Mittwoch, 27. Juni 2012

Bischof Gregor Maria Hanke ./. Prälat Peter Neher

Diesmal soll mein Blog-Beitrag in einem Brief an den Bischof von Eichstätt, Gregor Maria Hanke OSB bestehen. Als normaler Katholik war ich etwas irritiert über den - wenn auch unfreiwillig - öffentlich ausgetragenen Disput. Hierauf versuche ich mit diesem Brief an Bischof Hanke zu reagieren. Möglicherweise ist mein Brief auch für den ein oder anderen Leser dieses Blogs interessant.

Lieber Bischof Gregor Maria Hanke!

Bitte entschuldigen Sie, dass ich diese vertraute Ansprache der formalen Anrede vorziehe. Nehmen Sie es bitte als Zeichen der inneren Verbundenheit mit Ihrer Person und Ihrem Amt.
In diesen Tagen wurde offensichtlich durch eine Indiskretion Ihr Brief an den Präsidenten des Deutschen Caritasverbandes, Prälat Dr. Peter Neher publik. Ihr Ordinariat hat bestätigt, dass dieser Brief authentisch ist.
Auch wenn er nicht an mich gerichtet war und Ihnen selbst die Veröffentlichung nicht recht sein kann, erlauben Sie mir aus der Perspektive eines vierfachen Familienvater, der zudem Vater eines „echten Krippenkindes“ ist, eine Reaktion auf die von Ihnen aufgeworfene Problematik.
Lassen sie mich vorab betonen, dass ich eine gewisse Verbundenheit mit Ihnen empfinde, da ich ein hohe Interesse am Orden des Hl. Benedikts habe, Ihren Ordensgründer sehr verehre, Ihr persönliches Engagement für die Bewahrung der Schöpfung hoch schätze und mir als Pastoralreferent in der Katholischen Diözese Münster das Wort eines Bischof durchaus etwas bedeutet.
Als ehemaliger Benediktinerabt werden Ihnen die Worte des Hl. Benedikt über den Abt noch im Herzen klingen. „Bei Zurechtweisungen gehe er mit Klugheit vor und gehe nie zuweit, sonst könnte das Gefäß zerbrechen, wenn er es allzu sauber vom Roste reinigen will. Er rechne immer mit seiner eigenen Schwäche und erinnere sich, dass man ein geknicktes Rohr nicht vollends brechen darf. Damit wollen wir jedoch nicht sagen, er dürfe Fehler fortwuchern lassen, vielmehr soll er sie, wie schon gesagt wurde, mit Klugheit und Liebe ausrotten in der Weise, die er für jeden einzelnen zuträglich findet.“
Ob Sie diese Worte bei der Abfassung Ihres Briefes wohl ausreichend beherzigt haben? Ich bin jedenfalls verwundert über den scharfen Ton Ihres Briefes. Ich habe die Äußerungen von Prälat Neher (soweit sie mir zugänglich waren) noch einmal gelesen. Er spricht sich ja in keiner Weise gegen eine „Anerkennung und damit Hochschätzung elterlicher Erziehungsleistungen“ aus. Im Gegenteil! Er fordert sie ebenso und macht auch konkrete Vorschläge hierzu. Vielleicht hätte er an einer Stelle noch einen Satz wie den Folgenden anfügen können: „Nun, das, was da mit dem Erziehungsgeld kommen soll ist nicht gut, es ist nicht unbedingt sozial gerecht, aber es ist besser als gar nichts...“
Dass Sie in Ihrem Brief dem Caritasverband sogar eigene ökonomische Interessen unterstellen empfinde ich als besonders problematisch. Gerade wo Sie selbst eine Dissonanz in widerstreitenden kirchlichen Meinungsäußerungen beklagen, sollten Sie doch auch selbst vermeiden, bestimmte, der Kirche nicht wohl gesonnene Kreise in ihrem Vorurteilen gegenüber dem Caritasverband (und der Kirche) zu bestärken.
Hier im Bistum Münster haben wir als Kirchengemeinde eigene Kinderbetreuungseinrichtungen. In beiden Einrichtungen unserer Gemeinde nehmen wir auch Kleinkinder auf. Nicht aus finanziellen Gründen oder weil wir gegen die „katholische Soziallehre“ arbeiten (wo genau ist denn hier eigentlich gesagt, dass die Soziallehre der Kirche sich gegen frühe Betreuung ausspricht?), sondern weil es einen Bedarf gibt; weil Eltern zur Berufstätigkeit gezwungen oder gedrängt sind und gute Betreuung brauchen; weil im Einzelfall den Kindern die Zeit in unserer Einrichtung gut tut und sie davon profitieren. Meine eigene, jüngste Tochter war von ihrem 6. Lebensmonat an in der Betreuung einer Caritas-Kindertageseinrichtung. Daher weiß ich auch, was das für das Kind und die Familie bedeutet.

Lieber Bischof Hanke! Ich kann Ihre Perspektive durchaus verstehen, unterstütze sehr die Vorstellung, dass der Staat und die Gesellschaft mehr tun müssen, um Eltern zu unterstützen, die die Kinder, die Gott uns schenkt gut zu versorgen und zu erziehen. Ich teile auch die Ansicht, dass ein Mehr an Betreuungsmöglichkeiten, das allenthalben, sogar von „christlichen“ Politikern gefordert wird, nicht die einzig notwendige Unterstützung ist, die Eltern benötigen. Es ist ja auch etwas widersinnig, von Unterstützung werdender und „seiender“ Eltern zu sprechen und das Miteinander von Eltern und Kindern durch immer neue Betreuungsformen und Ausweitung der Schulzeiten zu begrenzen. In unserem Bundesland NRW gibt es zur Zeit die widersinnige Diskussion, dass in der offenen Ganztagsschulen die Kinder möglichst bis zum Ende um 16.00 Uhr verbleiben mögen und nicht mehr flexibel und früher von den Eltern abgeholt werden sollen. Hier geht es vor allem um eine bessere Ausnutzung der Einrichtungen und damit der zur Verfügung gestellten Finanzmittel. Hier würde ich mir durchaus ein klares Wort eines Bischofs oder der Caritas wünschen.
Doch in meinem Wunsch nach „Anerkennung und damit Hochschätzung meiner Erziehungsleistung“ als Vater finde ich mich dennoch ebenso in Ihrem Grundanliegen und der im Brief an die Bayrische Staatsministerin Christine Haderthauer formulierten Position, wie auch in der Argumentation von Prälat Neher als Präsidenten des Deutschen Caritas-Verbandes wieder.
Ich kann nicht erkennen, dass der Caritasverband die erzieherische Eigenverantwortung der Eltern als unaufgebbares Prinzip kirchlicher Soziallehre in Frage gestellt hat. Wo seine Aussagen der „katholischen Soziallehre“ widersprechen, erschließt sich mir weder aus der Kenntnis der katholischen Soziallehre noch aus der wiederholten Lektüre Ihres Briefes an Prälat Peter Neher.

Aber so wenig das Betreuungsgeld diese elterliche Eigenverantwortung unterstützt, so wenig nehme ich wahr, dass sich der Caritasverband vor den Karren mancher Familienideologen spannen lässt, die glauben, dass eine externe Erziehung der Kinder in Krippen, Kindertagesstätten und Ganztagsschulen dem erzieherischen Einfluss der Eltern vorzuziehen sei. Aber die Situation der Familien ist heute bunt und vielschichtig. Sie brauchen eine individuelle Unterstützung und Förderung, die eben nicht immer in zusätzlichem Geld und weniger pädagogischer Begleitung besteht. Es ist und bleibt auch problematisch, dass die jetzt umzusetzende Variante des Betreuungsgeldes gerade dort nicht ankommt, wo mehr Geld in den Familien echte Not wenden könnte. Es wäre doch viel sinnvoller, genau hinzuschauen und passgenau mit dem zu helfen, was in dieser besonderen Familie gerade gebraucht wird. Manchmal ist das Geld, manchmal ist es frühe Förderung und Betreuung durch Fachkräfte in der Familie und in Einrichtungen, manchmal seelsorgliche Begleitung, Verständnis und Zuwendung. Und genau davon hat ja auch Prälat Neher gesprochen.

Ich frage mich, warum Sie als Bischof, bei allem – in Ihrem Brief förmlich spürbaren Ärger über die eine oder andere Argumentationsspitze des Prälaten – nicht zum Telefonhörer greifen, sich durchstellen lassen und mit ihrem Amtsbruder ein klärendes Gespräch im „nichtöffentlichen“ Raum suchen. Bisher hatte ich es als angenehm empfunden, dass Prälat Peter Neher in der öffentlichen Diskussion eine kritische Stimme war, die sowohl den politischen Gegnern des Betreuungsgeldes widersprach, indem er sagte: jawohl, Familien brauchen finanzielle Hilfen als auch den politischen Freuden dieser Geldleistung, indem er sagte: aber auch mit dem Betreuungsgeld bleiben die Probleme in den Familien und da müsst ihr noch mehr tun, statt euch nun gemütlich zurückzulehnen und auf das Betreuungsgeld zu verweisen.

Aber ich würde gerne noch auf meine Erfahrungen als Familienvater zurückkommen. Als Pastoralreferent, der in der Kinder-, Jugend- und Familienarbeit tätig ist, kenne ich viele Familien und deren manchmal schwierige Situation.
Schön wäre es, wenn die Betreuungseinrichtungen möglichst passgenaue Betreuungsangebote anbieten würden, die uns Eltern entlasten (so wir berufstätig sein müssen) und uns dennoch erlauben, so viel Zeit als möglich mit unseren Kindern zu verbringen. Da fehlt es insgesamt noch an Vielseitigkeit, Flexibilität und Kundenfreundlichkeit.

Leider ist in all den aktuellen Diskussionen viel zu viel Ideologie im Spiel. Oft sind bestimmte „wissenschaftliche“ Befunde von Interessen und erkenntnisleitenden Überzeugungen bestimmt. Das gilt leider auch für die Diskussion über die psychischen Folgen der frühen Betreuung oder über den erhöhten „Kortisolspiegel“ bei Kindern. Hier würde ich mir mehr unvoreingenommene Fachlichkeit bei klarer Parteinahme für das wirkliche Wohl der Kinder wünschen. Die Ursache psychischer Auffälligkeiten ist vielschichtig und nicht selten liegt sie eher in den Familien begründet denn in anderen Einflüssen.
Sie schreiben: „Es ist unbestreitbar, dass es für ein Kleinkind im Normalfall kaum einen besseren Hort der Erziehung und der ge-/erlebten Wertevermittlung gibt als das Leben innerhalb der eigenen Familie.“ Ich hoffe sehr, dass diese Aussage zumindest für meine Familie und unsere vier Kinder stimmt. Auch wir bemühen uns sehr, unsere Kinder zu gläubigen Menschen zu erziehen. Ob uns das besser als anderen Familien gelingt? Manchmal zweifle ich durchaus daran.
Die Vielfalt in den Familien, die ich in meiner Arbeit aber auch in der Schule und im Kindergarten erlebe, ist groß. Der „Normalfall“ ist heute selten. Und ich erfahre auch, dass meinen Kindern die Zeit im Kindergarten, in der Betreuung, in der Schule gut tut. Dass sie dort Dinge erfahren, auch Werte vermittelt bekommen, die ich ihnen im Rahmen unseres Familienlebens nicht hätte vermitteln können. Dabei kommt unsere Familie dem Familienideal der katholischen Soziallehre vermutlich näher als bei manchen anderen Familien. Um so mehr gilt dies für die Familien in denen Kinder allein, einzeln aufwachsen.

Sie werden mich hoffentlich nicht falsch verstehen. Es ist ein hohes und wichtiges Ideal, das auch von Ihnen verteidigt wird und ich gehe sehr davon aus, dass Ihnen die Sorge um ein gelingendes Familienleben mit den entsprechenden Rahmenbedingungen sehr am Herzen liegt.

Ich würde mir allerdings wünschen, dass die Kirche hier mit einer Stimme spricht, Partei für Familien in ihrer ganzen Vielfalt ergreift (selbst dann, wenn sie sich vom kirchlichen Familienideal entfernt haben) und sich spürbar von der Lebenswirklichkeit der Familien inspirieren und von Familienvätern und Müttern beraten läßt. Die Verantwortung hierfür liegt aber auch innerhalb der bischöflichen Amtsführung. Ganz bestimmt gibt es in der verfassten Caritas einen „Entweltlichungsbedarf“ und an der ein oder anderen Stelle auch deutlich Reformbedarf. Ich fände es gut, wenn die Bischöfe hier in enger Abstimmung mit den Verantwortlichen der Caritas einen guten Weg finden und nicht über halböffentliche Briefe verkehren, die sowohl auf die Arbeit der Caritas als auch die Absichten der Kirche einen gewissen Schatten werfen.
Ich bin jedenfalls dankbar, dass sowohl Prälat Neher als auch Sie, Bischof Hanke, eine Lanze für uns Familien brechen möchten. Ich nehme wahr, dass Sie jeweils andere Familienwirklichkeiten im Blick, aber letztlich das eine Ziel vor Augen haben.
Möge es auf die Fürsprache des Heiligen Menschenkenners Benedikt gelingen, dass Sie miteinander für das Wohl der Kinder und Familien etwas zum Besseren bewegen können. So verbleibe ich im Gebet verbunden mit frohem Gruß!
Ihr
Markus Gehling

P.S.: Ich erlaube mir, diesen Brief an Sie auch Herrn Prälat Dr. Peter Neher zur Kenntnis zu geben und ihn in meinem katholischen Blog www.kreuzzeichen.blogspot.com zu veröffentlichen. Ich würde mich freuen, wenn Sie mir eine Antwort geben könnten.


Die Stellungnahmen von Prälat Dr. Peter Neher:

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