Montag, 28. März 2016

Blutiges Osterfest?

Über 30.000 Menschen starben im Jahre 2014 durch Terroranschläge. 275 Terrororganisationen waren dafür verantwortlich. Weit über 6.000 Menschen starben allein durch die Gruppe „Boko Haram“ in Nigeria und Umgebung, etwas mehr als 6.000 durch den islamischen Staat in Syrien und im Irak. 

Vor einigen Tagen sprengten sich in Brüssel, gerade mal 250 km von hier entfernt, einige Menschen in die Luft und rissen 35 Menschen mit in den Tod, verwundeten aber viele weitere Menschen an Leib und Seele. Grauenhaft auch der Anschlag in Lahore in Pakistan am Ostermontag, der sich ausdrücklich gegen Frauen und Kinder, gegen Christen richtete und mindestens doppelt so viele Menschen tötete und verletzte. 

Möglicherweise gab es Gründe für das Handeln der Terroristen, möglicherweise waren sie Kriminelle, vielleicht waren sie psychisch gestört. Vielleicht ist es gut und richtig, dass mir nicht gelingt mein Erstaunen und Erschrecken angesichts solcher Taten zu überwinden. 

Gerade führte uns Anders Behring Breivik mal wieder vor, dass eine solche geistige Störung (die in der Tat die meisten Beobachter verstört) durchaus auch mit Intelligenz verbunden sein kann. Der Mann scheint eine gewisse Strategie zu verfolgen. Sonderbarerweise findet er sogar Leute, die sich von ihm fasziniert zeigen, die ihm Briefe schreiben und die seine Gedanken weiter tragen. 

In diese Kategorie fällt sicher auch Adolf Hitler, der es trotz seiner wahnhaften Gedankenwelt zum „Führer“ Deutschlands gebracht hat. Ein Massenmörder, dessen Schuld unbeschreiblich ist. Die Zahl von (über) 6.000.000 systematisch, fabrikmäßig ermordeten Juden wirft das bekannteste Schlaglicht auf diesen teuflischen Menschen. Und bis heute gibt es – normale – Menschen, die, obwohl ihnen die Verbrechen und die himmelhohe Schuld dieses Mannes bekannt ist, sogenannte „Verdienste“ Hitlers rühmen. Und zunehmend größer wird die Schar derer, die auch über seine zweifelhaften „Erfolge“ hinaus zu Hitler – Verteidigern oder sogar Verehrern werden. (Wie kann man eigentlich Menschen ernst nehmen, die zur "Entschuldigung" eines solchen Mörders die Opferzahlen geringer rechnen?)

Was ist da los? Wie ist es möglich, dass bestialische Menschenschinder von anderen Menschen verehrt, entschuldigt, verteidigt werden? Wie ist es möglich, dass andere Menschen sich zu Handlangern und willfährigen Vollstreckern der Terror und Gewaltphantasien solcher „Führer“ wie Stalin, Pol Pot, Kim Jong Un, Hitler oder Abu Bakr al Baghdadi machen lassen? Geht vom abgrundtief Bösen etwa eine gewisse Fasziantion aus, gibt es einen Sog der dunklen Kräfte? 

Als junger Erwachsener habe ich mich intensiv mit dem Nationalsozialismus beschäftigt und zahlreiche Bücher über den Terror und die Konzentrationslager gelesen. Es läßt mir noch heute keine Ruhe, wie das geschehen konnte. Was stecken für destruktive Kräfte in uns Menschen? Wie leicht scheint es zu sein, dass aus einem treusorgenden Familienvater ein gnadenloser Killer wird. 

Mir kommt ein Vers in den Sinn, der eigentlich in einen ganz anderen Kontext gehört, aus der „Geschichte von Gott“ des niederländischen Musikers und Poeten Hermann van Veen. „Es ist der Teufel.“ heißt es dort: „Der Teufel ist in die Menschen gefahren.“

Das Denk-Konzept, neben der Macht Gottes, einem göttlichen Widersacher Raum zu geben, dem personifizierten Bösen, in klar beschreibbarer Gestalt (mit Hörnern und Pferdefuß) ist uralt und es gibt das in unzähligen Facetten rund um den Erdball. 

Im volkstümlichen Denken (heute meist nur noch in schlechten Witzen gepflegt) erscheint der oder die Teufel als Hüter der Hölle, wo sie die bösen Sünder und schlechten Menschen peinigen. Das Mittelalter hat uns großartige Bilder von dieser Dualität von Himmel und Hölle (und vielleicht noch „Fegefeuer“) übermittelt. Da erscheinen die Teufel eher als „dienstbare“ Geister, die der göttlichen Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen. 

In diesem überkommenen Denken kommt man schnell auf theologisch „abschüssige Bahnen“ und verläßt zügig ein christliches Gottes- und Menschenbild. Weder überzeugt es, den personifizierten Bösen als Widersacher Gottes zu verstehen noch als von ihm abhängiger Folterhelfer. Ganz sicher steckt in diesen Bildern und Vorstellungen von göttlicher Gerechtigkeit und gerechter Strafe für jene, die auf Erden Blut an den Händen hatten, eine tiefe Wahrheit. Aber ganz so einfach, wie damals – und bis heute – gedacht, ist das mit der Gerechtigkeit Gottes nicht, zumal diese ja auch mit seiner Barmherzigkeit untrennbar verbunden ist. Das ist „menschlich“ und „theologisch“ wohl kaum in seiner Tiefe auszuloten und bleibt – ähnlich wie die göttliche und menschliche Natur Christi ein Paradoxon, ein Geheimnis des Glaubens.   

In der Schöpfungsgeschichte jedenfalls ist noch kein Platz für eine teuflische Macht, auch wenn die arme Schlange später allzugern zum Teufel mutiert. 

Mich überzeugt das Konzept, das Böse zu personifizieren und es damit aus dem menschlichen Inneren zu verdrängen nicht wirklich. (Und noch weniger überzeugen mich die Versuche diese bösen Mächte außerhalb des Menschen in Teufeln und Dämonen zu verorten, die mit allerlei Mummenschanz oder gar mit Exorzismen und Gebeten ausgetrieben werden können. Sicherlich bleibt die dunkle Seite des Menschen unerklärlich und ich bin sicher, dass Beten immer hilfreich ist. Aber der Grat hier ist schmal.) 

Die Jesiden halten es für eine Gotteslästerung und Einschränkung der Allmacht Gottes, sich neben diesem eine böse Macht zu denken. Für die christliche Theologie stellte sich diese Problematik ebenfalls, so dass der Teufel eher als „gefallener Engel“ gedacht wird, als geschaffenes Wesen. Aber auch in diesem Konzept fehlt eine Antwort auf die Frage, warum Gott das Wirken eines solchen Wesens zulassen sollte. Eine Frage, die sich in gewisser Weise auch in der etwas rätselhaften Vater-Unser-Bitte spiegelt, wo es heißt „ und führe uns nicht in Versuchung“. 

Es ist und bleibt ein tiefes Rätsel, was den Menschen zum Bösen verführt. Natürlich spielen psychische Störungen eine Rolle, aber nicht alles läßt sich mit einer „schwierigen Kindheit“ erklären. Die Personifizierung des Bösen in Gestalt eines Teufels oder eines gestürzten Engels stellt letztlich mehr Fragen, als sie zu beantworten in der Lage ist. Ich ziehe es vor, das Böse als geheimnisvolle Kraft zu sehen, die inmitten der Menschheit (und auch in der einzelnen Person) wirkt, der man aber nicht einfach willenlos ausgeliefert ist. 

Das Böse ist kein Naturgesetz. Manch Einer spricht ja davon, dass die Natur grausam sein, dass sie keine Gnade kenne, dass sie gnadenlos ausmerzt, was schwach (und unaufmerksam) ist. Sicher kann man diese Schlußfolgerung aus der Beobachtung der Zusammenhänge in der Natur gewinnen. Es gibt ein Fressen und Gefressen werden. Kühe weiden Pflanzen ab, Mäuse fallen einem Käuzchen zum Opfer und einen Bussard schert es wenig, wenn er seine Jungen mit einem seltenen Feldhamster füttert. Bemerkenswert ist aber auch, dass die Natur zwar „Fressen und Gefressen werden“ kennt, aber – mit wenigen Ausnahmen – keine „sinnlose“ Grausamkeit. Ich denke, diese Regel kann man aufstellen, ohne dass Ausnahmen sie grundsätzlich entwerten (eine Katze, spielt mit der halbtoten Maus und bringt sie langsam zu Tode / einige Tiere lähmen ihre Opfer, um sie später zu verzehren...). Das ist beim Menschen ganz offensichtlich anders. „Der Mensch ist des Menschen Wolf“ lautet ein beinahe sprichwörtlicher Satz des römischen Dichters Plautus. Mir scheint, es ist weit schlimmer... 

Für meine Kriegsdienstverweigerung war es eine bedeutsame Erkenntnis, gewonnen aus den Schriften von Konrad Lorenz, dass jedes Lebewesen eine angeborene Tötungshemmung kennt. Diese bezieht sich auf Auseinandersetzungen im Tierreich zwischen Lebewesen einer Art. Hier geht es meist um den Platz in einer Rangfolge, um Führung und Gefolgschaft. Es scheint auch biologisch naheliegend zu sein, dass der Rivale oder die Rivalin nicht getötet oder schwer verletzt wird, ein Denkzettel reicht meistens aus. Diese Tötungshemmung funktioniert selbst in „erregtem“ Gemütszustand und geht von tief ins Unterbewußtsein eingeprägten Signalen aus. Konrad Lorenz führt in seinem Buch „Das sogenannte Böse“ aus, dass die Tötungshemmung eines Lebenwesens ausgesetzt wird, wenn es keinen persönlichen Kontakt mehr zwischen den Gegnern gibt, dass Waffen hier eine umso leichtere Tötungsentscheidung ermöglichen, je weniger man dem einzelnen Opfer ins Auge blickt. Letztlich erscheint der Betrieb einer Drohne über Pakistan auf dem Bildschirm im Steuerzentrum irgendwo in Amerika eher wie ein Computerspiel... Man kann noch viel darüber sinnieren, was genau dazu führt, dass der Mensch offensichtlich in der Lage ist Terrorakte zu begehen oder gar einen Völkermord. Wie eigenartig, dass der technische Fortschritt die Möglichkeiten der Menschheit zum Guten oder zum Bösen gleichermaßen erweitert. 

Der Papst sprach in seiner Osterbotschaft davon, dass sich im Menschen manchmal Abgründe auftuen, Abgründe des Bösen, Abgründe der Gottesferne. Und er führte weiter aus, dass die Liebe und Barmherzigkeit Gottes diese Abgründe zu füllen vermag. 

Wörtlich sagte Franziskus: „Angesichts der geistigen und moralischen Abgründe der Menschheit, angesichts der Leere, die sich in den Herzen zeigt und Hass und Tod hervorbringen, kann nur eine unendliche Barmherzigkeit uns Rettung bringen. Nur Gott kann mit seiner Liebe diese Leere, diese Abgründe auffüllen. Nur Gott kann es uns gewähren, dass wir nicht versinken, sondern unseren Weg fortsetzen in Richtung auf das Land der Freiheit und des Lebens hin.“ ...

Mit unseren Brüdern und Schwestern, die um ihres Glaubens und ihrer Treue zu Christus willen verfolgt werden, und angesichts des Bösen, das die Oberhand im Leben vieler Menschen zu haben scheint, hören wir wieder das tröstende Wort des Herrn: „Habt Mut: Ich habe die Welt besiegt“ (Joh 16,33). 

Dieser Gedanke macht mir Mut! Letztendlich ist die Macht Gottes stärker als alles Dunkel und alle Abgründe dieser Welt. Uns seine Macht überwindet das Böse nicht nur in ferner Zukunft, sondern hilft uns schon heute, das Ruder herumzureißen. Allerdings nicht, indem wir der Logik des Bösen folgen und Gewalt mit Gegengewalt beantworten, Terror mit Haß und Verachtung zu beantworten, sondern der Liebe Gottes und seiner unendlichen Barmherzigkeit Raum geben.

Natürlich bedeutet das nicht, die Terroristen, die Menschenschinder, das Böse wirken zu lassen und ihnen Raum zu geben. Aber alle Maßnahmen zur Abwehr müssen von der Haltung getragen sein, die der Hl. Vater beschreibt. Das ist unsere Verantwortung als Christen!

Mag ja in manchem Radio- oder Fernsehinterview darüber gefaselt werden, dass „Religion“ die Konflikte in der Welt verschärfe. Ich vermag dieser „Logik“ nicht zu folgen. Ohne die Macht der Liebe und der Barmherzigkeit, ohne, dass glaubende Menschen konkrete Schritte auf dem Weg des Friedens und der Versöhnung gehen, wird es uns nicht gelingen, das Böse zu überwinden. Welche Kraft der Welt sollte die Schritte der Menschen sonst auf den Weg des Friedens lenken? 



Osterbotschaft des Hl. Vaters: http://de.radiovaticana.va/news/2016/03/27/wortlaut_osterbotschaft_von_papst_franziskus/1218462

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