Es muss sich um eine verborgene Kunstaktion handeln, bei dem, was als offizielles Pressegespräch der dOCUMENTA (13) – Leitung heute über die Nachrichtenkanäle rauscht. Die documenta, ihre Zeichens weltweit bedeutendste Ausstellung für zeitgenössische Kunst fühlt sich gestört. Durch Kunst! Die Verantwortlichen empören sich öffentlich über ein kirchliches Kunstprojekt: «Es stört erheblich. Die künstlerische Leiterin fühlt sich von dieser Figur bedroht, die mit der dOCUMENTA (13) nichts zu tun hat», so der documenta-Geschäftsführer Bernd Leifeld.
Ich kann es mir nicht anders erklären: die künstlerische Leiterin der documenta meint das nicht wörtlich so, sondern möchte wohl auf die Tatsache hinweisen, dass die Kirche über Jahrhunderte – positiv wie negativ – die moderne, bzw. die aktuelle Kunst beeinflusste. Es gab Zeiten, da hätte es ohne die Kirche überhaupt keine Kunst gegeben. Priester, Bischöfe, Kardinäle, Päpste, Christen waren die großen Förderer und Finanziers von Kirche und Kunst. Was der künstlerischen Freiheit (freilich eine eher moderne Idee) nicht immer zu Gute kam. Oft gab es halt Kunst nach dem Motto: „Wer das Bild bezahlt, bestimmt auch was und wie gemalt wird!“ Die Künstler suchten sich ihre Nischen, oder sie malten halt für die Auftraggeber so und zeigten zwischendurch in den Hinterzimmern der Ateliers, was sie sonst noch konnten. In manchen „Glücksfällen“ sorgte die Kirche allerdings selbst für einen Modernisierungsschub in der Kunst, denken Sie nur an Künstler wie Raffael, El Greco, Michelangelo oder Gaudi (und viele mehr). Aber Licht ergibt auch Schatten: es gab sehr dunkle Zeiten, in denen gläubige Menschen Kunst zur „Unkunst“ erklärten oder gar (aus unterschiedlichsten Motiven) vernichteten.
Möglicherweise wollte Carolyn Christov-Bakargiev genau auf diesen historischen Aspekt aufmerksam machen oder eine Anregung geben, darüber nachzudenken, was es bedeutet, dass sich heute nur noch wenige Kirchengemeinden (z.B. St. Andreas in Köln oder die Domkirche ebendort) auf moderne, zeitgenössische Kunst einlassen mögen. Das hat ganz sicher vielfältige Gründe, über die zu reden sich lohnen würde.
Wenn die künstlerische Leitung der dOCUMENTA (13) der Kirche möglicherweise nicht ganz wohl gesonnen ist könnte sie dabei auch eher dunklen Seiten der kirchlich-künstlerischen Geschichte ins Visier genommen haben. Oder sie hat dabei schlicht gedacht: Warum drehen wir den Spieß nicht einfach mal um: Jahrhundertelang hat die Kirche die Kunst drangsaliert – jetzt schlagen wir zurück und drangsalieren wir die Kirche.
Es kann ja auch sein, dass ich die Aktion völlig falsch interpretiere und die dOCUMENTA (13) wollte ganz selbstlos der Ausstellung in der Kasseler St. Elisabeth – Kirche (weltweite) Aufmerksamkeit gönnen. Keine Gemeindepressemeldung wäre von den namhaften Zeitungen Deutschlands überhaupt wahrgenommen worden. Was für ein Glücksfall für den renommierten Künstler Stephan Balkenhol, der übrigens in Kassel aufgewachsen ist und heute in Karlsruhe als Professor lehrt.
Es erscheint mir verrückt, dass eine Kunsthistorikerin und künstlerische Leiterin einer Weltkunstausstellung die Kunst, die im Umfeld dieser Ausstellung gezeigt wird ernsthaft im Sinne Max Liebermanns zur „Wunst“, zur „Klein-“ oder „Unkunst“ erklärt. Aber es hört sich ganz so an: «Die künstlerische Leiterin weiß, dass diese Art von Kunst für diese documenta nicht adäquat ist.» Ein satirischer Unterton ist in diesen Einlassungen der dOCUMENTA (13) kaum zu entdecken. Sollte es ernst gemeint sein? Die Sache hat ja offensichtlich schon eine Vorgeschichte, hatten die documenta – Verantwortlichen doch schon im Vorjahr sich jede Konkurrenz aus kirchlicher Seite verbeten, worauf sich aber nur die evangelische Kirche einlassen wollte.
Ich persönlich würde Frau Christov-Bakargiev gerne beruhigen. Wenn „diese Art von Kunst“ doch für das allgemeine Publikum gut erkennbar „nicht adäquat“ für die dOCUMENTA (13) ist, dann kann sie doch ebendiese gar nicht stören. Und die weltkunstverständigen Besucher werden sofort erkennen: „Nein, das ist nur provinzielle Kirchenkunst, das hat mit der dOCUMENTA (13) gar nichts zu tun!“.
Schade, denn es geschieht doch im Grunde genau das, was Künstler und Theologen landauf, landab fordern. Es ist ein Zeugnis der Bereitschaft der heutigen Kirche, sich auf Gegenwartskunst einzulassen, sich selbst anfragen zu lassen von Künstlern, die ihre eigenen Anregungen geben und uns Fragen stellen. Sicher werden sich im Raum der Kirche auch Kritiker finden, die lautstark aufschreien und der Meinung sind, dass solche Werke in einer Kirche nichts zu suchen haben, weil sie nicht christlich genug sind. Sind sie das wirklich nicht? Ich finde, der Mann im Turm stellt mir interessante Fragen und provoziert durchaus Gedanken, die sich zu denken lohnen.
Oder ist es verwerflich, die Aufmerksamkeit zu nutzen, die eine Ausstellung wie die documenta nach Kassel lenkt? Tun das nicht in dieser Zeit alle, die in Kassel „Honig“ aus dieser Blüte ziehen wollen? Die Zimmervermieter in den Hotels und Pensionen, die Geschäftsleute und Buchhändler und letztlich auch die Stadtväter, die in dieser Zeit eine weltweite Aufmerksamkeit genießen, eine Situation derer sich die Stadt in der Mitte der Republik sonst – mangels Attraktionen – nur selten erfreuen kann. Wer will es ihnen verdenken? Vermutlich ist Kassel nicht zuletzt deshalb der Austragungsort für die dOCUMENTA (13), weil dort normalerweise nichts (wenig) die Aufmerksamkeit von dieser Weltkunstattraktion ablenkt.
Liebe Frau Christov-Bakargiev! Warum gleich mit Kanonen auf Spatzen schießen? Hätte es nicht gereicht, wenn die documenta schlicht betonen würde, dass nur das „documenta“-Kunst ist, wo auch dieses Logo draufklebt? Wahre Kunst setzt sich auch so durch – sie braucht keine Konkurrenz zu fürchten. Ich jedenfalls wünsche der dOCUMENTA (13) und der Ausstellung in der St. Elisabeth-Kirche viele Besucher und vor allem Menschen, die sich von der Kunst vieler Jahrhunderte ansprechen und anfragen lassen.
http://www.katholische-kirche-kassel.de/stephan_balkenhol.php
Die beiden Zitate «Es stört erheblich. Die künstlerische Leiterin fühlt sich von dieser Figur bedroht, die mit der dOCUMENTA (13) nichts zu tun hat», und «Die künstlerische Leiterin weiß, dass diese Art von Kunst für diese documenta nicht adäquat ist.» aus der Pressearbeit der documenta (13) entstammen einer dpa - Meldung, konkret aus deren Veröffentlichung in der ZEIT: http://www.zeit.de/news/2012-05/09/kunst-documenta-stoert-sich-an-balkenhol-skulptur-09172202
Die beiden Zitate «Es stört erheblich. Die künstlerische Leiterin fühlt sich von dieser Figur bedroht, die mit der dOCUMENTA (13) nichts zu tun hat», und «Die künstlerische Leiterin weiß, dass diese Art von Kunst für diese documenta nicht adäquat ist.» aus der Pressearbeit der documenta (13) entstammen einer dpa - Meldung, konkret aus deren Veröffentlichung in der ZEIT: http://www.zeit.de/news/2012-05/09/kunst-documenta-stoert-sich-an-balkenhol-skulptur-09172202
Zur Dokumenta wäre ich nicht unbedingt gefahren, aber ich war auf der Gemeinde-Webseite und überlege, ob ich mir diese Ausstellung anschauen will. Vielen Dank für den Hinweis.
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