„In dieser gesegneten Nacht, heiliger Vater,
nimm an das Abendopfer unseres Lobes,
nimm diese Kerze entgegen als unsere festliche Gabe!
Aus dem köstlichen Wachs der Bienen bereitet,
wird sie dir dargebracht von deiner heiligen Kirche
durch die Hand ihrer Diener.
So ist nun das Lob dieser kostbaren Kerze erklungen,
die entzündet wurde am lodernden Feuer zum Ruhme des Höchsten.
Wenn auch ihr Licht sich in die Runde verteilt hat,
so verlor es doch nichts von der Kraft seines Glanzes.
Denn die Flamme wird genährt vom schmelzenden Wachs,
das der Fleiß der Bienen für diese Kerze bereitet hat.“
Als Hobbyimker bin ich vielleicht etwas zu sensibel, aber es hat mich immer gestört, dass hier (zumindest weitgehend) die Unwahrheit besungen wird. Ich meine das natürlich nicht in dem Sinne, als wolle ich die Realität der Auferstehung Jesu und das leere Grab leugnen, sondern mit Blick auf ein „keines“ Detail.
Die Osterkerzen sind heute nicht mehr aus Bienenwachs, sondern zu mindestens 90 Prozent aus künstlichem Wachs, also aus Paraffin oder Ceresin bzw. aus den pflanzlichen Wachsen Stearin und Raps. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass der Gesang des Exsultet viel älter ist als die moderne Kerzenherstellung. Aber sollte man nun – um der höheren Wahrhaftigkeit willen – das Exsultet ändern? Natürlich nicht! Aber es lohnt es sich, einmal bei diesen alten Worten (teilweise aus dem 4./5. Jahrhundert) zu verweilen.
Fast alle Katholiken sehen in der Osternachtsmesse die zentrale Feier unseres Glaubens. Trotz des späten Beginns ist die Kirche immer voll und der feierliche Einzug des neuen Osterlichtes in die dunkle Kirche und die Erfahrung, wie sich das Osterlicht in der Kirche ausbreitet gehört zu den bedeutsamsten und stimmungsvollsten Momenten des Kirchenjahres. Sie berühren das Herz und bereiten der Botschaft von der Auferstehung den Weg.
Während des ganzen Jahres hat die Osterkerze in Liturgie und Kirchenraum eine herausgehobene Stellung. Bei einer Taufe spendet sie ihr Licht der Taufkerze des Täuflings als Symbol, dass das Licht Christi diesem Kind stets leuchten möge. Bei einer Trauerfeier steht die Kerze am Sarg und symbolisiert das „ewige Licht“, das dem Verstorbenen leuchten möge. Es lohnt sich also, einige Gedanken auf diese Kerze, dieses zentrale Glaubenssymbol zu „verschwenden“.
Wenn im Exsultet die Rede vom Bienenwachs ist, dann geht es auch nicht nur um das Material, aus dem die Kerze letztlich hergestellt wird, sondern um die besondere Symbolik, die die Gläubigen des alten und neuen Testamentes und in der Frühzeit der Kirche mit dem Wachs, dem Bienenvolk und dem Honig verbunden haben.
Der Brauch, an Ostern eine besondere Kerze anzuzünden, ist sehr alt. Der Gebrauch einer Osterkerze als Symbol für Christus ist erstmals im Jahre 384 in einem Brief des hl. Hieronymus bezeugt. In dem reinen "Leib" der Kerze aus teurem, gebleichtem Bienenwachs sah man ein Sinnbild für die menschliche Natur Christi oder für seinen verklärten Leib nach der Auferstehung, während man die Flamme als Zeichen seiner göttlichen Natur auffasste. Die Verwandlung von (scheinbar totem) Wachs in ein lebendiges Licht ist ein Gleichnis für die Hoffnung auf die Auferstehung.
Die Kerzen wurden aus flüssigem Wachs gezogen. Spätestens Mitte des zweiten Jahrhunderts nach Chr. waren Wachskerzen so weit entwickelt, dass sie auch in geschlossenen Räumen verwendet werden konnten, ohne durch Rußen und unangenehmen Geruch lästig zu werden. (Beim Abendmahl haben wahrscheinlich noch Öllichte den Abendmahlssaal erhellt.)
Das Material, aus dem die Kerze besteht, wird im Osterlob besonders gewürdigt. Wachs galt als sehr kostbar, weil es mit mühevoller Arbeit verbunden und weil es der fleißigen und „jungfräulichen“ Biene zu verdanken war. Zum Bienenwachs gab es jahrhundertelang keine Alternative. Fast jedes Kloster hatte eine Imkerei, nicht (nur) wegen des köstlichen Honigs (der ja über Jahrhunderte auch das einzige Süßungsmittel war), sondern mehr noch, damit genügend Wachs für die in der Liturgie verwendeten Kerzen produziert werden konnte. Bis heute prägt das Wissen der Ordensleute die Imkerei. Sehr bekannt ist der inzwischen verstorben Bruder Adam (Kehrle) aus der englischen Benediktiner-Abtei Buckfast. Im 19. Jahrhundert standen auch in zahlreichen Pfarrgärten Bienenvölker und zahlreiche Fachbücher dieser Zeit stammen aus der Feder von Priestern und Ordensmännern.
Kein Wunder, dass auch die Bienen selbst religiöse Bedeutung bekamen. Das Bienenvolk galt als Symbol für den lebendigen Organismus der Kirche selbst. In älteren Varianten des Exsultet wird diese Symbolik noch weit ausführlicher entfaltet. Auf den bemalten Exsultet – Rollen, aus denen gesungen wurde sind uns interessante Bilder von Bienen und Bienenstöcken überliefert. Der Bienenstock ist für die Dichter des feierlichen Lobgesangs auf Christus (im Bild der Osterkerze) ein Symbol für die Kirche überhaupt. Leider fliegen heute nicht alle so fleißig und zuverlässig in die Kirche wie die Bienen in einen Bienenstock. Durch ihren sprichwörtlichen Fleiß ist die Biene in vielen Kulturen ein Bild für ein funktionierendes, geordnetes Gemeinwesen. Im Bienenstock wie in der Gemeinde, hat jede(r) eine Aufgabe, die ihn oder sie erfüllt, und so wie Christus die Kirche lenkt und leitet und am Leben erhält, so tut dies bei den Bienen die Königin. Die „Jungfräulichkeit“ der Bienen wurde ebenfalls hoch geschätzt und als Bild der jungfräulichen Gottesmutter gedeutet, allerdings hatte man bis dahin noch nicht erkannt, dass auch im Bienenvolk Männchen, die Drohnen leben. Der Patron der Imker, der Hl. Ambrosius von Mailand schreibt dazu: „Seht zu, dass eure Arbeit der eines Bienenstocks ähnelt, denn eure Reinheit und eure Keuschheit sollen mit den arbeitsamen, bescheidenen und enthaltsamen Bienen verglichen werden. Die Biene ernährt sich von Tau, kennt keine sinnlichen Laster und bringt kostbaren Honig hervor. Der Tau einer Jungfrau ist das Wort Gottes selbst; er sinkt wie der Tau der Bienen wohltätig und rein vom Himmel herab.“
Die Hochschätzung des Bienenwachses hat sich in der Kirche ebenfalls erhalten, denn den Kirchenkerzen wird noch immer ein gewisser, symbolischer Anteil an Bienenwachs beigemischt. Die Hochschätzung der Biene hat dazu geführt, dass sie als eines der wenigen Tiere in den offiziellen kirchlichen Gebeten namentlich erwähnt wird.
Die Osterkerze steht mit der Exodus-Erzählung in Verbindung, die ebenfalls im Exsultet besungen wird. „Dies ist die Nacht, in der die leuchtende Säule das Dunkel der Sünde vertrieben hat.“ Wie das Volk Israel damals durch die Wüste und durch das Rote Meer hindurchgezogen ist, indem es der Feuersäule folgte, so ziehen jetzt die Christen in der Osternacht in die Kirche ein und folgen der brennenden Flamme der Kerze. Im brennenden Dornbusch hatte sich Gott einige Zeit zuvor dem Mose in der Wüste geoffenbart. Früher war es Brauch, den Funken zur Entzündung des Osterfeuers aus einem Stein zu schlagen. So war schon dieser Funke ein Hinweis auf Christus, der aus dem Dunkel seines Felsengrabes als Auferstandener hervorgetreten ist. Christus sagt: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wandelt nicht im Dunklen, sondern er wird das Licht des Lebens haben.“ Diese Worte und Berichte der Bibel werden in der Osternacht lebendig.
Aber kommen wir zur Osterkerze aus reinem Bienenwachs zurück. Als Kind habe ich einige Male einen Imker beim Kerzenziehen beobachten können und war fasziniert von dieser Arbeit. Noch heute habe ich den herrlichen Duft in der Nase. So eine Kerze war – unabhängig vom Preis – etwas sehr Kostbares. Sie ist das Endprodukt eines längeren Arbeitsprozesses, großer Erfahrung und hoher Wertschätzung für den Werkstoff „Bienenwachs“.
Nach dem Tod meines Vaters habe ich sein Hobby, die Imkerei „geerbt“. Am Ende der „Saison“ fallen immer Wachs- und Wabenreste an, die ich über Jahre eingeschmolzen und gesammelt habe. Ich hatte immer den Traum, daraus einmal eine Osterkerze entstehen zu lassen. In Deutschland gibt es heute – meines Wissens – nur einen Handwerker, der in der Lage ist, eine große Osterkerze aus reinem Bienenwachs zu ziehen. Das ist Bruder Clemens aus der niederbayrischen Benediktinerabtei Schweiklberg. Aber das ist vom Niederrhein aus gesehen weit weg und bei ihm kann man nicht einfach eine Kerze bestellen, weil er nur begrenzte Kapazitäten hat. Durch einen glücklichen Umstand konnte mein Traum wahr werden, denn ich lernte in der Abtei Mariendonk am Niederrhein die Benediktinerin Sr. Clara Vasseur kennen. Sie zeichnet für manche künstlerische Projekte der Abtei verantwortlich, arbeitet unter anderem an Paramenten und gestaltet Kerzen. Wir kamen miteinander ins Gespräch und es zeigte sich, dass sie eine Expertin für die Geschichte der Osterkerze ist und mit Bruder Clemens eng zusammenarbeitet. So konnte ich meinen Bienenwachs bei ihr abgeben. Sie schickte das Wachs mehrerer Imker nach Schweiklberg, wo Bruder Clemens es klärt und bleicht und dann daraus die Kerzen zieht. In der Abtei Mariendonk wurde die Kerze mit den klassischen österlichen Symbolen und einem besonderen Kreuz aus der Tradition der iroschottischen Mönche geschmückt. Die Symbolkraft der Osterkerze wird verstärkt durch den Brauch, das Kreuz Christi darauf anzubringen und dazu das Alpha und das Omega, den ersten und den letzten Buchstaben des griechischen Alphabetes; in Erinnerung an das Jesuswort: „Ich bin ... der Anfang und das Ende“. Schließlich schreibt man auf die Kerze auch die jeweilige Jahreszahl, um deutlich zu machen, dass wir Christen in dieser Welt leben, dass wir nicht auf eine (glorreiche) Vergangenheit starren und auch nicht nur auf eine bessere Zukunft hoffen, sondern die Dinge jetzt und heute in die Hand nehmen, dass wir anpacken und unsere Welt aus christlichem Geist gestalten.
Die fertige reine Bienenwachskerze ist etwa ein Meter lang und 7 kg schwer. In der Osternacht wird sie dem ewigen, göttlichen Licht, Christus dienen. Da Bienenwachs als Rohstoff etwa 10 € / kg kostet und auch der Arbeitsaufwand nicht gering ist, ist verständlich, warum das kostbare Bienenwachs immer weniger in Kirchenkerzen zum Einsatz kommt. Aber angesichts der herausragenden Bedeutung der österlichen Kerze wäre durchaus zu überlegen, ob nicht zumindest diese eine Kerze in unseren Gemeinden ganz nach den beeindruckenden Worten des Exsultet gestaltet werden könnte.
Die Schlussverse des Osterlobes nehmen noch einmal den lieblichen Duft der Kerze in den Blick und deuten ihn auf Gott hin. „Darum bitten wir dich, o Herr. Geweiht zum Ruhm deines Namens, leuchte die Kerze fort, um in dieser Nacht das Dunkel zu vertreiben. Nimm sie an als lieblich duftendes Opfer, vermähle ihr Licht mit den Lichtern am Himmel.“ Das große Loblied des Exsultet endet mit dem Wunsch, die Osterkerze möge leuchten, „bis der Morgenstern erscheint, jener wahre Morgenstern, der in Ewigkeit nicht untergeht: dein Sohn, unser Herr Jesus Christus, der von den Toten erstand, der den Menschen erstrahlt im österlichen Licht...“.
Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern von Herzen ein frohes und gesegnetes Osterfest.
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