Freitag, 14. September 2012

Mein Bauch gehört...



Kann es eigentlich einen Zweifel daran geben, dass ein gläubiger Mensch „für das Leben“ eintritt? Kann es wirklich Katholiken (oder evangelische Christen) geben, die in der Beendigung einer Schwangerschaft etwas Positives erblicken oder die „legale“ Abtreibung gutheißen?

Es muss im Jahre 1991 gewesen sein. Die erste sogenannte „Woche für das Leben“ brachte in meiner Heimatstadt Vreden die Christen buchstäblich auf die Beine. Ich erinnere mich an zahlreiche Veranstaltungen und Diskussionen zum damaligen Thema „Schutz des ungeborenen Lebens“. Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir der Besuch und die öffentliche Rede von Domkapitular Norbert Kleyboldt (heute Generalvikar des Bistums Münster). Der Domkapitular erschien (nach meiner Erinnerung) in festlicher Soutane mit „Knopflochentzündung“ und betrat so den kleinen Balkon des ehemaligen Vredener Rathauses. Von dieser erhöhten (profanen) Kanzel sprach er zu hunderten von Vredener Bürgern darüber, welche Verantwortung Staat und Kirche gegenüber den ungeborenen Kindern haben. Es war der beeindruckende Abschluss einer sehr berührenden Woche. Ich weiß, dass mich die Frage nach dem Schicksal des ungeborenen Kindes ebenso beschäftigt und aufgerüttelt hat, wie der Gedanke, was wohl in einer jungen Frau vor sich geht, die das in sich heranwachsende Leben dem Tod preisgibt. In welchen Nöten muss sie stecken?

„Schwangerschaftsunterbrechung“, so hieß die Abtreibung im damaligen, allgemeinen Sprachgebrauch. In der noch bestehenden DDR hieß das entsprechende „Recht“: „Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft“. Als ob die unterbrochene Schwangerschaft wieder aufgenommen werden könnte, als gäbe es eine „Pausen-Taste“ an der schwangeren Frau, um zu warten, bis es eines Tages günstigere Zeiten für Schwangerschaft und Mutter-Sein geben würde! Aber genau so lief auch die Argumentation der Befürworter. Wenn Vaterschaft oder Mutterschaft heute nicht in die Lebensplanung passt, gibt es ja vielleicht in einigen Jahren eine neue Chance für ein Kind. Manche Politiker und Philosophen unterfütterten die gefühlige Diskussion dann noch mit ideologischen und quasi-wissenschaftlichen Argumenten.

Das Phänomen einer „Abtreibung“ im weitesten Sinne ist schon seit dem Altertum bekannt. Sowohl griechische Philosophen wie auch frühchristliche Theologen beschäftigen sich damit. Sie lehnen einen Schwangerschaftsabbruch natürlich ab, auch wenn in der ganzen Bibel kein ausdrücklicher Text zu diesem Thema zu finden ist. Schon die Kirchenväter betonen aber, dass das heranwachsende Kind ein Mensch ist, der ein eigenständiges Recht auf Leben hat. Sie stützen sich auf biblische Worte, wie z.B. beim Propheten Jeremia: „Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen, noch ehe du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich geheiligt...“ (Jer 1,5.) Soweit der Blick in die Geschichte, schauen wir nun auf die letzten Jahrzehnte. 

Von den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts an nahm die Diskussion um den Schwangerschaftsabbruch an Schärfe zu. Der Konsens, dass das heranwachsende Kind ein eigenständiges, unverfügbares Lebensrecht hat, schwand mehr und mehr. „Mein Bauch gehört mir!“ lautete die Parole. 1975 urteilt das Bundesverfassungsgericht dagegen: „Der Lebensschutz der Leibesfrucht genießt grundsätzlich für die gesamte Dauer der Schwangerschaft Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren und darf nicht für eine bestimmte Frist in Frage gestellt werden.“ Dennoch stellen die Richter fest, dass es Gründe geben kann, die den Abbruch einer Schwangerschaft rechtfertigen. Darauf folgt 1976 ein Gesetz, dass diese Gründe definiert und 1992 und 1995 eine Neufassung dieses Gesetzes. Hier wird eine umfassende Beratung der Schwangeren (vor einem möglichen Abbruch) zur Voraussetzung für eine Straffreiheit des nach wie vor strafbaren Schwangerschaftsabbruchs gemacht. Im Grunde eine Quadratur des Kreises. 

Nach all dem Streit empfanden Viele das aber als erträgliche Lösung, auch wenn kein Christ wirklich zufrieden sein konnte. Daher strebten fast alle Bischöfe an, die Möglichkeit zu nutzen in der vorgesehenen Beratung mit den betroffenen Frauen (und Männern) ins Gespräch zu kommen. Man wollte die betroffenen Frauen (und Männer) nicht den Abtreibungsideologen überlassen, für die der winzige Embryo im Bauch der Mutter keinen höheren Wert als der Keim einer Pflanze darstellte. Damit begab man sich allerdings auf „unsicheres Terrain“, denn plötzlich war die Kirche nicht mehr unbeteiligt und moralisch sauber. Denn, auch die kirchliche Beratungsstelle stellte am Ende eines Beratungsprozesses einen Beratungsschein aus, der letztlich zur Voraussetzung für eine straffreie Beendigung der Schwangerschaft im gesetzlich geregelten System wurde. Das war der wunde Punkt, an dem die organisierten „Lebensschützer“ in der Kirche ansetzten. Auch für die Bischöfe Dyba und Meisner war dieser Spagat nicht haltbar. 

Die innerkirchliche Diskussion um den besten Weg zum Schutz des ungeborenen Lebens (durch Beteiligung der Kirche an der Pflichtberatung oder alternativ allein durch die Kraft der kirchlichen Verkündigung) polarisierte sich immer mehr. Auf der einen Seite fast alle Bischöfe und viele Laienorganisationen, auf der anderen Seite die Mehrheit der vatikanischen Stellen, die Lebensschutzorganisationen und eine Minderheit der deutschen Bischöfe. Dann schickte m Januar 1998 der Hl. Vater, Papst Johannes Paul II., den deutschen Bischöfen einen Brief, in dem er darum  bat, die Ausstellung der Beratungsscheinen einzustellen. Damit fielen die kirchlichen Beratungsstellen aus dem gesetzlichen Rahmen heraus. 

Die Diskussion rund um diesen Anstoß wurde und wird bis heute in eigenartiger Weise kirchenpolitisch aufgeladen. Noch jetzt wird das zögernde Verhalten einiger Bischöfe und die klare Contra-Position von Bischof Franz Kamphaus aus konservativen Kreisen heraus überspitzt und als Verrat oder Ungehorsam bezeichnet. Die aus Laienkreisen heraus gegründete, von der Kirche formal unabhängige  Schwangerschaftskonfliktberatung „Donum Vitae“ wird auch weiterhin angegriffen und bekämpft, hierin engagierte Laien, selbst fromme und verdiente Persönlichkeiten, spüren (sogar von bischöflicher Seite) deutlichen Gegenwind. 

Hat aber die erhoffte Klarheit und Eindeutigkeit im kirchlichen Engagement positive Auswirkungen gezeigt? Ein Blick in die Statistik zeigt, dass es keinen sichtbaren Zusammenhang zwischen der Haltung der Kirche zu diesem Thema und den vorgenommenen Abbrüchen gibt. Die Zahl der Abbrüche sinkt zwar analog zur Zahl der geborenen Kinder, bleibt aber ansonsten einigermaßen konstant. Es sind seit Jahren in unserem Land ca. 15 % aller Schwangerschaften, die durch einen Abbruch beendet werden. Im europäischen Vergleich sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland deutlich seltener als in fast allen anderen Ländern. So haben in Großbritannien sogar 2 ½ mal so viele Frauen wie in Deutschland eine Schwangerschaft abgebrochen, in Österreich soll es ähnlich sein, während in der Schweiz Schwangerschaftsabbrüche sogar seltener als bei uns sind. Ich empfinde das so, dass der Einfluss der kirchlichen Verkündigung wohl nicht maßgeblich ist, dass es vor allem Faktoren wie soziale Entwicklung, gesellschaftliche Diskussionen, die Verbreitung von Verhütungsmitteln und wirtschaftliche Situation der Familien sind, die eine Auswirkung auf die Zahl der Abtreibungen haben. 
Eigenartig empfand ich (angesichts meiner Erfahrungen 1991) die Woche für das Leben in 2006: „KinderSegen - Hoffnung für das Leben / Von Anfang an uns anvertraut“. Sie ging relativ unbeachtet im Grundrauschen der Nachrichtenlage unter. Auch in den Gemeinden um mich herum sorgte sie nicht für die notwendige Aufmerksamkeit und Nachdenklichkeit. Ich selbst hielt da gerade unser viertes Kind in den Armen. 

Ich habe den Eindruck, dass die Auseinandersetzungen um die Konfliktberatung im Grunde der Sache selbst, dem Schutz des ungeborenen Lebens mehr geschadet als genützt haben. Wenn das Thema auf den Tisch kommt, bleiben die meisten Katholiken (evangelische Christen nicht minder), inzwischen erstaunlich still. Selbst Bischöfe meiden den lautstarken Auftritt in dieser Frage. Um so lauter gebärden sich die Lebensschützer mit ihren „Märschen für das Leben“ und „1000 Kreuze – Aktionen“. In letzter Zeit liefern sie sich noch dazu – verbale wie teils gar körperliche – Auseinandersetzungen mit linken bis radikalen Gruppen. Wobei klar gestellt werden muss, dass die Gewalt von den linksradikalen Gegendemonstranten ausgeht. Die Extremen beider Lager reiben sich aneinander. Die meisten Menschen bleiben (leider) stumm und zucken die Achseln. Das Thema eignet sich aber im Grunde auch nicht für die öffentliche Auseinandersetzung, denn es geht um persönliche Schicksale und schmerzhafte Entscheidungen. 

Die Entschiedenheit, mit der Christen in Vreden vor 30 Jahren noch sich für Mutter (Vater) und Kind einsetzten, sie ist dahin. Selbst unsere Bischöfe sind in diesen Fragen öffentlich einigermaßen zurückhaltend, was von den engagierten Lebensschützern und den konservativen Kreisen in der Kirche immer wieder befremdet angemerkt wird. 
Für mich ist diese Gemengelage ein deutliches Zeichen dafür, dass viel Porzellan zerschlagen wurde. Und das geschah zwischen Menschen, die eigentlich in ihren Positionen sehr nahe beieinander lagen. Ich bin fest überzeugt, dass es allen, den Lebensschützern, den Protagonisten von „Donum Vitae“, den Bischöfen, den liberaleren und den frommeren Christen vor allem darum geht Kind und Mutter (Familie) bestmöglich zu schützen. Alle wollten ihr Möglichstes tun, für die Zukunft der Kinder, für die Zukunft der Mütter (und der Väter). 

Und wo stehen wir jetzt? Haben die innerkirchlichen Auseinandersetzungen und die Anfeindungen der pointierten „Lebensschützer“ wirklich einen Fortschritt im Schutz des ungeborenen Lebens erzielt? Oder verhallt das Wort der Kirche in dieser Frage ungehört und verpufft das (noch immer beachtliche) Engagement der Katholiken für das ungeborene Leben weitgehend wirkungslos?

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in der Kirche heute mehr denn je, eine besondere Dialogkultur (auf Augenhöhe) brauchen. Zunächst einmal sollten wir uns unserer grundlegenden Überzeugungen vergewissern. Bibel und Tradition, aber auch das Lehramt sind hier sehr hilfreich und eine Einigung in der grundlegenden Haltung dürfte doch möglich sein. Aber bei aller Gemeinsamkeit in der Grundüberzeugung müsste es durchaus unterschiedliche Wege geben, für diesen Glaubensgrund einzutreten. Damit dies aber versöhnt nebeneinander stehen kann, brauchen wir eine Dialogkultur, die zeigt, dass sich Christen bemühen, die Haltungen und Überzeugungen der Anderen in der Tiefe zu verstehen und zu respektieren. Wir brauchen die Bereitschaft, hieraus entstehende Spannungen auszuhalten. Es sollte dann auch möglich sein, gegenüber der Öffentlichkeit zu begründen, warum die Kirche unterschiedliche Wege geht, um das eine Ziel zu erreichen. Jeder Katholik braucht eine feste Verwurzelung in den „Bräuchen und Traditionen“, aber auch die Bereitschaft zum Gespräch, die Bereitschaft, sich selbst in Frage zu stellen, die Bereitschaft einen Weg mitzugehen, den er selbst möglicherweise zunächst für falsch hält. „Und wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm.“ (Mt 5,41) Der Streit um Details und konkrete Handlungen unterschiedlicher Personen schadet der kirchlichen Verkündigung und zerstört deren Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit. Daher sollte die Welt an unserem Miteinander erkennen, dass es bei uns anders zugeht. Nur dann kann das Wort Jesu mit Kraft verkündigt werden. 

1 Kommentar:

  1. Einer der besten Texte eines gläubigen Katholiken zum Thema Schwangerschaftsabbruch, den ich je gelesen haben. Dank und Kompliment!

    Ich glaube der steile, enge und langwierige Weg zu einer Senkung der Abbruchzahlen ist der deutlich wirksamere, denn der der lautstarken "Lebensschützer".
    Wenn man Kriminalitätsraten senken will, muss man Schulen und bauen und Arbeitsplätze schaffen und keine Polizeistationen und Gefängnissen (die aber, Gott seis geklagt, in einem Mindestmass vorhanden sein müssen); wenn man Abbruchzahlen senken will, muss man Frauen SICHERHEIT geben. Für sich und ihre Kinder. Je mehr Sicherheit eine Frau für ihre und ihrer Kinder Zukunft sieht, um so weniger wird sie einen Abbruch auch nur in Erwägung ziehen. Ausser in ganz verzweifelten Lagen, in denen eine Fortführung der Schwangerschaft die seelische und körperliche Integrität der Mutter grundlegend gefährden würde.
    Aber das sind hoffentlich die wenigsten aller Fälle, so dass berechtigte Hoffnung besteht, dass die Abbruchzahlen weiter sinken werden, wenn wir es schaffen Frauen mehr Sicherheit zu geben.


    AntwortenLöschen