Sonntag, 13. Mai 2012

Noch eine Wallfahrt nach Banneux...

Seit Jahrzehnten schon pilgern Katholiken aus dem Dekanat Dinslaken (mit Voerde, Walsum und Hünxe) in die belgischen Ardennen, nach Banneux. Banneux, das ist ein kleines, verschlafenes Dorf der Gemeinde Pepinster.
Dort erschien in dem Jahr, da in Deutschland die Faschisten unter Hitler die Macht übernahmen, eine „schöne Frau“ einem 12jährigen Mädchen. Mariette Beco, nicht frömmer als ihre Altersgenossen damals, erkannte in der leuchtenden Gestalt die Gottesmutter Maria. Es war eine Zeit, die für solche Erfahrungen sehr offen und bereit war. Die großen, neueren Marienwallfahrtsorte Europas wie Lourdes und Fatima und auch die weniger bekannten Orte wie Knock in Irland, Wigratzbad in Deutschland oder La Salette in Frankreich entstanden in der Folge solcher Erscheinungen in den Jahren zwischen 1850 und 1950. Das Phänomen selbst gab es allerdings in der gesamten Geschichte des Christentums. Nicht alle dieser Erscheinungen erregten so großes Aufsehen wie Lourdes (1858) und Fatima (1917).
Im Jahr 1932/33 versetzten die Erlebnisse von fünf Jungen in Beauraing, ebenfalls in der Wallonie, die belgischen Katholiken in Aufregung und wurden heftig diskutiert. Die Gottesmutter war ihnen dort über 30 Mal erschienen. Zahllose Bücher und Artikel wurden über die „Echtheit“ solcher Marienerscheinungen geschrieben. Theologen, Priester und Gläubige schlugen sich die Argumente und die Glaubenserfahrungen um die Ohren. Bis heute tobt z.B. ein erbitterter Streit um die Ereignisse in Medjugorje, wo die Marienerscheinungen bis auf den heutigen Tag anhalten sollen.
Werfen wir einmal einen Blick auf die Seherinnen und Seher, die am Anfang all dieser Wallfahrtsorte stehen. Während die Seherkinder in Lourdes und Fatima seit langem selig und heilig gesprochen sind, enttäuschte die Seherin von Banneux die allzu frommen Verehrer eher. Obwohl Banneux heute der bedeutendste Wallfahrtsort Belgiens ist (erwarten Sie von einem Besuch nicht zu viel „Sehenswertes“ – ich komme noch dazu), spielt die Figur der Seherin darin kaum eine Rolle. Symptomatisch ist, dass man auf der Suche nach Bildern von ihr im ganzen Internet nur einige sympathische Kinderfotos und ein einzelnes Bild einer älteren Dame findet. Mariette Beco blieb offensichtlich Zeit ihres Lebens „völlig normal“. Jedem „Hype“ um ihre Person entzog sie sich und profitierte in keiner Weise von ihrer besonderen Rolle. Im vergangenen Jahr ist sie – nunmehr - 90jährig verstorben.
Das aktuelle Wallfahrtsmagazin „Jungfrau der Armen“ widmet ihr einen Nachruf. Und darin ist offensichtlich weder von einer Heiligen die Rede noch werden irgendwelche aufregenden mysteriösen Details berichtet. Wir erfahren, dass Mariette Beco während der Kriegsjahre im Widerstand aktiv war und aus der deutschen Gefangenschaft geflohene belgische Soldaten durch die Region schleuste. 1942 heiratete sie gegen den Willen ihrer Eltern (21jährig) und eröffnete mit ihrem Mann ein Restaurant. Die beiden hatten zwei Kinder, ein drittes Kind starb kurz nach der Geburt.
Die Ehe ging in die Brüche und Mariette bestritt ihren Lebensunterhalt mit einer „Fritüre“ (ein Schnellrestaurant) im benachbarten Pepinster. 1981 zog sie mit ihrem Lebensgefährten (!) zusammen, der 1989 verstarb. Der Lebensbericht von Abbé A. Reul im Wallfahrtsmagazin endet so unspektakulär, wie er begonnen hat: „Während ihrer letzten Lebensjahre wurde sie schwerhörig, die Sehkraft ließ nach. Auch die Beine wollten nicht mehr. Mehrere Todesfälle – ihr Bruder René starb 2007, ihre Tochter Myriam 2008 und ihre Schwester Simone 2009 – haben sie sehr mitgenommen. Mariette sagte: „Ich verstehe es nicht, die Jungfrau hat mir gesagt: „Ich komme, das Leid zu lindern“, und ich, ich leide schon seit meinem sechsten Lebensjahr. Warum?“
Nachts konnte sie nur zwei, drei Stunden schlafen. Die restliche Zeit saß sie betend in ihrem Bett. In ihren Schmerzen klammerte sie sich an die Worte der Jungfrau der Armen: „Ich werde für dich beten“.
Neben mir liegt der „Totenzettel“ von Mariette Beco, auf der letzten Seite des Pilgermagazins ist ihr Name ohne besondere Hervorhebung als 12. in einer Liste der Verstorbenen vermerkt. Nichts zeichnete sie vor anderen Betern in Banneux aus und die Begegnungen mit der „Schönen Dame“ haben ihr Leben nicht leichter und schöner gemacht. Auch ihr Glaube war nicht einfacher, sie hatte wohl keine größere Gewissheit in Händen als jede(r) von uns. Ich kann es mir nicht erklären, aber, wenn ich am Ende eines menschlichen Lebens die Gelegenheit bekomme, auf Höhen und Tiefen zu blicken und die Spuren von Kampf und Freude, von Leiden und Hochzeiten des Lebens betrachten darf, überkommt mich Rührung und eine tiefe Gewissheit, dass ein solcher Mensch in Gottes Reich willkommen ist. Ob es nun Mariette Beco ist, die als Jugendliche der Gottesmutter begegnen durfte oder ein anderer Mensch, der im Verlauf seines Lebens seine Frau und seinen Mann gestanden hat. Mit all den kleinen Siegen und allen Niederlagen. Mit seiner Schuld und Sünde und seinem guten Wollen und seinen guten Seiten.
Es macht mich betroffen, dass Mariette Beco sehr gelitten hat unter Christen, die nicht akzeptieren konnten, was das junge Mädchen in einer inneren Schau gehört und gesehen hatte. Es muss zu sehr unchristlichen Begegnungen und Ereignissen gekommen sein.
Ein schönes Ereignis war für Mariette sicher die Begegnung mit Papst Johannes Paul II., der den Ort 1985 besuchte. Zahlreiche Bilder dieses Ereignisses sind in der großen Kirche in Banneux ausgestellt. Keines zeigt den Papst mit Mariette. Sie traf ihn verborgen in einer Sakristei. Auch von diesem Gespräch wissen wir nichts, sie hat Zeit ihres Lebens keine Interviews gegeben.
Jungfrau der Armen“ hatte sich Maria in Banneux genannt. Da war sie bei der Familie Beco und auch im Dorf selber an den richtigen Ort gekommen. Mir kommt in den Sinn, dass diese Wallfahrt immer eine Wallfahrt der Laien war. Die kirchliche Hierarchie, die Priester und Bischöfe haben sich oft auf Distanz gehalten. „Lourdes für Arme“ nannte man Banneux spöttisch und akzeptierte achselzuckend, dass kleine Gruppen von Gläubigen eher halboffiziell immer wieder dorthin fuhren.
Vielleicht ist der spöttische Name aber eine treffende Charakterisierung des Wallfahrtsortes. Es ist ein Ort „für Arme“ und Maria hat ihn ausdrücklich so gewollt. „Kommt alle her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“. Dieses Wort Jesu kommt einem in den Sinn, wenn man die Pilger sieht, die an der Quelle ihre Hände in das Wasser tauchen. Banneux ist kein Ort einer abstrakten Frömmigkeit und hoher Theologie. Nie habe ich so konkretere und frommere Predigten gehört, wie hier. Die Priester sind fromm, vielleicht auch sehr traditionell. Da ist zum Beispiel „Don Camillo“, Kaplan Jean Schoonbroodt, der stets in Soutane und mit Birett oder in Priesterkleidung auftritt, die mindestens so „von gestern“ erscheint, wie die Wallfahrt selber. Er ist so etwas wie das personifizierte offene Ohr Gottes. Unscheinbar, eher im Hintergrund ist er so zahllosen Pilgern zum Beichtvater und Gesprächspartner geworden.
Er und seine Mitbrüder sorgen dafür, dass Banneux ein Ort der Laien bleibt. Wo immer es ihm möglich ist, stellt er die Beter und Pilger in den Vordergrund. Wenn für den Gebetsweg am Nachmittag einmal genug Pilger dabei sind, die die Lesungen und Gebete vortragen zieht er durchaus einmal – in Soutane - den Lautsprecherkarren. Um kurz danach wieder im Beichtstuhl zu sitzen oder bei der Krankensegung einem der Gastpriester zu assistieren, der die Pilger mit der Monstranz segnet. Wer immer als Lektor, Kirchenmusiker, Pilgerbegleiter, Kommunionausteiler sich einbringen möchte – ist in Banneux herzlich willkommen. Die zurückhaltende Bescheidenheit und Freundlichkeit des Ortes und der dort tätigen Priester, Schwestern und Laien rührt an und öffnet das Herz.
In Banneux gibt es nichts zu sehen und nichts zu bestaunen. Keine kunsthistorischen Besonderheiten, kein uraltes Gnadenbild, dass durch mysteriöse Ereignisse in den Ort kam, keine grandiosen Kirchen, selbst die „große Kirche“ hat den Charme einer Turnhalle. Figuren und Standbilder sind von lokalen Künstlern aus Ton oder Gips geformt worden, alle Gebäude aus den örtlichen Natursteinen errichtet. Die meisten Fenster in den Kirchen und Kapellen sind mit Normalglas ausgestattet. „Richtige“, kleine Kirchenfenster finden sich nur in der Michaelskapelle, finanziert aus Deutschland und in der zentralen Erscheinungskapelle neben dem Haus der Familie Beco. Alles erhält sich aus Spendengeldern und die fließen deutlich überschaubarer als die Kirchensteuer im benachbarten Deutschland. Vieles wirkt improvisiert und mit eigener Hand errichtet. Und gerade das macht einen tiefen Eindruck, denn nichts wirkt aufgesetzt, gekünstelt oder übertrieben. Selbst die Restaurants und Andenkengeschäfte sind aus dem eigentlichen Wallfahrtsbezirk „verbannt“. Außer dem Pilgerheft mit Liedern und Gebeten gibt es in den Kirchen nichts zu kaufen.
Man mag über die „Erscheinungen“ spotten, über den geistlichen Gehalt der Botschaften Mariens unterschiedlicher Meinung sein, die Kirchenmusik, die „hohe Kirchenkunst“, vermissen, die Wahrheit und Wirklichkeit der Ereignisse 1933 anzweifeln... Für all diese Haltungen bietet Banneux Raum. Und nimmt auch diese Pilger gastlich auf. Für „Wundergläubigkeit“ bietet der Ort keinen Raum. Und die Botschaft die hier verkündet wird ist keine andere als das Wort der Bibel, die auch in Banneux viel mehr gilt als die schlichten Worte, die Mariette von der „Schönen Frau“ gehört hat. Wer auf das Leben von Mariette Beco schaut, der wird spüren: Hier in Banneux bin auch ich willkommen. Mit all meinen Fragen und Zweifeln, mit all meinem Versagen, meinen Hoffnungen und Sehnsüchten und mit meinen Bitten.
Möge Mariette Beco ruhen in Frieden.

Das belgische Fernsehen berichtete über den Tod von Mariette Beco:
http://brf.be/nachrichten/regional/301134/ hier ist auch ein kurzer Film zu sehen.

Der Wallfahrtsort: www.banneux-nd.be

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