Man braucht schon ein „hartes Herz“
und eine „dicke Haut“, um auszuhalten und anzuschauen, was in
Syrien, im Irak und kürzlich auch mitten in Europa, mitten in Paris
geschah und weiterhin geschieht. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht,
aber eigentlich ist es kaum auszuhalten: das Leiden der Opfer und die
Brutalität und Bestialität der Täter.
Wer ist stark genug, wirklich mit den
Opfern zu leiden? Ihr Leid an uns herankommen zu lassen und oft genug
hilflos zu bleiben, weil man, weil ich so wenig tun kann. „Euer
Herz verhärte sich nicht...“ sagt die Bibel, aber jede(r) von uns
entwickelt doch solche Strategien, um sich inmitten einer unheilen
Welt gegen die vielen Bilder des Leidens abzuschotten. Ob ein Stück
der „vergangenen heilen Welt“ vielleicht auch im Mangel an
Bildern, Filmen, Informationen begründet liegt?
Was macht das eigentlich mit uns?
(Vielleicht ist hier eine Entschuldigung angebracht, dass ich dem Gequatsche und Gefasel dieser Tage zum Thema Silvesternacht und die Folgen noch welche hinzufüge. Zur allgemeinen Einordnung: Ich bin Blogger und damit vermutlich "Rechtskatholik" und Gutmensch und damit hoffnungslos naiv. Irgendwo dazwischen wird die Wahrheit liegen, vielleicht bin auch auch einfach Beides. Wie auch immer, es hat mir geholfen eine Sammlung von Gedanken aufzuschreiben. Vielleicht lohnt sich die Lektüre ja für den ein oder anderen, dann wäre ich schon zufrieden.)
Und was macht das eigentlich mit denen,
die unmittelbar betroffen waren, die selbst Opfer der Gewalt wurden –
und heute zu uns fliehen. Eine Million von ihnen lebt heute mitten
unter uns. Wie gehen sie um mit den Erfahrungen einer Welt, in der
über lange Zeit das Gesetz des Terrors und des Krieges herrschte?
Kann man – dem entkommen, einigermaßen unbeschadet in Europa neu
anfangen? Oder wie sehr hat die zerrüttete Gesellschaftsordnung zu
Hause auch die innere Orientierung selbst zerrüttet? Und wer trägt
dann eigentlich die Schuld und die Verantwortung?
In Köln – aber auch in anderen
Städten - hat es in diesen Tagen unerträgliche Übergriffe
gegenüber jüngeren und älteren Frauen gegeben. Verbunden wurden
diese sexuellen Übergriffe mit Diebstählen. Dass jemand klaut, das
kann man ja noch verstehen, aber die Menschen- und Frauenverachtung
von Taten dieser Art schockiert. Beteiligt – und wenn nur durch
Herum- und Dabeistehen, wegsehen und unterlassene Hilfe waren
zahlreiche (mancher spricht von 1.000, mancher spricht von 2.000
Personen) Männer, viele von Ihnen (aber nicht alle) Zuwanderer aus
Nordafrika und dem nahen und mittleren Osten. Besonders verstörend:
offensichtlich waren es nicht nur Mitglieder krimineller
Jugendbanden, sondern u.a. auch frisch eingereiste Asylbewerber aus
verschiedenen Flüchtlingsunterkünften.
Mancher von Ihnen wird vor einigen
Wochen noch mit einem „Willkommen“ - Schild am Bahnhof begrüßt
worden sein. Viele der Anwesenden sollen – entgegen den Weisungen
ihres Propheten – stark alkoholisiert gewesen sein. Angesichts
dessen kann es niemanden beruhigen, wenn „nur“ 100 Leute wirklich
strafbare und strafwürdige Handlungen begangen haben.
Unglaublich viel ist in diesen Tagen zu
diesen Ereignissen und Verbrechen gesagt worden. Leider aber viel zu
wenige Worte der Anteilnahme und des Bedauerns. Ich hätte eigentlich
erwartet, dass die Polizeiverantwortlichen und die politisch
Verantwortlichen, die Vertreter der Stadt, der Bahn, der Politik und
der Sicherheitskräfte überzeugend die betroffenen Frauen um
Vergebung bitten und jede Hilfe anbieten, mit den traumatisierenden
Erlebnissen fertig zu werden. Noch ist nicht klar, wer außer den
Tätern alles Verantwortung trägt und Schuld auf sich geladen hat.
Aber Gesten der Anteilnahme und des Bedauerns, dass es nicht gelungen
ist, die Übergriffe zu verhindern hätte ich viel klarer erhofft.
Die (eher etwas unverdienten) Prügel für ein verunglücktes Wort
der Kölner Oberbürgermeisterin ist für mich ein Ausdruck davon,
dass vielen Menschen die Solidarität mit den Opfern zu kurz kam.
Bricht sich eigentlich ein
Polizeipräsident einen Zacken aus der Krone, wenn er – ohne in
Rechtfertigungen zu verfallen – zunächst bekennt: „Es tut mir
persönlich in der Seele weh, dass es mir und meinen Kollegen nicht
möglich war, sie in dieser Nacht vor diesen Männern zu schützen.?
Bitte verzeihen Sie uns! Wir werden uns in den nächsten Tagen
absolut auf die Hinterbeine setzen, um die Täter zur Verantwortung
zu ziehen!“
Viel wird in diesen Tagen darüber
spekuliert, was Menschen, die in unserem Land Schutz suchen oder zu
Gast sind, zu einem derartigen Verhalten gebracht hat.
Da wird der Alkohol bemüht, der Islam
muss herhalten, das „Frauenbild“ der jeweiligen Länder und
manches mehr. Aber, welche Erklärung wir auch finden, keine wird die
gesamte Motivationslage angemessen darstellen. Vermutlich bekommt man
nur dann Antworten, wenn man die einzelnen Personen und ihre
Schicksal in den Blick nimmt. Aber, im Grunde interessiert mich viel
eher, wie man die Personen dazu bringt, sich angemessen und sozial
verträglich zu verhalten. Wie sie zu Verbrechern geworden sind,
möchte ich gar nicht wissen. Und wenn es eine Möglichkeit gibt, sie
loszuwerden, würde ich dem nicht im Wege stehen wollen.
Ein Unwohlsein aber bleibt auch dann,
denn das Verbrechen, das Böse geht davon nicht weg. Ein Taschendieb
weniger in Köln könnte ein Taschendieb mehr in Algier oder Tunis
sein. Die Welt wird hierdurch kein besserer Ort; allenfalls halten
wir uns die böse Welt vom Leibe. So wie es viele tun, die von
„geschlossenen Grenzen“ träumen und meinen, alle Freuden und
Vorteile der Globalisierung genießen – aber ihre Schattenseiten
exportieren oder „außen vor halten“ zu können.
Viele Zuwanderer, auch solche, die
längst Deutsche sind, ahnen in diesen Tagen, wie sehr die Ereignisse
der Silvesternacht das Miteinander in diesem Lande beeinträchtigen
wird. Die Verbrechern weniger, die leider als Menschenmasse
auftraten, werden nachhaltige Folgen für die Mehrheit derer haben,
die froh und glücklich sind, dass sie hier leben und arbeiten
dürfen, dass sie hier Schutz und Sicherheit genießen. Ich fürchte
sogar, die Vorfälle werden Menschenleben kosten, denn sie werden
bewirken, dass eine Flucht nach Deutschland gerade für die Armen und
Schwachen unter den Opfern von Diktatur, Terror und Gewalt immer
weniger möglich sein wird.
Für die Ausländerfeinde und
Flüchtlingsskeptiker in unserem Land hätte es nicht besser laufen
können. Mit zunehmender Freude schreiben sie ihre widerliche
Genugtuung „RECHT GEHABT zu haben“ ihren Kritikern und allen
sogenannten Gutmenschen ins Stammbuch. Als wenn es nicht nach wie vor
noch die Mehrheit der Flüchtlinge ist, die sich besser verhalten,
als jeder Knigge es fordern würde. Selbst derjenige, der die
Problematik der großen Flüchtlingszahlen immer mit dem Realismus
gesehen hat, dass auch Flüchtlinge nicht alles gute Menschen sind,
kann sich der Flut selbstgerechter Angriffe nur mit Mühe erwehren.
Hier wird ein Gift in unsere Gesellschaftsordnung injiziert, dessen
Wirkung erst in einigen Jahren zu Tage treten dürfte.
Besonders ärgerlich ist, dass es
diesen Leuten nicht reicht, bei der Wahrheit zu bleiben und bei der
durchaus traurigen Realität. Nein, es wird aufgebauscht und gepushed
was das Zeug hält. Selbst gestandene Politiker zücken das
Wörterbuch des AFD- und Pegida-Sprechs und reden von
Schweigekartellen und Vertuschung, wo allenfalls Unsicherheit,
Unbeholfenheit oder Fehler zu konstatieren wären.
Die Kölner Medien hatten umfassend und
unmittelbar nach den Vorfällen berichtet, schon am 1. Januar war mir
klar, dass da etwas geschehen war, was uns noch lange beschäftigen
und verstören würde. Ich erinnere mich deshalb so gut, weil meine
eigene Tochter an dem Tag noch am Hauptbahnhof in Köln gewesen war.
Gut, ich hatte auch den Vorteil im Verbreitungsgebiet von KSTA und
Express Urlaub zu machen! Als dann Schritt für Schritt klarer wurde,
dass Verbrechen begangen wurden, die bis dato unvorstellbar waren
sprangen auch die überregionalen Medien an. Das war sicher keine
Sternstunde des Journalismus (aber ehrlich gesagt ist die Qualität
mancher Berichterstattung und die vieler Schlagzeilen auch bis heute
noch keine solche).
Interessant ist sicher die Frage: Was
muss nun geschehen? Vorschläge gibt es ja genug und je länger ich
darüber nachdenke, desto mehr Projekte fallen mir ein, die man
anpacken könnte, ohne die detaillierte Aufklärung der
Silvesternächte in Köln und Düsseldorf, Helsinki und Stuttgart,
Frankfurt und Weil am Rhein abzuwarten:
- Wir brauchen eine breite Debatte – gerade auch mit Menschen aus anderen Kulturen und Religionen – bezüglich des Frauenbildes. Wobei dieses Stichwort irgendwie falsch ist, das „Frauenbild“ bestimmt jede einzelne Frau für sich und es ist keine gesellschaftliche Vereinbarung. Es geht um unseren Umgang mit diesen Frauen. Welche Signale setzen wir in Deutschland durch Werbung, Medien, Pornografie, u.a. auch gegenüber Kindern und Flüchtlingen? Es soll doch niemand glauben, ohne Flüchtlinge wäre hier alles in bester Ordnung! Unsere Gesellschaft ist in Sachen Frauen/Gleichberechtigung und Feminismus sicher auf dem Weg, aber noch lange nicht am Ziel.
- Speziell die Verfechter eines traditionell – islamischen „Frauenbildes“ sollten sich die Frage stellen, ob das (vielleicht gut gemeinte) Konzept, ihren Frauen und Mädchen einen Schutzraum (durch die Familie, durch Kopftuch, durch Verhaltensregeln für Frauen) zu schaffen wirklich zum Schutz der Frauen beiträgt. Ob es nicht vielmehr notwendiger wäre, den Jungen und Männern Respekt gegenüber jeder (auch noch so „verführerischen“ Frau) beizubringen und das natürliche, respektvolle Miteinander von Mann und Frau, von Jungen und Mädchen zu fördern. Dazu gehört durchaus auch, gerade bei Heranwachsenden, Achtsamkeit bei den verantwortlichen Eltern und Erziehungspersonen und der Respekt von Grenzen zwischeneinander (nicht nur in der Frage der Sexualität).
- Wir brauchen auch eine Debatte über den Umgang mit Sexualität und mit unseren sexuellen Triebkräften. Auch wenn es scheint, dass wir eine aufgeklärte und abgeklärte Gesellschaft sind. Die Liste von Problemen in diesem Bereich ist in unserem Land auch ohne die Silvestervorfälle lang, wenn man auf die Problemfelder: Mißbrauch, Vergewaltigung, Grenzverletzungen, Pornografie, Prostitution etc. schaut. Ich frage mich, ob nicht gerade auch die Kirchen in diese Diskussionen Wesentliches beizutragen hätten. Und dies auch mit ihren Erfahrungen des Versagens angesichts allzu hoher Idealvorstellungen.
- Wir brauchen in unserer
Gesellschaft mehr Respekt. Nicht den „preussischen“ und
sklavischen Respekt vor „Respektspersonen“, sondern den Respekt
vor jedem Einzelnen, der ein Bild und Gleichnis Gottes ist. Selbst
dann noch, wenn er dieses Bild und Gleichnis durch sein Handeln
schlimm verunstaltet. Auch der weit verbreitete respektlose Umgang
mit Politikern, Polizisten oder anderen kritikwürdigen Menschen
sendet neben den eigentlichen Inhalten auch andere Botschaften. Wer
sich derart abfällig z.B: über unsere Kanzlerin äußert, wie es
z. T. „honorige“ Bürger bei fb tun, der sendet auch ein Signal
z.B. an den pubertierenden Jugendlichen für den Umgang mit seinem
Lehrer und an unbegleitete Zuwandererkind, das mit der Polizei
konfrontiert ist. Wenn es ernst wird, wie in dieser Situation, dann
erwarte ich von Politikern aller Couleur auf allfällige politische
Spielchen zu verzichten und hart zu diskutieren, aber die „Gegner“
nicht zu entwürdigen oder der Lächerlichkeit preiszugeben.
- Wir müssen uns ehrlich machen! Es
nützt nichts, die Situationen zu beschönigen. Noch weniger nützt
es Situationen zu dramatisieren. Wenn Politik, Polizei, Medien Dinge
und Informationen unter der Decke oder zurück halten möchten, dient
das in den seltensten Fällen dem angestrebten Ziel. Wohlfeil können
dann die Kritiker nachher sagen: Seht ihr, was man uns verschweigen
wollte. Je klarer die Wahrheit kommuniziert wird, desto weniger
bauscht sich eine Angelegenheit künstlich auf. Wenn die
verantwortlichen und „wissenden“ Stellen ihre Informationen erst
kommunizieren, wenn sie längst durchgesickert sind und als
„Gerüchte“ die Runde machen, verlieren diese Leute ihre
Glaubwürdigkeit. Krisenkommunikation will gelernt sein. Henriette
Reker musste hier gerade schmerzhaft Lehrgeld zahlen. Auf der anderen
Seite wird offensichtlich zur Untermauerung der eigenen Position
gerne mal ein Schweigekartell oder Geheimnistuerei konstatiert, wo
die wesentlichen Fakten längst bekannt, die Verantwortlichen aber
nicht mit unausgegorenen Informationen in die Öffentlichkeit wollen.
Manchmal gilt nach wie vor „Gründlichkeit vor Schnellligkeit“,
wobei man auch mal schnell gründlich sein kann.
- Zur Ehrlichkeit gehört auch die
Erkenntnis: Integration ist ein Kraftakt, der von beiden Seiten
Anstrengungen erfordert. Und Integration verändert auch die
aufnehmenden Gesellschaften. Das kann doch gar nicht anders sein.
Selbst ein Ostfriese in Westfalen und ein Westfale im Rheinland
vermag hiervon ein Lied zu singen. Wie viel mehr erst, wenn Menschen
aus Kulturen kommen, deren innerer Kompass in der neuen Umwelt erst
einmal verrückt spielt. Ich werde nicht vergessen, wie Menschen aus
einer Gruppe katholischer Ugander nach einem Partnerschaftsbesuch
durch das Erleben unserer Kultur und unseres Reichtums völlig aus
der Bahn geworfen waren – und lange für die Re-Integration in
Uganda brauchten.
- Es wird auch notwendig sein, die vielen
Debattenbeiträge darauf abzuklopfen, welche Ziele der jeweilige
Redner oder Schreiber eigentlich verfolgt. Sind seine Beiträge von
der Sache, vom Mitgefühl mit den Opfern und von echter Sorge
geprägt? Zeigt der Sprecher Lösungswege auf oder geht es ihm oder
ihr eigentlich um andere Dinge und Anliegen. Wer allzu schnell
Lösungen präsentiert … dem ist durchaus mit Misstrauen zu
begegnen. Wer im konkreten Fall mehr weiß als die Polizei, der
sollte dort eine Aussage machen und nicht die sozialen Netzwerke
verstopfen. Es gibt viel zu viele Leute, die vor Lügen,
Unterstellungen und Fälschungen nicht zurückschrecken, um eigene
Ziele zu verfolgen. Auch manche Ablenkungsmanöver unter den
Stichworten: Oktoberfest; #einearmlänge und Willkommenskultur zähle
ich zu den Indizien für solche Stellungnahmen, ganz zu schweigen vom
grassierenden Zynismus.
- Als Deutsche sollten wir sehr
aufmerksam sein, wenn Diskurse von Rassismus geprägt sind.
Aufmerksam, nicht empfindlich. Der Rassismusvorwurf wird durchaus
auch als „Keule“ verwendet, interessanterweise auch schon mal von
„Ausländern“ selbst. Gerade als Christen kann die Frage: „Ist
meine Meinung von rassistischem Denken geprägt?“ - im Sinne der
schönen Geschichte von den drei Sieben des Sokrates
(http://www.k-l-j.de/KGeschichte_7.htm)
ein Stück innerer Beichtspiegel sein.
- Wir brauchen einen Diskurs über
angemessene und hilfreiche Strafen. Bei Bagatelldelikten oder z.B. bei Diebstählen
oder Körperverletzungen sollte auch der Kontext der Tat und das Leid
der Opfer stärker einbezogen werden. Wir brauchen gut ausgestattete
Justiz, die schnell reagieren, aufklären und strafen kann. Es sollte
einen Unterschied machen, ob eine Prügelei die Folge eines Streits
war oder ob Menschen aus Lust an der Gewalt und Machtausübung andere
Menschen verletzen. Sexuelle Übergriffe sollten mindestens so
schmerzhaft bestraft werden, wie sie die Opfer belasten. Strafen
müssen dazu beitragen, dass Menschen sich in den Griff bekommen und
von ihrem gesetzlosen Tun ablassen. Das ist ein ganz schwieriges Feld
und nicht billig zu haben!
- Wir brauchen weniger Gleichgültigkeit.
Wir müssen uns wieder mehr betreffen lassen von der Not und
Hilfsbedürftigkeit eines anderen Menschen. Wir brauchen in unserer
Gesellschaft wieder mehr Miteinander. Nach dem Vorbild des
barmherzigen Samariters oder der Hl. Martin und Hl. Nikolaus müssen
wir lernen, dass die Not des Anderen uns unbedingt angeht. Wir müssen
uns darauf verlassen können, Hilfe zu finden, wo wir in Gefahr
geraten. Dass dies nicht mehr selbstverständlich ist, ist ein
Alarmsignal. Und das hat auch mit dem eingangs geschilderten Phänomen
zu tun. Diese Gedanken berühren durchaus auch unser
Gesellschaftsmodell, das darauf setzt, dass jeder in größter
Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit seinen Lebensweg geht.
„Ich will auf niemanden angewiesen sein!“ - das klingt
oberflächlich nach einer guten Lebensmaxime und viele leben auch so.
Es sorgt aber für ein zunehmendes Auseinanderfallen der sozialen
Strukturen unserer Gesellschaft. Die Förderung des
Dienstleistungsgedankens und die wirtschaftskompatible Gestaltung
unseres Zusammenlebens verstärken dies. (Mobilität, Kleinfamilien,
Aufgliederung der Produktions- und Dienstleistungsprozesse). Das hat
in den Jahrzehnten zu einer Entsolidarisierung geführt, die in
großen Städten besonders spürbar ist. Hier sehe ich eine
bedeutsame Aufgabe für organisierte Kirchen und
Glaubensgemeinschaften. Aber auch für Vereine und Initiativen und
für das Ehrenamt. All dies zu fördern sollte vornehmste Aufgabe der
politisch Verantwortlichen sein.
- In einer Gesellschaft, die zunehmend
auf Individualität setzt, wird die Vermittlung gemeinsamer Werte
schwieriger. Erst recht, wenn diese Gesellschaft keine gemeinsamen
religiösen Wurzeln mehr teilt. Daher wird es notwendig sein, an
dieser Stelle mehr zu investieren. Die Entwicklung von Werten muss
begleitet sein. Lebensnaher Unterricht in Religion, Ethik, Politik
und Philosopie leistet da einen wertvollen Beitrag. Öffentliche
Debatten, Medien, soziale Netzwerke leisten auch einen – heute
leider manchmal auch negativen – Beitrag. Und zu guter Letzt werden
wir nicht umhin kommen, gewisse Werte und Gesetze auch entschieden
umzusetzen und einzufordern. Wir haben in Deutschland gute Gesetze
und für alle Lücken darin ein beispielhaftes
Gesetzgebungsverfahren. Wir müssen Polizei und Justiz so ausstatten,
dass sie in der Lage sind, der Gesellschaft einen Rahmen zu bieten,
in dem sie sich entfalten kann und in dem die Sicherheit und
Unversehrtheit des Einzelnen gewährleistet ist. Natürlich wird es
immer wieder Vorfälle wie in der Silvesternacht geben. Verbrechen
ist durch reine polizeiliche Maßnahmen nicht zu besiegen. Aber die
Polizei sollte in der Lage sein, eine solche Situation in kürzester
Zeit in den Griff zu bekommen. Das müssen wir uns auch etwas kosten
lassen.
- Was auf uns zukommt ist kein leichter Weg. Und gerade deshalb halte ich alle, die schnelle Lösungen versprechen, für große Scharlatane. Wer sagt eigentlich, dass all die lautstarken Kritiker aus dem Pegida / AFD / NPD – Lager auch nur irgendetwas besser hin bekämen als die Menschen, die heute an verschiedenen Stellen Verantwortung tragen? Mögen sie sich noch so aufspielen, ja selbst wenn sie mit der ein oder anderen Bemerkung Recht haben sollten... Sie sind doch allesamt genauso schwache und fehlerhafte Menschen wie diejenigen, die heute unser Land durch die Klippen und Stromschnellen, durch die Krisen unserer Zeit zu steuern versuchen. Die Extremisten von Rechts und Links hatten in den letzten Jahrzehnten überall in Europa und darüber hinaus ihre Chancen. Bisher hat noch keine derartige Regierung bessere Ergebnisse abgeliefert als die offene, demokratische Gesellschaft, deren Segnungen wir in Deutschland seit vielen Jahrzehnten genießen. Selbst dann, wenn wir inzwischen etwas übersättigt sind: bitte, keine solchen Experimente.
Wohin ich auch schaue, bei allen
kritikwürdigen Umständen und bei allem, was noch besser laufen
müsste. Ich bin froh und glücklich über das Privileg, hier in
Deutschland leben zu dürfen.
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