Dienstag, 8. Dezember 2015

Eine Lanze für den Weihnachtsmann! (ausgerechnet...)

Alle Jahre wieder … kommt mit untrüglicher Sicherheit eine Kampagne gegen den Weihnachtsmann! Seit Jahren besetzt das Bonifatiuswerk diese kirchliche Nische erfolgreich mit seiner „weihnachtsmannfreien“ Zone. Gegen den fetten Typen mit Bömmelmütze und plüschbesetztem Bademantel setzt das katholische Diaspora-Hilfswerk den Hl. Bischof Nikolaus. Mehr aus dem evangelischen Raum kommt dagegen die Initiative „Wir glauben ans Christkind – Gebt dem Weihnachtsmann keine Chance“. Jahr für Jahr werden solche Grafiken unter Christen gern geteilt und weiter gereicht. 

Hochinteressant ist im wirklichen Leben das Gespräch mit Kindern darüber, wer eigentlich zu Weihnachten die Geschenke bringt, vor allem, was für Gedanken und Phantasien rund um diese geheimnisvollen Gestalten in Kinderköpfen herumgeistern. 

Quelle: Wikipedia
Ich sehe mich selbst als bekennenden Katholiken, bin wohl sogar etwas „konservativ“ angehaucht. Und trotzdem möchte ich heute eine „Lanze“ für den Weihnachtsmann brechen. Ich sehe „das Christkind“ als Gegenfigur durchaus skeptisch. (Danke an Sr. Barbara Offermann, die mich unfreiwillig auf diese Spur brachte.)

Gemeinhin gilt Martin Luther als „Erfinder“ des Christkindes. Um das Jahr 1535 soll dieser für seine Anhänger die Bescherung am Nikolaustag abgeschafft haben. Aber schon bald wurde er mit der Tatsache konfrontiert, dass sich die Leute liebgewordene Bräuche ungern nehmen lassen. Selbst wenn die geistliche oder religiöse Grundlage hierfür längst weggefallen ist. Eine Erfahrung, die schon die frühchristlichen Missionare machen mussten, die sich zumeist damit aus der Bredouille brachten, den jeweiligen Brauch zu „taufen“, ihm also einen neuen, christlichen Sinngehalt zu geben. Es ist ja kein Zufall, dass wir heute Weihnachten am Fest der Wintersonnenwende feiern. 

So sah sich Luther genötigt, den Geschenkebrauch auf das Weihnachtsfest zu verlegen (datiert wird das schon auf 1531). Als "kyndisch ding" lehnte Martin Luther auch das Brauchtum um den Hl. Bischof Nikolaus in einer Predigt zu dessen Fest 1527 entschieden ab. Die Geschenke brachte, so der erste Prediger der Reformation, daher „der Heilige Christ“, also Christus selbst, der ja der eigentliche Grund der Weihnachtsfreude sei. Daher wurden alle Schenkbräuche (auch vom Fest der unschuldigen Kinder ist ein solcher überliefert) auf den Weihnachtstag gelegt. Besonders erfolgreich war Luther mit seiner Initiative jedenfalls nicht. Selbst im eigenen Haushalt wurden noch lange Nikolausgeschenke eingekauft, wie u.a. durch Abrechnungen von 1535 belegt ist. In einem Kernland der Reformation hat sich „Sinterklaas“ bis heute erhalten und aus dem seiner Bischofstradition beraubten Nikolaus entwickelte sich als weihnachtlicher Geschenkebringer der Weihnachtsmann. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die Darstellung des „Nikolaus“ im Struwwelpeter von 1845, schon fast 100 Jahre vor der legendären Coca-Cola-Reclame. Der wenig später aufblühende Postkartendruck brachte ebenfalls zahlreiche Weihnachtsmanndarstellungen in die europäische Welt. Im multikonfessionellen Amerika trat der Weihnachtsmann seinen Siegeszug an, konnte seine Wurzeln im Heiligen Klaus – Santa Claus aber nicht ganz abstreifen, während die Engländer diese Gestalt heute konsequent Father Christmas nennen. 

Ich glaube, wir Christen geben uns einer gefährlichen Illusion hin, wenn wir allzu arglos das „Christkind“ zur zentralen Figur des weihnachtlichen Festbrauchs machen. Natürlich verbinden wir Christen (das Christkind ist inzwischen ja interkonfessionell und hat seine lutherischen Wurzeln verloren) mit dem Christkind unmittelbar das Christus-Kind in der Krippe. Aber eine Bildrecherche bei Google mit dem Stichwort „Christkind“ sollte uns schnell die Augen öffnen, dass das Christkind mitnichten mit dem göttlichen Erlöser gleichzusetzen ist. Zwei Drittel aller Bilder zeigen nämlich eine Art Engelwesen, meist ein Mädchen in weißen Kleidern. Die einsame Spitze dieser Christkind-Kultur ist das Nürnberger Christkindl, eine junge Frau mit Krone im faltenreichen Goldglitterkostüm. Das ist ohne Zweifel stimmungsvoll und schön, aber ist es auch christlich? Das Christkind ist nicht weniger in der Gefahr zu einer Phantasiefigur zu werden wie der Weihnachtsmann eine ist. Ich frage mich ernsthaft: Wo ist der Fortschritt mit Blick auf die christliche Verkündigung? Wollen wir ernsthaft unseren Kindern erzählen, dass ein neu geborener Säugling der Geschenkebringer ist? Wo ist der "Mehrwert", wenn wir versuchen sollten, das Christkind gegenüber dem Weihnachtsmann zu betonen? Mir scheint es durchaus vertretbar, wenn am Weihnachtstag erzählt wird, dass die Geburt Jesu Christi ein so großes Geschenk für uns ist, dass wir das auch ganz leibhaftig erfahren möchten, dass wir "Beschenkte" sind... Oder, dass die Weihnachtsfreude uns dazu bringt, unsere Mitmenschen zu beschenken. Wenn man den Kindern schon Geschenke geben möchte ohne selbst als Schenkender im Mittelpunkt zu stehen, warum sollte nicht ein Weihnachtsmann diese bringen? Mir erscheint das nicht schädlicher, als wenn die Kinder sich eine Art Rauschegoldengel vorstellen, den man "Christkind" nennt. Die Frage ist letztlich nur, wie viel Raum wir dieser Phantasiefigur lassen.

Raum auch in dem Sinne, dass wir diese Gestalt „klein“ halten. Daher sollten wir schön weiter unsere katholischen Feste feiern und die Bräuche dazu pflegen, St. Barbara, St. Nikolaus, St. Lucia. Den Advent in seiner kargen Schönheit. Und den Weihnachtsmann, der sich wie alle Neophyten kaum ausrotten lassen wird, den sollten wir liebevoll vereinnahmen. Er hat ja schon so manchen Wandel mitgemacht und im Grunde schon ein ehrwürdiges Alter. 

Denken wir einmal an die volkstümlichen Begleiter des Hl. Nikolaus. Aus christlicher Perspektive kommt der natürlich ohne Krampus oder Knecht Ruprecht aus. Und viele christliche Nikoläuse lehnen einen solchen Begleiter ganz ab, bzw. haben ihn von der angsteinflößenden Gestalt zu einem Helfer und Diener weiterentwickelt. 

So etwas bietet sich doch auch für den Weihnachtsmann an. Warum sollte er nicht einfach ein Helfer, ein Diener Jesu Christi sein. Im „Väterchen Frost“ oder „Jultomte“ gibt es ja auch einige Wurzeln des Weihnachtsmannes, die man etwas wiederbeleben könnte. Wichtig ist, dass diese Figur eindeutig als Märchenfigur gestaltet und dargestellt wird. Und noch viel wichtiger ist, dass die wahre Weihnachtsgeschichte, in alle ihren Facetten den Kindern (und Erwachsenen) erzählt und verkündigt wird. 

(Ein nicht zu unterschätzender Vorteil solcher Märchenfiguren ist doch, dass sie den unvermeidlichen Kitsch und Kommerz anziehen, wie das Licht die Motten. Auch diese Eigenschaft sollten wir zu schätzen lernen. Es ist besser, eine Phantasiefigur verkommt, als dass ein Heiliger mißbraucht oder die Botschaft Christi verbogen wird.)

Ich glaube, der Weihnachtsmann ist nur deshalb so erfolgreich gewesen, weil er ein Bedürfnis von Kindern und Erwachsenen aufgreift. Ein Bedürfnis, das auch in zahlreichen Märchen seinen Ausdruck findet, ein Bedürfnis, das auch im grassierenden Engelglauben und in der Faszination von Mythen über Elfen, Feen, Zwerge, Heinzelmännchen und Trolle Gestalt gewinnt. Welches kleine Kind „glaubt“ heute nicht an die Zahnfee, ohne dass sich christliche Missionare bemüßigt fühlen, den Kindern diesen Irrglauben auszutreiben. Warum meinen wir dann, es sei für die christliche Verkündigung in irgendeiner Weise schädlich, wenn an Weihnachten ein Weihnachtsmann heimlich Geschenke unter dem Weihnachtsbaum plaziert? Das scheint mir weniger gefährlich, als wenn aus dem „Christkind“ etwas wird, was mit dem menschgewordenen Gottessohn allenfalls noch den Namen gemeinsam hat und von dem sich Kinder dann im etwas höheren Alter verabschieden. Wenn es völlig schief läuft, flattert möglicherweise das Christkind in trauter Eintracht mit der Zahnfee ab in das Reich ungestörter kindlicher Phantasien und Kindheitserinnerungen. 

Das dicke Ende einer solchen Entwicklung ist dann der Pfarrer, der in der weihnachtlichen Festpredigt den Andächtigen erläutert, dass der Weihnachtsbericht der Evangelien doch eher ein Märchen, denn die Schilderung einer Wirklichkeit sei. 

Ich glaube, wer ernsthaft der grassierenden Weihnachtsmannvermehrung etwas entgegen setzen möchte, der muss die tiefen christlichen Bräuche ausdauernd und liebevoll pflegen. Er muss die Botschaft Christi dem Evangelium treu verkünden und vielleicht die irrlichternde Gestalt des Weihnachtsmannes liebevoll und christlich wieder an die Hand nehmen. Niemand braucht einen Weihnachtsmann einzuführen, wenn niemand ihn vermisst. Wenn er aber auftaucht darf er sein, so wie die Zahnfee sein darf und der Osterhase... Kinder wissen und spüren meist sehr genau, dass die Realität solcher Märchenfiguren eine sehr Spezielle ist. 

Als Christen haben wir doch einen Sisyphuskampf gegen diese Phantasiegestalt gar nicht nötig. Wir können sie humorvoll und spielerisch stehenlassen und getrost warten, bis sie sich von selbst auflöst. Bis dahin: „Sei gegrüßt, lieber Nikolaus...“ und „O Heiland reiß die Himmel auf“ und wenn es sein muss auch „Stille Nacht, heilige Nacht...“. 

P.S.: Ein kleiner Hinweise für alle, die sich nicht die Mühe machen, den gesamten Text zu lesen. Er ist nicht so bierernst gemeint. Aber als engagierter Nikolausverehrer macht mir der Weihnachtsmann keine Angst. Ich glaube, wir Christen sollten gut nachdenken, wo wir unsere Energie investieren. Dazu soll dieser Adventskalendertext Anregungen bieten.

P.P.S.: Hier geht es zum Adventskalender der katholischen Blogger:
http://katholon.de/adventskalender-2015/
http://heikesanders.blogspot.de/2015/11/adventskalender-der-blogoezese-2015.html

Hier findet sich das Türchen für den 10. Dezember 2015: http://brotundglanz.blogspot.de/2015/12/das-leuchten-der-anderen.html

Freitag, 4. Dezember 2015

Die "Pastis" und Gottes Richter!

(c) Bischöfliches Offizialat, Münster
Zu der am Montag (30.11.15) in der ARD ausgestrahlten Sendung: „Richter Gottes – Die geheimen Prozesse der Kirche“ ist eigentlich schon alles gesagt worden. Die Fernsehkritik hierzu von Regina Einig in der Tagespost - Ausgabe vom 3.2.2015 veranlasst mich dennoch dazu, einige spezifische Gedanken hinzuzufügen.

Ja, ich habe mich auch darüber geärgert, wie die zumeist segensreiche Arbeit kirchlicher Gerichte in der sogenannten Dokumentation „Richter Gottes“ dargestellt wurde. Also, weitgehend Zustimmung zur kritischen Sichtweise aus dem Raum der Kirche, auch zu dem Artikel von Regina Einig. 

Der Hals schwoll mir allerdings ein wenig bei der Formulierung, die mir jemand auf anderem Wege, durchaus nicht ohne Häme übermittelte: „Indirekt stellt die Sendung die Qualität des Theologiestudiums hierzulande in Frage. Wenn ein Pastoralreferent kirchliche Gerichte als "Kontrollinstrument" über das Privatleben kirchlicher Mitarbeiter einschätzt und für ihre Existenz "obskure Machtgründe" ins Feld führt, weckt das Zweifel am Sinn seiner theologischen Studien. In Zeiten, in denen afrikanische Gläubige in deutschen Kirchenkreisen abenteuerlichen Unterstellungen ausgesetzt sind, ermutigte diese Sendung Afrikaner zur Gelassenheit und setzte ein dickes Fragezeichen hinter die Kompetenz der "Pastis".“

Mir waren schon während der Sendung ebenfalls die beinahe unglaubliche Ungereimtheit aufgefallen, dass die Partnerin des angeblichen Pastoralreferenten Peter sich scheut, ihren Namen am Klingelschild anzubringen, während das Paar aber offenbar glaubt, nach deutschlandweiter Ausstrahlung einer Fernsehsendung anonym bleiben zu können, obwohl beide deutlich zu erkennen waren, offensichtlich aus der Region um Köln kommen und auch noch mit Vornamen benannt wurden. Ein Pastoralreferent ist im Regelfall im Ort und in seiner Gemeinde bekannt wie ein „bunter Hund“. Da wäre es sicher deutlich weniger problematisch, ein Klingelschild zu beschriften als sich derart zu exponieren. Natürlich weiß auch der „Kollege“, dass er im kirchlichen Dienst nicht mit einer Frau unverheiratet zusammenleben sollte, bzw. wenn er dies tut, dies nach Rücksprache mit seinen Vorgesetzten, sofern es sich um eine platonische oder geistliche Lebensgemeinschaft handelt. Das hat zunächst auch nichts damit zu tun, dass die Frau noch mit einem sakramentalen Eheband an einen anderen Partner gebunden sein könnte. Natürlich weiß er auch, dass zu seinem Zeugnis auch das Lebenszeugnis gehört und dass der „Dienstgeber“ Kirche erwarten darf, dass er die Konsequenzen zieht, wenn seine private Lebensführung und seine Liebe „Priorität“ erfordert. Zunächst einmal sehe ich nichts Ehrenrühriges darin, sich in eine Frau zu verlieben, die bereits in einer anderen Beziehung gelebt hat. Manches im Leben entscheidet nun mal nicht der Verstand allein!

Ich bin ebenfalls Pastoralreferent (eigentlich Gemeindereferent) und ich kann es gut nachvollziehen, in welch schwieriger Situation ein solches Paar stecken wird. Ich zitiere in diesem Zusammenhang einmal einen Abschnitt aus dem Hohen Lied. Auch wenn dieser Text vermutlich eine etwas andere Liebe im Blick hat, wenn dort geschrieben steht: „Stark wie der Tod ist die Liebe, / die Leidenschaft ist hart wie die Unterwelt. Ihre Gluten sind Feuergluten, / gewaltige Flammen. / Auch mächtige Wasser können die Liebe nicht löschen; / auch Ströme schwemmen sie nicht weg. Böte einer für die Liebe den ganzen Reichtum seines Hauses, / nur verachten würde man ihn.“ Vermutlich spricht der Autor auch von der Liebe zwischen zwei Menschen als Erfahrungshintergrund zur Poesie der Liebe zwischen Gott und Mensch. 

Wenn die Liebe also stark ist, muss sie im Zweifel auch den Vorrang vor sonstigen Lebensplanungen bekommen. Diese Entscheidung habe ich vor vielen Jahren auch schon einmal getroffen und zwar noch bevor ich vom Ausgang eines Ehenichtigkeitsverfahrens erfuhr, das mich mittelbar auch betreffen würde. Ich habe selbst „einschlägige Erfahrung“, weil meine Frau, mit der ich inzwischen seit fast 20 Jahren sakramental verheiratet bin (und vier Kinder erziehe), ebenfalls bereits eine – wenn auch sehr kurze – Ehe hinter sich hatte, als wir die im Hohen Lied besungene „Stärke“ der Liebe erfuhren.

Natürlich kennt und akzeptiert man den Rahmen, in dem man sich im kirchlichen Dienst bewegt. Es muss einem natürlich nicht gefallen und es wird einem auch nicht gefallen, wenn man in einer persönlichen Situation steckt, die klare Entscheidungen fordert. So etwas ist schwierig und menschlich. Meine spätere Frau hat die Gültigkeit ihrer ersten Ehe prüfen lassen, mit dem Ergebnis, dass diese durch zwei Kirchengerichte als ungültig erkannt wurde. Ich kann weder über das Ehegerichtsverfahren noch über das Bistum etwas Negatives aus dieser Zeit erzählen. Auch meine Frau hat sich nur positiv über die am Verfahren beteiligten Personen geäußert, die ihr eine tiefe Reflexion der gescheiterten Beziehung ermöglichten. 

Warum Frau Einig sich bemüßigt fühlt, einen im fortgeschrittenen Alter offenbar erstmals so richtig verliebten Kollegen als "pars pro toto" vorzuführen und warum seine negative Grundhaltung bzw. aus der Emotion heraus gegebenen Antworten in dieser Frage Hinweise auf seine theologische Kompetenz geben soll erschließt sich mir nicht. Ich möchte ungern in „einen Sack gesteckt“ werden mit einem Kollegen, der sich - möglicherweise aus persönlicher Betroffenheit - unsauber äußert.

Ich kann auch nicht erkennen, warum diese doch eher privaten Äußerungen (ich bin auch gespannt, ob der Betroffene sich noch selbst hierzu zu Wort meldet) irgendeinen Hinweis auf die Qualität der theologischen Ausbildung geben sollen, weder auf die Qualität der Lehre an der Universität Bonn (wo der Kollege ja möglicherweise studiert hat) noch auf die an anderen Universitäten, Fachhochschulen und Hochschulen in unserem Land. 

Inwieweit dort neben dem allgemeinen Kirchenrecht und dem Eherecht auch Einblicke in die konkrete Arbeit eines kirchlichen Ehegerichts vermittelt werden, entzieht sich meiner Kenntnis. Woran Sie möglicherweise merken, dass meine Ausbildung einen anderen Weg als den an einer theologischen Fakultät einer deutschen Universität genommen hat. Persönlich betrachte ich die Einrichtung Ehegericht keinesfalls als „Kontrollinstrument“ und wähne auch keine „obskuren Machtgründe“ dahinter. Mit Kirchenrecht und kirchlicher Gerichtsbarkeit habe ich mich natürlich auch über die reinen Ausbildungsinhalte hinaus auseinandergesetzt, zumal man immer wieder in seelsorglichen Gesprächen entsprechend Rat zu geben hat. Und das ein oder andere Paar konnte ich auch auf den Weg zum kirchlichen Ehegericht begleiten. 

Soweit zum Inhalt, nun zum Grundsätzlichen: 
Ich habe überhaupt keine Probleme damit, wenn „unser“ Berufsstand kritisch gesehen wird, wobei ich mich schon frage, ob „wir“ Pastoral- und Gemeindereferenten nicht allzu allgemein in Haftung genommen werden für die von Manchem als negativ empfundenen Veränderungen in der Kirche nach dem 2. Vaticanum. Schließlich wird allgemein angenommen, dass der Berufsstand der Pastoral- und Gemeindereferenten eine „Frucht“ dieses Konzils sei. Manchmal wird er ja auch ebenso gewürdigt und gefeiert. Möglicherweise stimmt das auch, man sollte aber nicht vergessen, dass es auch schon in den 1920er und 1930er Jahren die Seesorgehelferinnen gab, die auch eine „Wurzel“ des hauptamtlichen Laiendienstes in der Pastoral darstellen. 

Interessanterweise begegnet mir der Begriff „Pasti(s)“ nur in Kreisen, die den Berufsstand als Solchen kritisch sehen. Hier wird er in der Regel zur negativen Abstempelung benutzt, die den Berufsträgern in keiner Weise gerecht wird. Nach meiner Wahrnehmung ist das, was hierunter in zahlreichen Onlineforen und Diskussionen verstanden wird, allenfalls eine Chimäre, ein Zerrbild, das den Einzelnen verunglimpft. Ich finde das unfair und würde erwarten, dass man sich die Mühe macht, Menschen die im kirchlichen Dienst, mit bischöflicher Beauftragung und zumeist mit vollem Einsatz tätig ist, nach ihrem Handeln und nach ihren Überzeugungen und Einstellungen zu bewerten und sich mit ihnen entsprechend auseinander zu setzen. 

Als Vater von vier, teils pubertierenden Kindern bin ich Kummer und Auseinandersetzungen gewohnt. Trotzdem ärgert mich, wenn ich oder meine Kollegen in eher traditionstreuen und kirchentreuen Kreisen derart negativ dargestellt werden. Nach meiner Erfahrung sind zahlreiche engagierte und treue Katholiken unter uns Pastoral- und Gemeindereferenten, die es schmerzt, wenn sie pauschal abgewatscht werden. Auch das ist ein Puzzelstück in der allgemein beklagten Krise der Berufungen.

Eine größere Offenheit der traditions- und kirchenverbundenen Kreise für die Persönlichkeiten hinter der Abstempelung „Pastis“ würde sicher auch diesen gut tun und zu einer stärkeren Verbundenheit unter uns Katholiken insgesamt beitragen. Vielleicht auch dazu, dass der ein oder andere Kollege seine möglicherweise problematischen Auffassungen noch einmal bedenkt und in einem weiteren kirchlichen Horizont betrachten kann.

Da es von Regina Einig in diesem Kontext gesetzt wird, möchte ich auch noch eine Bemerkung machen zu dem inhaltlichen Schlenker über Pastis und die Qualität der deutschen/europäischen Theologie hin nach Afrika. Staunend habe ich in den vergangenen Wochen beobachtet, wie eine missglückte Bemerkung eines Journalisten im kirchlichen Dienst (ich habe ihm das auch persönlich gesagt) mehr und mehr zu einem Skandal aufgeblasen wurde. 

Fakt ist doch, dass Afrika kein Land, sondern ein Kontinent mit einer gewaltigen Vielfalt ist. Fakt ist, dass man über Afrika alles – und nichts behaupten kann und für alles Belege finden wird. Fakt ist auch, dass die Menschen in Afrika in einer weniger säkularisierten, anderen Gesellschaftsordnung leben, die durchaus mehr Raum für persönliche Gläubigkeit bietet. Die Menschen in Afrika dürften sich in den Erzählungen, Berichten und Geschichten der Bibel viel unmittelbarer wiederfinden, als uns das in Europa heute gelingt. Sie sind – das kann man bei aller Unterschiedlichkeit sagen – anders gebildet und sozialisiert als wir im Westen. Weis keinesfalls mit „minder...“ zu übersetzen ist. Bisher ist die spezifisch afrikanische Lebensart (bei aller Unterschiedlichkeit) offenbar für den christlichen Glauben ein „Saatfeld“ und ein „Weinberg“, der viel Arbeit erfordert aber auch reiche Frucht bringt. Aber auf der anderen Seite gibt es in Afrika durchaus Problemfelder für den Glauben, die nicht weniger Schwierigkeiten aufwerfen, als die Diskussion z.B. um den Kommunionempfang für Menschen in einer zweiten Ehe hierzulande.

Ich pflege einige Kontakte nach Uganda, kenne dort Ordensleute, Priester und Katechisten. Gerade letztere tragen und organisieren dort in weit höherem Maße als hierzulande die Pastoral- und Gemeindereferenten das Gemeindeleben mit. Sie halten Katechesen, predigen, feiern Gottesdienste, bereiten diese vor, beerdigen die Verstorbenen... 

Ich bin froh, dass gerade meine afrikanischen Schwestern und Brüder, die als Katechisten, unter widrigsten Umständen und meist mit geringer finanzieller Unterstützung der Kirche hingebungsvoll tätig sind, nicht erfahren, wie wenig ihre „Katechisten“-Kolleginnen und Kollegen hier in Deutschland von frommen Katholiken geschätzt werden. Ich denke, dass jede und jeder, der sich für die Verkündigung des Wortes Gottes und für eine lebendige Kirche engagiert zunächst einmal unsere Unterstützung und unser Gebet verdient. Sicher auch ab und an einmal ein offenes, aber von Wertschätzung getragenes Wort!

Ich denke, für unsere gemeinsame Mission wäre es durchaus nicht abträglich, wenn Menschen die uns sehen und erleben anschließend sagen könnten: Seht, wie sie einander lieben!


Mittwoch, 2. Dezember 2015

Weihnachten, ganz ohne Weihnachten...

Es ist Advent, endlich! Der frisch duftende Adventkranz mit der ersten brennenden Kerze darauf bringt heimelige, vorweihnachtliche Stimmung in unsere Häuser und in unsere Kirchen. Wie schön, wenn man bei Kerzenschein zusammen ist – und nicht auszudenken, wenn diese Geborgenheit jäh zerstört würde. Wie so oft in diesen Tagen, dort wo Terroristen zuschlagen... Erbarmungslos!
Bei uns ist es friedlich – und doch wohnen auch in unseren Herzen manchmal Ärger, Zorn, Neid und Hass... Und doch keimt manchmal der Unfriede, das Unvermögen den Anderen – als Nächsten anzunehmen, die Ungerechtigkeit mitten in uns?

Wenn wir nach „draußen“ schauen, in die Welt um uns herum, dann vergehen allzu heimelige Gefühle. Rundherum gibt es genug Anlass zu Sorge – und Angst.
Da kommen die Lesungen des ersten Adventssonntags wie gerufen! Sie greifen die uralten Ängste der Menschheit auf; Ängste, die uns mit den Menschen der Bibel, mit den Menschen des Mittelalters, mit unseren Groß- und Urgroßeltern verbinden - durch alle Zeiten und Generationen hindurch. Diese Texte wollen die Ur-Ängste der Menschen in eine neue Richtung wenden, sie wollen nicht Ängste schüren, sondern Wege der Hoffnung zeigen. 

Sie weisen auf Jesus Christus, der kommen wird, um uns eine gute Zukunft zu eröffnen. Doch spielt das eigentlich noch irgendeine Rolle im Advent, in der (Vor-)weihnachtszeit?

Ich war in den letzten Tagen in einigen Supermärkten und habe mir dort die Adventskalender genau angesehen. Zusammen genommen waren das bestimmt 60 – 70 unterschiedlichste Modelle, mal preiswert für einen Euro, mal gediegen für den Preis eines soliden Weihnachtsgeschenks. Alles geschmückt mit „weihnachtlichen Motiven“. Ich entdeckte darunter aber keinen einzigen Kalender mit einem christlichen Symbol. (Wenn man mal von niedlichen Putten absieht oder irgendwelchen Sternen).

Einmal aufmerksam geworden, erkundete ich das weitere Warenangebot, auch ein großer IKEA – Markt mit riesiger Weihnachtsabteilung war dabei, doch so „weihnachtlich“ viele Märkte geschmückt sind … all das kommt vollständig ohne die Botschaft vom Gottessohn im Stall, in der Hirtenhöhle zu Bethlehem aus. Nicht mal ein einziges, kitschiges Krippenbild, nichts.

Ich fürchte, dass es wohl inzwischen ein Zeichen unserer Zeit ist, dass der Dezember, dass Weihnachten gefeiert werden kann – ohne dass die weihnachtliche Botschaft dabei zitiert oder nur gestreift bzw. visualisiert wird. Und natürlich erst recht nicht die Texte die von einer anderen Welt, von Erlösung, von der Vollendung der Welt berichten. Wir sollten uns nicht wundern, wenn eines Tages der "Weihnachtsmann" zu einer Erlöserfigur wird. 

Dabei scheint es im Grunde so, als seien die liturgischen Texte der Adventszeit geradezu für die heutige Zeit geschrieben, in eine Welt hinein, die in Unruhe und Aufruhr ist; wo wir uns immer wieder fragen, wer all die Probleme zu lösen noch in der Lage ist. Nur will diese offenbar kaum noch jemand hören. Das viel zitierte „wir schaffen das...“ meint ja "nur" die Bewältigung einer Flüchtlingskrise und noch lange nicht eine Hoffnung auf die Lösung der weit größeren Krise, deren Symptome der Terrorismus, die Armut und Ungerechtigkeit und die Gefährdung unseres Planeten sind. 

Die Weihnachtszeit mit all ihrem Klimbin, kommt einem da manchmal sonderbar vor; wie aus der Wirklichkeit gefallen. Kann das sein, dass man ganz bewusst die Augen verschließt, vor all den Problemen und all der Not? Dass der Advent eine Flucht in eine rosa - glitzende Winterwunderweihnachtswelt darstellt?

Kann das sein, dass der Lichterschein der Kerzen gerade die Not, die Sorgen, das Elend unserer Zeit verschleiern, überstrahlen soll; so wie eine mit lauter Lichterketten beleuchtete Straße, die am hellichten Tag wahrscheinlich ziemlich grau und trostlos aussieht?

Der Papst soll kürzlich sogar davon gesprochen haben, dass die Feier der Weihnacht zur „Scharade“, zum Possenspiel verkommt. 

Selbst die familiäre Krippenszene, die in den vergangenen Jahren manchmal zu einem künstlichen Familienidyll aufgebrezelt wurde, hat im Supermarkt keinen Raum mehr. Weihnachten hat als Fest der "heilen" Familie ebenfalls weitgehend ausgedient. Haben Sie in den letzten Jahren noch einmal irgendwo eine Krippe im Regal entdeckt? Allenfalls als „Grippe“ ausgezeichnet im Billigbaumarkt zum Ramschpreis, möglicherweise noch vereinzelt als „Traditionsmotiv“ im Schwibbogen aus dem Erzgebirge. (Die Kurrendesänger haben schon lange ihre Liedtexte verlernt und die Seifener Kirche ist allenfalls noch Kulisse, nicht nur im Schwibbogen). Nein, heute müssen Weihnachts- und Schneemänner, Winteridylle und Rentiere ran; allenfalls noch niedliche Engel könnten dem Eingeweihten, bei etwas Phantasie vom Himmelreich künden, während sie vom Normalverbraucher in die Fächer mit den Feen und Elfen einsortiert werden, Fabelwesen halt! 

Ob das alles folgenlos bleibt? Was mag es wohl für unsere Lebenswelt, für unsere Gesellschaft bedeuten, dass die christliche Botschaft sich aus der Öffentlichkeit zurückzieht - in die Kirchen hinein?

Was bedeutet das, dass auch im Westen drei viertel der Bürger dieser Botschaft nicht mehr folgen und selbst zu Weihnachten keinen Blick mehr hinter diese Kirchentüren tun? Das Weihnachtsfest findet mehrheitlich ohne uns Christen statt.

Weihnachten wird so auf „das Eigentliche“ zugeführt … wird ein Vehikel zur ultimativen Steigerung des Konsums … und da soll nichts Kritisches stören, nichts die Kauflaune bremsen... Weihnachten, ein Teil einer Reihe von modernisierten Konsumfesten, ja im Grunde das Spitzenereignis im Jahr.

Sonderbar, die Texte, die wir am ersten Advent (und auch später) in der Kirche verkündet bekommen, diese Worte waren als Trosttexte gedacht, selbst wenn sie von großem Chaos, von einer Welt in Aufruhr, voller Angst und Unruhe erzählen. Brauchen wir den Trost nicht mehr?

Von „Bestürzung und Ratlosigkeit“ ist dort die Rede - wie wenn es ein Kommentar wäre, zu all dem, was heute morgen wieder in der Zeitung steht.

Im Evangelium lesen wir, wie wir Weihnachten erwarten sollten: 

Wenn (all) das beginnt, dann richtet euch auf, und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe. 

Richtet euch auf... 

Das würde ich mir wünschen, dass es uns gelingt, aufrecht durch diese Zeit zu gehen, mit Freude auch die schönen, gemütlichen Seiten des Advent zu genießen, aber stets aufrecht zu gehen und dann nicht zu zaudern, sondern all das anzupacken, was sich uns an Problemen stellt. „Wir schaffen das, mit Gottes Hilfe, schaffen wir das...“ Nicht als billige Vertröstung, as politische Floskel, sondern als Ansporn den nächsten Schritt zu gehen, aufrecht!

Richtet euch auf, es gibt keinen Grund sich zu ducken, auch keinen Grund sich weg zu ducken, es gibt keinen Grund, nicht von der Hoffnung zu erzählen, die zumindest als kleine Flamme mitten in unserem Herzen brennt. 

Wir Christen sind eingeladen, Weihnachten wieder mehr christlichen Geist einzuhauchen. 
Wir Christen dürfen Menschen einzuladen, den Kopf nicht hängen zu lassen, sondern sich aufzurichten und den Blick auf Christus zu richten...

Auf Christus, 
der kommt … 
als hilfloses Kind; 

der kommt … 
als notleidender Mensch, 

der kommt … 
selbst noch in jedem Menschen, der denkt, 
die Kirche und den Glauben braucht keiner mehr. 

Der kommt … 
selbst wenn die ganze Welt im Dunkel zu versinken scheint. 

Am Anfang war es nur, 
ein hilfloses Kind in der Krippe. 

Am Ende ist es der, 
der die Tür des Himmelreiches öffnet 
und alles überwindet …
Angst und Sorge
Terror und Krieg
Ungerechtigkeit und Leid, 
ja sogar den Tod!

So richtet euch auf und erhebt euer Haupt!

Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas:

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern:
Es werden Zeichen sichtbar werden an Sonne, Mond und Sternen, 
und auf der Erde werden die Völker bestürzt und ratlos sein 
über das Toben und Donnern des Meeres. 
Die Menschen werden vor Angst vergehen 
in der Erwartung der Dinge, die über die Erde kommen; 
denn die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden. 
Dann wird man den Menschensohn 
mit großer Macht und Herrlichkeit 
auf einer Wolke kommen sehen. 
Wenn (all) das beginnt, 
dann richtet euch auf, und erhebt eure Häupter; 
denn eure Erlösung ist nahe. 
Nehmt euch in acht, 
daß Rausch und Trunkenheit 
und die Sorgen des Alltags euch nicht verwirren 
und daß jener Tag euch nicht plötzlich überrascht, 
so, wie man in eine Falle gerät; 
denn er wird über alle Bewohner der ganzen Erde hereinbrechen. 
Wacht und betet allezeit, 
damit ihr allem, was geschehen wird, 

entrinnen und vor den Menschensohn hintreten könnt.

Freitag, 23. Oktober 2015

Von unerträglichen und übergriffigen Gebeten

Bildquelle: wikipedia (c) lesekreis
Zuletzt machte das gemeinsame Gebet von Christen und Muslimen Furore, als Kardinal Meisner in einem Papier multireligiöse Gebete verbot (2006). Ein Aufschrei ging durch das Land. Einige sahen den Frieden zwischen den Religionen in Gefahr, andere betonten Engstirnigkeit und Intoleranz des Kölner Kardinals. Praktiker stellten hingegen fest: Ja, es gibt bedeutende Unterschiede zwischen den christlichen und muslimischen Gebetstraditionen. Gemeinsam und „öffentlich“ zu beten und Gottesdienst zu feiern, das ist gar nicht so leicht und locker wie sich das anhört. Die katholisch-konservativen Kommentatoren klopften dem Kardinal auf die Schultern. Beäugte man dort doch seit langem skeptisch, was sich nach Assisi 1.0 an entsprechenden Formen entwickelt hatte, schien es hier wieder erste Schritte zur Eindämmung von Wildwuchs zu geben.

Jetzt erregt wieder ein interreligiöses Beten die (einige) Gemüter. Obwohl dieses Beten nur ein knapper Moment am Ende einer großartigen Rede in der Frankfurter Paulskirche war. Manchen Kommentatoren war das angesichts des Inhalts der Rede des Friedenspreisträgers des Deutschen Buchhandels kaum einer Erwähnung wert. Aber, was war genau geschehen?

Der Schiit oder besser, der von der schiitischen Variante des Islam geprägte Muslim, Navid Kermani forderte in der Schlussphase seiner Rede dazu auf, am Ende nicht zu applaudieren, sondern gemeinsam zu beten. 

Er öffnete hierzu einen weiten Raum, erklärte das Gebet im Horizont von menschlichem Wünschen: „Und wenn Sie nicht religiös sind, dann seien Sie doch mit Ihren Wünschen bei den Entführten und auch bei Pater Jacques, der mit sich hadert, weil nur er befreit worden ist. Was sind denn Gebete anderes als Wünsche, die an Gott gerichtet sind? Ich glaube an Wünsche und dass sie mit oder ohne Gott in unserer Welt wirken.“

Eine interessante Initiative! Der Redner hätte auch „neutral“ bleiben können, wie viele andere Preisträger vor ihm, und um eine Schweigeminute bitten. Man hätte sich erhoben und gemeinsam geschwiegen. Das ist vertraut, neutral, das geht – immer und überall. Er hat das aber nicht getan, sondern zum Gebet eingeladen und selbst dabei Gesten des Gebetes gemacht. Diesmal hätte wohl auch Kardinal Meisner nichts dagegen einzuwenden gehabt, sondern sich gemeinsam mit Aiman Mazyek, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime und Josef Schuster, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, erhoben und gebetet. Jeder in seiner Wiese, nebeneinander und doch im Gebet verbunden. 

Die Süddeutsche Zeitung ließ nur einen Moment nach dieser bedeutenden Rede verstreichen, da brach sich ein gewisses Unbehagen aus der Mitte der Redaktion Bahn, das man folgendermaßen überschrieb: „Warum Kermanis Aufforderung zum Gebet ein unerträglicher Übergriff war“. Johan Schloemann sah (anders als im selben Blatt zuvor Franziska Augstein) den Friedenspreisträger schon gemeinsam mit dem IS marschieren: Mit seiner Gebetseinladung „droht er sich an das anzugleichen, was er dem radikalen Islam vorwirft.“ Starke Worte und man möchte unmittelbar nachschauen, was über diesen Autor eigentlich zu sagen wäre... 

Gebet als „unerträglicher Übergriff“, ganz ähnlich wie die SZ klang die erste Eintragung zu einer frühen youtube – Veröffentlichung der Kermani – Rede. „Keiner wagt es, ob dieser unerträglichen religiösen Provokation sitzenzubleiben.“ bemängelt ein User. Offensichtlich hatten hier die kämpferischen Atheisten diese Plattform für ihren Frust entdeckt, denn es folgte eine ganze Reihe solcher Formulierungen und Sprüche. Ich antwortete an dieser Stelle, diese Sichtweise sei kleingeistig und armselig, besonders vor dem Horizont des Inhalts der Rede, die sich mit dem Schicksal der Christen in Syrien und gleichzeitig dem Schicksal der Muslime und der überlieferten arabisch – islamischen Kultur (und ihrer Vorläuferkulturen) beschäftigte. 

Großartig stellte Kermani dar, dass in der Region mit der Unterdrückung und Ermordung der christlichen Gemeinschaften durch eine islamische Terrorsekte nur die Spitze eines Eisbergs sichtbar sei, dass dort Barbaren dafür kämpften nicht nur die nichtislamischen zivilisatorischen Wurzeln auszureißen, sondern gleichermaßen auch die nicht mehr erwünschten Aspekte der jahrhundertealten islamischen Tradition. Er wies darauf hin, dass gewisse Strömungen des Islam wie der Wahhabismus und der damit verbundene Salafismus auch in augenscheinlich friedlichen Regionen der islamischen Welt die kulturellen Wurzeln und Traditionen des Islam selbst zu vernichten bereit sind. Ein Aspekt mehr, der die praktizierenden Muslime in aller Welt mehr als unruhig machen sollte. Der Islam selbst ist in seinen Ursprungsländern in höchster Gefahr.

„Ein Friedenspreisträger soll nicht zum Krieg aufrufen. Doch darf er zum Gebet aufrufen.“ Die Spannung, die in diesen Worten lag (er ließ durchaus offen, ob er das nicht eigentlich gerne täte), traf bei mir (und vermutlich auch bei vielen anderen Menschen) einen Nerv. Wer wünscht sich nicht, dem menschenverachtenden Spuk der IS – Leute ein schnelles Ende zu bereiten! Wer wünscht sich nicht, dreinzuschlagen und hoffte so, die Unmenschlichkeit mit Gewalt und Drohung in den Griff zu bekommen. Wer ist nicht entsetzt und hilflos, dass sich ein Krieg nicht einfach und entschieden beenden lässt! Wen schüttelt es nicht, dass in unserer aufgeklärten Welt noch immer viele Menschen leben, die wirren Ideologen zuhören und ihnen nachlaufen; dass es Menschen gibt, die Trugbildern glauben, dem Trugbild eines Islamischen Staates oder dem Trugbild eines Deutschland, dass als Insel des Wohlstands - nur für echte Deutsche - inmitten einer Welt, die aus den Fugen gerät, Bestand haben kann. 

Anlässlich des unlösbaren Dilemmas vor unseren Augen, ist das Gebet zumindest ein Ausweg. Aber offensichtlich einer, der irritiert, ja der als „übergriffig“ und „unerträglich“ erfahren wird. 

Das sind starke Worte. Worin mag wohl der Übergriff konkret liegen? Glauben die atheistischen Aktivisten, dass dem Gebet eine Kraft innewohnt, gar eine missionarische Kraft? Haben Sie Sorgen, dass das Gebet der Anderen die eigenen Überzeugungen ins Wanken bringt? Trauen sie unserem Beten mehr Macht zu als wir Glaubenden das gemeinhin selbst tun?

Natürlich könnte man auf die Minderheitenbefindlichkeit der Atheisten mehr Rücksicht nehmen, als Kermani das tut. Man ist ja zunehmend in Gesellschaft und Politik sogar geneigt, dies zu tun, weil gerade die kämpferischen Atheisten immer wieder auf Benachteiligungen durch Privilegierung der Kirche und der Religionsgemeinschaften hinweisen. 

Oft sind dies nur gefühlte Einschränkungen, die nicht mit wirklichen Lasten verbunden sind. Sie werden aber mit Verve und Systematik vorgetragen. Manchmal, und in der Vergangenheit zumal, waren es ja durchaus spürbare, wirkliche Verfolgungen, wenn man zu den Wenigen gehörte, die den Gottesglauben ablehnten oder ganz anders glaubten. Und solche alten Geschichten wirken noch nach, wenn heute gefordert wird, Religion habe möglichst ganz aus der Öffentlichkeit zu verschwinden; wenn Kreuze abgehängt werden sollen und manches mehr. Diese atheistischen Grundströmungen und Forderungen tragen aber ganz konkret dazu bei, die öffentliche Religionsausübung mehr und mehr zu einem Tabu zu machen. Wo dies dann auch noch zusammen fällt mit einem zunehmenden Desinteresse an den christlichen Wurzeln unserer Gesellschaftsordung und Zivilisation, sind diese Strategien auch durchaus erfolgreich. 

Es wird inzwischen zum Skandal, wenn einer öffentlich betet, beispielsweise im Restaurant. In gewissen Kreisen wird man heute schon als fundamentalistisch und einer weitergehenden Diskussion unwert betrachtet, wenn man vor dem Essen ein Kreuzzeichen schlägt und so als Betender und Gläubiger einschlägig aufgefallen ist. So mussten es einige Blogger in Berlin erfahren. 

Diese Grundströmungen spielen auch mit, wenn mit Verweis auf nicht christliche Gläubige Weihnachten zum Geschenkefest der Liebe, Ostern zum Frühlingsfest, St. Martin zum Laternenfest und St. Nikolaus zum Weihnachtsmann transformiert wird. 

Ich halte all dies für falsch und fatal. Womöglich war es ein weises Prinzip des preußischen Königs, dass in dessen Reich jeder „nach seiner Façon selig werden“ möge. Soviel muss auch heute möglich sein. 

Ein gemeinsames Gebet ist kein Übergriff! Niemand wird gezwungen zum Gebet. Mir kommt da das Wort des Paulus in den Sinn: „Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.“ Wo sollte dies mehr gelten als in der Kommunikation zwischen Mensch und Gott.

Wer nicht an Gott glaubt, der ist schlicht nicht fähig zum Gebet, nicht fähig zum Gespräch mit einem personalen Gott. Wer Wünsche an eine mysteriöse höchste Macht formulieren kann, der kann dieses tun, ohne einen bärtigen alten Mann als Gott aufgezwungen zu bekommen. Wer den Gottesglauben komplett ablehnt, von dem erwarte ich allerdings, dass er fähig ist, zu respektieren, dass der Sitznachbar dagegen zur Kommunikation über einen allzu engen Welthorizont hinaus in der Lage sein könnte. 

Es ist keinesfalls ein Übergriff, wenn jemand zum Gebet einlädt. Im Gegenteil, wegen eigener Glaubensschwierigkeiten das öffentliche Gebet zu tabuisieren oder das Gebet sogar zu verbieten, das wäre ein wahrhaft unerträglicher Übergriff. 

Die Frage, welchen Raum Religion in einer zunehmend religiös zerfaserten Gesellschaft einnimmt, einnehmen darf, ist sicher noch offen und harrt einer Klärung. Es ist aber sicher der falsche Weg, alle religiösen Regungen und die Religionsausübung in aller Öffentlichkeit auf ein minimalstes, eher atheistisches Niveau herunter zu regeln. 

Die Süddeutsche Zeitung zitiert in ihrer Kritik gar Jesus und das Evangelium selbst, um die steile These der Überschrift zu belegen. „Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten."

Man übersieht dabei den Kontext der Jesusworte und liest die Bibel wie der Salafismus seinen Koran, ohne den Zusammenhang zu beachten. Man missbraucht so das Hl. Buch als Wort-Steinbruch zur Bekräftigung der eigenen Überzeugungen. 

Das Gebet ist, so sagt es Jesus in seiner Erzählung, das Gebet ist kein politisches Statement, es ist auch nichts, mit dem ich mich über andere erhebe: „seht, wie fromm ich bin“. Das Gebet ist auch keine Machtdemonstration in aller Öffentlichkeit, das würde Gebet und Gottesdienst pervertieren. Aber der Glaube an Gott bleibt dennoch etwas entschieden Öffentliches. Christus hat in aller Öffentlichkeit gewirkt, gepredigt, geheilt, Wunder getan. „Ich habe offen vor aller Welt gesprochen. Ich habe immer in der Synagoge und im Tempel gelehrt, wo alle Juden zusammenkommen. Nichts habe ich im geheimen gesprochen.“ Zu diesem, seinem Auftrag stand Jesus sogar im Angesicht seiner Scharfrichter. 

Dass er sich dennoch für ein Gebet im Verborgenen ausspricht, zeigt, dass Gebet und Leben eine Einheit sind, dass das ganz Leben von Gott umfangen ist. Glauben ist nicht, dass man am Sonntag in der Kirche betet und mit dem Schritt durch die Kirchentür die Welt der Religion hinter sich lässt. Im Gegenteil, die Kirchentür ist die Pforte in eine Welt, in der ich dann erst recht Gottes-Dienst und Nachfolge leben darf. 

Jesu Wort gilt, nicht nur im stillen Kämmerlein des privaten Hauses, sondern mehr noch im Kämmerlein des eigenen Herzens und aus diesem Herzen hinaus mitten in die Welt hinein. 

Mitfühlen, Mitleiden, Mitfreuen, Leben miteinander teilen, das st ein Schlüssel zur Lösung vieler Probleme dieser Welt. Ich bin fest überzeugt, dass dieser Schlüssel im Herzen vieler Gläubiger und in den Lehren der Religionen eher zu finden wäre, als in der Verdrängung des Gedankens an einen Gott durch die Thesen des Atheismus und der hierauf basierenden Philosophien.

Jedenfalls konnte mir bisher noch niemand stimmig erläutern, warum die Ablehnung Gottes zur Mitmenschlichkeit und Empathie mit Menschen, die meiner Hilfe bedürfen, mit Flüchtlingen, Armen, Kranken, Alten, behinderten Menschen führen sollte. 

Ich sehe dennoch ebenso klar, dass ein Missbrauch der Religion, vielleicht erst recht dort, wo ihre Vertreter Machtmittel in die Hand bekamen, sehr viel Leid über die Menschheit brachte und bringt. Der später abgesetzte katholische Bischof von Evreux, Jaques Gaillot hat einmal formuliert, dass eine neue Glaubwürdigkeit der Kirche in einem weitgehenden Machtverzicht begründet liegt, leider finde ich die konkrete Formulierung nicht. Im Koran heißt es „Es gibt keinen Zwang im Glauben“ und Papst Benedikt zitiert in seiner Regensburger Rede den byzantinischen Kaiser Manuel II mit den Worten „Der Glaube ist Frucht der Seele, nicht des Körpers. Wer also jemanden zum Glauben führen will, braucht die Fähigkeit zur guten Rede und ein rechtes Denken, nicht aber Gewalt und Drohung…“ (Leider hat ein anderes Zitat dieses Kaisers in dieser Rede allzu viel Aufmerksamkeit gefunden.) Aber bei aller Ablehnung einer „mächtigen“ Religion kann die Antwort auf einige Verirrungen der institutionalisierten Religion nicht lauten, die Religiosität und den Glauben der Menschen ins private Gefängnis einzusperren. 

Ich bin dem muslimischen Migranten Navid Kermani sehr sehr dankbar für seine Gedanken, seine Anregungen, für seine Texte und Bücher, für seine Reden, für seinen Einsatz für die durch den Terror der IS-Fundamentalisten bedrohten Christen, Muslime, all der Menschen in Syrien und anderswo und auch für seinen Anstoß zum gemeinsamen Gebet. Was wären wir heute in Deutschland ohne solche Menschen?!


Kritik in der SZ:

Sonntag, 6. September 2015

Gefährliche Bürger?

Als das Pegida – Phänomen aus dem „fernen Osten“ Dresdens langsam gen Westen wanderte, hatte ich zunächst noch die Deutung für möglich gehalten, hier seien besorgte Bürger auf die Straße gegangen: Menschen die Angst haben; die das ein oder andere Gespräch, das sonst unter Kumpels zu fortgeschrittener Stunde beim Stammtisch gesprochen wurde, nun einmal auf die Straße trügen. Im Grunde – dachte ich - seien die meisten Demonstranten normale Bürger, mit denen man das Gespräch suchen müsse. (Es waren ja auch wirklich solche darunter... )

Es kommt ja immer wieder einmal vor, dass sich ein Gespräch im Freundes- und Bekanntenkreis, in der Familie, an der Theke oder bei Veranstaltungen mit mehr oder weniger vertrauten Personen in eine Richtung entwickelt wo man allzu gern das Thema wechseln möchte. Besonders unbehaglich wird es, wenn es um „Muslime“ „Ausländer“ oder auch mal um Einzelaspekte der Nazizeit geht. Einfacher, aber in der inhaltlich Qualität nicht besser, finde ich Themen wie „die Politiker“ oder „die Kirche“. Da diese Leute in der Regel aber ein unbescholtenes und friedliches Leben führen und keinesfalls als radikale Agitatoren, wütende Steinewerfer oder ruppige Nachbarn auffallen, halte ich sie bis heute für eher harmlos. Zumal viele von ihnen durchaus mitfühlende und sozial aktive Menschen sind. 

Als ich mir das näher rückende Pegida – Phänomen genauer anschaute und Spaziergänge durch die sozialen Medien unternahm, war ich erschüttert, dass der Umgangston hier jede mit Unbehagen ertragene Stammtischdiskussion locker in den Schatten stellt... Da wird man beschimpft und bedroht für Sätze, die im persönlichen Gespräch eine Diskussion durchaus weiterführen. Offensichtlich stellt sich die „Szene“ anders dar, als es in Soundsoviel – Punkte – Erklärungen der X-gida von wo auch immer zu sein schien. Auf der Straße (habe ich mir auch angesehen!) offenbarten sich zahlreiche Pegida – Gesichter gerade nicht als besorgte Bürger sondern als menschenfeindliche Ideologen, denen es weniger um das christliche Abendland als um konkrete Fremdenfeindlichkeit und ihre persönlichen Besitzstände ging. „Mag die Welt draußen auch in Trümmer fallen – ziehen wir uns auf die selige Insel Deutschlands zurück, die dann möglichst auch noch von Arbeitsscheuen und Linkschaoten zu befreien ist..." Oder so... 

Die beiden Publizisten Liane Bednarz und Christoph Giesa haben offensichtlich ähnliche Erfahrungen gemacht und sich in dem Buch „Gefährliche Bürger“ mit den Phänomenen befasst. Ich habe das Buch heute morgen zu Ende gelesen und parallel die Rezenzionen in verschiedenen Medien wahrgenommen. Inzwischen verstehe ich auch, warum manche Rezensenten so schnell über ein Buch schreiben können, für dass ich etliche Tage benötige. Sie lesen es einfach nicht, sondern nehmen sich ein Kapitel oder eine Inhaltsübersicht vor und schreiben so ihre Rezension. Es kann sich ja eigentlich auch gar nicht lohnen, ein ganzes Buch zu lesen, für das der Zeitungsverlag letztlich einen kleinen Artikel honoriert. Natürlich gibt es Rezensionen unterschiedlicher „Tiefe“ und es gibt bestimmt auch berechtigte Anfragen an das Buch „Gefährliche“ Bürger. 

In der Tendenz möchte ich den beiden Autoren, deren Thesen ich zunächst für richtig, aber etwas überzogen eingeschätzt hatte, recht geben. Ein Kritiker schrieb in diesen Tagen einmal, dass die beiden das Phänomen durch das Internet völlig überschätzten. Die neurechte Szene greife mitnichten nach der Macht, sondern betreibe allenfalls Diskursinseln bei facebook und in unbedeutenden Blogs. Auch der FAZ-Kritiker Patrick Bahners schlägt in eine ähnliche Kerbe. Die im Buch beschriebenen Akteure und Allianzen seien im Grunde harmlos. Giesa und Bednarz betätigten sich als „digitale Bürgerwehr“ oder „Hilfsverfassungsschützer“. Warum es aber keinen Grund zur Sorge geben solle, das vermag auch Bahners nicht überzeugend darzulegen. Je mehr ich mir die Dinge anschaue, die auch über meine „Timeline“ schwappen, durch Menschen, die ich eigentlich als Personen schätze und achte, desto mehr beginne ich die Problemanzeige ernst zu nehmen.

Das, was „virtuell“ geschieht und anhand zahlreicher aktueller Beispiele von Giesa und Bednarz geschildert wird, manifestiert sich ja durchaus im wirklichen Leben. Schlimmer noch, es ermuntert Gewalttäter zu unsäglichen Taten und Schreibtischtäter zu unfassbaren Wortmeldungen in den Kommentarspalten von Onlinemedien. 

Da mag man die Schlussfolgerungen von Giesa / Bednarz für überzogen halten; die Problemanzeige bleibt jedoch berechtigt. Als praktizierender und kirchenliebender Katholik erschüttert mich, wie einige Personen auf das Buch und die Kritik an der Nähe zwischen bekennend konservativen Christen und „neurechten“ Gedanken und Akteuren reagieren. So stolperte ich gerade vor einigen Tagen über einen Post zum Buch: „Potzblitz! Da haben sich unsere Screenschützenkönigin und ihr mittlerweile in Ungnade gefallener Flintenspanner ja eine schallende Watschn abgeholt.“ Gemeint war Patrick Bahners Rezension in der FAZ vom 2.9.2015. Und abschließend hieß es: „Dem Hanser-Verlag muß es echt schlecht gehen...“ Die Kritik (auch schon vorher bezüglich eines KAS – Papiers über unheilige Allianzen von Liane Bednarz und Andreas Püttmann geäußert) bleibt erschreckend inhaltsarm und wird erschütternd persönlich. Bissige Bemerkungen über die Haarfarbe der Autorin und Kritik an deren „Kirchenbiografie“ waren da noch die harmloseren Versuche, die Kritik zu entwerten. Natürlich muss ich den Spiegel der mir vorgehalten wird nicht schön finden und erst recht nicht ein – möglicherweise verzerrtes – Spiegelbild. Aber auch ein Beichtspiegel beschreibt nicht meine konkreten Sünden, sondern er hilft mir Anknüpfungspunkte zu finden, wo ich gemeint sein könnte. 

Ich hatte mich auch zuvor schon gewundert, dass – ansonsten durchaus geschätzte – katholische Akteure plötzlich eigenartige Allianzen eingingen. Ein gutes Beispiel war der Umgang z.B. mit Dompropst Feldhoff anlässlich des Abschaltens der touristischen Außenbeleuchtung des Domes. Natürlich kann man das falsch finden, man muss dafür aber nicht in Priesterkleidung auf die Pegida – Bühne klettern oder auf der facebook – Seite des Erzbistums herumpöbeln, sondern kann seinen Widerspruch auch mit guten Argumenten und im angemessenen Ton dem Kölner Domkapitel mitteilen. Ähnlich erging es Kardinal Woelki anlässlich einiger klarer Worte. Feldhoff und Woelki sind ja im Grunde absolut unverdächtig ins „liberale Lager“ zu gehören, aber trotz aller bisherigen Verdienste wurden sie erst einmal munter verbal verprügelt. Es erstaunt wie schnell man doch zu „Wir sind Kirche“ abgeschoben wird, auch wenn man deren Thesen in keiner Weise teilt.

Ich kann verstehen, dass jemand, der namentlich in diesem Buch erwähnt wird, sich gegen eine Einordnung in die „rechte Ecke“ wehrt. Aber nicht von der Hand zu weisen ist doch, dass sich einige katholische Protagonisten verleiten lassen, die Hände von Verbündeten zu ergreifen, mit denen man im Grunde nichts gemein hat. Ich denke als Christen sollten diese Menschen, sollten wir genau hinschauen, was sich hinter vermeintlich verbindenden Schlagworten wirklich verbirgt. Wer einer „Ehe für alle“ skeptisch gegenüber steht, hat auch aus christlicher und dem Katechismus gegenüber verantwortlicher Haltung, genügend Argumente um keine Koalition mit Menschen eingehen zu müssen, die nicht gewillt sind Homosexuellen mit „Achtung, Mitleid und Takt“ zu begegnen. Und wem die Zuwanderung muslimischer Flüchtlinge und deren Integration Sorge bereitet, der braucht keine Zitate des ungarischen Regierungschefs zu teilen und diesen Herrn gegen die klaren biblischen Weisungen zum überzeugten Christen zu stilisieren. Wie viele Katholiken haben sich in den heißen Pegida – Zeiten über die Koalitionen von Antifa und Kirchengruppen bei den Gegendemos gewettert, ohne gleichermaßen die bei Pegida mitmarschierenden rechten Kameradschaften zu problematisieren. Lieber mit 50 Leuten in eine in Kleve zelebrierte tridentinische Messe gehen als mit 100 echten Rechten gegen die kurzzeitige Ausschaltung der Dombeleuchtung protestieren. 

Persönlich ist mir das Kapitel zu den „rechten Christen“ im Buch von Giesa / Bednarz aus drei Gründen zu dünn: 

Einmal kommt es all denen argumentativ zupasse, die das Christentum insgesamt ablehnen und sich für eine politische Marginalisierung des Christentums engagieren. Aber die Parallelität gewisser Kritik sollte uns nicht immunisieren gegen berechtigte Anfragen. Und erst recht nicht ermächtigen, gewisse Autoren aus der christlichen und brüderlichen wie schwesterlichen Solidarität auszuschließen. Die Häme gegen eine Mitchristin, die vielleicht einmal mit mir in derselben Kirche die Hl. Messe mitfeiert und aus demselben Ziborium den Leib des Herrn empfängt, ist schmerzhaft und eine Gewissenserforschung wert. 

Das wirft ein Schlaglicht auf die Frage, wo eigentlich die „rote Linie“ verläuft. Was ist schon „rechts“ und was ist noch „konservativ“ oder „kirchentreu“? Auf diese Frage versuchen Giesa und Bednarz ja eine Antwort und sie stellt sich sowohl für Katholiken, für Christen insgesamt aber auch für alle politisch engagierten Bürger. Um diese Frage kreist ja auch manche Kritik in der Debatte  um das Buch „Gefährliche Bürger“. Aber, müsste die Debatte nicht anders geführt werden? Sollte es nicht möglich sein, zunächst einmal zu sagen: Ja, in der Problemanzeige haben die beiden Autoren recht. Was folgern wir daraus? Die Antworten dürfen sicher vielfältig sein, aber es ist keine Hilfe das Buch zu verreißen und die Parole „Weiter so!“ auszugeben, als habe es die Anfragen nicht gegeben. In einzelnen Interpretationen kann man dem Autorenduo sicher widersprechen, als Beichtspiegel taugt es dennoch. Wo genau die rote Linie verläuft, das wird nur schwer zu klären sein. Vermutlich passt auch das klassische „links-rechts-Schema“ nicht mehr ganz. Vielleicht muss das auch dauerhaft offen bleiben und Gegenstand der weiteren Debatten. Aber solange die respektvolle Diskussion darüber möglich ist, ist auch die Unsicherheit über den Verlauf der roten Linie nicht ohne Wert. 

Was ich in dem Kapitel über „rechte Christen“ noch vermisse, ist eine tiefere Durchdringung der komplexen Szene. So fragt man sich, warum gewisse Strömungen innerhalb oder am Rande der FSSPX oder FSSP nicht auftauchen und deren Verwurzelung in antidemokratischen Netzwerken, vor allem in Frankreich und Amerika. Auch erscheinen mir einige andere Protagonisten und Foren der Tradiszene problematischer als die genannten Persönlichkeiten. Selbst Pastor Spätling ist eher ein Solitär und Sonderling als ein gut vernetzter Stratege. Aber vielleicht kam es den Autoren eher darauf an, den „Graubereich“ von Kontakten zwischen engagierten Christen und neurechten Denkern zu beleuchten, als das gesamte Feld auszuleuchten.

Eine vertiefte selbstkritische Beschäftigung mit den von Giesa und Bednarz beleuchteten Phänomenen erscheint mir auch vor dem Horizont lohnend, dass die neurechten Strategen ja durchaus in unserer Gesellschaft bestehende Probleme benennen, diese aber nutzen (und missbrauchen) für die Ausbreitung ihres Denkens. Das macht sie ja überhaupt erst anschlussfähig für die „Mitte“ der Gesellschaft, für einfache Menschen und verunsicherte „Bürgerliche“. Der Analyse eines Problems aus problematischer Feder mag man ja auch oft noch zustimmen. Ein Beispiel: Natürlich besteht das Risiko, dass sich unter den syrischen Flüchtlingen auch kriegsmüde Aktivisten der „Nusra-Front“ befinden, die ihre Radikalität gleich mit nach Deutschland bringen und eines Tages vielleicht in die hiesige salafistische Szene abgleiten. Aber die Antwort kann ja nicht sein, alle muslimische Flüchtlinge als Nachwuchs für die Salafistengruppen zu betrachten. Es kommt also darauf an, berechtigte Anfragen aufzunehmen und überzeugende Antworten zu geben. Es kommt auch darauf an, die wirkliche Dimension eines Problems zu benennen und dies weder zu verharmlosen noch zu dramatisieren. Aber wir müssen verhindern, dass falsche, menschenfeindliche und antichristliche Lösungsansätze zum Zuge kommen.

Ich denke, wer aufmerksam in die Welt schaut, der wird sehen, dass gewaltige Probleme auf uns zukommen. Ich hoffe sehr, dass die in Politik, Kirche, Journalismus, Wirtschaft und Gesellschaft verantwortlichen und bedeutsamen Personen klug und differenziert bleiben. Das Beispiel von Politikern wie Viktor Orbán oder Recep Tayyip Erdoğan sollte uns vor Augen führen, welchen Schaden der Populismus und die einseitige Ausrichtung auf eine bestimmte Definition von „Volkswohl“ anrichten können. Es kommen stürmische Zeiten und viele Herausforderungen, gerade für Menschen, die aus christlicher Motivation sich in Kirche und Welt engagieren. Allen Unkenrufen zum Trotz hat die Kirche und hat die Botschaft Jesu durchaus die Kraft unser Handeln und unser Europa zu prägen und humaner zu machen. 

„Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt.“ Dieses Wort Jesu könnte uns motivieren, bei der Wahl unserer Partner ein wenig wählerisch zu sein. 

Sonntag, 30. August 2015

Sonntagsgedanken zu Horror und Humanität

„Cayuco approached by a spanish Salvamar vessel“
von Noborder Network - Flickr: 
Dass Menschen Frikadellen mit Nägeln und Rasierklingen bestücken und in Parks verstecken oder mit Rattengift gepuderte Fleischbrocken irgendwo hinlegen, habe ich eigentlich für eines dieser modernen Märchen gehalten, die sich durch soziale Netzwerke verbreiten. Doch ein Artikel im SPIEGEL führte mir vor Augen, das dies inzwischen ein Massenphänomen ist und nicht auf psychisch gestörte Einzeltäter zurückzuführen ist, die ansonsten beispielsweise Pferde auf der Weide dahinmetzeln.

Vor einigen Jahren hat mich ein Roman sehr beschäftigt, wo schon im ersten Viertel die sehr sympathische „Hauptdarstellerin“, mit der ich mich sehr identifiziert habe, über den Haufen geschossen wurde. Es war gar nicht so einfach, den Roman dann noch zu Ende zu bringen. Neben Sach- und Fachliteratur lese ich sehr gern Krimis, aber möglichst solche, wo am Ende die Gerechtigkeit siegt und der Täter zur Strecke gebracht und seiner Strafe zugeführt wird. Verstörend sind für mich die Romane, wo „das Böse“ am Ende siegt und der bestialische Mörder davon kommt. Ob ich mein Weltbild zu revidieren habe? 

Sind solche Romane für mich vielleicht so etwas wie das homöopathische Gegengift zur Grausamkeit in unserer Welt geworden? Möchte ich mich in die wohlige Phantasiewelt zurückziehen, in der es „am Ende“ noch eine Gerechtigkeit gibt und wenn sie nur in einer gerechten Strafe gipfelt?

Solche Gedanken beschäftigen mich sehr. 71 Menschen – vermutlich aus Syrien – erstickten im Auflieger eines Lastwagens! Einen ähnlichen Lastwagen habe ich kürzlich noch über die Insel Ameland gesteuert. Was für eine Vorstellung, darin 71 Menschen zu transportieren. Ein Mädchen aus dem Lager hatte mich gefragt, ob sie nicht im „Kasten“ mal mitfahren könnte. Ich habe das natürlich abgelehnt, denn im Führerhaus bekommt man nichts davon mit, was sich hinten auf der Ladefläche abspielt. 71 Menschen starben – und niemand hat ihnen geholfen: was für ein Horror. Ich denke an die (fast) 71 Kinder aus unserem Sommerferienlager. So viele unterschiedliche Persönlichkeiten... Sie hätten sicher alle Platz gefunden in diesem Laderaum. Früher gab es schon mal solche Wetten im Ferienlagerprogramm... 

Vorgestern haben wir vom Tod der Flüchtlinge erfahren; gestern dann die Horrormeldung: es waren 71 Menschen, darunter auch Frauen und Kinder! Was für ein Schock. Heute morgen habe ich bei Spiegel Online nachgesehen. Die Topmeldung ist das nicht mehr. Stattdessen: Trump; die EU bietet Afrika Geld für die Rückführung von Flüchtlingen; Verteilung der Flüchtlinge in Europa; Heidenau; Aktien... 

Auf den ersten Blick ist das Grauen auf der LKW – Ladefläche gar nicht mehr zu finden. Und gestern gab es ja auch den Bericht über die 200 Flüchtlinge die im Mittelmeer ertranken.... Ich kann nichts dagegen tun, aber mir kommt der Absturz der „germanwings“-Maschine in den französischen Alpen in den Sinn. Gerade vor einigen Tagen hat man in Haltern ein Denkmal eingeweiht für die Schüler dieser Stadt, die dabei ums Leben kamen. Warum erregt das eine Unglück das Land für Wochen und warum nehmen wir das andere Verbrechen eher schulterzuckend und resigniert hin? Das verunsichert mich! Rational finde ich natürlich Antworten. Im Flieger aus Barcelona saß auch jemand aus Friedrichsfeld und einer aus Dinslaken, Seelsorger die ich kenne waren in Haltern um dort den Angehörigen beizustehen und auch eines der Halterner Opfer kommt mir näher, weil eine Bekannte mit ihr verwandt ist. Von den Flüchtlingen kannten wir wohl niemanden. Aber dennoch drängt sich mir der Eindruck auf, das Leben eines Flüchtlings ist weit weniger wert als das Leben eines Flugpassagiers. Und das kann ganz konkret werden; beispielsweise im Aufwand, der für die Rettung eines Menschenlebens „getrieben“ wird. 

Wer waren die Menschen, die auf der Ladefläche des Volvo – LKW in Österreich zusammengedrängt wurden? Ob wir sie jemals kennenlernen werden? Ob wir ihre Namen erfahren? Vier Kinder waren dabei, vielleicht jesidische Frauen, die den Vergewaltigungslagern des IS entronnen waren, vielleicht flüchtige Christen, unsere Schwestern und Brüder aus Mossul, deren Häuser vor einem Jahr mit dem arabischen „N“ besprüht wurden, um sie zu stigmatisieren als Anhänger des Nazareners, vielleicht ein IS – Rückkehrer, der in Syrien gemerkt hat, dass er sich nicht Freiheitskämpfern sondern todesverliebten Ideologen angeschlossen hatte oder gar ein potentieller „Schläfer“ vom IS selbst heimgeschickt, zur späteren Terror – Verwendung. Wahrscheinlich waren es aber harmlose Menschen, die aus verschiedensten Gründen der Hölle des vom Bürgerkrieg verwüsteten Syrien entkommen wollten. 

Eigenartig, dass ich gerade über die „Unmenschlichkeit“ gegenüber Hunden in diese Gedanken gestolpert bin. Aber ich glaube schon, dass es Zusammenhänge gibt. Jedenfalls macht mir die Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft Sorgen. Welche Motivation steckt hinter solchen heimtückischen Attacken auf Hunde, die zumindest in Kauf nehmen, dass auch Kinder sich verletzten oder gar vergiften? Weil Hunde Lärm machen und nerven? Es hat auch schon Vorfälle gegeben, wo Spielgeräte auf Spielplätzen mit Nägeln und Rasierklingen bestückt wurden...  Und „Asylkritiker“ und Rechtsradikale schrecken nicht vor verbalen Angriffen z.B. bei Facebook und in Briefen, aber inzwischen auch nicht mehr vor Angriffen auf leere und bewohnte Gebäude zurück, ja sogar Attacken auf Menschen, die hier Asyl erhoffen sind nicht mehr tabu. 

Wir sollten aufmerksam sein, es gibt eine Eskalationsspirale die beim gedachten, gesprochenen, geschriebenen Wort beginnt.  Ich sehe darin nicht automatisch „rote Linien“ die nicht überschritten werden. Daher können wir uns nicht beruhigt zurücklehnen und die ersten Warnzeichen um des inneren Seelenfriedens willen, getrost übersehen. 

Dabei ist nicht alles „zielführend“, was Politiker und andere Meinungsmacher in diesen Tagen tun. Vielleicht können wir als Christen, als Katholiken, als Kirche, diese Fehler vermeiden. Ist es hilfreich, die Rechten und „Asylkritiker“ als Pack zu bezeichnen? In ihrem Furor gegen das Tun der etablierten Politiker wird das eher als Brandbeschleuniger. Sie greifen es begierig auf und wenden es gegen uns. Manchmal eröffnet es den Strategen die Möglichkeit, verunsicherte Menschen auf ihre Seite zu ziehen. Solche Allianzen müssen wir verhindern, auch durch sorgfältiges Argumetieren und klare Parteiname. Sicher, manchmal möchte ich mich auch einfach nur aufregen und diese Leute beschimpfen, die da verbal und wirklich auf Flüchtlinge und Andersdenkende losgehen. Aber diese Strategen sind geschickt, oft zündeln sie im Hintergrund, in Onlineforen, Publikationen und Organisationen, die auf den ersten Blick durchaus ehrenhafte Ziele zu verfolgen vorgeben. 
Manchmal ist da vom Einsatz für „unsere Tritionen“, für Ehe und Familie, für dies und das zu lesen.

Mancher Katholik, der sich mit seinem Einsatz für den Glauben und seine Werte als Rufer auf einsamer Flur (oder in der Wüste fühlt), mag da versucht sein, Gesinnungsgenossen und Partner zu entdecken. Es hilft auch nicht wirklich, den Wert der Flüchtlinge als zukünftige Arbeiter, Nachwuchsbringer oder Kulturträger über Gebühr zu beschwören. Klingt es doch allzusehr so, als müsse man eine Art "Geschäft" begründen. Die Flüchtlinge sind nicht für uns da, wir müssen unsere Probleme erst mal selber lösen. Der Wert des Flüchtlings bemißt sich nicht in seinem Wert für unsere in die Jahre gekommene Gesellschaft. 

Ich beobachte in meiner Facebook - Timeline mit Sorge, wie leichtfertig Stimmungen geteilt und verbreitet werden. Da ist die banale Frage inmitten einer Diskussion über ein Sommerfest mit und für Flüchtlinge; ob man sowas nicht auch mal für die deutschen Rentner machen könnte, die „ihr Leben lang malocht haben“ und „mit der Rente nicht rumkommen“. Da steht in manchen Post: „Ich bin nicht ausländerfeindlich...“ und dann kommt auch eigentlich nichts über Ausländer, aber über die Vielen, die im deutschen Staat zu kurz kommen. Manchmal sind sogar Bilder und Sprüche dabei, für die ich die „Liker“ eingentlich unmittelbar „entfreunden“ müßte. Aber hilft das? Oder mauern die sich dann noch mehr in ihre kleine Wagenburg ein? Der ein oder andere betont immer wieder wie gefährlich der Islam sei und dass die muslimischen Flüchtlinge doch anders zu behandeln seien als die Christen. Es wird darauf rumgeritten, dass Flüchtlinge über Smartphones verfügen oder dass die alle „jung und kräftig“ seien. 

Manchmal frage ich mich, was wohl die Brüder Josefs und sein Vater in den Augen dieser Leute waren, als sie vor dem Hunger in Israel nach Ägypten flohen. Ja sicher, Josef und Maria hätten wohl auch bei uns Asyl gefunden, auf der Flucht vor Herodes, obwohl es heute wieder Leute gibt, die ihre Flüchtgründe für nichtig halten, weil sie die Geschichte vom Kindermord von Bethlehem für „unhistorisch“ halten. Oder Abraham mit seinem Gefolge, Sara, seine vielen Knechte und Mägde. Die ganze Bibel erzählt Geschichten von Migration und Flucht. 

Als ich erstmals in Taizé war, hat mich sehr beeindruckt, dass die Brüder die Gäste mit einem „Vorschuss an Vertrauen“ begrüßten. Mit einem Bruder habe ich einmal diskutiert, ob das Vertrauen nicht auch mißbraucht worden ist (es ist), aber diese Grundhaltung möchten die Brüder nicht aufgeben. Manches Mal haben sie ihren Ärger heruntergeschluckt, z.B. wenn Taizé für die eigene religiöse Rechtfertigung mißbraucht wurde. Aber den nächsten jungen Menschen haben sie wieder vertrauensvoll aufgenommen. Wer weiß, ob es ohne diesen „Vorschuß an Vertrauen“ Taizé überhaupt noch geben würde. 

Ich denke, wir können viel davon lernen. Und Mancher, der spürt, dass man ihm vertraut, wächst über sich selbst hinaus und übernimmt seinerseits wichtige Funktionen in der Gemeinschaft. Ich denke, jeder Flüchtling hat einen Anspruch darauf, mit einem „Vorschuß an Vertrauen“ aufgenommen zu werden. Vielleicht sogar mit einem besonders großen Vorschuss, denn in der Regel hat er schwierige Zeiten hinter sich, ist selbst mißtrauisch und ängstlich, ausgeplündert und mißbraucht worden. 

Ich habe in Taizé auch erlebt, dass die Brüder konsequent werden konnten, nämlich dann, wenn jemand ihr Vertrauen mißbrauchte und gegen Regeln des Miteinanders verstieß. Auch das gehört dazu, ein Verhalten, dass das Miteinander gefährdet, muss konsequent unterbunden und sanktioniert werden. 

Aber erst einmal dürfen wir als Christen mit einem Vorschuss an Vertrauen auf die Menschen zugehen, die zu uns kommen. Ob sie nun Fremde sind, die aus einer anderen Stadt zu uns kommen oder ob es Flüchtlinge sind, die auf abenteuerlichen Wegen zu uns kommen, um hier ein sicheres und besseres Leben zu finden. Ich glaube auch, dass wir keinen Unterschied machen müssen, ob es nun Katholiken, Orthodoxe, Muslime oder Buddhisten sind, die zu uns kommen. 

Wir glauben, dass Gott uns als Mann und Frau wunderbar erschaffen hat, jeder Mensch ist sein Ebenbild, Christus hat für sie gelebt, gelitten, ist gestorben und auferstanden. Möglicherweise erreichen wir ja, dass der ein oder andere von ihnen neugierig wird, auf diesen Jesus, der uns soviel Rückhalt gibt, ihm einen „Vorschuss an Vertrauen“ zu geben. 

Schon viele haben es unternommen, mir zu beweisen, dass das Christentum eigentlich zur Kultur der Mitmenschlichkeit und des Mitgefühls nichts beigetragen hätte. Dass humanes Verhalten eben nicht „vom Himmel gefallen“ ist, sondern uns irgendwie von irgendwo in die Wiege gelegt wird. Nicht nur im Philosophieren darüber wachsen meine Zweifel daran, auch wenn ich in die Welt blicke werde ich mißtrauisch. Viele halten heute das christliche Erbe Europas für „überlebt“. Die christlichen Werte werden zu allgemein humanen Werten umdeklariert. Oder teilweise auch direkt entsorgt. Doch wo wären wir (wo kämen wir hin), wenn die Grundlage unserer Humanität nicht der Glaube an die unbedingte Würde eines jeden Menschen von der Zeugung im Mutterleib an bis zu seinem Tod wäre. Ist das nicht eine Überzeugung, die wir im gesellschaftlichen Diskurs wach zu halten haben als Christen, die Würde des Menschen, ob es um einen geifernden Nazi am Zaun vor dem Flüchtlingsheim geht, um einen radikalen Muslim am Verteilstand der „LIES“-Aktion, um einen Embryo im Mutterleib, um den erfolgreichen Unternehmer in Deutschland oder die gebrechliche alte Frau in einem Pflegeheim. 

Auf diese Weise können wir als Christen sein, werden und bleiben, was man in den Quellen von Taizé so umschreibt: die Berufung des einzelnen Christen und der Kirche sei, „Ferment der Versöhnung“ in der Gesellschaft zu sein. Dieses Wort hat mich schon seit Jahren beflügelt, schließlich ist das Ferment nur eine winzige Zutat, aber dennoch sorgt es für die Wandlung des Ganzen. Mein Beitrag ist oft nur winzig, aber Gottes Geist kann Großes damit bewirken. Das Böse erscheint übermächtig, aber letzendlich wird es nicht siegen, auch diese Hoffnung schenkt mir mein Glaube. Und eines Tages wird Gott (mich) trösten, und die Tränen trocknen. 

Das mag zwar auch etwas nach "Vertröstung" klingen, aber wir sollen die Hände eben nicht in den Schoß legen. 

Möge uns die Hoffnung auf diesen Gott die Kraft geben, angesichts des Bösen in der Welt nicht zu resignieren oder zu verzweifen oder gar selbst auf Irrwege zu geraten.

Herr Jesus Christus,
freundlich und demütig von Herzen, wir hören deinen verhaltenen Ruf «Du, folge mir nach».
An uns ergeht deine Berufung,
damit wir zusammen
ein Gleichnis der Gemeinschaft leben und, nachdem wir das Risiko
eines ganzen Lebens
auf uns genommen haben,
Ferment der Versöhnung seien
in jener unersetzlichen Gemeinschaft, der Kirche.
Gib, dass wir mutig darauf antworten, ohne im Treibsand unserer Ausflüchte zu versinken.
Komm, damit wir ganz
aus dem Atem deines Geistes leben, dem einzig Wesentlichen,
ausser dem nichts sonst uns anhält, unseren Weg neu aufzunehmen.
Von jedem,
der zusammen mit dir
zu lieben und zu leiden weiss,
verlangst du, sich selbst zurückzulassen, um dir nachzufolgen.
Wenn es nötig wird,
um mit dir zu lieben und nicht ohne dich, diesen oder jenen Zukunftsplan aufzugeben,
weil er deinem Plan zuwiderläuft, dann komm, Christus,
und öffne uns
dem unbeschwerten Vertrauen
lass uns darum wissen,
dass deine Liebe niemals vergeht
und dass dir nachfolgen bedeutet, unser Leben hinzugeben.

(aus den Quellen von Taizé)

Freitag, 17. Juli 2015

Gesund - Schrumpfende Kirche?

(c) aufblasbare-kirche.de
Entweltlichung! Mit diesem Stichwort gab Papst Benedikt den „Aufschlag“ zu einer Diskussion, die seither die katholische Welt in Deutschland bewegt. Entweltlichung? Was soll das bedeuten? Etwa eine Anspielung auf das Jesus – Wort „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt.“?
Das wäre auf jeden Fall eine gute Richtschnur, erst recht in der weiterführenden Formulierung: „Wenn es von dieser Welt wäre, würden meine Leute kämpfen, damit ich den Juden nicht ausgeliefert würde. Aber mein Königtum ist nicht von hier.“

Entweltlichung! Wie das konkret aussehen könnte, das hat Benedikt XVI. wohlweislich den Deutschen nicht vorgeschrieben. 

Kurz zusammengefasst hat das, was einige Leute aus den päpstlichen Worten herauslesen, neulich jemand bei Facebook: „Die Katholische Kirche muss gesund schrumpfen. Solange sie mit Kirchensteuer-Einnahmen vollgepumpt wird und diverse staatliche Vergünstigungen genießt, wird sich in der Kirche gar nichts ändern. Sie ist und bleibt ein Großkonzern, der als Institution zumindest hier in Deutschland nur mehr wenig mit dem Grundgedanken der christlichen Kirche zu tun hat. Solange aber Berufskatholiken in den Ordinariaten sowie "liberale" (sprich: mit dem katholischen Glauben nur mehr wenig zu tun habende) Theologen und Geistliche den Kurs bestimmen, werden wir uns immer weiter vom Ausgangspunkt entfernen und bald Gefahr laufen, nur mehr ein spirituelles Wellness-Angebot unter vielen zu sein oder gar völlig in der Bedeutungslosigkeit verschwinden.“ 

Dieser Text forderte mich heraus, die Möglichkeit, den Weg einer Kirchenreform in 11 Zeilen vorgeben zu wollen, grundsätzlich zu bestreiten. Daraufhin entwickelte sich eine kurze Diskussion, die in der Aufforderung mündete, es doch einfach besser zu machen. Da mir die zitierte Haltung exemplarisch für die Meinung mancher Kirchenkreise erscheint und zudem in einzelnen Halbsätzen sicher auch von kirchenkritischen oder atheistischen Kreisen Zustimmung erfährt, will ich heute mal nach dem Stöckchen schnappen. Zumal just heute die Bischofskonferenz die aktuelle kirchliche Statistik vorlegt mit bedrückenden Austrittszahlen. 

Schrumpfen wir uns also gesund! Wir brauchen ja gar nichts dazu zu tun!?!? Allzu einfache „Lösungen“ machen mich eher skeptisch. Sehr bedenkenswert finde ich den Satz von Henry Louis Mencken: „Für jedes Problem gibt es eine einfache Lösung – klar, einleuchtend und falsch." Das gilt auch für manche kirchenpolitische Diskussion.  
Die Kirche muss „gesund schrumpfen“. Hm, hier kommt mir die mittelalterliche Praxis des Schröpfens in den Sinn, diese wesentliche Heilmethode damaliger Ärzte und Baader, die sowohl Besserung wie auch Schwächung mit sich bringen konnte. Ob Gesundschrumpfen hier so gemeint ist, dass die Kirche quasi nur noch aus überzeugten, engagierten, lehramtstreuen Personen besteht? Die Frage stellt sich, ob eine solche Kirche nicht zur Sekte verkäme und neben den Zeugen Jehovas, den Neuapostolen und den Evangelikalen ein Nischendasein am Stadtrand führen würde. Ob darin dann eine Keimzelle für eine Kirche läge, die zu allen Völkern und zu allen Menschen gesandt wird? Ich bin das skeptisch. Sektierer gibt es in der modernen, säkularen, pluralen Welt in großer Zahl. 

Wir sollen eher „Stadt auf dem Berge“ „Salz in der Speise“ oder Sauerteig sein. Kann dieses Bild nicht auch so gelesen werden, dass es eine gestufte Anhänglichkeit an die Kirche Christi geben kann, dass der christliche Gedanke die Gesellschaft eher langsam und manchmal unvollständig durchdringt? Viele humane Ideale unserer Gesellschaft verdankt diese dem Christentum. Sie prägen unsere Gesellschaft auch dann noch, wenn diese die Christentümlichkeit längst hinter sich gelassen hat. Zu einem geflügelten Wort weitergeführt hat dies Wolfgang Böckenförde: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“

Wer garantiert uns, dass das „Schrumpfen“ der Kirche in irgendeiner Weise zu ihrer Gesundung beiträgt? Kann es nicht im Gegenteil auch ein Krank-Schrumpfen oder gar ein in die Bedeutungslosigkeit – Schrumpfen geben? Natürlich ist es bequemer – und das macht den Gedanken vielleicht verlockend – in einer Kirche zu sein, wo die Welt noch „in Ordnung ist“ und wo theologische Streitigkeiten nicht über derartige Zerklüftungen gehen, wie wir das heute beobachten. Aber die Zukunft einer solchen – gesund – geschrumpften Kirche ließe sich ja durchaus auch heute schon beobachten, am Leben und Gedeihen beispielsweise der Piusbruderschaft. Ist es das wirklich, was uns letztlich zu einem Neuaufbruch führt?

Ein zweiter Punkt der Argumentation betrifft die zur Zeit reichlich sprudelnden Kirchensteuern und die zahlreichen Einrichtungen, die das Wort „katholisch“ „christlich“ oder „kirchlich“ im Namen tragen. Kardinal Meisner hat die Situation – sicher zutreffend – so beschrieben, dass die Karosserie des kirchlichen Gefährts viel zu groß für den allzu schwach gewordenen Motor ist. Wir können all dies nicht mehr „ziehen“. Einige Beispiele mögen die Szenerie beleuchten: 
  • Für den Bau eines einfachen Bischofshauses finden sich in mehr oder minder verborgenen Kassen des bischöflichen Stuhls zu Limburg über 30 Mio. Eine Summe, mit der sich locker 100 komfortable Einfamilienhäuser rund um Limburg errichten ließen. 
  • Im Krankenhausbereich beschäftigen die kirchlichen Träger heute manchmal mehr Menschen als sie sonntägliche Kirchenbesucher zählen. Vor einigen Jahren war ich Zeuge, wie bei einer Pfarreinführung der Chef des Krankenhauses den Pfarrer im Namen der 2.000 Mitarbeiter der Pfarre begrüßte. In vielen Städten ist heute die Kirche der größte Arbeitgeber. 
  • Auf Kritik stößt bei vielen Menschen, dass kirchliche Einrichtungen zu einem weit überwiegenden Teil, wenn nicht gar zu 100 Prozent aus öffentlichen Mitteln finanziert werden. Der Caritasverband bewegt sich heute wie jeder andere große Träger am „Markt“. Was ist das unterscheidend „christliche“ oder gar „katholische“. Inwieweit ist die Caritasarbeit auch „missionarische“ Arbeit?
  • Die komplexe Struktur kirchlicher Organisationen, Verbände und Vereine ist historisch gewachsen. Es fällt heute oft schwer, alle Gremien mit geeigneten Personen zu besetzen. Viele Organisationen erweisen sich nicht als 100prozentig lehramtstreu oder entwickeln eine beachtliche Eigenständigkeit. Katholische Laienorganisationen betreiben z.B die Beratungsorganisation Donum Vitae. gegen den Widerstand der Bischöfe. Im Kreis Steinfurt liefern sich gerade zwei katholische Trägergesellschaften ein Ringen um die Einrichtungen eines dritten – inzwischen insolventen – Träger. 
  • Trotz nochmals gestiegener Austrittszahlen (fast ein Prozent der Katholiken haben dennoch in diesem Jahr der Kirche den Rücken gekehrt)  steigen  die Einnahmen der Kath. Kirche aus der Kirchensteuer auch in 2014 noch einmal. Wie paradox!


Die hohe Zahl an Einrichtungen, die das „katholisch“ im Namen oder im Leitbild stehen haben, verdanken wir im Grunde zwei Entwicklungslinien. Die Erste ist, dass es eine lange Tradition in der Kirche gibt, sich um Arme, Kranke und Schwache zu kümmern. Die Kirche hat Hospize, Krankenpflegedienste, Schulen und Kindergärten erfunden. Mit dem Boom der tätigen Ordensgemeinschaften entstanden zahlreiche weitere Einrichtungen, die zunächst ausschließlich aus der Arbeits- und Organisationsleistung der Ordensleute basierten. Während der nationalsozialistischen Diktatur enteignete der Staat fast alle dieser Einrichtungen und überführte sie in staatliche Trägerschaft. 
Nach dem Krieg schlug dann das Pendel in die andere Richtung aus. Man wollte nach den traumatischen Erfahrungen verhindern, dass der Staat alle Lebensbereiche in die Hand bekommt und auf diese Weise die Bürger umfassend indoktrinieren kann. Daher erdachten die Väter der Bundesrepublik ein Konzept, das zu einer starken Vielfalt unter den Anbietern von Gesundheits- und Pflegeleistungen und im Feld von Schule und Erziehung beitragen sollte. Durch ihre finanzielle Kraft und weil sie von großen Bevölkerungsmehrheiten getragen waren, übernahmen die Kirchen viele Einrichtungen wieder in ihre Obhut und übernahmen noch weitere Trägerschaften. Oft galt der Grundsatz: freie Trägerschaft vor kommunaler Trägerschaft. Und in Zeiten knapper Kassen war es und ist es für kommunale und staatliche Stellen oft günstiger, einen Kindergarten in kirchliche Trägerschaft zu geben, statt ihn selbst zu betreiben. Da alle diese Einrichtungen jedoch auch in Konkurrenz zueinander standen und ohne eine staatliche Refinanzierung nicht überleben konnten wurde das „katholisch“ manchmal eher zu einem (mehr oder minder) sympathischen Label statt zum eindeutigen „Markenkern“. Selbst Katholiken wählen heute ein Krankenhaus nicht mehr, weil dort Sonntags noch die Messe gefeiert wird oder die Kommunion ins Krankenzimmer gebracht wird, sondern weil dort ein besonders guter, manchmal dann gar muslimischer Arzt das Skalpell führt.

Wie könnte ein „Gesundschrumpfen“ bzw. eine "Entweltlichung" in diesen Bereichen von Kirche und Caritas aussehen? Kann es wirklich aus kirchlicher Perspektive sinnvoll sein, die Einrichtungen in öffentliche Trägerschaft zu überführen, bzw. an Konzerne zu verkaufen? Nicht nur, dass solche Einrichtungen auch „Werte“ darstellen, ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass die Menschen kommender Generationen das spezifisch „katholische“ einer Einrichtung wieder wert schätzen, beispielsweise, wenn es zu einer immer weiteren Öffnung für aktive Sterbehilfe käme. Vielleicht muss man sich erst einmal eingestehen, dass es einen Wandel gegeben hat, dass es Einrichtungen gibt, die nur noch eine Art katholisches Qualitätslabel tragen, weil sie in ihre Unternehmensphilosophie einige katholische Überzeugungen eingepflanzt haben, die im Alltag in dieser Einrichtung hier und da zum Tragen kommen. (Manchmal prangen ja an einem Hotel fünf Sterne, wo es allenfalls zwei verdient hat.) Und daneben könnte es katholisch profilierte Einrichtungen geben, die sich an Menschen wenden, die ausdrücklich ein echtes, tiefes, katholisches Profil wünschen. Im Schulbereich beispielsweise oder in Pflegeheimen und Hospizen. Vielleicht muss man sich von dem Druck befreien, jede Einrichtung mit dem Stempel „katholisch“ auch mit der ganzen Fülle des Lehramtes zu beseelen. Vielleicht reicht auch ein katholisches Qualitätssigel und ein Seelsorger, der sich der Menschen im Haus annimmt, ob es nun Mitarbeiterinnen oder Schüler, Kindergartenkinder, Eltern, Alte, Kranke oder Sterbende sind. Die wirtschaftliche Seite kann man dann vielleicht getrost in die Hände eines Pietisten oder eines muslimischen Betriebswirtes legen. 

Gesundschrumpfen! Wer das fordert, wird ja mit Freude sehen: wir schrumpfen ja, wir schrumpfen sogar stetig: die Zahl der Austritte steigt, die Zahl der Gottesdienstbesucher nimmt ab, die Zahl der Taufen, Trauungen, Firmungen, Erstkommunionen sowieso. Wer eine ganz normale Kirche besucht und aufmerksam ist, wird merken, dass wir eine alte Kirche geworden sind. Ich tue mich sehr schwer, die „Schuld“ dafür den Seelsorgern, Lehrerinnen, Priestern, Bischöfen, Eltern oder gar dem 2. Vatikanischen Konzil in die Schuhe zu schieben. 
„Der Grundwasserspiegel des Glaubens“ sinkt stetig. Aber parallel steigt bei diesen – noch – gläubigen Menschen der allgemeine Pegel an Wissen, Müssen, Können. In seiner Bedeutsamkeit für das persönliche Leben ist der Glaube und das Leben in der Kirche aus der Mitte immer mehr an den Rand gerückt. Vielen reicht eine lockere Verbindung mit „der Kirche“ zwischen Taufe und Erstkommunion, Kinderkrippenfeier und Beerdigung völlig aus. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielseitig und komplex. Der Versuch der Kirchenleute, dieser Entwicklung hinterher zu laufen, hat in den letzten fünfzig Jahren teils skurrile Blüten getrieben. „Verweltlichung“ haben daraufhin zahlreiche Beobachter den allzu zeitgeistigen Verantwortlichen vorgeworfen. Wo bleibt das Geheimnisvolle, das Mysterium? Ist das kein Ausverkauf kirchlicher Werte?

Vielleicht ist die spezielle Art der kirchlichen Organisation und Finanzierung auch ein guter Hinweis auf ein besonderes Problem, mit dem die Kirchen in Deutschland zu kämpfen haben. Mir ging das neu auf bei der Predigt von Papst Benedikt XVI. im Olympiastadion in Berlin. Die Kirche ist hierzulande halt mehr als der „mystische Leib Christi“, mehr als die „Braut Christi“ oder wie auch immer sie in ihrer geistlichen Wirklichkeit umschrieben ist. Sie ist auch eine Institution, mit zahlreichen Einrichtungen und Gemeinden, die durchaus auch soziologischen Gesetzen unterworfen ist. Darin intendiert ist schon, dass Ideal und Wirklichkeit auseinanderfallen können und dies auch oft deutlich sichtbar geschieht. Die Wirklichkeit hinkt dem Ideal hinterher. Aus dieser Glaubwürdigkeitsschere, die sowohl von sehr konservativen Katholiken beklagt wird (das Gesundschrumpfen soll ja gerade diese „Schere“ schließen), wie auch von eher liberalen oder der Kirche entfremdeten Kirchenmitgliedern, ergibt sich häufig ein Grund, dieser Institution den Rücken zu kehren. 

Der Kölner Generalvikar Meiering erklärt sich diese Abkehr von der Institution damit, dass diesen Menschen, die Kirche immer fremder geworden sei, der Austritt der letzte Schritt auf einem langen Weg. Andere nennen in Gesprächen Erlebnisse mit der real existierenden Kirche als Grund, gläubige Menschen wären sie auch weiterhin. Konservative Katholiken ja allemal!

Die Last der Institution tragen viele andere Religionen nicht so, wie die christlichen Kirchen, insbesondere die katholische. Das macht einen gewissen Reiz z.B. des Islam oder des Buddhismus aus. Man kann den Glauben rundheraus gut finden, ohne die Schwächen der Institution vorgehalten zu bekommen. Wenn eine Moschee nicht mehr „passt“ wandert man weiter – allerdings auch mit der Gefahr in die Hände dubioser Sekten zu geraten. Wenn ich als Katholik über den Glauben schwärme stopft mir mancher erst mal mit den institutionellen Schwächen den Mund. 

Ich höre häufig, dass Leute mir erklären, sie seien ja nicht wegen mir (oder meinem Pastor) ausgetreten, sondern nur „wegen des Geldes“ oder weil sie sich über dies und das geärgert hätten. Was dann geschildert wird, entspricht allerdings oft einem Zerrbild selbst der real existenten Kirche, ein diffuses Gemisch aus Missbrauch, Reichtum, Mittelalter, Sexualmoral, Limburg, Vatikan und persönlichen Enttäuschungen, weil „die Kirche“ anders handelte als man selbst es erwartete. 

Dennoch erfahre ich den Glauben dieser Menschen häufig von durchaus christlichen Überzeugungen geprägt. Wollen wir diese Menschen einfach aufgeben? Oder sollten wir doch versuchen, sie für die Kirche und ihr positives Umfeld wieder zu gewinnen oder zu halten. Es ist doch nicht wertlos, wenn berühmte Kirchen von zahlreichen Touristen aufgesucht werden, die dort mehr suchen als bedeutsame Kunstwerke. Es ist doch nicht ohne Bedeutung, wenn Menschen in schwierigen Lebenssituationen in die Kirche kommen oder an einem Kreuz ein Gebet sprechen, oder anläßlich von Geburt oder Eheschließung auf den Segen Gottes setzen. Auch Klöster verzeichnen ein steigendes Interesse neugieriger Menschen. Kann man hier erwarten, dass sie erst wieder 100prozentige Katholiken werden oder müssen wir eher nach der Maßgabe Jesu handeln: „wer nicht gegen uns ist – ist für uns“? Das erfordert von den kirchentreuen Katholiken, den Überzeugten unter uns, eine gewisse Toleranz und von den „Anderen“ eine Offenheit für katholische Vielfalt. Es kann nicht sein, dass der kleinste gemeinsame Nenner das spirituelle Leben prägt, es muss möglich sein, spezifisch katholische Frömmigkeiten zu pflegen, und wenn es die Messe des Jahres 1962 ist. Dieser Weg ist für „überzeugte“ Katholiken sicher nicht leicht, weil es ja auch bedeutet, sich selbst an Regeln zu halten, die andere Mitchristen getrost ignorieren. Das macht es um so notwendiger die Menschenfreundlichkeit und den Wesenskern der kirchlichen Lehre aufzudecken und zu vermitteln. Und gleichzeitig braucht es kirchliche Angebote die neugierig machen, für "religiös und katholisch unmusikalische Zeitgenossen". Und Leute, die auf charmante Weise auch unvollständiges Glaubenswissen vermitteln mögen und auf dumme Fragen geduldig und freundlich antworten. Toleranz ist gefragt, denn der Herr lässt das Getreide und das Unkraut zusammen wachsen … und ER weiß am Ende besser als wir zu unterscheiden, was er als Unkraut ansieht oder ob unter dem Weizen nicht auch das ein oder andere heilsame Kraut herangewachsen ist. Und mit einem anderen Wort gesprochen: Er löscht den glimmenden Docht nicht aus und bricht nicht das geknickte Rohr.

Ich denke zu den Stichworten Berufskatholiken, „liberale“ Theologen und Geistliche und Wellness-Christentum ist damit auch genug gesagt, oder?

Es hilft nichts zu jammern, dass die Kirche schrumpft und schrumpft oder zu beklagen, dass man selbst in der Kirche immer weniger Glauben findet. Als kirchentreue Katholiken sollten wir schauen, dass das „Fenster der Kirche“ - durch das das Licht Christi in die Welt hinein leuchtet, dass dieses „Fenster“ für das wir (für das ich persönlich) Verantwortung tragen, unserem Kirchenideal auch entspricht. Wir sollten mithelfen, die Institution immer mehr der Kirche ähnlich zu machen, die dem Willen Jesu entspricht. Eine Kirche, die Gottesbegegnung möglich macht, die Räume öffnet zum Gebet, die Menschen in Not zur Seite steht und zum Sauerteig wird in der Gesellschaft, in der wir Christen leben. Mit „Gesundschrumpfen“ hat dieser Weg allerdings wenig zu tun.

Oder um es mit den Worten meines Bischofs Felix zu sagen: „wir wollen eine einladende und keine ausschließende und selbstbezogene Kirche sein; wir wollen eine Kirche sein, die die Beziehung zu den Menschen sucht statt sich abzugrenzen, wir wollen eine Kirche sein, die die Charismen und Begabungen aller Gläubigen aufsucht und fördert; wir wollen eine Kirche sein, die für die Menschen da ist – gerade für die Armen und Schwachen in unserer Gesellschaft.“