Mittwoch, 13. Juni 2012

Richard Steiner und Rudolf Williamson?

Was sagt Ihnen eigentlich der Name Rudolf Steiner? Denken Sie – bevor Sie weiter lesen – doch einem Moment hierüber nach.
Die meisten Menschen werden vermutlich sagen: kenne ich nicht! Der Name ist mir fremd! Lebt der noch? Vermutlich kommen Sie aber darauf, wenn ich Ihnen ein weiteres Stichwort hinzu gebe: Waldorfschule! Ach ja, auf Steiners Ideen beruht die Pädagogik der Waldorfschule und er ist der Begründer der sog. Anthroposophie. Viele Menschen, die heute in Bioläden „Demeter“-Waren oder biologisch-dynamisch erzeugte Lebensmittel erwerben, ahnen gar nicht, wie viel das mit den Ideen Rudolf Steiners zu tun hat. Steiner lebte von 1861 bis 1925. Hier ist nicht der Platz, eine so vielfältige Persönlichkeit und ein so vielfältiges Werk (Hunderte von Büchern, Aufsätzen und Vorträgen) zu würdigen. Aber, nur die wenigstens „Fans“ des biologisch-dynamischen Landbaus oder der Waldorfpädagogik haben sich umfassend mit Steiners Werk auseinandergesetzt. Das wird auch schwer fallen, angesichts der schieren Menge der überlieferten Texte. Manche seiner Gedanken sind durchaus anregend und sympathisch. Seine Sprache ist „speziell“ und manche seiner theologisch – philosophischen Gedanken muten uns heute fremd an. Wer einmal an einem Gottesdienst, einer sog. Menschenweihehandlung in der von Steiner inspirierten Christengemeinschaft teilnehmen konnte, wird in der äußeren Form manches finden, was katholisch anmutet. Auch die hohe Verehrung, die die Anhänger der Anthroposophie und der Waldorfpädagogik einigen katholischen Heiligen entgegen bringen, macht neugierig. Alles in allem, ist das „Katholische“ in seiner Lehre aber eher Äußerlichkeit und die Gedankenwelt dahinter wirkt eigentümlich verstaubt und überholt. Viele von Steiners Erkenntnissen halten einer wissenschaftlichen Untersuchung nicht mehr stand. Was die biologisch-dynamischen Landwirte aber nicht davon abhält, die Äcker in bestimmten Mondnächten mit Ackerschachtelhalmtee oder Heilpflanzenextrakten zu „informieren“. Wer sich mit Steiners Lehre beschäftigt, blickt wie durch ein Guckloch in die Gedankenwelt bestimmter Kreise des frühen 20. Jahrhunderts.

Ganz ähnlich geht es mir, wenn ich mich mit den Schriften der Piusbruderschaft beschäftige, die für sich selbst beansprucht, den theologischen Schatz von 1.900 Jahren Kirchengeschichte zu bewahren. Auch hier schaue ich durch ein Schlüsselloch in eine vergangene Geisteswelt, allerdings scheint es mir weit eher nur die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zu sein. Ich denke, die Bruderschaft nennt sich auch deshalb nach dem Hl. Papst Pius X. (Amtszeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts von 1903 bis 1914) und nicht nur wegen des Antimodernisteneides und weil sie ihn für einen der letzten „vollständigen“ Päpste hält, ohne die aus Sicht der Bruderschaft – bei seinen späteren Nachfolgern diagnostizierten theologischen Defizite. Nicht von ungefähr – so meine ich – verwendet die Bruderschaft in ihren Publikationen vor allem Bilder aus der Zeit zwischen 1850 und 1950 und stattet auch ihre Kirchen und Sakristeien mit liturgischer Kunst dieser Zeit aus. Schauen wir einmal in die Kirchengeschichte, so ist das eine Zeit der Rückkehr zu alten Bauformen und zu – meist pseudo – mittelalterlicher Kunst. „Neoromanik“ und „Neogotik“ lauten die Stichworte und „Historismus“. Von ihrer religiösen Wirkung und künstlerisch-architektonischer Kraft her bleiben diese Plagiate aber weit hinter den Originalen zurück.

Heute stellt sich für uns die Diskussion um die Wiedereingliederung dieser Gemeinschaft in die katholische Kirche vor allem als ein Streit um in rechten Weg in Liturgie und Theologie dar. Aber vermutlich ist es viel mehr und die Gedankenwelt der Anhänger der Piusbruderschaft ist wesentlich vielfältiger. Ginge es „nur“ um diese Fragen, so ließe sich in der doch sehr vielfältigen katholischen Kirche sicherlich eine einfache Lösung finden und ein Platz für diese Gemeinschaft.

Aber es geht vielen in ihr um das „große Ganze“. Der extreme Zweig hält an der Überzeugung fest, dass es nur eine wahre katholische Kirche gebe und die sei nicht nur „subsistit in“ sondern sie ist allein die Piusbruderschaft. Jedenfalls gilt das so lange, bis sich „Rom“ zum „Ewigen Rom“, also den Vorstellungen der Piusbruderschaft bekehre. Vor dem Hintergrund dieses Denkens kann es keine Einigung geben. Diese extreme Auffassung vertreten vor allem die drei Titularbischöfe Bernard Tissier de Mallerais, Richard Williamson und Alfonso de Galarreta.

Es hat den Hl. Vater Benedikt XVI. besonders in Bedrängnis gebracht, dass der konvertierte Anglikaner Richard Williamson sich im Umfeld der Bemühungen um eine Aufhebung der Exkommunikation der „gültig aber unerlaubt“ geweihten Bischöfe der Piusbruderschaft als Holocaustverharmloser präsentierte. Vermutlich hat man im Vatikan bei der Prüfung dieser Angelegenheit vor allem auf die frommen Überzeugungen der Bruderschaft geblickt und weniger darauf, dass die Gründung der Piusbruderschaft auch politische Hintergründe hat und dass hinter all der Theologie auch politische bzw. kirchenpolitische Überzeugungen stehen. Es ist doch eigenartig, dass gerade ein sich katholisch nennender Christ, gar Priester und Bischof irgendwelche Sympathien für die Nationalsozialisten zu Protokoll gibt. Schließlich waren gerade Katholiken für die Nationalsozialisten ein rotes Tuch. Heute zeigt sich mehr und mehr, dass Williamson ein erbitterter Gegner der Rückkehr der Gemeinschaft in den „Schoß“ der Kirche ist und auch genau so agiert. Ist es da so unwahrscheinlich zu fragen, ob die Holocaustleugnung nicht Methode hatte? Mit keiner theologischen Provokation wäre der Papst derart in Bedrängnis geraten, wie nach dem Bekanntwerden dieser Aussage. Ein probates Mittel also, eine Annäherung zu torpedieren. 

Aber sicher fallen die antisemitischen und antijudaistischen Positionen nicht vom Himmel. Innerhalb der Piusbruderschaft ist durchaus ein gestörtes Verhältnis zum Judentum zu beobachten, was zu zahlreichen zumindest sehr grenzwertigen Aussagen führt. Stilblüte am Rande: In den Ausgaben ihres Mitteilungsblattes 4+5/2012 präsentiert sie den angeblich orthodoxen (im Judentum höchst umstrittenen) Juden Reuven Cabelmann als Kronzeugen ihrer Judentumsfreundlichkeit und stellt den Lesern zudem eine sehr spezielle jüdische Splittergruppe unter den ultraorthodoxen Juden vor, nämlich die, die ausgerechnet den Zionismus und die Gründung des Staates Israel vehement ablehnen. Einer ihrer wenigen Vertreter in Deutschland ist Cabelmann. Damit bedient sich die Piusbruderschaft gewisser Stereotypen, die auch von Rechtsextremen in Deutschland gern benutzt werden. Das vom Verfasser des Artikels präsentierte Bild des orthodoxen Judentums ist allerdings nicht mehr als ein Zerrbild oder letztlich eher als ein Spiegelbild der Beziehungen zwischen Piusbruderschaft und katholischer Kirche.

Aber, vermutlich liegt bei Williamson noch mehr im Argen. Seine Sympathie für totalitäre Regierungen deckt sich mit der Idee einer Beziehung von „Kirche und Staat“ in der die Kirche in bestimmten Fragen das staatliche Handeln zu lenken hat. Von klarer Trennung zwischen Kirche und Staat ist in der Piusbruderschaft nur selten die Rede. Und wer im Besitz der Wahrheit ist, wird auch wohl das Bestreben haben, diese Wahrheit auch mit Mitteln der Macht in die Tat umzusetzen und andere Menschen im Zweifel „in die Wahrheit“ zu zwingen. Kardinal Henri Schwery aus der Schweiz hat kürzlich noch auf diesen Aspekt hingewiesen. Im Extremfall also ein totalitärer Staat unter dem Christus König, geführt von seinen Stellvertretern auf Erden.
In solchen Denkwelten stören natürlich die Wortmeldungen und die Lehre eines amtierenden Papstes weit mehr als wenn man nur im Kontakt mit dem „ewigen Rom“ steht, das in der Regel nicht widerspricht. In manchen „liberalen“ Kreisen der Kirche gibt es ja ähnliche Phänomene.

Aber die Piusbruderschaft ist nicht nur Williamson und seine Anhänger. Für dessen Anhänger (die sich z.B. in Deutschland geballt bei kreuz.net tummeln) kann es keine Einigung mit der katholischen Kirche geben. Sie würden sich hiermit den Ast absägen, auf dem sie sitzen, denn sie müssten die Kirche und ihren Papst als rechtmäßig anerkennen und sich zumindest mit seinen Ansichten und Lehren auseinandersetzen. Aber sie sind es seit Jahrzehnten nicht gewohnt, ihre Ansichten in Frage stellen zu lassen. Sie verkünden sie schließlich in der Autorität des „ewigen Rom“ und letztlich glauben sie den Willen Christi zu kennen. Bernard Tissier de Mallerais fasste diese Haltung einmal so zusammen: „Wir ändern unsere Positionen nicht, aber wir haben die Intention, Rom zu bekehren, das heißt, Rom zu unseren Positionen zu führen.“ Wenn sie ehrlich sind müssten sie zugeben, dass sie – notdürftig getarnte – Sedisvakantisten sind, solche Spinner, die den Papst und seine Autorität völlig ablehnen und irgendwann selbsternannten Gegenpäpsten nachlaufen.

Mein Eindruck ist allerdings, dass die Mehrheit in der Piusbruderschaft das inzwischen alles anders sieht. Dass es ihnen vor allem um die liturgische Heimat und die Treue zu überlieferten Glaubensüberzeugungen geht. Ich vermute, dass es – je tiefer man in der Hierarchie geht – immer mehr sind, die sich eine Rückkehr in die katholische Kirche und einen Platz darin von Herzen wünschen. Steht es bei den Bischöfen noch 1 (Bernhard Fellay) zu 3, so kehrt sich bei den Priestern dieses Verhältnis vermutlich um und noch besser dürfte es bei den Laien und Ordensleuten sein.

Natürlich steckt in den Überzeugungen der Traditionalisten manche (vorsichtig gesagt) Einstellung, die höchst problematisch ist. Aber mit dem Weg in die Kirche muss die Gemeinschaft auch bereit sein, sich in Frage stellen zu lassen. Sie müssen ihre Positionen an der Wirklichkeit erproben. Und mancher andere Katholik muss sich mit den Meinungen der Piusbruderschaft konfrontieren lassen. Ich hoffe, da klärt sich dann manches. Und ich hoffe, den Verantwortlichen der Piusbruderschaft geht auf, dass beim eiligen Abschied aus der „großen Kirche“ auch manches mitgenommen wurde, was nicht bewahrt gehört, sondern auf den Müllhaufen der Geschichte. Da gibt es nämlich auch manches, was nur durch Zufall im Traditionsregal der Kirche stand und nicht, weil Jesus Christus es uns anvertraut hat. Man erkennt noch viel Ideologie des späten 19. Jahrhunderts, die mit dem echten Glauben nichts zu tun hat. Weg damit!
Vielleicht finden wir „normalen“ Katholiken in diesem Regal auch den ein oder anderen Schatz wieder, der in der Umbruchphase der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts verschwunden ist. Das alles wird sicher ein langer Weg. Ich hoffe, dass möglichst viele ihn mit gehen.

http://www.pius.info/

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