Samstag, 25. Mai 2019

Schon wieder? Luther ante portas!

Haben Sie sich wohl abgesprochen? Zwei Bischöfe vom jeweils anderen Ufer einer doch recht pluralistischen katholischen Kirche haben das Wort vom „Vorabend der Reformation“ in den Mund genommen, um die aktuelle Situation der katholischen Kirche im Westen, in Deutschland zu umschreiben.

Im Norden der Republik, im multireligiösen und vielgestaltigen Ruhrbistum mahnte Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck am Samstag bei einem Auftritt in Münster: „Die alte Zeit ist zu Ende.“ „Wir sind in einer Krise und stehen an einer Zäsur, die vielleicht noch tiefer geht als die Reformation, am Anfang der Wirkung eines geistlichen und geschichtlichen Tsunamis.“ Wenn Kirche sich den gegenwärtigen Herausforderungen verweigere, drohe sie völlig belanglos zu werden.

Sein Amtsbruder vom Donauufer im Bistum Passau, Bischof Stefan Oster sagte es in einer Predigt zum 5. Jahrestag seiner Weihe: „Maria hilf! Das rufen wir auch heute, da die Kirche bei uns aber ich meine auch beinahe weltweit durch eine ihrer schwersten Krisen seit der Reformation vor 500 Jahren geht. Und tatsächlich, liebe Schwestern und Brüder, meine ich Anzeichen zu sehen, die der Zeit der Reformation durchaus ähnlich sind. Das Vertrauen in die Kirche, in ihre Lehre und in viele ihrer Vertreter ist fundamental erschüttert.“

Und führt dann in erfreulicher Deutlichkeit aus, aus welchen Bausteinen sich die aktuelle Krise zusammen setzt. Lesenswert! Immer wieder ruft er in dieser Predigt die Gottesmutter um Hilfe an „Maria hilf!“. Schließlich begeht man im Bistum Passau die „Maria-Hilf-Woche“.

„Maria hilf!“, diesen Ruf hatte eine Gruppe katholischer Frauen aus Münster wohl auch im Hinterkopf, als sie die Initiative Maria 2.0 gründeten. Die Idee: Der männlich bestimmten Kirche einmal aufzeigen, was von der Kirche übrig bliebe, wenn die Frauen sich zurückzögen. Zunächst schrieben die Frauen einen Brief an den Papst, der bis heute von fast 32.000 Unterzeichner*innen unterstützt wird. Dem folgte in der vergangenen Woche ein „Kirchenstreik“, der im Mittelpunkt des Widerstandes stehen sollte und mit dem vier prägnante Forderungen verbunden waren: 
  • Kein Amt mehr für diejenigen, die andere geschändet haben an Leib und Seele oder diese Taten geduldet oder vertuscht haben.
    Die selbstverständliche Überstellung der Täter an weltliche Gerichte und uneingeschränkte Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden.
  • Zugang von Frauen zu allen Ämtern der Kirche.
  • Aufhebung des Pflichtzölibats.
  • Kirchliche Sexualmoral an der Lebenswirklichkeit der Menschen ausrichten.
Medial fiel der Samen, den die Frauen ausgestreut hatten, auf sehr fruchtbaren Boden. Viele Gruppen und Organisationen schlossen sich der Bewegung an, die öffentliche Aufmerksamkeit schoss in der „Streikwoche“ durch die Decke. Das Symbolbild von Maria 2.0 war die an eine Ikone angelehnte Darstellung der Gottesmutter, deren Mund mit einem Pflaster verklebt war – eine Anspielung auf eine Erzählung über den Hl. Bernhard von Clairvaux, der einer Mariendarstellung das Schweigen geboten haben soll, als diese das Wort an ihn richtete.

Die Beteiligung an der Streikwoche war sicher bemerkenswert, aber doch längst keine Massenbewegung. Auffallend war allerdings, dass sich vor allem jene Frauen beteiligten, die in den Kirchengemeinden die Arbeit der Frauengruppen und -aktivitäten tragen, ergänzt um einige weitere Frauen und Männer, die durch diese Bewegung in der Kirche neugierig geworden waren: „Es tut sich etwas in der katholischen Kirche!“

Die Bischöfe und die „Kirchentreuen“ reagierten unterschiedlich, mal zurückhaltend, mal vorsichtig solidarisch (aber nie ohne kritische Worte), mal gesprächsbereit, andere ignorierten emonstrativ, was dort geschah. Einige wenige Bischöfe wurden deutlich, so wie Rainer Kardinal Woelki, der die Maria 2.0 als „Fake“ brandmarkte: „Hier in Bödingen (Marienwallfahrtsort) begegnen wir nicht einer Mainstream-Maria. Hier begegnen wir dem Original, hier begegnen wir einer Maria, die nicht irgendwelche Wahrheiten verkündet, hier begegnen wir einer Maria, die nicht verwendet wird zur Durchsetzung kirchenpolitischer Überlegungen."

Ganz ähnlich meldete sich nach tagelangem Schweigen auch der Bischof von Münster zu Wort: Man müsse zwischen Emotion und Sachfragen differenzieren. „Schließlich ist es eine Entscheidung, wie sinnvoll es ist, in Emotionen einzugreifen oder besser nicht, weil Öl ins Feuer zu gießen auch keine Hilfe ist.“ Allerdings gebe es Grenzen, „und zwar dort, wo das Heiligste berührt ist, zum Beispiel die Heilige Messe oder die Verzweckung der Gottesmutter Maria“, erklärte Genn. „Das ist für mich eine unüberschreitbare Grenze – und das will ich ganz offen und ehrlich sagen.“

Ganz hoch kochten die Emotionen, als die Fachschaft Theologie an der Universitätskirche in Freiburg ein Transparent mit einer sehr speziellen Mariendarstellung anbrachten: „Maria Vulva“. Hier hatte man die Darstellung der Gottesmutter mit dem Erscheinungsbild der weiblichen Vulva verbunden. Auf y-nachten.de versuchte sich Tage nach dem Sturm der Entrüstung eine Studentin an einer vertiefenden Rechtfertigung der Aktion. Ich habe versucht, mit ihnen darüber ins Gespräch zu kommen, doch auf meine Bemerkung bei fb hat bis dato niemand reagiert: „„Maria Vulva", diese Darstellung ist doch nicht mehr als ein recht kurz gesprungener grafischer Gag, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Über Geschmack kann man normal ja streiten. Aber das hier ist eine völlig unnötige Provokation. Für die anders denkenden Seite übrigens eine Steilvorlage, die das ganze Anliegen diskreditierte. Ich bin durchaus offen für das Gespräch über die Themen, die Maria 2.0 gesetzt hat. Ich kann auch mit den Formen des Protests leben, die dafür gewählt wurden. Aber für diese Aktion hier fehlt mir das Verständnis. Den Frauen von Maria 2.0 hat diese „Solidarität“ einen Bärendienst erwiesen. Das war ein politisches Eigentor. In diese Text hier hätte ich mir endlich etwas Selbstkritik erhofft. ... ausgerechnet die entblößte Vulva zu zeigen und "gegen Missbrauch" darunter zu schreiben ist für mich absolut grenzüberschreitend. Etwas Verständnis für das Befremden normaler Katholiken hätte ich mir in dieser Stellungnahme schon erwartet und nicht ein schlichtes "Vulva hin oder her...". ... Wenn ich ein solches Motiv beispielsweise in einer Maiandacht in der Gemeinde zeigen würde - wäre damit vermutlich das Ende meines pastoralen Dienstes eingeläutet. Mit welchen Argumenten sollte ich das einer normalen Katholikin (selbst wenn diese Maria 2.0 durchaus gut fände) erklären? Es mag sich ja feministischem Denken möglicherweise erschließen, aber außerhalb dieser Blase ist die Grafik doch kaum vermittelbar. Ein Zeichen muss unmittelbar verständlich sein, so lernte ich einst im theologischen Studium.“

„Maria braucht kein Update!“ sagte dagegen die junge Lehrerin Johanna Stöhr und startete im Netz die viel beachtete Gegeninitiative Maria 1.0. „Das Original!“.

Der Streit um den Namen der Aktion ist eigentlich obsolet und bringt nicht weiter. Was soll Maria 1.0 sein? Glaubt jemand ernsthaft, es gibt ein einheitliches, originales Bild und Verständnis der Gottesmutter? Heißt es doch in einem Gedicht von Novalis:
„Ich sehe dich in tausend Bildern,
Maria, lieblich ausgedrückt,
Doch keins von allen kann dich schildern,
Wie meine Seele dich erblickt.“

Mag die Maria der Bibel als das Original gesehen werden, so hat es zu jeder Zeit der Kirchengeschichte ganz neue Perspektiven und Darstellungen der Gottesmutter gegeben. Selbst die Kirchen der Reformation entdeckt sie nach 500 Jahren zaghaft wieder, wie eine aktuelle Initiative zu Maria und Nikolaus im europäischen Kultur-Kontext zeigt.
Nicht zu vergessen wären hier auch die Marienerscheinungen der vergangenen 150 Jahre, die ein sehr spezielles Bild von Maria zeichneten, einer Maria als manchmal allzu treue Verbündete einer klassischen Gestalt von Kirche, allerdings auch manches Mal mit geradezu verstörenden Botschaften, die die Axt an die Wurzeln der katholischen Kirche zu legen instande wären. Seit einigen Jahren nervt in diesem Sinne: „Die Warnung“ gläubige Christen.
Maria 4.0 ?

Ich denke, man darf sich getrost darauf einigen, dass Maria alles Andere ist, als die stille, folgsame und vor allem schweigsame Frau, der man in der Kirche den Mund verbietet. Sie eignet sich auch keinesfalls zur Sedierung aufmüpfiger Gläubiger oder als Motiv des Banners, das dem kämpfenden Heer voran getragen wird. Eher ist sie diejenige, der man jede Sorge und jedes Anliegen sagen kann und mit deren fürbittender Hilfe so mancher problematische Knoten zu lösen wäre. Eine „Verzweckung der Gottesmutter“, ja das sollten wir in jedem Fall vermeiden, weder ist sie die Speerspitze der Kirchenreformen, noch ist sie Briefträgerin von Mahnbriefen an allzu unbotmäßige oder unfromme Katholiken.

Ich finde, Maria 2.0 kann man auch als Aufforderung verstehen, unter den Verkrustungen süßlicher Frömmigkeitsgeschichte die wahre Gestalt der heiligen Gottesmutter wieder frei zu legen. Dazu muss man nicht allen katholischen Kitsch beiseite räumen, aber doch im Herzen und im Beten konstatieren, dass das Bild Marias vielgestaltig ist und dass tausend Bilder nicht reichen, ihr gerecht zu werden. Und neben der rheinischen schönen Madonna hat auch das Gnadenbild von Banneux Platz, neben dem Vesperbild von Telgte auch Maria lactans von Jean Fouquet, ja und von mir aus auch das Marienbild von Lisa Kötter aus Münster.

Ich habe mich nicht an einer der Aktionen von Maria 2.0 beteiligt. Und auch nicht wenige Leute getroffen, die das alles sehr, sehr skeptisch sahen. Selbst unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Wobei die Punkte zur Thematik der sexuellen Gewalt und auch des spirituellen Missbrauchs völlig unstrittig sind.

Spannend wird es bei den Themen: Weihe der Frauen, Zölibat und kirchliche Sexualmoral. Hier scheiden sich die Geister. Und hier wird es auch schwierig.

Die Protestaktion fällt in eine Zeit, wo junge Leute für den Schutz der Umwelt und des Klimas demonstrieren und der Politik Beine machen. In diesen Tagen ist es dem Youtuber „Rezo“ - zunächst allein und dann mit Unterstützung von 70 anderen Youtube-Stars gelungen, die CDU und andere etablierte Parteien wie die SPD, aber auch die AfD unter Druck zu setzen. Man beobachtet wie in einem Brennglas, dass sich eine Kluft auftut, zwischen den althergebrachten Weisen, Politik zu machen, politische Entscheidungen zu treffen und einer lauten, bunten und entschlossenen Protestbewegung. Wir wissen heute noch nicht, wohin uns das führen wird.

In dieser Klemme steckt nun auch die Kirche. Sie muss auf die drängender werdenden Anfragen aus der Mitte ihrer Anhängerschaft reagieren, Anfragen, die durch die Entwicklungen in der Gesellschaft, durch Skandale in der Kirche und eine rasante Modernisierung in zahlreichen Lebensbereichen einen gehörigen Rückenwind bekommen. Die Argumente derer, die altüberlieferte Haltungen, Überzeugungen und Formen bewahren möchten finden immer weniger Gehör. Solche Argumente überzeugen nicht mehr, weil sich mehr und mehr auch der Bezugsrahmen hierfür verändert.

Was sich gesellschaftlich in Sachen Frau und Mann im vergangenen halben Jahrhundert getan hat, dass kann man leicht ermessen, wenn man Werbefilmchen der 60er Jahre schaut. Und manche ältere Dame kann da erhellende Erlebnisse aus ihrem Leben beisteuern.

Schaut man in die Kirchengeschichte zurück, so muss man konstatieren, dass Macht und Einfluß der Frauen gerade in unserer Zeit durchaus zurückgegangen sind. Hubert Wolf hat darauf aufmerksam gemacht, welch machtvolle Position manche Ordensobere in vergangenen Jahrhunderten hatte. Unter einer Äbtissin arbeiteten häufig viele Priester und hatten sich ihrer Weisung zu beugen. Bis heute werden gern Legenden und Geschichten heiliger Frauen erzählt, die Päpsten, Kardinälen und Bischöfen Paroli boten oder ihnen geschätzte Ratgeberinnen waren. Unter den Bedingungen einer feudalen Welt gerieten Frauen immer wieder in machtvolle Positionen, die ihnen auch gegenüber der Kirche Bedeutung verliehen. Und dies, obgleich die Männer weitaus häufiger die Macht in Händen hielten. Heute sind diese Zeiten vorbei, in der katholischen Kirche haben zwar manche Politikerinnen bzw. auch einige adelige Frauen noch Positionen, die durchaus Achtung und Ehrerbietung verdienen, aber durch die weitgehende Trennung von Kirche und Staat hat sich die ganze Situation deutlich verändert. Größe und Finanzkraft der schrumpfenden Klöster haben zudem zu einem Verlust an Einfluß und Gestaltungskraft geführt. Einstmals gab es große Orden, die sich in der Kranken- und Kinderpflege engagierten, die heute nur noch mit Mühe die eigenen Schwestern betreut bekommen. Ich glaube, man kann durchaus sagen, dass sich auch hierdurch die Fragen der „Machtverteilung“ in der Kirche in einer ganz neuen Dringlichkeit stellen.

(Ja, hier wird vorausgesetzt, dass es in der Kirche natürlich nie um Macht geht, sondern immer nur um Dienst. Mir fällt nur gerade kein Begriff ein, der Dienst, Verantwortung, Aufgaben, Macht … und was noch so dazu gehört auf einen prägnanten Nenner bringt.)

Die Bischöfe sind aktuell sehr beflissen, fähige Frauen auf wichtige Verwaltungspositionen zu berufen und in vielen Gemeinden sind Ordensschwestern und Pastoral- und Gemeindereferentinnen tätig. Aber die wesentlichen Entscheidungen treffen für die Kirche doch in weit höherem Maße als in anderen gesellschaftlichen Lebensbereichen die Männer, insbesondere die geweihten Männer.

Pfarrers und Bischöfe haben im Laufe der Jahre eine Fülle von Aufgaben auf sich vereint, die mit Gestaltung, Macht, Einfluß, Geld zu tun haben. Eine Entwicklung, die sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verschärft hat. Und dies auch und gerade in Zeiten stattlicher Kirchensteuereinnahmen. Das halte ich durchaus für eine kirchengeschichtlich einmalige Situation. Sehr viel Energie wird auch darauf investiert, dass dies so bleibt, dass Strukturen so verändert werden, dass die großen Linien nach wie vor durch die klassisch, kirchliche Hierarchie gezogen werden. Für mich liegt darin der Hauptgrund der Zusammenlegung zahlreicher Pfarren zu Großpfarreien.

Hier stellt sich ernsthaft die Frage nach einer guten Aufgabenteilung zwischen Priestern und nicht geweihten Männern und Frauen. Die Priester (und Bischöfe) leiden dabei durchaus an der Überfülle ihrer Macht, die auch mit einem Berg an Aufgaben und Verantwortlichkeiten einher geht.

In diesem Kontext muss man sich die Frage stellen, ob sich in unserer Religion nicht überhaupt die Kirche als Institution (nicht als mystische Größe) allzu breit gemacht hat. „Entweltlichung“, das ist seit dem Besuch von Papst Benedikt XVI. in Deutschland die Herausforderung an die Kirche. Es muss sich etwas ändern. Entweder in der Frage, ob wirklich nur die Männer zum priesterlichen Dienst berufen sind oder ob auch Frauen Priester werden können. Oder, inwieweit die Institution sich zurücknehmen muss, um Energie und Kreativität der Laien frei werden zu lassen, die sich nicht im Erhalt kirchlicher Strukturen, in der Verwaltung der kirchlichen Machpositionen erschöpft, sondern in der Verkündigung des Evangeliums. Ich glaube, wenn die Kirche daran festhalten möchte, dass der Priester Christus als Mann repräsentiere, und dass dieser der Gemeinde als Braut Christi gegenüber stehe. Wenn ihr diese Symbolik so wichtig ist, die ja möglicherweise auch durch die Tatsache unterstützt wird, dass Jesus 12 Männer in den Jüngerkreis aufgenommen hat, dann muss sich auch die Rolle des Priesters in der Gemeinde wandeln. Der Priester muss nicht das Haupt jeglichen gemeindlichen Tuns sein, auch die Apostel traten in vielfacher Hinsicht immer wieder in den Hintergrund, wenn es nicht um ihre spezifische Berufung und Sendung ging. Angefangen schon in dem Moment, wo Christus in Fesseln aus dem Garten Gethsemani abgeführt wurde.

Kirche als Institution raubt uns aktuell sehr viel Energie. Hier ist etwas aus dem Gleichgewicht geraten. Sicherlich wäre es unklug, im Sinne einer schlanken Kirche zahlreiche segensreiche Einrichtungen und Initiativen gezielt zu beenden. Nur ein Beispiel: Prävention von sexueller Gewalt und spirituellem Missbrauch braucht auch Struktur und Organisation. Dennoch: der Aufwand für die kirchliche Struktur muss in einem vertretbaren Verhältnis zum Aufwand für die Verkündigung des Evangeliums stehen. Vielleicht ist es ein Anfang, wenn jede*r kirchlich Engagierte einmal schaut, wie viele Stunden er/sie von seinem Engagement für den einen oder anderen Bereich aufwendet.

Der Zölibat, die Ehelosigkeit um des Himmelreichs willen, hat seine prophetische Kraft weitgehend verloren. Er ist eher zum Ärgernis geworden. Kaum noch jemand erkennt mehr darin, was die Kirche darin sehen möchte. Der Versuch hier zu vermitteln ist heutzutage zum Scheitern verurteilt. Allein die Verkündigung überzeitlicher Wahrheiten macht diese nicht unmittelbar einsichtig. Wir müssen das Sprechen über Ehe und Zölibat völlig neu lernen. Ich bin skeptisch, ob eine schlichte Aufhebung des Zölibats die Lösung wäre. Nein, ich glaube das nicht. Aber vielleicht müssen wir neu über Ämter und Dienste in der Kirche nachdenken und über die Charismen, die das ehelose und das verheiratete Leben in diese Ämter und Dienste einzubringen vermag. Vielleicht wirklich mehr im Sinne des Matthäusevangeliums: „Wer es fassen kann, der fasse es.“

Zur Sexualmoral habe ich an dieser Stelle schon häufiger Gedanken notiert. Das möchte ich jetzt nicht wiederholen. Wem nützt eine Moraltheologie, die wie ein wunderbares, goldenes Sakramentshäuschen auf dem Sockel steht, aber unerreichbar ist oder auch nur von kleinen Minderheiten gelebt wird. Wir müssen den Schatz der kirchlichen Moralverkündigung wieder neu heben und uns von dem ein oder anderen Schnörkel auch einmal verabschieden. Und dürfen auch hier und da noch dazu lernen. Das wird das Gesamtkunstwerk nicht aus den Angeln heben. „An der Lebenswirklichkeit“ ausrichten kann nicht heißen, die – sehr vielgestaltige – Lebenswirklichkeit als Maßstab nehmen, sondern eine Moralverkündigung möglich zu machen, wo Samenkörner auf fruchtbaren Boden fallen und im Herzen der Betreffenden zu keimen beginnen. Und den ein oder anderen Um- und Irrweg der Menschen auch liebevoll zu begleiten.

Maria 2.0 ist ein Problemanzeiger. Hier sprechen Menschen, denen die Kirche wichtig ist. Auch wenn sie zu Worten und Aktionen greifen, die manche anders kirchenverbundene Menschen irritieren. Es macht keinen Sinn, ihnen, – um in biblischen Worten zu sprechen, den „verlorenen oder besser verlaufenen Schafen“ hinterherzubrüllen und so noch Angst zu machen. Diese Aktionen sind Problemanzeiger in vielfacher Hinsicht. Selbst mit noch so berechtigter Kritik an der Aktion kommen wir nicht einen Schritt weiter. Wir müssen feststellen, dass gewisse Aspekte des kirchlichen Lebens heute nicht einmal mehr von jenen verteidigt und vertreten werden, die das kirchliche Leben weitgehend stützen. Die Argumente sind wirkungslos geworden. Soll die Kirche der Zukunft etwa nur noch aus jenen bestehen, die - sicher wichtige - aber oft auch nur sekundäre - Überzeugungen der Kirche zu 100 Prozent teilen? Mir ist extrem unbehaglich mit Maria 2.0, aber nicht in erster Linie wegen mancher schriller Wortmeldung, sondern wegen grundsätzlicher Probleme, die sich hier aufdecken. Allein mit Top-Down-Verkündigung und Katechese ist da nichts zu retten. Und auch nicht mit "anathema sit".

Ich finde es unverantwortlich, dass Bischöfe so reden, wie kürzlich Konrad Zdarsa, der meinte, es stehe jedem frei, "das Schiff der römisch-katholischen Kirche zu verlassen“. Auch wenn er sich dabei auf Papst Franziskus beruft, der das aber scherzend sagte, um deutlich zu machen, dass es doch unzweifelhaft sei, dass man gemeinsam katholisch bleiben wolle.

Wir haben als Kirche einen schwierigen, geistlichen Weg vor uns. In direkter Konfrontation können wir diese (geistliche) Auseinandersetzung nicht gewinnen.
„Nichts ist verloren durch den Frieden, alles kann verloren werden durch den Krieg", so lautete der eindringliche Appell des Papstes Pius XII. in einer Rundfunkbotschaft am 24. August 1939. Dieses weise Wort gilt auch am Vorabend der 2. Reformation, wo man schon die ersten Hammerschläge Luthers an der Tür zu hören meint.

Viele der "heute gängigen Forderungen", vor allem auf dem Gebiet der Sexualität und dem Verhältnis der Geschlechter zueinander, würden das bisherige Menschenbild, Glaubens- und Kirchenverständnis so verändern, "dass uns letztlich eine neue Kirchenspaltung droht", warnte Bischof Oster in der schon zitierten Predigt. Vor 500 Jahren hat die katholische Kirche hier den Kairos verpasst und notwendige Reformen erst später im Konzil von Trient, vielleicht sogar erst im 2. Vatikanum angepackt. Hoffen wir, dass unsere Bischöfe mit den Rufen nach Reformen heute verantwortlicher umgehen, als es den Bischöfen und dem Papst damals gelang. Im Lutherjahr wurde ja hierzu vielfältig geforscht und veröffentlicht. Vielleicht bleiben wir ja diesmal davor verschont „zu spät zu kommen und vom Leben bestraft zu werden.“

Ich denke, es ist nicht falsch zu sagen, dass sowohl die katholische wie auch die evangelische Kirche bis zum heutigen Tag unter den Folgen der Reformation leiden. Die Kirchenspaltung hat beiden Seiten ein schweres Erbe auferlegt und es wäre wirklich erstrebenswert, wenn wir mit großer Entschiedenheit auf allen Seiten dem Gebet Jesu für seine Jünger folgen (Joh. 17):

Hier zitiere ich dies in ökumenischer Verbundenheit aus der Luther-Übersetzung:

„Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist die Wahrheit. Wie du mich gesandt hast in die Welt, so habe auch ich sie in die Welt gesandt. Ich heilige mich selbst für sie, auf dass auch sie geheiligt seien in der Wahrheit. Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, dass sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, auf dass die Welt glaube, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, auf dass sie eins seien, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, auf dass sie vollkommen eins seien und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst.



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