Berlin hält für uns Papstpilger starke Kontraste bereit. Bei der Ankunft im futuristischen Hauptbahnhof: keinerlei Hinweis auf den Papst, der sich nun schon seit zwei Stunden in der Stadt aufhält, kein Plakat, kein Spruchband. Aber das ganze Regierungsviertel ist abgesperrt, Sicherheitsstufe I. Nur im großen Bogen komme ich in die Innenstadt, aber hier läuft das Leben wie sonst auch, nur die Vatikanfahnen zwischen der deutschen und der europäischen Flagge weisen darauf hin, dass ein besonderer Besucher in der Stadt weilt. Einige Jugendliche hatten sich auf der Spree ein Floß gebaut und es „Paradies“ genannt. Mit viel Bier, Musik und guter Laune wollten sie ein Zeichen gegen den Papst setzen.
Aber so wird es für mich nix mit Stimmungen einfangen, keine Demo weit und breit, keine Pro oder Contra-Papst-Stände in der Stadt. Im Zug war ich mit einer 84jährigen Dame ins Gespräch gekommen. Als waschechte Berliner Protestantin hatte sie keinerlei Verständnis für die dauernden Demonstrationen gegen dies und das. So mache ich einen Besuch bei Sabine Weiss in ihrem Abgeordnetenbüro „Unter den Linden“. Ich habe Glück, sie ist vor Ort und wir tauschen uns ein bisschen über Dinslaken, Voerde, Berlin und Kirche aus. Später mache ich mich mit Fabian Schneider, der bei ihr ein Praktikum macht, auf zum Olympiastadion. Das kann ich dann in dem Moment betreten, wo auch Benedikt mit Bundestagspräsident Lammert den Plenarsaal im Bundestag betritt. Die Rede wird von dort übertragen. Vor dem Stadion drängelten sich die Leute, aber drinnen füllt es sich nur langsam. 70.000 Leute, das dauert bis die alle drin sind. Auf dem Weg bekommt man eine "BILD" in die Hand gedrückt. Diesmal - aus Rücksicht auf Benedikt? - ohne nacktes Mädel auf dem Titel.
„Wenn das der Hitler wüßte, dass die Fahnen des Papstes auf seinem Stadion wehen.“ sagt einer in der Reihe hinter mir und deutet damit an, dass das Stadion – auch deutlich erkennbar – ein Nazi-Bau ist und dass in Berlin viele Christen der Hitler – Ideologie zum Opfer gefallen sind. Auch das ist immer wieder Thema an diesem Tag.
„Die Kirche ist bunt!“ geht mir durch den Kopf. Was für Kontraste, auch farblich: Kleine Kinder nutzen die Wartezeite und rennen auf der Tartanbahn um die Wette, Bischöfe und Kardinäle schlendern zwischen ihnen über die Fläche, bunte, beinahe knallige Farben dominieren. Und alles voller junger Leute und Familien. Vom meinem Platz ganz oben sehe ich kaum „graue“ Schöpfe. Norbert Lammert, Bundestagspräsident und engagierter Katholik legt in seiner Begrüßung behutsam aber überraschend deutlich den Finger in einige wunde Stellen seiner Kirche.
Dann beginnt die so viel diskutierte Rede. Der Papst als Professor, er präsentiert den Abgeordneten sehr grundsätzliche Gedanken zum guten Regieren. Schwere Kost sicherlich, aber wertvolle Anregungen für die Arbeit der Abgeordneten. Überrascht hat mich die positive Erwähnung der „ökologischen Bewegung“. Ohne „politisch werden zu wollen“ weist der Papst darauf hin, dass der Mensch auf die Sprache der Natur hören müsse und die Schöpfung in Ihrer Ganzheit zu schützen habe. „Es gibt auch eine Ökologie des Menschen. Auch der Mensch hat eine Natur, die er achten muss und die er nicht beliebig manipulieren kann. ... Der Mensch macht sich nicht selbst.“, so sein packendes Bekenntnis. Allgemeines Schmunzeln gibt es im Plenum - wie auch im Olympiastadion - als der Papst selbstironisch einen 84jährigen Rechtsphilosophen zitiert und – offensichtlich abweichend vom Redetext - bemerkt, dass er sich freue, dass man auch mit 84 Jahren noch auf vernünftige Gedanken kommen könne. Der Papst wirkt in seiner Rede munter und in seinem Element.
Es wird ihm nicht jeder im Bundestag zustimmen, aber er hat den Abgeordneten nachdenkliche Impulse mit auf den Weg gegeben, was diese offensichtlich quer durch die Fraktionen dann doch zu schätzen wussten. Ich wäre jetzt neugierig auf die Meinung von Sabine Weiss, die sehr gespannt, neugierig und voller Vorfreude auf die Rede und Begegnung mit dem Hl. Vater war.
Im Stadion steigt die Spannung und so langsam wird es voller. Auf einmal ziehen hunderte von Mädchen und Jungen als Messdiener ein. Es sind so viele, dass sie fast das ganze Stadion in Doppelreihe umrunden. Ein anrührendes und beeindruckes Bild. Komisch nur, dass die Bischöfe auf einem ganz anderen Weg einziehen und dabei den Weg der Messdiener kreuzen. Ihr violett leuchtendes Käppi konstrastiert intensiv mit dem kräftigen Grün der eigens angefertigten Messgewänder. Nach und nach treffen auch die Ehrengäste ein, Bundestagspräsident und Kanzlerin, die Ministerpräsidenten und Bundesminister; Malteser und Deutschordensritter, Rollstuhlfahrer, Mönche und Schwestern verschiedener Orden in unterschiedlichen Ordenskleidern.
Ganz Plötzlich schiebt sich zur Überraschung des Moderators das Papamobil ins Blickfeld. Wie auf ein Kommando erheben sich 70.000 Menschen von ihren Plätzen. Beifall brandet auf, als der Papst ein Kleinkind ins Papamobil gereicht bekommt. Nun kann er an keinem Baby mehr vorbei und hält immer wieder an, zur Freude der Eltern. Nach einer Runde über die Rennbahn geht der Papst in die Sakristei und in diesem Moment geht ein Regenschauer nieder. Der trifft allerdings nur die Ehrengäste. Wer nahe dran sein will muss auch was aushalten. Ein lustiges Bild, wie sich Bischöfe und Politiker in einfache Plastikumhänge hüllen. „Regen-Verhüterli“ murmelt jemand hinter mir. Als liturgisch Verantwortlicher hätte ich den Berliner Bischof ans Mikrofon geholt zur Tauferneuerung und den Regen von ihm segnen lassen. „Weihwasser vom Himmel!“ Während die Gäste sich unten im Stadionoval den Regen und die Plastikfolie wieder abstreifen, strahlt plötzlich wieder die Sonne in Stadion und die Messfeier beginnt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen