Mittwoch, 20. Juli 2016

Das hat nichts mit dem Islam zu tun!? Wirklich?!

In unterschiedlichen Varianten wurde ich in den vergangenen Tagen mit diesem Satz konfrontiert. Das lädt geradezu ein, sich darüber einmal auszulassen, denn aufschlussreicher als die Bemerkung an sich ist die jeweils dahinter stehende Haltung. 
  • In den vergangenen Wochen und Monaten gab es immer wieder Wortmeldungen und offiziöse Stellungnahmen hoher religiöser Autoritäten des sunnitischen Islam, die bestritten, dass der islamische Staat oder der islamische Terrorismus sich überhaupt als "islamisch" bezeichnen dürfe.  Teilweise wurden hierzu sogar entsprechende Rechtsgutachten veröffentlicht. Leider werden derartige Stellungnahmen hoher und höchster muslimischer Autoritätspersonen hierzulande kaum wahrgenommen. Während über einen einzelnen Terroristen und seine Tat wochenlang berichtet wird (einschließlich der breiten Publikation von Material der Terrorgruppen und der ihnen nahe stehenden "Nachrichtenagenturen selbst) werden die Verlautbarungen der Religionsgelehrten meist nur in einer kleinen Randnotiz erwähnt. (Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Wortmeldung des Ägyptischen Großmuftis Schauki Allam.)

    Selbst der Passauer Bischof Stefan Oster erregt mit einem im Internet veröffentlichten Beitrag hohe Aufmerksamkeit, wenn er fragt: "Wo sind die Protagonisten des friedlichen Islam – und wo sind sie gemeinsam?" Rein formal könnte man ihm da sicher widersprechen. Aber dennoch sind seine Anfragen ein Innehalten und eine ausführliche Antwort wert. 
  • Muslimische Gruppen und Verbände und wohlmeinende Politiker und Kirchenvertreter in Seutschland betonen in Ihren Stellungnahmen immer wieder "Terror hat keine Religion", der Islam bzw. der Koran werde von den Terroristen mißbraucht und man müsse zwischen Islam und Islamismus unterscheiden. 
  • In Wortmeldungen unterschiedlicher Akteure im Netz wird der Satz "das hat nichts mit dem Islam zu tun" oder "das hat nichts mit nichts zu tun..." beständig verbreitet und inzwischen sogar als zynischer Kommentar zu jedem Terrorangriff und zu jeder schlechten Nachricht gepostet. 
  • Eher versteckt geht es um diese Frage auch in der Diskussion, ob es sich bei den Anschlägen mit dem Lastwagen in Nizza durch einen Tunesier und in einem Zug bei Würzburg auf chinesische Touristen nun um Amokläufe oder Terrorakte handelt. Alternativ wird das auch so formuliert: "Das sind keine Terroristen, das sind Kriminelle." (Äh: vielleicht sind sie ja beides? Wäre ja möglich? Oder gar wahrscheinlich!) Ginge es nach den Lautsprechern des sog. Islamischen Staates, der beide Angriffe flugs "adoptierte", hätte Beides sehr wohl und sehr viel mit dem Islam zu tun und es habe sich um "Soldaten" eines Islamischen Staates gehandelt. Derartiger Terror kennt keine "legitimen" Ziele mehr, ja offensichtlich geht es im Grunde gar nicht um Anschläge auf Personen, die man in irgendeiner Weise für "schuldig" erklärt, sondern um eine möglichst große Aufregung, viel öffentliche Aufmerksamkeit und höchste Verunsicherung in der Bevölkerung. Es kann jeden treffen, nicht einmal der fromme Muslim oder ein kleines Kind sind vor solchen wahnsinnigen Angriffen sicher. Ich mag meine Phantasie gar nicht auf die Reise schicken, welche irren Terror - Szenarien in Zukunft noch auf uns warten mögen.
Auf eine gnadenlose und furchtbare Weise machen die Täter und die Strategen des IS beinahe jeden zum Komplizen, der auf die Angriffe in irgendeiner Art und Weise reagiert. Aus Angst, Sorge, Verunsicherung wird Mißtrauen, Gegnerschaft, Haß. Alle Maßnahmen zur Terrorabwehr, alle Vorsichtsmaßnahmen führen zu einer weiteren Verunsicherung und Polarisierung in unserer Gesellschaft aber auch darüber hinaus. Ob es Möglichkeiten gibt, dieser vielschichtigen Eskalationsspirale zu entkommen oder diese zu durchbrechen?

Ich fürchte, der zitierte Satz "Das hat nichts mit dem Islam zu tun." ist inzwischen völlig kaputt und geradezu verbrannt. Ähnlich wie die Formulierung "Der Islam gehört zu Deutschland" ist er einfach zu unpräzise und erklärungsbedürftig (was leider einige fromme Theologen noch nicht gemerkt haben). Der Satz allein ist so wahr, wie er falsch ist. Dennoch sollten wir die Botschaften, die hinter diesem Satz stehen, nicht einfach beiseite schieben. 

Da wo er dazu dient, zu beschwichtigen, zu verharmlosen und zu vernebeln, ist er sicher abzulehnen. Es ist heute nicht mehr möglich, sich mit dieser Bemerkung aus der Verantwortung zu stehlen, weder als Muslim noch als Christ. (Fast noch schlimmer finde ich allerdings seine Verwendung als zynischen Kommentar. Wer dies tut, disqualifiziert sich für eine weiterführende Diskussion.)

Auch als Katholik kann es mir nicht gleichgültig sein, wenn "christliche" Prediger in Uganda oder in Amerika über den Tod homosexueller Menschen jubeln oder gar zum Mord an ihnen aufrufen. Als Christ kann es mir nicht gleichgültig sein, wenn Menschen mit Schlachtrufen wie "Allahuh akbar" "deus lo vult" oder den Apostel Jakobus als "Santiago Matamoros" anrufend losziehen, um anderen Menschen zu töten, zu verstümmeln oder zu terrorisieren. Die einmal entfesselte Gewalt überschreitet auch bei Glaubenden allzu schnell den "legitimen Rahmen", wenn es einen solchen überhaupt geben kann.

Auch wenn ich (also, jetzt natürlich nicht persönlich) als Muslim überzeugt bin, dass die Islamisten eine schlimme Verirrung im extremen Randbereich meiner Glaubensgemeinschaft darstellen, muss ich dennoch alles tun, um ihnen den Boden zu entziehen. Damit übernehme ich doch im hohen Maße Verantwortung für meinen eigenen Glauben. Und das kann auch schon mal dort anfangen, wo  sich der Geist des Terrors erst langsam zu entfalten beginnt. 

Der islam(istische) Terrorismus ist ein Krebsgeschwür im Körper des Islam. Ich weiß wovon ich rede, wenn ich dieses Bild wähle, und ich fürchte, ohne eine harte Therapie wird der Islam sich nicht davon befreien können. 

Ich habe eine Krebserkrankung überwunden (so Gott will) und musste lernen: mein Krebs gehört zu mir, er ist ein Teil von mir, es sind meine eigenen Körperzellen, die entartet sind und ich musste mit Hilfe von Chemotherapie und Bestrahlung gegen den Krebs in mir kämpfen. Und dass dies auch den restlichen Körper trifft (und schwächt), mußte ich vielfach erfahren. 

Ich glaube der Satz, "das hat nichts mit dem Islam" zu tun, ist so berechtigt - wie falsch. Wer ihn allerdings als Waffe gegen die islamische Religion verwendt, der handelt nicht anders als all die, die in der Vergangenheit (manchmal bis heute) z.B. in den HIV-Erkrankten oder den - schon biblischen - Aussätzigen nicht die Krankheit, sondern die Kranken selbst bekämpft haben. 

Mir kommt die Begegnung Jesu mit 10 Aussätzigen in den Sinn. Jesus heilt sie alle und schickt sie zu den Priestern. Nicht "Dein Glaube hat Dir geholfen!" steht im Mittelpunkt dieser "Heils-Geschichte", sondern der Eine, der zurück kommt, seinen Dank ausdrückt und Jesus nachfolgt. Aber auch die neun Anderen waren es wert, dass Christus sich ihnen zugewandt hat. Das ist sicher auch ein sprechendes Bild, das uns hilft in unserem Bemühen nicht nachzulassen und auch mit allen Menschen guten Willens zusammenzuarbeiten, auch wenn sie meine eigenen Grundüberzeugungen nicht teilen.

Insofern ist es auch wesentlich, all jene Muslime zu bestärken, die aus tiefster Überzeugung glauben, dass dem Terror jegliche islamische Grundlage und Legitimation abgeht. Gemeinsam mit ihnen sollten wir (Christen, Agnostiker, Atheisten) alles tun, um die religiöse Legitimation des Terrors und vor allem das Anwerben von Geld, Waffen und Menschen für den Terror zu unterbinden. Ich bin in der Tat überzeugt, dass es für diesen Kampf ein Miteinander von Menschen unterschiedlichster (Glaubens-)Überzeugungen braucht. Wie der Krebskranke einen guten Arzt und mancherlei Unterstützung braucht, so kann man den Kampf gegen den islamistischen Terror nicht allein den friedliebenden Muslime zuschieben. Der einzelne Muslim ist für den Terror (und seine Bekämpfung) nicht mehr und nicht weniger in der Pflicht als Sie und ich.

Wichtig für eine erfolgreiche Krebstherapie sind gute Ärzte. Aber wesentlich ist auch die innere Einstellung des Patienten. Und da ist es gut, sich nicht hinter "das hat nichts mit dem Islam zu tun" zu verstecken, sondern aufrecht und engagiert zu zeigen: "das ist der Islam" und "das nicht".

Das 2. Vat. Konzil war für meine Kirche eine Therapie der oben geschilderten Art. Es war richtig und erfolgreich, blieb aber nicht ohne Nebenwirkungen und Phantomschmerzen.

Ich möchte in diesem Zusammenhang zwei Aspekte hervorheben, die im Kontext des Kampfes gegen den Islamismus und für seine Einordnung wesentlich sein dürften. Sie sind auch wesentlich für das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Tradition und Religion, gerade angesichts der unaufhaltsamen Globalisierung. Die "zwei" Aspekte erinnern mich dabei an meine Krebstherapie mit Chemotherapie und Bestrahlung. Daneben gibt es natürlich weitere Therapien, die der Erwähnung wert wären. Ich möchte mich hier aber beschränken.
  • Da ist einmal die persönliche Religionsfreiheit. Es ist verständlich, dass Religionen sich für Orthodoxie engagieren. Die Anhänger einer Religion sollten ihren Glauben innerhalb eines gewissen Rahmens verwirklichen und leben. Es muss so etwas wie Rechtgläubigkeit geben. Aber es muss auch die Freiheit geben, sich aus diesem Rahmen zu entfernen, bis dahin, einer Kirche vollends den Rücken zu kehren. Es gibt sicher hierfür einen legitimen Rahmen an Sanktionen, über das rechte Maß an "Papsttreue" und "Kirchentreue" wird ja bis heute auch innerhalb des Katholizismus gestritten. Ein Beispiel dafür ist die Frage, ob eine geschiedene und neu verheiratete Frau z.B. Pfarrsekretärin sein kann. Aber heute muss niemand mehr mit Strafen oder gar Verfolgung rechnen, weil der den Rahmen der Kirche verläßt. Mein ehemaliger Bischof hat einmal eine Schrift herausgegeben unter dem Leitwort "Glaube durch Einsicht und Entscheidung" und die viel beachtete Regensburger Rede von Papst Benedikt XVI. wollte ja eigentlich die Frage von Glaube und Vernunft thematisieren und sich gegen jeglichen Zwang in der Religion wenden. 
Diese Fragen eignen sich auch zur Gewissenserforschung der muslimischen Autoritäten. Für mich ist es ein heftiger Widerspruch, wenn beispielsweise der Großimam der Al-Azhar - Universität in Kairo den Islamismus klar verurteilt, aber gleichzeitig Strafen für Apostaten gutheißt oder auch nur rechtfertigt. 
Auch der Islam muss auf Strafmaßnahmen verzichten, die den religiösen Rahmen überschreiten, wenn Gläubige aus den Rahmen der Rechtgläubigkeit herausfallen bzw. sogar zu einem anderen Glauben konvertieren. Eine so verstandene Religionsfreiheit stellt natürlich die Frage, ob das nicht auch den gewaltbereiten Salafisten einschließt. Kann auch er sich auf die Freiheit der Religion berufen? Oder anders gefragt: darf sich die religiöse Gemeinschaft von der Sorge um die Gewaltbereiten dispensieren bzw. die Verpflichtung sie zu stoppen, allein auf staatliche Behörden verlagern? Ich denke nein, es braucht klare Kriterien, wo die Freiheit in den religiösen Überzeugungen endet. 
  • Das zweite "heiße" Eisen in der Therapie ist, inwieweit sich Religionen in den Auseinandersetzungen zwischen Menschengruppen und Staaten mißbrauchen lassen. Das sehe ich mit großer Sorge. Dabei ist der allfällige Streit, ob es sich bei Streitigkeiten beispielsweise unter Christen und Muslimen (vielleicht sogar in der Flüchtlingsunterkunft) nun um religiöse Konflikte, um "Lagerkoller" oder um Ventile für allzu großen persönlichen Druck handelt. Ich glaube, diese Aspekte sind nicht voneinander zu trennen. Meist stehen hinter den Auseinandersetzungen unterschiedlicher Völker ganz handfeste Gründe, gibt es soziale Gefälle oder eine unterschiedlich verteilte Macht. Wenn man diese Konflikte in irgendeiner Weise aufladen kann, wirkt manchmal auch die Religion wie ein zusätzlicher Treibsatz. Wir und die anderen! 
Hier sollten alle religiösen Menschen, insbesondere alle, die in ihren Religionsgemeinschaften mit Autorität ausgestattet sind, hoch sensibel sein und bleiben. Es geht darum, die religiöse Aufladung von Konflikten soweit als möglich zu verhindern und alles zu vermeiden, was Konflikte insofern anheizt! Auch wenn das im Einzelfall sehr schwer fallen kann. Wir erleben zur Zeit, wie eine unsichtbare Schranke z.B. zwischen Christen und Muslimen in Deutschland wieder bewußter wird und wie das Miteinander - oft durch Taten und Worte Einzelner - mehr und mehr auf die Probe gestellt wird. Das geht einen jeden Gläubigen an und gerade dann müssen Gläubige der Versuchung widerstehen, sich in der eigenen Gemeinschaft einzuigeln und offensiv auf die Andersgläubigen zugehen und nach Wegen der Versöhnung und des Miteinanders suchen. 
Dazu gehören auch klare Worte am rechten Ort. Es nützt nichts, bestehende Konflikte zuzukleistern, erst recht dann nicht, wenn mein Gerede durch die Wirklichkeit bzw. den nächsten Terrorangriff plötzlich als wohlfeiles Gequatsche offenbar wird. Aber auch das andere Extrem der leichtfertigen Schuldzuschreibungen ist zu meiden. Die Grundregel: alles was ich über einen Menschen sage, muss ich auch bereit sein im Vier-Augen-Gespräch mit ihm zu diskutieren könnte hier hilfreich sein. Viel besser wäre natürlich die Befolgung des Evangeliums bei Matthäus, 18:15 ff auch im Umgang mit den Muslimen unter uns.

Leider wählen heute viele eine problematische Weise der Kommunikation. Als "Islamversteher" habe ich z.B. niemals gesagt (was mir immer mal wieder vorgehalten wurde), dass die hohe Zahl der Flüchtlinge nicht auch über die Fragen von Unterbringung, Spracherwerb und Finanzierung hinausgehende Probleme verursachen könnte. Ganz sicher sind unter den Flüchtlingen auch Menschen, die am Ende für den Ruf der Sirenen des Terrors empfänglich sind oder gar schon mit dem Vorsatz hierher kamen, Verbrechen oder gar Terrorakte zu begehen. Dagegen hilft aber nicht, gleich alle Flüchtlinge in trostlose Lager zu sperren oder auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer zu zwingen. Im Gegenteil, traumatisierte und verzweifelte Menschen sind anfälliger für Ideologen jeglicher Couleur, die Hilfe versprechen. 

Natürlich ist es legitim, wenn Christen zunächst ihren Schwestern und Brüdern helfen. Aber das reicht nicht, wie die Erzählung vom barmherzigen Samariter vor Augen stellt. Wir sollten auch wachsam sein, ob durch unser Handeln der soziale Zusammenhalt über Grenzen hinweg in Gefahr gerät. Christen sollten hoch aufmerksam sein, ob sie durch ihr Handeln nicht am Ende das Geschäft derer betreiben, die in zerrütteten Gesellschaften und zerbröckelnden Staaten freien Raum für die Verbreitung und Verwirklichung ihrer menschenverachtenden Pläne und Ideologien vorfinden. Insofern ist die Rede vom "Gefährlichen Islam" oder in ähnlichen Kurzformeln mindestens so fahrlässig wie (inzwischen) die Phrase: "Das hat nichts mit dem Islam zu tun." Wer diesen Satz inhaltlich ablehnt, der sollte auch nichts ins andere Extrem verfallen. 

Zum Weiterlesen:

Stellungnahme des Großmuftis Schauki Allam: http://www.sueddeutsche.de/politik/aegypten-fehlgeleitete-wahnsinnige-1.3092495



Auch Monika Metternich scheibt - in einem anderen Kontext - über "mein" Thema: http://www.katholisch.de/aktuelles/standpunkt/hofmanns-kritiker-springen-zu-kurz

Mittwoch, 6. Juli 2016

Ja, wohin gucken sie denn? Ab Advent nach Osten?

Ja, ich gestehe es ganz offen! Ich bin ein Nachgeborener! Ich bin nach dem Konzil zur Welt gekommen und … wie ich glaube … in Ermangelung liturgischer Bücher - vermutlich mit Hilfe eines Schnellhefters - getauft worden, damals 1967. 

Warum ich damit einsteige? Weil mir als „Nachgeborenem“ in den aktuellen Diskussionen um die korrekte Zelebrationsrichtung heute mal wieder abgesprochen wurde, überhaupt mitreden zu dürfen, da ich das Konzil ja nicht selbst erlebt habe. Schließlich sei „durch das Konzil“ der „Rauch Satans“ in die Kirche gedrungen, das habe sogar ein Papst (Paul VI.) gesagt. 

Ich will trotzdem mitreden, weil mich die Diskussion beschäftigt und nachdenklich macht. Sie gehört unter allerlei, meist ideologisch zugespitzten Umschreibungen zu den Standards in der Diskussion um die rechte Weise der liturgischen Feier. „Zum Volke hin zelebrieren“, „orientierte Zelebration“ „Mit dem Rücken zum Volk!“ „Auf Gott hin...“ „Zelebration zur Wand“.

Aber kommen wir zunächst zum Anlaß. Vor einigen Tagen hat Robert Kardinal Sarah, ausgerechnet der für die Liturgie zuständige Präfekt der Gottesdienstkongregation, von London aus einen sehr praktischen Vorschlag gemacht (oder er soll ihn gemacht haben): Die Priester mögen doch vom Advent 2016 an versuchsweise zur Zelebration nach Osten „zurückkehren“. Katholisch.de berichtet wie folgt: „"Es ist sehr wichtig, dass wir so bald wie möglich zu einer gemeinsamen Ausrichtung zurückkehren, in der die Priester und Gläubigen gemeinsam in die gleiche Richtung schauen – ostwärts oder zumindest in Richtung der Apsis – auf den kommenden Herrn", sagte Kardinal Sarah. "Habt Vertrauen, dass das etwas Gutes ist für die Kirche und für die Gläubigen." Mit ihrem pastoralen Urteilsvermögen könnten die Priester selbst einschätzen, wie und wann die Messfeier "ad orientem" möglich sei, aber vielleicht könnten sie damit am ersten Sonntag dieses Advents beginnen.“

Es ist schon eigenartig, dass ein solcher Vorschlag recht salopp in den Raum gestellt wird. Wenn das nun von Kardinal Brandmüller gekommen wäre oder von Weihbischof Schneider... Aber wenn der Präfekt der Gottesdienstkongregation so etwas sagt, dann fragt man sich schon, ob ihm klar ist, dass dies ein einigermaßen brisanter und ungewöhnlicher Vorgang ist. Er wird auch wissen, dass diese Frage höchst umstritten ist, umstritten vor allem unter denen, die Liturgie gestalten und feiern. Die große Masse der katholischen Gläubigen wird da wohl eher etwas verständnislos sein und sich fragen, was das werden soll. Und welche „rechtlich-liturgische“ Bedeutung hat das Ganze? Wie kann es sein, dass eine solche „lockere Idee“ vom obersten Liturgiker der Kirche in den Raum geworfen wird, wo die Kirche noch nicht einmal die „kleine“ Veränderung der Wandlungsworte vom „für alle“ zum „für viele“ oder für „die vielen“ verdaut und - in Deutschland zumindest - noch nicht mal umgesetzt hat. Ich hatte mich in einem früheren Blogbeitrag damit eingehend beschäftigt. 

Zur Zelebrationsrichtung möchte ich zunächst einmal einige Beobachtungen voranschicken: 

  • In der Diskussion um die korrekte Zelebrationsrichtung ist mir noch nie das Argument der Ökumene begegnet. Oder habe ich das nur übersehen? In vielen evangelischen Kirchen ist der Altar so angeordnet, dass eine Zelebration „hinter“ dem Altar gar nicht möglich ist. Gerade wenn das Abendmahl gefeiert wird, wenden sich viele evangelische Pfarrer nach Osten (wenngleich manchmal auch nur symbolisch). In der Orthodoxie ist das – soweit ich es sehen kann – auch ganz selbstverständlich so.
  • Es gibt Kirchen und Kapellen, die von der Architektur her eigentlich eine Zelebration mit Blick auf die Apsis „erfordern“. Jedenfalls ist es spürbar, dass sie so gebaut wurden und dass die nachträglich eingefügten Zelebrationsaltäre nicht wirklich in den Raum passen. Manchmal ist der Altarraum so eng, dass der Priester hinter dem Alter „eingezwängt“ erscheint.
  • Bei allen Formen der Anbetung, die ich bisher miterleben durfte, erscheint es mir immer stimmig, wenn der Priester (oder auch der Leiter der Andacht) sich mit den Mitbetenden vor dem Herrn „klein“ macht. Das geht auch allen Mitfeiernden in der Regel so. Ich erinnere mich mit Schaudern an die eucharistischen Anbetungen im Rahmen einer Gemeindemission in meiner Heimatgemeinde, wo der Pater, mit dem Schultervelum bekleidet und die Monstranz in der Hand, die Hauptgedanken der Missionspredigt wiederholte, bevor er den eucharistischen Segen spendete. Das hat da nichts zu suchen – Anbetung ist Anbetung! Auch bei Andachten sitze ich als Vorbeter am Liebsten unter den Leuten (wenn das akustisch möglich ist).
  • Im Kloster Stiepel beten die Zisterzienser in der recht kleinen Klosterkirche in zwei nachträglich angebauten Seitenkapellen. Jeweils eine Hälfte des Konventes rechts und links. Wann immer die monastischen Stundengebete eine Wendung nach „Osten“ erfordern, stehen die ersten Mönche stumpf vor der Wand. Dies als „liturgisch sinnvoll“ zu erfahren und einzuordnen erfordert einige liturgische Kenntnis und Durchdringung. Visuell erfahrbar ist das im Grunde nicht. Ähnlich wäre dies auch in manchen modernen Kirchen, wo die Hinwendung zur Apsis, „zum kommenden Herrn“ angesichts einer schlichten Mauer oder Betonwand nur mit Mühe als solche zu erkennen ist. 
Zur Begründung seines Vorschlages führt Kardinal Sarah aus: „Einige liturgische Studien legten nahe, dass manche nachkonziliare Reformen dem Zeitgeist entsprechend durchgeführt und über das "Sacrosanctum Concilium", die Konstitution über die heilige Liturgie der Konzilsväter, hinausgegangen sei. Einige "sehr ernste Fehlinterpretationen der Liturgie" hätten sich durch die Einstellung eingeschlichen, die den Menschen anstelle von Gott in den Mittelpunkt stelle. "Die Liturgie dreht sich nicht um dich und mich", sagte Sarah. "Darin feiern wir nicht unsere Identität oder unsere Leistungen, wir verherrlichen oder bewerben darin nicht unsere Kultur oder lokalen religiösen Bräuche. Die Liturgie handelt zuallererst von Gott und was er für uns getan hat."“

Wer möchte dies – vor allem  die abschließenden Sätze – ernsthaft bestreiten wollen; nur was schließen wir daraus? Und stimmt neben der theologischen Überzeugung auch die Diagnose? Ist es wirklich so, dass Gottesdienste gefeiert werden, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen? Und wenn dieser Eindruck entstehen sollte - ist das den Zelebranten bewußt oder geschieht dies gar gewollt? Ich glaube immer noch, dass die weitaus meisten Gottesdienstbesucher keinesfalls Kultur oder lokale religiöse Bräuche "verherrlichen oder bewerben" möchten. Natürlich handelt die Liturgie von Gott, aber doch auch von meiner Schuld, von Vergebung, Erlösung und von menschlicher Not, Angst und Sorge. 

Ich habe keine Erinnerung an die Durchführung liturgischer Reformen nach 1965. Aber viele Menschen haben mir erzählt, dass sich der Wechsel der Gebetsrichtung in der Kirche mit Windeseile durchgesetzt hat. Von Konflikten zu dieser Zeit und um diese „Reform“ hat mir bisher jedenfalls niemand berichtet. Dass es diese gab, weiß ich aus anderne Quellen, aber die „normalen Gläubigen“ haben das offensichtlich weitgehend begeistert angenommen. Ganz offensichtlich war der Sinn der Zelebration ad orientem nicht allzu tief ins Glaubensbewußtsein von Priestern und Volk eingedrungen. Auch ganz persönlich erfahre ich beispielsweise die Feier der Messe nach der außerordentlichen Form der römischen Liturgie nicht „automatisch“ als „gottvoller“ oder stärker auf Gott als auf die Mitfeiernden ausgerichtet. 

Dabei sagen die Konzilstexte selbst über die Zelebrationsrichtung überhaupt nichts aus. Erst später wird festgelegt, dass der Altar frei stehen soll und dass man ihn umschreiten können sollte. 1969 findet sich in der allgemeinen Einführung ins Messbuch die Zelebration versus populum (zum Volke hin). Ich glaube nicht, dass sich der Wandel in der Gebetsrichtung zwischen Konzilsende und neuem Messbuch plötzlich eingeschlichen hat und alle Priester ganz überrascht waren, davon in der Einführung zu lesen. In der Geschichte der Kirche hat es in dieser Fraga auch sehr unterschiedliche Traditionen gegeben. Im Einzelnen darauf einzugehen, bin ich nicht Liturgiker genug. Was viele nicht wissen: selbst das „tridentinische“ Missale von 1962 sieht die Möglichkeit der Zelebration zum Volke hin vor, wenn auch nur in Ausnahmefällen. Darüber hinaus kann man die Fakten hierzu auch an zahlreichen Stellen im Netz nachlesen und es wird in den nächsten Wochen ganz bestimmt von kundigen Leuten Reaktionen auf Kardinal Sarahs Vorschlag geben. 

Die alten römischen Kirchen sind ursprünglich so ausgerichtet gewesen, dass der Altar im Westen und der Eingang im Osten war. Erst im Mittelalter setzte sich die „Ostung“ der Kirchen durch. Der Gedanke dahinter ist ja die Ausrichtung zum Sonnenaufgang als Symbol für den wiederkehrenden auferstandenen Christus. Was ja die Frage stellt, wo genau denn nun - im Jahreslauf - dieses Osten ist? In der Folge gibt es sogar Kirchen, deren Ostung genau auf den Sonnenaufgang des Patronatsfestes ausgerichtet ist. Was ja durchaus Charme hat. Aber so "zwanghaft" ist die „Orientierung“ der Kirchen in der kath. Welt insgesamt nicht. Es ist eine Symbolik die zwar bedeutsam ist, aber nicht überbetont werden muss.

Liturgiewissenschaftler weisen durchaus auf Schwächen der jeweiligen Gebetsrichtungen hin. So ist auch die vertraute Form der Zelebration zum Volke hin sicher nicht ohne Schwächen und Fragezeichen. Aber die Rückkehr zur alten Form ist ebensowenig die Lösung aller Probleme und Abhilfe für alle Defizite der heutigen Liturgiepraxis. Ich finde es durchaus sinnvoll, einmal wirklich in Ruhe die Liturgiereform der späten 60er Jahre in den Blick zu nehmen; was hat sich bewährt, was ist tragfähig, was ist zeitbedingt? Wo ist die ältere Liturgie stimmiger? Die aus der „Konserve“ wiederbelebte außerordentliche Form könnte auch einen Feinschliff gebrauchen, warum nicht auch die ordentliche Form? Das ist ein weites Feld, wo ich „Stückelei“ als kontraproduktiv empfinde. Es kann ja nicht sinnvoll sein, dass bei jeder neuen liturgischen Reform weitere "außerordentliche" Formen entstehen. Stell man sich einmal vor, es gäbe wirklich die Reform der Reform ... und ein namhafter Teil der Priesterschaft fordere die Zelebration nach dem Messbuch Paul VI. als zweiter außerordentlicher Form des röm. Ritus. (So abwegig ist das nicht, wenn man an die Einführung (und Einmottung) des neuen Begräbnisrituale vor einigen Jahren denkt.)

Dabei bin ich durchaus offen für Veränderungen der Gebetsrichtung. Warum sollten Teile der Messe nicht „gen Osten“ gebetet werden? Der Gedanke, dass Christen sich nicht zum geschlossenen Kreis zusammenschließen, der sich ausschließlich gegenseitig anschaut, sondern dass wir Gottesvolk sind, im Aufbruch zum Oriens, zum kommenden Christus, der uns entgegenkommt (Joseph Ratzinger), ist doch eindrucksvoll und stimmig. Aber kann eine solche Haltung nicht auf unterschiedliche Weise Ausdruck finden? Mein Eindruck ist auch, dass die Liturgiker von heute in dieser Frage eine größere Offenheit vertreten als dies in früheren Jahren der Fall war. 

Weiterführend ist ja auch der Gedanke, dass die Feiernden den Altar, der DAS Symbol für Christus ist „umstehen“. „Der Hauptaltar muss so angeordnet und gestaltet sein, dass er stets als ein Zeichen Christi erscheint, als der Ort, an dem die Heilsmysterien gefeiert werden, und gleichsam als die Ehrfurcht gebietende Mitte der versammelten Gemeinde." So heißt es in der Instruktion „Eucharisticum mysterium“ von 1967. 

Mir greift die Bemerkung "orientierte Zelebration" zu kurz, wenn es bedeuten soll, die Gebets"richtung" des Priesters schlicht um 180 Grad zu verändern. Ich kenne sehr wohl Priester, die "orientiert" zelebrieren und zwar wirklich zum Herrn hin, ohne mit mir in eine Richtung zu schauen... Es ist für mich auch weniger eine Frage wo und wie die Füße stehen, sondern wo Herz, Sinn und Geist sind...

Ganz ähnlich wird das ja auch von der Kongregation für den Gottesdienst  im September 2000 gesehen, dass die physische (topographische) Ausrichtung von der geistlichen (theologischen) unterschieden werden muss. Wenn der Priester versus populum feiert, solle seine geistliche Ausrichtung genau wie die der Gemeinde doch immer versus Deum per Iesum Christum (auf Gott hin, durch Jesus Christus) sein (zitiert aus Wikipedia).

Die Gleichsetzung: Zelebration zum Volke hin = der feiernde Mensch steht im Mittelpunkt und Zelebration nach Osten = der wiederkommende Herr steht im Mittelpunkt, greift mir zu kurz. Mir ist das zu oberflächlich und ich vermute und hoffe, dass auch der Kardinal das in seinem Vortrag differenzierter dargestellt hatte.

Letztlich kommt es in der Liturgie auf Kommunikation an und durchaus auch auf kulturell geprägte Verständnisse. Das dürfte dem Afrikaner (Guinea) Robert Sarah doch aus eigener Erfahrung kennen. Gottesdienst ist Kommunikation. Kommunikation mit Gott und Kommunikation unter den Menschen. Ich finde, beides muss sich im Gottesdienst die Waage halten. Gottesdienst ist kommunikatives Geschehen, nicht nur im Moment der Predigt. Und diese Kommunikation muss immer und deutlich spürbar ausgerichtet sein, auf den Vater im Himmel, durch den Sohn im Hl. Geist. Das gelingt nicht immer, und sicher gibt es Priester, bei denen die Aufmerksamkeit der Feiernden erst einmal in der Priestergestalt hängen bleibt. Und andererseits gibt es auch Priester, die sich in der Kommunikation mit Menschen schwer tun, sei es mit Einzelnen, sei es mit Gruppen. Auch sie brauchen den notwendigen Raum in unseren Gemeinden. Es ist wichtig, dass sich jeder, der im liturgischen Raum aktiv ist, immer wieder selbstkritisch fragt und auch befragen läßt: wer und was steht hier im Zentrum oder im Focus, Gott; sein Wort; die Anbetung … oder ich und „meine Art“ zu predigen, zu beten, Liturgie zu feiern. Bin ich wirklich durchlässig – auf Gott hin?

Ich glaube, dass eine neue liturgische Reform eine ausgesprochen komplexe Angelegenheit wäre. Die braucht Zeit und Vorbereitung, Studium und Katechese. Die Erfahrungen der 60er/70er-Jahre sollten uns da wachsam und zurückhaltend machen. Der Komplex eignet sich jedenfalls nicht für eine derartige „Hauruck-Aktion“. Ich fürchte, dass die Einlassung von Kardinal Sarah nicht zu einer ergebnisoffenen Diskussion dieses spannenden Themas führt, sondern die bestehenden Verhärtungen eher noch verstärkt. 

Dieser Vorstoß ist eine vergebene Chance. Sehr schade!

Hier in englischer Sprache eine (nicht autorisierte) Mitschrift der Worte von Kardinal Sarah: http://www.catholicworldreport.com/Blog/4902/cardinal_robert_sarahs_address_towards_an_authentic_implementation_of_sacrosanctum_concilium.aspx

Nun gibt es den Text auch übersetzt: http://www.kathnews.de/auf-dem-weg-hin-zu-einer-authentischen-umsetzung-von-sacrosanctum-concilium

Eine Reaktion auf Kard. Sarah durch den Erzbischof von London: http://www.catholicherald.co.uk/news/2016/07/11/cardinal-nichols-discourages-priests-from-celebrating-mass-ad-orientem/