Freitag, 26. April 2013

Deinem kommenden Christus entgegen gehen - Christo tuo venienti occurrentes


Heute haben wir Reinhard Lettmann, den früheren Bischof meiner Heimatdiözese Münster zu Grabe getragen. Achtzig Jahre alt ist er geworden, als er auf einer Pilgerreise in Israel, in der Geburtskirche in Bethlehem verstarb. Einige Tage zuvor hatte Weihbischof Wilfried Theising uns erzählt, dass man dem Altbischof durchaus klar von dieser Reise abgeraten habe. Durch eine Erkrankung der Lungen war er geschwächt und auf Sauerstoff angewiesen. Doch letztlich habe man ihn im Vertrauen auf Gott reisen lassen. Es war sein fester Wille, so berichtete der Weihbischof. Und das passte zu ihm. Wenn er sich entschieden hatte, wenn er als Bischof sein Wort erhob, dann hatte das Hand und Fuß und Festigkeit. 
Manch einer hat ihn mit einem „westfälischen Bauern“ verglichen, dabei war er der Sohn eines Bergmanns aus Datteln. Mir kommt das Bild in der Lohnhalle des Schachtes Lohberg in den Sinn, es zeigt drei Charaktertypen, einen Bergmann, einen Stahlarbeiter und einen Bauern. Es gibt schon deutliche Verbindungslinien zwischen den Gestalten, die aus Familien hervorgegangen sind, deren Leben von solchen Berufen geprägt war. 
Auch wenn man damit rechnen musste, war es trotzdem eine berührende Überraschung für mich, als ich von seinem Tod erfuhr. Spontan habe ich ins Online-Kondolenzbuch des Bistums geschrieben: 
„In Dankbarkeit erinnere ich mich an manche Begegnung mit Bischof Reinhard. Er war "mein Bischof", 1991 hat er mich in den pastoralen Dienst genommen, ich denke an manche Gespräche, an Predigten, an Sitzungen im Diözesanforum und im Pastoralrat. Es war immer eine Freude ihm zu begegnen! Nun ist er in der Geburtskirche verstorben. Kann es einen schöneren Ort geben? Dort wo durch die Geburt Christi die neue Zeit angebrochen ist, beginnt auch für ihn nun das Neue und Vertraute, auf das er Zeit seines Lebens gehofft hat. Er geht vom Ort der Geburt Jesu aus dem kommenden Christus entgegen. Möge er in Frieden ruhen!"
29 Jahre lang war Dr. Reinhard Lettmann mein Bischof. Also im Grunde so lange, wie ich kirchlich denken kann. Daher wollte ich ihn heute auch auf seinem letzten Weg begleiten und von ihm Abschied nehmen. 

Die Ordner im Dom schickten mich durch den Kreuzgang und plötzlich fand ich mich im nördlichen Seitenschiff mitten unter zahlreichen Priestern und Diakonen in Chorkleidung wieder. Zunächst etwas unsicher (hatte ich mich verirrt?), wurde mir dann aber schnell klar, dass es auch genau so gedacht war. Die Seelsorger des Bistums, Pastoralreferenten, Ordenschristen, Priester und Diakone stehen gemeinsam am Sarg ihres Bischofs und feierten Eucharistie. Bischof Reinhard wünschte diese Gemeinschaft, er hat sich engagiert dafür eingesetzt, dass die unterschiedlichen Ämter und Dienste für die Verkündigung des Evangeliums Hand in Hand wirkten, jede und jeder an dem Platz, der ihm oder ihr von Berufung, Amt und Talent her zukommt. So entdeckte ich manches bekannte Gesicht aus meiner kirchlichen „Laufbahn“, Kapläne meiner Kindheit und Jugend, priesterliche Wegbegleiter in den Gemeinden, in denen ich tätig war und bin, Diakone und Pastoralreferenten mit denen mich Ausbildung und gemeinsames Engagement verbanden.
Wir Pastoralreferenten verdanken Bischof Reinhard Lettmann viel, er hat für die theologische Profilierung des Berufs mit gesorgt und war der erste Bischof Deutschlands, der einen Pastoralreferentenrat einberufen hat. 
Der Dom war voll, einige bekannte Gesichter gab es zu sehen, aber auch sehr viele Ordensleute unterschiedlichster Gemeinschaften. Einige sind alt geworden und stützen sich auf ihren Stock. Schön, manche wieder zu sehen. 

Der Glockenschlag der berühmten astronomischen Uhr ersetzte – wie so oft im Dom – die viel leisere Sakristeiglocke. Langsam, nahte das große Vortragekreuz und von meinem Platz aus unsichtbar wurde der Sarg des Bischofs, begleitet von den liturgischen Diensten, dem Domkapitel und den Zelebranten herangetragen und vor dem Altar abgestellt. Dompropst Alfers verlas ein Wort von Papst Franziskus: „Der Weg war ein tiefes Merkmal seines Lebens. Als Hirte war er stets unterwegs zu den Menschen und hat in den 28 Jahren seines Bischofsdienstes alle Teile des weitläufigen Bistums besucht.“ Ja, auch daran kann ich mich erinnern, als Jugendlicher mit dem Bischof einige Wegstrecken geteilt zu haben. Es war wohl meine erste Begegnung mit ihm.

Den Gottesdienst heute im Dom erlebe ich als sehr feierlich, ernst, gesammelt und schlicht. Bischof Felix und die Diakone tragen ein altertümliches, schwarzes Messgewand und Dalmatik. Die Weihbischöfe ein moderneres, ebenfalls schwarzes Gewand. Ehrlich gesagt, ich hätte weiß bevorzugt, Auferstehung, so wie es zum Ausdruck kommt, als die Gemeinde direkt nach der Beisetzung „Jesu, Dir jauchzt alles zu...“ anstimmt. 


Im Chorgestühl fallen einige Vertreter orthodoxer und evangelischer Kirchen auf. Ökumene hat Bischof Reinhard gelebt. Auch Gäste aus Jerusalem waren zu entdecken, der ehemalige Abt der Benediktinerabtei Dormitio, P. Benedikt Maria Lindemann ragte allein durch seine Größe aus der Schar der Priester heraus (er lebt und wirkt heute in Hildesheim), doch auch der amtierende Abt Gregory Collins war gekommen. Das Evangelium des heutigen Tages „sitzt“ (leider nicht so ganz beim gesungenen Vortrag des Diakons). Doch es passt wie kaum ein anderes zu dieser Trauerfeier. Welche Fügung!  „In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott, und glaubt an mich! Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt: Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten?“ Bischof Genn greift das gleich auf: „Viele unserer Priester haben dieses Wort des Herrn oftmals in die Situation von Trauer, Sterben und Beisetzung hineingesprochen. Wie sehr passt es auch in diese Stunde, in der wir als Kirche von Münster Abschied nehmen von unserem verehrten Bischof Reinhard."

Ähnlich eindringlich waren für mich die Worte aus der Lesung aus dem ersten Johannesbrief: „Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir geschaut und was unsere Hände angefasst haben, das verkünden wir: Das Wort des Lebens …. Was wir gesehen und gehört haben, das verkünden wir auch euch, damit auch ihr Gemeinschaft mit uns habt. Wir aber haben Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus."  Auch dieser Text sitzt, spiegelt sich im Leben von Bischof Reinhard. So konkret war stets seine Verkündigung, handfest, klar, knapp, humorvoll und auf das Eigentliche bezogen. 

Als Prediger hatte er – Bischof Felix möge es mir verzeihen – seinem Nachfolger etwas voraus. Ich erinnere mich noch ganz genau an dieses Bild, wie er immer vor dem Altar stehend, ohne Manuskript oder Zettel frei und druckreif sprach. Und keine Predigt, in der nicht auch ein Satz zum Schmunzeln steckte. Manches Mal gab es im Dom etwas zu lachen, aber der Bischof verzog bei der Predigt dabei keine Miene. Bischof Reinhard war ein humorvoller Mensch und einer, der zu Erzählen wußte und auch etwas zu berichten hatte. Wenn er sprach, hörten alle zu, gefesselt und gefangen. An eine Formulierung bei einer Priesterweihe kann ich mich erinnern. Da sagte er (ich glaube, im Predigtmauskript tauchte das so nie auf) zum Bericht vom erfolglosen Fischfang der Jünger: Geht es uns als Priester nicht oft auch so? Man organisiert dies und das, lädt die Menschen ein... „Da werfen wir unsere Netze aus und kein Schwein kommt.“ Der Bischof wartet die kurze Heiterkeit ab und "korrigiert sich" indem er sagt „und keiner kommt“ und setzt die Predigt fort, während er die ganze Gemeinde neu in den Bann gezogen hat. 

Mucksmäuschenstill war es, als Bischof Felix erzählte, was einige Minuten vor dem Tod des Bischofs geschehen war. „Mich hat es besonders berührt, liebe Schwestern und Brüder, dass Bischof Reinhard deutlich und vernehmbar wenige Augenblicke vor seinem Tod den Tischsegen gesprochen hat: „Zum Gastmahl des Ewigen Lebens führe uns Christus, der König der Herrlichkeit“. Es berührt auch mich sehr, dass ein solches, oft gehörtes und gesprochenes Gebetswort plötzlich seine tiefste Wirkung entfalten kann. Ja, wir wissen weder den Tag noch die Stunde, in der wir gerufen werden.  
Christus lud auch uns nun zum Gastmal. Gemeinsam mit Bischof Genn konzelebrierten Kardinal Joachim Meisner, Hildesheims Bischof Norbert Trelle, und Heinrich Mussinghoff aus Aachen. Mit ihnen waren 40 Bischöfe gekommen, um von ihrem Mitbruder Abschied zu nehmen. 
Nach der Eucharistiefeier wurde der Sarg des Verstorbenen in festlicher Prozession in den Westchor des Domes übertragen. Drei Priesteramtskandidaten trugen Primizkelch, Mitra und Bischofsstab. Dieser wurde allerdings mit der Krümme nach unten getragen, ein besonders starkes Zeichen in dieser Feier. 

Hinten im Westchor des Domes, direkt vor dem geschlossenen barocken Hochaltar brannten sechs Kerzen. Dort hatte man man einige Steinplatten aufgenommen und den Sarg des Bischofs in die Grablege der Bischöfe von Münster hinabgelassen, wo er an der Seite seiner Vorgängern Johannes Poggenburg, Michael Keller und dem aus meiner Heimatstadt stammenden Bischof meiner Kindheit, Heinrich Tenhumberg ruhen wird. 

Kurz vor seinem Tod in Bethlehem hatte Reinhard Lettmann noch die Eucharistie, das himmlische Gastmahl mitgefeiert. An diesem Tag wurde dieses Wort Jesu verkündigt: „Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben“. Meist hören wir es als Verheißung; wer sich auf den Weg der Nachfolge begibt, der erhält durch Christus, was seinen Hunger, seinen Durst und seine Sehnsucht stillt. Doch in dieser besonderen Situation bekommt das Wort „wer zu mir kommt“ besonderes Gewicht. Eigentlich wollte Bischof Lettmann am Tag seines Todes noch nach Emmaus reisen, an den Ort, wo die Jünger Jesus beim Brechen des Brotes erkannten. In gewisser Weise ist er doch noch dorthin gekommen. Beim Brechen des Brotes erkannten die Jünger, dass Jesus selbst sie auf ihrem Lebensweg begleitet hatte. Nachdem diese Erkenntnis sie erfüllt hatte, sahen sie ihn nicht mehr. Bischof Reinhard hat fest an dieses Lebensgeleit durch Christus geglaubt und er hat es verkündet. Jetzt aber erkennt er Christus von Angesicht zu Angesicht. 
Möge er ruhen in Frieden, denn "Deinen Gläubigen, Herr, wird das Leben gewandelt, nicht genommen. Und wenn die Herberge der irdischen Pilgerschaft zerfällt, ist uns im Himmel eine ewige Wohnung bereitet."

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