Samstag, 18. Juli 2020

Du musst draußen bleiben! - die Botschaft der Gitter

Meine Affinität zum Klosterleben ist ja Manchem hier schon vertraut. So nehme ich mir ab und an einige Tage frei, um im Umfeld eines kontemplativen Klosters Zeit für Glaubensdinge zu haben. Die Gebets- und Gottesdienstzeiten im Kloster geben dafür einen guten Rahmen. 

In diesem Corona-Jahr wollte ich nicht so weit fahren, daher war ich froh, dass die Benediktinerinnen vom Heiligsten. Sakrament in Köln-Raderberg noch ein Gästezimmer im Dachgeschoss frei hatten. Nach der Morgenmesse konnte ich mich dann aufs Fahrrad schwingen und geistliche Orte in Köln besuchen. Und es hat sich gelohnt! Ihr werdet in den nächsten Tagen mehr davon lesen und sehen. 

Unter Anderem deswegen war es ein anregender Ausflug: 
Vor Kurzem wurde in Köln nämlich ein neues großartiges Kunstwerk präsentiert und eingeweiht. Nein, ich meine nicht das neue Kirchenfenster von Prof. Markus Lüpertz in St. Andreas. Darauf komme ich noch. Nein, ich meine das neue, schmiedeeiserne Gitter an Nordquerhausfassade (was für ein schönes Wort) des Kölner Doms. Für „normale“ Leute – das ist die Seite zum Hauptbahnhof hin. 

Da ist nun eine extrem schöne Schmiedearbeit zu besichtigen. Ein kürzlich leider viel zu früh verstorbener Freund von uns war Schmied mit Leib und Seele. Ein echter Künstler! Und daher weiß ich inzwischen die Schmiedekunst sehr zu schätzen. Man geht ja oft achtlos an Gittern vorbei. Aber seit ich Lutz kenne, habe ich immer noch mal genauer hingesehen. 

Ein Gitter an der Domfassade war ja wirklich bitter nötig. Wer erinnert sich nicht an die Aktion der Roten Funken, der Kölner Karnevalisten, die den Dom 2016 „umarmt“ hatten, um ihn gegen Vandalismus und Wildpinkler zu schützen. In der Tat sind diese Seiten des Doms sensible Plätze und die Schäden, die hier von Betrunkenen und sonstwie Gestörten angerichtet wurden sind immens. 
Ihre Verbundenheit mit der Kirche wollten mit einem ähnlichen Zeichen im vergangenen Jahr auch die Kölner Frauen mit einer herzlichen Domumarmung zeigen (verbunden mit der Forderung, Frauen in der Kirche Zugang zu Ämtern zu gewähren). 

Geschaffen hat das neue Gitter der Kunstschmied Johannes Nagel, der schon am Gitter auf der gegenüberliegenden Seite des Domes beteiligt war, das sein Vater Paul Nagel 1996 fertig stellte. Man merkt, dass die Gitter eine verwandschaftliche Beziehung haben. Das neue Gitter steht dem vorhandenen Gitter am südlichen Querhaus in Nichts nach. Großartige Schmiedekunst mit putzigen Details. Zeigt das ältere Gitter die Silhouette eines Bischofs mit abwehrender (oder mahnender) Hand, so wirkt die hier präsente Silhouette des Dompropstes Gerd Bachner eher freundlich und gemütlich. Insider wissen, dass Bachner einmal die Kreuzblume des Domes in 157 m Höhe bestiegen hat und dass diese Darstellung auch daran erinnern soll. Überhaupt zeigt das Gitter viele florale Motive und die Silhouette des Domes mit der Jahreszahl 2020. An den verstorbenen Vater des Künstlers erinnert ein auf dessen Entwurf zurückgehender Rabe, kombiniert mit einer Figur des tanzenden Todes, Symbol der Sterblichkeit aber auch der Auferstehungshoffnung.

»Meine Aufgabe habe ich darin gesehen, einerseits einen schützenden ›Schleier‹ vor den Dom zu stellen, den man im besten Fall ›nicht sieht‹“ und einen „verlorenen Zwischenbereich, beim Übergang vom öffentlichen zum liturgischem Raum, wiederherzustellen«“

Mir tut der Schmied leid. Denn die Vorstellung seines Kunstwerks (an dem er mit seinen Mitarbeitern sicher viele Monate mit aller Kraft gearbeitet hat) kam in der Öffentlichkeit nicht gut an. Angesichts von Coronakrise, Kirchenkrise und der anhaltenden Diskussion um die Rolle der Frau in der Kirche und notwendige Reformen weiht das Erzbistum Köln feierlich ein Gitter ein. Viele hielten das für eine gelungene Satire des „Postillion“. 

Maria 2.0 protestierte während der Gittersegnung mit dem Slogan: "Segnet Menschen, keine Gitter!" und sogar auf katholisch.de war zu lesen: „Während anderswo die beispiellos hohen Kirchenaustrittszahlen diskutiert werden, segnet in Köln anlässlich des Patroziniums der Hohen Domkirche St. Petrus der Dompropst emeritus höchstselbst – ein Metallgitter.“ und „Die Gitter-Segnung sollte wohl schöne Bilder liefern. Fromme volkskirchliche Folklore, eine Kernkompetenz der Kirche. Bezeichnend ist, was die von der Pressestelle des Doms verbreiteten Bilder zeigen: Eine Gruppe älterer Herren in schwarz, die sichtlich Freude an ihrer kleinen Feier haben und mit sich zufrieden sind.“

Was soll man sagen? Ich kann nach einer Woche in Kölner Kirchen das Fazit ziehen: Wenn sie etwas können in Köln, dann sind es Gitter! „Köln ist groß in Gittern!“

Aber ich will es mir nicht allzu billig machen, was die Gitter angeht. Schließlich durfte ich in dieser Woche manche dieser Gitter durchschreiten, vor manchen Gittern musste ich stehen bleiben und durfte nicht hindurch, durch andere Gitter konnte ich Einblick nehmen. Manche Stunde habe ich vor oder hinter Gittern verbracht und konnte mir einige Gedanken dazu machen, ob es wirklich so ist, dass die Kirche sich hinter Gittern verschanzt, mit mentalen und theologischen Gittern Menschen aussperrt und ausgrenzt oder ob gar manche Kirchenleute besser hinter Gitter gehören. 

Auch dürfen wir nicht naiv sein. Kirchen brauchen Schutz. Gerade die vielen Fälle von Vadalismus in Frankreich, aktuell auch die Brandstiftung in Nantes zeigen, dass nicht jeder Besucher einer Kirche ein harmloser Beter ist. Aber diese sind noch immer der beste Schutz, wenn sie ein Auge auf ihre Kirche haben. Daher kommt es darauf an, dass möglichst viele Menschen sich mit ihrer Kirche identifizieren, dass sie dort mit ihren Sorgen, Hoffnungen, Plänen und Meinungen ein Wirkliches zu Hause haben. Es ist auch schön zu sehen, wenn Menschen für ein kurzes Gebet und eine Kerze in einem bestimmten Anliegen ihren Alltag kurz unterbrechen. Wie schön ist es, wenn Menschen die Kirche in ihre Mitte nehmen und sie „umarmen“. Ein Gitter macht diese Geste und damit das Engagement der Menschen überflüssig. Auch das ist ein Signal, das man nicht leichtfertig senden sollte. 

Es ist so: Gitter senden psychologisch Signale aus. Das Gitter an der Südquerhausfassade des Domes z.b. hat mich schon immer irritiert. Angesichts des imposanten Gebäudes verschwindet es in der Wahrnehmung tatsächlich zunächst. Tritt man aber näher, so hält es einen deutlich auf Abstand. Da finde ich es in Münster (und andernorts) besser, dass man den Dom von verschiedenen Seiten betreten kann. In Köln muss wohl – aufgrund des touristischen Andrangs – der Zutritt besser geregelt werden. Trotzdem, es ist bleibt eine ambivalente Erfahrung. Ein Gitter ist nicht einfach ein funktionaler Gegenstand, nicht nur ein Ding sondern ein Symbol. Daher war es schön, bei der Amtseinführung des Kölner Erzbischofs Wölki einmal diesen sonst verschlossenen Raum betreten zu dürfen. Ich weiß natürlich, dass sich alle Gitter in Köln zu gewissen Zeiten und für gewisse Leute öffnen, die eine Aufgabe und einen Schlüssel haben. Aber die Perspektive eines nicht privilegierten Besuchers halte ich durchaus für bedenkenswert für all jene, die über Schlüsselgewalt verfügen. 

In fast jeder Kirche Kölns findet sich im hinteren Bereich ein mehr oder minder altes und kunstvolles Gitter. Eine der rühmlichen Ausnahme ist die völlig gitterfreie romanische Kirche St. Kunibert. Meist sind diese Gitter geöffnet, aber in einzelnen Kirchen sind sie beinahe immer geschlossen. Es sei denn, der inner(st)e Zirkel versammelt sich hinter ihnen zur Messe. Als Kirchenbesucher oder Tourist steht man vor diesem Gitter und kann das Innere der Kirche nicht betreten. Man kommt zwar rein (wenn man die großen Tore durchschritten hat), aber dann geht es nicht weiter. Auch Plätze der Andacht sind nicht immer vorhanden. Manchmal hat man einen der hässlicheren Altäre nach hinten gestellt. Wenn man Glück hat, findet man ein schönes Marienbild an dem Kerzen entzündet werden können. Immerhin. Man muss dem Hl. Alfons geradezu dankbar sein, dass er uns mit seinen Redemptoristen und deren Gemeindemissionen das Gnadenbild der „Gottesmutter von der immerwährenden Hilfe“ vermittelt hat. Davor kann man oft andächtig eine Kerze anzünden oder auch schon mal vor einer Antoniusfigur oder dem in Köln sehr beliebten Bild des Apostels Judas Thaddäus. 

Das Zeichen eines geschlossenen Gitters ist allerdings fatal. Wenn ich hinten in der Kirche bleiben muss, dann fühle ich mich ausgeschlossen und nicht zugehörig erst wenn mich mindestens das Mittelschiff der Kirche umschließt dann bin ich wirklich drin. Besonders ärgerlich sind da für mich die Gitter in St. Mariä Himmelfahrt (hinter dem Hauptbahnhof) und St. Aposteln, eine der 12 romanischen Kirchen am belebten Neumarkt. Da bin ich gleich mehrfach hingefahren und kam doch nie hinein. Im Kirchenraum gab es meist Vorbereitungen für geistliche Events – aber niemand nutzte die Gelegenheit den Raum für Beter freizugeben – obwohl doch „Aufsicht“ vorhanden war. Ich kann nicht sagen, ob das immer so ist. Ich fand es extrem enttäuschend. Und sehr symbolisch!

Dabei habe ich kaum ein Problem mit der Tatsache, dass die meisten Altarräume nicht frei begangen werden können. Das ist zwar auch schade, weil hier häufig interessante geistliche Kunst aufbewahrt wird. Aber der Altarraum ist schon ein heiliger Ort, der mit einer angemessenen Andacht aufgesucht werden sollte. Selbst dort, wo es leicht möglich war (in St. Ursula und St. Gereon) empfinde ich diesen Raum als „heilig“ und betrete ihn nicht einfach so. Eher zum Gebet. 

Hier kann ich ja sogar einem Lettner etwas abgewinnen. Im Mittelalter teilte dieser die Kirchen in unterschiedliche Bereiche. Der eigentliche Altarraum war nur für die Ordensschwestern oder Stiftsherren zugänglich, hier wurde die Messe gefeiert. Der Lettner diente unterschiedlichen Zwecken. In Köln finden sich in den Kirchen St. Maria im Kapitol und St. Pantaleon zwei solche Lettner. Beide dienen als Orgelbühne und Baldachin über dem heutigen Zelebrationsaltar. In St. Pantaleon tut sich hinter dem gotischen Lettner ein kleiner Altarraum auf, in dem kleinere Gruppen den Gottesdienst feiern könnten (ähnlich wie im Kölner Dom). In St. Maria im Kapitol findet sich ein Lettner im Stil der Renaissance. Er steht heute wieder am alten Ort und schließt das Hauptschiff ab, hinter ihm öffnen sich die großartigen Konchen der romanischen Basilika, die weit mehr Raum als das Hauptschiff bieten. Die Idee des Letters erinnert an die orthodoxen Kirchen in denen der Altarraum als Raum des Allerheiligsten durch eine prächtige Bilderwand, die Ikonostase abgeschlossen wird. Die heilige Liturgie dahinter kann man durch Türen dennoch verfolgen. Lettner und Ikonostase zeigen, dass ein solcher Raum etwas Besonderes ist, dem Alltäglichen enthoben, ein Raum den man für das Gebet und die Anbetung Gottes betritt. Auch in den modernsten Kirchen ist der Altarbereich durch Stufen oder einen gestalteten Boden herausgehoben, so dass man ihn nicht einfach locker betritt ohne einen guten Grund zu haben. Darin entdecke ich wirklich einen spirituellen Mehrwert. Hier würde mich auch ein schön gestaltetes Gitter nicht stören. 

Bei den Benediktinerinnen gibt es übrigens auch Gitter. In früheren Zeiten hatten sie sicher den ganz handfesten Sinn, die Gemeinschaft vor Menschen, die Böses wollen zu schützen. Heute tritt diese praktische Funktion stärker hinter der Symbolik zurück. Das Gitter trennt den Klausurbereich vom Bereich der Besucher und Gäste. So ist an die Klosterkirche seitlich eine Kapelle für Besucher von außen angebaut. Durch das Gitter hat man von der Seite her einen guten Blick auf den Altar, kann aber die Schwestern selbst nicht sehen. Dieses Gitter öffnen die Schwestern inzwischen zu den Gebetszeiten, am Sonntag finden die Besucher auf Stühlen im Altarraum und auch zwischen den Chorgestühlen Platz, auch während der Stundengebete kann man im Altarraum – auf Abstand zur Schwesterngemeinschaft mitbeten. Das ist eine adäquate Lösung um Nähe und Gastfreundschaft  zu signalisieren und trotzdem die Abgeschiedenheit und Klausur zu wahren, als privaten Raum der Schwestern, die als Gemeinschaft zusammen entscheiden, wie weit sie sich öffnen. Hier stellt man einige Gästezimmer zur Verfügung, lädt die Besucher zum Gottesdienst ein und zur Begegnung nach dem Sonntagsgottesdienst im Garten, es gibt Sprechzimmer und einen Versammlungsraum für Besuchergruppen. Einige Schwestern bieten sogar Beratung und Supervision an. 

Die Schwestern sind wirklich nicht weltfremd. Sie wissen, dass draußen in der Welt nicht nur gute Menschen leben und dass es auch Menschen gibt, die für den eigenen Vorteil auch vor schlechten Tagen nicht zurückschrecken. Es ist manchmal gut, wenn man sich böse Menschen durch ein schützendes Gitter vom Hals halten kann. Niemand kann so leicht stehlen, was mir wichtig, was mir lieb und teuer ist. Und niemand kann mich angreifen und verletzen. 

Noch etwas ist schön an einem Gitter: weil es transparent ist, kann ich sehen, wer auf der anderen Seite steht. Ich kann Kontakt aufnehmen und mich auf ihn freuen, aber ich kann ihm auch in Ruhe die Zeit lassen, näher zu treten. Selbst mit aggressiven Menschen ist Kommunikation möglich. Das geht selbst mit modernen Türen aus Sicherheitsglas nicht so komfortabel wie mit dem guten alten Gitter. 

Ein Gitter ist immer noch besser als verschlossene Türen einer Kirche. Und ein Gitter zeigt ja durch seine Transparenz auch offen, was sich dahinter (an hoffentlich Schönem) befindet. Wer aber nicht näher treten darf, der erlebt seine Machtlosigkeit, ihm werden die Grenzen aufgezeigt. Das schmerzt besonders, wenn dieses Signal von denen in der Gemeinschaft ausgeht, die das Sagen haben und wenn es mich aussperrt, obwohl ich zu dieser Gemeinschaft gehöre. (Vielleicht bräuchten wir einen Beterschlüssel - so wie es ihn für Toiletten für Menschen mit Behinderungen gibt.)

Das Gitter ist ein gutes Symbol für die Situation der Kirche in der heutigen Zeit. Wir dürfen die Menschen nicht draußen halten! Wir können Gitter vielleicht sogar als Zeichen dafür nutzen, dass bei uns nichts hinter verschlossenen Türen und im Dunklen geschieht. Man kann gucken, ohne dass man gleich hineingezogen wird. So schützen die Gitter ja auch Menschen, die nur mal reinschauen wollen. Durch ein Gitter kann man gut sehen, hören und riechen, sogar fühlen und anfassen wäre möglich. 

Aber es muss eine Möglichkeit geben, das Gitter zu öffnen. Warum nicht eine Tür die mich einlässt, wenn ich sie kenne - oder finde? So war das immer in Mariawald, eine Tür für Beter stand offen. Jeder konnte für sich selbst entscheiden, ob er beten möchte. Oder im Kölner Dom, wo man als Beter ein Tor zur Sakramentskapelle durchschreiben darf. (Bemerkenswert: trotz eines gut gefüllten Doms blieb ich dort allein mit dem Herrn.) 

Es ist allemal besser, wenn Gitter weit offen stehen, damit ich so das Signal bekomme: Ja, wir freuen uns, wenn Du eintrittst. 

Es ist und bleibt so: Ein Gitter ist nicht einfach ein Ding, jedes Gitter ist ein Symbol, das mit Bedeutungen aufgeladen ist. Es kommt darauf an, dass die Gestaltung, die konkrete Nutzung und die öffentliche Präsentation der Gitter den richtigen Akzent setzen. 

Besser als: „Wir müssen draußen bleiben“ sollten sie die Botschaft eines Liedes aus Taizé vermitteln: „Bei Gott bin ich geborgen, still, wie ein Kind bei ihm ist Trost und Heil. Ja, hin zu Gott verzehrt sich meine Seele, kehrt in Frieden ein.“

In manchen Kölner Kirchen und auch im Kloster der Benediktinerinnen in Raderberg durfte ich das in diesen Tagen erfahren. Dafür sage ich Danke! und Vergelt's Gott!

Hier einige Fotos vom neuen Nordquerhausgitter: 












Hier die Bilder vom Südquerhausgitter: 







Und noch einige weitere Gitter (und andere Motive), die im Text eine Rolle spielen. Das Schöne bei Gitter ist für den Fotografen, dass sie meist so weit sind, dass man hindurch fotografieren kann. Und anders als beim Sicherheitsglas spiegelt da nichts.











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