Dienstag, 25. Dezember 2012

Joachim mir graut's vor dir - Herzlichen Glückwunsch lieber Kardinal!


Was haben eigentlich so viele Leute gegen Kardinal Meisner? Sicher, als der vor 25 Jahren Erzbischof von Köln wurde, waren die Kölner nicht begeistert. Dem ehemaligen Kölner Kardinal Josef Frings zugeschrieben wird der Satz, dass auf der Wahlliste aus dem Vatikan stets „ein Neger, ein Chinese und einer, der es werden soll“ ständen. Offensichtlich hatten man auch diesmal einen Anderen erwartet oder schon einen genehmeren Kandidaten im Köcher. Und dann sollte dieser konservative Schlesier kommen...
Aber haben die Kölner nicht schon ganz andere „Immis“ umarmt und aufgenommen? 
Es war sicher ein schwieriger Start, weil das Kölner Domkapitel sich zunächst nicht auf den Berliner Bischof als neuen Kölner Erzbischof einigen konnte. Papst Johannes Paul II. favorisierte ihn, das war bekannt, aber die notwendige Mehrheit kam nicht zustande. Erst als der Vatikan den Wahlmodus veränderte konnte Meisner mit 6 Ja-Stimmen und 10 Enthaltungen zum neuen Kölner Erzbischof bestimmt werden. Diesem Gezerre folgten heftige Proteste aus kirchlichen Kreisen. Kein Bilderbuchstart! Und das wirkt bis heute nach. Ich erinnere mich an einen Domführer, der uns erklärte, dass für jedes neue Amtsjahr eines Kölner Erzbischofs ein Stab im Seitenschiff des Domes aufgehängt wird und dass man die Querstange hierfür schon habe verlängern müssen. Es würde daher mal Zeit wieder von vorn anzufangen. Solche kleinen Spitzen gibt es allenthalben. Selbst treu-fromme Kölner Priester können sich manchmal eine launige Bemerkung über den Kanaal Meister nicht verkneifen. 
Andere - wie der SPIEGEL - schmähen ihn als den „Gotteskrieger vom Rhein“ oder gleich als „Hassprediger“. 
Manche geistlichen Gemeinschaften dagegen, wie das Opus Dei, die Legionäre Christi, der neokatechumenale Weg oder die Gemeinschaft von Jerusalem sind ihm sehr dankbar, weil er ihre Arbeit fördert und sie in seinem Bistum tätig sein lässt. Als zuständiger Bischof für RENOVABIS  steht er für die Kirche im Osten ein und sein Engagement für die Christen in der Türkei ist bekannt. Manchen „Liberalen“ ist er zu konservativ und in ganz konservativen Kreisen dagegen gilt er zu sehr als Mann des Wortes und zu wenig als Einer, der seine Überzeugungen in die Tat umsetzt. Die drücken das allerdings drastischer aus. 
Persönlich, so haben es mir einige Menschen berichtet, die einmal zu einem Besuch bei ihm waren, ist Joachim Kardinal Meisner ein freundlicher, sympathischer und guter Gastgeber. Bei der Einführung des Bischofs von Münster (Felix Genn) erlebte ich mit, wie der Kardinal mit einem kleinen Mädchen ein entspanntes Gespräch führte, um die Wartezeit bis zum Einzug in den Dom zu füllen. Daher stammt das Foto auf dieser Seite.
Aber es wird auch berichtet, dass der Kölner Erzbischof „als Chef“ ein hartes Regiment führt oder führen läßt, wenig dialogbereit sei und durchaus „unchristlich“ streng mit Mitarbeitern (Laien wie Priestern) umgehe, wenn ihm deren Arbeit missfällt oder sie sich allzu „kirchenkritisch“ zu Wort melden. Immer wieder geistern solche Geschichten auch durch die Presse. 
Kardinal Meisner taucht immer wieder mit sehr pointierten Bemerkung in den Zeitungen auf. Ob es wohl klug war, sich zu den Familienverhältnissen des Bundespräsidenten zu äußern? Die CDU weiß zu berichten, dass er ihr das „C“ gern absprechen würde. Misslungen war sicher auch die Bemerkung, das „Richter-Fenster“ im Dom passe besser in eine Moschee. Ein anderes Mal sagte er, dass Kunst „entarte“, wenn sie ihre Mitte als „Gottesverehrung“ verliere. Solche Beispiele gibt es noch mehrere. Die Presse ist da auch sehr aufmerksam und legt schnell den Finger in die sprachliche Wunde. 
Dabei zeigt der Kardinal durchaus Offenheit für moderne Kunst und moderne Medien und überrascht auch sonst immer wieder. Im Bistum gibt es die Kunststation St. Peter, das Domradio, das Domforum und das Kolumba – Museum. Als Prediger höre ich Meisner durchaus gern. Er spricht sehr bildhaft und echt überzeugend. Manchmal wirkt seine darin aufscheinende tiefe Frömmigkeit vielleicht naiv oder überfromm, aber er bleibt glaubwürdig, echt und überzeugend. Doch, das sieht nicht jeder so:
„Joachim, mir graut's vor dir“, der Kölner Autor (und ehemalige Dominikaner) Hans Conrad Zander hat es nicht leicht mit „seinem“ Bischof. In seinem gleichnamigen Buch schildert er eine Szene, wo er dem Erzbischof überraschend am Buffet gegenüber steht und stammelt: „Mein Erzbischof!“ Hier das nun folgende Zitat aus diesem Buch: „Fast berührte seine rote Bauchbinde meinen Gürtel. Über seine Raubvogelnase sah er mir in die Augen. Sanft faßte er meine beiden Hände und legte sie in die seinen. Zwei Worte sprach er leise, nur diese zwei: 'Mein Erzfeind!'". 
Wobei die Lektüre des Buches zeigt, dass die beiden sich eigentlich gar nicht so spinnefeind sein können und ich vermute, dass der Kardinal durchaus das ein oder andere Zander-Buch im Regal stehen hat. Nicht nur, weil sie sich in grundsätzlichen Auffassungen über den Glauben (Thomas von Aquin, traditionelle Liturgie, Zölibat u.ä.) näher sind als viele glauben, sondern weil der Kölner Erzbischof durchaus Humor hat. Obwohl, damit hat Zander recht ... in Sachen Religion und Glaube versteht Meisner wenig „Spaß“. Es wäre spannend einmal zu hören, was er wohl vom Heiligen Filippo Neri denkt?
Ich finde aber, es lohnt sich wirklich Meisners Gedanken zur Kenntnis zu nehmen. Er ist durchaus ein Mann des Wortes. In seinen Interviews, seinen Texten, seinen Predigten gibt es immer wieder überraschende, anrührende, überzeugende Formulierungen und Gedanken. Es ist interessant, was er auf www.direktzumkardinal.de den unterschiedlichen Fragestellern (aus verschiedenen kirchlichen „Lagern“) antwortet. Er weicht auch schwierigen Fragen nicht aus und findet – wie ich meine – durchaus gute und richtige Worte. Vielzitiert ist dieses: „Liturgie ohne Diakonie ist Götzendienst.“ Im Welt – Interview mit Paul Badde anläßlich seines goldenen Priesterjubiläums sagte er: „Wenn der Mensch nicht mehr nach oben transzendieren kann, transzendiert er nach rechts und links. Er stillt seinen Ewigkeitshunger an den Gütern dieser Welt und wird doch nicht satt.“ Beim Katholikentreffen in Dresden 1987 sagte er prophetisch: „Wir wollen aber in diesem Land, das unsere Heimat ist, keinem anderen Stern folgen als dem von Betlehem." Und das angesichts des roten Sterns, der allgegenwärtig war. Im Welt-Interview findet sich auch ein vielzitiertes Wort, das gerade besonders in konservativen Kreisen die Runde machte: „Wir können der Entsakralisierung ein Ende machen. Das heißt: Wir müssen aus unseren Kirchen wieder Gotteshäuser machen, wo zu allererst die Liturgie das Mysterium des Glaubens feiert. Zum Beispiel: Wir haben das eucharistische Fasten abgeschafft, wir haben die Kommunionbänke abgeschafft, wir knien nicht mehr nieder - und haben nichts dagegen getan, dass damit auch Ehrfurchtlosigkeit und Banalisierung um sich griffen. Das konnte nicht gut gehen. Wenn wir das Mysterium der Eucharistie wieder aufleuchten lassen, kommen die Menschen von allein zu uns zurück. Wenn es nicht einfach ein Freundesmahl ist, wo man hingeht oder genauso gut nicht, sondern die Teilhabe am Erlösungsopfer Christi. Deshalb feiern wir nächstes Jahr ja auch in Köln den Eucharistischen Kongress, der dieses Bewusstsein wieder ins Zentrum rücken möchte.“ Das ist ein echter Meisner. Wer aber nun glaubt, der Kardinal wird jetzt allenthalben die Kommunionbänke wieder neu einbauen lassen, dürfte falsch liegen. Es kommt – und das weiß er sehr wohl - auf die innere Haltung an. Aber, die äußerlichen Stützen, die Gesten und Riten haben nun einmal auch innere Auswirkungen. Das wirkt aber nicht automatisch und vermutlich braucht jede Zeit eigene Mittel, um Ehrfurcht und Anbetung auszudrücken. Es geht also eher um eine Suchbewegung: „Wie können wir wieder neu empfinden und auch zum Ausdruck bringen, dass es Christus selbst ist, der im Mysterium der Eucharistie in unser Leben eingeht?“ Das kann das Knien beim Kommunionempfang sein, doch manchmal ist das „Knien“ auch demonstrative Kirchenpolitik oder zur Schau gestellte Frömmigkeitsübung und das ist das genaue Gegenteil von dem, was der Kirchenmann Meisner möchte. 
So dürfte es schwer sein, über die schillernde Persönlichkeit des Kardinals und Erzbischof von Köln, Joachim Meisner ein umfassendes Portrait zu verfassen. Auch mir ist das nicht gelungen. Ich kenne auch bisher kein ausgewogenes Werk oder einen gelungenen Artikel und bin für Hinweise dankbar. Aber, mir scheint, weder seine Gegner, noch seine „Fans“ werden ihm wirklich gerecht. 
So bleibt mir heute nur, ihm zu gratulieren (er hat heute Geburtstag (nun ja, nicht mehr ganz) und feierte vor einigen Tagen sein goldenes Priesterjubiläum) und ihm Gottes Segen für die weiteren Jahre seines priesterlichen und bischöflichen Wirkens zu erbitten. 
Vielleicht wäre es ja gut und richtig, wenn der Hl. Vater ihm als nunmehr 79jährigen die Last des aktiven Bischofsamtes von den Schultern nimmt. Und ich bin sicher, er meint es ehrlich, was er im bereits zitierten Interview aus Zitat eines anderen Kardinals berichtete, dass der, „nachdem er pensioniert war, ... da endlich mehr tun konnte als in der Zeit, als er so viel tun musste. Er brauchte keine Konferenzen mehr zu leiten, keine Sitzungen, konnte kranke Priester besuchen, Einkehrtage halten. Jeden Morgen ging er über den Domplatz, kaufte Brötchen und führte viele Gespräche.“ Dass er das ausgiebig tun kann, das wünsche ich ihm von ganzem Herzen. 

Freitag, 7. Dezember 2012

Hindenburg contra Brandt


Mit Spannung habe ich die Diskussion in meiner Heimatstadt Voerde um die Umbenennung der Hindenburgstraße verfolgt. Ich bin etwas enttäuscht, dass sie nicht „tiefer“ ging. Ich habe wahrgenommen, dass sich die Diskussion vor allem auf Paul von Hindenburg als Nationalisten und Wegbereiter Hitlers zuspitzte. Ich sehe mich sicher nicht als Freund der historischen Gestalt Hindenburg und als Kriegsdienstverweigerer sind mir seine militärischen Erfolge und seine militärische Laufbahn wirklich suspekt. Aber die Entscheidung, die Hindenburgstraße in Willy-Brandt-Straße umzubenennen, scheint mir auch keine Lösung zu sein, die einen gordischen Knoten elegant durchschlägt und der komplexen Lebensgeschichte beider Persönlichkeiten gerecht wird.
Dass die Münsteraner ihren Hindenburgplatz in Schloßplatz umbenennen, das kann ich noch gut verstehen. Wird so doch deutlich, dass die Stadt ein herrliches Schloß besitzt und dass hier nicht von einem Exerzierplatz preußischer Soldaten die Rede ist. Auch weiß jeder aus dem Monopoly-Spiel, dass ein Haus am Schloßplatz teurer sein muss als eines an der Schlesierstraße. Aber selbst die Sylter erreichen ihre Insel weiterhin über den Hindenburgdamm und wer kann schon die historische Tatsache verdrängen, dass der damalige Reichspräsident selbst diesen Damm eingeweiht hat. Aber, historische Tatsachen, das ist ein gutes Stichwort. Die Person Hindenburgs wird umstritten bleiben. Und das ist gut so!
Leider wissen viele Schüler heute nur noch wenig darüber, aber die Namen Hindenburg, Bismarck, Moltke hatten in den Jahrzehnten vor der Machtergreifung Hitlers einen besonderen Klang, der teilweise zum Mythos stilisiert wurde und bis zum heutigen Tag nachhallt. Heute sehen wir all das zu Recht kritisch, obwohl uns durch den zunehmenden zeitlichen Abstand geschichtliches Wissen und konkrete Erinnerung verloren geht. Aber, was wird eigentlich besser, wenn wir Hindenburg aus dem „Straßenbild“ tilgen? Wäre es nicht sinnvoll, sich mit seiner Persönlichkeit und mit seinen Leistungen und seinem Versagen auseinanderzusetzen? Ich kann mir vorstellen, dass es durchaus einen Erkenntnisgewinn bringen könnte, Hindenburgs Anteil an der Machtergreifung differenziert zu betrachten und auch sein „erstes Leben“ mit in den Blick zu nehmen. Vielleicht sind ja durchaus achtenswerte Verdienste darunter, die auch dann noch leuchten dürfen, wenn sein Versagen als „Steigbügelhalter Hitlers“ benannt wird. Einen "netten" Aspekt bringt Wikipedia und weist darauf hin, dass Paul von Hindenburg das einzige deutsche Staatsoberhaupt ist, das jemals vom Volk direkt gewählt wurde.
Möglicherweise hätte es ja auch eine andere, salomonische Lösung gegeben, indem man an die (wenigen) Straßenschilder die Ergänzung „Ulica Zabrze“ angeschraubt hätte, was in der Summe die Straße nicht nach Hindenburg selbst benannt hätte, sondern nach dem gleichnamigen Städtchen in Oberschlesien, mit dem unsere Stadt Voerde durch manche Bewohner durchaus mehr verbunden ist als mit dem Generalfeldmarschall. Und Hitler würde – wenn er es könnte – sich wegen der polnischen Namensergänzung sicher im Grabe umdrehen.
Sicher, Zabrze hat sich selbst auch 1915 den neuen Namen „Hindenburg“ gegeben, nach eben diesem Generalfeldmarschall. Aber zu dieser Zeit war der noch ein unumstrittener Volksheld und kein Greis, der den weltgeschichtlichen Fehler machte, Hitler alle Macht in die Hand zu geben und der sich für dessen Machtinteressen allzu widerstandslos gebrauchen ließ. Hindenburg selbst konnte dessen verbrecherische Potential allenfalls erahnen. Er stand im Krisenjahr 1932 in seinem 85. Lebensjahr. Mitte 1934 ist er gestorben. Die weiteren Folgen seiner Entscheidungen musste er nicht mehr miterleben.
Aber mal ehrlich! Im Leben eines jeden Menschen, erst recht eines Politikers gibt es reichlich Licht und reichlich Schatten. Wer möchte heute Martin Luthers Bedeutung wegen seiner Ausfälle gegen die Juden verneinen, welche Waldorfschule dürfte noch an Rudolf Steiner erinnern, wegen seiner rassistischen Überzeugungen und wer noch Richard Wagner hören oder spielen. Darf noch eine Straße nach von Moltke (dem Generalfeldmarschall) heißen oder gar nach einem der deutschen Kaiser, wenn wir nicht in der Lage sind, einen Menschen in all seiner Gebrochenheit zu sehen. Wenn wir unser christliches Erbe ernst nehmen, dann gibt es den Aspekt, dass Schuld klar benannt wird, aber auch Vergebung möglich sein muss. Aber Vergebung wäscht keine Biografie rein, dennoch ist ein Neuanfang möglich. Heute hat man den Eindruck, dass manche „Sünden“ nicht mehr vergeben werden und betroffene Prominente für immer in der Versenkung verschwinden. Allerdings – Vergebung setzt auch Einsicht und den Willen zur Umkehr voraus.
Keine Frage, es gibt Lebensläufe, da ist das Dunkel so groß und der Schatten so lang, dass sich jede Form von öffentlicher Achtung und Gedenken verbietet. Und die Überzeugung, dass dies nicht geht, kann auch im Laufe der Jahre noch nachträglich wachsen. Aber ist das bei Paul von Hindenburg wirklich der Fall?