Dogmatik des Regensburger Bischofs sogar schon vor seiner Bischofsweihe erschienen. Erste gewichtige Verteidiger von Müller melden sich auch schon entsprechend zu Wort (z.B. Don Nicola Bux)). Nun gut, im Grunde verwundert es natürlich nicht, dass ein dem Sedisvakantismus zuneigender, irregulär geweihter Bischof eigentlich in jedem nach dem 2. Vaticanum geweihten Bischof (mit Ausnahme vielleicht von Albert Malcolm Kardinal Ranjith Patabendige Don ;-)) einen Häretiker erblickt.
Bischof Gerhard Ludwig Müller, ich muss es gestehen, ist mir bisher nicht besonders sympathisch gewesen. Aber, dass seine Ernennung derart widersprüchliche Reaktionen hervorruft, dürfte Beleg für seine Vielseitigkeit und sein eigenständiges Denken sein. So mag es seine Kritiker aus dem „linken Lager“ erstaunen, dass er gemeinsam mit dem Befreiungstheologen Gustavo Gutiérrez ein Buch herausgegeben hat und offensichtlich sogar mit ihm befreundet ist. Als „Ökumenebischof“ war er bei den evangelischen Schwestern und Brüdern in Deutschland durchaus geschätzt und das sogar eher wegen als trotz seiner offenen Worte und seines theologischen Sachverstandes.
Der Mann sprengt die Klischees!
Wie auch immer – ich mache mir wegen der Ernennung von Gerhard Ludwig Müller zum Präfekten der Glaubenskongregation keine Sorgen mehr. Im Gegenteil! Ich bin gespannt, was dieser Mann uns zu sagen hat und ob es ihm gelingt, den Glauben und das Nachdenken über den Glauben wieder mehr zum Gesprächsthema zu machen. Es würde mich freuen, wenn er im Konzert der Meinungen den „vielen Millionen Gläubigen, die den Weg der Nachfolge Jesu Christi gehen und Vieles und Gutes leisten für den Aufbau der Kirche“ eine Stimme gibt und vor allem ihnen sein Ohr leiht und Aufmerksamkeit schenkt. 

Mehr über Erzbischof Müller gibt es bei Wikipedia, den Text von P. Gaudron kann man hier lesen: www.pius.info/offizielle-stellungnahmen/698-distrikt-stellungnahmen/6947-presseerklaerung-zur-ernennung-von-bischof-mueller
Hier findet sich etwas über die Entgegnung aus Rom: www.kath.net/detail.php?id=37270
Und hier eine Beschwerde über die Einseitigkeiten im ZDF: www.kath.net/detail.php?id=37223