Sonntag, 27. Oktober 2019

Papa Francesco und Mama Pacha – Sieben Tage in Rom

Samstag

Heute startete unsere fast zwei Jahre lang vorbereitete Wallfahrt nach Rom. Mit dem Bus, dem Flugzeug und der italienischen Eisenbahn legten 34 Gemeindemitglieder den Weg nach Rom zurück und überschritten dann am frühen Abend die Grenze zwischen Italien und dem Vatikan, denn wir wohnten auf „exterritorialem“ Gebiet im Gästehaus der Schwestern der Schmerzhaften Mutter, einer Gründung von Schwester Franziska Streitel. Es liegt unmittelbar gegenüber den Kollonaden des Petersplatzes mit einem sehr schönen Ausblick auf den apostolischen Palast. 

Die jüngste Pilgerin war ein Jahr alt, die älteste 79. Eine schöne, bunt gemischte Gruppe mit Kindern, Jugendlichen, Familien, Einzelpilgern – so wie wir es auch geplant hatten. Am Abend ließen viele von uns die ganz besondere Atmosphäre des abendlichen Petersplatzes auf sich wirken. Ich kenne keinen derart schönen Platz in der ganzen Welt. Man kann dort stundenlang verweilen und immer ist er anders. Er berührt auch zu jeder Stunde wieder neu, ob frühmorgens, wenn die ersten Pilger zur Frühmesse eilen; proppenvoll bei der Audienz am Mittwoch; am Abend, wenn Wolken von Staren über ihm am Himmel tanzen; bei Regen oder bei Nacht; gefüllt mit eilenden, schlendernden oder posierenden Touristen oder voller betender Gläubiger (wie beim Angelus am Sonntag). Und niemals ist es dort langweilig. Es sind so viele interessante Leute dort, Priester und Ordensleute in unterschiedlichsten Amts- und Ordenstrachten, man sieht Mode und Typen aus aller Welt... Vor und nach den Treffen der aktuell tagenden Amazonas-Synode kann man Dutzenden von Bischöfen begegnen, die im schlichten Anzug über den Platz eilen oder schlendernd miteinander die Atmosphäre genießen. Wunderbar!

Abends trafen sich unsere Pilger in unterschiedlichen Grüppchen in den Restaurants auf der preiswerteren Seite des Vatikans im Licht der Peterskuppel und ließen den Tag ausklingen. 

Sonntag

Der Abend begann mit einer „aufregenden“ Nachricht. Unser Kurier war erkrankt und konnte die Einlasskarten für die Papstmesse nicht bringen. Aber er hatte eine Erklärung aufs Handy geschrieben, die uns hoffentlich dennoch durch die Kontrollen bringen würde. Was dann auch dank Freundlichkeit der Sicherheitsleute und unseren lila Pilgerschals auch gelang. So reihten wir uns in die Ströme ein und gelangten in das linke Seitenschiff der Petersbasilika, wo wir sogar noch Sitzplätze mit einem guten Blick auf den Papstaltar vorfanden.

Die Zeit verging wie im Flug und als der Dom voll war, begann auch schon der Einzug der Priester und Bischöfe gemeinsam mit dem Papst. Rund um den Altarbereich kontrastierte der bunte Federschmuck der geladenen Amazonas – Indigenas mit den Mitren der Kardinäle und Bischöfe. Auch einige bekannte Gesichter waren zu entdecken, wie z.B. der Präfekt des päpstlichen Hauses, Erzbischof Gänswein und Monsignore Dr. Michael Kahle mit dem wir am Mittwoch verabredet waren. 

Alle Pilger waren tief berührt vom Gottesdienst, von der Feierlichkeit, den vielen Mitfeiernden und den wunderschönen vorgetragenen Gesängen der beteiligten Chöre. Dank eines kleinen Heftchens konnten wir der Liturgie, die vor allem auf italienisch und lateinisch gefeiert wurde, gut folgen. Im Mittelpunkt der Liturgie zum außerordentlichen Weltmissionssonntag stand das Evangelium mit dem Taufauftrag Christi. In seiner Predigt sagte der Hl. Vater u.a. „Welche Anweisungen gibt uns der Herr für dieses Zugehen auf alle? Eine einzige, sehr einfache: Macht sie zu Jüngern. Aber Vorsicht: zu seinen Jüngern, nicht zu unseren. Die Kirche verkündet nur dann in guter Weise das Evangelium, wenn sie als Jüngerin lebt. Und Jünger folgen dem Meister jeden Tag und teilen mit anderen die Freude der Jüngerschaft – nicht indem man erobert, Zwang ausübt...“ oder „Alle, denn jeder einzelne ist ein kostbarer Schatz, und der Sinn des Lebens besteht darin, diesen Schatz anderen weiterzugeben. Das also ist die Mission: den Berg hinaufsteigen, um für alle zu beten, und den Berg hinabsteigen, um sich allen zum Geschenk zu machen.“
Ein Satz aus der Predigt galt sicher auch wortwörtlich für unsere Pilgerreise: „Der Christ ist also immer in Bewegung, im Aufbruch. Geht: so lautet in der Tat der Imperativ Jesu im Evangelium. Jeden Tag treffen wir auf viele Menschen, aber – so können wir uns fragen – gehen wir auf die Menschen zu, die wir treffen?“

Die Predigt ist sicher wert, noch mal gelesen zu werden, zumal sie bei der Feier selbst ja auch nicht übersetzt wurde:

Das abschließende Angelusgebet im Freien begann ganz nach lateinamerikanischer Zeitrechnung. Der Angelus beginnt halt nicht um 12 Uhr sondern wenn der Angelus beginnt, dann ist es zwölf. Mit etwas Verspätung erschien der Hl. Vater am Fenster des apostolischen Palastes. Derweil hatte sich auf dem Platz eine besonders auffällige Gruppe aufgestellt. Sie trugen eine Art Lafette mit einem Bild der Kreuzigung auf der einen und einem der Gottesmutter auf der anderen Seite. Die Frauen trugen weiße Schleier im Haar und in der Hand eine Art Lampe (die möglicherweise an die wachsamen Jungfrauen im Evangelium erinnern sollte). Die Männer trugen um den Hals ein dickes Tau und lilare Umhänge (in der Farbe der Buße). Die Heiligenbilder waren auf einen schweren, gepolsterten Unterbau montiert und wurden immer wieder von rund 30 Männern angehoben und vorwärts bewegt, wobei man den Männern die Mühe schon anmerkte. Es handelte sich um die „Hermandad Del Señor De Los Milagros“, die Bruderschaft vom Herrn von den Wundern, offenbar eine Gruppe von Peruanern, die heute in Rom ihre heimischen Bräuche pflegen und an diesem Tag den Hl. Vater besuchten, der sie ermunterte, ihre Traditionen zu pflegen. Die Gruppe unternahm dann später noch eine festliche Prozession über die Via della Conciliatione. 

Franziskus sprach u.a. über Benedikt XV. und dessen Erbe für die Auffassung von Mission: „Sie hilft uns, der Versuchung jeder selbstreferenziellen Schließung und jeder Form von pastoralem Pessimismus zu widerstehen, macht uns aufgeschlossen für die freudige Neuheit des Evangeliums.“

„Pastoraler Pessimismus“, dieses Wort war mir schon im italienischen Original aufgefallen. Der ist wirklich eine Macht in der Kirche heute!


Den Nachmittag nutzen unsere Pilger, um in kleinen Grüppchen Rom zu erkunden. 

Am Abend bin ich allein zu der modernen Kirche spaziert, die unmittelbar hinter der Bahnlinie, die zum vatikanischen Bahnhof führt, im Schatten der Vatikanmauer liegt. Die von Franziskanern betreute Kirche, die 1961 dem Hl. Papst Gregor VII. geweiht wurde, zeichnet sich durch eine ungewöhnliche Architektur aus. Ihr Dach wird von 10 eigenwillig geformten Pfeilern aus Beton getragen. Hier konnte ich nach der Papstmesse noch eine ganz normale Gemeindemesse (vermutlich mit P. Salvatore Cirami ofm) mitfeiern. Das war fast ein wenig wie „zu Hause“, natürlich auf italienisch und mit einer engagierten aber etwas langen Predigt. Währenddessen konnte ich die großen, frei im Altarraum stehenden Wandbilder betrachten, die im Stil an Ikonen erinnerten. Wie so viele römische Kirchen ist auch diese Titelkirche eines Kardinals, des Großerzbischofs von Trivandrum. Er ist Kardinal und das Oberhaupt der syro – malankarischen (mit Rom unierten) Kirche Indiens.

Montag

Heute hieß es: früh starten! Mit einem gemeinsamen Morgengebet in der Kapelle unseres Hauses begann unser Tag. Netterweise hatten die Schwestern so viel Geduld, obwohl um 7.30 Uhr dort die Hl. Messe gefeiert wurde. Aber wir hatten uns schon um acht Uhr mit Frau Dr. Susanne Hohwieler verabredet, die in Rom als Historikerin mit ihrer Familie lebt und arbeitet. Die heutige Führung richtete den Blick auf den Apostel Petrus und den Petersdom.

Zu dieser frühen Stunde konnten wir recht zügig die Einlasskontrollen überwinden und in den Petersdom kommen. Die Zeit verging wie im Fluge, weil sie kenntnisreich und durchaus unterhaltsam durch den Petersdom und die Grotten rund ums Petrusgrab führte und weil es ihr vor allem auch gelang, die religiöse Bedeutung der Kunstwerke zu erschließen. So wurde manches mal auch der historische Hintergrund der Zeit der Entstehung eines Kunstwerks lebendig. So schilderte sie uns u.a. die Entdeckung der Petrusreliquien und begründete ihre Überzeugung, dass es sich hierbei wirklich um die Gebeine des Apostels handele. Am Grab des „guten Papstes“ Johannes XXIII. berichtete sie von der Öffnung seines Sarges und dass man dabei seinen Leichnam beinahe unversehrt gefunden habe. Übereinstimmend hätten die ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten damals geschildert, es habe keinesfalls nach Moder und Muff gerochen, sondern eher nach Blütenduft wie von Lilien. Sie erschloss uns so die Baugeschichte des Petersdomes und etwas vom Leben seiner bedeutenden Künstler und vieler wichtiger Persönlichkeiten, Päpste, Kardinäle, Herrscher.... „Und der Rest ist Glaube!“ Mit diesem Wort verwies sie ab und an darauf, dass nicht alles erklärbar und verizifierbar ist. Am Ende der faszinierenden und lebendigen Führung verabredeten wir uns für ein Wiedersehen auf den Spuren des Paulus zwischen mamertinischen Kerker und Paulusbasilika. 

Mit Freude entdeckte ich im Petersdom das ausdrucksstarke Denkmal eines meiner Lieblingsheiligen, des aus Köln stammenden Begründers des Kartäuserordens, des Hl. Bruno. Sein Wahlspruch: „Stat crux dum volvitur orbis – Das Kreuz steht, auch wenn die Welt sich dreht“ – so steht es auch auf dem Kirchturm von St. Marien in Lohberg.

Ein guter Teil unserer Gruppe machte sich anschließend auf den Weg hinauf auf die Peterskuppel um den grandiosen Blick in die Kuppel selbst und schließlich von der Kuppel aus über den ganzen Vatikan und die Stadt Rom zu richten. Urbi et Orbi – beinahe – bei wunderbarer Fernsicht. Leider war es etwas übervoll dort oben. Aber die Aussicht entschädigte für das Gedrängel.  

Nach dem Abstieg haben wir noch eine Weile auf das an der Seite des Petersplatzes aufgestellte Denkmal geschaut, das an Flucht und Migration erinnern soll. Auf einem symbolischen Bootsrumpf stehen Flüchtlinge und Migranten unterschiedlichster Epochen, Schwarze, Juden, Kinder. Ein Kind trägt eine Tasche mit einem Maus – Symbol, das mich sehr an den bekannten künstlerischen Comic über den Holocaust erinnerte „Maus“. Inmitten der dargestellten Menschengruppe ragen zwei Engelsflügel in den Himmel. Sie symbolisieren offenbar den Schutzengel, der die Menschen auf allen Wegen begleitet. Das sockellose Bronzedenkmal nennt sich „Angels Unawares“, zu deutsch, „Unbewußte Engel“, und stammt vom kanadischen Künstler Timothy Schmalz. Inspiriert ist das Werk an einem Vers aus dem Hebräerbrief: „Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt.“ 

Das Kunstwerk ist durchaus anrührend aber auch etwas verstörend wegen seiner Massigkeit. Interessant ist, dass sein Vorbild in etwas kleinerer Form schon länger neben der Basilika St. Paul vor den Mauern der Stadt steht. 

Von diesem Künstler gibt es übrigens noch weitere Werke in Rom. So entdeckten wir einen schlafenden „Penner“ auf einer Bank vor der Kirche Sant Egidio in Trastevere, der die Wundmale Christi trug und Pilger aus unserer Gruppe fanden ein Gefängnisfenster mit zwei Händen, die sich durch die Gitter hinausstreckten und ebenfalls die Wundmale trugen oder einen Kranken auf einer Liegestatt vor einem Krankenhaus mit dem Wort „Ich war krank und ihr habt mich besucht“ - hier also alles Werke mit Bezug zu Mt. 25. 

Den Nachmittag verbrachten wir mit der Familie auf dem Aventin, mit einem Besuch bei den Benediktinern und in Santa Sabina. Diese schlichte Kirche berührt mich sehr und gehört für mich zu den schönsten Kirchen Roms. Im ersten Drittel des fünften Jahrhunderts vollendet, ist sie auch die wohl älteste Kirche Roms. Wer sich nicht auskennt, übersieht dort beispielsweise die Türen des Hauptportals (das heute glücklicherweise nicht mehr offen steht). Man besucht die Kirche von der Seite her. Sie sind schon im Jahr 432 eingebaut worden und obwohl von ursprünglich 28 Holztafeln zehn im Laufe der Jahrhunderte verloren gingen, sind die meisten Bilder noch erhalten. Ganz oben links ist die dort dargestellte der Kreuzigung die älteste bekannte Kreuzigungsszene der Kunstgeschichte überhaupt. Die frühen Christen scheuten die Abbildung der Kreuzigung.

Auch wurden in dieser Kirche erstmals die tragenden Säulen (wohl aus dem 2. Jahrhundert) mit Bögen verbunden, eine architektonische Besonderheit. Der Chorraum zeigt bis zum heutigen Tag, wie die frühchristlichen Kirchen damals aussahen (wenngleich die aktuelle, restaurierte Ausstattung aus dem 9. Jahrhundert stammt). Die „Chorschranken“ teilen einen eigenen Raum für Liturgen und Chor ab. Rechts und links steht je ein Ambo für die Lesungen aus der Hl. Schrift, in der Apis der Bischofsstuhl und der Altar. 

Da kann man nur mit Ehrfurcht darin und vor all dem stehen. Ein Besuch dieser Kirche gehört im Grunde zum Pflichtprogramm aller Rom – Besucher. Und er ist auch lohnend wegen der beiden kleinen Parks links und rechts davon, wo Terrassen einen wunderbaren Blick über den Tiber und die Stadt Rom bieten. Berühmt ist der Blick durch das nahe gelegene Schlüsselloch der Malteser-Ritter, die hier ihren römischen Sitz haben. Man schaut nämlich über einen schönen Gartenweg unmittelbar auf die Peterskuppel. Die lange Schlange kann man sich allerdings durchaus ersparen durch den Kauf einer Postkarte im schönen Klosterladen der Benediktiner und den entspannten Ausblick von den frei zugänglichen Terrassen. Wenn man dort allerdings eine Trillerpfeife hört ist das das Signal dafür, dass die römischen Parkwächter diesen Park für die Nacht schließen möchten. 

Übrigens: auch dieser Rom – Tag wartete mit wunderbarem Wetter und sommerlichen Temperaturen bis 28 Grad auf. Vom Wetter her zeigte sich die Ewige Stadt für uns von ihrer allerschönsten Seite, beinahe war es schon zu warm. Nur am Donnerstag Abend wurden diejenigen unter uns, die sich nicht von der wunderbaren Paulusbasilika trennen konnten, durch ein längeres Regenschauer durchfeuchtet. Aber schon am Freitag morgen mochte man gar nicht glauben, dass sich der Petersdom am Abend zuvor in Pfützen und im nassen Pflaster gespiegelt hatte. Interessant war auch, wie schnell die örtlichen Straßenhändler ihr Verkaufsprogramm umstellen konnten. Während sie bei Sonne Selfisticks (Deppenzepter), afrikanische Armbänder und Powerbanks trickreich an den Mann oder die Frau brauchten, gab es nun allenthalben Regenponchos zu kaufen. 

Dienstag Morgen – kurze Begegnung mit Bischof Bahlmann von Obidos

Auf der breiten, von stattlichen Gebäuden gesäumten Prachtstraße, die auf den Petersdom zuläuft, liegt auch eine Kirche. Es ist die von Karmeliten betreute St. Maria in Traspontina. Hier war einer der Stützpunkte einer Reihe von Veranstaltungen, die von einem breiten Bündnis von Organisationen getragen wurde, die sich um die Zukunft des Amazonasgebietes sorgen, u.a. Adveniat und Missio und das südamerikanische kirchliche REPAM – Netzwerk. Daher war die Kirche immer gut besucht und als ich dort war, traf ich viele Priester, Ordensleute und Bischöfe.

Am Morgen hatte sich ein guter Teil unserer Gruppe schon einer sehr frühen Führung (vor der offiziellen Öffnung) durch die vatikanischen Museen angeschlossen.

Auf dem morgendlichen Weg zum Pilgerbüro begegnete Mariele und mir der aus Visbeck im oldenburgischen Münsterland stammende Franziskanerbischof Johannes Bahlmanns. Wir trauten uns, ihn anzusprechen und konnten so ein schönes Gespräch mit ihm führen. Er erzählte, dass er eigentlich spät dran sei. Er habe noch für Radio Vatikan den Blogartikel über die Amazonas-Synode geschrieben. Das sei schon recht herausfordernd neben den Veranstaltungen und Gesprächen der Synode. Vor einigen Tagen hatte ich noch von ihm gelesen, weil er bei einer heiligen Messe in der Domitilla-Katakombe dabei war und sich an der Erneuerung des „Katakombenpaktes“ aus der Zeit des 2. Vatikanischen Konzils beteiligt hatte.

Die Leute vom "gemeinsamen amazonischen Haus" in der benachbarten Kirche seien leider im Umgang mit der Öffentlichkeit etwas unerfahren. Gudrun Sailer von Radio Vatikan hätte ihn gebeten, doch etwas über Pachamama zu schreiben. Aber damit habe er keinerlei Erfahrung, das spiele bei ihm im Bistum Óbidos (liegt am Amazonas zwischen Manaos und Belem) keinerlei Rolle. Er wundere sich aber über die Heftigkeit der Diskussion. 
Manche Kritiker kämen ihm sehr protestantisch vor (womit er vermutlich die pfingstlerischen Sekten seiner Heimat meinte). Die Haltung, die ihm dort begegne sei nicht katholisch. „Katholisch, das hat eine Weite...“ Und hat Raum für unterschiedliche Kulturen. Mit den Themen der Synode hätten all diese Diskussionen aber nichts zu tun, das komme dort nicht vor. Man habe eine indigene Gruppe gebeten, etwas von den Themen und Bildern der Amazonaskultur in Rom einzubringen, damit sie auch sichtbar sei. Man habe die Figuren in guter Absicht als Teil einer Ausstellung über indigenes Leben am Amazonas mitgebracht. 
Bischof Bahlmann trug ein einfaches franziskanischen Tau Kreuz aus Holz und schlichte Priesterkleidung. Mit freundlichen Segenswünschen verabschiedeten wir uns voneinander.

Hier ein Beitrag seines Synodenblogs, über den man auch die anderen Beiträge findet: https://www.vaticannews.va/de/vatikan/news/2019-10/synode-blog-radio-vatikan-bischof-bahlmann-tag-20-goetzendienst.html

Es muss in den frühen Morgenstunden des Sonntag gewesen sein, als sich zwei „katholische“ Aktivisten zur früh morgendlichen Stunde in die Kirche Santa Maria in Traspotina schlichen um dort vier einfache Figuren zu entwenden, die hier in der letzten Seitenkapelle der Kirche als Teil einer Ausstellung von Gebrauchs- und Kultgegenständen unter einem großen Bild der Gottesmutter von Guadelupe auf dem Boden standen. Sie stellten eine schwangere indigene Frau dar, die im Gesicht zwei schwarze Streifen trug und lange dunkle Haare hatte. Nach diesem Diebstahl liefen sie damit auf die Engelsbrücke zu Füßen der Engelsburg, wo sie die Figuren eine nach der anderen vom Brückenrand aus in den Tiber schubsten, über dem gerade die Sonne aufging. 

Damit sorgten sie dafür, dass diesen Figuren in der Öffentlichkeit nunmehr eine gewaltige Aufmerksamkeit zuteil wurde. In der Ausstellung in der Kirche wurde an die Unterdrückung der indigenen Völker der Region erinnert, an die Zerstörung ihrer Lebensräume, die Vernichtung ihrer Kultur und an zahlreiche Morde an Priestern, Ordensfrauen und Führungspersonen. In diesen Kontext fügte sich der Diebstahl und der Vandalismus nahtlos ein. Ein weiteres Beispiel der Verachtung der Kultur der indigenen Völker im Amazonasgebiet. Kein Wunder, dass sich dies nun in der Öffentlichkeit auch gegen diejenigen wendete, die die „mutigen Zerstörer“ der „Pachamama-Figuren“ zuvor gefeiert hatten, nämlich konservative und traditionalistische Katholiken. 

Meine facebook – Timeline war voll von Nachrichten, rund um dieses Ereignis. Es überdeckte die weit wichtigeren Nachrichten vom Verlauf der Synode. Es hat mich schon erstaunt, wie viele aus der konservativen Szene diese Form der Gewalt auch noch feierten. Bis dato habe ich geglaubt, das Bewußtsein für Recht und Unrecht sei gerade hier gut gebildet. Gott sei Dank gab es doch auch Viele, die ihr Befremden deutlich äußerten, was meist zu heftigen Diskussionen führte.

Im Kern drehte sich die von katholisch-konservativen Kreisen angefachte Skandalisierung der Figuren um die Frage, ob es sich hier um einen Götzenkult handele. Die Figuren waren nämlich auch in den vatikanischen Gärten aufgetaucht, wo Indigene ein Ritual zelebrierten, das nicht weiter oder umfassend erklärt wurde. Einige der indigenen Kultur offenbar kaum Kundige identifizierten sie mit dem schillernden Begriff der „Pacha Mama“ oder der „Mutter Erde“. Dieser Begriff taucht ja auch in den Synodentexten auf. Letztlich geht der Streit darum, ob es hier um eine nicht christliche Ideologie geht, die gegen den Gedanken einer Schöpfung der Welt durch Gott aus der „Mutter Erde“ ein eigenes quasi göttliches Prinzip macht. In diesen Streit hinein fällt natürlich ein Licht durch die aktuelle Klima und Naturschutzdiskussion, die auf der Synode eine wichtige Rolle spielte. 

Im Kern geht es um die Frage, ob „Mutter Erde“ nun nur ein liebevoller Begriff für die Schöpfung Gottes ist und ein Blickwinkel, um unseren Auftrag darin besser zu verstehen. Also ganz im Sinne des Sonnengesangs, wo Franziskus ja ganz ähnlich spricht. Oder ob es letztlich um eine Vergöttlichung der Welt, der Erde geht oder ob man darin am Ende gar eine Art wirkliche Gottheit entdeckt oder diffuse Wirkmacht bzw. der Welt innewohnende schöpferische Kraft, die ihren Ursprung nicht in Gott hat. Politisch aufgeladen und daher hoch aktuell wird das durch die Klimadiskussion und die Frage, ob das Geldverdienen wichtiger ist als die Bewahrung der Schöpfung (Nachhaltigkeit als Mittelpunkt des Wirtschaftens). Im Grunde eine hoch spannende und sehr zentrale Diskussion mit Blick auf unsere Zukunft. Die Antworten der Synode darauf interessieren mich sehr.

Nachdem ein erster Sturm der Entrüstung über „Pachamama-Statuen“ und „heidnische Rituale“ im Schatten des Petersdoms durch die Foren der Tradi-Welt gezogen war, ein Sturm, der noch mal besonders aufbrauste, um die „heldenhaften“ Männer zu feiern, die die Holzfigürchen in den Tiber gestoßen hatten. Einige Kommentatoren entblödeten sich nicht, in diesem Zusammenhang auf den Hl. Bonifatius zu verweisen oder diese gar in der Nachfolge des tempelreinigenden Christus zu sehen. Da erschließt sich die Bedeutung des Wortes Hybris in neuer Weise.

Doch statt den Sturm im Wasserglas nun sinnvoll zu beruhigen meldete sich zu dieser Thematik auch noch Kardinal Müller zu Wort und rechtfertigte diese gesetzeswidrige Aktion mit der Bemerkung, der eigentliche Fehler sei gewesen diese „Idole“ überhaupt in eine Kirche zu bringen und benannte sie als „Götzenbilder“. Das rächte sich dann in überraschender Weise am Freitag, als der Papst während der Synode sagte: „Guten Tag, ich möchte ein Wort über die Statuen des Pachamama sagen, die aus der Kirche in der Traspontina entfernt wurden und ohne götzendienerische Absichten dort waren und in den Tiber geworfen wurden. Zunächst geschah dies in Rom, und als Bischof dieser Diözese bitte ich die von dieser Geste beleidigten Menschen um Verzeihung.“ Bamm! Es wurde sogar erwogen die Statuen am Sonntag in den Petersdom zu bringen, worauf man dann klugerweise verzichtete, um den Hype nicht noch weiter anzuheizen.

(Ganz ehrlich: Rom ist voller Götter- und Götzenbilder, selbst in Kirchen und vor allem in deren Schatten. In dem Bild oben handelt es sich auch nicht um niedliche Engelchen, sondern um heidnische Götzen. Symbolische Flussgötter schmücken selbstverständlich die von Päpsten gestifteten Brunnen. Symbolische Geschichten aus der Götterwelt des alten Griechenland und des römischen Reichs werden bis in die Barockzeit hinein in größter Selbstverständlichkeit dargestellt ... Ja, es gibt Unterschiede und eine andere kulturelle Aneignung. Und natürlich keine "Verehrung" solcher Bildwerke, höchstens mal leicht grenzwertige Bräuche. Wer sagt uns denn, dass den Indigenen diese Trennung nicht auch genauso mühelos gelingt, dass für sie die Verbindung zur Mutter Erde in keiner Weise mit der ausschließlichen Verehrung des dreifaltigen Gottes konkurriert?)

Die Wortmeldung des Hl. Vaters sorgte in den papsttreuen Tradi-Kreisen dann doch für eher betretenes Schweigen. Die weniger papsttreuen Tradis sahen sich in ihrer Überzeugung bestätigt, dass der Papst gar nicht mehr katholisch ist. Schließlich habe er doch laut eines Zeitungsberichts vor Kurzem noch die Göttlichkeit Jesu geleugnet. Wer – wie wir – den Papst in der Hl. Messe oder im Rahmen von Angelus und Audienz erlebt, der fragt sich ernsthaft, was mit Leuten los sein kann, die dem Hl. Vater unterstellen, die absoluten Basics des christlichen Glaubens zu leugnen. 

Wohl mit der Verspätung, die sich durch den abgelegenen Einsatzort des Weihbischofs von Nursultan Athanasius Schneider ergab, erschien dann dessen Wortbeitrag auch noch in den Netzen. (Es kann auch an der erstaunlichen Länge seines Textes gelegen haben.) Die schlichten Holzfigürchen seien das „neue Goldene Kalb“. 

Meine Güte, muss man ein bisschen symbolisches Kunstgewerbe derart zum Popanz aufblasen? Zum Götzen gemacht und unglaublich aufgeladen hat doch erst die wüste Diskussion, die Aufmerksamkeit der Kirchenführer und die Aktion der Traditionalisten dieses winzige Detail am Rande der Amazonassynode. Mich erinnert das ganze Hickhack sehr an die immer wieder aufflammenden Assisi – Diskussionen und damit an die sicherlich noch immer nicht ausreichend und eindeutig beantwortete Frage, ob es auch Heil außerhalb des Christentums geben kann. Oder anders gesagt, ob und wie es einen ehrfurchts- und respektvollen Umgang von Christen mit anderen Ritualen und Traditionen geben könnte. Gerade in Tradi-Kreisen kann es außerhalb der Kirche nach wie vor kein Heil geben. Insofern ist Schneiders Wortmeldung schon wieder lesenswert: https://www.kath.net/news/69566 

Vor meinem inneren Auge sehe ich inzwischen bei derlei Wortmeldungen der immer gleichen Kardinäle und Bischöfe inzwischen Statler und Waldorf auf ihrem Balkon bei der Muppets Show. Aus dem Hintergrund haben sie zu allem und jedem etwas zu sagen, und manches entbehrt nicht einer unfreiwilligen Komik, wie z.B. gerade eben die Bemerkung von Fürstin Gloria aus Regensburg, die Kardinal Müller und Präsident Trump in einem Atemzug nannte. „Die einzigen beiden Menschen auf der Welt, die uns heute Klarheit geben, sind Donald Trump und Gerhard Ludwig Müller. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass Gerhard Ludwig Müller der Donald Trump der katholischen Kirche ist."

Dem ist im Grunde nichts mehr hinzuzufügen. Ich hab zweimal nachgesehen, ob es Satire ist und mag nicht recht darüber lachen, denn gerade Gerhard Ludwig Kardinal Müller habe ich immer dafür geschätzt, dass er sich weder von Lob noch von Tadel aus der Bahn tragen ließ und niemandem nach dem Mund redete. Das war für seine Gesprächspartner zu seinen Zeiten als Bischof in Regensburg oder als Präfekt der Glaubenskongregation sicher nicht immer leicht. Aber immer noch weit besser als das, was man heute von ihm hört. Aktuell gefällt er sich offenbar als Speerspitze gewisser Kirchenkreise und in seinen Interviews überwiegen die Schlag- und Reizworte und die starken Sprüche gegenüber der einst geschätzten theologisch fundierten Nachdenklichkeit. Ich hoffe und bete für ihn, dass er sich nicht weiter in diese Richtung entwickelt.

Den Abend verbrachten wir dann in Trastevere, dem römischen Viertel, das dem Aventin gegenüber liegt. Neben Santa Sabina führt eine Treppe hinab, dann überquert man den Tiber und nutzt dafür die antiken Brücken der Tiberinsel (ursprünglich aus den Jahren 62 und 46 und gelangt nach kurzer Zeit auf den Platz an St. Maria in Trastevere, eine weitere in der Reihe meiner römischen Lieblingskirchen. Hier hatten wir uns mit etlichen Leuten aus unserer Pilgergruppe verabredet, um am Abendgebet der Gemeinschaft Sant Egidio teilzunehmen. 

Leider waren wir recht knapp und konnten so die synchrone Übersetzung nicht nutzen. Atmosphärisch war es aber sehr schön, mit einem Chor und Gesang, der ein wenig an Taize erinnert. Gebete und Psalmen, Lesung, Predigt... Nachher ergab sich ein Gespräch mit einem Mitglied der Gemeinschaft aus Guinea und einer Deutschen aus Mönchengladbach. Sie war allerdings nicht wegen des Fußballspiels angereist, sondern weil viele Gemeinschaftsmitglieder immer wieder nach Rom kommen, um hier aufzutanken. Auf dem Heimweg bot sich uns der tolle Anblick der beleuchteten Engelsburg mit Engelsbrücke. 

In den nächsten Tagen folgt hier der zweite Beitrag, der mit der Papstaudienz auf dem Petersplatz beginnt.

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